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Das St. Catharinenstift in der Greifswalder Straße

Full text: Die katholische Charitas in Berlin / Fournelle, Heinrich (Public Domain)

doch wollte zu sich nehmen! während der Vater denselben Gedanken 
auf brutalere Weise ausdrückt. 
Zu diesen ärmsten Kindern nun ist die Charitas gekommen; 
mit weicher Hand und sorgsamen Mutterarmen heben die Schwestern 
sie auf und tragen sie hin zur Stätte der Barmherzigkeit; dort 
findet das Kind bei fremden Menschen, was seine eigensten Haus— 
genossen ihm verweigerten; die Eltern haben es verlassen, sie 
haben es vielleicht weggeschenkt oder sie sind dahingestorben, und 
darum gehört das Kind den Schwestern; mit welcher Freude 
und welchem Geschick haben diese hier Mutterstelle übernommen; 
sie haben ja auch das Auge und das Herz einer Mutter. 
Tag für Tag leben sie mit ihren armen Kindern; ihre 
Aufgabe ist es, ihren Schützlingen Alles zu werden: mit 
ihnen zu denken, zu sprechen, zu lachen, zu erstaunen, zu er— 
schrecken, zu bedauern, sowie Kinder es eben erwarten. Was 
manche Mutter unerträglich findet, das leisten die Schwestern 
hier. Diese armen Wesen pflegen, sie rein halten, sie beruhigen, 
sie unterhalten, sie schlafen legen und vom Bettchen wieder auf— 
heben, sie kleiden und sie speisen, das Alles Tag für Tag, Jahr 
für Jahr thun, ist nicht das Werk cines gewöhnlichen, eines 
selbstsüchtigen und genußsüchtigen Menschen; der flieht vor diesen 
widrigen Arbeiten; es müssen vielmehr solche kommen, die da 
glauben an den Werth einer unsterblichen Menschenseele, die da 
hoffen, daß der Himmel ihnen als großer Lohn einstens geschenkt 
wird, die ihrem Nächsten um so mehr Liebe erweisen, je be— 
dürftiger derselbe ist; es müssen heldenmüthige Bekenner unsers 
heiligen Glaubens sein. Das ist und bleibt nun einmal wahr: 
die am meisten ihren Gott lieben, lieben auch am meisten ihre 
Mitmenschen; die am sehnlichsten nach dem Himmel verlangen, 
leisten auf Erden der Menschheit die größten Dienste. 
„Nun aber werden Sie unsere Engelchen sehen“, 
meinte lächelnd die Schwester, die uns in ein großes Zimmer des dritten 
Stockes vorausging. Fürwahr! — ein unvergeßlicher Anblick, lieblich 
und erschütternd zugleich. — In saubern schneeweißen Kinderbettchen 
liegen da ein paar Dutzend kleine Menschenpflanzen, Säuglinge 
von einigen Wochen oder von einigen Monaten; die einen schlafen, 
andre weinen, diese spielen, jene liegen unbeweglich da und starren 
nach oben. Zum Beginn des Jahres 1899 waren 38 Säuglinge
	        
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