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Sechster Abschnitt.
Der Angriff reussierte, und die Franzosen mußten sich aus dieser
flankierenden Stellung zurückziehen. Die furchtbare Position des Feindes
hatte die erste Lücke erhalten. Es war dies die Stelle, wo die Division
Cissey vom IV. französischen Korps dem Korps Canrobert die Hand
gereicht. Ihre Verbindung war dadurch gelöst. Unsere Lage aber war
wesentlich gebessert.
Die Artillerie hatte ihr Feuer auf St. Privat kräftig fortgesetzt und
konnte jetzt zum Teil auch näher heranfahren. Endlich loderten die
Flammen im Dorfe auf.
—
Französische Kavallerie formierte sich hinter St. Privat zur Attaque.
„Sollen wir Carré formieren?“ „Ich habe keine Patronen mehr!“
„Was sollen wir machen?“ — solche und ähnliche Fragen wurden an die
Offiziere gerichtet, welche die Leute ermahnten, ruhig liegen zu bleiben
und, wer noch eine Patrone habe, diese bis zum letzten Augenblicke auf—
zuheben.
An einzelnen Punkten, wo Offiziere nicht mehr vorhanden waren,
verführte die Gewohnheit des Exerzierplatzes die Leute, Knäule zu bilden.
Dieselben hatten vom Feuer des Feindes besonders zu leiden und wurden
durch dasselbe förmlich zerrissen.
Die Sorge vor der Kavallerie war umütz. Nachdem die Kavallerie—
Division du Barail kurze Zeit unser Feuer ausgehalten hatte, schwenkte
sie Kehrt und verschwand. Aber noch über eine halbe Stunde mußten die
durch unerhörte Verluste zusammengeschmolzenen Abteilungen, denen zwei
französische Korps dicht gegenüber standen, aushalten, ehe ihnen Hülfe kam.
Der seit einiger Zeit in der Richtung von Roncourt stärker werdende
Kampf zeigte, daß die Unterstützung, welche wir von den sächsischen Bundes⸗
brüdern erwarteten, nahe sei. Es war dies aber auch eine Mahnung,
ihnen weder die Arbeit, noch die Ehre allein zu überlassen.
Zudem war die Erschöpfung überwunden und das ruhige Verharren
im Kugelregen auf die Dauer nicht auszuhalten.
Ohne einen Befehl abzuwarten, nur von dem gemeinsamen Drange
nach vorwärts getrieben, setzte sich die Schützenlinie in Bewegung. Der
erste Impuls ging von unserem rechten Flügel aus, dem sich die ganze
Linie unserer Brigade und der J. Division anschloß. Hauptmann von
Bardeleben rief seinen Leuten zu, sie sollten jetzt thun, was sie auf
dem Marsche immer gesungen, indem er an den Refrain des Liedes er⸗
innerte: „Haut sie auf den Chassepot, auf den Chassepot mit Hurrah!“
Die Halbbataillone des zweiten Treffens folgten den Schützen des
2. Bataillons unmittelbar. Zum Teil hatten sie schon vorher die Schützen⸗
linie verstärkt.