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Full text: Causerien über Theater / Fontane, Theodor (Public Domain)

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bogen zu sehen glaubte. Und zu so vielem diese heut— 
zutage passen müssen, so passen sie doch nicht zur Jung— 
frau von Orleans. In der Szene zwischen Dunois und 
Burgund klang ihr Dazwischentreten so schwach und ver— 
legen, als ob es sich um die Beschwichtigung eines eifer— 
süchtigen Gatten handle, und in dem Momente, da sie 
dem schönen Lionel den Helm vom Haupte reißt, zitterte 
ein Ach über ihre Lippen. Dies vom Dichter seiner 
Dichtung nicht einverleibte Ach war extemporiert und 
kann als charakteristisch für das ganze Spiel gelten. In 
ihrer Auffassung der Rolle ruht alles auf einem Liebes- 
verhältnis, mitunter nicht zum Schaden; und Stellen, die 
den entsprechenden Ton nicht nur ertragen können, sondern 
ihn sogar fordern, gelangen ihr durchaus. So beispiels- 
weise das schwer zu sprechende: „Ich sterbe, wenn du 
fällst von ihren Händen.“ UÜberhaupt wolle man aus 
meinen Ausstellungen nicht den Schluß ziehen, daß das 
Spiel ohne Wirkung auf mich geblieben wäre. Trotz 
Ach und Stockelschuhen traf es mich mehr als einmal, und 
diele Jungfrauen, die heldischer oder begeisterter auf⸗ 
traten, haben mich kälter gelassen. Am kältesten die 
deklamatorische und blondesentimentalen. Von diesen 
ist allerdings Fräulein Borry durch Toupet und 
Temperament gleich sehr geschieden, und in letzterem, so 
mein' ich, ruht ihre Kraft und ihr Erfolg. Das Tempera— 
ment macht zwar noch keine Jungfrau, aber es führt 
doch in ihre Nähe. Ob das Feuer etwas heiliger oder 
weniger heilig brennt, es brennt wenigstens. Amphibiale 
Jungfrauen, wie ich deren so viele gesehen habe, sind die 
schlimmsten. Enfin, Fräulein Borry war keine Jeanne 
d'Are; aber im einzelnen deckte sich's, und im ganzen 
kam ihr die Verwandtschaft zwischen Vision und Passion, 
zwischen Prophetie und Chiromantie zu statten.
	        
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