doch wollte zu sich nehmen! während der Vater denselben Gedanken
auf brutalere Weise ausdrückt.
Zu diesen ärmsten Kindern nun ist die Charitas gekommen;
mit weicher Hand und sorgsamen Mutterarmen heben die Schwestern
sie auf und tragen sie hin zur Stätte der Barmherzigkeit; dort
findet das Kind bei fremden Menschen, was seine eigensten Haus—
genossen ihm verweigerten; die Eltern haben es verlassen, sie
haben es vielleicht weggeschenkt oder sie sind dahingestorben, und
darum gehört das Kind den Schwestern; mit welcher Freude
und welchem Geschick haben diese hier Mutterstelle übernommen;
sie haben ja auch das Auge und das Herz einer Mutter.
Tag für Tag leben sie mit ihren armen Kindern; ihre
Aufgabe ist es, ihren Schützlingen Alles zu werden: mit
ihnen zu denken, zu sprechen, zu lachen, zu erstaunen, zu er—
schrecken, zu bedauern, sowie Kinder es eben erwarten. Was
manche Mutter unerträglich findet, das leisten die Schwestern
hier. Diese armen Wesen pflegen, sie rein halten, sie beruhigen,
sie unterhalten, sie schlafen legen und vom Bettchen wieder auf—
heben, sie kleiden und sie speisen, das Alles Tag für Tag, Jahr
für Jahr thun, ist nicht das Werk cines gewöhnlichen, eines
selbstsüchtigen und genußsüchtigen Menschen; der flieht vor diesen
widrigen Arbeiten; es müssen vielmehr solche kommen, die da
glauben an den Werth einer unsterblichen Menschenseele, die da
hoffen, daß der Himmel ihnen als großer Lohn einstens geschenkt
wird, die ihrem Nächsten um so mehr Liebe erweisen, je be—
dürftiger derselbe ist; es müssen heldenmüthige Bekenner unsers
heiligen Glaubens sein. Das ist und bleibt nun einmal wahr:
die am meisten ihren Gott lieben, lieben auch am meisten ihre
Mitmenschen; die am sehnlichsten nach dem Himmel verlangen,
leisten auf Erden der Menschheit die größten Dienste.
„Nun aber werden Sie unsere Engelchen sehen“,
meinte lächelnd die Schwester, die uns in ein großes Zimmer des dritten
Stockes vorausging. Fürwahr! — ein unvergeßlicher Anblick, lieblich
und erschütternd zugleich. — In saubern schneeweißen Kinderbettchen
liegen da ein paar Dutzend kleine Menschenpflanzen, Säuglinge
von einigen Wochen oder von einigen Monaten; die einen schlafen,
andre weinen, diese spielen, jene liegen unbeweglich da und starren
nach oben. Zum Beginn des Jahres 1899 waren 38 Säuglinge