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Lorenzo Ghiberti

Full text: Gesammelte Reden und Aufsätze / Meyer, Alfred Gotthold (Public Domain)

spielend errungen, tatsächlich aber ist auch er hier nur dem be- 
sonnensten Fleiß geworden. Wir wissen nicht mehr, wie oft die 
Wachsmodelle für diese Bronzereliefs geändert und verbessert 
wurden, aber wir können es aus der Zeitdauer der ganzen Arbeit 
ermessen: fünfundzwanzig Jahre für zehn Darstellungen — freilich 
auch für einen ornamentalen Rahmen, der an Reichtum nicht 
seinesgleichen hat! — 
Die künstlerische Selbsterziehung äußert sich auch in den 
Fortschritten, welche diese Reliefs erkennen lassen. Nicht überall 
ist die Ausfüllung der Flächen kompositionell in gleichem Grade 
geglückt. Die Darstellung von Kains Brudermord bleibt kahl in 
der Gesamtwirkung und ohne packendes Leben. Da ist der 
Landschaft zu viel Raum gelassen. Überhaupt herrscht das land- 
schaftliche Element, das an der Nordtür bei der Scene zu 
Getsemane und dem Sturmrelief mit der Errettung Petri schon 
als Stimmungselement mitwirkte, in den vier obersten Reliefs am 
stärksten vor. In den unteren Reihen wird es durch die Figuren- 
fülle bereits räumlich eingeengt, und in den mittleren Tafeln sind 
die Scenen aus dem Leben Jakobs und Josephs durch majestä- 
tische Architekturen ausgezeichnet. Vielleicht sprach bei dieser 
Verteilung die Rücksicht auf die Stelle der Reliefs mit: oben 
wirken die landschaftlichen Gebilde als größere Massen, unten 
vermag das Auge selbst die einzelnen Gestalten zu würdigen. 
Der letzte Grund für solche Verschiedenheiten bleibt aber 
doch eine Veränderung der künstlerischen Absicht und des 
Wagemutes. Man darf annehmen, daß die unteren Reliefs — 
die Gesetzgebung am Sinai, die Einnahme von Jericho, David 
und Goliath und der Empfang der Königin von Saba durch 
Salomon — zeitlich die letzten sind, denn zweifellos be- 
kunden sie die größte künstlerische Reife und spiegeln inner- 
halb der ganzen mit den Bildwerken der Nordtür anhebenden 
Entwicklung das Stadium der Vollendung. Räumliche Tiefe und 
Formenfülle steigern sich. Während die vier oberen Reliefs doch 
mehr als Vordergrundbilder wirken, leitet auf den beiden mittleren 
die Hallenarchitektur den Blick in die Tiefe majestätischer Innen- 
räume. Eine besonders geniale Erfindung ist dabei der große 
offene Rundbau auf dem Josephrelief, aber er erscheint wie die 
praktische Norm eines Lehrsystems, und das Gleiche gilt von 
den Hallen auf dem Esau- und dem Salomonrelief. In der Tat 
ist Ghiberti schon allein durch diese Hintergrundsarchitekturen 
zum eigentlichen Begründer der geometrischen Perspektive ge- 
worden. Bereits auf diesen Reliefs schuf er im Gesamtver- 
A
	        
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