B Oelfentliche Sittlichkeit.
621
—
der Schutz solcher Sünderinnen nur durch eine Philistergesin⸗
nung in einem Staate kann eingeführt werden; ja, ich halte
selbst Verführung, bei welcher doch eine Thätigkeit und Noth—
zucht, bei welcher doch ein Sündengefühl und eine innere Rache
erzeugt wird, für weniger in der Totalität der Folgen schreck⸗
lich, als diesen Huren-Indult der Philisterei.“ Es ist klar,
daß alle diese „Philister“-Verbrämung, als dem ursprünglichen
Artikel Arnim's fremd, erst von Brentano, zur Einfügung in
seinen Philister, angebracht worden ist. Im übrigen aber haben
wir echte Sätze und Gesinnung Arnim's, in der goldnen Rein⸗
heit, die er sich bewahrt hatte. Man lese, wie — zu gleicher
Zeit — Cardenio in „Halle und Jerusalem“ (2. Aufzug) über
die Liebe spricht. Und damit dieser allgemeinen Construction
des Zusammenhanges von Kleist's Abendblättern und Bren⸗
tano's Philister auch die äußere Beglaubigung nicht fehle, theile
ich aus einem ungedruckten Briefe Arnim's an Jacob Grimm
14. Juli 1811) eine Stelle mit, die bezeugt: „daß die
Aeußerungen gegen die Hurerei in der Philisterabhandlung
aus einem Aufsatze von ihm entlehnt seien, dem die hiesige
Gerliner) Censur den Abdruck untersagte, weil er Staats⸗
einrichtungen angegriffen“.
Wenn ich vom Politischen zum Persönlichen noch zurück—
lenke: wir erkannten Müller'schen Stil und Arnim'sche Sätze
in Brentano's Abhandlung. Dies war etwas Gewöhnliches
unter den Freunden. Als Arnim und Brentano und Wilhelm
Grimm 1809 in Berlin gemeinsam die Heidelbergische Vor⸗
anzeige der Altdänischen Heldenlieder schrieben, war es ihr
Nebenspaß gewesen, darin allerlei Stile lustig nachzuahmen.
So ahmt Brentano jetzt auch Kleist nach. Ich bitte, sich
Kleistis „Neujahrswunsch“ (oben S. 578) zu vergegenwärtigen
und dann die folgenden recapitulirenden Sätze Brentano's zu
vergleichen: „Die Philister als Volk habe ich nun in der