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Lorenzo Ghiberti

Full text: Gesammelte Reden und Aufsätze / Meyer, Alfred Gotthold (Public Domain)

hältnis der Figuren zum Raume und zur baulichen Umgebung 
meisterhafte Vorbilder, die bis dahin selbst in der Florentiner 
Malerei unübertroffen blieben, ja selbst von Ghirlandajo noch 
nicht wieder erreicht wurden, 
Über dieses Stadium hinaus geht das Problem in den 
unteren Reliefs: hier verzichtet der Bildner — mit Aus- 
nahme des Sabareliefs — fast ganz auf die Hilfe der geometrisch 
konstruierbaren Formen und wagt es, die räumliche Tiefen- 
dimension nur durch Figurengruppen und -reihen vor landschaft- 
licher Fernsicht zu erreichen. 
Eine solche Reliefperspektive wird naturgemäß um So 
schwieriger, je niedriger die Bildfläche ist, und daher bezeichnet 
die letzte und höchste Stufe, die Ghiberti hierin erreicht hat, das 
Vorderrelief des S. Zenobioschreines im Florentiner Dom. Hier 
ist auf einem friesartigen Streifen die Bühne seitlich von dicht 
aneinander gedrängten Scharen gefüllt, während die Mitte des 
Platzes frei bleibt und nur ganz vorn die wenigen Figuren der 
Hauptscene stehen. — 
Muß solche Herrschaft über die plastischen Darstellungs- 
mittel nicht auch der statuarischen Kunst genügen? — Wenn 
man Ghibertis Statuen an Orsanmichele, den Täufer (1414 
bis 1416), den Matthäus (1419—1422) und den Stephanus 
(1425—1426), mit denen Donatellos vergleicht, ist diese Frage 
zu verneinen, und wieder sind die dabei hervortretenden Un- 
zulänglichkeiten Eigenheiten der gotischen Überlieferung. Jene 
Bronzestatuen bleiben bei aller sich steigernden Vollendung doch 
eben nur Vergrößerungen der zahlreichen selbständig gedachten 
Einzelfiguren der Reliefbilder — wie der Maria in der Tempel- 
scene oder des kreuztragenden Christus an der Nordtür, oder 
der Prophetenstatuetten in den Randnischen der Osttür. Hal- 
tung und Faltenwurf sind gotisch. Das Neue beschränkt sich 
— abgesehen von den antikisierenden Köpfen, die in den Me- 
daillonbüsten der Nordtür Gegenstücke finden — auf jenen 
Schönheitssin, der auch in den Reliefs Sondergruppen von so 
vollendeter Anmut schuf, wie die von Engeln umrahmte Ge- 
burtsscene der Eva und die vier Frauen links auf dem Esau- 
relief. Die Geschmeidigkeit der Linienführung, die innerhalb der 
Reliefbilder kleinen Maßstabes das Auge bezaubert, nimmt der 
überlebensgroßen Statue die plastische Wucht. Den Eingang in 
die Florentiner Renaissance hat nicht der Täufer Ghibertis er- 
obert, sondern der Heilige Georg Donatellos! — Donatello ist 
es, der jene packende Naturwahrheit, die Brunellieschi noch 
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