körpert, die höchste Leistung jener vielhundertjährigen Bildhauer-
und Steinmetzenschulen des oberitalienischen Seengebiets. Deren
Sendlinge, die seit dem frühen Mittelalter durch ganz Italien zogen,
trugen im 16. Jahrhundert die dekorative Sprache der Certosa,
vor allem ihre Details und ihren Motivenschatz, als frucht-
bringenden Samen durch die ganze Halbinsel, westlich bis nach
Genua und in die Riviera, östlich durch Venetien, nördlich nach
Como und Lugano und bis zur Kirche der Madonna di Tirano
im Veltlin, und südlich bis nach Palermo; sie trugen sie weit
über die italienischen Grenzen hinaus nach Frankreich und nach
Spanien, durch Deutschland bis nach den Niederlanden. Und
zu diesem durch die oberitalienischen Wanderkünstler selbst
vermittelten Einfluß kam die Übertragung durch die von Norden
und Westen gen Italien ziehenden und dann zur Heimat zu-
rückkehrenden Meister, kam: endlich die Fernwirkung, die
noch heute von dem Reiz der Vorbilder selbst ausgeht. Man
darf behaupten, daß die ersten Jahrzehnte der Renaissancekunst
im ganzen Norden wenigstens auf dem dekorativen Arbeitsgebiet
von keinem Werk Italiens in gleichem Maße beeinflußt wurden,
wie von der Certosa. Ohne sie blieben selbst die beiden schönsten
Schöpfungen dekorativer Renaissanceplastik auf deutschem Boden,
das Sebaldusgrab in Nürnberg und der Otto-Heinrichsbau des
Heidelberger Schlosses, historisch kaum verständlich.
Und auch in der Geschichte der religiösen Ideen hat die
Certosa auf typische Geltung Anspruch. Das Volk, das seinen
Gott im brennenden Dornbusch und im Säuseln des Windes er-
kannte, hat ihm den Salomonischen Tempel errichtet: so ist es
nur einem geheimnisvollen, stetig wiederkehrenden historischen
Gesetz gemäß, daß auch das christliche Mönchstum, das sein Heil
in der Weltflucht sah und in der Hütte des Anachoreten wohnte,
im Zeitalter der Renaissance die Certosa bei Pavia schuf.
Literaturnachweise.
Die Kunstschätze der Certosa sind weit früher aufgenommen als kunst-
wissenschaftlich gewürdigt worden. 1853 veröffentlichten die Brüder Gaetano
und Francesco Durelli ihre sorgsamen aber wenig stilgerechten Kupfer-
stiche in dem Werk: „La Certosa di Pavia“ (Milano, per Giuseppe Bernar-
doni), und begleiteten es mit wenigen Textseiten. Erst die jüngste Zeit hat
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