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London oder Paris gehen Selbst die Dresdener Gesellschaft,
die ich in Leipzig vorige- Jahr hörte, ist besser, als irgend⸗
eine hier. Es ist ja auch natürlich; beim grenzenlosen Elend,
das man hier überall sieht, — wo soll sich da ein Boden
zur Erhaltung eines Theaters, das jetzt doch einmal große
Mittel braucht, finden? und die Zeit, wo jeder Italiener
geborner Musiker war, ist, wenn sie jemals gewesen, lange
vorbei. Sie behandeln es wie jeden Modenartikel, kalt,
gleichgültig, kaum mit dem Interesse des äußerlichen Anstandes,
und da ist es nicht zu verwundern, wenn jedes einzelne Talent,
wie es aufkommt, gleich in die Fremde zieht, wo es besser
anerkannt, besser an seinen Platz gestellt wird, und wo es
Gelegenheit findet, etwas Ordentliches, Herzstärkendes zu hören
und zu lernen. — Der einzige Tamburini hier ist recht gut.
Man hat ihn aber längst schon in Wien, in Paris und, ich
glaube, auch in London gehört, und jetzt, wo er anfängt, seine
AÄbnahme zu fühlen, geht er nach Italien zurück. Auch daß
die Italiener die Gesangskunst allein besitzen sollen, kann ich
nicht begreifen; denn was ich von italienischen Sängern und
Sängerinnen Kunstreiches gehört habe, das kann die Sontag
auch und in noch höherem Grade; sie hat es zwar, wie sie
sagt, meist von der Fodor gelernt, aber warum sollte denn
nun eine andere Deutsche es nicht von der Sontag lernen
können? Und die Malibran ist eine Spanierin. Diese Glorie
vom „Lande der Musik“ kann Italien nicht behalten; in der
That hat es sie schon verloren und wird es auch vielleicht
bald in der Meinung der Leute, obwohl das letztere zufällig
ist. Ich war neulich in einer Gesellschaft Musiker, wo man
von einer neuen Oper eines Neapolitaners, Coccia, sprach
und wissen wollte, ob sie gut sei? „Wahrscheinlich ist sie gut,“
sprach einer der Musiker, „denn Coccia war lange in England,
hat da studirt, und es haben dort auch einige seiner Sachen
gefallen.“ Das war mir auffallend, man würde in England
gerade so von Italien gesprochen haben. Aber quo me rapis?
Euch lieben Schwestern sag' ich heut nichts, schicke aber in
den nächsten Tagen einen kleinen persönlichen Aufsatz, der
Euch zugeeignet ist. Erschreckt nicht! ich dichte nicht; das
Ding ist und heißt nur: Ein Tagebuch der Spazierfahrt nach
den Inseln im Mai. Felir.