Bei der Ausstellung wurde diese Frage überhaupt garnicht
aufgeworfen. Und mit Recht! Ein einseitiges Vorgehen in der
Richtung der Moderne wäre für Zeit und Ort unangebracht ge-
wesen, ebenso aber, die neue Art etwa prinzipiell auszuschließen !
Man fand einen Mittelweg. Auswüchse sind gemieden oder be-
Schnitten. Den modernen Stil in der Ausstellung — ich brauche
dieses gefährliche Wort, weil es hier ganz eindeutig ist — könnte
man im Anschluß an Zolas berühmte Definition bezeichnen als:
ein Stück von ihm, gesehen durch das Temperament des
Berliner Vereins für deutsches Kunstgewerbe. —
An einzelnen Stellen gewinnt dies Temperament sogar eine
überraschende Wärme. Den stärkeren. Gegenpol freilich bieten
die konservativen Werte. Aber sie sind so geschickt verteilt,
daß man ihr Übergewicht kaum wahrnimmt und es keinesfalls
als Rückläufigkeit empfindet.
Besonders charakteristisch dafür ist die Gruppe der Möbel
und Holzarbeiten. Sie hat zur Dekoration der Räume
den Hauptteil geliefert; für manche Firmen ist dies sichtlich
sogar zur Hauptaufgabe geworden.
Das läßt sich rechtfertigen, war aber nicht unbedingt
geboten.
Die Kunstindustrie soll vor allem gute Einzel-
arbeit schaffen. Für deren Zusammenklang ist eine selbst-
ständige künstlerische Kraft erwünscht, über welche die Möbel-
firmen nicht stets verfügen, auch nicht stets zu verfügen
brauchen. Bei wertvollen und vornehmen Räumen wird da
doch stets der Architekt die Zügel führen. Aber die moderne
Arbeitsteilung hat zwischen dem leitenden Baukünstler und der
Werkstatt eine Fülle von Zwischenstufen geschaffen, besonders
den kunstgewerblichen Zeichner, der selbständig eingreift oder
im Dienst einer Einzelfirma steht; dann diese Firmen selbst,
welche die persönliche Künstlerkraft im Gesamtbetriebe ihres
Geschäftes als „ungenannte“ Größe verwerten. So wird ihre
Ausstellung eine Warenauslage nach den Gesichtspunkten künst-
lerischer Raumschmückung. Und diese Ware braucht dabei
nicht einmal eigene Neuschöpfung zu sein. Die Firma Her-
mann Gerson, die den größten Raum der Ausstellung er-
hielt, hat sich damit begnügt, ihn vorwiegend mit Altsachen
zu dekorieren (Architekt Wisniewski). Allerdings mit
größtem materiellen Aufwand! So köstliche alte Teppiche,
Gobelins, Kissen und Kronen, wie sie hier vereint sind, können
ihren Effekt überhaupt kaum einbüßen. Der Gesamteindruck
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