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Dramatische Werke Wildenbruch

Full text: Causerien über Theater / Fontane, Theodor (Public Domain)

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Und dieser Moment ist in Wildenbruchs „Karolingern“ 
mit dem dritten Akte gegeben. Wenn ein Preis auf eine 
große dramatische Szene mit einer Reihenfolge von an 
Unmöglichkeit grenzenden Unwahrscheinlichkeiten aus— 
geschrieben worden wäre, so hätte ihn Wildenbruch 
gewonnen. Er führt uns in diesem seinem dritten 
Akt in ein von der Kaiserin Judith bewohntes Gemach, 
dessen intimer Charakter am sprechendsten durch eine 
Hintergrundsnische gekennzeichnet wird, darin der Sohn 
der Kaiserin schläft. In diesem Gemach erscheint zu 
mitternächtiger Stunde Bernhard Graf zu Barcelong, 
halb Mortimer, halb Richard der Dritte. Dies Auftreten 
ist einigermaßen überraschend, aber es mag hingehen; 
Bernhard hat als Galan der Kaiserin das Einbruchs⸗ 
vorrecht aller auf die Don Juan-Seite gefallener 
Naturen. Auch an den gesegneten Schlaf des etwa 
fünfzehnjährigen Sohnes der Kaiserin will ich glauben 
und den Umstand, daß zur Wahrung des Anstandes ohne 
weiteres eine Gardine vorgezogen wird, als ein sittliches 
Entgegenkommen in Rechnung stellen. Aber dies mitter— 
nächtige Gemach samt Schlafkabine hat an einem Liebes- 
gekose zwischen Galan und Kaiserin und, nachdem diese 
letztere das Gemach verlassen, an einem mit gleicher Ver— 
wegenheit geführten Gespräche zwischen Graf Bernhard 
und dem aus seinem Schlummer erwachten jungen Prinzen 
auch nicht zur Hälfte genug; nein, unser Dichter holt 
zu Belebung und Ornamentierung dieses merkwürdigsten 
aller Rendezvousplätze noch ganz andere Requisiten aus 
seiner Zauberkommode hervor. Im selben Augenblicke, 
da der jugendliche Prinz dem Beispiele der Mutter 
folgend die offene Szene verlassen und den angrenzenden 
Park, dies Refugium aller schönen Seelen, auch seinerseits 
betreten hat, erscheint Abdallah, der Mohr mit schwarzem
	        
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