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von denen ich gedacht, sie seien halb Phantasie, halb
gälten sie mir, waren an einen anderen gerichtet, der
aus dieser Stimmung die Gedichte geformt hatte.
Einem anderen, einem Fremden hatte sie alles ge—
geben, und ich hatte um die Brosamen betteln müssen.
Sie hatte sich von mir lieben lassen; und ihre Gedanken
waren bei einem anderen gewesen. —
Drei Jahre lang hatte ich mit ihr gelebt, und hatte
sie nicht gekannt; ich wußte garnicht, wie sie wirklich
war. Ich habe keinen Gedanken gekannt, den sie gehabt
hat. Ein dunkles Rätsel hatte sie in meinem Leben
gestanden, das ich nicht lösen konnte, bis meine Kraft
an ihr zerbrach. —
Und andere Briefe lagen da; Handschriften, die
ich nicht kannte. Nun knackte der Schlüssel in der Tür,
und ich warf die Schublade zu. Alles in mir war in
Erregung. Es flimmerte mir vor den Augen.
Da stand sie an der Tür, lächelnd mit einem so
koketten und doch ein wenig verlegenen Lächeln; und
dann schlug sie den Mantel aus einander und stand
da, wie ich sie nie gesehen hatte. —
Eine heiße Blutwelle ging über alle meine Ge⸗—
danken, von denen nichts blieb. —
Dann weiß ich erst wieder, daß sie sich fröstelnd
den Schlafrock umwarf, und ich mit den Schnüren spielte,
die ich ihr um die Gelenke wand, halb im lüsternen