Path:
V. Zwei Wochen Urlaub. (1891)

Full text: Aus jungen und alten Tagen / Pietsch, Ludwig (Public Domain)

— 197 — 
Am 24. April nahm ich wehmütig Abschied von den mir 
liebsten Stätten der Insel, der Villa Reale und dem Kap al 
Canone, die sich mir noch einmal in der heißen Vormittags— 
sonne unter dem blauen, tiefklaren Himmelsdom in ihrer 
ganzen unvergleichlichen Schönheitsfülle zeigten. Ich sagte 
Lebewohl dem liebenswürdigen Paar, dem Hausherrn und 
der Hausherrin der Bella Venezia, den mir hier näher bekannt 
gewordenen Mitbewohnern des Hotels, dem verehrten Ver— 
treter des Deutschen Reiches in Korfu, dem bewährten, ge— 
schäftstüchtigen und zugleich für alle idealen Interessen so 
warm begeisterten und eifrig wirkenden Konsul Herrn Fels, 
in dessen gastlichem Hause mir auch diesmal wieder eine so 
freundliche Aufnahme geworden war, wie vor fünfzehn Jahren 
und seiner geistvollen, reichbegabten, graziösen Schwiegertochter, 
und begab mich an Bord des von Athen gekommenen Lloyd⸗ 
dampfers „Ceres“. Die ganze Bevölkerung der Stadt sah 
ich noch beim Scheiden in eigentümlicher Aufregung. Auf— 
fallend häufige Soldatenposten waren, besonders in den zumeist 
von jüdischen Geschäftsleuten bewohnten Straßen, verteilt. 
Das Gerücht von einem durch Juden an einem Griechenkinde 
begangenen Ritualmorde hatte den christlichen Fanatismus 
der Massen entflammt. Ausschreitungen gegen die Juden 
waren schon gestern begangen. Die griechische Bevölkerung 
Korfus war nie von besonderer Sympathie für die Kinder 
der zwölf Stämme erfüllt. Deren Zahl auf der Insel ist bis 
zu der bedenklichen Höhe von 5000 angewachsen, während 
der berühmte jüdische Reisende Benjamin von Tudela im Jahre 
1190 noch das von ihm besuchte Korfu also charakterisieren 
konnte: „Die von Otranto können in zwei Tagen hinüber⸗ 
schiffen, wo sich nur ein einziger Jude befindet, mit Namen 
Rabbi Joseph.“ 
Der mit Passagieren überfüllte Dampfer gab in Brindisi, 
wo wir nachts um 22/2 Uhr eintrafen, deren Mehrzahl
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.