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Vorerinnerung. Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

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Vorerinnerung. 
zerade an die Oertlichkeit dieser Stadt anknüpften. Man er— 
innert sich hierbei an Göthe's schönen Ausspruch, daß sich von 
Rom aus die Geschichte ganz anders, als an jedem Orte der 
Welt liest. „Anderwärts liest man von außen hinein, in Rom 
glaubt man von innen hinaus zu lesen; es lagert sich Alles um s 
uns her, und geht wieder aus von uns.“ 
Das Genie in jeder Art der Hervorbringung ist die Span— 
nung der ganzen Intellectualität auf den Einen ihr von der 
Natur angewiesenen Punkt. Von der Beschaffenheit dieses Ganzen 
hängen zwei, bei jeder intellectuellen Charakterisirung nothwendige 10 
Bestimmungen ab: das besondre Gepräge des Genies, da es 
sich in jeder Gattung wieder sehr verschieden gestalten kann, und 
die Freiheit des Geistes neben und außer demselben zu all— 
gemeinerer Ueberschauung des intellectuellen Standpunkts. In 
den Gränzen dieses Typus und dem Verhältniß der darin zu— 15 
sammenwirkenden Potenzen liegen, was jedoch hier nicht der 
Ort zu entwickeln ist, alle Verschiedenheiten der menschlichen In— 
tellectualität, die in jedem Menschen, wie verdunkelt es immer 
seyn mag, vorzugsweise auf Einen Punkt hin bezogen ist. Darum 
schien es mir nothwendig, um Schiller, den jeder als Dichter 20 
fühlt, auch soviel das möglich ist, dem Begriff nach, als Dichter 
zu schildern, vorzüglich von seiner ganzen Geistesrichtung, und 
namentlich von seiner philosophischen zu sprechen. Gerade um 
sein Dichtergenie zu charakterisiren, redete ich von dem, worin 
er die Bahn des Dichters zu verlassen schien. Die Schilderung ⸗8 
einer großen geistigen Natur setzt nothwendig wieder einen ge— 
nialen Blick in das Wesen und Zusammenwirken aller, sich indi— 
oiduell vertheilenden Intellectualität voraus. Ich darf daher 
nicht die Hoffnung nähren den Leser wirklich ganz auf den 
Standpunkt geführt zu haben, Schiller's Eigenthümlichkeit, wie so 
er sie bisher empfunden hat, nunmehr auch klar und entschieden 
in ihrem Zusammenhange zu übersehen. Bin ich hierin aber 
auch nur einigermaßen glücklich gewesen, so können Schiller's 
ohilosophische und historische Bestrebungen nicht bloß als eine 
oielseitige Geistesbildung, noch weniger aber als ein unsichres asß 
Umhersuchen nach seinem wahren Beruf, sondern beide nur als
	        
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