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Vorerinnerung.
zerade an die Oertlichkeit dieser Stadt anknüpften. Man er—
innert sich hierbei an Göthe's schönen Ausspruch, daß sich von
Rom aus die Geschichte ganz anders, als an jedem Orte der
Welt liest. „Anderwärts liest man von außen hinein, in Rom
glaubt man von innen hinaus zu lesen; es lagert sich Alles um s
uns her, und geht wieder aus von uns.“
Das Genie in jeder Art der Hervorbringung ist die Span—
nung der ganzen Intellectualität auf den Einen ihr von der
Natur angewiesenen Punkt. Von der Beschaffenheit dieses Ganzen
hängen zwei, bei jeder intellectuellen Charakterisirung nothwendige 10
Bestimmungen ab: das besondre Gepräge des Genies, da es
sich in jeder Gattung wieder sehr verschieden gestalten kann, und
die Freiheit des Geistes neben und außer demselben zu all—
gemeinerer Ueberschauung des intellectuellen Standpunkts. In
den Gränzen dieses Typus und dem Verhältniß der darin zu— 15
sammenwirkenden Potenzen liegen, was jedoch hier nicht der
Ort zu entwickeln ist, alle Verschiedenheiten der menschlichen In—
tellectualität, die in jedem Menschen, wie verdunkelt es immer
seyn mag, vorzugsweise auf Einen Punkt hin bezogen ist. Darum
schien es mir nothwendig, um Schiller, den jeder als Dichter 20
fühlt, auch soviel das möglich ist, dem Begriff nach, als Dichter
zu schildern, vorzüglich von seiner ganzen Geistesrichtung, und
namentlich von seiner philosophischen zu sprechen. Gerade um
sein Dichtergenie zu charakterisiren, redete ich von dem, worin
er die Bahn des Dichters zu verlassen schien. Die Schilderung ⸗8
einer großen geistigen Natur setzt nothwendig wieder einen ge—
nialen Blick in das Wesen und Zusammenwirken aller, sich indi—
oiduell vertheilenden Intellectualität voraus. Ich darf daher
nicht die Hoffnung nähren den Leser wirklich ganz auf den
Standpunkt geführt zu haben, Schiller's Eigenthümlichkeit, wie so
er sie bisher empfunden hat, nunmehr auch klar und entschieden
in ihrem Zusammenhange zu übersehen. Bin ich hierin aber
auch nur einigermaßen glücklich gewesen, so können Schiller's
ohilosophische und historische Bestrebungen nicht bloß als eine
oielseitige Geistesbildung, noch weniger aber als ein unsichres asß
Umhersuchen nach seinem wahren Beruf, sondern beide nur als