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Full text: Festschrift zur Feier des 10jährigen Bestehens des Turnvereins "Fichte" Berlin (Public Domain)

Die Turnerei war in ihren Anfängen und auch später ein Hort der Freiheit, als 
noch nicht das Erreichte ihr als letzter Zweck und Endziel erschien, sondern das Feuer der 
Opposition ihr den Stempel der Demokratie, der Volksherrschaft, des Fortschritts, aufdrückte. 
In dieser Opposition gegen das Bestehende, das ihr als reaktionär erschien, ergriff 
sie jederzeit die Waffen, zog ste zum Wartburgfeste (1820), um hier im Verein mit Studenten 
und Burschenschaften reaktionäre Preßerzeugnisse den Flammen zu überliefern, stritt sie in 
den Märztagen für Volksfreiheit auf den Barrikaden, gründete sie den „Allgemeinen Deutschen 
Turnerbund“ (1850), der auf seiner Fahne die Worte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit 
geschrieben hatte, um dann vor dem mit dem Entstehen des Deutschen Reiches modern 
zewordenen „Patriotismus“ zu kapitulieren, ohne darnach zu fragen, ob dasselbe auch die 
Ideale des Volkes wirklich erfüllt habe. — 
Hier greift der „Arbeiter-Turnerbund“ ein, um das alte Freiheitsideal in der Turnerei 
wieder lebendig werden zu lassen, und damit ausgerüstet, hat er der „Deutschen Turnerschaft“ 
den Fehdehandschuh hingeworfen, und nicht ohne Erfolg, wie der auf 40 000 angewachsene 
Mitgliederbestand desselben beweist. 
1890 — 1803. 
Wenn wir nach Vorstehendem uns nun unserem Verein zuwenden, dann brauchen 
wir kaum nach den Ursachen zu fragen, welche das Entstehen desselben, des größten des 
„Arbeiter-Turnerbundes“, wenn auch früher, hervorriefen; denn was für den letzteren gilt, 
das gilt auch für die Glieder desselben. Nun können wir uns ohne weiteres den lokalen 
Verhältnissen zuwenden, in welchen sich die Bahnen der „Fichte“ im verflossenen 
Dezennium bewegten. 
Die Wiege des Vereins oder vielmehr die Stätte, wo sich diejenigen zusammenfanden, 
welche berufen waren, den Stamm für den Verein zu bilden, war jene prächtige Turnhalle 
des Königstädtischen Gymnasiums in der Elisabethstraße, die Turnstätten des „Lübeck'schen 
Turnvereins“ und der „Turnerschaft des Berliner Handwerkervereins“. Eine kleine, freiheit- 
lich gesinnte Schar, nur 12 waren es, allerdings fast sänitlich hervorragende praktische 
Turner, die, in letzterem Verein turnend, ein euges Freundschaftsband umschloß, sich all 
jenen zahlreichen Veranstaltungen fernhielt, die mit dem „unpolitischen“ Turnen nichts zu 
thun hatten, erfüllt von dem Gedanken, einen ihren Ideen gerechten Turnverein zu gründen. 
Diese Turnabteilung, ein Zweig des großen „Berliner Handwerker-Vereins“, war 
nicht dazu angethan, freiheitlichen Ideen Haus und Thür zu öffnen. Ein im Verhältuis 
zur Mitgliederzahl kaum nennenswerter Turnbetrieb, Personenknltus, Bevormundung der 
jüngeren Mitglieder, jeder freiheitlichen Regung abhold, so war das Milien, in dem die 
„125 turnten. — Der Ausschluß von jenen Festen, das selbstbewußte Thun und Treiben 
der letzteren mußte notgedrungen zu Konsequenzen führen und die Trennung war geschehen. 
Den änßeren Anlaß zu dieser Trennung gab das X. Deutsche Bundesschießen der 
Schützengilde im Jahre 1800. Zur Mitwirkung bei diesem gFest waren sämtliche Berliner 
Turnvereine geladen, welchem Rufe auch die „Turnerschaft des Berliner Handwerker vereins“ 
Folge zu leisten beschloß. Von seiten „unserer“ Turner weigerte man sich entschieden bei 
diesem Feste Statistendieuste zu thun. Dies entfachte den langverhaltenen Groll der Vereins— 
leitung gegen die junge selbstbewußte Schar; hatte man bisher dieselbe nicht beachtet und 
bei allen Vereins-Angelegenheiten zurückgesetzt, so ging man jetzt zu offener Feindschaft 
über. War einem jeden bisher der Gedanke des Austritts fremd, so bedurfte es nunmehr 
nur noch des zündenden Funkens, um diesen auflodern zu lassen. Da verlautete auf ein— 
mal, die Vereinsleitung wolle zum Ausschluß schreiten und dadurch war die Entscheidung 
gefallen. In einem von 12 Mitgliedern unterzeichneten Schriftstück erklärten diese ihren 
Austritt. Nach der Ueberreichung dieser Austrittserklärung wurde in der Versammlung der 
„Turnerschaft des Berliner Handwerker-Vereins“ beschlossen, die Ausgetretenen auf die 
Dauer von 2 Jahren vom Turnsaal zu verweisen; eine ganz unnötige Vorsicht, welche nur 
bewirkte, daß die nunmehr Gemaßregelten sich desto fester zusammenschlossen.
	        
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