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Full text: Flucht & Gewalt (Rights reserved) Ausgabe 2023 (Rights reserved)

FLUCHT & GEWALT Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2023 FLUCHT & GEWALT Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2023 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 INHALT Inhalt 4 Ι Grußwort der Bundespsychotherapeutenkammer 04 ΙΙ Vorwort 06 ΙΙΙ Zusammenfassung 10 ΙV Key Facts 12 1 E I NLEI T UNG 14 2 HI NT ERGRUND DE R PSYCHOSOZIALE N ZE NTR EN 20 2.1 Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung 2.2 Ansatz der PSZ 22 24 M Ö GLI CH K EI TEN UND GR E NZE N VON KURZZEI T T ­ H ERA PI E I N E I NEM PSYCHO SOZIALE N ZE NTR UM 28 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 Rahmenbedingungen Ablauf und Diagnostik Therapeutische Methoden Ergebnisse 3.4.1 Beschreibung der Stichprobe 3.4.2 Auswertung Zusammenarbeit mit weiteren Hilfesystemen Diskussion und Ausblick 3.6.1 Besonders hilfreiche Aspekte einer ressourcenorientierten KZT im PSZ 3.6.2 Bewertung der verwendeten Diagnostik 3.6.3 Bewertung der Umsetzbarkeit einer ressourcenorientierten KZT im Kontext eines PSZ Fazit Literatur 30 32 33 36 36 37 39 40 40 43 46 47 49 [] DAT E N AUS DE N PSYC HO S OZ I A L E N Z E N T R E N 52 4.1 Datenbasis 4.2 Rahmenbedingungen in den PSZ 4.2.1 Leistungsspektrum 4.2.2 Trägerschaft 4.2.3 Mitarbeitende in den PSZ 4.3 Klient*innen der PSZ 4.3.1 Anzahl und soziodemografische Merkmale der Klient*innen 4.3.2 Genutzte Angebote 4.3.3 Aufenthaltssituation 4.3.4 Hauptherkunftsländer 4.4 Zugang zu den PSZ 4.4.1 Vermittelnde Akteur*innen 4.4.2 Anfahrtszeiten 4.5 Versorgungsprozess 4.5.1 Klient*innen in psychotherapeutischer Versorgung 4.5.2 Sprachmittlung 4.6 Versorgungsengpässe 4.6.1 Ungedeckter Versorgungsbedarf 4.6.2 Wartezeiten 4.6.3 Aufnahme von Klient*innen 4.6.4 Weitervermittlung von Klient*innen 4.7 Finanzierung 4.7.1 Finanzierungsstrukturen 4.7.2 Kostenübernahme von Psychotherapien 54 55 55 56 57 58 58 60 60 64 64 64 66 66 66 68 69 69 71 71 73 76 76 77 FO R DE R U N G E N & AUS BL I C K 82 5.1 Forderungen 5.2 Ausblick 84 86 6 L I T E RAT U RV E RZ E I C HN I S 98 7 A N HA N G 102 7.1 Glossar 7.2 Übersicht der PSZ 104 106 5 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 GRUSSWORT Grußwort der Bundes­ psychotherapeutenkammer Dass geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen die notwendige Behandlung vorenthalten wird, ist unethisch und unmenschlich! Denn psychische Erkrankungen wirken sich gravierend auf das alltägliche Leben der Erkrankten aus und erschweren die Integration: Wie soll ein Mensch sich in die deutsche Gesellschaft einleben, den Alltag bestreiten, Deutsch lernen, eine Ausbildung beginnen, das Studium fortführen oder eine Arbeit aufnehmen, wenn die Psyche nicht gesund ist? Selbst für einen psychisch gesunden Menschen wäre dies mit großen Herausforderungen verbunden. Für psychisch kranke Menschen ist das ein geradezu unmögliches Unterfangen. 04 Foto: © Raman El Atiaoui Viele der nach Deutschland geflüchteten Menschen haben schwere Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erlebt. Wer Krieg, Verfolgung und Flucht erleiden musste, ist häufig schwer traumatisiert und benötigt professionelle Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten. Obwohl psychische Gesundheit ein Menschenrecht ist, wird geflüchteten Menschen dieses Recht immer noch vorenthalten, indem ihnen der Zugang zur Gesundheitsversorgung massiv erschwert oder sogar verwehrt wird. Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland ist in den ersten 18 Monaten auf akute Erkrankungen beschränkt. Die psychotherapeutische Behandlung psychischer Erkrankungen wird nur in Ausnahmefällen genehmigt. Geflüchteten wird damit per Gesetz Psychotherapie verwehrt, obwohl sie bei vielen psychischen Erkrankungen die Behandlungsmethode der ersten Wahl ist. Aber auch wenn psychisch erkrankte Geflüchtete nach vielen Monaten des Leidens Anspruch auf Psychotherapie haben, können sie diesen Anspruch meist nicht umsetzen. Die begrenzten Behandlungskapazitäten und langen Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie im Zusammenspiel mit der fehlenden Finanzierung von Sprachmittlung durch die Krankenkassen machen den Zugang zur Versorgung fast unmöglich. Die Anlaufstellen unter dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sind vor diesem Hintergrund für Geflüchtete vielerorts die einzige Möglichkeit, Hilfe zu bekommen. Sie bieten auch Psychotherapeut*innen die Möglichkeit, ihre Expertise zum Wohl einer besonders vulnerablen Gruppe von Patient*innen einzusetzen. Eine lohnenswerte und erfüllende Aufgabe! Aber auch die Zentren kommen an ihre Grenzen. So macht der diesjährige Versorgungsbericht deutlich, dass sie und ihre Kooperationspartner*innen 2021 nur rund vier Prozent des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken konnten. Ι Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) setzt sich deshalb seit vielen Jahren dafür ein, dass die psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von Geflüchteten verbessert und gestärkt wird. Im Asylbewerberleistungsgesetz muss festgelegt werden, dass Geflüchtete ab dem ersten Tag ihres Aufenthalts in Deutschland einen Anspruch auf Psychotherapie haben. In Asylverfahren müssen Gutachten von Psychotherapeut*innen wieder anerkannt werden, wenn es um die Frage geht, ob im Falle einer Abschiebung eine vorliegende psychische Erkrankung Leib und Leben eines geflüchteten Menschen gefährden würde. Dringend notwendig ist außerdem ein gesetzlicher Anspruch auf Sprachmittlung im SGB V. Die Bundesregierung muss ihr Koalitionsziel, Sprachmittlung als Leistung im SGB V zu verankern, schnellstmöglich umsetzen. Denn Psychotherapie erfordert eine angemessene sprachliche Verständigung, damit Diagnostik und Behandlung überhaupt möglich sind. Der Anspruch sollte entsprechend auch in das Asylbewerberleistungsgesetz aufgenommen werden. Nicht zuletzt müssen die Psychosozialen Zentren stärker und verlässlich finanziell unterstützt werden, denn sie spielen eine zentrale Rolle in der psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten. Die Menschen, die in den Zentren arbeiten, haben es verdient, dass ihre Arbeit von der Politik gesehen und wertgeschätzt wird. Dr. Andrea Benecke ist Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer. 05 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Vorwort Gedanken zu Flucht und Gewalt Als ich letztes Jahr in Bosnien war, hat mir ein junger Mann aus Afghanistan gesagt: „Wir müssen jedes Mal 200 Euro auftreiben, [um über die Grenze in die EU zu kommen]. Wir haben einmal versucht, über die Grenze zu kommen, und wir werden es wieder tun. Die einzige Hoffnung in unserem Leben ist, dass wir es schaffen – und das werden wir!“ Er war mit seiner Frau gekommen und seine Augen leuchteten in dieser Hoffnung kurz auf. Er, wie alle anderen, auch die Beamten, nannte den Versuch, über die Grenze zu kommen, „das Spiel“ – aber es war für ihn, wie für alle anderen, eines um Leben und Tod. Menschen haben den Wunsch und das Recht, in Würde zu leben, unabhängig davon, wo sie herkommen, und Menschen werden versuchen, Grenzen zu überwinden, um zu überleben. Wir wissen, dass Flucht, erzwungene Rückführungen oder Pushbacks oft von Gewalt und Entrechtung begleitet sind – und nicht selten von Tod. Die „Tagesschau“ berichtete im April, dass das Mittelmeer als die gefährlichste Fluchtroute der Welt gilt. „Es ist nicht hinnehmbar“, sagte der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration António Vitorino. Mehr als 20.000 Menschen seien seit 2014 auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben gekommen. Wie viele auf der Strecke tatsächlich sterben, ist unklar. Viele Leichen werden mutmaßlich nie geborgen. Und wer darauf aufmerksam macht, wer die Verletzung von Menschenrechten dokumentiert, wer Notleidende an den europäischen Außengrenzen unterstützt, wer die Entrechtung Migrierender anklagt, gerät vielerorts selbst in Bedrängnis. Am 1. Mai hat Mare Liberum, ein Berliner Verein zur Menschenrechtsbeobachtung in der Ägäis, seine Auflösung bekanntgegeben: Aufgrund von Einschüchterungen, Auslaufverboten und angedrohter Gewalt sehe sich der Verein gezwungen, seine Arbeit einzustellen, um die Sicherheit der Aktiven nicht zu gefährden. 06 VORWORT ΙΙ Bei unserer Arbeit in den Psychosozialen Zentren sind wir nicht unmittelbar mit dieser direkten Gewalt konfrontiert, aber wir hören davon in den Fluchtgeschichten der Klient*innen. Die Zeugenschaft eklatanter Menschenrechtsverletzungen und die politischen Entwicklungen hin zur „Festung Europa“ haben uns vor circa 30 Jahren angetrieben, uns als Netzwerk in der BAfF zusammenzuschließen. Wir sahen die Notwendigkeit, uns als Health Professionals für mehr Menschlichkeit in Innen-, Sozial- und Gesundheitspolitik einzubringen. Ein großer qualitativer Schritt in unserer Arbeit war der erste Versorgungsbericht im Jahr 2015, der zum ersten Mal Daten über die psychosoziale Gesundheitsversorgung in Deutschland erhob und die Lücken in der Versorgung verdeutlichte. Am Beispiel der Zentren lässt sich sehr gut aufzeigen, wie das Vakuum, das der Staat bei der Versorgung hinterlässt, gefüllt werden könnte. Auch der vorliegende Versorgungsbericht dient nicht nur als Datenquelle, sondern greift aktuelle Themen auf. In den letzten 30 Jahren hat sich viel bewegt. Die Arbeit der Zentren hat sich enorm professionalisiert, aber eines bleibt bestehen: Unsere Arbeit wird von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen geprägt, die uns vor immer neue menschenrechtliche Fragen stellen. Denn die Gewalterfahrung geflüchteter Menschen endet nicht mit der Grenzüberschreitung. In Europa, auch hier in Deutschland ist sie deutlich erlebbar – wenn auch eher in indirekter, rassistischer, institutioneller und struktureller Gewalt. Sie zeigt sich in Diskriminierung, Ausgrenzung, im endlosen Warten auf eine Entscheidung, in unnötigen Barrieren im Gesundheitswesen. Migration ist auch Ausdruck globaler Ungleichheit – Menschen versuchen in Sicherheit zu leben, an Gesundheit, politischer Entscheidung und Wohlstand teilzuhaben. Europäische Flüchtlingspolitik versucht gerade wieder verstärkt ebendies zu verhindern – obwohl wir immer stärker auf Zuwanderung angewiesen sind. 07 PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Denn gerade jetzt, nach etwa 30 Jahren „Festung Europa“, will die Bundesregierung die Überprüfung von Schutzsuchenden an die EUAußengrenzen verlagern. Sie will „hohe Zäune und Mauern“ bauen. Ein Europa in Stacheldraht: Traum von Sicherheit oder Albtraum als Vision für Europa? Schützen wir so Menschenrechte? Unsere Erfahrung sagt uns, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit eher zu mehr, wenn auch verlagerter Gewalt führen wird, dass es für die besonders Schutzbedürftigen noch viel schwerer sein wird, die Grenzen zu überwinden und den Schutz erreichen, den unser Asylverfahren garantieren will. Zu befürchten ist die Zunahme von Gewalt und Menschrechtsverletzungen nicht nur an den Außengrenzen Europas, sondern auch auf den Fluchtrouten sowie für die „Illegalisierten“ in Europa oder den sogenannten Transitländern wie Bosnien-Herzegowina und Serbien. VORWORT Foto: © Heike Kandalowski BAfF ΙΙ Anfeindungen, Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Asylverschärfungen, die Schutz einschränken, benennen. Dieses aktive Engagement muss immer Teil unseres Selbstverständnisses und unserer Arbeit bleiben. Die BAfF ist ein Dachverband, der – neben der leiseren Arbeit an der weiteren Verstetigung der Qualität des Leistungsspektrums – hoffentlich immer dann laut ist, wenn es darum geht, die Rechte für Geflüchtete und die menschenrechtlichen Pflichten in Gesellschaft und Politik einzufordern. Elise Bittenbinder ist Vorstandsvorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.). Mein Besuch dort hat mir einmal mehr gezeigt, wie Menschen zwischen Hoffnungslosigkeit und verzweifelter Hoffnung einen Ausweg suchen und dabei alles – auch ihr Leben – „aufs Spiel“ setzen. Ein afghanischer Journalist in einem Zentrum in Serbien drückte es so aus: „Sie wissen, dass ich in der derzeitigen Situation auf keinen Fall nach Afghanistan zurückkehren kann. Ich habe gesehen, wie mein Kollege und bester Freund vor meinen Augen getötet wurde. Ich muss irgendwohin gehen, wo ich einen Weg finde, meine Familie zu Hause zu unterstützen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Ich kann nicht aufgeben.“ Die gute Nachricht ist dennoch, dass sich trotz Repression immer auch neue solidarische Netzwerke bilden, neue Vereine, die Flüchtenden helfen, sei es im Mittelmeer oder an den EU-Außengrenzen. Auch die Tatsache, dass in den inzwischen 47 Psychosozialen Mitgliedszentren der BAfF im Jahr 2021 21.725 Klient*innen in einem sich ständig erweiternden Leistungsspektrum versorgt werden konnten, bezeugt, dass die Solidarität nicht nachgelassen hat. Bei uns bleibt das menschenrechtliche Engagement ein zentraler Bezugspunkt: Wir müssen neue gesellschaftliche Erscheinungsformen oder Tendenzen von Gewalt, Diskriminierung, 08 09 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Zusammenfassung In Deutschland fehlt es an einem angemessenen Zugang zu einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für geflüchtete Menschen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird zum einen durch die Sonderbehandlung geflüchteter Menschen durch das Asylbewerberleistungsgesetz, zum anderen durch diskriminierende Merkmale des Gesundheitssystems stark eingeschränkt. In den ersten 18 Monaten nach ihrer Ankunft haben Geflüchtete nur im Falle akuter Erkrankungen und Schmerzzustände Anspruch auf eine medizinische Behandlung. Auch danach wird eine angemessene Behandlung häufig erschwert, weil Sprachmittlungskosten nicht finanziert werden und dem Gesundheitspersonal Ressourcen und Kompetenzen im Kontext Flucht und Menschenrechtsverletzungen fehlen. Damit kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus internationalen Verträgen (unter anderem Allg. Erklärung der Menschenrechte Art. 25, UN-Sozialpakt Art. 12, UN-Antifolterkonvention (Allg. Bemerkungen Nr. 3), Europäische Sozialcharta Art. 11, Charta der Grundrechte der EU Art. 35 und die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU Art. 19) bezüglich der Aufnahme und Versorgung schutzsuchender Menschen nicht angemessen nach. Die Psychosozialen Zentren (PSZ) bieten spezialisierte multi­ professionelle Leistungen an, um dem Versorgungsdefizit entgegenzuwirken. Die PSZ stellen diverse psychologische, therapeutische, sozialarbeiterische und rechtliche (Beratungs-)Angebote für Menschen mit Flucht- und Foltererfahrungen bereit. Alle Angebote werden diskriminierungssensibel und bei Bedarf mit Sprachmittlung durchgeführt. Zudem setzen sich die Zentren für eine Verbesserung der Versorgung durch Fortbildungen, Vernetzung und Advocacy-Arbeit ein. Derzeit organisieren sich 47 PSZ unter dem Dach der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und 10 ZUSAMMENFASSUNG ΙΙΙ Folteropfer (BAfF). Im Jahr 2021 wurden durch sie 21.725 Klient*innen versorgt. Über die Jahre ist deren Anzahl kontinuierlich gestiegen. Die PSZ sind trotz ihrer zentralen Rolle in der Gesundheits­ versorgung geflüchteter Menschen prekär finanziert. Die Zentren sind zum größten Teil durch zeitlich begrenzte öffentliche Fördermittel finanziert. Der größte Anteil (40,7 %) der Gelder stammte 2021 aus Landesmitteln. 7,0 % der Haushalte wurden über Bundesmittel finanziert. Die Kostenübernahme von Therapien über die gesetzlich verankerten Leistungsträger, insbesondere die Sozialämter, Krankenkassen und Jugendämter, bildete lediglich 6,0 % der Gesamtfinanzierung der PSZ ab. Die BAfF fordert grundlegende strukturelle Veränderungen, damit auf die Bedarfe schutzsuchender Menschen angemessen reagiert werden kann. Zu diesen zählen: — diskriminierungsfreie Teilhabemöglichkeiten geflüchteter Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen; — eine Krankenkassenkarte für alle geflüchteten Personen von Anfang an in allen Bundesländern, damit sie das öffentliche Gesundheitssystem mit denselben Ansprüchen wie gesetzlich Versicherte nutzen können; — die Verstetigung bedarfsgerechter Hilfen für Überlebende von Flucht und Gewalt durch die PSZ über eine flächendeckende und nachhaltige Finanzierung von Bund und Ländern; — eine allgemeine Finanzierung von Sprachmittlung im sozialen, rechtlichen und gesundheitlichen Bereich für Menschen ohne Deutschkenntnisse über einen gesetzlichen Anspruch, vergleichbar mit dem Gebärdendolmetschen; — die Fortbildung von Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und Behördenwesen in diskriminierungskritischer und trauma­sensibler Arbeit im Kontext Flucht und Menschenrechts­ verletzungen unter anderem durch Integration dieser Themen in Ausbildungscurricula. 11 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Key Facts Adequate access to needs-based health care for refugees is lacking in Germany. Access to health care is severely restricted through the special treatment of refugees through the Asylum Seekers’ Benefit Act (Asylbewerberleistungsgesetz) as well as discriminating characteristics of the healthcare system. During the first 18 months after arrival they are only entitled to medical care in case of acute illness or pain. Even afterwards, adequate care is made difficult through the lack of financing for translation costs und because healthcare personnel often do not have the necessary resources and skills to work within the context of forced migration and human rights violations. Thus, Germany does not adequately fulfill its obligations from international treaties (e.g. Universal Declaration of Human Rights Art. 25, International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights Art. 12, UN Convention against Torture (General Comments Nr. 3), European Social Charter Art. 11, EU Charter of Fundamental Rights Art. 35 and the EU Reception Directive 2013/33 Art. 19) regarding the reception and support of asylum seekers. The Psychosocial Centers offer specialized multiprofessional ser­ vices in order to counteract this deficit in health care. The Psychosocial Centers offer diverse psychological, therapeutic, social and legal counseling and support for refugees and torture survivors. All offerings are implemented in a manner that is sensitive to discrimination and, if necessary, with translators. Furthermore, the Psychosocial Centers promote the improvement of health care for refugees through educational offerings, networking and advocacy work. Currently there are 47 Psychosocial Centers organized under the umbrella of the German Association of Psychosocial Centers for Refugees and Victims of Torture (BAfF). 21,725 clients were given care through 12 KEY FACTS ΙV the Psychosocial Centers in 2021. Over the years, the number of clients has increased continually. The Psychosocial Centers are financed precariously despite their central role in the health care of refugees. The majority of financing for the Psychosocial Centers comes from temporary public grants. In 2021, the largest share (40,7 %) of the overall funds came from the federal states (“Bundesländer”). 7,0 % of the Centers’ costs were financed through federal funds. The coverage of therapy costs through legally established service providers, in particular through social welfare offices, health insurance and youth welfare offices provided for only 6,0 % of the overall financing of the Psychosocial Centers. The BAfF calls for fundamental structural change to be implemen­ ted, so that the needs of asylum seekers can be adequately met. This means: — non-discriminatory possibilities for refugees to participate in all areas of society; — a health insurance card for all refugees directly upon their arrival in all German federal states so that they can access the public healthcare system with the same entitlements as persons with public health insurance; — the long-term establishment of support for survivors of forced migration and violence through the Psychosocial Centers through nationwide and sustainable funding at the national and regional level; — an overall financing of interpretation services in the social, legal and healthcare sector for non-German speakers through a legal entitlement, comparable to the regulations regarding sign language services for the hearing impaired; — the qualification of professionals in healthcare, social, legal and other public services in non-discriminatory and trauma-sensitive work in the context of forced migration and human rights violations through e.g. an integration of these topics in curricula. 13 1 EINLEITUNG BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 1 — Einleitung Mit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) vor 30 Jahren wurde ein Sonderregime für geflüchtete Menschen in Deutschland mit einem eingeschränkten Zugang zu Sozial- und gesundheitlichen Leistungen geschaffen. Statt Geldleistungen bekommen viele Geflüchtete Gutscheine und Lebensmittelpakete, ohne die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie sie ihren Grundbedarf decken. Anspruch auf medizinische Behandlungen besteht nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Neben der Unterbringung in isolierenden Sammelunterkünften, Arbeitsverboten sowie der Unsicherheit über den Ausgang oft langwieriger Asylverfahren führen diese Bedingungen häufig dazu, dass der psychische Zustand schutzsuchender Menschen sich verschlechtert und die gesundheitlichen Folgen von Gewalterfahrungen sich verstärken. Durch die eingeschränkte Möglichkeit, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben, beispielsweise durch Arbeit, den Besuch einer Schule oder Freizeitaktivitäten, wird es den Menschen zusätzlich erschwert, sich von belastenden Fluchtwegen zu erholen und eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) gemeinsam mit vielen weiteren Akteur*innen seit über 25 Jahren dafür ein, dass die psychosoziale Versorgung sowie die Aufnahmebedingungen von Menschen, die aufgrund von Krieg, Gewalt und weiteren schweren Menschenrechtsverletzungen aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten, verbessert werden. Die BAfF ist der Dachverband von inzwischen 47 Psychosozialen Zentren (PSZ)(Stand Juni 2023), die ein spezialisiertes multiprofessionelles Angebot für Menschen mit Fluchterfahrungen und insbesondere Menschen, die schwere Gewalt oder Folter erfahren haben, bereitstellen. 16 EINLEITUNG 1 Die BAfF hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Anliegen der PSZ gegenüber Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen zu vertreten. Sie versteht sich als Kompetenzzentrum im Bereich Flucht, Gewalt, Menschenrechte und Gesundheit. Zu diesem Zweck veröffentlicht sie jährlich Berichte über die aktuelle psychosoziale Versorgungssituation geflüchteter Menschen in Deutschland mit Daten aus den PSZ. Damit versucht die BAfF dem Mangel an Daten zur gesundheitlichen Versorgung dieser Personengruppe entgegenzuwirken. In diesem Versorgungsbericht wird das Augenmerk insbesondere auf die therapeutische Arbeit in den PSZ gelegt. Mit Betonung auf den Grenzen dieser Therapieform wird der Versuch dargestellt, ressourcenorientierte Kurzzeittherapien (KZT) bei geflüchteten Menschen einzusetzen. Zusätzlich werden Hinweise auf besonders hilfreiche Ansätze in diesem Kontext gegeben. Angesichts der aktuellen Diskussionen über eine Reform des Gesundheitssystems mit einer stärkeren Priorisierung realer gesundheitlicher Bedarfe gegenüber kurzfristigen ökonomischen Effizienzkriterien ist wichtig zu überlegen, wie ein Gesundheitssystem aussehen soll, das den Bedarfen aller Menschen gerecht werden kann. Das betrifft auch die Frage, welche Formen der Therapie eingesetzt und finanziert werden. Der psychosoziale Versorgungsbericht ist wie folgt aufgebaut. Zunächst wird in Kapitel 2 auf die Diskriminierung geflüchteter Menschen im deutschen Gesundheitssystem sowie auf den Ansatz der PSZ, dem entgegenzuwirken, eingegangen. Kapitel 3 beinhaltet einen Beitrag zum Einsatz von KZT in einem Zentrum in Sachsen-Anhalt. Kapitel 4 widmet sich den Daten zur Versorgung geflüchteter Menschen in den PSZ aus dem Jahr 2021. Abschließend wird in Kapitel 5 ein Fazit gezogen, dem Forderungen für die Verbesserung der Versorgungssituation und Aufnahmebedingungen geflüchteter Menschen zur Seite gestellt werden. 17 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 A N M E R KU N G ZU M T I T E L D E R P U B L I KAT I O N „ F LU C H T & G E W A LT “ Von welchen Gewalterfahrungen sprechen wir in unserem Kontext? Kollektive Gewalt umfasst die Anwendung körperlicher, psychischer und struktureller Gewalt durch eine Gruppe von Menschen oder Institutionen gegen eine andere Gruppe oder Individuen, um Macht auszuüben. Die Formen kollektiver Gewalt umfassen körperliche Angriffe, Folter, Kriegshandlungen, „ethnische Säuberungen“, Genozid und andere Menschenrechtsverletzungen. Kollektive Gewalt umfasst nicht immer gewaltsame Handlungen, sondern auch Formen der Unterdrückung und Diskriminierung, die auch auf struktureller Ebene wirken in Form von manifestem institutionellem Rassismus, sozialer Ungerechtigkeit, Ungleichbehandlung Schutzsuchender, jahrelanger Unsicherheit durch langwierige Asylverfahren und menschenunwürdige Versorgung bis hin zur medizinischen Nichtbehandlung, zum Teil mit Todesfolge. 18 2 HINTERGRUND DER PSYCHOSOZIALEN ZENTREN BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 2 — Hintergrund der Psychosozialen Zentren 2.1 Diskriminierung in der Gesundheits­ versorgung Der Zugang geflüchteter Menschen zur Gesundheitsversorgung in Deutschland wird durch ihre Sonderbehandlung durch das Asylbewerberleistungsgesetz stark eingeschränkt. In den ersten 18 Monaten haben Asylsuchende nur Anspruch auf eine medizinische Behandlung im Fall akuter Erkrankungen und Schmerzzustände (§4 AsylbLG). Eine Behandlung muss in vielen Bundesländern vorher über das zuständige Sozialamt, oft durch nicht medizinisch geschulte Behördenmitarbeiter*innen, bewilligt werden. Haben geflüchtete Menschen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, treffen sie häufig auf ein Gesundheitssystem, das nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist, insbesondere aufgrund folgender Barrieren (vgl. Mohammed und Karato, 2022): — Fehlende Sprachmittlung: Es gibt keine flächendeckenden Angebote und Möglichkeiten, qualifizierte Sprachmittlung im Gesundheitsbereich zu organisieren und finanzieren. — Mängel in den Ausbildungen im Gesundheitsbereich: In Ausbildungen im Gesundheitsbereich werden kaum Aspekte der diskriminierungs- und kultursensiblen Arbeit thematisiert, so dass es bei Fachkräften häufig an Handlungssicherheit mangelt. Zudem 22 HINTERGRUND DER PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 2 verfügen Ärzt*innen und Therapeut*innen meistens über wenig Wissen in Bezug auf aufenthaltsbedingte Besonderheiten der Behandlung und die Abrechnung von Gesundheitsleistungen. — Fehlender Zugang zur Information über das Gesundheitssystem: Viele geflüchtete Menschen sind schlecht über das deutsche Gesundheitssystem und ihre eigenen Ansprüche informiert, weil das bürokratische System komplex und die Informationskanäle darüber für sie schwer zugänglich sind (unter anderem aufgrund von Sprachbarrieren). — Allgemein eingeschränkte Kapazitäten: Viele Praxen und Kliniken, insbesondere im psychotherapeutischen Bereich, sind schon seit längerer Zeit überlastet. Die oben genannten Faktoren führen zu einem erhöhten Aufwand bei der Behandlung geflüchteter Menschen, so dass viele Ärzt*innen und Therapeut*innen weniger bereit sind, sie als Patient*innen aufzunehmen. Darüber hinaus erschwert die oft isolierende Unterbringung in Sammelunterkünften nicht nur den Zugang zu Gesundheitsangeboten, sondern zu weiteren Möglichkeiten der sozialen Teilhabe und den Kontakt zum Rest der Gesellschaft. Die schlechte Qualität vieler Unterkünfte hinsichtlich der Hygienebedingungen und der fehlenden Privatsphäre haben zudem häufig direkte negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit ihrer Bewohner*innen (vgl. Mohsenpour et al., 2021; Bozorgmehr et al., 2022; Baron et al., 2020). Diese vielen Barrieren führen häufig dazu, dass Erkrankungen entweder gar nicht oder zu spät behandelt werden – mit den entsprechenden Folgen sowohl für die betroffenen Personen als auch für die gesamte Gesellschaft. Damit kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus internationalen Verträgen (unter anderem Allg. Erklärung der Menschenrechte Art. 25, UN-Sozialpakt Art. 12, UN-Antifolterkonvention (Allg. Bemerkungen Nr. 3), Europäische Sozialcharta Art. 11, Charta der Grundrechte der EU Art. 35 und die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/ EU Art. 19) nicht angemessen nach. Nicht zuletzt ist die Verfassungsmäßigkeit der Sonder­behandlung geflüchteter Menschen durch ­das 23 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Asylbewerberleistungs­gesetz zu hinterfragen. Bereits in seinem Urteil vom 18.07.2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Hinblick auf die eingeschränkten Sozialleistungen nach §3 AsylbLG die dortigen Regelungen des Existenzminimums für verfassungswidrig mit der Begründung, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Über den eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung durch das Asylbewerberleistungsgesetz wurde bisher kein Urteil getroffen. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer stellt jedoch fest, „dass wegen der existenziellen Bedeutung von Krankheit noch strengere Maßstäbe [als bei den Sozialleistungen, die Autorin] angewandt werden müssen“ (Zentrale Ethikkommission, 2013, A902). Allein die Tatsache, dass auch die durch die gesetzlichen Krankenkassen abgedeckten Leistungen „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ dürfen (§12 Abs. 1 SGB V), legt nahe, dass eine Versorgung unter diesem Niveau nicht mit der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde vereinbar ist (vgl. Janda, 2021). 2 — wie sie Individuen, Gesellschaften, die Kultur und die politische Situation verändern (vgl. Mlodoch, 2017) und — wie das gesellschaftliche Umfeld Betroffene anerkennt und unterstützt oder aber sie Diskriminierung, Gewalt und zusätzlichen psychischen Belastungen aussetzt (vgl. Keilson, 1979; Mohammed & Karato, 2022). Die PSZ setzen sich dafür ein, dass Menschen, die durch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen Schaden erlitten haben, die Leistungen erhalten, die ihnen eine möglichst komplette Rehabilitation gewährleisten. 2.2 Ansatz der PSZ Die BAfF und ihre Mitgliedszentren orientieren sich an den Grundsätzen der UN-Antifolterkonvention1, der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung 2 und den Ausführungen im General Comment Nr. 3 zu Art. 14 der UN-Antifolterkonvention3. Sie setzen sich dafür ein, dass Menschen, die durch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen Schaden erlitten haben, „medizinische und psychologische ebenso wie rechtliche und soziale Leistungen“ erhalten, die ihnen eine „so vollständige Rehabilitation wie möglich“ gewährleisten.4 Aufgrund der systematischen Diskriminierung geflüchteter Menschen in der Gesundheitsversorgung wurden seit den Achtzigerjahren Psychosoziale Zentren (PSZ) gegründet. Sie verfolgen einen ganzheitlichen menschenrechtsorientierten Ansatz. Der Begriff „psychosozial“ bezieht sich unter anderem auf Konzepte, die in unterschiedlichen Kontexten in Europa (vgl. Keilson, 1979), Südamerika (vgl. Martin-Baro, 1990; Becker, 1992), Südafrika (vgl. Hamber, 2009) und den USA (vgl. Herman, 1992) entwickelt wurden. Er begreift Trauma nicht als individuelle Krankheit, sondern bezieht ein: Die PSZ bieten entsprechend vielfältige Unterstützungsformen an. Zu ihnen gehören: — asyl-, aufenthalts- und sozialrechtliche Beratung; — sozialarbeiterische Begleitung und Informationsvermittlung zu allen Lebensbereichen (Unterkunft, Arbeit, Schule, Familie); — psychologische Diagnostik und Dokumentation; — psychosoziale Beratung und Psychoedukation; — Krisenintervention; — Psychotherapie; — unter welchen sozialen und gesellschaftlichen Realitäten Gewalterfahrungen entstehen; — wie die betroffenen Personen, ihre Familien und Gemeinschaften sie erleben und verstehen; 24 HINTERGRUND DER PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 1   https://www.antifolterkonvention.de/ 2 https://intranet.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf 3   http://www.refworld.org/docid/5437cc274.html 4 General Comment Nr. 3 zu Art. 14 UN-Antifolterkonvention 25 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 — medizinische Diagnostik/Dokumentation, Beratung und Versorgung; — Unterstützung beim Spracherwerb; — Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Gesundheits­ vorsorge (z. B. Begleitung durch ehrenamtliche Mentor*innen); — Unterstützung beim Zugang zu sozialen Netzwerken und zur gesellschaftlichen Teilnahme; — niedrigschwellige Unterstützung (z. B. Freizeitaktivitäten, kreative Angebote); — qualifizierte Stellungnahmen zur Vorlage in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren sowie — Durchführung oder Vermittlung von qualifizierter Dokumentation/ Begutachtung körperlicher und psychischer Misshandlungsspuren nach den Standards des Istanbul-Protokolls5 und den Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen (in aufenthaltsrechtlichen Verfahren) (SBPM)6. Alle Angebote werden für die Klient*innen kostenfrei und bei Bedarf mit geschulten Sprachmittler*innen oder muttersprachlichen Mitarbeiter*innen umgesetzt. Darüber hinaus setzen sich die PSZ aktiv für eine bessere Versorgung geflüchteter Menschen ein, unter anderem indem sie Schulungen zu Beratung und Therapie im Kontext Flucht durchführen und politische Advocacy-Arbeit leisten. Viele Zentren sind an lokalen und regionalen Gremien und Netzwerken beteiligt und vertreten dort die Interessen ihrer Klient*innen und Mitarbeiter*innen. 5 https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/publications/2022-06-29/Istanbul-Protocol_ Rev2_EN.pdf 6   https://www.sbpm.de/ 26 3 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEIT­ THERAPIE IN EINEM PSYCHOSOZIALEN ZENTRUM BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 — Möglichkeiten und Grenzen von Kurzzeittherapie in einem Psycho­ sozialen Zentrum A U TO R * I N N E N : 3 Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts7 haben sich der Dachverband der Psychosozialen Zentren (BAfF) und Psychotherapeut*innen eines PSZ (Psychosoziales Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt) dieser Frage angenommen und eine Evaluationsstudie zu Anwendbarkeit und Wirksamkeit einer ressourcenorientierten KZT mit folgenden Forschungsfragen durchgeführt: — Führt eine ressourcenorientierte KZT zur Linderung der psychischen Belastung? — Führt eine ressourcenorientierte KZT zu einer Verbesserung der Lebensqualität? — Welche Klient*innen profitieren von einer ressourcen­ orientierten KZT besonders? Sonja Steegmann, Dr. Elisa Steinfurth, Leonie Teigler 3.1 Rahmenbedingungen Steegmann, S.; Steinfurth, E.; Teigler, L. (2023). Möglichkeiten und Grenzen von Das Psychosoziale Zentrum für Migrantinnen und Migranten in SachsenAnhalt bietet Geflüchteten, die Verfolgung, Gewalt und Folter überlebt haben, neben Psychotherapie auch psychosoziale Beratung, kreative und soziale Aktivitäten, eine Berücksichtigung der kulturellen Kontexte und des rechtlichen Status der Betroffenen. Die therapeutische Betreuung am PSZ erfolgt sowohl durch approbierte psychologische Psychotherapeut*innen als auch durch Psycholog*innen in therapeutischer Ausbildung.8 Kurzzeittherapie in einem Psycho­sozialen Zentrum. In: Karato, Y. Flucht & Gewalt: Psychosozialer Versorgungsbericht 2023, 30-48 Aufgrund der knappen Kapazitäten in der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten und Folterüberlebenden werden immer wieder schnelle und günstige Lösungen und in diesem Zusammenhang Kurzzeitinterventionen sowie Peer-Angebote beworben. Einige dieser Angebote sind von zweifelhafter Qualität und drohen, eine Versorgung zweiter Klasse für Geflüchtete zu fördern, wenn sie die gängigen Standards für psychosoziale und psychotherapeutische Interventionen unterschreiten (vgl. BAfF, 2019; Teigler & Flory, 2019; Karpenstein et al., 2020). Doch unter welchen Umständen kann eine Kurzzeittherapie (KZT) für geflüchtete Klient*innen sinnvoll sein? 30 7 8 Mit einer zweijährigen Projektfinanzierung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU konnten die Stellen der Psychotherapeut*innen, Fahrtkosten und Sprachmittler*innen sowie die wissenschaftliche Begleitung finanziert werden. Für die Betreuung der Klient*innen in diesem Projekt waren zwei Psychotherapeut*innen in verklammerter Ausbildung im Bereich tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse zuständig. Die Supervision erfolgte durch eine approbierte tiefenpsychologische Psychotherapeutin. 31 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Alle Angebote des PSZ können unabhängig vom Aufenthaltsstatus in Anspruch genommen werden und sind für die Klient*innen kostenlos. Anfallende Fahrtkosten für die Anreise aus umliegenden Landkreisen werden erstattet. Bei Bedarf kann kostenlos ein*e Sprach- und Kulturmittler*in hinzugezogen werden und begleitend Sozialberatung stattfinden. Im Rahmen des Projekts wurde aufgrund der Förderbedingungen die Zielgruppe auf Personen mit einer Aufenthaltsgestattung eingeschränkt. Bei ihnen lagen keine psychotischen Symptome vor und eine akute Suizidalität wurde ebenfalls ausgeschlossen. Alle Klient*innen der über das Projekt finanzierten Therapeut*innen, die den Kriterien entsprachen, wurden um Teilnahme gebeten und willigten ein. 3.2 Ablauf und Diagnostik Die KZT wurde in Anlehnung an Vorgaben der Krankenkasse mit insgesamt 15 Sitzungen konzipiert, wovon drei der Diagnostik dienten, zu Beginn (T1=1. Sitzung), in der Hälfte (T2=7. Sitzung) und zum Schluss (T3=15. Sitzung). Die Frequenz der Therapie (1/Woche - 2/Monat) sowie die Dauer (60-90 Minuten) der Sitzungen konnten variieren. In der ersten Sitzung wurden die Datenschutzerklärung unterschrieben sowie demographische Daten der Zielgruppenzugehörigkeit (Personalien, Herkunftsland, Aufenthaltstitel) und Stammdaten durch das flüchtlingsspezifische Inklusionschart (IC-FLÜ) erhoben. Die Skala zur Erfassung der Lebensqualität (LQ) wurde zu allen drei Messzeitpunkten erhoben. Angelehnt an das IC-FLÜ (vgl. BAfF e. V., Psychosoziales Zentrum Düsseldorf, Refugio Bremen, Refugio München, 2014), aber eigens für die Erhebung entwickelt, erfasst die LQ mit einer vierstufigen Likert-Smiley-Skala das Befinden in Bezug auf folgende Themen: Arbeit, Wohnen, Sicherheit, körperliche Gesundheit, Asylverfahren, Bildung/Ausbildung, Mobilität, Geld, Briefe/Bürokratie, Freundschaften/ Community, Familie (vgl. BAfF, 2018). Der Gesundheitsfragebogen für Patient*innen (PHQ-D) wurde in der ersten und letzten Diagnostiksitzung 32 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 verwendet und als psychodiagnostisches Instrument zum Screening sowie zur Messung des Schweregrades und des Behandlungserfolgs der häufigsten psychischen Störungen eingesetzt (vgl. Löwe et al., 2002). Zusätzlich wurde das Essener Trauma Inventar als Interviewversion (ETI) verwendet. Das Inventar wird standardmäßig als Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung psychotraumatischer Ereignisse und posttraumatischer Störungen eingesetzt (vgl. Tagay & Senf, 2014). Im vorliegenden Projekt sollte es an T2 und T3 erfasst werden. Eine Erhebung an T1 schien zu intensiv und eine vorherige Stabilisierung und ein Beziehungsaufbau sinnvoll. Außerdem wurde zu Beginn und am Ende jedes therapeutischen Gesprächs (12) eine neunstufige Universal Smiley Skala zur Benennung der Ausprägung des eigenen Gefühlszustandes eingesetzt (vgl. Gräßer et al., 2016). 3.3 Therapeutische Methoden Durch sogenannte extratherapeutische Faktoren (umweltbedingte Faktoren, die nur indirekt durch Therapie verändert werden) wird beeinflusst, inwiefern Klient*innen Ressourcen aufbauen und nutzen können (vgl. Drisko, 2004; Isakson et al., 2015). Studien zeigen, dass ein gesicherter Aufenthalt und soziale Unterstützung für geflüchtete Personen sowohl den Therapieprozess als auch die Therapieprognose positiv beeinflussen (vgl. Rasmussen, 2010; Fazel et al., 2012). Die aktuellen Stressoren im Leben der meisten geflüchteten Personen haben einen solch gravierenden Einfluss auf ihre psychische Gesundheit, dass sich Psychotherapeut*innen in diesem Feld mit den strukturellen Problemen verschiedener Lebensbereiche ihrer Klient*innen intensiver auseinander­ setzen. Die KZT konzentriert sich daher vor allem auf den Aufbau von Ressourcen und umfasst psychoedukative Inhalte und ressourcenfördernde Interventionen. Eine wesentliche individuelle und strukturelle Voraus- 33 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 setzung für diese psychotherapeutische Arbeit ist, dass den Klient*innen ein Verständnis für therapeutische Interventionen, Erscheinungsformen und Bewältigungsmöglichkeiten psychischer Belastungen und Störungsbilder vermittelt wird. Um bedarfsangepasst arbeiten zu können, wurde in der Studie anstelle eines Manuals der folgende Methodenpool verwendet. Metaphern (z. B. Ball unter Wasser, unaufgeräumter Schrank, Wasserglas, Wundheilung) und visualisierende Methoden wie das Aufzeichnen von Wechselwirkungen und Kreisläufen sowie das Besprechen von Verhaltensanalysen spielen eine zentrale Rolle (vgl. Margraf & Schneider, 2018). Visualisierende und emotionsaktualisierende Interventionen sind auch bei der thematischen Arbeit wichtig. Dafür kommen Skalierungen (z. B. 1-10, Angstbarometer; vgl. Margraf & Schneider, 2018) und Bildkarten infrage. In Anlehnung an Virginia Satir und Milton Erickson (vgl. Grabbe, 2003) können Lebensabschnitte sitzungsweise durch das Formen eines Seils mit Blumen (positive Ereignisse) und Steinen (Herausforderungen) unterteilt (Heimat, Flucht, Deutschland, Zukunft) und bearbeitet werden. Soziale Strukturen kann man durch eine Familienaufstellung auf einem Brett mit Figuren (vgl. Steiner, 2019) verdeutlichen und die Arbeit mit inneren Anteilen oder nicht anwesenden Personen durch Stuhlarbeit plastisch darstellen (vgl. Hedlund, 2011). Eine Waage kann hilfreich sein, um das Bewusstsein für Ressourcen zu verstärken (vgl. Hautzinger, 2013). Zur Stabilisierung kann eine Alltagsstrukturierung mit Tagesabläufen und gegebenenfalls Wochenplänen etabliert werden (vgl. Margraf & Schneider, 2018). Die Erarbeitung selbstwirksamer Gedanken (z. B. „Ich will leben“) dient der prophylaktischen Einübung von Gedankenkreisläufen. Ein weiterer Kernbereich zur Stabilisierung sind imaginative Verfahren wie z. B. innerer sicherer Ort, Tresorübung, Lichtübung, Baumübung, Wunderfrage (vgl. Reddemann, 2005). 34 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 Im gesamten Therapieverlauf werden unterstützende Maßnahmen zur Emotionsregulation (vgl. Berking, 2017) etabliert, unter anderem in Übungen für Zuhause (z. B. Atem- und Zählübungen). Skill-basierte Methoden (vgl. Bohus & Wolf-Arehult, 2012) wie z. B. ein Igelball, Massageringe oder Dufttherapie mit Lavendelsäckchen oder Ölen können zum Einsatz kommen. In der Therapie angewandte Imaginations- oder Entspannungsübungen können im Alltag vertieft werden, wobei in der Sitzung gemachte Audioaufzeichnungen hilfreich sein mögen. Schreibaufgaben wie ein Schlaf- oder Stimmungstagebuch können gegebenenfalls durch Skalierung mit Smileys abgewandelt werden, wenn Analphabetismus vorliegt (vgl. z. B. Margraf & Schneider, 2018). Eine weitere Säule bildet das soziale Kompetenztraining (nach Hinsch & Pfingsten, 2015), was vor allem durch Rollenspiele durchgeführt wird, um alternative Handlungsstrategien zu erarbeiten. Als Entspannungsmethoden werden die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Autogenes Training und Atemübungen verwendet (vgl. Bernstein & Borkovec, 2007). Über die konkreten Behandlungstechniken hinaus ist eine „konstante Beziehungsarbeit“ (Grawe, 1998) entscheidend, um Sicherheit und Stabilität zu erzeugen. Dabei ist der stetige Versuch, einen wertfreien Raum durch Offenheit gegenüber anderen kulturellen Kontexten, Glaubensrichtungen, Idealen und Lebensvorstellungen zu gestalten, unabdingbar. Bei Bedarf sind Sprach- und Kulturmittler*innen (gegebenenfalls mit Vor- und Nachbesprechungen) miteinzubeziehen. Regelmäßige Intervision und Supervision führen zur Stärkung der Handlungssicherheit in der Psychotherapie, vor allem im Umgang mit besonders schwierigen Fallkonstellationen. Die Vielzahl an aktuellen Stressoren im Leben der meisten geflüchteten Personen hat einen solch gravierenden Einfluss auf ihre psychische Gesundheit, dass sich Psychotherapeut*innen in diesem Feld mit den strukturellen Problemen verschiedener Lebensbereiche (unter anderem Aufenthaltsstatus, Zugang zu Bildungs- und Gesundheitsangeboten) 35 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 ihrer Klient*innen intensiver auseinandersetzen und diese unter Umständen häufiger in der Therapie und im öffentlichen Diskurs ansprechen (vgl. Kira et al., 2010; Steel et al., 2011; Kira & Tummala-Narra, 2015). Zusätzlich stand allen Klient*innen, die an der Studie teilnahmen, die im PSZ angebotene Sozialberatung zur Verfügung, die vor allem beim Auf- und Ausbau von Ressourcen unterstützt. 3.4 Ergebnisse 3.4.1 Beschreibung der Stichprobe Insgesamt nahmen 20 Personen (cis-weiblich, n=9; cis-männlich, n=11) an der Untersuchung teil.9 Sie waren im Durchschnitt 23,7 Jahre alt (19-34) und stammten aus den folgenden Ländern: Afghanistan, Irak/ Kurdistan, Guinea, Nigeria, Äthiopien, Indien, Algerien, Tschetschenien und Syrien. N=8 haben 15 Sitzungen durchlaufen und sind weiter im PSZ angebunden (Therapie-Gruppe). Für N=3 wurde die KZT aufgrund von Stellungnahmen, Gerichtsterminen oder fehlenden Sprach- und Kulturmittler*innen unterbrochen (Pause-Gruppe). N= 9 haben die KZT aus verschiedenen persönlichen und strukturellen Gründen abgebrochen: Hilfe von Imam bevorzugt, mehrfaches unentschuldigtes Fehlen, Kirchenasyl, Anreisehürde, ausschließlich sozialberaterischer Bedarf, keinen Bedarf mehr nach einigen Sitzungen (Drop-Out-Gruppe). Alle Klient*innen berichteten zu Behandlungsbeginn in allen Lebensbereichen eine schlechte Lebensqualität (Durchschnitt= 2,19). Am schlechtesten war die Bewertung für den Bereich Asylverfahren (Durchschnitt= 1,55). In keinem einzigen Lebensbereich war die durchschnittliche Lebensqualität gut oder sogar sehr gut. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 Die meisten Klient*innen waren multimorbid belastet. Die Hälfte sogar mit vier und mehr Syndromen. Am häufigsten gaben die Klient*innen dabei an, unter dem somatoformen Syndrom (n= 13), dem Major Depressiven Syndrom (n= 13) sowie anderen depressiven Syndromen (n= 13), anderen Angstsyndromen (n= 11) und dem Paniksyndrom (n= 10) zu leiden. Das Alkoholsyndrom (n= 4) und die Binge-Eating-Störung (n= 2) wurden wenig und die Bulimia Nervosa gar nicht berichtet. Ein kleiner Teil der Klient*innen war im diagnostischen Gespräch auffällig und berichtete einen hohen Leidensdruck, gab aber im PHQ keine Syndrome an (n= 3). 3.4.2 Auswertung Hat die ressourcenorientierte KZT zur Linderung der psychischen Belastung geführt? Veränderungsmessungen über alle drei Messzeitpunkte waren nur bei jenen Klient*innen möglich, die die Behandlung regulär abgeschlossen haben und wo zu allen Messzeitpunkten die entsprechenden Daten erhoben werden konnten (n= 6). Bei diesen zeigte sich größtenteils eine Linderung der psychischen Belastung. Im Durchschnitt sank die Syndrombelastung von 4 auf 3,5. Die Mehrzahl berichtete am Behandlungsende, an ein bis zwei psychischen Syndromen weniger zu leiden (n= 4). Bei eine*r Klient*in kam es zu keiner Veränderung der Syndromanzahl, wobei sich die Art der berichteten Syndrome änderte, und bei eine*r Klient*in entwickelten sich im Behandlungsverlauf zusätzliche Syndrome. Die größten Veränderungen zeigten sich beim somatoformen Syndrom. So berichteten zu Behandlungsbeginn alle sechs Klient*innen der Therapie-Gruppe, unter einem somatoformen Syndrom zu leiden, und am Ende nur noch drei von ihnen. Bei den anderen Syndromen zeigten sich nur geringfügige Veränderungen. 9   Ein Klient brach bereits während der als sehr belastend erlebten Eingangsdiagnostik ab. 36 37 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Hat die ressourcenorientierte KZT zu einer Verbesserung der Lebensqualität geführt? Die Lebensqualität schwankte über die 15 Sitzungen der KZT geringfügig. Im Durchschnitt kam es zu minimalen Veränderungen der Lebensqualität im Behandlungsverlauf (Behandlungsbeginn (Durchschnitt= 2,1), Behandlungsmitte (Durchschnitt= 1,94), Behandlungsende (Durchschnitt= 2,08)). Konkret verbesserte sich die Lebensqualität in den Bereichen: Wohnen, Sicherheit, Körperliche Gesundheit, Asylverfahren, Mobilität und Freundschaft/Community. Eine Abnahme der Lebensqualität wurde in folgenden Bereichen berichtet: Arbeit, Bildung/Ausbildung, Geld, Briefe/Bürokratie und Familie im Heimatland. Besonders jene Klient*innen mit einer hohen Belastung schlossen die KZT ab. War die KZT für bestimmte Klient*innen besonders hilfreich? Fast alle Klient*innen, die die Therapie abgeschlossen haben (TherapieGruppe), gaben am Ende an, psychisch weniger belastet zu sein. Bis auf eine Person, die keine klinischen Syndrome mehr berichtete, waren alle Klient*innen trotzdem noch multimorbid belastet und bedurften weiterer Unterstützung durch das PSZ. Sie nutzten die Psychotherapie und/oder die Sozialberatung weiter. Allerdings brach fast die Hälfte der Klient*innen aufgrund oben genannter Gründe die Therapie ab (n= 9; Drop-Out-Gruppe). Diese Klient*innen waren im Durchschnitt etwas jünger und vor allem cis-männlich. Zudem fielen bei ihnen mehr Termine aus, besonders wenn die geringere Sitzungsanzahl berücksichtigt wird. Im Gegensatz dazu nutzten die Klient*innen, die die Therapie regulär abschlossen (n= 8; TherapieGruppe), auch zusätzlich mehr Unterstützung durch die Sozialberatung im PSZ. Besonders jene Klient*innen mit einer hohen Belastung schlossen die KZT ab. Auch die Klient*innen, die die Therapie unterbrechen mussten (Pause-Gruppe, n= 3), wiesen eine deutlich höhere Belastung auf 38 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 als diejenigen, die die Behandlung vorzeitig abbrachen. Ein ähnliches Muster zeigt sich für die Lebensqualität zu Behandlungsbeginn: In der Therapiegruppe lag die durchschnittliche Lebensqualität (auf der Skala 1= sehr schlecht bis 4= sehr gut) über alle Bereiche bei 1,97, in der DropOut-Gruppe bei 2,53 und in der Pausen-Gruppe bei 2,06. Nur eine KZT wurde nach Abschluss der 15 Sitzungen beendet. Dieser Klient nahm sie in Kombination mit der Sozialberatung sehr gut an, da es zu einer ausreichenden Stabilisierung kam und er in der Lage war, regelmäßig einen Deutschkurs zu besuchen und sich auf eine Ausbildung vorzubereiten. Insgesamt profitierten ledige und kinderlose Teilnehmende mehr von der KZT als Eltern. 3.5 Zusammenarbeit mit weiteren Hilfesystemen Sieben Teilnehmende waren zusätzlich zur KZT psychiatrisch ange­ bunden. Drei Frauen waren von Genitalverstümmelung betroffen und wurden durch das PSZ von einer spezialisierten Beratungsstelle (SAIDA e.V.) betreut. Dort können Betroffene Beratung und Stellungnahmen erhalten sowie an Ärzt*innen weitervermittelt werden, die auf Rekonstruktionsoperationen spezialisiert sind. Eine der Klient*innen aus Somalia entwickelte in der Therapie den Wunsch nach einer Rekonstruktionsoperation, welche sie dann mit Unterstützung der Beratungsstelle durchführte. Sie begann als Multiplikatorin zu fungieren und entwarf eine hoffnungsvolle und ressourcenorientierte Perspektive für ihr Leben in Deutschland. Eine Klientin hatte neben einer starken psychischen Belastung zusätzlich gravierende körperliche Erkrankungen wie Tuberkulose und HIV. Eine andere Klientin mit einer schweren chronifizierten depressiven Sympto­ matik benötigt weiterhin ein enges Hilfsnetzwerk, unter anderem 39 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Sozialberatung (Dublin-Klageverfahren) und psychiatrische Anbindung, um einer Dekompensation entgegenzuwirken. Bei einer weiteren Klientin gibt es kaum soziale Ressourcen und die traumatischen Erlebnisse können nur im therapeutischen Raum besprochen werden. 3.6 Diskussion und Ausblick Messbare Effekte der 15 KZT-Sitzungen waren sowohl auf die psychische Belastung als auch auf die Lebensqualität minimal. Fast alle Klient*innen bedurften weiterer psychotherapeutischer und sozialarbeiterischer Unterstützung im PSZ. Ungefähr die Hälfte der Klient*innen nahm alle 15 Sitzungen in Anspruch und setzte die Behandlung im PSZ langfristig fort. Ein kleiner Teil musste die Therapie aus verschiedenen Gründen pausieren. Ein Großteil brach die KZT komplett ab. Diese Drop-Out Rate ist in Studien mit geflüchteten Menschen nicht ungewöhnlich, da sich die externen Bedingungen für eine Teilnahme unter anderem durch das Asylverfahren und neu entstehende Belastungen teilweise drastisch verändern. Aus den angegebenen Gründen für den Therapieabbruch (z. B.: Umzug, Wechsel zum Iman) wird jedoch deutlich, dass sich die Abbrüche nicht auf das Format oder die Art der KZT bezogen, sondern generell auf das Angebot der Psychotherapie. 3.6.1 Besonders hilfreiche Aspekte einer ressourcenorientierten KZT im PSZ Geschützte Räume und positive Beziehungserfahrungen Ein Schutzraum im Therapiekontext ist notwendig, um Vertrauen wieder herstellen zu können. Er bildet die Basis für eine positive Beziehungserfahrung mit dem*der Therapeut*in. Transparenz (vor allem in der Arbeit mit Sprach- und Kulturmittler*innen), Schweigepflichterklärung und -entbindung, klare Zeitrahmen und ungestörte Räumlichkeiten sind 40 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 dafür die Grundlagen (siehe auch die weiteren Aspekte der PSZ-Arbeit unten, z. B.: Reflektion von Machtasymmetrien). Positive Beziehungserfahrungen im Schutzraum PSZ ermöglichen es Klient*innen, zumindest teilweise wieder aktiv und selbstverantwortlich Beziehungen gestalten zu können. Dazu gehört auch, ein selbstbestimmtes „Beziehungsende“ mit den Therapeut*innen erleben zu dürfen, welches ein heilsames Gegengewicht zu anderen traumatischen Beziehungsabbrüchen (Flucht, Tod etc.) bietet. Flexibilität in der Therapie Therapieziele und -methoden werden individuell an die jeweiligen Klient*innen angepasst. Diese Flexibilität in der Therapie ist auch erforderlich, wenn z. B. aufgrund eines Gerichtstermins eine Krisenintervention (etwa bei Suizidalität) notwendig wird oder eine Stellungnahme angefertigt werden muss. Für die dafür notwendigen anamnestischen Sitzungen ist der Behandlungsablauf zu unterbrechen. Die Arbeit im PSZ zeichnet sich in allen Bereichen durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen und eine stetige Erweiterung des Netzwerkes aus. Netzwerke/Multiprofessionalität Bei vielen Klient*innen bestehen komplexe Traumatisierungen und eine hohe Komorbidität. Das kann immer wieder zu akuten Krisen führen und durch die instabilen Lebensumstände eine akute Suizidalität auslösen oder dazu führen, dass Personen aus Angst vor einer Abschiebung untertauchen. In diesem Kontext ist es wichtig, eine enge Vernetzung mit anderen Hilfsstrukturen zu etablieren. Ein regelmäßiger Austausch mit der Sozialberatung, den behandelnden Psychiater*innen und aktuellen Betreuungspersonen ist unabdingbar, um Veränderungen und Lebensumstände der Klient*innen verstehen zu können. Dabei ist es wichtig, eine klare Trennung zwischen der emotionalen Aufarbeitung und der rechtlichen Beratung zu finden, da sonst kein Raum mehr für die therapeutische Behandlung bleibt. 41 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 In der Sozialberatung wird der Auf- und Ausbau von Ressourcen unterstützt. Dazu zählen unter anderem die Erschließung von Perspektiven bezüglich Alltagsstrukturierung, die Teilnahme an Deutschkursen, der Aufbau eines sozialen Netzwerks, eine Beratung zu möglichen (Hoch-) Schulabschlüssen oder Ausbildungen sowie die Arbeitsaufnahme am Wohnsitz der Klient*innen. Der andere Kernbereich umfasst das Asylverfahren und eine enge Zusammenarbeit mit Rechtsanwält*innen. Einige Klient*innen werden an spezialisierte Beratungsangebote (z. B. Sucht- oder Schwangerschaftsberatungen) vermittelt oder durch ambulante Erziehungshilfe unterstützt. Zusätzlich sind Klient*innen häufig psychiatrisch angebunden und werden psychopharmakologisch betreut. Da sich der Großteil der Klient*innen aufgrund des ungesicherten Aufenthalts im Klageverfahren befindet, kann es für das Asylverfahren außerdem von großer Bedeutung sein, Psychiater*innen zu finden, die bereit sind, ein ärztliches Gutachten zu schreiben, welches vor Gericht anerkannt wird.10 Die Arbeit im PSZ zeichnet sich in allen Bereichen durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen und eine stetige Erweiterung des Netzwerkes aus. Diese Hilfsstrukturen sind entscheidend, um zu gegebener Zeit einen Therapieabschluss zu ermöglichen und die Person in gesicherte Strukturen zu entlassen. Sprach- und Kulturmittlung Es ist wichtig, die Dynamik im Dreier-Setting zwischen Klient*in, Therapeut*in und Sprach- und Kulturmittler*innen im Blick zu haben, wofür eine transparente Vorgehensweise und eine genaue Übersetzung grundlegend sind. Dabei gilt es, kulturspezifische und sprachliche Besonderheiten sowie eine Sensibilität für Geschlechterdynamiken zu berücksichtigen. Vor- und Nachbesprechungen, Fortbildungen und Intervisionen nehmen eine wichtige Funktion ein (vgl. Schriefers, 2018). 10  Zu Stellungnahmen von Psychotherapeut*innen im Asylverfahren: http://www.baff-zentren.org/stellungnahme-zum-geordnete-rueckkehr-gesetz/ 42 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 Reflektion von Machtasymmetrien Die Therapeut*innen (und alle anderen Mitarbeitenden der PSZ) setzen sich (selbst-)kritisch mit Machtverhältnissen im therapeutischen Setting und der eigenen Verstrickung in bestehende hegemoniale Strukturen und Privilegien auseinander. Durch Thematisierung und VoneinanderLernen entsteht ein bewusster Umgang damit, die Therapeut*innen entwickeln eine erhöhte Sensibilität für das Problem und es werden Gefühle von Ohnmacht, Ausgrenzung sowie Gewalterfahrungen bei Klient*innen reduziert. Für das Selbstwirksamkeitsempfinden und die soziale Anerkennung traumatisierter Asylsuchender können Gruppen- und Veranstaltungskonzepte, in denen Geflüchtete selbst die Wissenden sind und eine aktive Expert*innenrolle übernehmen, eine ermächtigende Wirkung haben. Dazu kann auch gehören, sich mit der politischen Situation im Herkunftsland auseinanderzusetzen, aktuelle Geschehnisse mitzuverfolgen und sich themenspezifisch weiterzubilden, wie z. B. im Bereich von Geschlechterrollen, Vorkommen und Durchführung von Genitalverstümmelung, Religion und damit verbundener Praktiken, Asylverfahren und -vorgehen oder Rassismus in Deutschland. Durch Transparenz, Schweigepflicht, Abgrenzung von staatlichen Instanzen und Unabhängigkeit vom Asylverfahren entsteht das für die therapeutischen Prozesse notwendige Vertrauen auf Seiten der Klient*innen. 3.6.2 Bewertung der verwendeten Diagnostik Ein Versuch, extratherapeutische Faktoren abzubilden, erfolgte durch die Verwendung der Skala zur Erfassung der Lebensqualität (LQ, BAfF, 2018). Diese soll die äußeren Lebensumstände erfassen, die durch therapeutische Interventionen nur indirekt veränderbar sind, aber einen maßgeblichen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Klient*innen haben. So kann ein negativer Asylbescheid oder ein Verlust eines Familienmitglieds in der Heimat trotz Therapieerfolg und einer psychischen Stabilisierung zu einer Dekompensation der betroffenen Person 43 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 führen. Gegebenenfalls sollte der LQ durch konkrete Fragen in den verschiedenen Themenbereichen und einen stärker explorierenden Charakter noch weiter differenziert werden, um besser verstehen zu können, warum die Lebensqualität in einigen Bereichen gestiegen und in anderen gesunken ist. Es könnte auch sinnvoll sein, vermehrt zwischen den Messzeitpunkten den LQ zu erheben und zu dokumentieren, um Verzerrungen der schwankenden Zustände aufgrund von äußeren Umständen besser einordnen zu können. Der PHQ-D (vgl. Löwe et al., 2002) dient vor allem der symptomatischen Abfrage und ist dabei wenig zeitintensiv. Von den Teilnehmenden wurde er bei einer hohen Wiedererkennung meist als ordnend und aufklärend erlebt, vor allem im Bereich der depressiven und psychosomatischen Symptomatik sowie bei Angstattacken. Einige Personen wirkten beruhigt und fühlten sich verstanden. Sie hatten weniger Angst, „verrückt zu sein“. Das Essener Trauma Inventar (vgl. Tagay & Senf, 2014) wurde nach kurzer Zeit als Diagnostikinstrument ausgeschlossen. Für eine KZT mit einem starken Fokus auf Ressourcen und alltagspraktischen Handlungsfähigkeiten wurde der ETI als wenig zuträglich empfunden, da er eher eine Traumaexposition forciert und zu einer starken Belastung führt. So musste die Durchführung bei einigen Klient*innen wegen zu starker Flashbacks (unkontrollierbare, ungewollte Momente des Wiedererlebens) abgebrochen werden. Außerdem wurde er als wenig kultursensibel und teils undurchführbar empfunden, da es den Teilnehmenden unmöglich erschien, eine Priorisierung ihrer Traumata durchzuführen und das Schlimmste auszuwählen. Zudem ist der ETI aufgrund der Sprach- und Kulturmittlung sehr zeitintensiv und konnte häufig in einer Sitzung nicht beendet werden. Die Universal Smiley Skala (vgl. Gräßer et al., 2016) war hilfreich, um Gefühle aufzuzeigen und besprechbar zu machen. Häufig zeigten sich Diskrepanzen zwischen Aussagen wie „alles ist gut“ und Emotionen, die durch das Zeigen auf einen traurigen Smiley ausgedrückt wurden. 44 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 Daran konnte therapeutisch gut angeknüpft werden. Ebenso war die Methode hilfreich, um Therapieeffekte zu visualisieren und vor allem therapiekritischen und -unerfahrenen Teilnehmenden Effekte verschiedener Therapieintervention aufzuzeigen, wenn sich das Befinden von vor zu nach der Sitzung positiv veränderte. Allerdings wurden die vereinfachten Abbildungen von einigen Teilnehmenden als unpassend empfunden. Abbildungen mit richtigen Gesichtern wurden besser aufgenommen. Manchmal war auch eine Abwandlung oder Ergänzung durch Skalierungen (z. B. Angstbarometer) sinnvoll. Bisweilen war es hinderlich, spontan aufkommenden Themen keinen Raum geben zu können und gezwungenermaßen nach der Befindlichkeit zu fragen. Das Abfragen zu Gesprächsende erzeugte bei manchen Teilnehmenden auch einen sozialen Druck. Dann hatten sie das Gefühl, aus Respekt gegenüber den Behandelnden einen fröhlichen Smiley auswählen zu müssen. Insgesamt ist es wichtig, bei der Anwendung diagnostischer Maßnahmen das Befinden der Klient*innen im Blick zu behalten und ein Gesprächsklima zu erzeugen, das bei Teilnehmenden keine unangenehmen Erinnerungen an Asylanhörungen weckt. Außerdem ist es sinnvoll, parallel psychoedukativ zu arbeiten, um die Angst vor psychischen Störungen und einer damit verbunden Stigmatisierung abzubauen und ein Verständnis für die eigene Symptomatik zu fördern. Eine ungeklärte Frage bleibt, was mit Menschen passiert, die nicht den diagnostischen Kriterien für eine psychische Erkrankung entsprechen, aber einen deutlichen Leidensdruck aufweisen, Hilfe suchen, beispielsweise somatische Stresssymptome zeigen. Mögliche Erklärungen dafür, weshalb trotz hohem Leidensdruck keine psychische Erkrankung diagnostiziert werden kann, sind vielfältig und können mit einer veränderten Selbstwahrnehmung, sozialer Erwünschtheit beim Beantworten von Fragebögen, geringer Verbalisierungsfähigkeit und fehlender Kultursensibilität der Diagnostik zusammenhängen. Nicht zuletzt kann es aber auch damit zu tun haben, dass die Komplexität psychischer Prozesse nicht immer oder zu jedem Zeitpunkt mit kategorialen Diagnosen abgebildet werden kann. 45 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 3 Sprach- und Kulturmittler*innen für die entsprechende Sprache zur Verfügung standen. Vor- und Nachteile der KZT Vorteile der ressourcen­orientierten KZT Nachteile der ressourcen­orientierten KZT + klare Struktur mit Endpunkt, einfachere Evaluierung, Ziel­setzung und -verfolgung – weniger flexibel als Langzeit­therapie + besserer Blick auf konkrete Alltagssituationen und konkrete Übungen zur Selbsthilfe – wird Komplexität der Bedarfe/ zielgruppen­ spezifischen Lebenssituationen und –krisen nicht gerecht + Stabilisierung ermöglicht, dass Sprach­ kenntnisse/Ausbildungsmöglichkeiten leichter entstehen können – Traumaexposition fragwürdig, vor allem bei unsicheren Aufenthaltstiteln + erste Versorgung und Anbindung von Menschen ohne Zugang zur Regelversorgung – weniger Vertiefung in Biografisches möglich + erste positive Therapieerfahrung und damit Zugang für spätere Langzeittherapie – häufig weitere Anbindung nötig, aber keine Mittel 3.6.3 Bewertung der Umsetzbarkeit einer ressourcenorientierten KZT im Kontext eines PSZ Im Rahmen der Studie wurde deutlich, dass die KZT im PSZ nur einen Teil der Stichprobe erreichte, was häufig an individuellen Lebensumständen und strukturellen Herausforderungen lag. Viele der am PSZ angebundenen Klient*innen nahmen einen Anreiseweg von bis zu zwei Stunden auf sich, was auch bei erstatteten Fahrtkosten eine große Hürde darstellte. Obwohl die meisten Klient*innen in Gemeinschaftsunterkünften in den umliegenden Landkreisen untergebracht waren, war genau dort die Versorgung durch Hilfsnetzwerke kaum oder gar nicht vorhanden. Für die meisten Klient*innen war die KZT ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg der Heilung, der noch vor ihnen liegt. Bei manchen Klient*innen musste die Behandlung unterbrochen werden beziehungsweise kam diese gar nicht erst zustande, da keine 46 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... Im Rahmen der KZT wurde nur bedingt biografisch-anamnestisch gearbeitet. So wurde teilweise erst beim Verfassen einer Stellungnahme beziehungsweise im weiteren Verlauf im Rahmen einer Langzeittherapie (LZT) deutlich, dass Klient*innen abseits der zuletzt erlebten traumatischen Ereignisse bereits in der frühen Kindheit Bindungsstörungen durch mangelnde Versorgung, traumatische Trennungserlebnisse oder Ähnliches erlebt hatten. Im Rahmen der zwölf Therapiesitzungen fand ein Beziehungsaufbau statt, der für die fortlaufende LZT bedeutend und hilfreich war. Die drei zeitlich versetzten Diagnostiksitzungen ermöglichten eine differenzierte Indikationsklärung. Trotzdem lässt sich festhalten, dass die Aufarbeitung mehr Zeit und der Erfahrung einer stabilen Beziehung mit einem verlässlichen Gegenüber bedarf. Für die meisten Klient*innen stellte die KZT einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg der Heilung dar, der noch vor ihnen liegt. 3.7 Fazit Die Bewertung der Wirksamkeit einer KZT findet nicht in einem gesellschafts- und gesundheitspolitischen Vakuum statt. Die Klient*innen im Projekt haben ohne Ausnahme schwerste Menschenrechtsverletzungen erlebt. In Deutschland sind Gewalt und instabile Lebensverhältnisse jedoch nicht plötzlich Vergangenheit. Der Kampf um das Recht auf Asyl und einen Platz in der Gesellschaft muss trotz Verletzungen, Erschöpfung und Verzweiflung weitergeführt werden. Die umfassenden, systematischen Ausschlüsse aus gesellschaftlicher Teilhabe und die strukturellen Defizite in der gesundheitlichen Versorgung für geflüchtete Menschen erschweren die Unterstützung dieses Prozesses massiv. Was 47 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 hätten Hilfesysteme für Möglichkeiten, wenn alle Asylsuchenden Zugang zu Psychotherapie, besser noch zu multimodalen Angeboten der PSZ, sowie Sprach- und Kulturmittlung hätten? Wenn Therapieprozesse nicht durch die ständige Angst vor Abschiebung und Gerichtsverhandlungen unterbrochen werden müssten? Wenn Klient*innen ohne berechtigte Sorge vor Rassismus und Verfolgung soziale Kontakte auf Augenhöhe knüpfen könnten? MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... 3 3.8 Literatur BAfF (2018). Skala zur Erfassung der Lebensqualität (LQ). BAfF (2019). BAfF-Positionspapier: (Neue) Unterstützungskonzepte in der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten. Verfügbar unter: http://www.baff-zentren.org/news/baffpositionspapier-neue-unterstuetzungskonzepte-in-der-psychosozialen-arbeit-mitgefluechteten/ Baron, J.; Schriefers, S.; Windgasse, A.; Pantucek-Eisenbacher, P. (2015). Daten für Die Psychotherapeut*innen in den PSZ wissen häufig nicht, ob ihre Stelle weiter finanziert wird. Diese Unsicherheit und die auf Seiten der Klient*innen, etwa in Bezug auf den Aufenthaltstitel, erschweren langfristige Planung und beeinflussen dadurch die therapeutischen Möglichkeiten. Eine Therapeutin äußert sich in diesem Projekt dazu, wie sie ihre Klient*innen vor Destabilisierung im Rahmen der Therapie schützen muss: „Wenn ich nicht gewusst hätte, dass die Klient*innen nach dem Projekt im PSZ weiter betreut werden können, wäre ich noch vorsichtiger gewesen.“ Das bedeutet, dass bewusste Traumaexposition und andere kurzfristig destabilisierende therapeutische Techniken in vielen Fällen nicht angewendet werden können, da Klient*innen sonst unter Umständen „mit offenen Wunden“ und ohne Regulationsmöglichkeiten auf sich alleine gestellt sind. Taten: Indikatoren für Inklusion. Die Flüchtlingsspezifische Inklusionschart (IC_flü). In: www.soziales-kapital.at, Band 13. Berking, M. (2017). Training emotionaler Kompetenzen. Heidelberg: Springer Bernstein, D. A. & Borkovec, T. D. (2007). Entspannungs-Training: Handbuch der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson (Vol. 16). Stuttgart. Klett-Cotta Bohus, M. & Wolf-Arehult, M. (2013). Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten. Stuttgart: Schattauer Drisko, J. W. (2004). Common factors in psychotherapy outcome: Meta-analytic findings and their implications for practice and research. Families in society, 85(1), 81-90. Fazel, M., Reed, R. V., Panter-Brick, C., & Stein, A. (2012). Mental health of displaced and refugee children resettled in high-income countries: risk and protective factors. The Lancet, 379(9812), 266-282. Grabbe, M. (2003). Time-Line in der Krisenintervention. In: PiD-Psychotherapie im Dialog, 4(04), 376-379. Wir schließen daraus, dass die KZT keine Antwort auf strukturelle Defizite in der Gesundheitsversorgung ist. Die Erfahrungen zeigen, dass es oft langfristiger Begleitung sowie einer hohen Flexibilität bedarf und dass die KZT in diesen Fällen nur ein erster Schritt sein kann. Angesichts der schweren seelischen Verletzungen der Klient*innen mit Fluchterfahrung käme eine standardisierte KZT ohne Möglichkeiten der Verlängerung einer Gesundheitsversorgung zweiter Klasse gleich. Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe Gräßer, M. & Hovermann, E. (2016). Ressourcenübungen für Kinder und Jugendliche. Weinheim: Beltz Hautzinger, M. (2013). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen. Mit OnlineMaterialien. Weinheim: Beltz Hedlund, S. (2011). Mit Stift und Stuhl. Heidelberg: Springer Hinsch, R. & Pfingsten, U. (2015). Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Grundlagen, Durchführung, Anwendungsbeispiele. Weinheim: Beltz Isakson, B. L., Legerski, J. P., & Layne, C. M. (2015). Adapting and implementing evidence-based interventions for trauma-exposed refugee youth and families. Journal of Contemporary Psychotherapy, 45(4), 245-253. 48 49 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Karato, Y. & Mohammed, L. (2021). Datenbericht: Datenlage zur psychosozialen MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN VON KURZZEITTHERAPIE ... Teigler, L. & Flory, L. (2019). Wer ist hier schutzbedürftig?! Junge Geflüchtete zwischen Versorgung von Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht in Deutschland. Verfügbar Selbstbestimmung, Trauma und Sicherheitsdiskurs in der psychosozialen Versorgung. unter: https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2022/01/Datenbericht- In: Forum Erziehungshilfen, 5. Versorgung-BAfF-2019.pdf Karpenstein, J.; Flory, L.; Teigler, L. (2020). Trauma und Traumasensibilität in der Arbeit mit jungen Geflüchteten. In: Sozialmagazin, 2. Kira, I. A.; Lewandowski, L.; Templin, T.; Ramaswamy, V.; Ozkan, B.; Mohanesh, J. (2010). The effects of perceived discrimination and backlash on Iraqi refugees’ mental and physical health. Journal of Muslim Mental Health, 5(1), 59-81. Kira, I. A., & Tummala-Narra, P. (2015). Psychotherapy with refugees: Emerging 3 Trohl, U.; Wagner, K.; Kalfa, V.; Negash, S.; Wienke, A.; Führer, A. (2021). Sick and Tired—Sociodemographic and Psychosocial Characteristics of Asylum Seekers Awaiting an Appointment for Psychotherapy.In: International journal of environmental research and public health, 18(22), 11850. Wenk-Ansohn, M.; Heeke, C.; Böttche, M.; Stammel, N. (2018). Acute Short-Term Multimodal Treatment for Newly Arrived Traumatized Refugees: Reflections on the Practical Experience and Evaluation. In: Torture Journal, 28(2), 99-117. paradigm. Journal of Loss & Trauma, 20(5), 449-467. Löwe, B.; Spitzer, R. L.; Zipfel, S.; Herzog, W. (2002). PHQ-D: Gesundheitsfragebogen für Patienten; Manual Komplettversion und Kurzform. Pfizer GmbH Margraf, J. & Schneider, S. (Hrsg). (2018). Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Erwachsenenalter. Heidelberg: Springer Miller, K. E., & Rasmussen, A. (2010). 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Göttingen: Hogrefe Teigler, L. (2017). Wir verstehen uns heute als eine Institution, die am Schnittpunkt von Gesundheit und Menschenrechten arbeitet. Leonie Teigler im Gespräch mit Dietrich F. Koch. In: Familiendynamik, 42(1), S. 64–68 50 51 4 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 4 — Daten aus den Psychosozialen Zentren 4.1 Datenbasis Die BAfF führt jährlich eine Onlinebefragung aller Mitgliedszentren durch, um Daten zur Versorgung geflüchteter Menschen in den Psychosozialen Zentren (PSZ) zu erheben. Dabei werden folgende Inhalte abgedeckt: — Rahmenbedingungen in den PSZ • Leistungsspektrum • Trägerschaft • Mitarbeitende — Klient*innen • Anzahl und soziodemografische Merkmale • Genutzte Angebote • Aufenthaltssituation • Hauptherkunftsländer — Zugang zu den PSZ • Vermittelnde Akteur*innen • Anfahrtszeiten — Versorgungsengpässe • Wartezeiten • Umgang bei Aufnahme neuer Klient*innen • Weitervermittlung von Klient*innen — Finanzierung • Finanzierungsquellen und -strukturen • Kostenübernahme von Psychotherapien. 54 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 Dies ist die einzige regelmäßig stattfindende und bundesweite Erhebung von Daten zur psychosozialen Versorgung geflüchteter Menschen. Die Daten zu den Klient*innen werden anonymisiert erfasst, die Ergebnisse auf Plausibilität geprüft und gegebenenfalls in Absprache mit den Zentren bereinigt. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Befragung zum Jahr 2021 dargestellt. Sie beziehen sich auf die damals 47 Mitgliedszentren. Da nicht alle Zentren über vollständige Daten verfügten, werden die jeweiligen Fallzahlen an den entsprechenden Stellen aufgeführt. 4.2 Rahmenbedingungen in den PSZ 4.2.1 Leistungsspektrum Zum Modell der PSZ gehört ein ganzheitlicher Ansatz, der unter anderem folgende Leistungen umfasst: — Diagnostik/Clearing, — Krisenintervention und Stabilisierung, — psychosoziale Beratung sowie — Psychotherapien. Darüber hinaus offerieren die Zentren ein breites Spektrum an weiteren Unterstützungsangeboten für besonders schutzbedürftige und psychisch erkrankte geflüchtete Menschen. Die meisten Zentren erstellen auf der Basis ihrer psychotherapeutischen Kompetenzen und des engen Kontakts mit ihren Klient*innen Stellungnahmen zum Gesundheitszustand für das Asylverfahren. Die Mehrheit bietet auch Angebote an, um die sozialen Teilhabemöglichkeiten ihrer Klient*innen zu verbessern, wie Unterstützung bei Behördengängen oder beim Zugang zu sozialen Netzwerken, Unterstützung beim Spracherwerb und diverse niedrigschwellige Freizeit- und kreative Angebote. 55 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN Erweiterte Leistungen der PSZ für ihre Klient*innen Erstellung von Stellungnahmen für das Asylverfahren 93,2% Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Gesundheitsvorsorge, z. B. Begleitung durch ehrenamtliche Mentor*innen 79,5% Unterstützung beim Zugang zu sozialen Netz­ werken und zur gesellschaftlichen Teilnahme 79,5% Unterstützung beim Spracherwerb, z. B. (vermittelte) Deutschkurse 65,9% Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit 65,9% Kreative Angebote 47,7% Versorgungsangebote außerhalb des Zentrums (z. B. in Unterkünften) 47,7% 36,4% Medizinische Diagnostik und Dokumentation 31,8% Medizinische Beratung und Versorgung 0% 20 % 40 % 60 % 80 % Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, ©BAfF 2023 4.2.2 Trägerschaft Fast alle PSZ waren 2021 einem Wohlfahrtsverband angeschlossen, davon die Hälfte (48,9 %) in Trägerschaft und die andere Hälfte (42,2 %) als Mitglieder (n=45 PSZ mit 18.394 Klient*innen, 8,9 % weder in Trägerschaft noch als Mitglied). 56 2021 waren in einem „typischen“ PSZ 9,0 Mitarbeiter*innen fest angestellt. Diese teilten sich 5,8 Vollzeitstellen (Mediane11, Durchschnittswerte: 15,7 Mitarbeiter*innen auf 10,0 VZÄ). Darüber hinaus arbeiteten typischerweise 28,0 Personen als freie Mitarbeiter*innen, Mini-Jobber*innen, Praktikant*innen oder Ehrenamtliche in einem Zentrum (Mediane, Durchschnitt: 51,7)(n=41 PSZ mit 15.014 Klient*innen). 59,1% Durchführung oder Vermittlung von qualifizierter Dokumentation oder Begutachtung körperlicher und psychischer Misshandlungsspuren nach den Standards des Istanbul-Protokolls Die Trägerschaft der PSZ verteilte sich wie folgt auf die Verbände: — das Diakonische Werk: 45,5 %; — der Caritasverband: 27,3 %; — das Deutsche Rote Kreuz: 9,1 %; — die Arbeiterwohlfahrt: 9,1 %; — Paritätischer Wohlfahrtsverband: 9,1 %; — Sonstige Verbände: 9,1 % (z.T. Mehrfachangaben). 4.2.3 Mitarbeitende in den PSZ 72,7% Niedrigschwellige Unterstützung, z. B. Freizeit­ aktivitäten, Gruppen- und Projektarbeit 4 100 % Die Mitarbeiter*innen (sowohl angestellte als auch freie) waren nach Tätigkeitsbereichen wie folgt aufgeteilt (Mediane), pro PSZ: — Psychotherapie: 5,0 Personen (Durchschnitt: 8,1); — Beratung: 5,0 Personen (Durchschnitt: 8,4); — Sprachmittlung: 22,0 Personen (Durchschnitt: 26,9); — Verwaltung: 1,0 Personen (Durchschnitt: 2,4); — Kreativ- und Körpertherapie: 1,0 Personen (Durchschnitt: 1,6); — Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit u. Ä.: 0,0 Personen (Durchschnitt: 0,4); — medizinische Versorgung: 0,0 Personen (Durchschnitt: 0,9); — sonstige Bereiche: 0,0 Personen (Durchschnitt: 2,2). 11 Es werden Mediane ausgewiesen, da die Durchschnittswerte durch die Angaben besonders großer PSZ ein verzerrtes Bild abgeben. 57 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Auffallend ist, dass die meisten Sprachmittler*innen (98,5 %) kein festes Arbeitsverhältnis hatten. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass es keine ausreichenden, verlässlichen und nachhaltigen Finanzierungsquellen für Sprachmittlung gibt (vgl. BPtK & BAfF, 2021). 4.3 Klient*innen der PSZ DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 12,8 % der Klient*innen waren minderjährig, davon floh ein Viertel ohne Begleitung ihrer Familie nach Deutschland. Minderjährige und volljährige Klient*innen Unbegleitete minderjährige Geflüchtete unter den Klient*innen 4.3.1 Anzahl und soziodemografische Merkmale der Klient*innen 2021 wurden in den PSZ insgesamt 21.725 Klient*innen versorgt. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Steigerung um 12,3 %. Die Zahl ist jedoch im Vergleich zu 2019 – dem Jahr vor der Covid-19-Pandemie (24.964 Klient*innen) – niedrig, weil auch in diesem Jahr die Zentren unter eingeschränkten Bedingungen arbeiten mussten. Darunter befanden sich 10.027 Klient*innen, die neu aufgenommen werden konnten. 2021 wurden in den PSZ insgesamt 21.725 Klient*innen versorgt. Zu ihnen gehören häufig Personen mit besonderen (Schutz-) Bedarfen, die beispielsweise durch Erfahrungen mit Folter, Men­ schenhandel und/oder Verfolgung aufgrund der sexuellen Orien­ tierung und/oder der geschlechtlichen Identität entstanden sind. 43,2 % der Klient*innen waren weiblich, 55,4 % männlich, 1,4 % trans/ nicht-binär. Gender der Klient*innen 55,4 % männlich 43,2 % weiblich 1,4 % trans/nicht-binär Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=20.275 Klient*innen, ©BAfF 2023 58 87,2 % volljährig 12,8 % minderjährig Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=45 PSZ mit 20.399 Klient*innen, ©BAfF 2023 77,0 % minderjährige Klient*innen unter Begleitung der Familie 23,0 % unbegleitete minderjährige Geflüchtete Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=2.453 Klient*innen, ©BAfF 2023 Zu den Klient*innen der PSZ gehören häufig Personen mit besonderen (Schutz-)Bedarfen, die beispielsweise durch Erfahrungen mit Folter, Menschenhandel und/oder Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität entstanden sind. Diese Klient*innen benötigen spezialisierte Unterstützung durch Fachkräfte, die in der Lage sind, die besonderen Bedarfe zu erkennen und zu adressieren. Den vorliegenden Daten zufolge waren 2021 23,8 % der Klient*innen Überlebende von Folter, 4,9 % Personen, die sich als LSBTIQ* identifizieren und 3,3 % von Menschenhandel Betroffene (n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen). An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass nicht in allen PSZ die Ressourcen vorhanden sind, um diese Merkmale bei allen Klient*innen systematisch zu dokumentieren und sich Klient*innen aus verschiedenen Gründen nicht immer (direkt) im PSZ outen (vgl. Träbert & Teigler, 2022). 59 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 4.3.2 Genutzte Angebote Entsprechend dem multiprofessionellen Ansatz der PSZ wurden die Klient*innen in verschiedenen Settings begleitet: — Zwei Drittel (65,5 %) der Klient*innen erhielten (psycho-)soziale und/oder asylrechtliche Beratung und wurden persönlich durch Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen unterstützt; — ungefähr ein Drittel (34,9 %) befand sich – in der Regel zusätzlich zur Beratung – in psychotherapeutischer Behandlung. Lediglich 11,5 % wurden ausschließlich psychotherapeutisch versorgt und waren nicht in anderen Teilen des multimodalen Leistungsspektrums angebunden; — 5,1 % wurden psychiatrisch versorgt und — 19,4 % nahmen sonstige Angebote wie beispielsweise kreative, bewegungs- und/oder bildungsorientierte Angebote wahr (n=18.332). 4.3.3 Aufenthaltssituation DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN Aufenthaltsstatus, d. h. eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis. Im Vergleich hierzu hatten drei Viertel (75,0 %) aller geflüchteten Menschen in Deutschland einen relativ sicheren Aufenthaltsstatus. Aufenthaltsstatus der Klient*innen Ein Großteil der Klient*innen der PSZ hat einen prekären Aufenthaltsstatus. 2021 hatten fast zwei Drittel (63,2 %) der Klient*innen lediglich eine Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder befanden sich in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität (s. Glossar, „Aufenthaltsgestattung“ und „Duldung“). Nur knapp ein Drittel (29,7 %) besaß einen relativ sicheren 60 Aufenthaltsstatus aller geflüchteten Menschen in Deutschland 36,7 % Aufenthaltsgestattung 12,3 % Aufenthaltsgestattung 25,6 % Duldung 12,7 % Duldung 0,9 % Menschen ohne Papiere 58,5 % Anerkennung/Aufenthaltserlaubnis 28,3 % Anerkennung/Aufenthaltserlaubnis 16,4 % Niederlassungserlaubnis 1,4 % Niederlassungserlaubnis 7,2 % Sonstiges/Unbekannt Aufenthaltsstatus Ein Großteil der Klient*innen der PSZ hat einen prekären Aufenthaltsstatus, d. h. sie warten auf das Ergebnis eines Asylverfahrens oder besitzen lediglich eine Duldung mit der Unsicherheit, jederzeit abgeschoben werden zu können. Die PSZ nehmen prioritär Personen mit einem prekären Aufenthaltsstatus auf, da diese einen stark eingeschränkten Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung haben. 4 Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=43 PSZ mit 18.001 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 Quelle: Ausländerzentralregister (2022). Migration und Integration: Schutzsuchende nach Schutzstatus und Berichtsjahren. URL: https://www.destatis.de/DE/ Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Tabellen/schutzsuchende-zeitreiheschutzstatus.html, Eigene Darstellung © BAfF 2022 Klient*innen in Dublin-Verfahren Dublin-Verfahren (s. Glossar), in denen Schutzsuchende in andere EULänder zurückgeschoben werden, führen häufig zu einer zusätzlichen psychischen Belastung geflüchteter Menschen, weil dadurch die eigene Zukunftsplanung erschwert wird. 2021 befanden sich durchschnittlich 14,7 % der PSZ-Klient*innen in Dublin-Verfahren und wurden bei den dadurch entstehenden rechtlichen Fragen sowie den daraus resultierenden psychischen Belastungen unterstützt (n=43 PSZ mit 18.001 Klient*innen). 61 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Klient*innen mit Abschiebungsverboten Schwer psychisch kranke Menschen, die reiseunfähig sind oder bei denen eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands im Fall einer Abschiebung droht, dürfen nicht abgeschoben werden. Rechtliche Grundlagen hierfür sind das sogenannte inlandsbezogene Abschiebungshindernis (§ 60a Abs. 2c, 2d AufenthG) sowie das zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) (s. Glossar). Für ein solches Abschiebungsverbot muss die Erkrankung der betroffenen Personen nachgewiesen werden. Auch hierbei unterstützen die PSZ, indem sie Stellungnahmen für ihre Klient*innen erstellen. 2021 wurde bei 14,1 % aller PSZ-Klient*innen ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festgestellt (n=43 PSZ mit 18.001 Klient*innen). Die notwendigen Voraussetzungen, um eine psychische Erkrankung im Asylverfahren nachzuweisen, wurden in den vergangenen Jahren zunehmend verschärft – mit der Folge, dass psychische Erkrankungen häufig im Verfahren nicht anerkannt werden. Aufgrund von Gesetzesänderungen im Asylpaket II (2016) und im Geordnete-Rückkehr-Gesetz (2019) muss eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ eingereicht werden, damit eine schwere Erkrankung im Asylverfahren berücksichtigt wird. Diese Bescheinigungen müssen von Fachärzt*innen erstellt werden, d. h. Atteste von Psychologischen Psychotherapeut*innen werden ausgeschlossen, obwohl diese Berufsgruppe darin ausgebildet ist, psychische Erkrankungen zu diagnostizieren, und einen Großteil der Behandlung psychisch erkrankter Menschen in Deutschland übernimmt. Die zu erfüllenden Standards für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind zudem höher als bei anderen ärztlichen Gutachten. Es reichen nicht nur Krankheitsvorgeschichte, Untersuchungsmethoden und Diagnose. Auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, müssen geschildert werden. In der Praxis verlangen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder die Gerichte sogar oftmals, dass sich Ärzt*innen 62 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 ausführlich mit den Unterlagen des Asylverfahrens auseinandersetzen und diese in die Gutachten integrieren. Hinzukommt, dass es keine Regelungen zur Kostenübernahme für die Erstellung der ärztlichen Bescheinigungen gibt, so dass Schutzsuchende die Kosten in der Regel selbst tragen müssen. Diese Verschärfungen führen nicht nur zur Verletzung von Menschenrechten schwer psychisch erkrankter Schutzsuchender, sondern schränken die Möglichkeit bei Folteropfern ein, dass ihre Foltererfahrungen professionell dokumentiert und anerkannt werden beziehungsweise eine schnellstmögliche Rehabilitation eingeleitet werden kann (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, Art. 14). Sie sind zudem eine Aberkennung der fachlichen Kompetenz Psychologischer Psychotherapeut*innen. Nicht zuletzt führen die Verschärfungen zu einer noch höheren Belastung der PSZ, da diese ihre begrenzten Ressourcen in die Kommunikation mit Fachärzt*innen investieren und sie über die Anforderungen bei der Erstellung von Stellungnahmen informieren müssen. 63 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4.3.4 Hauptherkunftsländer 4 isolierende Unterbringungssituationen in teilweise abgelegenen Sammelunterkünften erschwert. Die Klient*innen 2021 kamen aus 100 verschiedenen Ländern. Die zehn häufigsten Herkunftsländer waren: Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, Nigeria, die Russische Föderation, die Türkei, Eritrea und Somalia. Hauptherkunftsländer der Klient*innen Insbesondere Mitarbeiter*innen von Unterkünften, Beratungsstellen und ehrenamtliche Unterstützer*innen spielen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung geflüchteter Menschen an die PSZ. Auch im Jahr 2021 wurde ein Großteil der Klient*innen über diese Personengruppen bei den Zentren angemeldet. Fachkräfte aus dem Gesundheitssystem meldeten vergleichsweise selten Klient*innen an, unter ihnen gehörten Psychiater*innen zu der Berufsgruppe, die am ehesten mit den PSZ in Kontakt stehen. Zu den sonstigen vermittelnden Akteur*innen gehörten: Mitarbeiter*innen vom Jobcenter, Mitarbeiter*innen der Jugendämter, Lehrkräfte, Pfarrer*innen sowie Mitarbeiter*innen der Sozialpsychiatrischen Dienste. An die PSZ vermittelnde Akteur*innen (fast) nie durch Mitarbeiter*innen der Unterkünfte durch andere Beratungsstellen 23,8 % Afghanistan 8,4 % Iran 3,7 % Russische Föderation 15,3 % Syrien 3,8 % Nigeria 3,7 % Türkei 9,5 % Irak 3,7 % Guinea 2,2 % Eritrea 2,0 % Somalia Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=11.804 Klient*innen © BAfF 2023 selten 9,1% durch Angehörige/Bekannte durch die Klient*innen selbst 4.4.1 Vermittelnde Akteur*innen Damit Schutzsuchende durch ein PSZ versorgt werden können, müssen sie zuerst den Zugang zu einem Zentrum finden. Dies wird häufig durch 2,3% 64 38,6% 45,5% durch Psychiater*innen 22,7% 15,9% 52,3% 47,7% 57,1% durch niedergelassene Psychotherapeut*innen 31,0% 52,3% 10,0% 9,1% 54,5% 38,6% durch unsere Mitarbeiter*innen der aufsuchenden Arbeit 20,0% 11,4% 18,2% 13,6% 11,4% 65,9% 31,8% durch andere Fachärzt*innen 11,4% 29,5% 45,5% 18,2% 22,7% 50,0% 56,8% 20,5% durch sonstige Akteur*innen 40,9% 31,8% durch Anwält*innen durch Hausärzt*innen 4.4 Zugang zu den PSZ 47,7% 31,8% 6,8% regelmäßig 43,2% 20,5% durch ehrenamtliche Unterstützer*innen durch Kliniken sehr häufig 2,3% 9,1% 4,5% 7,1% 4,8% 43,2% 45,0% 6,8% 11,4% 4,5% 25,0% Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, ©BAfF 2023 65 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 4.4.2 Anfahrtszeiten Klient*innen in Einzel- und Gruppentherapie Der Zugang zur Unterstützung durch ein PSZ hängt auch davon ab, wie gut die Zentren von den (potenziellen) Klient*innen zu erreichen sind. Selbst wenn Zentren in allen Bundesländern vorhanden sind, variiert ihre geografische Verteilung stark. Während sich in Städten (z. B. Berlin und Hamburg) mehrere PSZ befinden, gibt es sie in manchen Flächenländern (z. B. Bayern) nur vereinzelt. Auch die Verbindungen zwischen den Zentren und den Unterkünften der Klient*innen mit öffentlichen Verkehrsmitteln beeinflussen die Möglichkeit, die Angebote der Zentren zu nutzen. Wenig überraschend kamen die meisten Klient*innen aus der näheren Umgebung der PSZ mit Anfahrtszeiten von weniger als einer Stunde. Anfahrtszeiten der Klient*innen 30 Minuten oder weniger 44,9 % zwischen 30 und 60 Minuten 39,3 % zwischen 1 und 2 Stunden 12,3 % mehr als 2 Stunden 3,4 % Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 90,7 % ausschließlich in Einzeltherapie 3,7 % ausschließlich in Gruppentherapie 5,6 % Einzel- und Gruppentherapie Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=40 PSZ mit 17.415 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 Dauer der Psychotherapien Die Psychotherapien in den Zentren umfassten durchschnittlich 25,5 Sitzungen (n=40 PSZ mit 17.415 Klient*innen). Ein Großteil davon waren KZT (bis zu 24 Sitzungen) mit den damit verbundenen Herausforderungen (s. Kapitel 3). Ein Viertel der Therapien waren Langzeittherapien mit 25 bis 60 Sitzungen. Psychotherapien mit mehr als 60 Sitzungen fanden selten statt. Klient*innen in Kurz- und Langzeittherapien 64,5 % Klient*innen in Kurzzeittherapie (bis zu 24 Sitzungen) 4.5 Versorgungsprozess 26,2 %Klient*innen in Langzeittherapie (25 bis 60 Sitzungen) 9,3 %Klient*innen in Langzeittherapie (mehr als 60 Sitzungen) 4.5.1 Klient*innen in psychotherapeutischer Versorgung Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=39 PSZ mit 17.050 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 Einzel- vs. Gruppentherapien Die meisten Psychotherapien in den PSZ fanden im einzeltherapeutischen Setting statt, 3,7 % nahmen ausschließlich an Gruppentherapien teil und 5,6 % wurden sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting behandelt. 66 67 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Vorzeitige Beendigung von Psychotherapien 23,7 % der begonnen Psychotherapien wurden vorzeitig beendet, obwohl eine Fortsetzung aus therapeutischer Sicht sinnvoll gewesen wäre (n=37 PSZ mit 15.701 Klient*innen). Die häufigsten Gründe hierfür waren, dass der*die Klient*in nicht mehr erschien/nicht mehr erreichbar war, dass der*die Klient*in den Prozess selber abbrach (z. B. aufgrund einer Fehleinschätzung bezüglich der Erfolgserwartung) oder dass die*der Klient*in umzog beziehungsweise umverteilt wurde. DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 2021 fanden mehr als die Hälfte aller Beratungen/Therapien mit Sprachmittlung statt. Sprachmittlung bei Beratungen/Therapien 53,7 % Beratung/Therapien mit Sprachmittlung 24,2 % Beratung/Therapien in einer weiteren gemeinsamen Sprache von Mitarbeiter*in und Klient*in (inkl. Englisch) Hauptgründe für die vorzeitige Beendigung von Psychotherapien 22,1 % Beratung/Therapien auf Deutsch (ohne Sprachmittlung) 29,3 % Klient*in erschien nicht mehr / war nicht mehr erreichbar 19,6 % Abbruch durch Klient*in (z. B. unzureichend eingeschätzte Therapiemotivation/Erfolgserwartung, problematische Therapeut*inKlient*in-Beziehung) Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=43 PSZ mit 18.139 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 17,2 % Klient*in ist umgezogen / wurde umverteilt 9,7 % Abbruch durch Therapeut*in (z. B. unzureichend eingeschätzte Therapiemotivation, problematische Therapeut*in-Klient*in-Beziehung) 4.6 Versorgungsengpässe 4,5 % Klient*in wurde abgeschoben / ist „freiwillig“ ausgereist 2,5 % Therapie wurde abgebrochen, weil es keine Kostenübernahme (mehr) gab 17,1 % Sonstige Gründe Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=33 PSZ mit 14.645 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 4.5.2 Sprachmittlung Die PSZ bieten mehrsprachige und Dolmetscher*innen-gestützte Beratung und Therapie an, um eine qualitativ hohe psychosoziale Begleitung geflüchteter Menschen zu gewährleisten. 2021 fanden mehr als die Hälfte aller Beratungen/Therapien mit Sprachmittlung statt. Zudem konnte ein Viertel der Beratungen/Therapien aufgrund der Mehrsprachigkeit der Berater*innen beziehungsweise Therapeut*innen in einer Fremdsprache (nicht Deutsch) durchgeführt werden. 68 4.6.1 Ungedeckter Versorgungsbedarf Viele der nach Deutschland geflüchteten Menschen haben schwere Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erlebt. Bei einer repräsentativen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Forschungszentrums des BAMF und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gaben 87 % der Befragten an, potenziell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt zu haben (vgl. Brücker et al., 2019). Inwiefern und zu welchem Zeitpunkt solche Erlebnisse zu einer Traumafolgestörung führen, hängt stark von den Lebensbedingungen nach der Flucht ab, etwa von der Unterbringungssituation und der sozialen sowie beruflichen Perspektive. Auch die Möglichkeiten einer umfassenden Rehabilitation spielen hier eine bedeutsame Rolle. 69 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 87 % aller geflüchteten Menschen in Deutschland haben poten­ ziell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt. Rund 30 % sind von depressiven Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Studien zur Prävalenz psychischer Folgen von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen unter geflüchteten Menschen zufolge sind rund 30 % der geflüchteten Menschen von depressiven Erkrankungen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. Steel et al., 2009; Lindert et al., 2018) betroffen.12 Somit konnten die PSZ und ihre Kooperationspartner 2021 nur 4,1 % des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken. Diese Versorgungsquote ergibt sich aus den folgenden Daten für das Jahr 2021: — 1.936.350 geflüchtete Menschen in Deutschland, — 580.905 geflüchtete Menschen mit Traumafolgestörung (bei 30 % Prävalenz), — 21.725 Klient*innen in den PSZ, — 1.932 Vermittlungen an weitere Akteur*innen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass viele Menschen selbstorganisiert Wege finden, um mit den Folgen von Gewalt umzugehen. Viele benötigen dennoch professionelle Unterstützung, um sich zu stabilisieren, ihre Erlebnisse einzuordnen und sich neue Lebensperspektiven aufzubauen. Die Kapazitäten der PSZ liegen nach wie vor weit unter dem Bedarf, der an sie herangetragen wird. Bislang werden die Zentren nur durch eine unzureichende und stark diversifizierte Finanzierungsstruktur gestützt. Für die Mitarbeitenden erzeugt dieses Ungleichgewicht zwischen Versorgungskapazitäten und dem Hilfebedarf, der an sie herangetragen wird, einen enormen Versorgungsdruck. Diese angespannte Situation ist nicht neu, sondern begleitet alle PSZ seit vielen Jahren unabhängig von der Anzahl der Klient*innen, die die Einrichtungen jedes Jahr insgesamt versorgen können. 12 Vgl. Baron & Flory, 2019 für eine Übersicht von Studien zu diesem Thema. 70 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 4.6.2 Wartezeiten 2021 betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz in einem PSZ 7,2 Monate (n=39 PSZ mit 17.294 Klient*innen). Damit war sie deutlich höher als unter Patient*innen in der gesundheitlichen Regelversorgung (5,5 Monate im Jahr 202013, Deutsches Ärzteblatt, 2021). Hinzukommt, dass viele PSZ keine Wartelisten führen, weil sie auch dafür keine ausreichenden Ressourcen haben. 2021 warteten Klient*innen durchschnittlich 7,2 Monate auf einen Therapieplatz in einem PSZ. Auf ein Erstgespräch in den Zentren, um den Unterstützungsbedarf zu klären, warteten Klient*innen durchschnittlich 3,1 Monate (n=41 PSZ mit 17.528 Klient*innen). 4.6.3 Aufnahme von Klient*innen Die PSZ haben verschiedene Strategien entwickelt, um mit der Tatsache umzugehen, dass sie deutlich mehr Anfragen bekommen, als sie Klient*innen aufnehmen können. Drei Viertel der Zentren führten 2021 Wartelisten durch, während etwa ein Viertel entschied, keine Wartelisten zu führen, sondern sofort zu entscheiden, ob Personen aufgenommen werden oder nicht, unter anderem weil mehrmonatige Wartezeiten weniger zumutbar und teilweise mehr belastend sind als direkte Zuoder Absagen. Auch wenn die Zentren sich bemühen, regelmäßig neue Klient*innen aufzunehmen, hatte ein Drittel zeitweise Aufnahmestopps. Mehr als ein Viertel der Zentren führten auch Krisensprechstunden für Personen, die noch keine Klient*innen sind, durch, um damit Schutzsuchende in akuten Notfällen unterstützen zu können. 13 Aktuellere Daten waren nicht auffindbar. 71 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN Aufnahmepraktiken der PSZ 4 Aufnahmekriterien der PSZ trifft gar nicht zu 72,7 % Wir führten eine Warteliste. Wir hatten zeitweise Aufnahmestopps. 34,1 % Wir hatten Notfall-/ Krisensprechstunden, die auch für Klient*innen offen sind, die (noch) keine Klient*innen des Zentrums sind. 27,3 % Wir führten keine Warteliste, sondern entscheiden sofort, ob Personen aufgenommen werden oder nicht. 31,8 % Sonstiges 0% 20 % 40 % Personen ohne sicheren Aufenthalts­status (ohne Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis) 13,6% Personen in akuten Krisensituationen 6,8% 13,6% Personen, die nirgendwo anders psychosoziale Unterstützung erhalten (haben) 22,7 % 60 % 80 % Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Mehrfachangaben, © BAfF 2023 Entsprechend ihrer Entstehungsgeschichte und politischen Zielsetzung priorisieren die PSZ Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus bei der Aufnahme neuer Klient*innen. Darüber hinaus berücksichtigen sie häufiger folgende Kriterien, um angesichts begrenzter Kapazitäten zu entscheiden, wen sie aufnehmen: ob die Personen sich in Krisensituationen befinden, ob sie woanders psychosoziale Unterstützung erhalten (haben) und ob sie Folter erlebt haben. Sprachkenntnisse und Wohnort spielen hierbei eine weniger entscheidende Rolle. Zu den sonstigen Kriterien gehören: besondere Bedarfe/Vulnerabilität (z. B. ältere Personen, Schwangere, Alleinerziehende, Kinder/Jugendliche) sowie Personen, die sich selbst anmelden. 100 % trifft eher nicht zu 11,4% Personen, die Folter erlebt haben 15,9% Personen mit dringenden aufenthaltsrechtlichen Anliegen (Anhörung, Klageverfahren, Abschiebung etc.) 15,9% Personen mit bestimmten Sprach­ kenntnissen. 4,5% trifft eher zu trifft voll zu 36,4% 45,5% 45,5% 15,9% 13,6% 25,0% 65,9% Personen, die weniger als eine Stunde entfernt wohnen 56,8% Sonstige Personen 56,8% 34,1% 38,6% 34,1% 34,1% 36,4% 31,8% 27,3% 15,9% 15,9% 31,8% 15,9% 6,8% 2,3% 4,5% 27,3% Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Mehrfachangaben, © BAfF 2023 4.6.4 Weitervermittlung von Klient*innen Aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten versuchen viele PSZ Klient*innen an weitere Einrichtungen zu vermitteln, wenn eine adäquate Versorgung über diese möglich scheint. Dies gelingt jedoch häufig aufgrund verschiedener Zugangsbarrieren nicht (s. Kapitel 2). Die Anzahl der erfolgreichen Weitervermittlungen ist im Vergleich zum Vorjahr um 29,3 % gesunken. 2021 konnten pro Zentrum durchschnittlich 108,0 Klient*innen an andere Einrichtungen weitervermittelt werden. Somit ist die Anzahl der erfolgreichen Weitervermittlungen im Vergleich zum Vorjahr um 29,3 % 72 73 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 gesunken (Durchschnitt pro Zentrum 2020: 152,8 Personen). Zudem werden auch viele vermittelte Personen weiterhin durch die PSZ begleitet, weil die anderen Akteur*innen häufig nicht in der Lage sind, alle psychosozialen Bedarfe der Schutzsuchenden abzudecken. So wurden von den durchschnittlich 108,0 vermittelten Klient*innen durchschnittlich 64,5 Personen weiter durch die PSZ begleitet. Die Weitervermittlungen waren nach Akteur*innen wie folgt aufgeteilt. Pro PSZ durchschnittlich: — 50,6 Klient*innen an niedergelassene (Fach-)Ärzt*innen (Median: 9,0); — 44,0 Klient*innen an Sozialberatungsstellen (Median: 15,0); — 14,4 Klient*innen an niedergelassene Psychotherapeut*innen (Median: 4,0); — 16,7 Klient*innen an Kliniken (Median: 8,0); — 3,9 Klient*innen an ermächtigte Psychotherapeut*innen (Median: 0,0); — 1,2 Klient*innen an Gutachter*innen (Median: 0,0) und — 24,7 Klient*innen an sonstige Einrichtungen/Personen (Median: 0,0)( n=42-43 PSZ mit 17.872-20.149 Klient*innen). Zu den sonstigen Einrichtungen/Personen gehörten: Traumaambulanzen, Antidiskriminierungsstellen, Sozialpsychiatrische Dienste, Einrichtungen der Eingliederungshilfe, ehrenamtliche Organisationen, Rechtsanwält*innen, spezialisierte Beratungsstellen (z. B. zum Thema Sucht oder Arbeitsmarktintegration), Sprachkurse, Jugendämter, Krankenkassen sowie Freizeitangebote. 4 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN einzige Ausnahme ist das Jahr 2016, in dem es eine einmalige deutliche Steigerung der Vermittlungszahlen gab. Das ging mit einer deutlichen Steigerung der Klient*innenzahl in den PSZ und der temporär erhöhten Aufmerksamkeit für die Situation geflüchteter Menschen zwischen 2015 und 2016 einher. Entwicklung der Vermittlungszahlen im Zeitverlauf 1) Weitervermittlungen insgesamt 3) Weitervermittlungen an niedergelassene Psychotherapeut*innen 2) Weitervermittlungen an niedergelassene 4) Weitervermittlungen an Kliniken (Fach-)Ärzt*innen 250 214 190 200 164 1) 170 193 178,5 168 152,8 150 108 100 50 62 2) 61 24 3) 25 71 35 15 46 48,2 55,8 33 25 4) 21,3 20,4 12,9 14,4 19,2 16,2 16,7 2017 2018 2019 2020 2021 26 0 2013 2014 2015 2016 40,2 50,6 Quelle: Befragung der PSZ 2013-2021, Durchschnittliche Zahl der Vermittlungen pro PSZ, @BAfF 2023 Betrachtet man die Anzahl der Weitervermittlungen insbesondere in die gesundheitliche Regelversorgung im Zeitverlauf lässt sich keine positive Entwicklung feststellen. Auch wenn man berücksichtigt, dass 2020/2021 allgemein aufgrund der Covid-19-Pandemie für das Gesundheitssystem belastende Jahre waren, zeigen die Zahlen aus den Jahren davor auch keine Tendenz, die auf eine Verbesserung des Zugangs zur gesundheitlichen Regelversorgung für geflüchtete Menschen hindeutet. Die 74 75 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN 4 4.7 Finanzierung 4.7.1 Finanzierungsstrukturen Die PSZ werden hauptsächlich über zeitlich begrenzte öffentliche Fördermittel finanziert, wodurch die Nachhaltigkeit der Leistungen gefährdet ist. Die Finanzierungsquellen sind zudem oft sehr divers, was zu einem hohen bürokratischen Aufwand führt, weil eine Vielzahl an Förderanträgen gestellt werden muss. Zusätzlich belasten die Projektabrechnungsmodalitäten die Verwaltungen der Zentren. Die PSZ werden hauptsächlich über zeitlich begrenzte öffent­ liche Fördermittel finanziert. Zudem sind die Finanzierungs­ quellen oft sehr divers, was zu einem hohen bürokratischen Aufwand führt. Wie im Jahr davor stammte 2021 der größte Anteil (40,7 %) der PSZFinanzierung aus Landesmitteln. Lediglich 7,0 % der Haushalte wurden über Bundesmittel finanziert. Die Kostenübernahme von Therapien über die gesetzlich verankerten Leistungsträger, insbesondere die Sozialämter, Krankenkassen und Jugendämter, bildete 6,0 % der Gesamtfinanzierung der PSZ ab. Sowohl die Finanzierungsstrukturen als auch die Budgets der einzelnen Zentren unterschieden sich im Einzelnen stark. Bei drei PSZ stammte beispielsweise mehr als 90 % des Haushalts aus Landesmitteln, während vier PSZ keine Landesmittel bekamen. Das Zentrum mit dem größten Budget hatte 2021 € 6,8 Mio. zur Verfügung, während das Zentrum mit dem kleinsten Budget lediglich über knapp € 44.000 verfügte (Durchschnittliches Budget unter allen PSZ: € 908.534, Median: € 525.087). 76 Finanzierungsquellen der PSZ 40,7 % Landesmittel 15,0 % Kommunale Mittel 9,4 % AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) 7,0 % Bundesmittel 6,1 % Andere Stiftungen/NGOs 6,0 % Therapiefinanzierung (Sozialamt/Krankenkassen/Jugendämter) 5,2 % Spenden, Bußgelder, Mitgliedsbeiträge 4,3 % Kirchliche Fördermittel 1,2 % Träger (wenn kein Wohlfahrtsverband) 1,1 % Wohlfahrtsverband 1,1 % UNO-Flüchtlingshilfe 0,4 % Amnesty International 0,3 % Sonstige EU-/internationale Mittel 2,2 % Sonstiges Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=39 PSZ mit 13.076 Klient*innen, © BAfF 2023 4.7.2 Kostenübernahme von Psychotherapien Auch die Psychotherapien, die in den PSZ durchgeführt werden, werden zum größten Teil nicht über Leistungsträger, sondern über Fördermittel finanziert. 2021 konnten weniger als ein Zehntel der Psychotherapiekosten über die Sozialämter, Jugendämter oder Krankenkassen abgerechnet werden. Kostenübernahme durch die Sozialämter Die Sozialämter sind für die Kostenübernahme der gesundheitlichen Leistungen während des Asylverfahrens zuständig. Bei Personen, die seit weniger als 18 Monaten in Deutschland sind, gestaltet sich die Übernahme von Therapiekosten über die Sozialämter jedoch schwierig. 77 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Kostenübernahme von Psychotherapien in den PSZ DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN Leistungsansprüche und Kostenträger während und nach dem Asylverfahren 1,3 % Sozialamt Leistungsansprüche 0,7 % Jugendamt 5,1 % Krankenkassen ohne Ermächtigung 2,3 % Krankenkassen über eine Ermächtigung 90,7 % Sonstiges bis 18 Monate ab 18 Monate Abschluss des Asylverfahrens Leistungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG Leistungsumfang analog zu dem der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (Analogleistungen) Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung Behandlungs- Gesundheitsschein karte Gesundheitskarte Versichertenkarte Kostenträger: Sozialamt Kostenträger: Sozialamt Kostenträger: Krankenkasse Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=21 PSZ mit 15.340 Klient*innen, © BAfF 2023 Der Aufwand für die Antragstellung ist in der Regel sehr hoch und mit geringen Erfolgschancen verbunden, da einem Antrag nur stattge­ geben wird, wenn akute Erkrankungen oder Schmerzzustände vorliegen (§4 AsylbLG). Von der Möglichkeit, Leistungen zu gewähren, wenn diese „im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich“ sind (§6 AsylbLG), wird – nach Erfahrungen der PSZ – bei Psychotherapien eher selten Gebrauch gemacht. Bundesweite Daten zur Genehmigung von Anträgen zur Kostenerstattung von Therapien auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen nicht vor. Nach 18 Monaten besteht ein Anspruch auf Leistungen analog gesetzlich Versicherter. 4 Angesichts der geringen Erfolgschancen beantragten 2021 lediglich zehn PSZ eine Kostenübernahme von Psychotherapien beim Sozialamt. Zudem beantragten manche Zentren die Kostenübernahme von Sprachmittlung und Fahrtkosten, um Therapien auch praktisch umsetzen zu können. Die Erfolgsquote der Anträge unterschied sich stark danach, ob eine Therapie, Sprachmittlung oder Fahrtkosten finanziert werden sollten. So wurden 84,8 % der Therapieanträge genehmigt, 91,4 % der Sprachmittlungsanträge und 68,4 % der Anträge auf Fahrtkostenübernahme (n=9 PSZ). Die Ablehnungsquote für Therapieanträge betrug 15,2 % und war damit deutlich höher als bei gesetzlich Versicherten (2,7 %)(Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2022). Die Bearbeitung der Anträge dauerte im Schnitt 2,8 Monate (n=8 PSZ). Kostenübernahme durch die Jugendämter Für Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung von sorgeberechtigten Personen nach Deutschland einreisen, gelten besondere Regelungen 78 79 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 DATEN AUS DEN PSYCHOSOZIALEN ZENTREN zur Kostenübernahme bei der Gesundheitsversorgung. Bei Therapien hängt der Kostenträger davon ab, ob der Bedarf durch eine behandlungsbedürftige psychische Störung, eine Störung des Erziehungsprozesses oder aufgrund einer seelischen Behinderung entsteht. Liegt eine behandlungsbedürftige psychische Störung vor, trägt die Krankenkasse die Kosten, in anderen Fällen in der Regel das Jugendamt. Mögliche Kostenträger für Therapien für unbegleitete minderjährige Geflüchtete Heilbehandlung (SGB V) Hilfe zur Erziehung (SGB VIII) Eingliederungshilfe (SGB VIII) Voraussetzung Behandlungsbedürftige psychische Störung Störung des Erziehungsprozesses Seelische Behinderung Versorgungs­ anspruch Heilbehandlung (Psychotherapie) Unterstützung oder Ergänzung des Erziehungsprozesses Hilfen in Bezug auf psychische Belastung und Besonderheiten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben Kostenträger Krankenkasse Jugendamt Jugendamt Quelle: Befragung der PSZ 2021, n=44 PSZ mit 18.322 Klient*innen, Durchschnittswerte, © BAfF 2023 4 übernahme von Psychotherapie bei Krankenkassen. Fast alle wurden bewilligt (97,8 %). Anträge auf Übernahme von Sprachmittlungs- und Fahrtkosten waren deutlich weniger erfolgreich (Sprachmittlungskosten: 0 %, Fahrtkosten: 25,0 %) (n=44 PSZ). Kostenübernahme durch Ermächtigung 2015 wurde bundesweit eine neue Regelung zur sogenannten Ermächtigung von Psychotherapeut*innen bzw. psychotherapeutischen Einrichtungen geschaffen. Danach können Psychotherapeut*innen und Einrichtungen, die keinen Kassensitz haben, Therapien über die Krankenkassen abrechnen. Hierdurch soll ermöglicht werden, dass mehr Psychotherapeut*innen geflüchtete Menschen behandeln können. Die Regelung ist jedoch an einige Voraussetzungen gebunden, die die Nutzung erschweren. So dürfen ermächtigte Psychotherapeut*innen lediglich Asylsuchende behandeln, die zwar bereits 18 Monate in Deutschland sind, aber noch keine Flüchtlingsanerkennung und keine Arbeit oder Ausbildungsstelle haben, d. h. noch nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. 2021 verfügten lediglich fünf PSZ über eine institutionelle Ermächtigung, ein PSZ über eine persönliche Ermächtigung (über eine*n psychotherapeutische*n Mitarbeiter*in) und ein PSZ über beides (n=43 PSZ). Fast alle Anträge auf Kostenübernahme einer Therapie über die Ermächtigung wurden bewilligt (98,8 %)(n=44 PSZ). Sechs Zentren stellten im Jahr 2021 einen Antrag auf Kostenübernahme einer Psychotherapie beim Jugendamt. Von den gestellten Anträgen auf Psychotherapie wurden 75,0 % genehmigt, bei Dolmetscherkosten 90,5 % und bei Fahrtkosten 35,3 % (n=44 PSZ). Kostenübernahme durch die Krankenkassen Wie bereits beschrieben nehmen die PSZ prioritär Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und entsprechend ohne gesetzliche Krankenversicherung als Klient*innen auf. Vor diesem Hintergrund sind Krankenkassen sehr selten Kostenträger ihrer psychotherapeutischen Leistungen. 2021 stellten lediglich drei Zentren einen Antrag auf Kosten- 80 81 5 FORDERUNGEN & AUSBLICK BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 5 — Forderungen & Ausblick 5.1 Forderungen Auch die Daten von 2021 zur psychosozialen Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland zeigen, dass eine deutliche Erweiterung der Kapazitäten notwendig ist, um Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht eine angemessene Rehabilitationsmöglichkeit zu bieten. Der Zugang geflüchteter Menschen zur gesundheitlichen Regelversorgung muss erleichtert werden, zumindest durch die Gleichstellung Asylsuchender mit gesetzlich Krankenversicherten und die flächendeckende Finanzierung von Sprachmittlung. Die Psychosozialen Zentren (PSZ) mit ihren spezialisierten und multiprofessionellen Angeboten müssen nachhaltiger finanziert werden, damit sie auch in Zukunft Schutzsuchende bedarfsgerecht unterstützen können. Darüber hinaus müssen Aufnahmebedingungen humaner gestaltet werden, so dass sie nicht zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit von geflüchteten Menschen führen. Die BAfF fordert folgende grundlegende strukturelle Veränderungen, damit die Bedarfe schutzsuchender Menschen angemessen bedient werden können: Aufnahme und Aufenthalt 1. den Auf- und Ausbau von Wohnräumen für geflüchtete Menschen mit ausreichend Privatsphäre, Zugang zu sozialen Netzwerken/ Gemeinschaften und unabhängigen Beratungsangeboten (Sozialberatung, Rechtsberatung, gesundheitliche Beratung etc.); 84 FORDERUNGEN & AUSBLICK 2. 3. 5 die Einführung einer unabhängigen Stelle zur Sicherung menschenwürdiger Bedingungen in Unterkünften für geflüchtete Menschen bundesweit; eine realistische Bleibeperspektive für alle schutzbedürftigen Personen, unabhängig von ihrer Herkunft, die sich bereits in Deutschland aufhalten; Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und Sozialleistungen 4. verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt inklusive vereinfachter Anerkennungsmöglichkeiten ausländischer Berufsabschlüsse; 5. den uneingeschränkten Zugang geflüchteter Menschen zum Sozialleistungssystem inklusive Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsmaßnahmen; 6. vereinfachte Möglichkeiten als Person, die keine deutschen (Schul-) Abschlüsse hat, Ausbildungen und Studiengänge aufzunehmen; 7. Sicherstellung von Zugang zur regulären Schule und Kindertagesstätten auch für Kinder, die in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen; Zugang zum Sozial- und Gesundheitswesen 8. dass geflüchtete Menschen von Anfang an in allen Bundesländern eine Krankenkassenkarte erhalten, das öffentliche Gesundheitssystem mit denselben Ansprüchen wie gesetzlich Versicherte nutzen können und in die gesetzliche Pflegeversicherung einbezogen werden; 9. die Verstetigung spezialisierter Hilfen für Überlebende von Gewalt in PSZ durch flächendeckende und nachhaltige Finanzierung von Bund und Ländern; Sprachmittlung 10. eine allgemeine Finanzierung von Sprachmittlung im sozialen, rechtlichen und gesundheitlichen Bereich für Menschen ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen über einen gesetzlichen Anspruch, vergleichbar mit dem Gebärdendolmetschen. Dieser müsste auch über das Asylbewerberleistungsgesetz, insbesondere für Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung in den ersten 85 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 18 Monaten ihres Aufenthaltes, erreichbar sein und die Kostenübernahme für sie verbindlich regeln; 11. die nachhaltige Finanzierung von Sprachmittlung im multiprofessionellen Versorgungsangebot der PSZ, welches neben therapeutischen Angeboten auch Sozial- und Rechtsberatung enthält; denn gerade wiederholt sich das alte Spiel. Wieder einmal steigt die Zahl der ums Leben gekommenen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Europa fliehen. Wieder einmal wird das Recht auf Asyl gebrochen. Wieder einmal gehen von den Sicherheitskräften der EU-Mitgliedsstaaten massive Menschenrechtsverletzungen aus. Identifizierung von Schutzbedarfen 12. die nachhaltige Finanzierung, Umsetzung und Qualitätssicherung eines flächendeckenden, zielgruppenübergreifenden und systematischen Konzepts zur Identifizierung und Versorgung besonders schutzbedürftiger geflüchteter Menschen auf Basis der EU-Aufnahmerichtlinie; 13. die gesetzliche Regelung, dass krankheitsbedingte Abschiebungsverbote und -hindernisse systematisch berücksichtigt werden müssen und durch alle fachlich dafür qualifizierten Berufsgruppen festgestellt werden können (darunter auch Psychologische Psychotherapeut*innen); In Deutschland werden Menschen, die extreme Gewalterfahrungen von Krieg, Folter und Verfolgung erlitten, die aus Afghanistan, dem Iran, den kurdischen Gebieten, aus Sudan oder Syrien fliehen mussten, zusätzlichen Belastungen ausgesetzt: durch strukturellen Rassismus, durch staatliche Ungleichbehandlung oder unwürdige Unterbringung. Sensibilisierung des Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und Behördenwesens 14. die Fortbildung von Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-, Rechtsund Behördenwesen in diskriminierungssensibler Arbeit im Kontext Flucht und Menschenrechtsverletzungen, unter anderem durch Integration dieser Themen in Ausbildungscurricula; Verbesserung der Datenlage 15. die Verbesserung der Datenlage über die gesundheitlichen und psychosozialen Bedarfe und die Versorgung geflüchteter Menschen. 5.2 Ausblick Es ist 75 Jahre her, dass die Allgemeine Erklärung der Menschen­ rechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet wurde. Doch sie hat nichts von ihrer Bedeutung verloren, 86 FORDERUNGEN & AUSBLICK 5 All diese Belastungen, die geflüchtete Überlebende ertragen müssen, werden in den Psychosozialen Zentren, die sich im Bundesverband BAfF organisieren, versucht aufzufangen. Diesem oft scheinbar über die Grenzen des Möglichen hinausgehenden Engagement für ein inklusiveres Gesundheitssystem, das die Menschenrechte achtet und humane Aufnahmebedingungen schafft, gilt unser größter Respekt und Dank. Gemeinsam setzen wir uns für einen diskriminierungsfreien und bedarfsgerechten Zugang zur gesundheitlichen und sozialen Versorgung geflüchteter Überlebender ein. Als Unterzeichnerstaat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht Deutschland in der Pflicht, diese zu achten – im Inland genauso wie im Rahmen der EU und internationaler Beziehungen. Vor 30 Jahren wurde das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt, das die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Asylsuchenden im Sozial- und Gesundheitssystem manifestiert. Und die aktuelle Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems lässt Schlimmes befürchten. Die Institutionen, die versuchen Asylsuchenden ein Mindestmaß an sozialen und gesundheitlichen Standards zu ermöglichen, werden in ihrem Engagement ausgebremst oder müssen wegen fehlender Unterstützung aufgeben. Die Finanzierung etwa der Psychosozialen Zentren ist derart 87 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 komplex, unsicher und wenig nachhaltig, dass es vielerorts nicht gelingt, dringend notwendige Angebote für geflüchtete Überlebende bereitzuhalten. Die eklatante Verzögerung der Förderung durch den EUFonds AMIF, eine wesentliche Finanzierungssäule, macht Engagement unmöglich und zerstört die wenigen vorhandenen, oft durch Ehrenamt ge­­tragenen Strukturen. Die Bundesregierung möchte Asylverfahren fairer und zügiger gestalten. Dabei wurde versäumt, die unangemessenen Anforderungen an ärztliche Atteste und Stellungnahmen zur Bescheinigung krankheitsbedingter Abschiebehindernisse zu ändern. Neben der Anerkennung von Psychologischen Psychotherapeut*innen zur Diagnostik psychischer Erkrankungen fordern wir, dass die Beweislast bei den Behörden und nicht mehr bei den Betroffenen liegt. Die Kosten für die Erstellung von ausführlichen und unabhängigen Expertisen sollten von den Behörden übernommen werden, da sie zur Sachaufklärung verpflichtet sind und viele Betroffene nicht über die finanziellen Mittel verfügen, die Kosten selbst zu tragen. Hier finden Sie unser Positionspapier „Lebensgefahr durch Abschiebung“: https://www.baff-zentren.org/themen/fluchttrauma/positionspapier-lebensgefahr-durch-abschiebungenschwerkranke-gefluechtete-muessen-besser-geschuetzt-werden/ Hier finden Sie mehr Informationen zur geplanten Verfassungs­ beschwerde gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und ProAsyl: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/schutzschwerkranker-menschen-vor-abschiebung/ Als besonders schutzbedürftig definiert die EU-Aufnahmerichtlinie geflüchtete Menschen, die massive Gewalt erfahren haben oder unter schweren psychischen Erkrankungen leiden. Deutschland ist dazu verpflichtet, besondere Schutzbedarfe von Menschen im Asylverfahren zu identifizieren und diesen Bedarfen in der Unterbringung und Versorgung nachzukommen. 88 FORDERUNGEN & AUSBLICK 5 In unserem Modellprojekt „BeSAFE – Besondere Schutzbedarfe bei der Aufnahme erkennen” wurde erstmals ein Konzept zur systematischen und zielgruppenübergreifenden Identifizierung besonders schutzbedürftiger geflüchteter Menschen nach der Aufnahme in Deutschland entwickelt, pilotiert und evaluiert. Nun stehen die Ergebnisse und Erkenntnisse allen Bundesländern sowie NGOs sowie der freien Wohlfahrt zur Verfügung. Damit beraten und begleiten wir bei der Implementierung bedarfs- und standortgeeigneter Identifizierungsmaßnahmen. Die Toolbox mit Leitfäden für die Praxis, Arbeitsvorlagen für wichtige Dokumente sowie das Policy Paper finden Sie hier: https:// www.baff-zentren.org/publikationen/toolbox-schutzbedarfe Um Sprachmittlung in der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung für Menschen ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen sicherzustellen, braucht es einen gesetzlichen Anspruch, damit eine fachgerechte Beratung, Diagnostik, Aufklärung und Behandlung ermöglicht werden kann. Die Bundesregierung möchte diese gesetzliche Regelung über die Sozialgesetzbücher auf den Weg bringen, bis heute liegt aber kein Entwurf vor. Zudem braucht es eine äquivalente Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz, um dem Großteil der Klient*innen der PSZ eine gesicherte Finanzierung von Sprachmittlung zu gewährleisten. Gemeinsam mit Verbänden aus dem Gesundheitswesen (DGPPN, BPtK, ackpa, DeGPT und BDK) hat die BAfF ein Positionspapier zur Umsetzung eines gesetzlichen Anspruchs auf Sprachmittlung veröffentlicht: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/positionspapiersprachmittlung-2022/ Die BAfF hat gemeinsam mit den PSZ Leitlinien für Sprachmittlung im Kontext Flucht erarbeitet und veröffentlicht: https://www.baffzentren.org/aktuelles/leitlinien-sprachmittlung/ 89 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Im Rahmen von Kooperationsprojekten haben wir auch die fachliche Qualität der psychosozialen Unterstützung für geflüchtete Über­ lebende weiterentwickelt. Das Projekt „InTo Justice. Interdisziplinäre Dokumentation und ganzheitliche Rehabilitation von Folter und Folterfolgen“ hatte zum Ziel, Folterspuren interdisziplinär zu dokumentieren und die Rehabilitation der Überlebenden zu ermöglichen. Orientiert an den Standards zur Dokumentation von Folterfolgen und den Möglichkeiten der Umsetzung in Deutschland wurde während der Projektlaufzeit ein Versorgungspfad für Überlebende von Folter und schwerer Gewalt in vier Schritten systematisiert: — Identifizierung — vertiefte Bedarfsklärung — interdisziplinäre Sachverhaltsaufklärung in Kooperation mit der Rechtsmedizin — Rehabilitation In der aus dem Projekt „InTo Justice” entstandenen Publikation „Überlebende von Folter und schwerer Gewalt – Wege in die Rehabilitation” wird dieser Versorgungspfad anhand von Fallbeispielen anschaulich erläutert. Die Publikation und weitere Informationen zum Folgeprojekt sind hier zu finden: https://folterfolgen.de/ Durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine befinden wir uns zudem in einer neuen asyl- und gesellschaftspolitischen Situation. Die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine war lange hoch. Anders als in vergangenen Krisen erhielten die meisten Geflüchteten unbürokratisch temporären Schutz und einen gleichberechtigten Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung. Das zeigt vorbildhaft: Wenn der politische Wille da ist, ist vieles möglich. Dennoch standen Fachkräfte im Aufnahme-, im Jugendhilfe- und im Gesundheitssystem im letzten Jahr vor enormen Herausforderungen. Einige davon waren neu, andere hingegen sind Ausdruck systemimmanenter Defizite, die bereits seit vielen Jahren 90 FORDERUNGEN & AUSBLICK 5 bestehen. In unserem Kooperationsprojekt „Vorbild Ukraine? Hilfesysteme der Zukunft“ haben wir deshalb aufgezeigt, was Unterstützungsstrukturen brauchen, damit Kinder und Jugendliche aus der Ukraine hier sicher und geschützt vor weiteren Belastungen ankommen können. Auf einer zweitägigen Fachtagung im Juni 2023 haben wir die Erfahrungen von jungen Menschen aus der Ukraine und den sie begleitenden Fachkräften reflektiert, Potenziale für die Unterstützungsstrukturen aufgezeigt und sie mit den Perspektiven von Selbstorganisationen und Entscheidungsträger*innen zusammengebracht. Wir haben gesehen, was Solidarität und Selbstorganisation für die Selbstwirksamkeit und die Perspektiven geflüchteter Menschen bedeuten können. So wurde aber auch klar, welche immanenten Lücken es im System gibt und wie schnell sich humanitäres Engagement erschöpft, wenn Aufnahme- und Versorgungsstrukturen nicht nachhaltig qualifiziert und vernetzt, strukturell verankert und herkunftsunabhängig allen Schutzsuchenden zugänglich gemacht werden. Informationen und Ergebnisse zum Projekt finden sich unter: https://www.baff-zentren.org/projekte/vorbild-ukraine/ Auf unseren Jahrestagungen stellen wir aktuelle Themen der psychosozialen Versorgung im Kontext Flucht und Gewalt sowie Schwerpunkte unserer Arbeit in den Fokus. „Gerechtigkeit heilt. Psychosoziale Zentren für Geflüchtete als Menschenrechtsorganisationen und Versorgungsstruktur“ stand im Mittelpunkt der Bochumer Tagung 2023: https://www.baffzentren.org/aktuelles/baff-tagung-2023/ „Posttraumatisches Wachstum? Unterstützung von Transformationsprozessen nach Trauma und Krisen“ war der Schwerpunkt der Tagung 2022 in Leipzig: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/ bundesfachtagung-der-psychosozialen-zentren/. 91 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Die Erhebung von Versorgungsdaten ist ein zentrales Instrument unserer politischen und fachlichen Arbeit. Derzeit arbeiten wir an der Weiterentwicklung des Datenbanksystems, um die Datenerhebung in den PSZ zu verbessern. Im Rahmen der transnationalen Vernetzung stärken wir die Zusammenarbeit zwischen Akteur*innen in Europa, die vor Ort psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete und Folterüberlebende leisten und dabei einen menschenrechtlichen Ansatz verfolgen und politisch aktiv sind. In dem vom Auswärtigen Amt geförderten Projekt „Razom – Gemeinsam“ unterstützt die BAfF ukrainische Fachkräfte der psychosozialen Versorgung im Kontext von Flucht und Gewalt im Zuge des russischen Angriffskriegs, der Besatzung, Verfolgung und Vertreibung. Ziel der Qualifizierungsmaßnahmen ist die Stärkung der Qualität und Nachhaltigkeit einer menschenrechtsorientierten psychosozialen und psychologischen Unterstützung, insbesondere in der Ukraine sowie in anderen europäischen Ländern. Darüber hinaus unterstützt die BAfF seit einigen Jahren ein transnationales Netzwerk von Gesundheitsfachkräften und Menschenrechtsverteidiger*innen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Russland und Ukraine. Das Netzwerk leistet psychosoziale Unterstützung für Opfer struktureller politischer Gewalt. Die Teilnehmenden werden hinsichtlich ihrer Kompetenzen in traumasensibler Arbeit, zum Schutz vor Burn-out (wie Selbstfürsorge und Aufbau von Peer-Support-Strukturen) sowie hinsichtlich ihrer Vernetzung innerhalb und über die Ländergrenzen hinweg gestärkt. Ende 2022 kamen die Mitglieder des Netzwerks das erste Mal im Rahmen einer zweitätigen Fachtagung in Berlin zusammen. Die Gesundheitsfachkräfte der beteiligten Länder diskutierten verschiedene Aspekte ihrer psychosozialen Arbeit und die Herausforderungen in ihren jeweiligen Kontexten. Es ist geplant, die bisherige Projektarbeit fortzuführen und das Netzwerk weiter zu konsolidieren. Dabei soll der inhaltliche Fokus auf der theoretischen Vermittlung 92 FORDERUNGEN & AUSBLICK 5 und praktischen Implementierung der Ansätze des menschenrechts­ orientierten psychosozialen Modells in der Arbeit mit Geflüchteten und Folterüberlebenden liegen. Im Rahmen des Projekts Razom findet im Oktober 2023 eine europäische Konferenz in Warschau statt. Sie schafft Räume für transnationale Vernetzung, gegenseitige Unterstützung und Wissensaustausch zwischen Praktiker*innen, die sich für besonders schutzbedürftige Geflüchtete und Binnenvertriebene einsetzen, insbesondere mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine. Im Fokus steht die Förderung eines gemeinsamen multiperspektivischen Verständnisses von psychosozialer Unterstützung und Stabilisierung im Kontext von Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Asyl und Grenzregimen: https://www.baff-zentren.org/projekte/razom/ Ende 2022 organisierte die BAfF gemeinsam mit Menschenrechtsverteidiger*innen und Akteur*innen der psychosozialen Unterstützung aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine internationale Tagung. Dabei wurde unter anderem erörtert, wie Hilfe für Helfer*innen erfolgen kann, die bereits vor dem Krieg wenig Unterstützung erfuhren, sich vor Ort um Überlebende von Krieg und Gewalt kümmern und nun in ihrer Arbeit konstant über ihre eigenen Grenzen gehen. Der Deutschlandfunk hat einen Beitrag darüber verfasst: https://www.deutschlandfunk.de/ukrainekrieg-helfer-kriegshelfer-zivil-100.html Die Publikation „Connected in Transit“ ermöglicht einen Einblick in die Perspektiven der Praktiker*innen im Feld der psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten und Migrant*innen in den westlichen Balkanstaaten und in Deutschland. Der Bericht reflektiert die Ergebnisse und Prozesse unseres Projekts „Sharing Knowledge and Practices“, das Fachleuten aus der Praxis ermöglichte, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in der ganzheitlichen Unterstützung für Geflüchtete und Überlebende von Menschenrechtsverletzungen auszutauschen. Die Publikation zeigt anhand von Good- 93 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Practice-Beispielen, konkreten Fallbeispielen und Empfehlungen der Teilnehmer*innen die Relevanz des Projekts, aber letztlich auch die Bedeutung des transnationalen Austauschs zwischen den sogenannten Transit- und Aufnahmekontexten: https://www. baff-zentren.org/aktuelles/connected-in-transit/ 94 6 LITERATURVERZEICHNIS BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 6 — Literatur­ verzeichnis LITERATUR­V ERZEICHNIS 6 https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/03/2019-03-01_STN_BPtK_ BAfF_Geordnete-R%c3%bcckkehr-Gesetz.pdf Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und BAfF (2021). Sprachmittlung als Leistung ins SGB V aufnehmen. Für fremdsprachige Patient*innen den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/ wp-content/uploads/2021/05/BAfF_BPtK_Positionspapier_Sprachbarrieren-in-derGesundheitsversorgung.pdf Deutsches Ärzteblatt (2021). Psychotherapie: Fragen für eine gerechte Versorgung. Bozorgmehr, K.; Biddle, L.; Gottlieb, N. (2022). Gesundheitssystem zwischen Krise und Integration: Lehren aus 30 Jahren Fluchtmigration. In: GGW 2022,·Jg. 22, Heft 3 (September), 15–26. Verfügbar unter: https://gg-digital.de/imperia/md/gug/archiv/ ggw_0322.pdf BAfF (2021). Lebensgefahr durch Abschiebungen: Schwerkranke Geflüchtete müssen besser geschützt werden. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/ wp-content/uploads/2021/04/BAfF_Forderungen-zum-Schutz-schwer-krankerGefluechteter_2021.pdf Baron, J. & Flory, L. (2019). Versorgungsbericht. Zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern. 5. Aktualisierte Auflage. Bundesweite Arbeits­ gemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/11/BAfF_ Versorgungsbericht-5.pdf Baron, J.; Flory, L.; Krebs, D. (2020). Living in a Box. Psychosoziale Folgen des Fragen-fuer-eine-gerechte-Versorgung Hamber, B. (2009). Transforming Societies after Political Violence: Truth, Reconciliation, and Mental Health. New York: Springer Herman, J. (1992). Trauma and Recovery. The Aftermath of Violence – from Domestic Abuse to Political Terror. New York: Basic Books Janda, C. (2021). Existenzminimum, Gleichbehandlung, Menschenwürde: Rechtliche Anforderungen an die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden. In: Nowak, A.C.; Krämer, A.; Schmidt, K. (Hrsg.), Flucht und Gesundheit. Facetten eines interdiszi­ plinären Zugangs. Z’Flucht, Sonderband, Baden-Baden: Nomos, 31-49 Kassenärztliche Bundesvereinigung (2022). Gutachtenstatistik 2021. Verfügbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/2022_12_14_Gutachtenstatistik_2021_final.pdf Keilson, H. (1979). Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Stuttgart: Enke Lindert, J.; Ehrenstein, O. S. von; Wehrwein, A.; Brähler, E.; Schäfer, I. (2018). Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder. Verfügbar unter: Angst, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen bei Flüchtlingen https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/05/BAfF_Living-in-a-box_ – eine Bestandsaufnahme. PPmP - Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Kinder-in-Ankerzentren.pdf Becker, D. (1992). Ohne Hass keine Versöhnung. Das Trauma der Verfolgten. Freiburg: Kore Verlag Brücker, H.; Croisier, J.; Kosyakova, Y.; Kröger, H.; Pietrantuono, G.; Rother, N.; Schupp, J. (2019). Zweite Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung. Geflüchtete machen Fortschritte bei Sprache und Beschäftigung. Ausgabe 01/2019 der Kurzanalysen des Psychologie, 68(01), 22–29. https://doi.org/10.1055/s-0043-103344 Martin-Baro, I. (1990). Psicología social de la guerra: trauma y terapia. San Salvador: UCA Editores Mlodoch, K. (2017). Gewalt, Flucht – Trauma? Grundlagen und Kontroversen der psychologischen Traumaforschung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Mohsenpour, A.; Biddle, L.; Krug, K.; Bozorgmehr, K. (2021): Measuring Deterioration BAMF-Forschungszentrums. Verfügbar unter: https://doku.iab.de/kurzber/2019/ of Small-Area Housing Environment: Construction of a Multi-dimensional Assessment kb0319.pdf Index and Validation in Shared Refugee Accommodation. SSM – Population Health, Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und BAfF (2019). Entwurf eines zweiten 98 Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/120474/Psychotherapie- Vol. 13, 100725 Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr- Steel, Z.; Chey, T.; Silove, D.; Marnane, C.; Bryant, R.A.; van Ommeren, M. (2009). Gesetz). Gemeinsame Stellungnahme der BPtK und der BAfF. Verfügbar unter: Association of Torture and Other Potentially Traumatic Events with Mental Health 99 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Outcomes Among Populations Exposed to Mass Conflict and Displacement: A Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA: The Journal of the American Medical Association, 302(5), 537-549 Träbert, A. & Teigler, L. (2022). Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der psycho­ sozialen Versorgung traumatisierter Geflüchteter: Schutzbedarfskomplexe und praktische Ansätze UNHCR (1951). Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. Verfügbar unter: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/ Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (2013). Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer „Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund“. Deutsches Ärzteblatt, 110(18), A-899 / B-783/ C-779. 100 7 ANHANG BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 ANHANG 7 7 — Anhang Duldung („vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“): Eine Duldung ist der recht- 7.1 Glossar liche Status, den ausreisepflichtige Personen erhalten, wenn eine Abschiebung nicht möglich ist (beispielsweise weil Abschiebungsverbote vorliegen). Abschiebungsverbot: Bei Personen, die weder eine Anerkennung als Asylberechtigte*r, EU-Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch als subsidiäre*r Schutzberechtigte*r Rates): Die EU-Aufnahmerichtlinie definiert die Mindeststandards für die Aufnahme von erhalten, kann ein Abschiebungsverbot festgestellt werden, wenn bestimmte Gründe gegen Schutzsuchenden durch die EU-Mitgliedstaaten bezüglich Unterbringung, medizinischer eine Abschiebung sprechen. Es wird zwischen inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen Versorgung sowie Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. (§60a Abs. 2c, 2d AufenthG) und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (§60 Abs. 5, 7 AufenthG) unterschieden. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse können dann erteilt Ermächtigung (nach §31 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte): Mit einer Ermächti- werden, wenn eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mög- gung können Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz Therapien über die Krankenkassen lich ist, beispielsweise bei krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit oder fortdauernder Pass- abrechnen. Diese Regelung gilt jedoch nur für die Behandlung von Schutzsuchenden, die losigkeit. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote werden dann erteilt, wenn besonders bereits 18 Monate in Deutschland leben, aber noch keine Flüchtlingsanerkennung haben schlechte humanitäre Bedingungen im Herkunftsland und/oder erhebliche konkrete Gefahr und noch nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. für Leib, Leben oder Freiheiten durch das BAMF festgestellt werden. Niederlassungserlaubnis: Eine Niederlassungserlaubnis ist der rechtliche Status, mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG): Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt den sich Nicht-EU-Ausländer*innen unbefristet in Deutschland aufhalten können. Die Voraus- Anspruch von Personen auf Geld- und Sachleistungen während des Asylverfahrens. setzungen für die Erteilung werden im Aufenthaltsgesetz geregelt und berücksichtigen unter anderem die Dauer des bisherigen Aufenthalts in Deutschland, die Lebensunterhaltssiche- Aufenthaltsgestattung: Eine Aufenthaltsgestattung ist der rechtliche Status, den Personen rung, die Beschäftigungssituation und Kenntnisse der deutschen Sprache. während des Asylverfahrens erhalten. Psychologische*r Psychotherapeut*in: Psychologische Psychotherapeut*innen unterBesonders Schutzbedürftige: Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und scheiden sich von ärztlichen Psychotherapeut*innen dadurch, dass sie ein Psychologie- des Rates (Aufnahmerichtlinie) definiert bestimmte Personengruppen als besonders Schutz- studium und nachfolgend eine Psychotherapeut*innenausbildung absolviert haben statt bedürftige. Zu diesen zählen: (unbegleitete) Minderjährige, Menschen mit Behinderung, eines Medizinstudiums und einer Ausbildung zur*m Fachärzt*in. Bei der Mehrheit der ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von niedergelassenen Psychotherapeut*innen in Deutschland handelt es sich um Psychologische Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychi- Psychotherapeut*innen. schen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Die EU-Mitgliedstaaten sind Sichere Herkunftsstaaten: Bei sogenannten sicheren Herkunftsstaaten geht das BAMF dazu verpflichtet, besonders schutzbedürftige Geflüchtete zu identifizieren und angemessen davon aus, dass dort keine staatliche Verfolgung stattfindet und dass der Staat vor Verfol- zu versorgen. Hierzu zählt die Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse im Asylver- gung durch Dritte schützen kann. Personen aus diesen Ländern haben deutlich schlechtere fahren und bei der Unterbringung. Chancen, einen Schutzstatus in Deutschland zu erhalten. Derzeit gehören zu den gesetzlich definierten sicheren Herkunftsstaaten: Mitgliedsstaaten der EU, Albanien, Bosnien und Dublin-Verfahren: Im Dublin-Verfahren wird geprüft, welcher EU-Staat für die Durchfüh- Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien. rung eines Asylverfahrens zuständig ist. Wurde beispielsweise eine Person bereits in einem anderen EU-Staat als Asylsuchende*r registriert, kann sie im Rahmen des Dublin-Verfah- Unbegleitete Minderjährige Geflüchtete/Flüchtlinge (UMF): Minderjährige, die ohne rens in dieses Land zurückgeschoben werden (Dublin III-VO (EU) Nr. 604/2013 i.V.m. der Begleitung durch erziehungsberechtigte Personen nach Deutschland geflüchtet sind, werden Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO (EU) Nr. 118/2014 und der EURODAC II-VO (EU) als unbegleitete minderjährige Geflüchtete/Flüchtlinge bezeichnet. Für sie gelten besondere Nr. 603/2013). Regelungen bezüglich der Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicher Versorgung. 104 105 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 ANHANG 7.2 Übersicht der PSZ Die Psychosozialen Zentren finden sich in allen Bundesländern.* 45 Kiel Rostock 24 46 Neumünster Cuxhaven 25.6 23 Greifswald 18 / 19 / 20 Hamburg Oldenburg 25.5 / 26 16.8 Lk Ostprignitz-Ruppin 16.1 Lk Barnim 12 / 13 / 14 / 15 / 16 Berlin Potsdam 16.7 25.1 Hannover 16.4 Lk Oder-Spree Braunschweig 25.2 Lk Teltow-Fläming 16.6 44.2 Magdeburg 16.5 Lk Spree-Neiße 32 Bielefeld Lk Oberspreewald-Lausitz 16.3 16.2 Lk Elbe-Elster Osnabrück 25.7 Münster 28 31 Dortmund 29 Mark-Ruhr 30 Düsseldorf 27 Köln 33 Aachen 25.3 Göttingen Bochum 34 Mayen 39 25.4 Lüneburg 17 Bremen Erfurt 47.2 44.1 Halle 43 Leipzig 42 Dresden 47.1 Jena 41 Chemnitz 35 Montabaur Mainz 36 38 Trier 21 / 22 Frankfurt 37 Ludwigshafen a. R. 11 Nürnberg 40 Saarbrücken 3 / 4 Karlsruhe 8 Ulm 9 Villingen-Schwenningen 1 / 2 Lörrach * Weitere Informationen zu den PSZ-Standorten: https://www.baff-zentren.org/hilfe-vor-ort/psychosoziale-zentren/ 106 BAYERN 10 REFUGIO München – Beratungs- und Behandlungs­ zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer 11 PSZ Nürnberg – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge BERLIN 12 Zentrum Überleben gGmbH 13 XENION Berlin – Psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte 14 MeG betreutes Wohnen gGmbH, Psychosoziale Unterstützung und Therapie für Migrant_innen erster Generation 15 Fachstelle für LSBTI*-Geflüchtete BRANDENBURG 16 PSZ Brandenburg – mit folgenden Standorten in Brandenburg: 16.1 Landkreis Barnim, 16.2 Landkreis Elbe-Elster, 16.3 Landkreis Oberspreewald-Lausitz, 16.4 Landkreis Oder-Spree, 16.5 Landkreis Spree-­Neiße, 16.6 Landkreis Teltow-Fläming, 16.7 Potsdam, 16.8 Landkreis Ostprignitz-Ruppin, BREMEN 17 REFUGIO Bremen – Psychosoziales Zentrum für ausländische Flüchtlinge HAMBURG 18 SEGEMI – Seelische Gesundheit Migration und Flucht e.V. 19 Lichtpunkt. Traumatherapie und Psychosoziales Zentrum 20 PSB Flucht – Psychosoziale Beratung für Flüchtlinge 6 / 7 Stuttgart Freiburg 5 BADEN-WÜRTTEMBERG 1 Nadia Murad Zentrum (Standort Lörrach) 2 Traumanetzwerk Lörrach 3 Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten e. V. Karlsruhe 4 PSZ Nordbaden (Standort Karlsruhe) 5 Refugium Freiburg – Psychosoziale und medizinische Beratung und Koordinierung für Geflüchtete 6 refugio Stuttgart e. V. – Psychosoziales Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge 7 PBV Stuttgart – Psychologische Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene 8 BFU Ulm – Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm 9 REFUGIO Villingen-Schwenningen – Kontaktstelle für traumatisierte Flüchtlinge 10 München HESSEN 21 FATRA Frankfurt/M. – Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil e. V. 22 Ev. Zentrum für Beratung und Therapie Frankfurt/M. – Haus am Weißen Stein – Beratung und Therapie für Flüchtlinge 7 MECKLENBURG-VORPOMMERN 23 Psychosoziales Zentrum für Migranten in Vorpommern, Greifswald 24 Psychosoziales Zentrum Rostock für Geflüchtete & Migrant_innen NIEDERSACHSEN 25 Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. – mit folgenden Standorten: 25.1 Hannover, 25.2 Braunschweig, 25.3 Göttingen, 25.4 Lüneburg, 25.5 Oldenburg, 25.6 Cuxhaven, 25.7 Osnabrück 26 IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle e. V., Oldenburg NORDRHEIN-WESTFALEN 27 Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht (Standort: Köln) 28 Refugio Münster – Psychosoziale Flüchtlingshilfe 29 PSZ für Flüchtlinge Diakonie Mark-Ruhr 30 Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf 31 Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Dortmund 32 PSZ Bielefeld – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge 33 PSZ Aachen – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in der Städteregion Aachen (PÄZ Aachen e.V.) 34 MFH Bochum – Medizinische Flüchtlingshilfe e. V. RHEINLAND-PFALZ 35 PSZ Montabaur 36 Psychosoziales Zentrum für Flucht und Trauma (Standort: Mainz) 37 Psychosoziales Zentrum Pfalz, Ludwigshafen am Rhein 38 Ökumenische Beratungsstelle für Flüchtlinge, Trier 39 IN TERRA – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge, Mayen SAARLAND 40 PSZ Saarbrücken – Psychosoziales Beratungszentrum des Deutschen Roten Kreuzes SACHSEN 41 Psychosoziales Zentrum – Beratungsstelle Chemnitz 42 Psychosoziales Zentrum Dresden 43 Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete Leipzig SACHSEN-ANHALT 44 Psychosoziales Zentrum für Migrantinnen und Migranten (Standorte in 44.1 Halle (Saale) und 44.2 Magdeburg) SCHLESWIG-HOLSTEIN 45 Brücke Schleswig-Holstein, Kiel 46 Psychosoziale Anlaufstelle für Geflüchtete (Standort: Neumünster) THÜRINGEN 47 Refugio Thüringen – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge (Standorte in 47.1 Jena und 47.2 Erfurt) 107 BAfF PSYCHOSOZIALER VERSORGUNGSBERICHT DEUTSCHLAND 2023 Impressum H E R A U S G E B E R I N : Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V. Paulsenstraße 55–56, 12163 Berlin +49 (0) 30 – 310 124 63 E -M A I L : info@baff-zentren.org W E B : www.baff-zentren.org TEL.: Yukako Karato Dr. Patrick Baumgärtel G E STA LT U N G & S ATZ : Hartmut Friedrich-Pfefferkorn D R U C K : Onlineprinters PA P I E R : Innenteil 110 g/m² Recyclingpapier (klimaneutral)     Umschlag 300 g/m² Recyclingkarton A U TO R I N : L E KTO R AT: Die Publikation kann über den Online-Shop der BAfF bestellt werden: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/shop/ H E R Z L I C H E N D A N K an die Psychosozialen Zentren, die einen Teil ihrer knappen Zeit für die Teilnahme an der Datenerhebung aufbrachten. Vielen Dank an Jenny Baron, Lea Flory und Lenssa Mohammed für die Konzipierung der bisherigen Versorgungsberichte und an Isabelle Hindenberg für die Unterstützung bei der Endredaktion. Abschließend möchte ich mich auch beim BAfF-Team und dem Vorstand für ihr hilfreiches Feedback bedanken. Diese Publikation wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. © BAfF e.V. 2023. Alle Rechte vorbehalten. 108 www.baff-zentren.org
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