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Vorerinnerung. Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

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borerinnerung. 
fällt, und die ich im Vorigen als die kritische in seiner poetischen 
Laufbahn ansah. Jede große poetische Arbeit fordert eine Stim— 
mung und Sammlung des Gemüths, die Schiller, als er nach 
Jena zurückkehrte, seit Jahren vermißte. Zum Theil lag die 
Schuld davon wohl in dem Plane zum Wallenstein, den er s 
lange bei sich trug, ehe er wirklich Hand an die Arbeit legte. 
Dieser Stoff war in seinem Umfange zu gewaltig, und, seiner 
Beschaffenheit nach, zu spröde, um nicht der größesten Zu— 
rüstungen vor seiner Ausführung zu bedürfen. Wer dies Gedicht 
richtig zu würdigen versteht, wird erkennen, daß es eine wahre 10 
voetische Riesenarbeit ist; selbst Schiller's formender Geist ver— 
mochte diesen weit ausgreifenden Stoff doch nur in drei zu— 
sammenhängenden Stücken zu bezwingen. Allein auch die For— 
derungen, welche Schiller an seine theatralischen Werke machte, 
hatten sich gesteigert, da das schöpferische Genie augenblicklich is 
feierte, trat desto geschäftiger die richtende Kritik, und nicht ohne 
Besorgnisse, an ihre Stelle. In allem künstlerischen Schaffen 
verlangt die Zuversicht das Beispiel des schon wirklich Ge— 
lungenen. Dies fehlte Schiller'n hier, nicht nach dem Urtheil 
seiner Nation, aber nach seinem eignen. Die früheren Stücke ⸗d 
konnten ihm nicht als Beglaubigungen des Talentes gelten, 
dessen Entwicklung ihm jetzt allein seiner und der Kunst würdig 
erschien. Don Carlos war durch äußere Umstände in einem 
langen Intervalle gedichtet worden, und die Einheit und Glut 
der ersten Auffassung hatten die Länge der Arbeit nicht über— 28 
dauert. So glaubte Schiller am Anfange einer neuen Lauf— 
bahn zu stehen, und wirklich drückte er, da er sich einmal der 
Fesseln entledigt hatte, die seinen neuen Aufflug hemmten, der 
Tragödie ein Gepräge auf, mit dem sie niemals vorher die 
Bühne betreten hatte. Zugleich fiel dies in eine Zeit, wo s30 
Schiller's inneres Bestreben vorzüglich ein philosophisches war. 
Denn es ist nicht zu verkennen, daß zur Zeit unmittelbar nach 
der Arbeit am Don Carlos er bemüht war, die in ihm rege 
gewordnen philosophischen Ideen zur Klarheit und Bestimmtheit 
zu bringen. Schon die Wahl des Don Carlos zum Gegen-⸗ 8 
stand einer Tragödie war, wie man aus den Briefen über ihn
	        
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