Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung. 37
durch dichterische Nothwendigkeit verbunden werden, alle Grund—
lagen, auf welche der kühne Held sein gefahrvolles Unternehmen
ttützen wollte, alle Klippen, an welchen es scheiterte, die politische
Lage der Fürsten, der Gang des Krieges, der Zustand Deutsch—
lands, die Stimmung des Heers, sollte vor den Augen des
Zuschauers dichterisch und anschaulich dargestellt werden. Selten
hat ein Dichter größere Forderungen an sich und seinen Stoff
gemacht, wenn man Shakspeare ausnimmt, nicht leicht ein
zweiter eine solche Welt von Gegenständen, Bewegung, und
o Gefühlen in Einer Tragödie umfaßt.
Die auf Wallenstein folgenden Stücke zeigen, daß Schiller
in gleicher Art fortarbeitete. In der That bestand sein Leben
darin, daß er als Dichter übte, was er irgendwo vom idealisch
gebildeten Menschen überhaupt sagt, soviel Welt, als er mit
seiner Phantasie zu erfassen vermochte, mit der ganzen Mannig—
faltigkeit ihrer Erscheinungen in sich zu ziehen und in die Einheit
der Kunstform zu verschmelzen. Daher sind seine Tragödien
nicht Wiederholungen eines zur Manier gewordnen Talents,
sondern Geburten eines immer jugendlichen, immer neuen
Ringens mit richtiger eingesehenen, höher aufgefaßten An—
forderungen der Kunst. Tiefer in sie einzugehen ist meine Ab—
sicht nicht. Die in dieser Vorerinnerung niedergelegten
Betrachtungen haben nur den Endzweck, den hier nachfolgenden
Briefwechsel in den ganzen Entwicklungsgang Schiller's einzu⸗
»passen. Sie finden daher ihren natürlichen Endpunkt in dem
entschiednen Beginn der Periode seiner letzten Trauerspiele. Diese
haben längst das Urtheil der Mitwelt erfahren; sie können mit
Ruhe das der nachfolgenden Geschlechter erwarten. Lange noch
werden sie die Bühne beschäftigen, dann ihren Platz in der
o Geschichte Deutscher Dichtung einnehmen. Der Dichter führt
nicht neue Wahrheiten ans Licht, sammelt nicht Thatsachen.
Er wirkt in der Art, wie er schafft; der Phantasie aller Zeiten
führt er Gestalten vor, die erheben und bilden, er leistet dies
in der Form, in die er seine Gegenstände kleidet, in den
Charakteren, mit welchen er die Menschheit idealisch bereichert,
in seinem eignen, aus allen seinen Werken wiederstrahlenden
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