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Vorerinnerung. Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

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Vorerinnerung. 
willigen an sich, darum aber fällt doch auch dem Künstler und 
Dichter nicht ganz ohne Mühe ihr glücklich Loos. Auch sie 
bedürfen der Arbeit, nur einer Arbeit ganz eigner Natur, und 
diese war Schiller'n gerade durch die Vorzüge seiner Eigen⸗ 
hümlichkeit erschwert. Sein Ziel war ihm höher gesteckt, weils 
er das Ziel aller Dichtung klarer vor sich sah, ihre verschiedenen 
Bahnen sicherer übermaß, das ganze Getriebe des geistigen 
Wirkens, wenn dieser Ausdruck auf das Walten der höchsten 
Freiheit übergetragen werden kann, heller durchschaute. Er 
erkannte das Ideal in seiner ganzen, von ihm aber immer 10 
erhebend, nicht niederdrückend empfundenen Größe, und indem 
er, nach seiner eignen lichtvollen Eintheilung, durchaus zur 
Classe der sentimentalischen Dichter gehörte, so steigerte seine 
Individualität noch den Begriff dieser Gattung. Zugleich 
ichwebend über seinen eignen und den Leistungen andrer, war 13 
er nicht bloß Schöpfer, sondern auch Richter, und forderte 
Rechenschaft von dem poetischen Wirken auf dem Gebiete des 
Denkens. Es war daher doppelt zu bewundern, daß die den 
Dichter unbewußt und unerklärbar mit sich fortreißende wahre 
Naturkraft darum nichts an ihrer Macht in ihm verlor. Hier 2o 
aber, wie in Allem, wirkte wieder die Totalität seiner Natur. 
Niemand drang so sehr, als er, auf die absolute Freiheit des 
sinnlichen Stoffs, auf seine vollendete und von der Idee ganz 
unabhängige Ausbildung vor der Anschauung und der Phantasie, 
und daß er dies that, war nicht etwa Folge theoretischer Ideen. ꝛ8 
Er schöpfte vielmehr diese erst selbst aus dem gleichen, ihn be— 
herrschenden, mächtigen innern Drange. Was andren sentimen— 
talischen Dichtern begegnete, ebendarum, weil sie dies waren, 
in ihren Werken weniger plastisch zu seyn, ihnen weniger sinn⸗ 
liche Gestaltung zu geben, konnte für ihn nie eine Klippe werden. 30 
Vielmehr war er wieder in höherem Grade naiv, als es die 
entschiedene Hinneigung zur sentimentalischen Gattung zuzulassen 
schien. Seine sich selbst überlassene Natur führte ihn mehr der 
höheren Idee zu, in welcher sich der Unterschied zwischen jenen 
Gattungen wieder von selbst verliert, als sie ihn in eine von 33 
beiden verschloß, und wenn er dieses Vorrecht mit einigen der
	        
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