Path:

Full text: Briefwechsel / Schiller, Friedrich (Public Domain)

31. August 1795. 
währen könnten, und so mannigfaltig sind die Zerstreuungen, 
die mich vom einsamen Umgang mit mir selbst und der Li ab— 
halten. Es hat uns sehr geschmerzt zu sehen, daß es mit Ihrer 
Gesundheit noch so gar nicht besser geht. Ich bewundre, daß 
es Ihnen möglich ist, dabei eine so schöne und fruchtbare Geistes— 
stimmung zu bewahren, als Ihre Arbeiten durchaus verrathen. 
Auch die letzten haben mich sehr angenehm beschäftigt, und wenn, 
wie Sie einmal äußern, die Freundschaft sich in mein Urtheil 
einmischt, so geschieht es, ohne daß ich es selbst weiß. Ich weiß 
o zu gut, daß ich mich überall in der Critik zu leicht zum Beifall 
hinreißen lasse, als daß ich mich nicht jedesmal mit Fleiß zu 
einer größeren Strenge stimmen sollte. 
Die Ideale tragen das Gepräge der Stimmung an sich, 
in der sie, wie Sie mir schreiben, entstanden. Eine Wehmuth, 
s die sich in Ruhe aufgelöst hat, ist über das Ganze verbreitet, 
und die glänzenden und lebendigen Gestalten, welche die erste 
Hälfte aufstellt, thun eine sehr gute Wirkung. Auch sind ein— 
zelne Stellen überaus glücklich. Dennoch hat dieß Gedicht, ich 
weiß noch selbst nicht recht warum, nicht ganz den Effect auf 
ꝛo mich gemacht, als Ihre übrigen Stücke, und die Li hat mir 
dasselbe von sich gesagt. Ich bin es einzeln und sehr genau 
durchgegangen, und wüßte nichts, was ich, unbedeutende Kleinig— 
keiten abgerechnet, tadeln könnte. Auch die strengste Kritik muß 
gewiß gestehen, daß es ein sehr schönes Stück ist, und ebendieß 
sagt mir auch mein Gefühl. Nur vermisse ich die gedrängte 
Fülle, den Schwung, den raschen Gang, mit Einem Wort den 
eigenthümlichen Charakter, an dem ich auch unter lauter Meister⸗ 
werken doch Ihre Arbeit leicht erkennen würde. Freilich rührt 
dieß wohl von dem Gegenstand selbst her, und insofern dieß 
ganz der Fall ist, entspringt der Eindruck, den es auf uns 
machte, (wie auch sehr wohl möglich ist) aus einer einseitigen 
Beurtheilung. Nur ob jene Vorzüge auch mit diesem Stoff zu 
dereinen waren, darin bin ich zweifelhaft, und nur auf diese 
Möglichkeit gründet sich meine Kritik. Wie es da ist, scheint 
mir die Wirkung weniger auf seinen dichterischen Vorzügen, als 
auf dem Interesse zu beruhen, welches eine so menschliche und 
25 
0 
35 
105
	        
Top of page
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.