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Lorenzo Ghiberti

Full text: Gesammelte Reden und Aufsätze / Meyer, Alfred Gotthold (Public Domain)

Ihre am meisten gefeierten Bildwerke erzählen mindestens 
ebenso häufig in großer Breite wie in lapidarer Kürze. Künst- 
lerische Lebendigkeit bedeutete für sie keineswegs nur 
drastische Betonung des Hauptsächlichen, sondern in gleichem 
Grade Wiedergabe eines reichen Bildes des Wirklichen — 
gleichviel, ob dadurch das Verständnis der Haupthandlung ge- 
fördert wurde oder nicht. Die jubelnde Daseinsfreude der 
Renaissance verlangte auch hier ihr Recht. Voller und schöner 
als an dieser Baptisteriumstür ist ihr dies in der Kunst niemals 
geworden, wenigstens nicht in der Reliefkunst. — 
Auch bei dem Verzicht auf jede Wiedergabe des Schau- 
platzes führte die Entwicklung des antiken Reliefs von der Reihen- 
form des Parthenonfrieses zur Fülle sich drängender Figuren 
und Köpfe an römischen Sarkophagen und Triumphalreliefs. 
Hier knüpfte die Reliefkunst der Pisani an, aber das gesprächige 
Trecento liebte es, mit dem Beiwerk auch den Hintergrund aus- 
führlich zu schildern. — Prinzipiell also blieb Ghiberti auf schon 
dekannten Wegen. Und dennoch war er ein Pfadfinder. Erst 
ihm gelang es, die stammelnden Versuche seiner Vorgänger mit 
vollendeter Kunst ihrem Endziel entgegenzuführen. Wodurch 
ihm dies glückte? — Er selbst antwortet mit schlichten, richtigen 
Worten, die jedoch das Hauptmittel seines Erfolges nicht nennen, 
deshalb nicht, weil es schließlich überhaupt nur angedeutet, nicht 
aber logisch erläutert werden kann: jenes echt künstlerische, 
persönliche Taktgefühl, die Geschmeidigkeit der bildenden Phan- 
tasie, die selbst die Schranken verstandesmäßig begründeter 
Stilgesetze überwindet. Letztere erteilt hier die Natur selbst, 
die den plastischen Formen Licht und Schatten von außen her 
spendet. An der Rundfigur entspricht diese Licht- und Schatten- 
wirkung der des wirklichen Vorbildes, am Relief tritt sie zu der 
Formenverkürzung in störenden Gegensatz. Das hat bereits 
Lionardo hervorgehoben. Sicherlich war auch Ghiberti sich 
dessen bewußt. Es konnte ihm ebensowenig wie dem heutigen 
Beschauer entgehen, daß die Intensität der Schatten in seinen 
Reliefs nicht naturwahr ist, und daß dort zuweilen Figuren 
ihren Schlagschatten auf die entferntesten Teile des Hintergrundes 
werfen. Aber gerade für die Aufgabe, diese Schwierigkeit so 
weit wie irgend möglich zu überwinden, setzte Ghiberti seine 
ganze Künstlerkraft ein. Sein Erfolg war kein Sieg der perspek- 
tivischen Wissenschaft, sondern der perspektivischen Kunst, vor 
der die theoretische Lehre noch heute Halt machen muß. 
In dem vollendeten Werk erscheint dieser Sieg leicht, wie 
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