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Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm von Humboldt

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

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6. November 1795. 
verzeihlich, daß Wolf die großen Vorzüge einer so geistvollen 
Arbeit übersehen, daß er den umfassenden Blick, den Herder auf 
die gesammte griechische Kunst wirft, sogar wegen eines un— 
hedeutenden Umstands (die Fackelbeleuchtung) lächerlich machen, 
den leichten und schönen Sinn Ihrer Ilias nicht fassen, und s— 
diese Jlias mit jenem Aufsatz vermengen konnte. Jeder dieser 
Fehler, einzeln genommen, ist zehnmal ärger, als auch die gröbste 
Unwissenheit seyn könnte. Des unverzeihlichen Tons erwähnte 
ich schon erst. Allein alles ist sehr natürlich. Herder und Wolf 
sind ganz incompatible Naturen, und keiner von beiden kann 10 
die guten Seiten des andern gehörig schätzen; dazu kommt daß 
Herders Ton dem, der keinen Sinn für seine Eigenthümlichkeit 
hat, bloß anmaaßend scheinen muß, daß Wolf in diesen Ideen 
und dem Gedanken, ihr Erfinder zu seyn, lebt und webt, und 
daß er endlich gegen Herder eine persönliche Abneigung hat. 1* 
Sie sehen, wie sehr ich Wolfs Betragen misbillige. Uebel 
nehmen kann ich es eigentlich nicht. Es ist gerade so wie es 
seiner Natur nach seyn muß, ich hätte es, wenn er sich einmal 
zffentlich erklären wollte, kein Haar anders erwartet, und unser 
ganzer Umgang, der sehr freundschaftlich ist, hat immer in so— 20 
fern bestanden, daß wir über gewisse Dinge (die hierin ein— 
schlagen) uns nicht geäußert haben. Seine wirklich große und 
gründliche Gelehrsamkeit, ein nicht gemeiner Scharfsinn, ein in 
der That zwar derber, aber gerader und braver Charakter und 
endlich eine sehr große Anhänglichkeit an mich sind das Band, ⸗ 
das mich an ihn knüpft. Alles dieß hindert mich aber gar nicht, 
Ihrem Wunsche gemäß, ihm meine Meynung über sein Betragen 
zu sagen. Nur mag ich es nicht so vom Zaun brechen, wie ich 
jetzt, da ich ihm eben erst geschrieben, thun müßte, sondern will 
eine Veranlassung abwarten. Auf Ihre Erklärung bin ich be— s30 
gierig. Ich gestehe Ihnen aber völlig offenherzig, daß ich die— 
selbe, da die Horen gar nicht angegriffen sind, nicht für noth— 
wendig halte. — Ich hoffe, Sie sind mit meiner Ansicht dieser 
Sache zufrieden, wenigstens werden Sie meine Art, die Menschen 
zu nehmen, wie sie sind, und ihre Vorzüge zu lieben und zu s6 
benutzen, ihre Schwächen aber gern zu übersehen, darin finden.
	        
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