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IV. Hochsommertage in Süditalien und Sizilien. (1874)

Full text: Aus jungen und alten Tagen / Pietsch, Ludwig (Public Domain)

seinem zuverlässigen Plan in der Tasche und seinem natür— 
lichen, durch Ubung ausgebildeten Orientierungsvermögen im 
Kopf vertrauend, diesen Ort in allen Richtungen durch— 
kreuzt, dessen Bild im ganzen großen, wie im Detail zu ge— 
winnen und die Punkte und Eigenheiten herauszufinden sucht, 
welche er mit anderen durch mancherlei natürliche, klimatische 
und natürliche Bedingungen gemeinsam hat und welche ihn 
trotzdem, wie von allen anderen, auch von solchen scheinbar 
ähnlichen höchst wesentlich unterscheiden. 
Man kann Palermo nicht in solcher Weise durchschweifen, 
ohne in jedem Augenblick an Neapel erinnert zu werden, und 
zugleich nicht ohne sich der tiefgreifenden Unterschiede zwischen 
beiden Städten sehr bald bewußt zu werden. 
Wenn Goethe den Hauptnachdruck darauf legt, daß 
Palermo, ganz nach Norden gelegen, „die beiden Himmels— 
lichter“, sich niemals im Meer spiegeln sieht, und daß dieses 
mithin immer ernst und zudringend, während das in Neapel 
immer weiter und luftiger erscheint, so kann man — bei der 
größten Verehrung für seine Beobachtung und sein Urteil — 
das nicht in voller Ausdehnung zugeben. Palermo liegt 
mindestens ebenso sehr gegen Osten als gegen Norden; die 
Quais von Sonnenaufgang bis gegen 11 Uhr in voller 
glühender Sonne so gut wie nur die Chiaja und Sta Lucia 
in Neapel. Diese sizilische Julisonne hat von der ersten Morgen⸗ 
frühe an eine ganz eigenartige Kraft und Wirkung. Ihr Licht 
und ihre Wärme sind mir wohl recht; aber der Effekt auf die 
Haut vermehrt nicht gerade den Genuß des hiesigen Sommer⸗ 
aufenthalts. Man macht sich die zutreffendste Vorstellung da— 
von, wenn man sich sämtliche Unterkleider, welche den Körper 
unmittelbar berühren, aus dem mehr wohltätigen als an— 
genehmen Stoff des spanischen Fliegenpflasters gearbeitet oder 
mit einem Unterfutter von Tausenden scharfen Nadelspitzen 
ausgestattet denkt. Leider hört diese Empfindung auch nicht
	        
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