Um so stärker mußte hier demgemäß das psychologische Ele-
ment hervortreten, um so mehr wird es innerhalb dieses Cyklus
in einzelnen Blättern, wie beispielsweise in jenem „Integer
vitae“, vermißt. Daß der Künstler in den Umrahmungen der
Bilder seiner Phantasie völlig die Zügel schießen ließ, Spuk-
gebilde mit landschaftlichen Motiven und _ornamentalen
Spielereien wechseln läßt, soll darum nicht beanstandet werden.
Doch wir haben die Betrachtung der Radierungen selbst
unterbrochen; noch folgen: zwei Blätter, die der Künstler
zum Abschluß der zweiten Serie geschaffen hat. Unsere Auf-
nahmefähigkeit ist spröde geworden, jene kritische Rückschau
war zu stimmungsvoller Vorbereitung wenig geeignet, der Blick
ist für Mängel und Unzulänglichkeiten geschärft, und auch in
uns regen sich leise Zweifel, ob das ’absprechende Urteil der
Klingerfeinde nicht dennoch zu Recht besteht. — Vor diesen
beiden Werken aber müssen sie beschämt verstummen, vor ihnen
treten alle bisherigen Eindrücke zurück. So spontan und ge-
waltig vermag nur die Offenbarung eines Genies zu packen. In
herrlicher Landschaft voll wilder und lieblicher Pracht zeigt sich
ein seltsames Paar. Die Titanengestalt eines Jünglings von
überirdischer Kraft und Schönheit schreitet vorüber, ein Panzer
umfängt die Brust, die Rechte ist in die Hüfte gestemmt, die
Linke faßt einen gewaltigen, geschulterten Hammer. Blick und
Schritt sind starr gradaus gerichtet. Kein Stürmen und Eilen,
sondern ein völlig ruhiges Vorwärtsdringen. Aber es liegt
in dieser scheinbaren Ruhe eine Bewegung von fruchtbarer
Kraft, unaufhaltsam, unentrinnbar. Klinger ist in der Wieder-
gabe einer solchen ruhigen Bewegung, die zu den schwersten
Aufgaben der Kunst zählt, ein unübertroffener Meister, Er hat
im Cyklus „Ein Leben“ das langsame Hinabgleiten ins Meer
der Sinnlichkeit und ins bodenlose Nichts mit grauenvoller
Wahrheit geschildert; das zu neuen trügerischen Freuden im
Flug durch das All schwebende Paar in „Eine Liebe“ dringt
von geheimnisvoller Macht gezogen sicher empor: gleich ge-
waltig aber, wie auf diesem Bilde, hat er diese seltene Seite
seiner Kunst nie offenbart. Stellt man im Geist diese Jüng-
lingsgestalt den genialsten Verkörperungen gegenüber, die Men-
schengeschick und Tod in der bildenden Kunst gewonnen haben:
an sinnberückender Macht wird sie selten erreicht. Der Boden
scheint unter ihrem langsamen Tritt zu dröhnen. Gegen diesen
Tritt gibt es keinen Widerstand. Die herrliche, geflügelte Frauen-
gestalt am Boden krümmt sich vor ihm, in hilfloser Ohnmacht