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Full text: Causerien über Theater / Fontane, Theodor (Public Domain)

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zuzuwälzen trachtet. Freilich, was heißt Schuld oder 
Nicht-Schuld! Solche Bezeichnungen passen nicht hierher, 
denn sie setzen voraus, daß wir uns unter Menschen be— 
wegen, unter Menschen, für welche die zehn Gebote gegeben 
und die sittlichen Begriffe festgestellt wurden. Dies sind 
aber keine Menschen. Wenigstens Gabriele nicht. 
Der Herr Verfasser hat, soweit ich ihn aus einer ein— 
maligen Begegnung kenne, persönlich etwas Freundliches 
und Prätentionsloses, aber seine Stücke sind durchaus prä— 
tentiös. Er kann dies nicht ändern, ja er darf es nicht 
ändern, weil das, was das Prätentiöse an ihnen aus— 
macht, mit seinem eigentlichsten Talent, mit seiner eminenten 
Begabung für Einfädlung und Szenenaufbau zusammen— 
hängt. Daraus resultiert der Eindruck einer vollkommenen 
Theaterroutine; alle Routine aber, der man die Berech— 
tigung ihres sicheren Auftretens nicht zugestehen kann, 
wirkt prätentiös. So wird das Talent des Herrn Ver— 
fassers zu einer Provokation. Was aber schließlich weit 
über diese Stimmungen hinaus, die der Kritiker in der 
Gewalt haben soll, den Ausschlag gibt, das ist die Sache 
selbst, das ist das aller Lebenswahrheit Abgewandte, das 
den charakteristischen Zug aller Lublinerschen Arbeiten 
bildet. Und dagegen muß Front gemacht werden. Ich 
habe nichts gegen Herrn Hugo Lubliner, aber ich habe 
sehr viel gegen seine Stücke. Je äußerlich geschickter sie 
sind. desto schlimmer sind sie. 
Wir stecken bereits tief in der Decadence; das Sensa— 
tionelle gilt, und nur einem strömt die Menge noch be— 
begeisterter zu: dem baren Unsinn. Der „Geschundene 
Raubritter“ wurde in fünf Versionen auf fünf verschiedenen 
Vorstadttheatern gegeben, und die Elite der Gesellschaft 
wallfahrtete hinaus, um sich die neue Herrlichkeit an— 
zusehn. In solcher Zeit, wenn nicht der Wüstensand
	        
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