Koͤniglich Preußisch.
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Vergleiche man mit diesen Schoͤpfungen des spaͤten 17. und fruͤhen
18. Jahrhunderts die Werke des Rokoko. Sie sind sicher groß, was den
von ihnen beanspruchten Flaͤchenraum anlangt. Aber wie wenig verstehen
sie sich auf eine einheitliche Gliederung dieser Flaͤche!
Bleiben wir zunaͤchst beim Schloß. Das prachtvoll konzentrierende
Motiv der Kuppel verschwindet mehr und mehr. Man bekommt eine Vor⸗
liebe fuͤr einstoͤckige Anlagen, die den Architekten zwingen, den Grundriß
ins Ungeheuerliche auszudehnen. Wohl sucht er nachtraͤglich durch allerlei
geschweifte Linien dem Grundriß so etwas wie einen Schwer- und Mittel⸗
ounkt zu geben, aber die Einheitlichkeit bleibt theoretisch. Keine groß ge—
dachte, im kuͤnstlerischen Sinne uͤbersichtliche Fassade hat das Rokoko ge—
schaffen. Es war groß eben nur im Kleinen. Wollen wir sein ganzes
Koͤnnen sehen, so muͤssen wir Grundriß und Fassade vergessen und das
Innere der Schloͤsser aufsuchen, wo uns dann freilich aus jedem Eckchen
und Winkelchen die kichernde Munterkeit des Rokokos entgegenblinzelt.
Doch lassen wir diese Zimmer mit der prickelnden Dekoration und
treten wir hinaus in den Park. In ihm ist der Geist des Rokoko klarer
als irgend sonst zu Worte gekommen. Auch hier wieder jenes Zerfasern
einer großen Einheit in eine Unmenge huͤbscher Niaiserien. In seiner
Hauptmasse ist der Park vom Schloß emanzipiert. Ein Teil ordnet sich
wohl noch mit seinen gaͤrtnerischen Anlagen der Fassade unter. Aber wie
wir erst in den Winkeln des Schlosses die Architektur des Rokoko kennen
lernten, muͤssen wir im Garten von den Hauptwegen abbiegen und uns
umsehen in kleinen Verstecken abseits. Es ist unnoͤtig, zu schildern, was
wir da finden.-Wir alle kennen sie ja, diese chinesischen Theebuden, die
Muschelgrotten, Amortempelchen und was der uͤberraschungen mehr sind.
Das waren die Mittelpunkte, die die Kuͤnstler des Rokoko ihren Werken
gaben, und das in jener Zeit der weltenweiten Perspektiven. Wie wollen
wir uns den Gegensatz erklaͤren? —
Sehen wir heute von der Warte einer mittelalterlichen Felsenburg
uͤber das Land hin, so scheint es uns undenkbar, daß nicht schon die ersten
Menschen, deren Blick diesen Horizont umspannte, von ihm weniger er⸗
griffen gewesen sein sollten als wir. Historisch muͤssen wir es uns erst
ausrechnen, wie die Welt sich damals in den Koͤpfen malte, wie eng ihr
geistiger Horizont war, und daß ihr scheinbar so großer Baustil nur moͤglich
wurde aus dieser beschraͤnkten Weltanschauung heraus.
So umgekehrt das Rokoko. Wir sehen es mit einem Blick, der
ganze Welten zusammenfassen lernte, und wir vergessen, daß in dieser
Thaͤtigkeit der Zusammenfassung eine Tradition liegt, die das eigenste