braven Buͤrgersinn aneigneten und einen soliden Unter⸗
thanenverstand erwarben, die Mundschließen geworden
sind, fester als die festesten Inquisitionsriegel. Was wir
freilich an Charakter dabei eingebuͤßt haben, je nun, das
ist der Ausgleich, den jedes Plus durch ein Minus hat
— und schließlich betrifft das auch mehr und ganz be⸗
sonders den Einzelnen. Aber ich stehe nicht an, eine
Zukunft vorauszusehen, in der die Charakterlosigkeit eben
so eine besungene deutsche Tugend ist wie Biertrinken
und Skatspielen, wenn ich auch noch nicht so weitsehend
und vermessen prophetisch zu sein vermag, den Wagner⸗
schen Satz vom Deutschsein dahin zu nuͤancieren — und
es ist ja nur eine Nuͤance, lieber Michel — daß er lautet:
deutsch sein, heißt keinen Charakter haben. Nein, das
wollen wir wirklich nicht ausdenken. Aber ein Anfang
dazu ist da — in der Kunst, unter Kuͤnstlern, und da die
Kunst allemal der Spiegel der jeweiligen Kulturhoͤhe
eines Volkes ist, und unter Kultur begreife ich ausdruͤck⸗
lich auch alles Individuelle und die persoͤnliche Ruͤck⸗
graͤtigkeit ein — so ist das immerhin schon ein starker
Anfang. Und Gift frißt weiter — wehren wir uns da⸗
gegen. Erhalten wir uns, uns selbst, unsere Meinung,
unsere Auffassung, unsere Lebendigkeit mit einem Wort.
Haͤngen wir fuͤr unsere Anerkennung des „Guten,
Wahren, Schoͤnen“ unsere eigenen Gesetze uͤber uns auf.