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zuzuwälzen trachtet. Freilich, was heißt Schuld oder
Nicht-Schuld! Solche Bezeichnungen passen nicht hierher,
denn sie setzen voraus, daß wir uns unter Menschen be—
wegen, unter Menschen, für welche die zehn Gebote gegeben
und die sittlichen Begriffe festgestellt wurden. Dies sind
aber keine Menschen. Wenigstens Gabriele nicht.
Der Herr Verfasser hat, soweit ich ihn aus einer ein—
maligen Begegnung kenne, persönlich etwas Freundliches
und Prätentionsloses, aber seine Stücke sind durchaus prä—
tentiös. Er kann dies nicht ändern, ja er darf es nicht
ändern, weil das, was das Prätentiöse an ihnen aus—
macht, mit seinem eigentlichsten Talent, mit seiner eminenten
Begabung für Einfädlung und Szenenaufbau zusammen—
hängt. Daraus resultiert der Eindruck einer vollkommenen
Theaterroutine; alle Routine aber, der man die Berech—
tigung ihres sicheren Auftretens nicht zugestehen kann,
wirkt prätentiös. So wird das Talent des Herrn Ver—
fassers zu einer Provokation. Was aber schließlich weit
über diese Stimmungen hinaus, die der Kritiker in der
Gewalt haben soll, den Ausschlag gibt, das ist die Sache
selbst, das ist das aller Lebenswahrheit Abgewandte, das
den charakteristischen Zug aller Lublinerschen Arbeiten
bildet. Und dagegen muß Front gemacht werden. Ich
habe nichts gegen Herrn Hugo Lubliner, aber ich habe
sehr viel gegen seine Stücke. Je äußerlich geschickter sie
sind. desto schlimmer sind sie.
Wir stecken bereits tief in der Decadence; das Sensa—
tionelle gilt, und nur einem strömt die Menge noch be—
begeisterter zu: dem baren Unsinn. Der „Geschundene
Raubritter“ wurde in fünf Versionen auf fünf verschiedenen
Vorstadttheatern gegeben, und die Elite der Gesellschaft
wallfahrtete hinaus, um sich die neue Herrlichkeit an—
zusehn. In solcher Zeit, wenn nicht der Wüstensand