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Natur nach einen vor allen willkommenen Stoff. Hier durften
sie, ja mußten sie, was ihnen sonst bei allen heiligen Frauen
der Legende — mit Ausnahme der Magdalenen und der
Maria Aegyptiaca — verwehrt ist, ihre Kunst an einem mit
jedem Liebreiz geschmückten, entkleideten holden Mädchenkörper
erproben. Allerdings durften die Henker nicht fehlen, die sich
eben zu dem gräßlichen Werk seiner Verstümmlung anschickten.
Alle Kirchen Catanias sind voll von diesen Darstellungen. In
jenen kleinen zierlichen Figuren des Schnitzwerks werden die
betreffenden Szenen und Prodezuren peinlich gewissenhaft in
allen Details und in ihrem allmählichen Vorrücken geschildert.
Auf einem großen Altarbilde der Benediktiner Klosterkirche
San Nicola kniet die bis unter die Hüften nackte Heilige,
der lieblichste, jugendschönste Leib und das verklärteste blonde
Antlitz, zwischen den Henkern. Aber ein empörender Anblick:
der eine derselben hat bereits mit dem Messer die Zirkumzision
in zwei blutströmenden Kreisen ausgeführt, und der andere,
ein hübscher Jüngling, kommt mit einer großen Gartenschere
herbei, um das Werk zu vollenden. Das Empörende liegt
nicht allein in der raffinierten Barbarei einer solchen Dar⸗
stellung, sondern in dieser echt jesuitischen Heuchelei, welche
das Behagen an dem durch die blutige Grausamkeit gesteigerten
sinnlichen Reiz in die Maske der Heiligkeit hüllt.
Es konnte nicht anders kommen, als daß eine Märtyrerin,
die gerade in dieser Weise und an dieser Stelle so furchtbar
gelitten hat, die besonders hilfskräftige Patronin aller der
armen Erdentöchter werden mußte, welche — auch ohne daß
—DDDDD
haben oder gegeben haben würden, ja, oft sogar durch die
Konsequenzen des Gegensatzes so herber Tugenden — von
kaum minder qualvollen Leiden und Operationen an derselben
Stelle heimgesucht werden, wie und wo sie die holde Diva
erleiden mußte, um die Krone des Paradieses zu erwerben.
Pietsch, Aus jungen und alten Tagen.
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