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IX. Russische Trauertage (November 1894)

Full text: Aus der Heimat und der Fremde / Pietsch, Ludwig (Public Domain)

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Ausnahme der Kaiserin zeigten sie die Gesichter unver— 
schleiert, das Haupt mit schwarzem Kopfputz geschmückt, 
von dem der schwarze Schleier rückwärts herabwallte. 
An der Südseite des Katafalks war ein weiter, halb— 
runder Platz, der von den Staats- und Hofdamen um— 
rahmt wurde, freigehalten. In diesen traten die kaiserlichen, 
königlichen, fürstlichen Herren und Damen ein. Gleichzeitig 
kam aus dem geöffneten Allerheiligsten hinter der Bilder— 
wand eine lange Reihe von Priestern in den bereits ge— 
schilderten silberstoffenen, goldverzierten Meßgewändern, 
einige unbedeckten Hauptes, andere mit violetten Mützen; 
einzelne höchste kirchliche Würdenträger mit prachtvollen, ju— 
welenbesetzten, byzantinischen Mitren auf dem Scheitel, und 
stellten sich hinter dem Sarge und an seiner nördlichen 
Langseite auf. Einer der Priester, ein schöner Greis mit 
lang wallendem, weißem Bart und Haar, zu Häupten des 
Sarges stehend, begann mit tiefem Baß mächtigen Klanges 
halb singend die heiligen Worte zu rezitieren. Ein Chor, 
in dem besonders die Knabenstimmen von wahrhaft himm— 
lischer Klangschönheit, Weichheit und schmelzender Süßigkeit 
waren, antwortete in auf- und abwogenden, bald im zar— 
testen Piano verhallenden, bald zu prachtvollem Forte an— 
schwellenden Akkorden, die aber kaum jemals sich zur Form 
bestimmter Melodien zusammenfügten. Ihr musikalischer 
Reiz indes war darum nicht geringer, wenn auch die immer— 
währende Wiederholung der fast unverändert sich gleich— 
bleibenden Passagen auf die Länge ermüdend wirkte. Bei 
dem griechisch-russischen Gottesdienst und Hochamt ist be— 
kanntlich der Orgel und der Instrumentalmusik keine Rolle 
zugewiesen. In den Kirchen dieses Bekenntnisses erklingt 
nur der reine à cappella-Gesang. Der aber scheint mir, 
wenigstens in den kaiserlichen Hofkirchen zu St. Petersburg und
	        
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