Anmerkungen zum Anbhang. 419
(Briefe S. 118) enthält wichtige und tiefgreifende Urteile über Schil-
lers Persönlichkeit, weshalb es auch an dieser Stelle seinen Plat-
finden muss. „Ihr Anerbieten, liebster Freund, Thnen wenigstens,
wenn auch nmur in Form eines Briefes, einige Gedanken über Schiller
mitzuteéilen schlage ich nicht aus und nehme es nicht an. Der Ge-
danke spricht mich sehr freundlich an, aber je kürzer etwas der Art
ist, desto mehr muss es von der Stimmung des Augenblicks ab-
büngen. Warten die also nicht und erlauben die mir nichts zu ver-
sprechen; man hält alsdann manchmal woöit eher. Auch ohne die
herzliche und tiefe Liebe, die ich zu Schiller hegte, kann ich nie
ohne grosse Erschütterung an die Zeit meines Lebens mit ihm denken,
ja ich gestehe es offenherzig, nicht ohne Scham. Mein ganzes Leben
Seitdom kommt mir léerer, unbedeutender und weniger befriedigend
vor und doch habe ich nicht umhin gekonnt in dieser langen Zeit
Entwicklungen in mir selbst zu eérfahren, die mich minder deutlich
fühlen lassen, dass ich auch jene Zeit hätte anders aufnehmen und
anders pearbeiten Können. Teh habe mir überhaupt oft gedacht, dass
es sehr gut wäre, wenn man seinen Tod drei, vier Jahre vorher
wüsssts. Solange man das Leben als eine unbestimmte Grösse ansieht,
kann man nicht anders, selbst im höchsten Alter, als es wie ein
Continuum au behandeln, sehr vieles zu tun, was nur auf das Leben
selbst, nicht auf seine höheren Zwecke Bezug hat, auch für dieses
vieles 2u beginnen, oft zu wechseln wie der Strom, der dem Meere
zugeht, immer fortzufliessen und natürlich da oft, sehr oft sich etwas
zu verlaufen. Ganz anders aber wäre es, wenn man das Leben als
dine geschlossene Grösse betrachtete. Alles Unnütze würde weg-
geschnitten, die Spannung wäre grösser, weil sie kürzer wäre, dio
Welle strömte in sich zurück und man wüsste, was man gewesen
wüäre und werden könnte. Sie wundern sich vielleicht, wie ich diese
Betrachtung gerade an Schiller anknüpfe. Aber es geschieht nur,
weil es gerade Schillers Pigentümlichkeit mehr als jedes andern Men-
schen war sein Streben und sein Leben als etwas Dnendliches zu be-
trachten, in dom es ihm genug war, wenn jodes seiner einzelnen
Werke éinen bedeutenden Moment bezeichneèteé, ohne dass er je, das erste
innere tüuschende Feuer zur Arbeit ausgenommen, nur dachte, dass irgend
eins das höchste Resultat dessen wäre, was er der Kunst gegenüber
hervorbringen konnte. Es lag dies unmittelbar in der höheren An-
sicht, die Schiller von allem geistigen Wirken hatte. Jedes erschien
ihm immer in seiner ganzen Unermesslichkeit, alle in ihren vielfachen
Verbindungen oder vielmehr in ihrer unzertrennlichen Pinheit. Nie
hat jemand die Menschheit höher und nie immer so gang in der
Plüchtigkeit ihrer ewig wechselnden Erscheinung aufgenommen. Dies
rastlose geistige Fortbewegen eignete ihn auch so vorzugsweise der