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heraus und doch so sehr ruhig! Voriges Jahr waren alle
die Anlagen wohl schon da; sie hatte kein Lied geschrieben,
worin nicht irgend ein sonnenklarer Zug von Talent war,
und da trommelten M— und ich zuerst Lärmen in der Stadt
unter den Musikern; es wollte uns aber keiner so recht
glauben. Seitdem aber hat sie den merkwürdigsten Fort—
schritt gemacht. Wen die jetzigen Lieder nicht packen, der
fühlt überhaupt gar Nichts, und so ist es nun gar leider
Mode geworden, das kleine Mädchen um Lieder zu bitten,
ihr die Lichter vom Clavier fortzunehmen, um sich an ihrer
Melancholie in Gesellschaft zu freuen. Das bildet einen bösen
Contrast, und mehreremals, wenn ich nach ihr auch Etwas
spielen sollte, war ich es nicht im Stande und ließ die Leute
ablaufen. Denn es ist möglich, daß sie von all' dem Gerede
noch verdorben werden kann, weil Niemand neben ihr steht,
der sie verstehen oder leiten könnte, und weil sie selbst sonder—
barer Weise noch ganz ohne musikalische Bildung ist, Weniges
kennt, kaum gute Musik von schlechter unterscheiden kann und
eigentlich außer ihren eigenen Sachen Alles wunderbar schön
findet. Käme sie zu einer Art Zufriedenheit mit sich selbst,
so wäre es gleich vorbei. Ich habe nun das Meinige gethan
und die Eltern und sie selbst auf's Eindringlichste gebeten,
die Gesellschaften zu vermeiden und so etwas Göttliches nicht
vergehn zu lassen. Der Himmel gebe nur, daß es helfen
möge. Vielleicht schicke ich Euch, Ihr Schwestern, bald einige
ihrer Lieder, die sie mir aus Dankbarkeit abgeschrieben hat,
weil ich sie lehre, was sie eigentlich schon von Natur weiß,
und sie ein wenig zur guten und ernsthaften Musik ange⸗
halten habe.
Auch spiele ich täglich eine Stunde Orgel; kann aber
leider nicht üben, wie ich wollte, weil das Pedal um fünf
hohe Töne zu kurz ist, so daß man keine Seb. Bach'sche
Passage darauf machen kann. Aber es sind wunderschöne
Register darin, mit denen man Choräle figuriren kann; da
erbaue ich mich denn am himmlischen strömenden Ton des
Instruments; namentlich, Fanny, habe ich hier die Register
gefunden, mit denen man Seb. Bach's „Schmücke dich, o liebe
Seele“ spielen muß. Es ist, als wären sie dazu gemacht,
und klingt so rührend, daß es mich allemal wieder durch—