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Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm von Humboldt

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

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29. Dezember 1795. 
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findig, als tief zu schreiben; — und daß in Rückficht auf die 
Form jene früheren Schriftsteller theils gar kein Ideal des 
Stils, sondern bloß wirkliche fremde Muster, vor sich hatten, 
theils das Ideal aus Bequemlichkeit herabsetzten, wie sie z. B. 
statt ästhetisch zu schreiben, nur witzig zu schreiben suchten. Und 
doch scheint mir in diesen beiden Betrachtungen eigentlich die 
Erklärung des Phänomens zu liegen, das man an sich nicht 
bestreiten darf. Diese Gründe aber gelten bloß von unsern 
hesten jetzigen Schriftstellern, meiner Herzensmeynung nach bloß 
von Ihnen. Was alle übrige betrift, so glaube ich sind sie zu 
sehr von ihrem Stoff erfüllt, und halten mehr Monologe über 
denselben mit sich, als Gespräche mit dem Publicum. Dieß 
ist an sich zwar unnatürlich, aber es beweißt doch eine gute 
Tendenz der Gemüther auf wichtige und gehaltvolle Fülle der 
Ideen. 
In Rücksicht auf Göthe werde ich auch oft gefragt, war⸗ 
um er soviel theils Schlechtes, theils Unvollendetes ins Pub⸗ 
likum giebt? Bei dieser Frage ist nun freilich manches, was 
man nicht beantworten will, und diesen Leuten nicht beant⸗ 
ꝛo worten darf. Allein was das Unvollendete betrift, wie z. B. 
ich gestehe es offenherzig ein sehr großer Theil der Epigramme, 
so kann mir ihre Publication doch nicht leid thun. Setzt man 
nur den Unterschied zwischen Machen und Publiciren ge— 
hörig fest, so muß der wahre Schriftsteller zwar nichts anders 
als das Vollendete machen wollen, aber es wäre Schade, glaube 
ich, wenn er zu keusch seyn wollte, das, was er einmal nicht 
weiter vollenden kann, ganz zu unterdrücken. Daß ein Dichter, 
besonders ein Moderner und also sentimentalischer, etwas durch⸗ 
aus Vollendetes hervorbringe, etwas das sein Dichtergenie 
ʒo in seinem ganzen Umfange und seiner ganzen Größe ausdrücke, 
läßt sich, dünkt mich, auf keine Weise erwarten. Es bleibt hier 
also kaum etwas andres zu thun übrig, als der Nachwelt dasjenige 
zu übergeben, was in dem jedesmaligen Moment das möglich 
Höchste war. Freilich erhält nun die Kunst kein einzelnes Kunst— 
as werk, auf das sie mit völliger Zuversicht stolz seyn könnte, aber 
der Kunstsinn wird doch durch die ganze Summe der Produkte
	        
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