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IV. Hochsommertage in Süditalien und Sizilien. (1874)

Full text: Aus jungen und alten Tagen / Pietsch, Ludwig (Public Domain)

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Stockwerks sechs stolze, antike Granit- und Marmorsäulen 
aus den Ruinen der nahen griechisch-römischen Theater ein⸗ 
gereiht. Breite Marmortreppen führen zur Grundfläche des 
Domes hinauf; eine stattliche Marmorbalustrade umrahmt oben 
den Platz und nach der Straße hin einen blütenreichen Garten. 
Das Innere des Tempels ist eine weite, dreischiffige Basilika 
in Barockstil, mit der Kuppel über der Vierung in großen, 
vornehmen Verhältnissen angelegt, übrigens geweißt und ohne 
hervorragenden künstlerischen Schmuck. Ein paar mittelmäßige 
Bilder in den Seitenkapellen, einige Marmordenkmale und 
Sarkophage von Fürsten der arragonischen Dynastie und ein 
allerdings sehr reiches und ausgedehntes Werk der Holz⸗ 
schnitzerei des 16. Jahrhunderts: das große Chorgestühl im 
hohen Chor, an welchem en relief die ausführlichste Lebens— 
und Martergeschichte der „Diva Agatha“ dargestellt ist, — 
das ist alles. 
Das Merkwürdigste ist die Kapelle zur Rechten dieses 
Chores. Sie enthält den verehrten Tesoro der Kirche, die 
Reliquien der heiligen Agathe. In einem hohen alten Bronze⸗ 
schrein hinter einem dichten Gitter birgt sich der große silberne 
Sarg, der am Feste der Stadtgöttin im Februar von den 
Männern Catanias durch die Straßen getragen wird. Die 
Heilige war geborene Catanierin in römischer Kaiserzeit. 
Den Prätor Quintianus reizte ihre holde Schönheit. Als die 
fromme und keusche Jungfrau sein Liebeswerben zurückwies, 
läßt ihn die Legende sich an ihr in der bekannten fürchter— 
lichen Weise rächen, daß er ihren schönen Leib durch das Ab⸗ 
schneiden des schönsten Schmucks eines weiblichen Körpers zu 
verstümmeln befahl. 
Diese Mythe befriedigt wie kaum eine andere jene tief 
in der romanischen Rasse und im römischen Katholizismus 
steckende Neigung zur innigen Verschmelzung von Grausamkeit 
und Wollust. Den Malern dieser Kirche aber bot er seiner
	        
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