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beschwörende Szene nämlich verläuft etwas unklar und
läßt uns im ungewissen darüber, ob der Tod der schönen
Selvaggia lediglich im Ghibellinenhaß des sie leidenschaft⸗
lich, aber unglücklich liebenden Scaramello oder in dessen
unglücklicher Liebe oder endlich in der Eifersucht ihrer
Stiefmutter, der Gräfin Adelaide von Sanbonifazio,
seinen Grund habe; ein Fehler, der an dieser Stelle not—⸗
wendig und nachdrücklich betont werden müßte, wenn er
nicht neben einem viel größeren verschwände. Dieser viel
größere Fehler ist der, daß es uns absolut gleichgültig
läßt, woran die schöne Selvaggia zu Grunde geht, ob an
Politik oder Eifersucht oder Liebe. Wir sind froh, daß
es aus ist, und erschrecken bei dem Gedanken, daß eine
größere Klarlegung der Motive schlecht gerechnet noch
einen Zeitaufwand von fünf Minuten gekostet hätte. So—
viel liegt uns nicht daran. Da doch lieber in Ungewiß—
heit bleiben!
Der ganze erste Akt kann alles in allem als
eine nahezu meisterhafte, den Zuschauer und sein
Interesse jeden Augenblick in der Hand behaltende Ex—
position gelten. Aber schon vom zweiten an ist dies
Interesse hin, und alles, was folgt, ist vorwiegend ein
Guelfen- und Ghibellinen-Kadau. Das hat Raupach
auch gekonnt, und „Karl konnte mehr.“ Er hieß
übrigens auch Ernst. Die beiden einzigen Guelfen
und Ghibelinen, die mich zur Zeit überhaupt noch inter—
essieren, heißen Windthorst und Bismarck. Die zu
sehen, das wäre was. Aber Sanbonifazio und della Scala,
— tote Namen, wenigstens für mich. In einem spanischen
Stücke kann ich keine Preciosa und in einem korsikanischen
keine Blutrache mehr aushalten, und beinah' noch schlimmer
sind veronesische Guelfen und Ghibelliuen. Was wissen
wir von ihnen? Nichts. Und so ist denn tatsächlich nichts