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gegeben zu haben, und sie konnte doch schwören, daß sie
kaum jemals einen Wunsch geäußert hatte, der über Be—
scheidenes hinausging. Ihr eigner Vater aber hatte seine
Hilfe davon abhängig gemacht, daß sie ihr Schicksal von
dem ihres Mannes für alle Zukunft trenne, daß sie sich
scheiden ließe von dem, den die Gerichte als einen Ver⸗
brecher verurteilt hatten. Dagegen hatte sich Frau
Berger gesträubt, denn sie liebte ihn noch immer, und
sie fürchlete, daß er nur tiefer fallen werde, wenn er
seine Strafe abgebüßt hatte und niemand mehr fand,
auf den er sich stützen konnte, für den er leben und
arbeiten mußte. Ganz auf sich selbst angewiesen, wußte
sie wohl, daß ihres Bleibens an ihrem bisherigen Auf⸗
enthaltsorte nicht länger sein könne. Sie wollte arbeiten,
und dort würde man ihr die Arbeit entweder verweigert
oder sie ihr wie ein Almosen gewährt haben, das man
widerwillig einem Bettler reicht, sie wollte verhindern,
daß von der Sünde ihres Gatten ein Schatten auf die
Seele ihres Kindes falle. Diese Erwägungen hatten sie
auf den Gedanken kommen lassen, mit der bescheidenen
Einrichtung, die ihr als ihre Aussteuer geblieben war,
nach Berlin überzusiedeln, sobald das Schicksal ihres
Gaiten durch den Urteilsspruch besiegelt war. Der Ab—
schied von ihrem ehemaligen Wohnorte war ihr nicht
schwer geworden, denn sie ließ nur Menschen dort zurück,
deren Freundschaft sich im Unglücke nicht bewährt hatte.
Es gewährte ihr einen Trost, daß in der Millionenstadt,
in die sie geriet wie ein Wassertropfen in das Meer,
niemand sie kennen, daß jemand, der sie dort suchte, sie
nicht einmal finden würde. Sie gedachte, sich mit ihrem
Kinde auf die notwendigsten Räumlichkeiten zu be—
schränken; die Zimmer wollte sie an Chambregarnisten
vermieten und so aus der ihr gebliebenen Einrichtung
ein Kapital machen, dessen Zinsen ihr und ihrem Kinde
gestatteien, sich durchzufristen, und sie meinte auch, es
werde nicht schwer sein, nebenher durch Handarbeiten ein
weniges zu verdienen.
Frau Berger öffnete die beiden Flügel der Korridor—