GELBER SPIESSHIRSCH AUS COLUMBIEN (Subulo inornatus Gray). Vor einiger
Zeit schrieb mir ein Segelschiffskapitän, dass er aus Columbien einen jungen Jaguar und
ein paar „Rehe“ mitbringe. Da das nördliche Südamerika zoologisch ein. hochinteressantes
Gebiet ist, aus dem aber nur sehr wenig eingeführt wird, so machte ich ein entsprechendes
Gebot auf die Tiere, frei und gesund Hamburg zu liefern, und erhielt sie auch; von den
„Rehen“ allerdings nur eins, das andere war auf See eingegangen. — Das überlebende Stück
war unverkennbar ein weiblicher Spiesshirsch — NB., weil man genau wusste, dass es aus
Amerika stammte, wo nichts anderes derart lebt. Ich will aber einmal annehmen, das
Tier hätte beim Händler gestanden, der es selbst wieder aus zweiter, dritter Hand hätte
and gar keine Auskunft darüber geb#n könnte, woher es ursprünglich gekommen war.
Dann kann ich mir doch sehr wohl denken, dass ich — und mancher andere Fachmann
auch — eine ganze Weile im Zweifel gewesen wäre, was ich eigentlich vor mir habe:
ainen weiblichen Spiesshirsch, einen weiblichen Muntiakhirsch oder eine weibliche Sehopf
;ntilope. Was will ich damit sagen? Natürlich nicht, dass ich nichts von Tieren ver-
tehe, sondern vielmehr folgendes: Wenn besondere Abzeichen fehlen, oder,. was die
Sache noch mehr verwirrt, wenn ähnliche Abzeichen gemeinsam sind, ‚wie in diesem Falle
'er Haarschopf auf dem Kopfe, dann sind mitunter Tiere nicht nur verschiedener Gattungen,
andern ganz verschiedener grosser Gruppen im Leben schwer zu unterscheiden. Wer
agt mir überhaupt zwischen einem weiblichen Hirsch und einer hornlosen . weiblichen
ıntilope ein einzelnes, durchgreifendes Unterscheidungsmerkmal, das am lebenden Tiere
aderzeit wahrzunehmen wäre? Ich glaube, das wäre ein ungelöstes Preisrätsel für Säugetier-
ystematiker! Und warum? Einfach, weil Hirsche und Antilopen in ihren kleinsten und
:ugleich erdgeschichtlich ältesten Vertretern ‚einander sich nähern. Einen Rothirsch und
in Gnu wird kein Mensch zusammen werfen; aber[einen Spiesshirsch und eine Schopfantilope
m ersten Augenblick nicht gleich auseinander zu kennen, das ist selbst für einen Fachmann
eine Schanie, weil beide sich eben äusserlich zum Verwechseln ähnlich sing.