FLUCHT & GEWALT
Psychosozialer Versorgungsbericht
Deutschland 2023
FLUCHT &
GEWALT
Psychosozialer Versorgungsbericht
Deutschland 2023
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
INHALT
Inhalt
4
Ι
Grußwort der Bundespsychotherapeutenkammer
04
ΙΙ
Vorwort
06
ΙΙΙ
Zusammenfassung
10
ΙV
Key Facts
12
1
E I NLEI T UNG
14
2
HI NT ERGRUND DE R PSYCHOSOZIALE N ZE NTR EN
20
2.1 Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung
2.2 Ansatz der PSZ
22
24
M Ö GLI CH K EI TEN UND GR E NZE N VON KURZZEI T T
H ERA PI E I N
E I NEM PSYCHO SOZIALE N ZE NTR UM
28
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
Rahmenbedingungen
Ablauf und Diagnostik
Therapeutische Methoden
Ergebnisse
3.4.1 Beschreibung der Stichprobe
3.4.2 Auswertung
Zusammenarbeit mit weiteren Hilfesystemen
Diskussion und Ausblick
3.6.1 Besonders hilfreiche Aspekte einer ressourcenorientierten
KZT im PSZ
3.6.2 Bewertung der verwendeten Diagnostik
3.6.3 Bewertung der Umsetzbarkeit einer ressourcenorientierten
KZT im Kontext eines PSZ
Fazit
Literatur
30
32
33
36
36
37
39
40
40
43
46
47
49
[]
DAT E N AUS DE N PSYC HO S OZ I A L E N Z E N T R E N
52
4.1 Datenbasis
4.2 Rahmenbedingungen in den PSZ
4.2.1 Leistungsspektrum
4.2.2 Trägerschaft
4.2.3 Mitarbeitende in den PSZ
4.3 Klient*innen der PSZ
4.3.1 Anzahl und soziodemografische Merkmale der Klient*innen
4.3.2 Genutzte Angebote
4.3.3 Aufenthaltssituation
4.3.4 Hauptherkunftsländer
4.4 Zugang zu den PSZ
4.4.1 Vermittelnde Akteur*innen
4.4.2 Anfahrtszeiten
4.5 Versorgungsprozess
4.5.1 Klient*innen in psychotherapeutischer Versorgung
4.5.2 Sprachmittlung
4.6 Versorgungsengpässe
4.6.1 Ungedeckter Versorgungsbedarf
4.6.2 Wartezeiten
4.6.3 Aufnahme von Klient*innen
4.6.4 Weitervermittlung von Klient*innen
4.7 Finanzierung
4.7.1 Finanzierungsstrukturen
4.7.2 Kostenübernahme von Psychotherapien
54
55
55
56
57
58
58
60
60
64
64
64
66
66
66
68
69
69
71
71
73
76
76
77
FO R DE R U N G E N & AUS BL I C K
82
5.1 Forderungen
5.2 Ausblick
84
86
6
L I T E RAT U RV E RZ E I C HN I S
98
7
A N HA N G
102
7.1 Glossar
7.2 Übersicht der PSZ
104
106
5
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
GRUSSWORT
Grußwort der Bundes
psychotherapeutenkammer
Dass geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen die notwendige Behandlung vorenthalten wird, ist unethisch und unmenschlich!
Denn psychische Erkrankungen wirken sich gravierend auf das alltägliche Leben der Erkrankten aus und erschweren die Integration: Wie
soll ein Mensch sich in die deutsche Gesellschaft einleben, den Alltag
bestreiten, Deutsch lernen, eine Ausbildung beginnen, das Studium fortführen oder eine Arbeit aufnehmen, wenn die Psyche nicht gesund ist?
Selbst für einen psychisch gesunden Menschen wäre dies mit großen
Herausforderungen verbunden. Für psychisch kranke Menschen ist das
ein geradezu unmögliches Unterfangen.
04
Foto: © Raman El Atiaoui
Viele der nach Deutschland geflüchteten Menschen haben schwere
Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erlebt. Wer Krieg, Verfolgung
und Flucht erleiden musste, ist häufig schwer traumatisiert und benötigt
professionelle Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten. Obwohl
psychische Gesundheit ein Menschenrecht ist, wird geflüchteten Menschen dieses Recht immer noch vorenthalten, indem ihnen der Zugang
zur Gesundheitsversorgung massiv erschwert oder sogar verwehrt
wird. Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland ist
in den ersten 18 Monaten auf akute Erkrankungen beschränkt. Die psychotherapeutische Behandlung psychischer Erkrankungen wird nur in
Ausnahmefällen genehmigt. Geflüchteten wird damit per Gesetz Psychotherapie verwehrt, obwohl sie bei vielen psychischen Erkrankungen die
Behandlungsmethode der ersten Wahl ist. Aber auch wenn psychisch
erkrankte Geflüchtete nach vielen Monaten des Leidens Anspruch auf
Psychotherapie haben, können sie diesen Anspruch meist nicht umsetzen. Die begrenzten Behandlungskapazitäten und langen Wartezeiten in
der ambulanten Psychotherapie im Zusammenspiel mit der fehlenden
Finanzierung von Sprachmittlung durch die Krankenkassen machen
den Zugang zur Versorgung fast unmöglich.
Die Anlaufstellen unter dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sind vor diesem
Hintergrund für Geflüchtete vielerorts die einzige Möglichkeit, Hilfe zu
bekommen. Sie bieten auch Psychotherapeut*innen die Möglichkeit,
ihre Expertise zum Wohl einer besonders vulnerablen Gruppe von Patient*innen einzusetzen. Eine lohnenswerte und erfüllende Aufgabe! Aber
auch die Zentren kommen an ihre Grenzen. So macht der diesjährige
Versorgungsbericht deutlich, dass sie und ihre Kooperationspartner*innen 2021 nur rund vier Prozent des potenziellen Versorgungsbedarfs
abdecken konnten.
Ι
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) setzt sich deshalb seit
vielen Jahren dafür ein, dass die psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von Geflüchteten verbessert und gestärkt wird. Im
Asylbewerberleistungsgesetz muss festgelegt werden, dass Geflüchtete
ab dem ersten Tag ihres Aufenthalts in Deutschland einen Anspruch
auf Psychotherapie haben. In Asylverfahren müssen Gutachten von
Psychotherapeut*innen wieder anerkannt werden, wenn es um die
Frage geht, ob im Falle einer Abschiebung eine vorliegende psychische
Erkrankung Leib und Leben eines geflüchteten Menschen gefährden
würde. Dringend notwendig ist außerdem ein gesetzlicher Anspruch auf
Sprachmittlung im SGB V. Die Bundesregierung muss ihr Koalitionsziel,
Sprachmittlung als Leistung im SGB V zu verankern, schnellstmöglich
umsetzen. Denn Psychotherapie erfordert eine angemessene sprachliche Verständigung, damit Diagnostik und Behandlung überhaupt
möglich sind. Der Anspruch sollte entsprechend auch in das Asylbewerberleistungsgesetz aufgenommen werden. Nicht zuletzt müssen die
Psychosozialen Zentren stärker und verlässlich finanziell unterstützt
werden, denn sie spielen eine zentrale Rolle in der psychosozialen und
psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten. Die Menschen,
die in den Zentren arbeiten, haben es verdient, dass ihre
Arbeit von der Politik gesehen und wertgeschätzt wird.
Dr. Andrea Benecke ist Präsidentin der
Bundespsychotherapeutenkammer.
05
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Vorwort
Gedanken zu Flucht und Gewalt
Als ich letztes Jahr in Bosnien war, hat mir ein junger Mann aus Afghanistan gesagt: „Wir müssen jedes Mal 200 Euro auftreiben, [um über
die Grenze in die EU zu kommen]. Wir haben einmal versucht, über die
Grenze zu kommen, und wir werden es wieder tun. Die einzige Hoffnung
in unserem Leben ist, dass wir es schaffen – und das werden wir!“ Er
war mit seiner Frau gekommen und seine Augen leuchteten in dieser
Hoffnung kurz auf. Er, wie alle anderen, auch die Beamten, nannte den
Versuch, über die Grenze zu kommen, „das Spiel“ – aber es war für ihn,
wie für alle anderen, eines um Leben und Tod.
Menschen haben den Wunsch und das Recht, in Würde zu leben, unabhängig davon, wo sie herkommen, und Menschen werden versuchen,
Grenzen zu überwinden, um zu überleben.
Wir wissen, dass Flucht, erzwungene Rückführungen oder Pushbacks oft
von Gewalt und Entrechtung begleitet sind – und nicht selten von Tod.
Die „Tagesschau“ berichtete im April, dass das Mittelmeer als die gefährlichste Fluchtroute der Welt gilt. „Es ist nicht hinnehmbar“, sagte der
Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration António
Vitorino. Mehr als 20.000 Menschen seien seit 2014 auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben gekommen. Wie viele auf der Strecke tatsächlich sterben, ist unklar. Viele Leichen werden mutmaßlich nie geborgen.
Und wer darauf aufmerksam macht, wer die Verletzung von Menschenrechten dokumentiert, wer Notleidende an den europäischen Außengrenzen unterstützt, wer die Entrechtung Migrierender anklagt, gerät
vielerorts selbst in Bedrängnis. Am 1. Mai hat Mare Liberum, ein Berliner
Verein zur Menschenrechtsbeobachtung in der Ägäis, seine Auflösung
bekanntgegeben: Aufgrund von Einschüchterungen, Auslaufverboten
und angedrohter Gewalt sehe sich der Verein gezwungen, seine Arbeit
einzustellen, um die Sicherheit der Aktiven nicht zu gefährden.
06
VORWORT
ΙΙ
Bei unserer Arbeit in den Psychosozialen Zentren sind wir nicht unmittelbar mit dieser direkten Gewalt konfrontiert, aber wir hören davon in
den Fluchtgeschichten der Klient*innen. Die Zeugenschaft eklatanter
Menschenrechtsverletzungen und die politischen Entwicklungen hin
zur „Festung Europa“ haben uns vor circa 30 Jahren angetrieben, uns
als Netzwerk in der BAfF zusammenzuschließen. Wir sahen die Notwendigkeit, uns als Health Professionals für mehr Menschlichkeit in Innen-,
Sozial- und Gesundheitspolitik einzubringen.
Ein großer qualitativer Schritt in unserer Arbeit war der erste Versorgungsbericht im Jahr 2015, der zum ersten Mal Daten über die psychosoziale Gesundheitsversorgung in Deutschland erhob und die Lücken
in der Versorgung verdeutlichte. Am Beispiel der Zentren lässt sich sehr
gut aufzeigen, wie das Vakuum, das der Staat bei der Versorgung hinterlässt, gefüllt werden könnte. Auch der vorliegende Versorgungsbericht
dient nicht nur als Datenquelle, sondern greift aktuelle Themen auf.
In den letzten 30 Jahren hat sich viel bewegt. Die Arbeit der Zentren hat
sich enorm professionalisiert, aber eines bleibt bestehen: Unsere Arbeit
wird von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen geprägt, die
uns vor immer neue menschenrechtliche Fragen stellen.
Denn die Gewalterfahrung geflüchteter Menschen endet nicht mit der
Grenzüberschreitung. In Europa, auch hier in Deutschland ist sie deutlich erlebbar – wenn auch eher in indirekter, rassistischer, institutioneller
und struktureller Gewalt. Sie zeigt sich in Diskriminierung, Ausgrenzung,
im endlosen Warten auf eine Entscheidung, in unnötigen Barrieren im
Gesundheitswesen.
Migration ist auch Ausdruck globaler Ungleichheit – Menschen versuchen in Sicherheit zu leben, an Gesundheit, politischer Entscheidung
und Wohlstand teilzuhaben. Europäische Flüchtlingspolitik versucht
gerade wieder verstärkt ebendies zu verhindern – obwohl wir immer
stärker auf Zuwanderung angewiesen sind.
07
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Denn gerade jetzt, nach etwa 30 Jahren „Festung Europa“, will die
Bundesregierung die Überprüfung von Schutzsuchenden an die EUAußengrenzen verlagern. Sie will „hohe Zäune und Mauern“ bauen. Ein
Europa in Stacheldraht: Traum von Sicherheit oder Albtraum als Vision
für Europa? Schützen wir so Menschenrechte?
Unsere Erfahrung sagt uns, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit
eher zu mehr, wenn auch verlagerter Gewalt führen wird, dass es für
die besonders Schutzbedürftigen noch viel schwerer sein wird, die
Grenzen zu überwinden und den Schutz erreichen, den unser Asylverfahren garantieren will. Zu befürchten ist die Zunahme von Gewalt und
Menschrechtsverletzungen nicht nur an den Außengrenzen Europas,
sondern auch auf den Fluchtrouten sowie für die „Illegalisierten“ in
Europa oder den sogenannten Transitländern wie Bosnien-Herzegowina und Serbien.
VORWORT
Foto: © Heike Kandalowski
BAfF
ΙΙ
Anfeindungen, Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Asylverschärfungen,
die Schutz einschränken, benennen. Dieses aktive Engagement muss
immer Teil unseres Selbstverständnisses und unserer Arbeit bleiben.
Die BAfF ist ein Dachverband, der – neben der leiseren Arbeit an der
weiteren Verstetigung der Qualität des Leistungsspektrums – hoffentlich
immer dann laut ist, wenn es darum geht, die Rechte für Geflüchtete
und die menschenrechtlichen Pflichten in Gesellschaft und Politik einzufordern.
Elise Bittenbinder ist Vorstandsvorsitzende der
Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen
Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.).
Mein Besuch dort hat mir einmal mehr gezeigt, wie Menschen zwischen
Hoffnungslosigkeit und verzweifelter Hoffnung einen Ausweg suchen
und dabei alles – auch ihr Leben – „aufs Spiel“ setzen. Ein afghanischer
Journalist in einem Zentrum in Serbien drückte es so aus: „Sie wissen,
dass ich in der derzeitigen Situation auf keinen Fall nach Afghanistan
zurückkehren kann. Ich habe gesehen, wie mein Kollege und bester
Freund vor meinen Augen getötet wurde. Ich muss irgendwohin gehen,
wo ich einen Weg finde, meine Familie zu Hause zu unterstützen. Das ist
das Mindeste, was ich tun kann. Ich kann nicht aufgeben.“
Die gute Nachricht ist dennoch, dass sich trotz Repression immer auch
neue solidarische Netzwerke bilden, neue Vereine, die Flüchtenden helfen, sei es im Mittelmeer oder an den EU-Außengrenzen. Auch die Tatsache, dass in den inzwischen 47 Psychosozialen Mitgliedszentren der BAfF
im Jahr 2021 21.725 Klient*innen in einem sich ständig erweiternden
Leistungsspektrum versorgt werden konnten, bezeugt, dass die Solidarität nicht nachgelassen hat. Bei uns bleibt das menschenrechtliche
Engagement ein zentraler Bezugspunkt: Wir müssen neue gesellschaftliche Erscheinungsformen oder Tendenzen von Gewalt, Diskriminierung,
08
09
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Zusammenfassung
In Deutschland fehlt es an einem angemessenen Zugang zu
einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für geflüchtete
Menschen.
Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird zum einen durch die
Sonderbehandlung geflüchteter Menschen durch das Asylbewerberleistungsgesetz, zum anderen durch diskriminierende Merkmale des
Gesundheitssystems stark eingeschränkt. In den ersten 18 Monaten nach
ihrer Ankunft haben Geflüchtete nur im Falle akuter Erkrankungen und
Schmerzzustände Anspruch auf eine medizinische Behandlung. Auch
danach wird eine angemessene Behandlung häufig erschwert, weil
Sprachmittlungskosten nicht finanziert werden und dem Gesundheitspersonal Ressourcen und Kompetenzen im Kontext Flucht und Menschenrechtsverletzungen fehlen.
Damit kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus internationalen
Verträgen (unter anderem Allg. Erklärung der Menschenrechte Art. 25,
UN-Sozialpakt Art. 12, UN-Antifolterkonvention (Allg. Bemerkungen Nr. 3),
Europäische Sozialcharta Art. 11, Charta der Grundrechte der EU Art. 35 und
die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU Art. 19) bezüglich der Aufnahme und
Versorgung schutzsuchender Menschen nicht angemessen nach.
Die Psychosozialen Zentren (PSZ) bieten spezialisierte multi
professionelle Leistungen an, um dem Versorgungsdefizit
entgegenzuwirken.
Die PSZ stellen diverse psychologische, therapeutische, sozialarbeiterische und rechtliche (Beratungs-)Angebote für Menschen mit Flucht- und
Foltererfahrungen bereit. Alle Angebote werden diskriminierungssensibel und bei Bedarf mit Sprachmittlung durchgeführt. Zudem setzen sich
die Zentren für eine Verbesserung der Versorgung durch Fortbildungen,
Vernetzung und Advocacy-Arbeit ein.
Derzeit organisieren sich 47 PSZ unter dem Dach der Bundesweiten
Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und
10
ZUSAMMENFASSUNG
ΙΙΙ
Folteropfer (BAfF). Im Jahr 2021 wurden durch sie 21.725 Klient*innen
versorgt. Über die Jahre ist deren Anzahl kontinuierlich gestiegen.
Die PSZ sind trotz ihrer zentralen Rolle in der Gesundheits
versorgung geflüchteter Menschen prekär finanziert.
Die Zentren sind zum größten Teil durch zeitlich begrenzte öffentliche
Fördermittel finanziert. Der größte Anteil (40,7 %) der Gelder stammte
2021 aus Landesmitteln. 7,0 % der Haushalte wurden über Bundesmittel
finanziert. Die Kostenübernahme von Therapien über die gesetzlich verankerten Leistungsträger, insbesondere die Sozialämter, Krankenkassen
und Jugendämter, bildete lediglich 6,0 % der Gesamtfinanzierung der
PSZ ab.
Die BAfF fordert grundlegende strukturelle Veränderungen, damit
auf die Bedarfe schutzsuchender Menschen angemessen reagiert
werden kann.
Zu diesen zählen:
— diskriminierungsfreie Teilhabemöglichkeiten geflüchteter
Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen;
— eine Krankenkassenkarte für alle geflüchteten Personen von
Anfang an in allen Bundesländern, damit sie das öffentliche
Gesundheitssystem mit denselben Ansprüchen wie gesetzlich
Versicherte nutzen können;
— die Verstetigung bedarfsgerechter Hilfen für Überlebende von
Flucht und Gewalt durch die PSZ über eine flächendeckende und
nachhaltige Finanzierung von Bund und Ländern;
— eine allgemeine Finanzierung von Sprachmittlung im sozialen,
rechtlichen und gesundheitlichen Bereich für Menschen ohne
Deutschkenntnisse über einen gesetzlichen Anspruch, vergleichbar
mit dem Gebärdendolmetschen;
— die Fortbildung von Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-,
Rechts- und Behördenwesen in diskriminierungskritischer und
traumasensibler Arbeit im Kontext Flucht und Menschenrechts
verletzungen unter anderem durch Integration dieser Themen
in Ausbildungscurricula.
11
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Key Facts
Adequate access to needs-based health care for refugees is lacking
in Germany.
Access to health care is severely restricted through the special treatment
of refugees through the Asylum Seekers’ Benefit Act (Asylbewerberleistungsgesetz) as well as discriminating characteristics of the healthcare
system. During the first 18 months after arrival they are only entitled to
medical care in case of acute illness or pain. Even afterwards, adequate
care is made difficult through the lack of financing for translation costs
und because healthcare personnel often do not have the necessary
resources and skills to work within the context of forced migration and
human rights violations.
Thus, Germany does not adequately fulfill its obligations from international treaties (e.g. Universal Declaration of Human Rights Art. 25,
International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights Art. 12,
UN Convention against Torture (General Comments Nr. 3), European
Social Charter Art. 11, EU Charter of Fundamental Rights Art. 35 and
the EU Reception Directive 2013/33 Art. 19) regarding the reception and
support of asylum seekers.
The Psychosocial Centers offer specialized multiprofessional ser
vices in order to counteract this deficit in health care.
The Psychosocial Centers offer diverse psychological, therapeutic, social
and legal counseling and support for refugees and torture survivors. All
offerings are implemented in a manner that is sensitive to discrimination and, if necessary, with translators. Furthermore, the Psychosocial
Centers promote the improvement of health care for refugees through
educational offerings, networking and advocacy work.
Currently there are 47 Psychosocial Centers organized under the
umbrella of the German Association of Psychosocial Centers for Refugees and Victims of Torture (BAfF). 21,725 clients were given care through
12
KEY FACTS
ΙV
the Psychosocial Centers in 2021. Over the years, the number of clients
has increased continually.
The Psychosocial Centers are financed precariously despite their
central role in the health care of refugees.
The majority of financing for the Psychosocial Centers comes from temporary public grants. In 2021, the largest share (40,7 %) of the overall
funds came from the federal states (“Bundesländer”). 7,0 % of the Centers’ costs were financed through federal funds. The coverage of therapy
costs through legally established service providers, in particular through
social welfare offices, health insurance and youth welfare offices provided for only 6,0 % of the overall financing of the Psychosocial Centers.
The BAfF calls for fundamental structural change to be implemen
ted, so that the needs of asylum seekers can be adequately met.
This means:
— non-discriminatory possibilities for refugees to participate in all
areas of society;
— a health insurance card for all refugees directly upon their arrival in
all German federal states so that they can access the public healthcare system with the same entitlements as persons with public
health insurance;
— the long-term establishment of support for survivors of forced
migration and violence through the Psychosocial Centers through
nationwide and sustainable funding at the national and regional
level;
— an overall financing of interpretation services in the social, legal
and healthcare sector for non-German speakers through a legal
entitlement, comparable to the regulations regarding sign language services for the hearing impaired;
— the qualification of professionals in healthcare, social, legal and
other public services in non-discriminatory and trauma-sensitive
work in the context of forced migration and human rights
violations through e.g. an integration of these topics in curricula.
13
1
EINLEITUNG
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
1 — Einleitung
Mit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) vor 30
Jahren wurde ein Sonderregime für geflüchtete Menschen in Deutschland mit einem eingeschränkten Zugang zu Sozial- und gesundheitlichen Leistungen geschaffen. Statt Geldleistungen bekommen viele
Geflüchtete Gutscheine und Lebensmittelpakete, ohne die Möglichkeit,
selbst zu entscheiden, wie sie ihren Grundbedarf decken. Anspruch auf
medizinische Behandlungen besteht nur bei akuten Erkrankungen und
Schmerzzuständen. Neben der Unterbringung in isolierenden Sammelunterkünften, Arbeitsverboten sowie der Unsicherheit über den Ausgang oft langwieriger Asylverfahren führen diese Bedingungen häufig
dazu, dass der psychische Zustand schutzsuchender Menschen sich
verschlechtert und die gesundheitlichen Folgen von Gewalterfahrungen sich verstärken. Durch die eingeschränkte Möglichkeit, aktiv an
der Gesellschaft teilzuhaben, beispielsweise durch Arbeit, den Besuch
einer Schule oder Freizeitaktivitäten, wird es den Menschen zusätzlich
erschwert, sich von belastenden Fluchtwegen zu erholen und eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund setzt sich die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF)
gemeinsam mit vielen weiteren Akteur*innen seit über 25 Jahren dafür
ein, dass die psychosoziale Versorgung sowie die Aufnahmebedingungen von Menschen, die aufgrund von Krieg, Gewalt und weiteren
schweren Menschenrechtsverletzungen aus ihren Herkunftsländern
fliehen mussten, verbessert werden. Die BAfF ist der Dachverband von
inzwischen 47 Psychosozialen Zentren (PSZ)(Stand Juni 2023), die ein
spezialisiertes multiprofessionelles Angebot für Menschen mit Fluchterfahrungen und insbesondere Menschen, die schwere Gewalt oder
Folter erfahren haben, bereitstellen.
16
EINLEITUNG
1
Die BAfF hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Anliegen der PSZ gegenüber Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen zu vertreten.
Sie versteht sich als Kompetenzzentrum im Bereich Flucht, Gewalt,
Menschenrechte und Gesundheit. Zu diesem Zweck veröffentlicht sie
jährlich Berichte über die aktuelle psychosoziale Versorgungssituation
geflüchteter Menschen in Deutschland mit Daten aus den PSZ. Damit
versucht die BAfF dem Mangel an Daten zur gesundheitlichen Versorgung dieser Personengruppe entgegenzuwirken.
In diesem Versorgungsbericht wird das Augenmerk insbesondere auf
die therapeutische Arbeit in den PSZ gelegt. Mit Betonung auf den
Grenzen dieser Therapieform wird der Versuch dargestellt, ressourcenorientierte Kurzzeittherapien (KZT) bei geflüchteten Menschen einzusetzen. Zusätzlich werden Hinweise auf besonders hilfreiche Ansätze in
diesem Kontext gegeben. Angesichts der aktuellen Diskussionen über
eine Reform des Gesundheitssystems mit einer stärkeren Priorisierung
realer gesundheitlicher Bedarfe gegenüber kurzfristigen ökonomischen
Effizienzkriterien ist wichtig zu überlegen, wie ein Gesundheitssystem
aussehen soll, das den Bedarfen aller Menschen gerecht werden kann.
Das betrifft auch die Frage, welche Formen der Therapie eingesetzt und
finanziert werden.
Der psychosoziale Versorgungsbericht ist wie folgt aufgebaut. Zunächst
wird in Kapitel 2 auf die Diskriminierung geflüchteter Menschen im deutschen Gesundheitssystem sowie auf den Ansatz der PSZ, dem entgegenzuwirken, eingegangen. Kapitel 3 beinhaltet einen Beitrag zum Einsatz
von KZT in einem Zentrum in Sachsen-Anhalt. Kapitel 4 widmet sich den
Daten zur Versorgung geflüchteter Menschen in den PSZ aus dem Jahr
2021. Abschließend wird in Kapitel 5 ein Fazit gezogen, dem Forderungen
für die Verbesserung der Versorgungssituation und Aufnahmebedingungen geflüchteter Menschen zur Seite gestellt werden.
17
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
A N M E R KU N G ZU M T I T E L D E R P U B L I KAT I O N „ F LU C H T & G E W A LT “
Von welchen Gewalterfahrungen
sprechen wir in unserem Kontext?
Kollektive Gewalt umfasst die Anwendung körperlicher, psychischer und struktureller Gewalt durch eine Gruppe von Menschen
oder Institutionen gegen eine andere Gruppe oder Individuen,
um Macht auszuüben. Die Formen kollektiver Gewalt umfassen
körperliche Angriffe, Folter, Kriegshandlungen, „ethnische Säuberungen“, Genozid und andere Menschenrechtsverletzungen.
Kollektive Gewalt umfasst nicht immer gewaltsame Handlungen,
sondern auch Formen der Unterdrückung und Diskriminierung,
die auch auf struktureller Ebene wirken in Form von manifestem
institutionellem Rassismus, sozialer Ungerechtigkeit, Ungleichbehandlung Schutzsuchender, jahrelanger Unsicherheit durch langwierige Asylverfahren und menschenunwürdige Versorgung bis
hin zur medizinischen Nichtbehandlung, zum Teil mit Todesfolge.
18
2
HINTERGRUND
DER PSYCHOSOZIALEN
ZENTREN
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
2 — Hintergrund der
Psychosozialen
Zentren
2.1 Diskriminierung in der Gesundheits
versorgung
Der Zugang geflüchteter Menschen zur Gesundheitsversorgung in
Deutschland wird durch ihre Sonderbehandlung durch das Asylbewerberleistungsgesetz stark eingeschränkt. In den ersten 18 Monaten
haben Asylsuchende nur Anspruch auf eine medizinische Behandlung
im Fall akuter Erkrankungen und Schmerzzustände (§4 AsylbLG). Eine
Behandlung muss in vielen Bundesländern vorher über das zuständige
Sozialamt, oft durch nicht medizinisch geschulte Behördenmitarbeiter*innen, bewilligt werden.
Haben geflüchtete Menschen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung, treffen sie häufig auf ein Gesundheitssystem, das
nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist, insbesondere aufgrund folgender Barrieren (vgl. Mohammed und Karato, 2022):
— Fehlende Sprachmittlung: Es gibt keine flächendeckenden Angebote und Möglichkeiten, qualifizierte Sprachmittlung im Gesundheitsbereich zu organisieren und finanzieren.
— Mängel in den Ausbildungen im Gesundheitsbereich: In Ausbildungen im Gesundheitsbereich werden kaum Aspekte der diskriminierungs- und kultursensiblen Arbeit thematisiert, so dass es bei
Fachkräften häufig an Handlungssicherheit mangelt. Zudem
22
HINTERGRUND DER PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
2
verfügen Ärzt*innen und Therapeut*innen meistens über wenig
Wissen in Bezug auf aufenthaltsbedingte Besonderheiten der
Behandlung und die Abrechnung von Gesundheitsleistungen.
— Fehlender Zugang zur Information über das Gesundheitssystem:
Viele geflüchtete Menschen sind schlecht über das deutsche
Gesundheitssystem und ihre eigenen Ansprüche informiert, weil
das bürokratische System komplex und die Informationskanäle
darüber für sie schwer zugänglich sind (unter anderem aufgrund
von Sprachbarrieren).
— Allgemein eingeschränkte Kapazitäten: Viele Praxen und Kliniken,
insbesondere im psychotherapeutischen Bereich, sind schon
seit längerer Zeit überlastet. Die oben genannten Faktoren führen
zu einem erhöhten Aufwand bei der Behandlung geflüchteter
Menschen, so dass viele Ärzt*innen und Therapeut*innen weniger
bereit sind, sie als Patient*innen aufzunehmen.
Darüber hinaus erschwert die oft isolierende Unterbringung in Sammelunterkünften nicht nur den Zugang zu Gesundheitsangeboten, sondern zu weiteren Möglichkeiten der sozialen Teilhabe und den Kontakt
zum Rest der Gesellschaft. Die schlechte Qualität vieler Unterkünfte
hinsichtlich der Hygienebedingungen und der fehlenden Privatsphäre
haben zudem häufig direkte negative Auswirkungen auf die psychische
Gesundheit ihrer Bewohner*innen (vgl. Mohsenpour et al., 2021; Bozorgmehr et al., 2022; Baron et al., 2020).
Diese vielen Barrieren führen häufig dazu, dass Erkrankungen entweder
gar nicht oder zu spät behandelt werden – mit den entsprechenden
Folgen sowohl für die betroffenen Personen als auch für die gesamte
Gesellschaft. Damit kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus
internationalen Verträgen (unter anderem Allg. Erklärung der Menschenrechte Art. 25, UN-Sozialpakt Art. 12, UN-Antifolterkonvention
(Allg. Bemerkungen Nr. 3), Europäische Sozialcharta Art. 11, Charta der
Grundrechte der EU Art. 35 und die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/
EU Art. 19) nicht angemessen nach. Nicht zuletzt ist die Verfassungsmäßigkeit der Sonderbehandlung geflüchteter Menschen durch das
23
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Asylbewerberleistungsgesetz zu hinterfragen. Bereits in seinem Urteil
vom 18.07.2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im
Hinblick auf die eingeschränkten Sozialleistungen nach §3 AsylbLG
die dortigen Regelungen des Existenzminimums für verfassungswidrig
mit der Begründung, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei (BVerfG, Urteil vom
18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Über den eingeschränkten Zugang
zur Gesundheitsversorgung durch das Asylbewerberleistungsgesetz
wurde bisher kein Urteil getroffen. Die Zentrale Ethikkommission der
Bundesärztekammer stellt jedoch fest, „dass wegen der existenziellen
Bedeutung von Krankheit noch strengere Maßstäbe [als bei den Sozialleistungen, die Autorin] angewandt werden müssen“ (Zentrale Ethikkommission, 2013, A902). Allein die Tatsache, dass auch die durch die
gesetzlichen Krankenkassen abgedeckten Leistungen „das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten“ dürfen (§12 Abs. 1 SGB V), legt nahe,
dass eine Versorgung unter diesem Niveau nicht mit der im Grundgesetz
garantierten Menschenwürde vereinbar ist (vgl. Janda, 2021).
2
— wie sie Individuen, Gesellschaften, die Kultur und die politische
Situation verändern (vgl. Mlodoch, 2017) und
— wie das gesellschaftliche Umfeld Betroffene anerkennt und unterstützt oder aber sie Diskriminierung, Gewalt und zusätzlichen
psychischen Belastungen aussetzt (vgl. Keilson, 1979; Mohammed
& Karato, 2022).
Die PSZ setzen sich dafür ein, dass Menschen, die durch Folter
und andere schwere Menschenrechtsverletzungen Schaden
erlitten haben, die Leistungen erhalten, die ihnen eine möglichst
komplette Rehabilitation gewährleisten.
2.2 Ansatz der PSZ
Die BAfF und ihre Mitgliedszentren orientieren sich an den Grundsätzen
der UN-Antifolterkonvention1, der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung 2 und den Ausführungen im General Comment Nr. 3 zu Art. 14 der
UN-Antifolterkonvention3. Sie setzen sich dafür ein, dass Menschen, die
durch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen Schaden
erlitten haben, „medizinische und psychologische ebenso wie rechtliche und soziale Leistungen“ erhalten, die ihnen eine „so vollständige
Rehabilitation wie möglich“ gewährleisten.4
Aufgrund der systematischen Diskriminierung geflüchteter Menschen
in der Gesundheitsversorgung wurden seit den Achtzigerjahren Psychosoziale Zentren (PSZ) gegründet. Sie verfolgen einen ganzheitlichen
menschenrechtsorientierten Ansatz. Der Begriff „psychosozial“ bezieht
sich unter anderem auf Konzepte, die in unterschiedlichen Kontexten in
Europa (vgl. Keilson, 1979), Südamerika (vgl. Martin-Baro, 1990; Becker,
1992), Südafrika (vgl. Hamber, 2009) und den USA (vgl. Herman, 1992)
entwickelt wurden. Er begreift Trauma nicht als individuelle Krankheit,
sondern bezieht ein:
Die PSZ bieten entsprechend vielfältige Unterstützungsformen an. Zu
ihnen gehören:
— asyl-, aufenthalts- und sozialrechtliche Beratung;
— sozialarbeiterische Begleitung und Informationsvermittlung zu
allen Lebensbereichen (Unterkunft, Arbeit, Schule, Familie);
— psychologische Diagnostik und Dokumentation;
— psychosoziale Beratung und Psychoedukation;
— Krisenintervention;
— Psychotherapie;
— unter welchen sozialen und gesellschaftlichen Realitäten Gewalterfahrungen entstehen;
— wie die betroffenen Personen, ihre Familien und Gemeinschaften
sie erleben und verstehen;
24
HINTERGRUND DER PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
1 https://www.antifolterkonvention.de/
2 https://intranet.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf
3 http://www.refworld.org/docid/5437cc274.html
4 General Comment Nr. 3 zu Art. 14 UN-Antifolterkonvention
25
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
— medizinische Diagnostik/Dokumentation, Beratung und
Versorgung;
— Unterstützung beim Spracherwerb;
— Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Gesundheits
vorsorge (z. B. Begleitung durch ehrenamtliche Mentor*innen);
— Unterstützung beim Zugang zu sozialen Netzwerken und zur
gesellschaftlichen Teilnahme;
— niedrigschwellige Unterstützung (z. B. Freizeitaktivitäten,
kreative Angebote);
— qualifizierte Stellungnahmen zur Vorlage in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren sowie
— Durchführung oder Vermittlung von qualifizierter Dokumentation/
Begutachtung körperlicher und psychischer Misshandlungsspuren
nach den Standards des Istanbul-Protokolls5 und den Standards
zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen (in aufenthaltsrechtlichen Verfahren) (SBPM)6.
Alle Angebote werden für die Klient*innen kostenfrei und bei Bedarf
mit geschulten Sprachmittler*innen oder muttersprachlichen Mitarbeiter*innen umgesetzt.
Darüber hinaus setzen sich die PSZ aktiv für eine bessere Versorgung
geflüchteter Menschen ein, unter anderem indem sie Schulungen zu
Beratung und Therapie im Kontext Flucht durchführen und politische
Advocacy-Arbeit leisten. Viele Zentren sind an lokalen und regionalen
Gremien und Netzwerken beteiligt und vertreten dort die Interessen
ihrer Klient*innen und Mitarbeiter*innen.
5
https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/publications/2022-06-29/Istanbul-Protocol_
Rev2_EN.pdf
6 https://www.sbpm.de/
26
3
MÖGLICHKEITEN UND
GRENZEN VON KURZZEIT
THERAPIE IN EINEM
PSYCHOSOZIALEN ZENTRUM
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3 — Möglichkeiten und
Grenzen von
Kurzzeittherapie
in einem Psycho
sozialen Zentrum
A U TO R * I N N E N :
3
Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts7 haben sich der Dachverband der Psychosozialen Zentren (BAfF) und Psychotherapeut*innen eines PSZ (Psychosoziales Zentrum für Migrantinnen
und Migranten in Sachsen-Anhalt) dieser Frage angenommen
und eine Evaluationsstudie zu Anwendbarkeit und Wirksamkeit
einer ressourcenorientierten KZT mit folgenden Forschungsfragen
durchgeführt:
— Führt eine ressourcenorientierte KZT zur Linderung der
psychischen Belastung?
— Führt eine ressourcenorientierte KZT zu einer Verbesserung
der Lebensqualität?
— Welche Klient*innen profitieren von einer ressourcen
orientierten KZT besonders?
Sonja Steegmann, Dr. Elisa Steinfurth, Leonie Teigler
3.1 Rahmenbedingungen
Steegmann, S.; Steinfurth, E.; Teigler, L. (2023). Möglichkeiten und Grenzen von
Das Psychosoziale Zentrum für Migrantinnen und Migranten in SachsenAnhalt bietet Geflüchteten, die Verfolgung, Gewalt und Folter überlebt
haben, neben Psychotherapie auch psychosoziale Beratung, kreative
und soziale Aktivitäten, eine Berücksichtigung der kulturellen Kontexte
und des rechtlichen Status der Betroffenen. Die therapeutische Betreuung am PSZ erfolgt sowohl durch approbierte psychologische Psychotherapeut*innen als auch durch Psycholog*innen in therapeutischer
Ausbildung.8
Kurzzeittherapie in einem Psychosozialen Zentrum. In: Karato, Y. Flucht & Gewalt:
Psychosozialer Versorgungsbericht 2023, 30-48
Aufgrund der knappen Kapazitäten in der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten und Folterüberlebenden werden immer
wieder schnelle und günstige Lösungen und in diesem Zusammenhang Kurzzeitinterventionen sowie Peer-Angebote beworben. Einige dieser Angebote sind von zweifelhafter Qualität und
drohen, eine Versorgung zweiter Klasse für Geflüchtete zu fördern,
wenn sie die gängigen Standards für psychosoziale und psychotherapeutische Interventionen unterschreiten (vgl. BAfF, 2019;
Teigler & Flory, 2019; Karpenstein et al., 2020). Doch unter welchen Umständen kann eine Kurzzeittherapie (KZT) für geflüchtete
Klient*innen sinnvoll sein?
30
7
8
Mit einer zweijährigen Projektfinanzierung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der
EU konnten die Stellen der Psychotherapeut*innen, Fahrtkosten und Sprachmittler*innen sowie die
wissenschaftliche Begleitung finanziert werden.
Für die Betreuung der Klient*innen in diesem Projekt waren zwei Psychotherapeut*innen in verklammerter Ausbildung im Bereich tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse
zuständig. Die Supervision erfolgte durch eine approbierte tiefenpsychologische Psychotherapeutin.
31
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Alle Angebote des PSZ können unabhängig vom Aufenthaltsstatus in
Anspruch genommen werden und sind für die Klient*innen kostenlos.
Anfallende Fahrtkosten für die Anreise aus umliegenden Landkreisen
werden erstattet. Bei Bedarf kann kostenlos ein*e Sprach- und Kulturmittler*in hinzugezogen werden und begleitend Sozialberatung stattfinden. Im Rahmen des Projekts wurde aufgrund der Förderbedingungen
die Zielgruppe auf Personen mit einer Aufenthaltsgestattung eingeschränkt. Bei ihnen lagen keine psychotischen Symptome vor und eine
akute Suizidalität wurde ebenfalls ausgeschlossen. Alle Klient*innen
der über das Projekt finanzierten Therapeut*innen, die den Kriterien
entsprachen, wurden um Teilnahme gebeten und willigten ein.
3.2 Ablauf und Diagnostik
Die KZT wurde in Anlehnung an Vorgaben der Krankenkasse mit insgesamt 15 Sitzungen konzipiert, wovon drei der Diagnostik dienten, zu
Beginn (T1=1. Sitzung), in der Hälfte (T2=7. Sitzung) und zum Schluss
(T3=15. Sitzung). Die Frequenz der Therapie (1/Woche - 2/Monat) sowie
die Dauer (60-90 Minuten) der Sitzungen konnten variieren.
In der ersten Sitzung wurden die Datenschutzerklärung unterschrieben
sowie demographische Daten der Zielgruppenzugehörigkeit (Personalien, Herkunftsland, Aufenthaltstitel) und Stammdaten durch das flüchtlingsspezifische Inklusionschart (IC-FLÜ) erhoben.
Die Skala zur Erfassung der Lebensqualität (LQ) wurde zu allen drei Messzeitpunkten erhoben. Angelehnt an das IC-FLÜ (vgl. BAfF e. V., Psychosoziales Zentrum Düsseldorf, Refugio Bremen, Refugio München, 2014),
aber eigens für die Erhebung entwickelt, erfasst die LQ mit einer vierstufigen Likert-Smiley-Skala das Befinden in Bezug auf folgende Themen:
Arbeit, Wohnen, Sicherheit, körperliche Gesundheit, Asylverfahren, Bildung/Ausbildung, Mobilität, Geld, Briefe/Bürokratie, Freundschaften/
Community, Familie (vgl. BAfF, 2018). Der Gesundheitsfragebogen für
Patient*innen (PHQ-D) wurde in der ersten und letzten Diagnostiksitzung
32
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
verwendet und als psychodiagnostisches Instrument zum Screening
sowie zur Messung des Schweregrades und des Behandlungserfolgs der
häufigsten psychischen Störungen eingesetzt (vgl. Löwe et al., 2002).
Zusätzlich wurde das Essener Trauma Inventar als Interviewversion
(ETI) verwendet. Das Inventar wird standardmäßig als Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung psychotraumatischer Ereignisse und
posttraumatischer Störungen eingesetzt (vgl. Tagay & Senf, 2014). Im
vorliegenden Projekt sollte es an T2 und T3 erfasst werden. Eine Erhebung an T1 schien zu intensiv und eine vorherige Stabilisierung und ein
Beziehungsaufbau sinnvoll. Außerdem wurde zu Beginn und am Ende
jedes therapeutischen Gesprächs (12) eine neunstufige Universal Smiley
Skala zur Benennung der Ausprägung des eigenen Gefühlszustandes
eingesetzt (vgl. Gräßer et al., 2016).
3.3 Therapeutische Methoden
Durch sogenannte extratherapeutische Faktoren (umweltbedingte Faktoren, die nur indirekt durch Therapie verändert werden) wird beeinflusst, inwiefern Klient*innen Ressourcen aufbauen und nutzen können
(vgl. Drisko, 2004; Isakson et al., 2015). Studien zeigen, dass ein gesicherter Aufenthalt und soziale Unterstützung für geflüchtete Personen
sowohl den Therapieprozess als auch die Therapieprognose positiv
beeinflussen (vgl. Rasmussen, 2010; Fazel et al., 2012).
Die aktuellen Stressoren im Leben der meisten geflüchteten
Personen haben einen solch gravierenden Einfluss auf ihre
psychische Gesundheit, dass sich Psychotherapeut*innen in
diesem Feld mit den strukturellen Problemen verschiedener
Lebensbereiche ihrer Klient*innen intensiver auseinander
setzen.
Die KZT konzentriert sich daher vor allem auf den Aufbau von Ressourcen und umfasst psychoedukative Inhalte und ressourcenfördernde
Interventionen. Eine wesentliche individuelle und strukturelle Voraus-
33
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
setzung für diese psychotherapeutische Arbeit ist, dass den Klient*innen
ein Verständnis für therapeutische Interventionen, Erscheinungsformen
und Bewältigungsmöglichkeiten psychischer Belastungen und Störungsbilder vermittelt wird. Um bedarfsangepasst arbeiten zu können,
wurde in der Studie anstelle eines Manuals der folgende Methodenpool
verwendet.
Metaphern (z. B. Ball unter Wasser, unaufgeräumter Schrank, Wasserglas, Wundheilung) und visualisierende Methoden wie das Aufzeichnen
von Wechselwirkungen und Kreisläufen sowie das Besprechen von Verhaltensanalysen spielen eine zentrale Rolle (vgl. Margraf & Schneider,
2018).
Visualisierende und emotionsaktualisierende Interventionen sind auch
bei der thematischen Arbeit wichtig. Dafür kommen Skalierungen (z. B.
1-10, Angstbarometer; vgl. Margraf & Schneider, 2018) und Bildkarten
infrage. In Anlehnung an Virginia Satir und Milton Erickson (vgl. Grabbe,
2003) können Lebensabschnitte sitzungsweise durch das Formen eines
Seils mit Blumen (positive Ereignisse) und Steinen (Herausforderungen) unterteilt (Heimat, Flucht, Deutschland, Zukunft) und bearbeitet
werden. Soziale Strukturen kann man durch eine Familienaufstellung
auf einem Brett mit Figuren (vgl. Steiner, 2019) verdeutlichen und die
Arbeit mit inneren Anteilen oder nicht anwesenden Personen durch
Stuhlarbeit plastisch darstellen (vgl. Hedlund, 2011). Eine Waage kann
hilfreich sein, um das Bewusstsein für Ressourcen zu verstärken (vgl.
Hautzinger, 2013).
Zur Stabilisierung kann eine Alltagsstrukturierung mit Tagesabläufen
und gegebenenfalls Wochenplänen etabliert werden (vgl. Margraf &
Schneider, 2018). Die Erarbeitung selbstwirksamer Gedanken (z. B.
„Ich will leben“) dient der prophylaktischen Einübung von Gedankenkreisläufen. Ein weiterer Kernbereich zur Stabilisierung sind imaginative Verfahren wie z. B. innerer sicherer Ort, Tresorübung, Lichtübung,
Baumübung, Wunderfrage (vgl. Reddemann, 2005).
34
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
Im gesamten Therapieverlauf werden unterstützende Maßnahmen
zur Emotionsregulation (vgl. Berking, 2017) etabliert, unter anderem
in Übungen für Zuhause (z. B. Atem- und Zählübungen). Skill-basierte
Methoden (vgl. Bohus & Wolf-Arehult, 2012) wie z. B. ein Igelball, Massageringe oder Dufttherapie mit Lavendelsäckchen oder Ölen können
zum Einsatz kommen. In der Therapie angewandte Imaginations- oder
Entspannungsübungen können im Alltag vertieft werden, wobei in der
Sitzung gemachte Audioaufzeichnungen hilfreich sein mögen. Schreibaufgaben wie ein Schlaf- oder Stimmungstagebuch können gegebenenfalls durch Skalierung mit Smileys abgewandelt werden, wenn Analphabetismus vorliegt (vgl. z. B. Margraf & Schneider, 2018). Eine weitere
Säule bildet das soziale Kompetenztraining (nach Hinsch & Pfingsten,
2015), was vor allem durch Rollenspiele durchgeführt wird, um alternative Handlungsstrategien zu erarbeiten. Als Entspannungsmethoden
werden die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Autogenes Training und Atemübungen verwendet (vgl. Bernstein & Borkovec,
2007).
Über die konkreten Behandlungstechniken hinaus ist eine „konstante
Beziehungsarbeit“ (Grawe, 1998) entscheidend, um Sicherheit und Stabilität zu erzeugen. Dabei ist der stetige Versuch, einen wertfreien Raum
durch Offenheit gegenüber anderen kulturellen Kontexten, Glaubensrichtungen, Idealen und Lebensvorstellungen zu gestalten, unabdingbar.
Bei Bedarf sind Sprach- und Kulturmittler*innen (gegebenenfalls mit
Vor- und Nachbesprechungen) miteinzubeziehen. Regelmäßige Intervision und Supervision führen zur Stärkung der Handlungssicherheit in
der Psychotherapie, vor allem im Umgang mit besonders schwierigen
Fallkonstellationen.
Die Vielzahl an aktuellen Stressoren im Leben der meisten geflüchteten Personen hat einen solch gravierenden Einfluss auf ihre psychische
Gesundheit, dass sich Psychotherapeut*innen in diesem Feld mit den
strukturellen Problemen verschiedener Lebensbereiche (unter anderem
Aufenthaltsstatus, Zugang zu Bildungs- und Gesundheitsangeboten)
35
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
ihrer Klient*innen intensiver auseinandersetzen und diese unter
Umständen häufiger in der Therapie und im öffentlichen Diskurs ansprechen (vgl. Kira et al., 2010; Steel et al., 2011; Kira & Tummala-Narra, 2015).
Zusätzlich stand allen Klient*innen, die an der Studie teilnahmen, die
im PSZ angebotene Sozialberatung zur Verfügung, die vor allem beim
Auf- und Ausbau von Ressourcen unterstützt.
3.4 Ergebnisse
3.4.1 Beschreibung der Stichprobe
Insgesamt nahmen 20 Personen (cis-weiblich, n=9; cis-männlich, n=11)
an der Untersuchung teil.9 Sie waren im Durchschnitt 23,7 Jahre alt
(19-34) und stammten aus den folgenden Ländern: Afghanistan, Irak/
Kurdistan, Guinea, Nigeria, Äthiopien, Indien, Algerien, Tschetschenien
und Syrien.
N=8 haben 15 Sitzungen durchlaufen und sind weiter im PSZ angebunden
(Therapie-Gruppe). Für N=3 wurde die KZT aufgrund von Stellungnahmen, Gerichtsterminen oder fehlenden Sprach- und Kulturmittler*innen
unterbrochen (Pause-Gruppe). N= 9 haben die KZT aus verschiedenen
persönlichen und strukturellen Gründen abgebrochen: Hilfe von Imam
bevorzugt, mehrfaches unentschuldigtes Fehlen, Kirchenasyl, Anreisehürde, ausschließlich sozialberaterischer Bedarf, keinen Bedarf mehr
nach einigen Sitzungen (Drop-Out-Gruppe).
Alle Klient*innen berichteten zu Behandlungsbeginn in allen Lebensbereichen eine schlechte Lebensqualität (Durchschnitt= 2,19). Am schlechtesten war die Bewertung für den Bereich Asylverfahren (Durchschnitt=
1,55). In keinem einzigen Lebensbereich war die durchschnittliche
Lebensqualität gut oder sogar sehr gut.
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
Die meisten Klient*innen waren multimorbid belastet. Die Hälfte sogar
mit vier und mehr Syndromen. Am häufigsten gaben die Klient*innen
dabei an, unter dem somatoformen Syndrom (n= 13), dem Major Depressiven Syndrom (n= 13) sowie anderen depressiven Syndromen (n= 13),
anderen Angstsyndromen (n= 11) und dem Paniksyndrom (n= 10) zu
leiden. Das Alkoholsyndrom (n= 4) und die Binge-Eating-Störung (n=
2) wurden wenig und die Bulimia Nervosa gar nicht berichtet. Ein kleiner Teil der Klient*innen war im diagnostischen Gespräch auffällig und
berichtete einen hohen Leidensdruck, gab aber im PHQ keine Syndrome
an (n= 3).
3.4.2 Auswertung
Hat die ressourcenorientierte KZT zur Linderung der
psychischen Belastung geführt?
Veränderungsmessungen über alle drei Messzeitpunkte waren nur bei
jenen Klient*innen möglich, die die Behandlung regulär abgeschlossen haben und wo zu allen Messzeitpunkten die entsprechenden Daten
erhoben werden konnten (n= 6). Bei diesen zeigte sich größtenteils eine
Linderung der psychischen Belastung. Im Durchschnitt sank die Syndrombelastung von 4 auf 3,5. Die Mehrzahl berichtete am Behandlungsende, an ein bis zwei psychischen Syndromen weniger zu leiden (n= 4).
Bei eine*r Klient*in kam es zu keiner Veränderung der Syndromanzahl,
wobei sich die Art der berichteten Syndrome änderte, und bei eine*r
Klient*in entwickelten sich im Behandlungsverlauf zusätzliche Syndrome. Die größten Veränderungen zeigten sich beim somatoformen
Syndrom. So berichteten zu Behandlungsbeginn alle sechs Klient*innen
der Therapie-Gruppe, unter einem somatoformen Syndrom zu leiden,
und am Ende nur noch drei von ihnen. Bei den anderen Syndromen
zeigten sich nur geringfügige Veränderungen.
9 Ein Klient brach bereits während der als sehr belastend erlebten Eingangsdiagnostik ab.
36
37
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Hat die ressourcenorientierte KZT zu einer Verbesserung der
Lebensqualität geführt?
Die Lebensqualität schwankte über die 15 Sitzungen der KZT geringfügig. Im Durchschnitt kam es zu minimalen Veränderungen der Lebensqualität im Behandlungsverlauf (Behandlungsbeginn (Durchschnitt=
2,1), Behandlungsmitte (Durchschnitt= 1,94), Behandlungsende (Durchschnitt= 2,08)). Konkret verbesserte sich die Lebensqualität in den Bereichen: Wohnen, Sicherheit, Körperliche Gesundheit, Asylverfahren, Mobilität und Freundschaft/Community. Eine Abnahme der Lebensqualität
wurde in folgenden Bereichen berichtet: Arbeit, Bildung/Ausbildung,
Geld, Briefe/Bürokratie und Familie im Heimatland.
Besonders jene Klient*innen mit einer hohen Belastung
schlossen die KZT ab.
War die KZT für bestimmte Klient*innen besonders hilfreich?
Fast alle Klient*innen, die die Therapie abgeschlossen haben (TherapieGruppe), gaben am Ende an, psychisch weniger belastet zu sein. Bis
auf eine Person, die keine klinischen Syndrome mehr berichtete, waren
alle Klient*innen trotzdem noch multimorbid belastet und bedurften
weiterer Unterstützung durch das PSZ. Sie nutzten die Psychotherapie
und/oder die Sozialberatung weiter.
Allerdings brach fast die Hälfte der Klient*innen aufgrund oben genannter Gründe die Therapie ab (n= 9; Drop-Out-Gruppe). Diese Klient*innen waren im Durchschnitt etwas jünger und vor allem cis-männlich.
Zudem fielen bei ihnen mehr Termine aus, besonders wenn die geringere Sitzungsanzahl berücksichtigt wird. Im Gegensatz dazu nutzten
die Klient*innen, die die Therapie regulär abschlossen (n= 8; TherapieGruppe), auch zusätzlich mehr Unterstützung durch die Sozialberatung
im PSZ.
Besonders jene Klient*innen mit einer hohen Belastung schlossen die
KZT ab. Auch die Klient*innen, die die Therapie unterbrechen mussten (Pause-Gruppe, n= 3), wiesen eine deutlich höhere Belastung auf
38
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
als diejenigen, die die Behandlung vorzeitig abbrachen. Ein ähnliches
Muster zeigt sich für die Lebensqualität zu Behandlungsbeginn: In der
Therapiegruppe lag die durchschnittliche Lebensqualität (auf der Skala
1= sehr schlecht bis 4= sehr gut) über alle Bereiche bei 1,97, in der DropOut-Gruppe bei 2,53 und in der Pausen-Gruppe bei 2,06.
Nur eine KZT wurde nach Abschluss der 15 Sitzungen beendet. Dieser
Klient nahm sie in Kombination mit der Sozialberatung sehr gut an, da
es zu einer ausreichenden Stabilisierung kam und er in der Lage war,
regelmäßig einen Deutschkurs zu besuchen und sich auf eine Ausbildung vorzubereiten. Insgesamt profitierten ledige und kinderlose Teilnehmende mehr von der KZT als Eltern.
3.5 Zusammenarbeit mit weiteren Hilfesystemen
Sieben Teilnehmende waren zusätzlich zur KZT psychiatrisch ange
bunden.
Drei Frauen waren von Genitalverstümmelung betroffen und wurden
durch das PSZ von einer spezialisierten Beratungsstelle (SAIDA e.V.)
betreut. Dort können Betroffene Beratung und Stellungnahmen erhalten
sowie an Ärzt*innen weitervermittelt werden, die auf Rekonstruktionsoperationen spezialisiert sind.
Eine der Klient*innen aus Somalia entwickelte in der Therapie den
Wunsch nach einer Rekonstruktionsoperation, welche sie dann mit
Unterstützung der Beratungsstelle durchführte. Sie begann als Multiplikatorin zu fungieren und entwarf eine hoffnungsvolle und ressourcenorientierte Perspektive für ihr Leben in Deutschland.
Eine Klientin hatte neben einer starken psychischen Belastung zusätzlich
gravierende körperliche Erkrankungen wie Tuberkulose und HIV. Eine
andere Klientin mit einer schweren chronifizierten depressiven Sympto
matik benötigt weiterhin ein enges Hilfsnetzwerk, unter anderem
39
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Sozialberatung (Dublin-Klageverfahren) und psychiatrische Anbindung,
um einer Dekompensation entgegenzuwirken. Bei einer weiteren Klientin gibt es kaum soziale Ressourcen und die traumatischen Erlebnisse
können nur im therapeutischen Raum besprochen werden.
3.6 Diskussion und Ausblick
Messbare Effekte der 15 KZT-Sitzungen waren sowohl auf die psychische
Belastung als auch auf die Lebensqualität minimal. Fast alle Klient*innen bedurften weiterer psychotherapeutischer und sozialarbeiterischer
Unterstützung im PSZ.
Ungefähr die Hälfte der Klient*innen nahm alle 15 Sitzungen in Anspruch
und setzte die Behandlung im PSZ langfristig fort. Ein kleiner Teil musste
die Therapie aus verschiedenen Gründen pausieren. Ein Großteil brach
die KZT komplett ab. Diese Drop-Out Rate ist in Studien mit geflüchteten
Menschen nicht ungewöhnlich, da sich die externen Bedingungen für
eine Teilnahme unter anderem durch das Asylverfahren und neu entstehende Belastungen teilweise drastisch verändern. Aus den angegebenen Gründen für den Therapieabbruch (z. B.: Umzug, Wechsel zum
Iman) wird jedoch deutlich, dass sich die Abbrüche nicht auf das Format
oder die Art der KZT bezogen, sondern generell auf das Angebot der
Psychotherapie.
3.6.1 Besonders hilfreiche Aspekte einer
ressourcenorientierten KZT im PSZ
Geschützte Räume und positive Beziehungserfahrungen
Ein Schutzraum im Therapiekontext ist notwendig, um Vertrauen wieder
herstellen zu können. Er bildet die Basis für eine positive Beziehungserfahrung mit dem*der Therapeut*in. Transparenz (vor allem in der Arbeit
mit Sprach- und Kulturmittler*innen), Schweigepflichterklärung und
-entbindung, klare Zeitrahmen und ungestörte Räumlichkeiten sind
40
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
dafür die Grundlagen (siehe auch die weiteren Aspekte der PSZ-Arbeit
unten, z. B.: Reflektion von Machtasymmetrien). Positive Beziehungserfahrungen im Schutzraum PSZ ermöglichen es Klient*innen, zumindest
teilweise wieder aktiv und selbstverantwortlich Beziehungen gestalten zu können. Dazu gehört auch, ein selbstbestimmtes „Beziehungsende“ mit den Therapeut*innen erleben zu dürfen, welches ein heilsames Gegengewicht zu anderen traumatischen Beziehungsabbrüchen
(Flucht, Tod etc.) bietet.
Flexibilität in der Therapie
Therapieziele und -methoden werden individuell an die jeweiligen Klient*innen angepasst. Diese Flexibilität in der Therapie ist auch erforderlich, wenn z. B. aufgrund eines Gerichtstermins eine Krisenintervention (etwa bei Suizidalität) notwendig wird oder eine Stellungnahme
angefertigt werden muss. Für die dafür notwendigen anamnestischen
Sitzungen ist der Behandlungsablauf zu unterbrechen.
Die Arbeit im PSZ zeichnet sich in allen Bereichen durch eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen
Berufsgruppen und eine stetige Erweiterung des Netzwerkes
aus.
Netzwerke/Multiprofessionalität
Bei vielen Klient*innen bestehen komplexe Traumatisierungen und eine
hohe Komorbidität. Das kann immer wieder zu akuten Krisen führen und
durch die instabilen Lebensumstände eine akute Suizidalität auslösen
oder dazu führen, dass Personen aus Angst vor einer Abschiebung untertauchen. In diesem Kontext ist es wichtig, eine enge Vernetzung mit
anderen Hilfsstrukturen zu etablieren. Ein regelmäßiger Austausch mit
der Sozialberatung, den behandelnden Psychiater*innen und aktuellen
Betreuungspersonen ist unabdingbar, um Veränderungen und Lebensumstände der Klient*innen verstehen zu können. Dabei ist es wichtig,
eine klare Trennung zwischen der emotionalen Aufarbeitung und der
rechtlichen Beratung zu finden, da sonst kein Raum mehr für die therapeutische Behandlung bleibt.
41
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
In der Sozialberatung wird der Auf- und Ausbau von Ressourcen unterstützt. Dazu zählen unter anderem die Erschließung von Perspektiven
bezüglich Alltagsstrukturierung, die Teilnahme an Deutschkursen, der
Aufbau eines sozialen Netzwerks, eine Beratung zu möglichen (Hoch-)
Schulabschlüssen oder Ausbildungen sowie die Arbeitsaufnahme am
Wohnsitz der Klient*innen. Der andere Kernbereich umfasst das Asylverfahren und eine enge Zusammenarbeit mit Rechtsanwält*innen.
Einige Klient*innen werden an spezialisierte Beratungsangebote (z. B.
Sucht- oder Schwangerschaftsberatungen) vermittelt oder durch
ambulante Erziehungshilfe unterstützt. Zusätzlich sind Klient*innen
häufig psychiatrisch angebunden und werden psychopharmakologisch
betreut. Da sich der Großteil der Klient*innen aufgrund des ungesicherten Aufenthalts im Klageverfahren befindet, kann es für das Asylverfahren außerdem von großer Bedeutung sein, Psychiater*innen zu finden, die bereit sind, ein ärztliches Gutachten zu schreiben, welches vor
Gericht anerkannt wird.10
Die Arbeit im PSZ zeichnet sich in allen Bereichen durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen und
eine stetige Erweiterung des Netzwerkes aus. Diese Hilfsstrukturen sind
entscheidend, um zu gegebener Zeit einen Therapieabschluss zu ermöglichen und die Person in gesicherte Strukturen zu entlassen.
Sprach- und Kulturmittlung
Es ist wichtig, die Dynamik im Dreier-Setting zwischen Klient*in, Therapeut*in und Sprach- und Kulturmittler*innen im Blick zu haben,
wofür eine transparente Vorgehensweise und eine genaue Übersetzung grundlegend sind. Dabei gilt es, kulturspezifische und sprachliche Besonderheiten sowie eine Sensibilität für Geschlechterdynamiken
zu berücksichtigen. Vor- und Nachbesprechungen, Fortbildungen und
Intervisionen nehmen eine wichtige Funktion ein (vgl. Schriefers, 2018).
10 Zu Stellungnahmen von Psychotherapeut*innen im Asylverfahren:
http://www.baff-zentren.org/stellungnahme-zum-geordnete-rueckkehr-gesetz/
42
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
Reflektion von Machtasymmetrien
Die Therapeut*innen (und alle anderen Mitarbeitenden der PSZ) setzen
sich (selbst-)kritisch mit Machtverhältnissen im therapeutischen Setting
und der eigenen Verstrickung in bestehende hegemoniale Strukturen
und Privilegien auseinander. Durch Thematisierung und VoneinanderLernen entsteht ein bewusster Umgang damit, die Therapeut*innen entwickeln eine erhöhte Sensibilität für das Problem und es werden Gefühle
von Ohnmacht, Ausgrenzung sowie Gewalterfahrungen bei Klient*innen reduziert. Für das Selbstwirksamkeitsempfinden und die soziale
Anerkennung traumatisierter Asylsuchender können Gruppen- und Veranstaltungskonzepte, in denen Geflüchtete selbst die Wissenden sind
und eine aktive Expert*innenrolle übernehmen, eine ermächtigende
Wirkung haben. Dazu kann auch gehören, sich mit der politischen Situation im Herkunftsland auseinanderzusetzen, aktuelle Geschehnisse
mitzuverfolgen und sich themenspezifisch weiterzubilden, wie z. B. im
Bereich von Geschlechterrollen, Vorkommen und Durchführung von
Genitalverstümmelung, Religion und damit verbundener Praktiken,
Asylverfahren und -vorgehen oder Rassismus in Deutschland.
Durch Transparenz, Schweigepflicht, Abgrenzung von staatlichen
Instanzen und Unabhängigkeit vom Asylverfahren entsteht das für
die therapeutischen Prozesse notwendige Vertrauen auf Seiten der
Klient*innen.
3.6.2 Bewertung der verwendeten Diagnostik
Ein Versuch, extratherapeutische Faktoren abzubilden, erfolgte durch
die Verwendung der Skala zur Erfassung der Lebensqualität (LQ, BAfF,
2018). Diese soll die äußeren Lebensumstände erfassen, die durch therapeutische Interventionen nur indirekt veränderbar sind, aber einen
maßgeblichen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Klient*innen haben. So kann ein negativer Asylbescheid oder ein Verlust eines
Familienmitglieds in der Heimat trotz Therapieerfolg und einer psychischen Stabilisierung zu einer Dekompensation der betroffenen Person
43
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
führen. Gegebenenfalls sollte der LQ durch konkrete Fragen in den
verschiedenen Themenbereichen und einen stärker explorierenden
Charakter noch weiter differenziert werden, um besser verstehen zu
können, warum die Lebensqualität in einigen Bereichen gestiegen und
in anderen gesunken ist. Es könnte auch sinnvoll sein, vermehrt zwischen den Messzeitpunkten den LQ zu erheben und zu dokumentieren,
um Verzerrungen der schwankenden Zustände aufgrund von äußeren
Umständen besser einordnen zu können.
Der PHQ-D (vgl. Löwe et al., 2002) dient vor allem der symptomatischen
Abfrage und ist dabei wenig zeitintensiv. Von den Teilnehmenden wurde
er bei einer hohen Wiedererkennung meist als ordnend und aufklärend
erlebt, vor allem im Bereich der depressiven und psychosomatischen
Symptomatik sowie bei Angstattacken. Einige Personen wirkten beruhigt und fühlten sich verstanden. Sie hatten weniger Angst, „verrückt
zu sein“.
Das Essener Trauma Inventar (vgl. Tagay & Senf, 2014) wurde nach kurzer
Zeit als Diagnostikinstrument ausgeschlossen. Für eine KZT mit einem
starken Fokus auf Ressourcen und alltagspraktischen Handlungsfähigkeiten wurde der ETI als wenig zuträglich empfunden, da er eher
eine Traumaexposition forciert und zu einer starken Belastung führt.
So musste die Durchführung bei einigen Klient*innen wegen zu starker
Flashbacks (unkontrollierbare, ungewollte Momente des Wiedererlebens) abgebrochen werden. Außerdem wurde er als wenig kultursensibel und teils undurchführbar empfunden, da es den Teilnehmenden
unmöglich erschien, eine Priorisierung ihrer Traumata durchzuführen
und das Schlimmste auszuwählen. Zudem ist der ETI aufgrund der
Sprach- und Kulturmittlung sehr zeitintensiv und konnte häufig in einer
Sitzung nicht beendet werden.
Die Universal Smiley Skala (vgl. Gräßer et al., 2016) war hilfreich, um
Gefühle aufzuzeigen und besprechbar zu machen. Häufig zeigten sich
Diskrepanzen zwischen Aussagen wie „alles ist gut“ und Emotionen,
die durch das Zeigen auf einen traurigen Smiley ausgedrückt wurden.
44
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
Daran konnte therapeutisch gut angeknüpft werden. Ebenso war die
Methode hilfreich, um Therapieeffekte zu visualisieren und vor allem
therapiekritischen und -unerfahrenen Teilnehmenden Effekte verschiedener Therapieintervention aufzuzeigen, wenn sich das Befinden
von vor zu nach der Sitzung positiv veränderte. Allerdings wurden die
vereinfachten Abbildungen von einigen Teilnehmenden als unpassend
empfunden. Abbildungen mit richtigen Gesichtern wurden besser aufgenommen. Manchmal war auch eine Abwandlung oder Ergänzung
durch Skalierungen (z. B. Angstbarometer) sinnvoll. Bisweilen war es
hinderlich, spontan aufkommenden Themen keinen Raum geben zu
können und gezwungenermaßen nach der Befindlichkeit zu fragen. Das
Abfragen zu Gesprächsende erzeugte bei manchen Teilnehmenden auch
einen sozialen Druck. Dann hatten sie das Gefühl, aus Respekt gegenüber den Behandelnden einen fröhlichen Smiley auswählen zu müssen.
Insgesamt ist es wichtig, bei der Anwendung diagnostischer Maßnahmen das Befinden der Klient*innen im Blick zu behalten und ein
Gesprächsklima zu erzeugen, das bei Teilnehmenden keine unangenehmen Erinnerungen an Asylanhörungen weckt. Außerdem ist es sinnvoll, parallel psychoedukativ zu arbeiten, um die Angst vor psychischen
Störungen und einer damit verbunden Stigmatisierung abzubauen und
ein Verständnis für die eigene Symptomatik zu fördern.
Eine ungeklärte Frage bleibt, was mit Menschen passiert, die nicht den
diagnostischen Kriterien für eine psychische Erkrankung entsprechen,
aber einen deutlichen Leidensdruck aufweisen, Hilfe suchen, beispielsweise somatische Stresssymptome zeigen. Mögliche Erklärungen dafür,
weshalb trotz hohem Leidensdruck keine psychische Erkrankung diagnostiziert werden kann, sind vielfältig und können mit einer veränderten
Selbstwahrnehmung, sozialer Erwünschtheit beim Beantworten von
Fragebögen, geringer Verbalisierungsfähigkeit und fehlender Kultursensibilität der Diagnostik zusammenhängen. Nicht zuletzt kann es aber
auch damit zu tun haben, dass die Komplexität psychischer Prozesse
nicht immer oder zu jedem Zeitpunkt mit kategorialen Diagnosen abgebildet werden kann.
45
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
3
Sprach- und Kulturmittler*innen für die entsprechende Sprache zur Verfügung standen.
Vor- und Nachteile der KZT
Vorteile der ressourcenorientierten KZT
Nachteile der ressourcenorientierten KZT
+
klare Struktur mit Endpunkt, einfachere
Evaluierung, Zielsetzung und -verfolgung
–
weniger flexibel als Langzeittherapie
+
besserer Blick auf konkrete Alltagssituationen
und konkrete Übungen zur Selbsthilfe
–
wird Komplexität der Bedarfe/ zielgruppen
spezifischen Lebenssituationen und –krisen
nicht gerecht
+
Stabilisierung ermöglicht, dass Sprach
kenntnisse/Ausbildungsmöglichkeiten leichter
entstehen können
–
Traumaexposition fragwürdig, vor allem bei
unsicheren Aufenthaltstiteln
+
erste Versorgung und Anbindung von Menschen
ohne Zugang zur Regelversorgung
–
weniger Vertiefung in Biografisches möglich
+
erste positive Therapieerfahrung und damit
Zugang für spätere Langzeittherapie
–
häufig weitere Anbindung nötig, aber keine Mittel
3.6.3 Bewertung der Umsetzbarkeit einer
ressourcenorientierten KZT im Kontext
eines PSZ
Im Rahmen der Studie wurde deutlich, dass die KZT im PSZ nur einen Teil
der Stichprobe erreichte, was häufig an individuellen Lebensumständen
und strukturellen Herausforderungen lag. Viele der am PSZ angebundenen Klient*innen nahmen einen Anreiseweg von bis zu zwei Stunden
auf sich, was auch bei erstatteten Fahrtkosten eine große Hürde darstellte. Obwohl die meisten Klient*innen in Gemeinschaftsunterkünften
in den umliegenden Landkreisen untergebracht waren, war genau dort
die Versorgung durch Hilfsnetzwerke kaum oder gar nicht vorhanden.
Für die meisten Klient*innen war die KZT ein erster wichtiger Schritt auf
dem Weg der Heilung, der noch vor ihnen liegt.
Bei manchen Klient*innen musste die Behandlung unterbrochen
werden beziehungsweise kam diese gar nicht erst zustande, da keine
46
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
Im Rahmen der KZT wurde nur bedingt biografisch-anamnestisch
gearbeitet. So wurde teilweise erst beim Verfassen einer Stellungnahme
beziehungsweise im weiteren Verlauf im Rahmen einer Langzeittherapie
(LZT) deutlich, dass Klient*innen abseits der zuletzt erlebten traumatischen Ereignisse bereits in der frühen Kindheit Bindungsstörungen
durch mangelnde Versorgung, traumatische Trennungserlebnisse oder
Ähnliches erlebt hatten.
Im Rahmen der zwölf Therapiesitzungen fand ein Beziehungsaufbau
statt, der für die fortlaufende LZT bedeutend und hilfreich war. Die drei
zeitlich versetzten Diagnostiksitzungen ermöglichten eine differenzierte
Indikationsklärung. Trotzdem lässt sich festhalten, dass die Aufarbeitung mehr Zeit und der Erfahrung einer stabilen Beziehung mit einem
verlässlichen Gegenüber bedarf.
Für die meisten Klient*innen stellte die KZT einen ersten
wichtigen Schritt auf dem Weg der Heilung dar, der noch vor
ihnen liegt.
3.7 Fazit
Die Bewertung der Wirksamkeit einer KZT findet nicht in einem gesellschafts- und gesundheitspolitischen Vakuum statt. Die Klient*innen im
Projekt haben ohne Ausnahme schwerste Menschenrechtsverletzungen erlebt. In Deutschland sind Gewalt und instabile Lebensverhältnisse jedoch nicht plötzlich Vergangenheit. Der Kampf um das Recht
auf Asyl und einen Platz in der Gesellschaft muss trotz Verletzungen,
Erschöpfung und Verzweiflung weitergeführt werden. Die umfassenden, systematischen Ausschlüsse aus gesellschaftlicher Teilhabe und die
strukturellen Defizite in der gesundheitlichen Versorgung für geflüchtete
Menschen erschweren die Unterstützung dieses Prozesses massiv. Was
47
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
hätten Hilfesysteme für Möglichkeiten, wenn alle Asylsuchenden Zugang
zu Psychotherapie, besser noch zu multimodalen Angeboten der PSZ,
sowie Sprach- und Kulturmittlung hätten? Wenn Therapieprozesse nicht
durch die ständige Angst vor Abschiebung und Gerichtsverhandlungen
unterbrochen werden müssten? Wenn Klient*innen ohne berechtigte
Sorge vor Rassismus und Verfolgung soziale Kontakte auf Augenhöhe
knüpfen könnten?
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ...
3
3.8 Literatur
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Die Psychotherapeut*innen in den PSZ wissen häufig nicht, ob ihre
Stelle weiter finanziert wird. Diese Unsicherheit und die auf Seiten der
Klient*innen, etwa in Bezug auf den Aufenthaltstitel, erschweren langfristige Planung und beeinflussen dadurch die therapeutischen Möglichkeiten. Eine Therapeutin äußert sich in diesem Projekt dazu, wie sie ihre
Klient*innen vor Destabilisierung im Rahmen der Therapie schützen
muss: „Wenn ich nicht gewusst hätte, dass die Klient*innen nach dem
Projekt im PSZ weiter betreut werden können, wäre ich noch vorsichtiger gewesen.“ Das bedeutet, dass bewusste Traumaexposition und
andere kurzfristig destabilisierende therapeutische Techniken in vielen
Fällen nicht angewendet werden können, da Klient*innen sonst unter
Umständen „mit offenen Wunden“ und ohne Regulationsmöglichkeiten
auf sich alleine gestellt sind.
Taten: Indikatoren für Inklusion. Die Flüchtlingsspezifische Inklusionschart (IC_flü).
In: www.soziales-kapital.at, Band 13.
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4(04), 376-379.
Wir schließen daraus, dass die KZT keine Antwort auf strukturelle Defizite in der Gesundheitsversorgung ist. Die Erfahrungen zeigen, dass es
oft langfristiger Begleitung sowie einer hohen Flexibilität bedarf und
dass die KZT in diesen Fällen nur ein erster Schritt sein kann. Angesichts
der schweren seelischen Verletzungen der Klient*innen mit Fluchterfahrung käme eine standardisierte KZT ohne Möglichkeiten der Verlängerung einer Gesundheitsversorgung zweiter Klasse gleich.
Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
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50
51
4
DATEN AUS DEN
PSYCHOSOZIALEN
ZENTREN
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
4 — Daten aus den
Psychosozialen
Zentren
4.1 Datenbasis
Die BAfF führt jährlich eine Onlinebefragung aller Mitgliedszentren
durch, um Daten zur Versorgung geflüchteter Menschen in den Psychosozialen Zentren (PSZ) zu erheben. Dabei werden folgende Inhalte
abgedeckt:
— Rahmenbedingungen in den PSZ
• Leistungsspektrum
• Trägerschaft
• Mitarbeitende
— Klient*innen
• Anzahl und soziodemografische Merkmale
• Genutzte Angebote
• Aufenthaltssituation
• Hauptherkunftsländer
— Zugang zu den PSZ
• Vermittelnde Akteur*innen
• Anfahrtszeiten
— Versorgungsengpässe
• Wartezeiten
• Umgang bei Aufnahme neuer Klient*innen
• Weitervermittlung von Klient*innen
— Finanzierung
• Finanzierungsquellen und -strukturen
• Kostenübernahme von Psychotherapien.
54
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
Dies ist die einzige regelmäßig stattfindende und bundesweite Erhebung
von Daten zur psychosozialen Versorgung geflüchteter Menschen. Die
Daten zu den Klient*innen werden anonymisiert erfasst, die Ergebnisse
auf Plausibilität geprüft und gegebenenfalls in Absprache mit den Zentren bereinigt.
Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Befragung zum Jahr
2021 dargestellt. Sie beziehen sich auf die damals 47 Mitgliedszentren.
Da nicht alle Zentren über vollständige Daten verfügten, werden die
jeweiligen Fallzahlen an den entsprechenden Stellen aufgeführt.
4.2 Rahmenbedingungen in den PSZ
4.2.1 Leistungsspektrum
Zum Modell der PSZ gehört ein ganzheitlicher Ansatz, der unter anderem
folgende Leistungen umfasst:
— Diagnostik/Clearing,
— Krisenintervention und Stabilisierung,
— psychosoziale Beratung sowie
— Psychotherapien.
Darüber hinaus offerieren die Zentren ein breites Spektrum an weiteren Unterstützungsangeboten für besonders schutzbedürftige und psychisch erkrankte geflüchtete Menschen. Die meisten Zentren erstellen
auf der Basis ihrer psychotherapeutischen Kompetenzen und des engen
Kontakts mit ihren Klient*innen Stellungnahmen zum Gesundheitszustand für das Asylverfahren. Die Mehrheit bietet auch Angebote an, um
die sozialen Teilhabemöglichkeiten ihrer Klient*innen zu verbessern,
wie Unterstützung bei Behördengängen oder beim Zugang zu sozialen
Netzwerken, Unterstützung beim Spracherwerb und diverse niedrigschwellige Freizeit- und kreative Angebote.
55
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
Erweiterte Leistungen der PSZ für ihre Klient*innen
Erstellung von Stellungnahmen für das
Asylverfahren
93,2%
Unterstützung beim Umgang mit Behörden und
Gesundheitsvorsorge, z. B. Begleitung durch
ehrenamtliche Mentor*innen
79,5%
Unterstützung beim Zugang zu sozialen Netz
werken und zur gesellschaftlichen Teilnahme
79,5%
Unterstützung beim Spracherwerb,
z. B. (vermittelte) Deutschkurse
65,9%
Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit
65,9%
Kreative Angebote
47,7%
Versorgungsangebote außerhalb des Zentrums
(z. B. in Unterkünften)
47,7%
36,4%
Medizinische Diagnostik und Dokumentation
31,8%
Medizinische Beratung und Versorgung
0%
20 %
40 %
60 %
80 %
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, ©BAfF 2023
4.2.2 Trägerschaft
Fast alle PSZ waren 2021 einem Wohlfahrtsverband angeschlossen,
davon die Hälfte (48,9 %) in Trägerschaft und die andere Hälfte (42,2 %)
als Mitglieder (n=45 PSZ mit 18.394 Klient*innen, 8,9 % weder in Trägerschaft noch als Mitglied).
56
2021 waren in einem „typischen“ PSZ 9,0 Mitarbeiter*innen fest angestellt. Diese teilten sich 5,8 Vollzeitstellen (Mediane11, Durchschnittswerte: 15,7 Mitarbeiter*innen auf 10,0 VZÄ). Darüber hinaus arbeiteten
typischerweise 28,0 Personen als freie Mitarbeiter*innen, Mini-Jobber*innen, Praktikant*innen oder Ehrenamtliche in einem Zentrum
(Mediane, Durchschnitt: 51,7)(n=41 PSZ mit 15.014 Klient*innen).
59,1%
Durchführung oder Vermittlung von qualifizierter
Dokumentation oder Begutachtung körperlicher
und psychischer Misshandlungsspuren nach den
Standards des Istanbul-Protokolls
Die Trägerschaft der PSZ verteilte sich wie folgt auf die Verbände:
— das Diakonische Werk: 45,5 %;
— der Caritasverband: 27,3 %;
— das Deutsche Rote Kreuz: 9,1 %;
— die Arbeiterwohlfahrt: 9,1 %;
— Paritätischer Wohlfahrtsverband: 9,1 %;
— Sonstige Verbände: 9,1 % (z.T. Mehrfachangaben).
4.2.3 Mitarbeitende in den PSZ
72,7%
Niedrigschwellige Unterstützung, z. B. Freizeit
aktivitäten, Gruppen- und Projektarbeit
4
100 %
Die Mitarbeiter*innen (sowohl angestellte als auch freie) waren nach
Tätigkeitsbereichen wie folgt aufgeteilt (Mediane), pro PSZ:
— Psychotherapie: 5,0 Personen (Durchschnitt: 8,1);
— Beratung: 5,0 Personen (Durchschnitt: 8,4);
— Sprachmittlung: 22,0 Personen (Durchschnitt: 26,9);
— Verwaltung: 1,0 Personen (Durchschnitt: 2,4);
— Kreativ- und Körpertherapie: 1,0 Personen (Durchschnitt: 1,6);
— Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit u. Ä.: 0,0 Personen
(Durchschnitt: 0,4);
— medizinische Versorgung: 0,0 Personen (Durchschnitt: 0,9);
— sonstige Bereiche: 0,0 Personen (Durchschnitt: 2,2).
11 Es werden Mediane ausgewiesen, da die Durchschnittswerte durch die Angaben besonders großer PSZ
ein verzerrtes Bild abgeben.
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Auffallend ist, dass die meisten Sprachmittler*innen (98,5 %) kein
festes Arbeitsverhältnis hatten. Dies lässt sich unter anderem dadurch
erklären, dass es keine ausreichenden, verlässlichen und nachhaltigen
Finanzierungsquellen für Sprachmittlung gibt (vgl. BPtK & BAfF, 2021).
4.3 Klient*innen der PSZ
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
12,8 % der Klient*innen waren minderjährig, davon floh ein Viertel ohne
Begleitung ihrer Familie nach Deutschland.
Minderjährige und volljährige
Klient*innen
Unbegleitete minderjährige
Geflüchtete unter den Klient*innen
4.3.1 Anzahl und soziodemografische Merkmale
der Klient*innen
2021 wurden in den PSZ insgesamt 21.725 Klient*innen versorgt. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Steigerung um 12,3 %. Die Zahl
ist jedoch im Vergleich zu 2019 – dem Jahr vor der Covid-19-Pandemie
(24.964 Klient*innen) – niedrig, weil auch in diesem Jahr die Zentren
unter eingeschränkten Bedingungen arbeiten mussten. Darunter befanden sich 10.027 Klient*innen, die neu aufgenommen werden konnten.
2021 wurden in den PSZ insgesamt 21.725 Klient*innen versorgt.
Zu ihnen gehören häufig Personen mit besonderen (Schutz-)
Bedarfen, die beispielsweise durch Erfahrungen mit Folter, Men
schenhandel und/oder Verfolgung aufgrund der sexuellen Orien
tierung und/oder der geschlechtlichen Identität entstanden sind.
43,2 % der Klient*innen waren weiblich, 55,4 % männlich, 1,4 % trans/
nicht-binär.
Gender der Klient*innen
55,4 % männlich
43,2 % weiblich
1,4 % trans/nicht-binär
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=20.275 Klient*innen, ©BAfF 2023
58
87,2 % volljährig
12,8 % minderjährig
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=45 PSZ mit
20.399 Klient*innen, ©BAfF 2023
77,0 % minderjährige Klient*innen unter
Begleitung der Familie
23,0 % unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=2.453 Klient*innen,
©BAfF 2023
Zu den Klient*innen der PSZ gehören häufig Personen mit besonderen
(Schutz-)Bedarfen, die beispielsweise durch Erfahrungen mit Folter,
Menschenhandel und/oder Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität entstanden sind. Diese
Klient*innen benötigen spezialisierte Unterstützung durch Fachkräfte,
die in der Lage sind, die besonderen Bedarfe zu erkennen und zu adressieren. Den vorliegenden Daten zufolge waren 2021 23,8 % der Klient*innen Überlebende von Folter, 4,9 % Personen, die sich als LSBTIQ* identifizieren und 3,3 % von Menschenhandel Betroffene (n=44 PSZ mit 18.322
Klient*innen). An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass nicht in allen
PSZ die Ressourcen vorhanden sind, um diese Merkmale bei allen Klient*innen systematisch zu dokumentieren und sich Klient*innen aus
verschiedenen Gründen nicht immer (direkt) im PSZ outen (vgl. Träbert
& Teigler, 2022).
59
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
4.3.2 Genutzte Angebote
Entsprechend dem multiprofessionellen Ansatz der PSZ wurden die
Klient*innen in verschiedenen Settings begleitet:
— Zwei Drittel (65,5 %) der Klient*innen erhielten (psycho-)soziale
und/oder asylrechtliche Beratung und wurden persönlich durch
Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen unterstützt;
— ungefähr ein Drittel (34,9 %) befand sich – in der Regel zusätzlich
zur Beratung – in psychotherapeutischer Behandlung. Lediglich
11,5 % wurden ausschließlich psychotherapeutisch versorgt und
waren nicht in anderen Teilen des multimodalen Leistungsspektrums angebunden;
— 5,1 % wurden psychiatrisch versorgt und
— 19,4 % nahmen sonstige Angebote wie beispielsweise kreative, bewegungs- und/oder bildungsorientierte Angebote wahr
(n=18.332).
4.3.3 Aufenthaltssituation
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
Aufenthaltsstatus, d. h. eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis. Im Vergleich hierzu hatten drei Viertel (75,0 %) aller geflüchteten
Menschen in Deutschland einen relativ sicheren Aufenthaltsstatus.
Aufenthaltsstatus der Klient*innen
Ein Großteil der Klient*innen der PSZ hat einen prekären
Aufenthaltsstatus.
2021 hatten fast zwei Drittel (63,2 %) der Klient*innen lediglich eine
Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder befanden sich in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität (s. Glossar, „Aufenthaltsgestattung“ und
„Duldung“). Nur knapp ein Drittel (29,7 %) besaß einen relativ sicheren
60
Aufenthaltsstatus aller geflüchteten
Menschen in Deutschland
36,7 % Aufenthaltsgestattung
12,3 % Aufenthaltsgestattung
25,6 % Duldung
12,7 % Duldung
0,9 % Menschen ohne Papiere
58,5 % Anerkennung/Aufenthaltserlaubnis
28,3 % Anerkennung/Aufenthaltserlaubnis
16,4 % Niederlassungserlaubnis
1,4 % Niederlassungserlaubnis
7,2 % Sonstiges/Unbekannt
Aufenthaltsstatus
Ein Großteil der Klient*innen der PSZ hat einen prekären Aufenthaltsstatus, d. h. sie warten auf das Ergebnis eines Asylverfahrens oder besitzen
lediglich eine Duldung mit der Unsicherheit, jederzeit abgeschoben werden zu können. Die PSZ nehmen prioritär Personen mit einem prekären
Aufenthaltsstatus auf, da diese einen stark eingeschränkten Zugang zur
gesundheitlichen Regelversorgung haben.
4
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=43 PSZ mit 18.001
Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
Quelle: Ausländerzentralregister (2022). Migration
und Integration: Schutzsuchende nach Schutzstatus
und Berichtsjahren. URL: https://www.destatis.de/DE/
Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Tabellen/schutzsuchende-zeitreiheschutzstatus.html, Eigene Darstellung © BAfF 2022
Klient*innen in Dublin-Verfahren
Dublin-Verfahren (s. Glossar), in denen Schutzsuchende in andere EULänder zurückgeschoben werden, führen häufig zu einer zusätzlichen
psychischen Belastung geflüchteter Menschen, weil dadurch die eigene
Zukunftsplanung erschwert wird. 2021 befanden sich durchschnittlich
14,7 % der PSZ-Klient*innen in Dublin-Verfahren und wurden bei den
dadurch entstehenden rechtlichen Fragen sowie den daraus resultierenden psychischen Belastungen unterstützt (n=43 PSZ mit 18.001
Klient*innen).
61
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Klient*innen mit Abschiebungsverboten
Schwer psychisch kranke Menschen, die reiseunfähig sind oder bei
denen eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands
im Fall einer Abschiebung droht, dürfen nicht abgeschoben werden.
Rechtliche Grundlagen hierfür sind das sogenannte inlandsbezogene
Abschiebungshindernis (§ 60a Abs. 2c, 2d AufenthG) sowie das zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG)
(s. Glossar).
Für ein solches Abschiebungsverbot muss die Erkrankung der betroffenen Personen nachgewiesen werden. Auch hierbei unterstützen die PSZ,
indem sie Stellungnahmen für ihre Klient*innen erstellen. 2021 wurde
bei 14,1 % aller PSZ-Klient*innen ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festgestellt
(n=43 PSZ mit 18.001 Klient*innen).
Die notwendigen Voraussetzungen, um eine psychische Erkrankung
im Asylverfahren nachzuweisen, wurden in den vergangenen Jahren
zunehmend verschärft – mit der Folge, dass psychische Erkrankungen
häufig im Verfahren nicht anerkannt werden. Aufgrund von Gesetzesänderungen im Asylpaket II (2016) und im Geordnete-Rückkehr-Gesetz
(2019) muss eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ eingereicht
werden, damit eine schwere Erkrankung im Asylverfahren berücksichtigt wird. Diese Bescheinigungen müssen von Fachärzt*innen erstellt
werden, d. h. Atteste von Psychologischen Psychotherapeut*innen werden ausgeschlossen, obwohl diese Berufsgruppe darin ausgebildet ist,
psychische Erkrankungen zu diagnostizieren, und einen Großteil der
Behandlung psychisch erkrankter Menschen in Deutschland übernimmt.
Die zu erfüllenden Standards für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind zudem höher als bei anderen ärztlichen Gutachten. Es reichen nicht nur Krankheitsvorgeschichte, Untersuchungsmethoden und
Diagnose. Auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der
krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, müssen geschildert werden. In der Praxis verlangen das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) oder die Gerichte sogar oftmals, dass sich Ärzt*innen
62
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
ausführlich mit den Unterlagen des Asylverfahrens auseinandersetzen
und diese in die Gutachten integrieren. Hinzukommt, dass es keine
Regelungen zur Kostenübernahme für die Erstellung der ärztlichen
Bescheinigungen gibt, so dass Schutzsuchende die Kosten in der Regel
selbst tragen müssen.
Diese Verschärfungen führen nicht nur zur Verletzung von Menschenrechten schwer psychisch erkrankter Schutzsuchender, sondern schränken die Möglichkeit bei Folteropfern ein, dass ihre Foltererfahrungen
professionell dokumentiert und anerkannt werden beziehungsweise
eine schnellstmögliche Rehabilitation eingeleitet werden kann (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, Art. 14).
Sie sind zudem eine Aberkennung der fachlichen Kompetenz Psychologischer Psychotherapeut*innen. Nicht zuletzt führen die Verschärfungen zu einer noch höheren Belastung der PSZ, da diese ihre begrenzten
Ressourcen in die Kommunikation mit Fachärzt*innen investieren und
sie über die Anforderungen bei der Erstellung von Stellungnahmen
informieren müssen.
63
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4.3.4 Hauptherkunftsländer
4
isolierende Unterbringungssituationen in teilweise abgelegenen Sammelunterkünften erschwert.
Die Klient*innen 2021 kamen aus 100 verschiedenen Ländern. Die
zehn häufigsten Herkunftsländer waren: Afghanistan, Syrien, Irak, Iran,
Nigeria, die Russische Föderation, die Türkei, Eritrea und Somalia.
Hauptherkunftsländer der Klient*innen
Insbesondere Mitarbeiter*innen von Unterkünften, Beratungsstellen
und ehrenamtliche Unterstützer*innen spielen eine wichtige Rolle
bei der Vermittlung geflüchteter Menschen an die PSZ. Auch im Jahr
2021 wurde ein Großteil der Klient*innen über diese Personengruppen
bei den Zentren angemeldet. Fachkräfte aus dem Gesundheitssystem
meldeten vergleichsweise selten Klient*innen an, unter ihnen gehörten
Psychiater*innen zu der Berufsgruppe, die am ehesten mit den PSZ in
Kontakt stehen. Zu den sonstigen vermittelnden Akteur*innen gehörten:
Mitarbeiter*innen vom Jobcenter, Mitarbeiter*innen der Jugendämter,
Lehrkräfte, Pfarrer*innen sowie Mitarbeiter*innen der Sozialpsychiatrischen Dienste.
An die PSZ vermittelnde Akteur*innen
(fast) nie
durch Mitarbeiter*innen der Unterkünfte
durch andere Beratungsstellen
23,8 % Afghanistan
8,4 % Iran
3,7 % Russische Föderation
15,3 % Syrien
3,8 % Nigeria
3,7 % Türkei
9,5 % Irak
3,7 % Guinea
2,2 % Eritrea
2,0 % Somalia
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=11.804 Klient*innen © BAfF 2023
selten
9,1%
durch Angehörige/Bekannte
durch die Klient*innen selbst
4.4.1 Vermittelnde Akteur*innen
Damit Schutzsuchende durch ein PSZ versorgt werden können, müssen
sie zuerst den Zugang zu einem Zentrum finden. Dies wird häufig durch
2,3%
64
38,6%
45,5%
durch Psychiater*innen
22,7%
15,9%
52,3%
47,7%
57,1%
durch niedergelassene
Psychotherapeut*innen
31,0%
52,3%
10,0%
9,1%
54,5%
38,6%
durch unsere Mitarbeiter*innen der
aufsuchenden Arbeit
20,0%
11,4%
18,2%
13,6% 11,4%
65,9%
31,8%
durch andere Fachärzt*innen
11,4%
29,5%
45,5%
18,2%
22,7%
50,0%
56,8%
20,5%
durch sonstige Akteur*innen
40,9%
31,8%
durch Anwält*innen
durch Hausärzt*innen
4.4 Zugang zu den PSZ
47,7%
31,8%
6,8%
regelmäßig
43,2%
20,5%
durch ehrenamtliche Unterstützer*innen
durch Kliniken
sehr häufig
2,3%
9,1%
4,5%
7,1%
4,8%
43,2%
45,0%
6,8%
11,4%
4,5%
25,0%
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, ©BAfF 2023
65
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
4.4.2 Anfahrtszeiten
Klient*innen in Einzel- und Gruppentherapie
Der Zugang zur Unterstützung durch ein PSZ hängt auch davon ab, wie
gut die Zentren von den (potenziellen) Klient*innen zu erreichen sind.
Selbst wenn Zentren in allen Bundesländern vorhanden sind, variiert
ihre geografische Verteilung stark. Während sich in Städten (z. B. Berlin
und Hamburg) mehrere PSZ befinden, gibt es sie in manchen Flächenländern (z. B. Bayern) nur vereinzelt. Auch die Verbindungen zwischen
den Zentren und den Unterkünften der Klient*innen mit öffentlichen
Verkehrsmitteln beeinflussen die Möglichkeit, die Angebote der Zentren
zu nutzen.
Wenig überraschend kamen die meisten Klient*innen aus der näheren
Umgebung der PSZ mit Anfahrtszeiten von weniger als einer Stunde.
Anfahrtszeiten der Klient*innen
30 Minuten oder weniger
44,9 %
zwischen 30 und 60 Minuten
39,3 %
zwischen 1 und 2 Stunden
12,3 %
mehr als 2 Stunden
3,4 %
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
90,7 % ausschließlich in Einzeltherapie
3,7 % ausschließlich in Gruppentherapie
5,6 % Einzel- und Gruppentherapie
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=40 PSZ mit 17.415 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
Dauer der Psychotherapien
Die Psychotherapien in den Zentren umfassten durchschnittlich 25,5
Sitzungen (n=40 PSZ mit 17.415 Klient*innen). Ein Großteil davon waren
KZT (bis zu 24 Sitzungen) mit den damit verbundenen Herausforderungen (s. Kapitel 3). Ein Viertel der Therapien waren Langzeittherapien
mit 25 bis 60 Sitzungen. Psychotherapien mit mehr als 60 Sitzungen
fanden selten statt.
Klient*innen in Kurz- und Langzeittherapien
64,5 % Klient*innen in Kurzzeittherapie (bis zu 24 Sitzungen)
4.5 Versorgungsprozess
26,2 %Klient*innen in Langzeittherapie (25 bis 60 Sitzungen)
9,3 %Klient*innen in Langzeittherapie (mehr als 60 Sitzungen)
4.5.1 Klient*innen in psychotherapeutischer
Versorgung
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=39 PSZ mit 17.050 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
Einzel- vs. Gruppentherapien
Die meisten Psychotherapien in den PSZ fanden im einzeltherapeutischen
Setting statt, 3,7 % nahmen ausschließlich an Gruppentherapien teil und
5,6 % wurden sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting behandelt.
66
67
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Vorzeitige Beendigung von Psychotherapien
23,7 % der begonnen Psychotherapien wurden vorzeitig beendet,
obwohl eine Fortsetzung aus therapeutischer Sicht sinnvoll gewesen
wäre (n=37 PSZ mit 15.701 Klient*innen). Die häufigsten Gründe hierfür
waren, dass der*die Klient*in nicht mehr erschien/nicht mehr erreichbar
war, dass der*die Klient*in den Prozess selber abbrach (z. B. aufgrund
einer Fehleinschätzung bezüglich der Erfolgserwartung) oder dass
die*der Klient*in umzog beziehungsweise umverteilt wurde.
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
2021 fanden mehr als die Hälfte aller Beratungen/Therapien mit
Sprachmittlung statt.
Sprachmittlung bei Beratungen/Therapien
53,7 % Beratung/Therapien mit Sprachmittlung
24,2 % Beratung/Therapien in einer weiteren gemeinsamen Sprache
von Mitarbeiter*in und Klient*in (inkl. Englisch)
Hauptgründe für die vorzeitige Beendigung von Psychotherapien
22,1 % Beratung/Therapien auf Deutsch (ohne Sprachmittlung)
29,3 % Klient*in erschien nicht mehr / war nicht mehr erreichbar
19,6 % Abbruch durch Klient*in (z. B. unzureichend eingeschätzte
Therapiemotivation/Erfolgserwartung, problematische Therapeut*inKlient*in-Beziehung)
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=43 PSZ mit 18.139 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
17,2 % Klient*in ist umgezogen / wurde umverteilt
9,7 % Abbruch durch Therapeut*in (z. B. unzureichend eingeschätzte
Therapiemotivation, problematische Therapeut*in-Klient*in-Beziehung)
4.6 Versorgungsengpässe
4,5 % Klient*in wurde abgeschoben / ist „freiwillig“ ausgereist
2,5 % Therapie wurde abgebrochen, weil es keine Kostenübernahme
(mehr) gab
17,1 % Sonstige Gründe
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=33 PSZ mit 14.645 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
4.5.2 Sprachmittlung
Die PSZ bieten mehrsprachige und Dolmetscher*innen-gestützte Beratung und Therapie an, um eine qualitativ hohe psychosoziale Begleitung
geflüchteter Menschen zu gewährleisten. 2021 fanden mehr als die Hälfte
aller Beratungen/Therapien mit Sprachmittlung statt. Zudem konnte
ein Viertel der Beratungen/Therapien aufgrund der Mehrsprachigkeit
der Berater*innen beziehungsweise Therapeut*innen in einer Fremdsprache (nicht Deutsch) durchgeführt werden.
68
4.6.1 Ungedeckter Versorgungsbedarf
Viele der nach Deutschland geflüchteten Menschen haben schwere
Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erlebt. Bei einer repräsentativen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB), des Forschungszentrums des BAMF und des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
gaben 87 % der Befragten an, potenziell traumatisierende Ereignisse
wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt zu haben (vgl.
Brücker et al., 2019). Inwiefern und zu welchem Zeitpunkt solche Erlebnisse zu einer Traumafolgestörung führen, hängt stark von den Lebensbedingungen nach der Flucht ab, etwa von der Unterbringungssituation
und der sozialen sowie beruflichen Perspektive. Auch die Möglichkeiten
einer umfassenden Rehabilitation spielen hier eine bedeutsame Rolle.
69
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
87 % aller geflüchteten Menschen in Deutschland haben poten
ziell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder
Zwangsrekrutierung erlebt. Rund 30 % sind von depressiven
Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung
betroffen.
Studien zur Prävalenz psychischer Folgen von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen unter geflüchteten Menschen zufolge sind rund 30 %
der geflüchteten Menschen von depressiven Erkrankungen oder einer
posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. Steel et al., 2009; Lindert et
al., 2018) betroffen.12 Somit konnten die PSZ und ihre Kooperationspartner 2021 nur 4,1 % des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken. Diese
Versorgungsquote ergibt sich aus den folgenden Daten für das Jahr 2021:
— 1.936.350 geflüchtete Menschen in Deutschland,
— 580.905 geflüchtete Menschen mit Traumafolgestörung
(bei 30 % Prävalenz),
— 21.725 Klient*innen in den PSZ,
— 1.932 Vermittlungen an weitere Akteur*innen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass viele Menschen selbstorganisiert
Wege finden, um mit den Folgen von Gewalt umzugehen. Viele benötigen dennoch professionelle Unterstützung, um sich zu stabilisieren, ihre
Erlebnisse einzuordnen und sich neue Lebensperspektiven aufzubauen.
Die Kapazitäten der PSZ liegen nach wie vor weit unter dem Bedarf, der
an sie herangetragen wird. Bislang werden die Zentren nur durch eine
unzureichende und stark diversifizierte Finanzierungsstruktur gestützt.
Für die Mitarbeitenden erzeugt dieses Ungleichgewicht zwischen Versorgungskapazitäten und dem Hilfebedarf, der an sie herangetragen
wird, einen enormen Versorgungsdruck. Diese angespannte Situation
ist nicht neu, sondern begleitet alle PSZ seit vielen Jahren unabhängig
von der Anzahl der Klient*innen, die die Einrichtungen jedes Jahr insgesamt versorgen können.
12 Vgl. Baron & Flory, 2019 für eine Übersicht von Studien zu diesem Thema.
70
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
4.6.2 Wartezeiten
2021 betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz in
einem PSZ 7,2 Monate (n=39 PSZ mit 17.294 Klient*innen). Damit war sie
deutlich höher als unter Patient*innen in der gesundheitlichen Regelversorgung (5,5 Monate im Jahr 202013, Deutsches Ärzteblatt, 2021). Hinzukommt, dass viele PSZ keine Wartelisten führen, weil sie auch dafür
keine ausreichenden Ressourcen haben.
2021 warteten Klient*innen durchschnittlich 7,2 Monate auf
einen Therapieplatz in einem PSZ.
Auf ein Erstgespräch in den Zentren, um den Unterstützungsbedarf zu
klären, warteten Klient*innen durchschnittlich 3,1 Monate (n=41 PSZ
mit 17.528 Klient*innen).
4.6.3 Aufnahme von Klient*innen
Die PSZ haben verschiedene Strategien entwickelt, um mit der Tatsache umzugehen, dass sie deutlich mehr Anfragen bekommen, als sie
Klient*innen aufnehmen können. Drei Viertel der Zentren führten 2021
Wartelisten durch, während etwa ein Viertel entschied, keine Wartelisten
zu führen, sondern sofort zu entscheiden, ob Personen aufgenommen
werden oder nicht, unter anderem weil mehrmonatige Wartezeiten
weniger zumutbar und teilweise mehr belastend sind als direkte Zuoder Absagen. Auch wenn die Zentren sich bemühen, regelmäßig neue
Klient*innen aufzunehmen, hatte ein Drittel zeitweise Aufnahmestopps.
Mehr als ein Viertel der Zentren führten auch Krisensprechstunden für
Personen, die noch keine Klient*innen sind, durch, um damit Schutzsuchende in akuten Notfällen unterstützen zu können.
13 Aktuellere Daten waren nicht auffindbar.
71
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
Aufnahmepraktiken der PSZ
4
Aufnahmekriterien der PSZ
trifft gar nicht zu
72,7 %
Wir führten eine Warteliste.
Wir hatten zeitweise Aufnahmestopps.
34,1 %
Wir hatten Notfall-/ Krisensprechstunden,
die auch für Klient*innen offen sind, die
(noch) keine Klient*innen des Zentrums sind.
27,3 %
Wir führten keine Warteliste, sondern
entscheiden sofort, ob Personen
aufgenommen werden oder nicht.
31,8 %
Sonstiges
0%
20 %
40 %
Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus (ohne Aufenthalts- oder
Niederlassungserlaubnis)
13,6%
Personen in akuten Krisensituationen
6,8% 13,6%
Personen, die nirgendwo anders psychosoziale Unterstützung erhalten (haben)
22,7 %
60 %
80 %
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Mehrfachangaben, © BAfF 2023
Entsprechend ihrer Entstehungsgeschichte und politischen Zielsetzung
priorisieren die PSZ Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus bei der
Aufnahme neuer Klient*innen. Darüber hinaus berücksichtigen sie
häufiger folgende Kriterien, um angesichts begrenzter Kapazitäten zu
entscheiden, wen sie aufnehmen: ob die Personen sich in Krisensituationen befinden, ob sie woanders psychosoziale Unterstützung erhalten
(haben) und ob sie Folter erlebt haben. Sprachkenntnisse und Wohnort
spielen hierbei eine weniger entscheidende Rolle. Zu den sonstigen Kriterien gehören: besondere Bedarfe/Vulnerabilität (z. B. ältere Personen,
Schwangere, Alleinerziehende, Kinder/Jugendliche) sowie Personen,
die sich selbst anmelden.
100 %
trifft eher nicht zu
11,4%
Personen, die Folter erlebt haben
15,9%
Personen mit dringenden aufenthaltsrechtlichen Anliegen (Anhörung,
Klageverfahren, Abschiebung etc.)
15,9%
Personen mit bestimmten Sprach
kenntnissen.
4,5%
trifft eher zu
trifft voll zu
36,4%
45,5%
45,5%
15,9%
13,6%
25,0%
65,9%
Personen, die weniger als eine Stunde
entfernt wohnen
56,8%
Sonstige Personen
56,8%
34,1%
38,6%
34,1%
34,1%
36,4%
31,8%
27,3%
15,9%
15,9%
31,8%
15,9%
6,8%
2,3%
4,5%
27,3%
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Mehrfachangaben, © BAfF 2023
4.6.4 Weitervermittlung von Klient*innen
Aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten versuchen viele PSZ Klient*innen an weitere Einrichtungen zu vermitteln, wenn eine adäquate Versorgung über diese möglich scheint. Dies gelingt jedoch häufig aufgrund
verschiedener Zugangsbarrieren nicht (s. Kapitel 2).
Die Anzahl der erfolgreichen Weitervermittlungen ist im
Vergleich zum Vorjahr um 29,3 % gesunken.
2021 konnten pro Zentrum durchschnittlich 108,0 Klient*innen an
andere Einrichtungen weitervermittelt werden. Somit ist die Anzahl der
erfolgreichen Weitervermittlungen im Vergleich zum Vorjahr um 29,3 %
72
73
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
gesunken (Durchschnitt pro Zentrum 2020: 152,8 Personen). Zudem werden auch viele vermittelte Personen weiterhin durch die PSZ begleitet,
weil die anderen Akteur*innen häufig nicht in der Lage sind, alle psychosozialen Bedarfe der Schutzsuchenden abzudecken. So wurden von den
durchschnittlich 108,0 vermittelten Klient*innen durchschnittlich 64,5
Personen weiter durch die PSZ begleitet.
Die Weitervermittlungen waren nach Akteur*innen wie folgt aufgeteilt.
Pro PSZ durchschnittlich:
— 50,6 Klient*innen an niedergelassene (Fach-)Ärzt*innen
(Median: 9,0);
— 44,0 Klient*innen an Sozialberatungsstellen (Median: 15,0);
— 14,4 Klient*innen an niedergelassene Psychotherapeut*innen
(Median: 4,0);
— 16,7 Klient*innen an Kliniken (Median: 8,0);
— 3,9 Klient*innen an ermächtigte Psychotherapeut*innen
(Median: 0,0);
— 1,2 Klient*innen an Gutachter*innen (Median: 0,0) und
— 24,7 Klient*innen an sonstige Einrichtungen/Personen
(Median: 0,0)( n=42-43 PSZ mit 17.872-20.149 Klient*innen).
Zu den sonstigen Einrichtungen/Personen gehörten: Traumaambulanzen, Antidiskriminierungsstellen, Sozialpsychiatrische Dienste, Einrichtungen der Eingliederungshilfe, ehrenamtliche Organisationen,
Rechtsanwält*innen, spezialisierte Beratungsstellen (z. B. zum Thema
Sucht oder Arbeitsmarktintegration), Sprachkurse, Jugendämter, Krankenkassen sowie Freizeitangebote.
4
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
einzige Ausnahme ist das Jahr 2016, in dem es eine einmalige deutliche
Steigerung der Vermittlungszahlen gab. Das ging mit einer deutlichen
Steigerung der Klient*innenzahl in den PSZ und der temporär erhöhten
Aufmerksamkeit für die Situation geflüchteter Menschen zwischen 2015
und 2016 einher.
Entwicklung der Vermittlungszahlen im Zeitverlauf
1) Weitervermittlungen insgesamt
3) Weitervermittlungen an niedergelassene
Psychotherapeut*innen
2) Weitervermittlungen an niedergelassene
4) Weitervermittlungen an Kliniken
(Fach-)Ärzt*innen
250
214
190
200
164
1)
170
193
178,5
168
152,8
150
108
100
50
62
2)
61
24
3)
25
71
35
15
46
48,2
55,8
33
25
4)
21,3
20,4
12,9
14,4
19,2
16,2
16,7
2017
2018
2019
2020
2021
26
0
2013
2014
2015
2016
40,2
50,6
Quelle: Befragung der PSZ 2013-2021, Durchschnittliche Zahl der Vermittlungen pro PSZ, @BAfF 2023
Betrachtet man die Anzahl der Weitervermittlungen insbesondere in die
gesundheitliche Regelversorgung im Zeitverlauf lässt sich keine positive
Entwicklung feststellen. Auch wenn man berücksichtigt, dass 2020/2021
allgemein aufgrund der Covid-19-Pandemie für das Gesundheitssystem
belastende Jahre waren, zeigen die Zahlen aus den Jahren davor auch
keine Tendenz, die auf eine Verbesserung des Zugangs zur gesundheitlichen Regelversorgung für geflüchtete Menschen hindeutet. Die
74
75
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
4
4.7 Finanzierung
4.7.1 Finanzierungsstrukturen
Die PSZ werden hauptsächlich über zeitlich begrenzte öffentliche Fördermittel finanziert, wodurch die Nachhaltigkeit der Leistungen gefährdet ist. Die Finanzierungsquellen sind zudem oft sehr divers, was zu
einem hohen bürokratischen Aufwand führt, weil eine Vielzahl an Förderanträgen gestellt werden muss. Zusätzlich belasten die Projektabrechnungsmodalitäten die Verwaltungen der Zentren.
Die PSZ werden hauptsächlich über zeitlich begrenzte öffent
liche Fördermittel finanziert. Zudem sind die Finanzierungs
quellen oft sehr divers, was zu einem hohen bürokratischen
Aufwand führt.
Wie im Jahr davor stammte 2021 der größte Anteil (40,7 %) der PSZFinanzierung aus Landesmitteln. Lediglich 7,0 % der Haushalte wurden
über Bundesmittel finanziert. Die Kostenübernahme von Therapien über
die gesetzlich verankerten Leistungsträger, insbesondere die Sozialämter, Krankenkassen und Jugendämter, bildete 6,0 % der Gesamtfinanzierung der PSZ ab.
Sowohl die Finanzierungsstrukturen als auch die Budgets der einzelnen
Zentren unterschieden sich im Einzelnen stark. Bei drei PSZ stammte
beispielsweise mehr als 90 % des Haushalts aus Landesmitteln, während
vier PSZ keine Landesmittel bekamen. Das Zentrum mit dem größten
Budget hatte 2021 € 6,8 Mio. zur Verfügung, während das Zentrum mit
dem kleinsten Budget lediglich über knapp € 44.000 verfügte (Durchschnittliches Budget unter allen PSZ: € 908.534, Median: € 525.087).
76
Finanzierungsquellen der PSZ
40,7 % Landesmittel
15,0 % Kommunale Mittel
9,4 % AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU)
7,0 % Bundesmittel
6,1 % Andere Stiftungen/NGOs
6,0 % Therapiefinanzierung (Sozialamt/Krankenkassen/Jugendämter)
5,2 % Spenden, Bußgelder, Mitgliedsbeiträge
4,3 % Kirchliche Fördermittel
1,2 % Träger (wenn kein Wohlfahrtsverband)
1,1 % Wohlfahrtsverband
1,1 % UNO-Flüchtlingshilfe
0,4 % Amnesty International
0,3 % Sonstige EU-/internationale Mittel
2,2 % Sonstiges
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=39 PSZ mit 13.076 Klient*innen, © BAfF 2023
4.7.2 Kostenübernahme von Psychotherapien
Auch die Psychotherapien, die in den PSZ durchgeführt werden, werden
zum größten Teil nicht über Leistungsträger, sondern über Fördermittel
finanziert. 2021 konnten weniger als ein Zehntel der Psychotherapiekosten über die Sozialämter, Jugendämter oder Krankenkassen abgerechnet werden.
Kostenübernahme durch die Sozialämter
Die Sozialämter sind für die Kostenübernahme der gesundheitlichen
Leistungen während des Asylverfahrens zuständig. Bei Personen, die
seit weniger als 18 Monaten in Deutschland sind, gestaltet sich die Übernahme von Therapiekosten über die Sozialämter jedoch schwierig.
77
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Kostenübernahme von Psychotherapien in den PSZ
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
Leistungsansprüche und Kostenträger während und nach dem Asylverfahren
1,3 % Sozialamt
Leistungsansprüche
0,7 % Jugendamt
5,1 % Krankenkassen ohne Ermächtigung
2,3 % Krankenkassen über eine Ermächtigung
90,7 % Sonstiges
bis 18 Monate
ab 18 Monate
Abschluss des Asylverfahrens
Leistungen nach
§§ 4 und 6 AsylbLG
Leistungsumfang analog zu dem
der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung
(Analogleistungen)
Leistungsumfang
der gesetzlichen
Krankenversicherung
Behandlungs- Gesundheitsschein
karte
Gesundheitskarte
Versichertenkarte
Kostenträger: Sozialamt
Kostenträger: Sozialamt
Kostenträger: Krankenkasse
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=21 PSZ mit 15.340 Klient*innen, © BAfF 2023
Der Aufwand für die Antragstellung ist in der Regel sehr hoch und mit
geringen Erfolgschancen verbunden, da einem Antrag nur stattge
geben wird, wenn akute Erkrankungen oder Schmerzzustände vorliegen
(§4 AsylbLG). Von der Möglichkeit, Leistungen zu gewähren, wenn diese
„im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit
unerlässlich“ sind (§6 AsylbLG), wird – nach Erfahrungen der PSZ – bei
Psychotherapien eher selten Gebrauch gemacht. Bundesweite Daten
zur Genehmigung von Anträgen zur Kostenerstattung von Therapien auf
Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen nicht vor.
Nach 18 Monaten besteht ein Anspruch auf Leistungen analog gesetzlich Versicherter.
4
Angesichts der geringen Erfolgschancen beantragten 2021 lediglich
zehn PSZ eine Kostenübernahme von Psychotherapien beim Sozialamt.
Zudem beantragten manche Zentren die Kostenübernahme von Sprachmittlung und Fahrtkosten, um Therapien auch praktisch umsetzen zu
können. Die Erfolgsquote der Anträge unterschied sich stark danach,
ob eine Therapie, Sprachmittlung oder Fahrtkosten finanziert werden
sollten. So wurden 84,8 % der Therapieanträge genehmigt, 91,4 % der
Sprachmittlungsanträge und 68,4 % der Anträge auf Fahrtkostenübernahme (n=9 PSZ). Die Ablehnungsquote für Therapieanträge betrug
15,2 % und war damit deutlich höher als bei gesetzlich Versicherten
(2,7 %)(Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2022). Die Bearbeitung der
Anträge dauerte im Schnitt 2,8 Monate (n=8 PSZ).
Kostenübernahme durch die Jugendämter
Für Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung von sorgeberechtigten
Personen nach Deutschland einreisen, gelten besondere Regelungen
78
79
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN
zur Kostenübernahme bei der Gesundheitsversorgung. Bei Therapien
hängt der Kostenträger davon ab, ob der Bedarf durch eine behandlungsbedürftige psychische Störung, eine Störung des Erziehungsprozesses oder aufgrund einer seelischen Behinderung entsteht. Liegt eine
behandlungsbedürftige psychische Störung vor, trägt die Krankenkasse
die Kosten, in anderen Fällen in der Regel das Jugendamt.
Mögliche Kostenträger für Therapien für unbegleitete
minderjährige Geflüchtete
Heilbehandlung
(SGB V)
Hilfe zur Erziehung
(SGB VIII)
Eingliederungshilfe
(SGB VIII)
Voraussetzung
Behandlungsbedürftige
psychische Störung
Störung des Erziehungsprozesses
Seelische Behinderung
Versorgungs
anspruch
Heilbehandlung
(Psychotherapie)
Unterstützung oder
Ergänzung des Erziehungsprozesses
Hilfen in Bezug auf psychische Belastung und
Besonderheiten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
Kostenträger
Krankenkasse
Jugendamt
Jugendamt
Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023
4
übernahme von Psychotherapie bei Krankenkassen. Fast alle wurden
bewilligt (97,8 %). Anträge auf Übernahme von Sprachmittlungs- und
Fahrtkosten waren deutlich weniger erfolgreich (Sprachmittlungskosten: 0 %, Fahrtkosten: 25,0 %) (n=44 PSZ).
Kostenübernahme durch Ermächtigung
2015 wurde bundesweit eine neue Regelung zur sogenannten Ermächtigung von Psychotherapeut*innen bzw. psychotherapeutischen Einrichtungen geschaffen. Danach können Psychotherapeut*innen und
Einrichtungen, die keinen Kassensitz haben, Therapien über die Krankenkassen abrechnen. Hierdurch soll ermöglicht werden, dass mehr
Psychotherapeut*innen geflüchtete Menschen behandeln können. Die
Regelung ist jedoch an einige Voraussetzungen gebunden, die die Nutzung erschweren. So dürfen ermächtigte Psychotherapeut*innen lediglich Asylsuchende behandeln, die zwar bereits 18 Monate in Deutschland
sind, aber noch keine Flüchtlingsanerkennung und keine Arbeit oder
Ausbildungsstelle haben, d. h. noch nicht sozialversicherungspflichtig
beschäftigt sind.
2021 verfügten lediglich fünf PSZ über eine institutionelle Ermächtigung,
ein PSZ über eine persönliche Ermächtigung (über eine*n psychotherapeutische*n Mitarbeiter*in) und ein PSZ über beides (n=43 PSZ). Fast alle
Anträge auf Kostenübernahme einer Therapie über die Ermächtigung
wurden bewilligt (98,8 %)(n=44 PSZ).
Sechs Zentren stellten im Jahr 2021 einen Antrag auf Kostenübernahme
einer Psychotherapie beim Jugendamt. Von den gestellten Anträgen
auf Psychotherapie wurden 75,0 % genehmigt, bei Dolmetscherkosten
90,5 % und bei Fahrtkosten 35,3 % (n=44 PSZ).
Kostenübernahme durch die Krankenkassen
Wie bereits beschrieben nehmen die PSZ prioritär Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und entsprechend ohne gesetzliche Krankenversicherung als Klient*innen auf. Vor diesem Hintergrund sind
Krankenkassen sehr selten Kostenträger ihrer psychotherapeutischen
Leistungen. 2021 stellten lediglich drei Zentren einen Antrag auf Kosten-
80
81
5
FORDERUNGEN
&
AUSBLICK
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
5 — Forderungen &
Ausblick
5.1 Forderungen
Auch die Daten von 2021 zur psychosozialen Versorgung geflüchteter
Menschen in Deutschland zeigen, dass eine deutliche Erweiterung der
Kapazitäten notwendig ist, um Überlebenden von Krieg, Folter und
Flucht eine angemessene Rehabilitationsmöglichkeit zu bieten. Der
Zugang geflüchteter Menschen zur gesundheitlichen Regelversorgung
muss erleichtert werden, zumindest durch die Gleichstellung Asylsuchender mit gesetzlich Krankenversicherten und die flächendeckende
Finanzierung von Sprachmittlung. Die Psychosozialen Zentren (PSZ)
mit ihren spezialisierten und multiprofessionellen Angeboten müssen
nachhaltiger finanziert werden, damit sie auch in Zukunft Schutzsuchende bedarfsgerecht unterstützen können. Darüber hinaus müssen
Aufnahmebedingungen humaner gestaltet werden, so dass sie nicht zu
einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit von geflüchteten
Menschen führen.
Die BAfF fordert folgende grundlegende strukturelle Veränderungen,
damit die Bedarfe schutzsuchender Menschen angemessen bedient
werden können:
Aufnahme und Aufenthalt
1. den Auf- und Ausbau von Wohnräumen für geflüchtete Menschen
mit ausreichend Privatsphäre, Zugang zu sozialen Netzwerken/
Gemeinschaften und unabhängigen Beratungsangeboten (Sozialberatung, Rechtsberatung, gesundheitliche Beratung etc.);
84
FORDERUNGEN & AUSBLICK
2.
3.
5
die Einführung einer unabhängigen Stelle zur Sicherung menschenwürdiger Bedingungen in Unterkünften für geflüchtete Menschen
bundesweit;
eine realistische Bleibeperspektive für alle schutzbedürftigen Personen, unabhängig von ihrer Herkunft, die sich bereits in Deutschland aufhalten;
Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und Sozialleistungen
4. verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt inklusive vereinfachter
Anerkennungsmöglichkeiten ausländischer Berufsabschlüsse;
5. den uneingeschränkten Zugang geflüchteter Menschen zum Sozialleistungssystem inklusive Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsmaßnahmen;
6. vereinfachte Möglichkeiten als Person, die keine deutschen (Schul-)
Abschlüsse hat, Ausbildungen und Studiengänge aufzunehmen;
7. Sicherstellung von Zugang zur regulären Schule und Kindertagesstätten auch für Kinder, die in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen;
Zugang zum Sozial- und Gesundheitswesen
8. dass geflüchtete Menschen von Anfang an in allen Bundesländern
eine Krankenkassenkarte erhalten, das öffentliche Gesundheitssystem mit denselben Ansprüchen wie gesetzlich Versicherte nutzen können und in die gesetzliche Pflegeversicherung einbezogen
werden;
9. die Verstetigung spezialisierter Hilfen für Überlebende von Gewalt
in PSZ durch flächendeckende und nachhaltige Finanzierung von
Bund und Ländern;
Sprachmittlung
10. eine allgemeine Finanzierung von Sprachmittlung im sozialen,
rechtlichen und gesundheitlichen Bereich für Menschen ohne
oder mit geringen Deutschkenntnissen über einen gesetzlichen
Anspruch, vergleichbar mit dem Gebärdendolmetschen. Dieser
müsste auch über das Asylbewerberleistungsgesetz, insbesondere
für Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung in den ersten
85
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
18 Monaten ihres Aufenthaltes, erreichbar sein und die Kostenübernahme für sie verbindlich regeln;
11. die nachhaltige Finanzierung von Sprachmittlung im multiprofessionellen Versorgungsangebot der PSZ, welches neben therapeutischen Angeboten auch Sozial- und Rechtsberatung enthält;
denn gerade wiederholt sich das alte Spiel. Wieder einmal steigt die Zahl
der ums Leben gekommenen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung
nach Europa fliehen. Wieder einmal wird das Recht auf Asyl gebrochen.
Wieder einmal gehen von den Sicherheitskräften der EU-Mitgliedsstaaten massive Menschenrechtsverletzungen aus.
Identifizierung von Schutzbedarfen
12. die nachhaltige Finanzierung, Umsetzung und Qualitätssicherung
eines flächendeckenden, zielgruppenübergreifenden und systematischen Konzepts zur Identifizierung und Versorgung besonders
schutzbedürftiger geflüchteter Menschen auf Basis der EU-Aufnahmerichtlinie;
13. die gesetzliche Regelung, dass krankheitsbedingte Abschiebungsverbote und -hindernisse systematisch berücksichtigt werden
müssen und durch alle fachlich dafür qualifizierten Berufsgruppen
festgestellt werden können (darunter auch Psychologische Psychotherapeut*innen);
In Deutschland werden Menschen, die extreme Gewalterfahrungen von
Krieg, Folter und Verfolgung erlitten, die aus Afghanistan, dem Iran, den
kurdischen Gebieten, aus Sudan oder Syrien fliehen mussten, zusätzlichen Belastungen ausgesetzt: durch strukturellen Rassismus, durch
staatliche Ungleichbehandlung oder unwürdige Unterbringung.
Sensibilisierung des Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und
Behördenwesens
14. die Fortbildung von Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-, Rechtsund Behördenwesen in diskriminierungssensibler Arbeit im Kontext Flucht und Menschenrechtsverletzungen, unter anderem durch
Integration dieser Themen in Ausbildungscurricula;
Verbesserung der Datenlage
15. die Verbesserung der Datenlage über die gesundheitlichen und psychosozialen Bedarfe und die Versorgung geflüchteter Menschen.
5.2 Ausblick
Es ist 75 Jahre her, dass die Allgemeine Erklärung der Menschen
rechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris
verabschiedet wurde. Doch sie hat nichts von ihrer Bedeutung verloren,
86
FORDERUNGEN & AUSBLICK
5
All diese Belastungen, die geflüchtete Überlebende ertragen müssen,
werden in den Psychosozialen Zentren, die sich im Bundesverband BAfF
organisieren, versucht aufzufangen. Diesem oft scheinbar über die Grenzen des Möglichen hinausgehenden Engagement für ein inklusiveres
Gesundheitssystem, das die Menschenrechte achtet und humane Aufnahmebedingungen schafft, gilt unser größter Respekt und Dank.
Gemeinsam setzen wir uns für einen diskriminierungsfreien und
bedarfsgerechten Zugang zur gesundheitlichen und sozialen Versorgung geflüchteter Überlebender ein.
Als Unterzeichnerstaat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
steht Deutschland in der Pflicht, diese zu achten – im Inland genauso
wie im Rahmen der EU und internationaler Beziehungen. Vor 30 Jahren
wurde das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt, das die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Asylsuchenden im Sozial- und
Gesundheitssystem manifestiert. Und die aktuelle Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems lässt Schlimmes befürchten.
Die Institutionen, die versuchen Asylsuchenden ein Mindestmaß an sozialen und gesundheitlichen Standards zu ermöglichen, werden in ihrem
Engagement ausgebremst oder müssen wegen fehlender Unterstützung
aufgeben. Die Finanzierung etwa der Psychosozialen Zentren ist derart
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
komplex, unsicher und wenig nachhaltig, dass es vielerorts nicht
gelingt, dringend notwendige Angebote für geflüchtete Überlebende
bereitzuhalten. Die eklatante Verzögerung der Förderung durch den EUFonds AMIF, eine wesentliche Finanzierungssäule, macht Engagement
unmöglich und zerstört die wenigen vorhandenen, oft durch Ehrenamt
getragenen Strukturen.
Die Bundesregierung möchte Asylverfahren fairer und zügiger gestalten.
Dabei wurde versäumt, die unangemessenen Anforderungen an ärztliche Atteste und Stellungnahmen zur Bescheinigung krankheitsbedingter Abschiebehindernisse zu ändern. Neben der Anerkennung von
Psychologischen Psychotherapeut*innen zur Diagnostik psychischer
Erkrankungen fordern wir, dass die Beweislast bei den Behörden und
nicht mehr bei den Betroffenen liegt. Die Kosten für die Erstellung von
ausführlichen und unabhängigen Expertisen sollten von den Behörden
übernommen werden, da sie zur Sachaufklärung verpflichtet sind und
viele Betroffene nicht über die finanziellen Mittel verfügen, die Kosten
selbst zu tragen.
Hier finden Sie unser Positionspapier „Lebensgefahr durch
Abschiebung“: https://www.baff-zentren.org/themen/fluchttrauma/positionspapier-lebensgefahr-durch-abschiebungenschwerkranke-gefluechtete-muessen-besser-geschuetzt-werden/
Hier finden Sie mehr Informationen zur geplanten Verfassungs
beschwerde gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte
und ProAsyl: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/schutzschwerkranker-menschen-vor-abschiebung/
Als besonders schutzbedürftig definiert die EU-Aufnahmerichtlinie
geflüchtete Menschen, die massive Gewalt erfahren haben oder unter
schweren psychischen Erkrankungen leiden. Deutschland ist dazu verpflichtet, besondere Schutzbedarfe von Menschen im Asylverfahren zu
identifizieren und diesen Bedarfen in der Unterbringung und Versorgung
nachzukommen.
88
FORDERUNGEN & AUSBLICK
5
In unserem Modellprojekt „BeSAFE – Besondere Schutzbedarfe bei der
Aufnahme erkennen” wurde erstmals ein Konzept zur systematischen
und zielgruppenübergreifenden Identifizierung besonders schutzbedürftiger geflüchteter Menschen nach der Aufnahme in Deutschland entwickelt, pilotiert und evaluiert. Nun stehen die Ergebnisse und Erkenntnisse allen Bundesländern sowie NGOs sowie der freien Wohlfahrt zur
Verfügung. Damit beraten und begleiten wir bei der Implementierung
bedarfs- und standortgeeigneter Identifizierungsmaßnahmen.
Die Toolbox mit Leitfäden für die Praxis, Arbeitsvorlagen für wichtige Dokumente sowie das Policy Paper finden Sie hier: https://
www.baff-zentren.org/publikationen/toolbox-schutzbedarfe
Um Sprachmittlung in der medizinischen, psychotherapeutischen
und psychosozialen Versorgung für Menschen ohne oder mit geringen
Deutschkenntnissen sicherzustellen, braucht es einen gesetzlichen
Anspruch, damit eine fachgerechte Beratung, Diagnostik, Aufklärung
und Behandlung ermöglicht werden kann. Die Bundesregierung möchte
diese gesetzliche Regelung über die Sozialgesetzbücher auf den Weg
bringen, bis heute liegt aber kein Entwurf vor. Zudem braucht es eine
äquivalente Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz, um dem Großteil der Klient*innen der PSZ eine gesicherte Finanzierung von Sprachmittlung zu gewährleisten.
Gemeinsam mit Verbänden aus dem Gesundheitswesen (DGPPN,
BPtK, ackpa, DeGPT und BDK) hat die BAfF ein Positionspapier zur
Umsetzung eines gesetzlichen Anspruchs auf Sprachmittlung veröffentlicht: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/positionspapiersprachmittlung-2022/
Die BAfF hat gemeinsam mit den PSZ Leitlinien für Sprachmittlung
im Kontext Flucht erarbeitet und veröffentlicht: https://www.baffzentren.org/aktuelles/leitlinien-sprachmittlung/
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Im Rahmen von Kooperationsprojekten haben wir auch die fachliche
Qualität der psychosozialen Unterstützung für geflüchtete Über
lebende weiterentwickelt.
Das Projekt „InTo Justice. Interdisziplinäre Dokumentation und ganzheitliche Rehabilitation von Folter und Folterfolgen“ hatte zum Ziel,
Folterspuren interdisziplinär zu dokumentieren und die Rehabilitation
der Überlebenden zu ermöglichen. Orientiert an den Standards zur
Dokumentation von Folterfolgen und den Möglichkeiten der Umsetzung
in Deutschland wurde während der Projektlaufzeit ein Versorgungspfad für Überlebende von Folter und schwerer Gewalt in vier Schritten
systematisiert:
— Identifizierung
— vertiefte Bedarfsklärung
— interdisziplinäre Sachverhaltsaufklärung in Kooperation
mit der Rechtsmedizin
— Rehabilitation
In der aus dem Projekt „InTo Justice” entstandenen Publikation
„Überlebende von Folter und schwerer Gewalt – Wege in die Rehabilitation” wird dieser Versorgungspfad anhand von Fallbeispielen
anschaulich erläutert. Die Publikation und weitere Informationen
zum Folgeprojekt sind hier zu finden: https://folterfolgen.de/
Durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine befinden wir uns zudem
in einer neuen asyl- und gesellschaftspolitischen Situation. Die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine war lange hoch. Anders als in
vergangenen Krisen erhielten die meisten Geflüchteten unbürokratisch
temporären Schutz und einen gleichberechtigten Rechtsanspruch auf
Gesundheitsversorgung. Das zeigt vorbildhaft: Wenn der politische Wille
da ist, ist vieles möglich. Dennoch standen Fachkräfte im Aufnahme-, im
Jugendhilfe- und im Gesundheitssystem im letzten Jahr vor enormen
Herausforderungen. Einige davon waren neu, andere hingegen sind
Ausdruck systemimmanenter Defizite, die bereits seit vielen Jahren
90
FORDERUNGEN & AUSBLICK
5
bestehen. In unserem Kooperationsprojekt „Vorbild Ukraine? Hilfesysteme der Zukunft“ haben wir deshalb aufgezeigt, was Unterstützungsstrukturen brauchen, damit Kinder und Jugendliche aus der Ukraine
hier sicher und geschützt vor weiteren Belastungen ankommen können.
Auf einer zweitägigen Fachtagung im Juni 2023 haben wir die
Erfahrungen von jungen Menschen aus der Ukraine und den sie
begleitenden Fachkräften reflektiert, Potenziale für die Unterstützungsstrukturen aufgezeigt und sie mit den Perspektiven
von Selbstorganisationen und Entscheidungsträger*innen zusammengebracht. Wir haben gesehen, was Solidarität und Selbstorganisation für die Selbstwirksamkeit und die Perspektiven geflüchteter Menschen bedeuten können. So wurde aber auch klar,
welche immanenten Lücken es im System gibt und wie schnell
sich humanitäres Engagement erschöpft, wenn Aufnahme- und
Versorgungsstrukturen nicht nachhaltig qualifiziert und vernetzt,
strukturell verankert und herkunftsunabhängig allen Schutzsuchenden zugänglich gemacht werden.
Informationen und Ergebnisse zum Projekt finden sich unter:
https://www.baff-zentren.org/projekte/vorbild-ukraine/
Auf unseren Jahrestagungen stellen wir aktuelle Themen der psychosozialen Versorgung im Kontext Flucht und Gewalt sowie Schwerpunkte
unserer Arbeit in den Fokus.
„Gerechtigkeit heilt. Psychosoziale Zentren für Geflüchtete als
Menschenrechtsorganisationen und Versorgungsstruktur“ stand
im Mittelpunkt der Bochumer Tagung 2023: https://www.baffzentren.org/aktuelles/baff-tagung-2023/
„Posttraumatisches Wachstum? Unterstützung von Transformationsprozessen nach Trauma und Krisen“ war der Schwerpunkt der
Tagung 2022 in Leipzig: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/
bundesfachtagung-der-psychosozialen-zentren/.
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Die Erhebung von Versorgungsdaten ist ein zentrales Instrument
unserer politischen und fachlichen Arbeit. Derzeit arbeiten wir an der
Weiterentwicklung des Datenbanksystems, um die Datenerhebung in
den PSZ zu verbessern.
Im Rahmen der transnationalen Vernetzung stärken wir die Zusammenarbeit zwischen Akteur*innen in Europa, die vor Ort psychosoziale
Unterstützung für Geflüchtete und Folterüberlebende leisten und dabei
einen menschenrechtlichen Ansatz verfolgen und politisch aktiv sind.
In dem vom Auswärtigen Amt geförderten Projekt „Razom – Gemeinsam“ unterstützt die BAfF ukrainische Fachkräfte der psychosozialen
Versorgung im Kontext von Flucht und Gewalt im Zuge des russischen
Angriffskriegs, der Besatzung, Verfolgung und Vertreibung. Ziel der Qualifizierungsmaßnahmen ist die Stärkung der Qualität und Nachhaltigkeit
einer menschenrechtsorientierten psychosozialen und psychologischen
Unterstützung, insbesondere in der Ukraine sowie in anderen europäischen Ländern.
Darüber hinaus unterstützt die BAfF seit einigen Jahren ein transnationales Netzwerk von Gesundheitsfachkräften und Menschenrechtsverteidiger*innen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion
Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Russland und Ukraine.
Das Netzwerk leistet psychosoziale Unterstützung für Opfer struktureller politischer Gewalt. Die Teilnehmenden werden hinsichtlich ihrer
Kompetenzen in traumasensibler Arbeit, zum Schutz vor Burn-out
(wie Selbstfürsorge und Aufbau von Peer-Support-Strukturen) sowie
hinsichtlich ihrer Vernetzung innerhalb und über die Ländergrenzen
hinweg gestärkt. Ende 2022 kamen die Mitglieder des Netzwerks das
erste Mal im Rahmen einer zweitätigen Fachtagung in Berlin zusammen. Die Gesundheitsfachkräfte der beteiligten Länder diskutierten
verschiedene Aspekte ihrer psychosozialen Arbeit und die Herausforderungen in ihren jeweiligen Kontexten. Es ist geplant, die bisherige
Projektarbeit fortzuführen und das Netzwerk weiter zu konsolidieren.
Dabei soll der inhaltliche Fokus auf der theoretischen Vermittlung
92
FORDERUNGEN & AUSBLICK
5
und praktischen Implementierung der Ansätze des menschenrechts
orientierten psychosozialen Modells in der Arbeit mit Geflüchteten
und Folterüberlebenden liegen.
Im Rahmen des Projekts Razom findet im Oktober 2023 eine
europäische Konferenz in Warschau statt. Sie schafft Räume für
transnationale Vernetzung, gegenseitige Unterstützung und Wissensaustausch zwischen Praktiker*innen, die sich für besonders
schutzbedürftige Geflüchtete und Binnenvertriebene einsetzen,
insbesondere mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine. Im Fokus
steht die Förderung eines gemeinsamen multiperspektivischen
Verständnisses von psychosozialer Unterstützung und Stabilisierung im Kontext von Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Asyl und
Grenzregimen: https://www.baff-zentren.org/projekte/razom/
Ende 2022 organisierte die BAfF gemeinsam mit Menschenrechtsverteidiger*innen und Akteur*innen der psychosozialen Unterstützung aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine internationale Tagung. Dabei wurde unter anderem erörtert, wie Hilfe
für Helfer*innen erfolgen kann, die bereits vor dem Krieg wenig
Unterstützung erfuhren, sich vor Ort um Überlebende von Krieg
und Gewalt kümmern und nun in ihrer Arbeit konstant über ihre
eigenen Grenzen gehen. Der Deutschlandfunk hat einen Beitrag
darüber verfasst: https://www.deutschlandfunk.de/ukrainekrieg-helfer-kriegshelfer-zivil-100.html
Die Publikation „Connected in Transit“ ermöglicht einen Einblick
in die Perspektiven der Praktiker*innen im Feld der psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten und Migrant*innen in den
westlichen Balkanstaaten und in Deutschland. Der Bericht reflektiert die Ergebnisse und Prozesse unseres Projekts „Sharing Knowledge and Practices“, das Fachleuten aus der Praxis ermöglichte,
ihr Wissen und ihre Erfahrungen in der ganzheitlichen Unterstützung für Geflüchtete und Überlebende von Menschenrechtsverletzungen auszutauschen. Die Publikation zeigt anhand von Good-
93
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Practice-Beispielen, konkreten Fallbeispielen und Empfehlungen
der Teilnehmer*innen die Relevanz des Projekts, aber letztlich
auch die Bedeutung des transnationalen Austauschs zwischen
den sogenannten Transit- und Aufnahmekontexten: https://www.
baff-zentren.org/aktuelles/connected-in-transit/
94
6
LITERATURVERZEICHNIS
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
6 — Literatur
verzeichnis
LITERATURV ERZEICHNIS
6
https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/03/2019-03-01_STN_BPtK_
BAfF_Geordnete-R%c3%bcckkehr-Gesetz.pdf
Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und BAfF (2021). Sprachmittlung als
Leistung ins SGB V aufnehmen. Für fremdsprachige Patient*innen den Zugang zur
Gesundheitsversorgung verbessern. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/
wp-content/uploads/2021/05/BAfF_BPtK_Positionspapier_Sprachbarrieren-in-derGesundheitsversorgung.pdf
Deutsches Ärzteblatt (2021). Psychotherapie: Fragen für eine gerechte Versorgung.
Bozorgmehr, K.; Biddle, L.; Gottlieb, N. (2022). Gesundheitssystem zwischen Krise
und Integration: Lehren aus 30 Jahren Fluchtmigration. In: GGW 2022,·Jg. 22, Heft 3
(September), 15–26. Verfügbar unter: https://gg-digital.de/imperia/md/gug/archiv/
ggw_0322.pdf
BAfF (2021). Lebensgefahr durch Abschiebungen: Schwerkranke Geflüchtete müssen
besser geschützt werden. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/
wp-content/uploads/2021/04/BAfF_Forderungen-zum-Schutz-schwer-krankerGefluechteter_2021.pdf
Baron, J. & Flory, L. (2019). Versorgungsbericht. Zur psychosozialen Versorgung
von Flüchtlingen und Folteropfern. 5. Aktualisierte Auflage. Bundesweite Arbeits
gemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.
Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/11/BAfF_
Versorgungsbericht-5.pdf
Baron, J.; Flory, L.; Krebs, D. (2020). Living in a Box. Psychosoziale Folgen des
Fragen-fuer-eine-gerechte-Versorgung
Hamber, B. (2009). Transforming Societies after Political Violence: Truth, Reconciliation,
and Mental Health. New York: Springer
Herman, J. (1992). Trauma and Recovery. The Aftermath of Violence – from Domestic
Abuse to Political Terror. New York: Basic Books
Janda, C. (2021). Existenzminimum, Gleichbehandlung, Menschenwürde: Rechtliche
Anforderungen an die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden. In: Nowak, A.C.;
Krämer, A.; Schmidt, K. (Hrsg.), Flucht und Gesundheit. Facetten eines interdiszi
plinären Zugangs. Z’Flucht, Sonderband, Baden-Baden: Nomos, 31-49
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2022). Gutachtenstatistik 2021. Verfügbar unter:
https://www.kbv.de/media/sp/2022_12_14_Gutachtenstatistik_2021_final.pdf
Keilson, H. (1979). Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Stuttgart: Enke
Lindert, J.; Ehrenstein, O. S. von; Wehrwein, A.; Brähler, E.; Schäfer, I. (2018).
Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder. Verfügbar unter:
Angst, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen bei Flüchtlingen
https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/05/BAfF_Living-in-a-box_
– eine Bestandsaufnahme. PPmP - Psychotherapie Psychosomatik Medizinische
Kinder-in-Ankerzentren.pdf
Becker, D. (1992). Ohne Hass keine Versöhnung. Das Trauma der Verfolgten. Freiburg:
Kore Verlag
Brücker, H.; Croisier, J.; Kosyakova, Y.; Kröger, H.; Pietrantuono, G.; Rother, N.;
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98
Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/120474/Psychotherapie-
Vol. 13, 100725
Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-
Steel, Z.; Chey, T.; Silove, D.; Marnane, C.; Bryant, R.A.; van Ommeren, M. (2009).
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99
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
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Verfügbar unter: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/
Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf
Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (2013). Stellungnahme der
Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren
Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer „Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund“. Deutsches Ärzteblatt, 110(18),
A-899 / B-783/ C-779.
100
7
ANHANG
BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
ANHANG
7
7 — Anhang
Duldung („vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“): Eine Duldung ist der recht-
7.1 Glossar
liche Status, den ausreisepflichtige Personen erhalten, wenn eine Abschiebung nicht möglich
ist (beispielsweise weil Abschiebungsverbote vorliegen).
Abschiebungsverbot: Bei Personen, die weder eine Anerkennung als Asylberechtigte*r,
EU-Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des
Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch als subsidiäre*r Schutzberechtigte*r
Rates): Die EU-Aufnahmerichtlinie definiert die Mindeststandards für die Aufnahme von
erhalten, kann ein Abschiebungsverbot festgestellt werden, wenn bestimmte Gründe gegen
Schutzsuchenden durch die EU-Mitgliedstaaten bezüglich Unterbringung, medizinischer
eine Abschiebung sprechen. Es wird zwischen inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen
Versorgung sowie Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt.
(§60a Abs. 2c, 2d AufenthG) und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (§60 Abs. 5,
7 AufenthG) unterschieden. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse können dann erteilt
Ermächtigung (nach §31 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte): Mit einer Ermächti-
werden, wenn eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mög-
gung können Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz Therapien über die Krankenkassen
lich ist, beispielsweise bei krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit oder fortdauernder Pass-
abrechnen. Diese Regelung gilt jedoch nur für die Behandlung von Schutzsuchenden, die
losigkeit. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote werden dann erteilt, wenn besonders
bereits 18 Monate in Deutschland leben, aber noch keine Flüchtlingsanerkennung haben
schlechte humanitäre Bedingungen im Herkunftsland und/oder erhebliche konkrete Gefahr
und noch nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
für Leib, Leben oder Freiheiten durch das BAMF festgestellt werden.
Niederlassungserlaubnis: Eine Niederlassungserlaubnis ist der rechtliche Status, mit dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG): Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt den
sich Nicht-EU-Ausländer*innen unbefristet in Deutschland aufhalten können. Die Voraus-
Anspruch von Personen auf Geld- und Sachleistungen während des Asylverfahrens.
setzungen für die Erteilung werden im Aufenthaltsgesetz geregelt und berücksichtigen unter
anderem die Dauer des bisherigen Aufenthalts in Deutschland, die Lebensunterhaltssiche-
Aufenthaltsgestattung: Eine Aufenthaltsgestattung ist der rechtliche Status, den Personen
rung, die Beschäftigungssituation und Kenntnisse der deutschen Sprache.
während des Asylverfahrens erhalten.
Psychologische*r Psychotherapeut*in: Psychologische Psychotherapeut*innen unterBesonders Schutzbedürftige: Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und
scheiden sich von ärztlichen Psychotherapeut*innen dadurch, dass sie ein Psychologie-
des Rates (Aufnahmerichtlinie) definiert bestimmte Personengruppen als besonders Schutz-
studium und nachfolgend eine Psychotherapeut*innenausbildung absolviert haben statt
bedürftige. Zu diesen zählen: (unbegleitete) Minderjährige, Menschen mit Behinderung,
eines Medizinstudiums und einer Ausbildung zur*m Fachärzt*in. Bei der Mehrheit der
ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von
niedergelassenen Psychotherapeut*innen in Deutschland handelt es sich um Psychologische
Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychi-
Psychotherapeut*innen.
schen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen
psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Die EU-Mitgliedstaaten sind
Sichere Herkunftsstaaten: Bei sogenannten sicheren Herkunftsstaaten geht das BAMF
dazu verpflichtet, besonders schutzbedürftige Geflüchtete zu identifizieren und angemessen
davon aus, dass dort keine staatliche Verfolgung stattfindet und dass der Staat vor Verfol-
zu versorgen. Hierzu zählt die Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse im Asylver-
gung durch Dritte schützen kann. Personen aus diesen Ländern haben deutlich schlechtere
fahren und bei der Unterbringung.
Chancen, einen Schutzstatus in Deutschland zu erhalten. Derzeit gehören zu den gesetzlich definierten sicheren Herkunftsstaaten: Mitgliedsstaaten der EU, Albanien, Bosnien und
Dublin-Verfahren: Im Dublin-Verfahren wird geprüft, welcher EU-Staat für die Durchfüh-
Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien.
rung eines Asylverfahrens zuständig ist. Wurde beispielsweise eine Person bereits in einem
anderen EU-Staat als Asylsuchende*r registriert, kann sie im Rahmen des Dublin-Verfah-
Unbegleitete Minderjährige Geflüchtete/Flüchtlinge (UMF): Minderjährige, die ohne
rens in dieses Land zurückgeschoben werden (Dublin III-VO (EU) Nr. 604/2013 i.V.m. der
Begleitung durch erziehungsberechtigte Personen nach Deutschland geflüchtet sind, werden
Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO (EU) Nr. 118/2014 und der EURODAC II-VO (EU)
als unbegleitete minderjährige Geflüchtete/Flüchtlinge bezeichnet. Für sie gelten besondere
Nr. 603/2013).
Regelungen bezüglich der Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicher Versorgung.
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
ANHANG
7.2 Übersicht der PSZ
Die Psychosozialen Zentren finden sich in allen Bundesländern.*
45 Kiel
Rostock 24
46 Neumünster
Cuxhaven 25.6
23 Greifswald
18 / 19 / 20 Hamburg
Oldenburg 25.5 / 26
16.8 Lk Ostprignitz-Ruppin
16.1 Lk Barnim
12 / 13 / 14 / 15 / 16 Berlin
Potsdam 16.7
25.1 Hannover
16.4 Lk Oder-Spree
Braunschweig 25.2
Lk Teltow-Fläming 16.6
44.2 Magdeburg
16.5 Lk Spree-Neiße
32 Bielefeld
Lk Oberspreewald-Lausitz 16.3
16.2 Lk Elbe-Elster
Osnabrück 25.7
Münster 28
31 Dortmund
29 Mark-Ruhr
30 Düsseldorf
27 Köln
33 Aachen
25.3 Göttingen
Bochum 34
Mayen 39
25.4 Lüneburg
17 Bremen
Erfurt 47.2
44.1 Halle
43 Leipzig
42 Dresden
47.1 Jena
41 Chemnitz
35 Montabaur
Mainz 36
38 Trier
21 / 22 Frankfurt
37 Ludwigshafen a. R.
11 Nürnberg
40 Saarbrücken
3 / 4 Karlsruhe
8 Ulm
9 Villingen-Schwenningen
1 / 2 Lörrach
*
Weitere Informationen zu den PSZ-Standorten:
https://www.baff-zentren.org/hilfe-vor-ort/psychosoziale-zentren/
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BAYERN
10 REFUGIO München – Beratungs- und Behandlungs
zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer
11 PSZ Nürnberg – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge
BERLIN
12 Zentrum Überleben gGmbH
13 XENION Berlin – Psychotherapeutische Beratungsstelle
für politisch Verfolgte
14 MeG betreutes Wohnen gGmbH, Psychosoziale Unterstützung und Therapie für Migrant_innen erster Generation
15 Fachstelle für LSBTI*-Geflüchtete
BRANDENBURG
16 PSZ Brandenburg – mit folgenden Standorten in
Brandenburg: 16.1 Landkreis Barnim, 16.2 Landkreis
Elbe-Elster, 16.3 Landkreis Oberspreewald-Lausitz,
16.4 Landkreis Oder-Spree, 16.5 Landkreis Spree-Neiße,
16.6 Landkreis Teltow-Fläming, 16.7 Potsdam,
16.8 Landkreis Ostprignitz-Ruppin,
BREMEN
17 REFUGIO Bremen – Psychosoziales Zentrum für
ausländische Flüchtlinge
HAMBURG
18 SEGEMI – Seelische Gesundheit Migration und Flucht e.V.
19 Lichtpunkt. Traumatherapie und Psychosoziales Zentrum
20 PSB Flucht – Psychosoziale Beratung für Flüchtlinge
6 / 7 Stuttgart
Freiburg 5
BADEN-WÜRTTEMBERG
1 Nadia Murad Zentrum (Standort Lörrach)
2 Traumanetzwerk Lörrach
3 Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten e. V.
Karlsruhe
4 PSZ Nordbaden (Standort Karlsruhe)
5 Refugium Freiburg – Psychosoziale und medizinische
Beratung und Koordinierung für Geflüchtete
6 refugio Stuttgart e. V. – Psychosoziales Zentrum für
traumatisierte Flüchtlinge
7 PBV Stuttgart – Psychologische Beratungsstelle für
politisch Verfolgte und Vertriebene
8 BFU Ulm – Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm
9 REFUGIO Villingen-Schwenningen – Kontaktstelle für
traumatisierte Flüchtlinge
10 München
HESSEN
21 FATRA Frankfurt/M. – Frankfurter Arbeitskreis Trauma
und Exil e. V.
22 Ev. Zentrum für Beratung und Therapie Frankfurt/M.
– Haus am Weißen Stein – Beratung und Therapie für
Flüchtlinge
7
MECKLENBURG-VORPOMMERN
23 Psychosoziales Zentrum für Migranten in Vorpommern,
Greifswald
24 Psychosoziales Zentrum Rostock für Geflüchtete &
Migrant_innen
NIEDERSACHSEN
25 Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen
e.V. – mit folgenden Standorten: 25.1 Hannover,
25.2 Braunschweig, 25.3 Göttingen, 25.4 Lüneburg,
25.5 Oldenburg, 25.6 Cuxhaven, 25.7 Osnabrück
26 IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle e. V., Oldenburg
NORDRHEIN-WESTFALEN
27 Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und
Flucht (Standort: Köln)
28 Refugio Münster – Psychosoziale Flüchtlingshilfe
29 PSZ für Flüchtlinge Diakonie Mark-Ruhr
30 Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf
31 Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Dortmund
32 PSZ Bielefeld – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge
33 PSZ Aachen – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in
der Städteregion Aachen (PÄZ Aachen e.V.)
34 MFH Bochum – Medizinische Flüchtlingshilfe e. V.
RHEINLAND-PFALZ
35 PSZ Montabaur
36 Psychosoziales Zentrum für Flucht und Trauma
(Standort: Mainz)
37 Psychosoziales Zentrum Pfalz, Ludwigshafen am Rhein
38 Ökumenische Beratungsstelle für Flüchtlinge, Trier
39 IN TERRA – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge,
Mayen
SAARLAND
40 PSZ Saarbrücken – Psychosoziales Beratungszentrum
des Deutschen Roten Kreuzes
SACHSEN
41 Psychosoziales Zentrum – Beratungsstelle Chemnitz
42 Psychosoziales Zentrum Dresden
43 Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete Leipzig
SACHSEN-ANHALT
44 Psychosoziales Zentrum für Migrantinnen und Migranten
(Standorte in 44.1 Halle (Saale) und 44.2 Magdeburg)
SCHLESWIG-HOLSTEIN
45 Brücke Schleswig-Holstein, Kiel
46 Psychosoziale Anlaufstelle für Geflüchtete
(Standort: Neumünster)
THÜRINGEN
47 Refugio Thüringen – Psychosoziales Zentrum für
Flüchtlinge (Standorte in 47.1 Jena und 47.2 Erfurt)
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BAfF
PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023
Impressum
H E R A U S G E B E R I N : Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der
Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Paulsenstraße 55–56, 12163 Berlin
+49 (0) 30 – 310 124 63
E -M A I L : info@baff-zentren.org
W E B : www.baff-zentren.org
TEL.:
Yukako Karato
Dr. Patrick Baumgärtel
G E STA LT U N G & S ATZ : Hartmut Friedrich-Pfefferkorn
D R U C K : Onlineprinters
PA P I E R : Innenteil 110 g/m² Recyclingpapier (klimaneutral)
Umschlag 300 g/m² Recyclingkarton
A U TO R I N :
L E KTO R AT:
Die Publikation kann über den Online-Shop der BAfF bestellt werden:
http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/shop/
H E R Z L I C H E N D A N K an die Psychosozialen Zentren, die einen Teil ihrer
knappen Zeit für die Teilnahme an der Datenerhebung aufbrachten.
Vielen Dank an Jenny Baron, Lea Flory und Lenssa Mohammed für die
Konzipierung der bisherigen Versorgungsberichte und an Isabelle
Hindenberg für die Unterstützung bei der Endredaktion. Abschließend
möchte ich mich auch beim BAfF-Team und dem Vorstand für ihr
hilfreiches Feedback bedanken.
Diese Publikation wurde aus
Mitteln des Bundesministeriums
für Familien, Senioren, Frauen
und Jugend finanziert.
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