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Fußnote zu seinen Briefen über die ästhetische
Erziehung des Menschen sagt er:
Der schlimme Einfluß einer überwiegenden Sen—
sualität auf unser Denken und Handeln fällt jedermann
seicht in die Augen; nicht so leicht, ob er gleich ebenso
häufig vorkommt und ebenso wichtig ist, der nachteilige
Einfluß einer überwiegenden Rationalität auf unsere
Erkenntnis und auf unser Betragen.
Schiller führt für diesen nachteiligen Einfluß
dann zwei Fälle an, von denen der eine um seiner
illustrierenden Kraft willen hier wiedergegeben
werden soll. Eine der vornehmsten Ursachen,
meint er, warum unsere Naturwissenschaften so
langsame Schritte machen, ist offenbar der allge—
meine und kaum bezwingbare Hang zu teleologischen
Urteilen, bei denen sich das bestimmende Ver—
mögen dem empfangenden unterschiebt. Die
Natur mag unsere Organe noch so nachdrücklich
und noch so vielfach berühren — alle ihre Mannig-—
faltigkeit ist verloren für uns, weil wir nichts
suchen, als was wir in sie hineingelegt haben;
weil wir ihr nicht erlauben, sich gegen uns herein
zu bewegen, sondern vielmehr mit ungeduldig vor—
zreifender Vernunft gegen sie hinausstreben.
Rommt alsdann in Jahrhunderten einer, der sich
ihr mit ruhigen, keuschen und offenen Sinnen naht,
und deswegen auf eine Menge von Erscheinungen
stößt, die wir bei unserer Prävention übersehen
haben, so erstaunen wir freilich darüber, daß so
viele Augen bei so hellem Tag nichts bemerkt