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liche Fran. Gerhart Hauptmann hat ein Plagiat auf sich selbst
verfaßt. Man fragt sich, was in dem Kopfe eines Autors vorgeht,
der eine Fortsetzung zu einem seiner Stücke schreiben will und
nicht merkt, daß er dasselbe Stück einfach noch einmal schreibt.
Und man fragt sich, was sich ein Theaterdirektor denkt, der diese
Kopie ruhig aufführt, der diesen schalen Aufguß als ein neues
Werk des Meisters dem Publikum präsentiert.
Der „Rote Hahn“ ist eine Verschlechterung des „Biber⸗
pelz“. Von Figurenzeichnung ist keine Rede mehr. Der Humor,
mit dem die Gestalt der Frau Wolff angelegt war — die Gestalt
der Diebin mit dem tadellosen bürgerlichen Exterieur — ist ver—
schwunden. Jetzt ist sie einfach Verbrecherin, und in der Scene des
ersten Aktes, in der sie ihren Mann zur Brandstiftung auffordert,
wirkt sie roh und gemein. Aus dem Amtsvorsteher v. Wehrhahn
ist eine Karikatur geworden. Niemals ist es in einer preußischen
Amtsstube so zugegangen, wie in derjenigen, welche der dritte Akt
—
sich benimmt wie ein Idiot, und wo die Zeugen diesen Beamten,
während er das Verhör leitet, ins Gesicht hinein verspotten. Der
vierte Akt ist ein unglaublicher Mißgriff. Die Frau Fielitz stirbt,
ohne daß ihr Tod auch nur im mindesten vorbereitet wäre, ohne
daß er auch nur im leisesten Zusammenhange mit der Handlung
stünde. Sie sitzt in ihrem Fauteuil, tut noch einmal einen tiefen
Ausspruch, dessen Sinn ist, daß sie (mit der ganzen entzückenden
Feinheit der Hauptmann'schen Bühnensprache) das Leben als einen
Dreck bezeichnet, greift mit den Händen in die Luft und ist tot.
Warum sie gerade jetzt sterben muß, bleibt unerfindlich. Es ist ein
Tod ohne jede dramatische Notwendigkeit. Die Frau Wolff stirbt
lediglich deshalb, weil der Autor sich das Vergnügen machen wollte,
einen Schlaganfall auf die Bühne zu bringen.
Die anderen Figuren existieren kaum. Es ist ein Durch⸗
einander von schattenhaften Gestalten. Man weiß nicht, wer sie
sind; man weiß nicht, was sie wollen. Die demokratische Oppo—
sition, die im „Biberpelz“ in Gestalt eines Dr. Fleischer erschien,
vertritt im „Roten Hahn“ ein Dr. Boxer. Der Wiener Jour—
nalist Oswald Boxer, der in Berlin lebte, bevor er nach Brasilien
ging, um dort am Gelben Fieber zu sterben, und den Gerhart
Hauptmann in seinem Berliner Freundeskreise kennen gelernt
hatte, war das Vorbild für diese Figur. Der Dr. Boxer auf der
Bühne spricht allerdings von Brasilien und vom Gelben Fieber.
Das ist die ganze Ähnlichkeit. Dieser Dr. Boxer wandelt durch das
Stück als ein schweigsamer Melancholiker. Geht er aber einmal
aus sich heraus, so äußert er Worte von erstaunlicher Schlagkraft,
wie beispielsweise die folgenden: „Nein, wirklich, ich bin aus diesen Ver⸗
hältnissen herausgewachsen.“ Diejenigen, die den echten Oswald Boxer
näher gekannt haben, werden Gerhart Hauptmann wenig Dank
dafür wissen, daß er von ihrem Freunde ein so falsches Bühnen—