Empowermentarbeit
mit geflüchteten Frauen
Bedarfe, Praxisansätze und Handlungsempfehlungen
DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Impressum
Herausgeber:
Der Paritätische Gesamtverband
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Internet: www.paritaet.org
Verantwortlich im Sinne des Presserechts:
Dr. Ulrich Schneider
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage, Juni 2020
Autorinnen:
Susann Thiel, Der Paritätische Gesamtverband
Kapitel II in Co-Autorinnenschaft mit
Indre Bogdan, Paritätisches Bildungswerk Bundesverband
Einzelne Beiträge von Gülin Mansur, Patricia Morosan
und Fatuma Musa Afrah
Redaktion:
Susann Thiel, Der Paritätische Gesamtverband
Gestaltung:
Christine Maier, Der Paritätische Gesamtverband
Bilder
© Samantha Font-Sala (Titel), Patricia Morosan (S. 9, 21,
34,35), Fatuma Musa Afrah (S.12), penyushkin - Adobe stack (S. 25), JPC-PROD- shutterstock (S. 27), Arbeit
und Bildung e.V. (S. 30, 31), Gülin Mansur (S. 32,33),
Wildwasser Oldenburg e.V. (S. 43),
Inhalt
Danksagung ........................................................................................................................................................................
3
Vorwort ................................................................................................................................................................................
4
1. Geflüchtete Frauen in Deutschland – Genderspezifische Bedarfe und Herausforderungen
im Aufnahme- und Integrationsprozess ................................................................................................................
6
2. Warum Empowermentarbeit so wichtig ist und wie sie konkret unterstützen kann ................................... 13
3.
Beispiele aus der Praxis: Gelungene Ansätze in der Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen .........
a) Zugangsmöglichkeiten zu Informationen über eigene Rechte und dem Hilfs- und
Unterstützungssystem für gewaltbetroffene geflüchtete Frauen ............................................................................
b) Traumasensible Stabilisierung als wesentliche Voraussetzung für Verarbeitung von
Gewalterfahrungen und den weiteren Integrationsprozess .......................................................................................
c) Sensibilisierte und geschulte Kultur- und Sprachmittler*innen für die Vermittlung und Wahrnehmung
von sexuellen und reproduktiven Rechten .......................................................................................................................
d) Kulturelle und kreative Workshops zur Stärkung der Selbstwirksamkeit ..............................................................
e) Stärkung der Selbsthilfe zur Integration in den Arbeitsmarkt ....................................................................................
f ) Kreative und stärkende Unterstützungsangebote für besonders schutzbedürftige geflüchtete
Mädchen und junge Frauen in Unterkünften ...................................................................................................................
g) Peer-to-peer: Stärkung der Selbsthilfepotentiale und Aufbau von Selbsthilfestrukturen
von und für geflüchtete Frauen...............................................................................................................................................
h) Selbststärkung und Gewaltprävention von jungen geflüchteten Frauen durch
Selbstverteidigungstechniken ...............................................................................................................................................
i) Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch langfristige Unterstützung und Begleitung ....
j) Stärkung von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren in der Arbeit mit LSBTIQ*-Geflüchteten .......................
k) Verhinderung von sekundärer Traumatisierung in der Arbeit mit geflüchteten Mädchen und Frauen .....
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4. Tipps für die Praxis: Handlungsempfehlungen für die Unterstützungsarbeit mit geflüchteten Frauen .......
a) Projektplanung: Vorbereitende Überlegungen und Maßnahmen .............................................................................
b) Rahmenbedingungen gestalten: Besondere Bedarfe im Blick haben .....................................................................
c) Zugänge ermöglichen: Wie erreiche ich die Zielgruppe und wie spreche ich sie an? .........................................
d) Kontinuität der Teilnahme erhalten: Zum Umgang mit unregelmäßigen Teilnehmenden ..............................
e) Zur Arbeit mit traumatisierten und von Gewalt betroffenen geflüchteten Frauen .............................................
f ) Zur Frage der Einbindung von geflüchteten Männern ...................................................................................................
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5. Weiterführende Literaturhinweise und Praxistipps für die Arbeit mit geflüchteten Frauen und
anderen besonders schutzbedürftigen Personen ...............................................................................................
a) Praxistipps für Fachkräfte und ehrenamtlich Engagierte ..............................................................................................
b) Informationsmaterial für Geflüchtete ...................................................................................................................................
c) Wissenswertes: Fachinformationen, Studien, Berichte ...................................................................................................
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1
„Wir brauchen Projekte wie diese,
wir brauchen einen women space.“
„Women empowerment!“
„Ich bin eine Frau und habe Rechte wie andere.“
„Frauen können alles machen – man muss sie nur lassen.“
r erkennen und allen zeigen.“
„Frauen haben viele Stärken – sie müssen sie aber noch besse
„Frauen sollten die Arbeit tun, die auch Männer tun, weil sie genauso fähig sind, alles zu machen.“
motivieren, ihnen Mut zu machen,
„Wir brauchen neue Wege, Frauen zu
“
ngen von Ablehnung gemacht haben.
insbesondere dann, wenn sie Erfahru
„Was Frauen stärkt? Dass wir uns treffen und etwas gemeinsam machen
und unsere Stärken zeigen, dass wir gut sind und alles machen können.“
ich, dass ich mit Problemen
„Früher habe ich immer Männer um Hilfe gefragt. Jetzt weiß
nicht mehr.“
auch zu euch kommen kann. Ich brauche die Männer jetzt
„Ich habe so etwas noch nie gemacht! Ich hätte nicht gedacht, dass ich das kann.“
„Hier können wir so sein wie wir sind, ohne uns zu
verstellen.“
s und das ist gut so.“
un
„Wir Frauen sind unter
„Ich weiß jetzt, dass ich nicht allein bin.“
„Ich habe von euch in einer Woche mehr gelernt als im Wohnheim in sechs
Monaten.“
„Ich habe hier richtige Freundinnen gefunden und viel Freude erlebt.“
„Ich habe hier eine gute Orientierung bekommen.“
„Ich habe hier einen Ort gefunden, an dem ich mich ohne Angst vor Missve
rständnissen äußern kann.“
„Ich kann wieder lachen!“
„Ich fühle mich heute wieder wohl!“
Zitate geflüchteter Frauen, die im Rahmen der Paritätischen Arbeit durch Beratungsangebote und Projekte
erreicht wurden und ihre Meinungen zu den Angeboten äußern bzw. zur Frage, warum Empowermentarbeit so
wichtig für geflüchtete Frauen ist.
2
Danksagung
Wir danken allen, die durch ihre Arbeit, ihre Erfahrungen und Expertise sowie durch kritische Anstöße
maßgeblich zum Entstehen dieser Publikation beigetragen haben.
Ein besonderer Dank gilt den Frauen, die im Rahmen
einer Paritätischen Umfrage ihre Expertise und Perspektive vertrauensvoll mit uns geteilt haben. Hierdurch konnten wichtige Bedarfe geflüchteter Frauen
identifiziert und Anregungen für die Handlungsebene
abgeleitet werden.
Daneben möchten wir den Projektverantwortlichen
und weiteren Beteiligten, die mit ihrer Unterstützungsarbeit wichtige Angebote mit und für geflüchtete Frauen im Rahmen des Paritätischen realisieren,
ganz herzlich für ihr Engagement, ihre Fachlichkeit
sowie die wertvollen Praxiserfahrungen und -reflexionen danken. Der stets bereichernde und konstruktive
kollegiale Austausch war grundlegend für die Inhalte
dieser Publikation. Ganz besonders sollen dabei die
Paritätischen Mitgliedsorganisationen, die im Rahmen
des von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration geförderten Projektes „Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen“
einen essentiellen Beitrag zum Aufnahme- und Integrationsprozess geleistet haben, hervorgehoben werden:
3
•
Arbeit und Bildung e.V. (Marburg, Hessen)
•
Das Boot Wismar e.V. (Wismar, Mecklenburg-Vorpommern)
•
Familienhaus Magdeburg gGmbH
(Magdeburg, Sachsen-Anhalt)
•
Familienzentrum Müze e.V. (Limburg, Hessen)
•
frauenBeratung nürnberg für gewaltbetroffene
Frauen & Mädchen (Nürnberg, Bayern)
•
Frauenberatungs- und Kontaktstelle Gelsenkirchen e.V. (Gelsenkirchen, Nordrhein-Westfalen)
•
Frauen für Frauen e.V. Leipzig (Leipzig, Sachsen)
•
Frauen für Frauen e.V. Ludwigsburg (Ludwigsburg, Baden-Württemberg)
•
Frauengesundheitszentrum SIRONA e. V.
(Wiesbaden, Hessen)
•
Frauen helfen Frauen in Not e.V. / Frauentreff
Elmshorn (Elmshorn, Schleswig-Holstein)
•
Frauenhilfe München gGmbH (München, Bayern)
•
Frauenzentrum Cottbus (Cottbus, Brandenburg)
•
Frauenzentrum TOWANDA Jena e.V. (Jena, Thüringen)
•
Für eine kulturvolle, solidarische Welt e.V. c/o
Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I. (Berlin)
•
Mannheimer Frauenhaus e.V. (Mannheim, Baden-Württemberg)
•
Mütterzentrum-Vahr e.V. (Bremen-Vahr, Bremen)
•
pro familia Landesverband Hamburg e.V.
(Hamburg)
•
pro familia Landesverband Rheinland-Pfalz e.V.
(Mainz, Rheinland-Pfalz)
•
Refugio München (München, Bayern)
•
Stiftung Akademie Waldschlösschen
(Gleichen, Niedersachsen)
•
SUANA/ kargah e.V. (Hannover, Niedersachsen)
•
Tritta e.V. – Verein für feministische Mädchenarbeit (Freiburg, Baden-Württemberg)
•
VIBB Essen e.V. (Essen, Nordrhein-Westfalen)
•
Wildwasser Oldenburg e.V. (Oldenburg, Niedersachsen)
Vorwort
Die vorliegende Publikation ist auf Grundlage der jahrelangen fachlichen Expertise und Praxiserfahrungen
des Paritätischen und seiner Mitgliedsorganisationen
sowie der Perspektiven und Rückmeldungen geflüchteter Frauen1 entstanden. Ausgehend von einem
Überblick über die Lebensbedingungen und aktuellen
Herausforderungen im Aufnahme- und Integrationsprozess in Deutschland, zeigt sie konkrete Bedarfe
geflüchteter Frauen auf und stellt diesbezüglich gelungene Praxisansätze aus der Unterstützungsarbeit
mit geflüchteten Frauen vor. Daraus werden zentrale
Erkenntnisse abgeleitet und als praktische Tipps und
Impulse in Form von Handlungsempfehlungen für die
(weitere) Arbeit mit geflüchteten Frauen gegeben. Im
Zentrum steht dabei immer die Frage, wie geflüchtete Frauen am besten unterstützt und gestärkt werden
können, welche Haltung seitens Sozialer Arbeit dafür
wichtig ist, welche Zugänge, Ansätze und Formate
sich für die verschiedenen Bedarfe der Unterstützung
eignen und welche Möglichkeiten es gibt, auf Herausforderungen im Rahmen dieser Arbeit zu reagieren.
Die Publikation richtet sich somit in erster Linie an
Fachkräfte und Engagierte vor Ort, die Angebote für
geflüchtete Frauen durchführen (wollen) sowie an die
interessierte Fachöffentlichkeit.
erst ermöglichen und befördern können. Hierzu trägt
die Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen wesentlich bei.
Zahlreiche Paritätische Mitgliedsorganisationen
sind mit ihrer Arbeit zu wichtigen Anlaufstellen für
geflüchtete Frauen geworden. Dazu zählen u.a.
Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen,
psychosoziale Zentren und Frauenhäuser genauso wie Bildungseinrichtungen und Familien- und
Gesundheitszentren. Die Expertise und Erfahrungen
von Migrant*innen(selbst)organisationen im Verband sind dabei zentral für die Qualität und Weiterentwicklung der Arbeit mit der Zielgruppe. Immer
mehr Mitgliedsorganisationen versuchen flucht- und
geschlechtssensibel die Zielgruppe der geflüchteten Frauen und Mädchen sowie andere besonders
Schutzbedürftige mit ihren Angeboten zu erreichen
und bedarfsgerecht zu unterstützen.
Neben der Umsetzung mehrerer Bundesprogramme
im Bereich Migration (u.a. Migrationsberatung für
erwachsene Zuwanderer, Gemeinwesen orientierte
Projekte, Migrantinnen einfach stark im Alltag – MIA)
setzt sich der Paritätische Gesamtverband im Rahmen der Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten
Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ des Bundesfamilienministeriums seit 2016 verstärkt für verbesserte Rahmenbedingungen des Gewaltschutzes und
der Unterbringung für geflüchtete Frauen und weitere besonders Schutzbedürftige ein. Wesentlich für
die vorliegende Publikation sind darüber hinaus die
Erfahrungen aus dem Projekt „Empowermentarbeit
mit geflüchteten Frauen“. Von 2016 bis 2019 förderte
die Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration Projekte des Paritätischen
zur Unterstützung von Frauen mit Fluchterfahrungen
und anderen besonders schutzbedürftigen Personengruppen wie bspw. LSBTIQ*, traumatisierte Geflüchtete, Minderjährige, etc. Im Jahr 2019 wurden in diesem Rahmen 24 Paritätische Mitgliedsorganisationen
in ihrer Arbeit gefördert. Bedauerlicherweise wurden
die Paritätischen Projekte in der Förderung durch die
Integrationsbeauftragte ab 2020 jedoch nicht mehr
berücksichtigt. Ziel der Projekte war es, geflüchtete
Frauen durch ein breites und bedarfsorientiertes Angebot mit vielfältigen Ansätzen an Beratung, Gewaltprävention, Austausch und Empowerment bei der
Viele der nach Deutschland geflüchteten Frauen
haben erhebliche Menschenrechtsverletzungen erfahren. Sie suchen in erster Linie Schutz und eine
Perspektive für ihre Zukunft. Ihre spezifischen Lebenslagen und Herausforderungen müssen vor diesem Hintergrund ganz besonders stark im Fokus
der Aufnahme- und Integrationspolitik stehen. Die
Vermittlung von Sicherheit und Orientierung im Aufnahmeland, der Aufbau von Stabilität und Vertrauen
sowie die Stärkung der Selbstwirksamkeit und des
Selbstwertgefühls – all dies sind wichtige Grundpfeiler, die einen weitergehenden Integrationsprozess
1 Der Begriff „Frau“ oder „Mädchen“ wird in der vorliegenden
Publikation als Teil der sozial konstruierten Zweigeschlechtlichkeit
benutzt. Damit besteht die Gefahr der Reproduktion der binären
Kategorien von „Frau“ und „Mann“ und des Unsichtbar-Machens von allen,
die sich außerhalb dieses binären Normsystems verorten. Gleichzeitig
erscheint es wichtig, mit der Markierung als „Frau“ auf die ungleichen
Besitz- und Machtverhältnisse sowie die strukturellen Unterschiede
hinzuweisen und in dieser Analyse Forderungen im Sinne einer
gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe zu stellen. Menschen,
die sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Gender-Identität als
LSBTIQ* (lesbisch, schwul, bi, trans, inter, queer oder andere Identitäten)
definieren, müssen dabei immer mitgedacht und genannt werden, da sie
ähnlichen Unterdrückungsmechanismen ausgesetzt sind.
4
Orientierung in ihrem neuen Lebensumfeld und der
Gestaltung eines selbstbestimmten Lebens zu unterstützen. Bundesweit konnten zahlreiche wirksame Angebote und Unterstützungsleistungen geschaffen sowie Strukturen für die Zielgruppe auf- und ausgebaut
werden. Daneben wurden wichtige Konzepte für Sensibilisierungen und Schulungen für Fachkräfte in Unterkünften und anderen Feldern der Sozialen Arbeit
entwickelt, sodass weitere Akteure für die Arbeit mit
geflüchteten Frauen und anderen besonders Schutzbedürftigen gestärkt werden konnten.
Die Lebensbedingungen von geflüchteten Frauen
sowie die Unterstützungsarbeit mit ihnen sind durch
die Ausbreitung von COVID-19 und den damit zusammenhängenden Schutzmaßnahmen und Beschränkungen akut und nachhaltig geprägt worden.
Besonders betroffen sind geflüchtete Frauen, die in
Großunterkünften leben und aufgrund der schwer
einzuhaltenden Schutzmaßnahmen vermehrt Risikofaktoren ausgesetzt sind. Räumliche Enge und
fehlende Privatsphäre machen ein Einhalten der allgemeinen Vorsorgemaßnahmen unmöglich und können die gesundheitliche und psychosoziale Situation
erheblich beeinträchtigen. „Social distancing“ und ein
„Rückzug“ in das eigene Zuhause ist für viele von ihnen nicht möglich. Hinzu kommt, dass vielerorts Beratungsstellen und Unterstützungsangebote nicht
mehr im gewohnten Maße zugänglich waren bzw. es
teilweise noch immer nicht sind. Ein komplettes Umstellen auf internetbasierte Kommunikation kann hier
für einige Angebotsbereiche eine Alternative bieten,
jedoch hat auch diese Form der Unterstützung ihre
Grenzen. Für die hier vorliegenden Praxisansätze und
Handlungsempfehlungen, die vor dem Ausbruch der
Pandemie entwickelt worden sind, müssen diese Bedingungen und Schutzmaßnahmen stets mitgedacht
und berücksichtigt werden. Sie machen noch einmal
mehr deutlich, wie wichtig der Zugang zu bzw. die
Schaffung von Angeboten der Unterstützungs- und
Empowermentarbeit für geflüchtete Frauen ist.
Susann Thiel
Referentin für Flüchtlingspolitik und -hilfe
beim Paritätischen Gesamtverband
5
1. Geflüchtete Frauen in Deutschland –
Genderspezifische Bedarfe und Herausforderungen
im Aufnahme- und Integrationsprozess
Viele Frauen haben geschlechtsspezifische
Gewalt in ihren Herkunftsländern und auf
der Flucht erlebt
Die Situation von geflüchteten Frauen in Deutschland
ist durch spezifische Fluchtursachen und ihre Folgen
sowie besondere Bedürfnisse und Herausforderungen
im Aufnahme- und Integrationsprozess charakterisiert. Ihr besonderer Schutz- und Unterstützungsbedarf, aber auch ihre Stärken werden noch immer nicht
hinreichend berücksichtigt, sodass dadurch erhebliche Lücken in der Gewährung und Wahrnehmung
von Rechten und gesellschaftlicher Teilhabe für geflüchtete Frauen entstehen.2
In den weltweiten Fluchtbewegungen spielen Frauen
eine immer größere Rolle. 70,8 Millionen Menschen
waren 2018 auf der Flucht – die Hälfte davon weiblich.3
Frauen fliehen, genau wie viele andere auch, aufgrundaufgrund von Krieg, politischer Verfolgung, ethnischer
und religiöser Zugehörigkeit, Armut, Hunger, Folgen
von Umweltzerstörung oder mangelnder Bildung und
medizinischer Versorgung. Sie sind zudem jedoch weiteren spezifischen Menschenrechtsverletzungen und
verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, die fast
ausschließlich Frauen betreffen, so z. B. Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde, FGM*FGC (female genital
mutilation und female genital cutting), häusliche Gewalt, Zwangsprostitution, Frauenhandel, sexualisierte
Gewalt (insbesondere auch als Kriegsstrategie) und
Bestrafungen aufgrund von Ehebruch oder wegen des
Verstoßes gegen Bekleidungsvorschriften. Auch während der Flucht besteht für Frauen die konkrete Gefahr,
Opfer von (organisiertem) Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung bzw. zur Arbeitsausbeutung zu werden.4 Als Lesben, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer
sind sie darüber hinaus häufig von spezifischer Diskriminierung und Verfolgung aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung betroffen.5
So können bspw. geschlechtsspezifische Traumatisierungen und die Verantwortung für mitreisende Kinder
die Mobilität geflüchteter Frauen, ihre Teilnahme an Bildungsangeboten sowie den Zugang zu medizinischer
und psychosozialer Versorgung erheblich einschränken. Dies wiederum kann vielfältige Auswirkungen
auf die Integrations- und Teilhabechancen haben. Geflüchtete Frauen werden insbesondere beim Spracherwerb, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt
im Vergleich zu geflüchteten Männern und zu anderen
Frauen ohne Fluchtbiografien benachteiligt und sind
in diesen Bereichen auffallend unterrepräsentiert. Die
Beschränkungen durch die Corona-Pandemie verstärken diese Effekte um ein Vielfaches. Sie verdeutlichen
die Notwendigkeit einer gendersensiblen Aufnahmeund Integrationspolitik und werden im Folgenden näher beleuchtet.
Im Jahr 2018 machten die ca. 70.000 weiblichen Geflüchteten mehr als 43 Prozent der Asylerstantragsteller*innen aus.6 Die Mehrheit der Frauen kommt dabei
aus Syrien, Irak, Afghanistan, Iran, Nigeria, und Eritrea;
aus Ländern, in denen seit Jahren Krieg und Vertreibung herrscht und physische, sexualisierte wie auch
psychische und strukturelle Gewalt alltäglich ist.7
3 Vgl. United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) (2018):
Global Trends. Forced Displacement in 2018. Geneva.
4 Vgl. Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK
e.V. (2017): Policy Paper „Flucht & Menschenhandel – Betroffene erkennen,
unterstützen, schützen“. Berlin. https://www.kok-gegen-menschenhandel.de/
fileadmin/user_upload/medien/Projekte/KOK_PolicyPaper_2017_WEB.pdf
5 Siehe Dörr, P. & Träbert, A. (2019): LSBTI*-Geflüchtete im Asylverfahren.
Verfolgung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität. In:
Asylmagazin Ausgabe 10-11/2019, S. 352-359.
6 Vgl. BAMF, Aktuelle Zahlen zu Asyl, Ausgabe Dezember 2018.
7 Siehe u.a. Amnesty International, Report 2017/2018. Zur weltweiten
Lage der Menschenrechte, S. Fischer.
2 Siehe dazu auch Bektaş, L, Kovačević, T, und Thiel, S. (2019): Die
Situation geflüchteter Frauen im Asylverfahren. In: Asylmagazin Ausgabe
12/2019, S. 392-400.
6
Geflüchtete Frauen sind verstärkt von Risiken
psychischer Erkrankungen betroffen
Die aktuelle Lebens- und Unterbringungssituation kann negative Folgen für das
(psychische) Wohlbefinden geflüchteter
Frauen haben
Das Erleben geschlechtsspezifischer Gewalt kann erhebliche Auswirkungen auf die (psychosoziale) Gesundheit von Frauen haben. Basierend auf den Daten
der repräsentativen Längsschnittbefragung des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und aktuellen Analysen8 ist anzunehmen, dass Geflüchtete im Vergleich
zum Bevölkerungsdurchschnitt einem höheren Risiko
ausgesetzt sind, an Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Depressionen zu erkranken. Unter
den Geflüchteten sind Frauen verstärkt betroffen. Die
Forscher*innen schätzen, dass das Risiko einer Erkrankung bei Frauen über 35 Jahren bei 56 Prozent und
bei Frauen über 45 Jahren sogar bei 69 Prozent liegt.
Frauen verfügen zudem über ein weitaus geringeres
psychisches Wohlbefinden, unter ihnen treten häufiger Symptome für depressive Erkrankungen und
Ängstlichkeit auf.
Erkenntnissen der Autor*innen einer Befragung des
Wissenschaftlichen Instituts der AOK9 zufolge, hängt
die schlechtere Einschätzung des Wohlbefindens und
der psychosozialen Gesundheit mit einer schlechteren
Lebenssituation in den Erstaufnahmeeinrichtungen
sowie den ungewissen Zukunftsperspektiven zusammen.10 Dies bestätigen auch Schouler-Ocak/Kurmeyer11, die mit ihrer Studie geflüchtete Frauen in den
Fokus gerückt haben: Mehr als die Hälfte bezeichnet
ihre Wohnsituation demnach als schlecht oder sehr
schlecht. Die Bedingungen in den Unterkünften ermöglichen ihnen keine Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeiten. Die Wohnverhältnisse sind beengt, die
Lautstärke belastend, die Lage meist isoliert und die
Mobilität und Teilhabe durch mangelnde Infrastruktur
erschwert sowie durch eingeschränkte Handlungsund Selbstbestimmungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Zudem werden die hygienischen Bedingungen,
die häufig nicht nach Geschlechtern getrennten Sanitärräume und die mancherorts nicht abschließbaren
Toiletten und Duschen kritisiert. All dies kann sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirken und sich
in Traurigkeit, der Neigung zum Weinen, Schlafschwierigkeiten, Nervosität, Angstgefühlen und einem Gefühl der Einsamkeit niederschlagen.
Dabei müssen, neben möglichen traumatischen Erfahrungen vor oder während der Flucht, auch weitere Einflussfaktoren im aktuellen Lebenskontext geflüchteter
Frauen berücksichtigt werden. So können bspw. die
aufenthaltsrechtliche Situation, unsichere Zukunftsperspektiven oder die Wohnsituation Traumata potentiell verstärken und negative Auswirkungen auf das
psychische Wohlbefinden haben.
8 Vgl. Brücker, H., Croisier, J., Kosyakova, Y., Kröger, H., Pietrantuono, G.,
Rother, N. & Schupp, J. (2019): Zweite Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung
Geflüchtete machen Fortschritte bei Sprache und Beschäftigung. BAMFKurzanalyse Ausgabe 01/2019. Nürnberg.
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/
kurzanalyse1-2019-fortschritte-sprache-beschaeftigung.pdf?__
blob=publicationFile
9 Vgl. Schröder, H.; Zok, K. & Faulbaum, F. (2018): Gesundheit von
Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von
Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. WidO-monitor
01/2018. Berlin.
https://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/presse/pressemitteilungen/
archiv/2018/widomonitor_1_2018_web.pdf
10 Siehe u.a. Albers, H. (2013): Lebensbedingungen und psychische
Gesundheit der Bewohner der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft für
Asylbewerber, Living conditions and mental health of residents of the
shared accommodation centre for asylum seekers in Würzburg, Germany.
11 Vgl. Schouler-Ocak, M. & Kurmeyer, C. (2017): Study on Female
Refugees. Abschlussbericht. Repräsentative Untersuchung von geflüchteten
Frauen* in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland. Berlin.
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/
Kurzanalysen/kurzanalyse1-2019-fortschritte-sprache-beschaeftigung.
pdf?__blob=publicationFile&v=12“&HYPERLINK „https://www.
bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/
kurzanalyse1-2019-fortschritte-sprache-beschaeftigung.pdf?__
blob=publicationFile&v=12“v=12
7
Geflüchtete Frauen sind nicht hinreichend
vor Gewalt in Aufnahmeeinrichtungen
geschützt
Der Zugang zu Informationen über die
eigenen Rechten sowie das Wissen und die
Zugänge zu Teilhabemöglichkeiten sind für
viele geflüchtete Frauen eingeschränkt
Geflüchtete Frauen und andere besonders schutzbedürftige Menschen wie bspw. LSBTIQ* sind in
Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften in einem besonderen Maße der Gefahr
von geschlechtsspezifischer Gewalt durch ihre Partner*innen, andere Bewohner*innen, Mitarbeitende
oder Sicherheitsdienste der Einrichtungen ausgesetzt.
Das Wissen um die eigenen Rechte ist eine grundlegende Voraussetzung für die eigenen Handlungsund Gestaltungsmöglichkeiten. Alle Frauen haben
das Recht, die eigenen Rechte zu kennen. Doch in
der Praxis hat sich gezeigt, dass viele geflüchtete
Frauen nicht oder nicht genügend über ihre Rechte
in Deutschland informiert sind und sehr viele Fragen
und Unklarheiten diesbezüglich vorhanden sind. Dies
betrifft sowohl das Wissen um die eigenen Rechte im
Asylverfahren als auch Rechte im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit oder psychosoziale
Unterstützungsmöglichkeiten bei geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch Informationen über Sprachkurse
oder lokale Angebote und Veranstaltungen erreichen
nicht alle Frauen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum
einen werden viele Frauen durch die Unterbringung in
großen Unterkünften isoliert. Zum anderen fehlen vielerorts Angebote zur Sprachmittlung.15
Verschiedene Maßnahmen haben in den letzten Monaten und Jahren zu Verbesserungen geführt. So hat
das Bundesfamilienministerium 2016 zusammen mit
UNICEF und weiteren Partner*innen Mindeststandards für den Schutz von geflüchteten Menschen in
Unterkünften entwickelt und an Modellstandorten
erprobt.12 Einzelne Bundesländer sowie Städte haben
eigene Schutzkonzepte erstellt. Zuletzt wurden im
August 2019 mit der Einführung der bundesgesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 2a und § 53 Abs. 3 Asylgesetz Länder und Kommunen verpflichtet, geeignete
Schutzmaßnahmen bei der Unterbringung zu treffen.
Doch flächendeckend weist der Gewaltschutz in Unterkünften noch immer erhebliche Defizite auf. Noch
immer gibt es Orte, an denen Duschen nicht abschließbar sind, Toiletten nur nachts über lange Flurgänge
erreichbar sind oder Rückzugsräume und Beschwerdestellen fehlen.13 Noch immer fehlt es an verbindlichen, effektiven, nachhaltigen und „gelebten“ Gewaltschutzkonzepten sowie einer umfänglichen und
bedarfsgerechten Hilfe- und Versorgungsstruktur. Vor
allem aufenthaltsrechtliche Regelungen und bürokratische Hürden wie bspw. die Residenzpflicht und
Wohnsitzauflagen erschweren immer wieder einen effektiven Schutz vor Gewalt.14
12 Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen
in Flüchtlingsunterkünften der Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten
Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ https://www.gewaltschutz-gu.de/
themen/die_mindeststandards
13 Vgl. u.a. Dilger, H., Dohrn, K., and in Collaboration with International
Women Space (2016): Living in Refugee Camps in Berlin: Women’s
Perspectives and Experiences, Weißensee Verlag, Berlin.
14 Siehe Policy Paper: Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer
Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften, hrsg. vom Deutschen Institut
für Menschenrechte (2015) https://www.institut-fuer-menschenrechte.
de/publikationen/show/policy-paper-nr-32-effektiver-schutzvorgeschlechtsspezifischer-gewalt-auch-in-fluechtlingsunter/. Zudem
siehe u.a. „Aktuelle Problemanzeigen im Zusammenhang mit der
Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG und dem Schutz vor Gewalt“
des Paritätischen Gesamtverbandes vom Juli 2019: https://www.
der-paritaetische.de/fachinfos/aktuelle-problemanzeigen-imzusammenhangmit-der-wohnsitzregelung-nach-12a-aufenthg-und-demschutz/
15 Vgl. Schouler-Ocak, M. & Kurmeyer, C. (2017), a.a.O. (Fn. 11).
Darüber hinaus ist sprachliche Verständigung eine Grundvoraussetzung
für den Zugang zu bestimmten sozialen Leistungen und somit
für gesellschaftliche Teilhabe, siehe Paritätisches Positionspapier
(2018): Sicherstellung der Sprachmittlung als Voraussetzung für
Chancengleichheit beim Zugang zu Sozialleistungen, https://www.derparitaetische.de/fachinfo/stellungnahmen-und-positionen/paritaetischespositionspapier-sicherstellung-der-sprachmittlung-als-voraussetzungfuer-chancengleich/
8
Die Möglichkeiten der Selbstbestimmung
und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit
sind für viele geflüchtete Frauen erheblich
eingeschränkt
Viele geflüchtete Frauen sind nicht an die
Regelstrukturen angebunden. In der gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung
bestehen erhebliche Defizite
Insbesondere in den Strukturen von AnKER-Zentren
und anderen Erstaufnahmeeinrichtungen können geflüchtete Frauen wesentliche Aspekte ihres Lebensbereiches nicht selbst und frei bestimmen. Viele von ihnen dürfen sich nicht aussuchen, mit wem sie wohnen,
wann und was sie essen, ob sie eine Ausbildung oder
Arbeit suchen dürfen. Unter diesen Voraussetzungen
ist eine aktive Gestaltung des gesellschaftlichen Umfelds kaum möglich. Traumatisierte und weitere vulnerable Geflüchtete finden selten Rückzugsräume
und Privatsphäre, für sie ist dieser Dauerzustand und
die Erfahrung der Fremdbestimmung besonders belastend. Frauen und Familien mit kleinen Kindern leiden
zudem häufig unter den fehlenden Möglichkeiten, ihren Alltag aktiv gestalten und ihren Kindern genügend
Frei- und Spielräume bieten zu können. Für Personen,
die durch die Flucht über einen längeren Zeitraum von
ihren Familien oder Partner*innen getrennt waren,
sind der (Wieder)Aufbau einer stabilen Lebensgrundlage und der Zusammenhalt der Familienstruktur in
diesem Kontext besonders erschwert.
Die gesundheitliche Versorgung von Asylbewerber*innen wird maßgeblich durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bestimmt. Dieses beschränkt
die medizinische Versorgung innerhalb der ersten 15
Monaten auf eine Behandlung bei „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“ (§§ 4, 6 AsylbLG) und
verhindert, dass bei weiteren gesundheitlichen Beschwerden direkt ein*e Arzt*Ärztin konsultiert werden
kann. Zudem bestehen mehrere Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, u.a. Kommunikationsprobleme aufgrund fehlender oder genderunsensibler Sprachmittlung, fehlende Rahmenbedingungen
für den Zugang von Frauen mit mehreren Kindern sowie häufig auch fehlende Qualifikation und Erfahrung
seitens der Ärzt*innen und Behandelnden im Umgang
mit Folter, Traumatisierung und weiteren geschlechtsspezifischen Gewalterfahrungen. Geflüchtete Frauen
haben einen Bedarf an psychologischer Behandlung,
jedoch haben sie häufig keinen Zugang zu dieser.16
Flächendeckend fehlt es an Therapieangeboten. Darüber hinaus können rechtliche Bestimmungen und bürokratische Hürden dazu führen, dass Erkrankungen
nicht frühzeitig identifiziert und behandelt werden.
Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund fatal, dass
es tendenziell geflüchtete Frauen sind, die sich bei Problemen oder Beschwerden zurückziehen und seltener
aktiv nach Hilfe suchen. Ergebnisse der Studie der Berliner Charité17 zeigen, dass unter den befragten geflüchteten Frauen 55 Prozent an körperlichen Beschwerden
und 40 Prozent an seelischen Beschwerden leiden,
aber nur 15 Prozent bei körperlichen und nur 4 Prozent bei seelischen Problemen ärztliches Fachpersonal
aufsuchen. Laut einer Bestandsaufnahme des Fachdialognetzes für schwangere, geflüchtete Frauen18 beste16 Ebd; siehe auch BAfF e.V. (2018): Versorgungsbericht, Zur
psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in
Deutschland, 4. akt. Auflage: http://www.baff-zentren.org/produkt/
versorgungsbericht-zur-psychosozialen-versorgung-von-fluechtlingenund-folteropfern-in-deutschland-4-auflage/ ; siehe auch: https://
mediendienst-integration.de/artikel/gibt-es-genug-therapieplaetze-fuergefluechtete.html
17 Ebd.
18 Vgl. pro familia Bundesverband (2018): Medizinische und
psychosoziale Angebote für schwangere, geflüchtete Frauen. Eine
Projekt Fotografische Tagebücher
© Patricia Morosan
9
hen insbesondere auch bei der Versorgung Geflüchteter in der Geburtshilfe und Hebammenbetreuung
erhebliche Barrieren (u.a. aufgrund eines Mangels an
Hebammen sowie aufgrund von Aufnahmestopps in
gynäkologischen Praxen).
Es sind patriarchale Strukturen, die weltweit häufig dazu
führen, dass Frauen durchschnittlich geringere formale
Bildungsqualifikationen und Erwerbserfahrungen haben. Die aufenthaltsrechtlichen Hürden (u.a. teilweise Arbeitsverbote, eingeschränkter Zugang zur Regelschule,
etc.) sowie Vorstellungen von Genderrollen (u.a. die Zuweisung der familiären Sorge- und Betreuungsarbeit für
Kinder sowie der Pflege von Angehörigen) verhindern
für viele von ihnen einen umfänglichen Zugang zu Integrationsangeboten und zum Arbeitsmarkt.23 Geringere
Sprachkenntnisse und Hürden bei der Anerkennung
von beruflichen Abschlüssen zählen zu weiteren wesentlichen Herausforderungen für Frauen. Auch Gewalterfahrungen und (psychische) Belastungen müssen in diesem
Kontext als zusätzliche Hürde gesehen werden. Diese
können bspw. einer erfolgreichen Teilnahme an Sprach,Orientierungs- und Weiterbildungsangeboten sowie
einem konzentrierten Lernen entgegenstehen.
Geflüchtete Frauen wollen an der Gesellschaft
partizipieren. In den zentralen Bereichen
gesellschaftlicher Teilhabe wie Bildung, Ausbildung und Arbeit werden sie jedoch
noch immer stark benachteiligt
Während des Asylverfahrens im Rahmen der Erstunterbringung werden viele geflüchtete Frauen in eine besonders passive Rolle gedrängt. Obwohl die Teilhabe
Geflüchteter am Erwerbsleben, an Bildung und Ausbildung in Deutschland aktuell insgesamt gestiegen ist19
und 86 Prozent der geflüchteten Frauen20 gerne eine
Beschäftigung aufnehmen wollen würden, weisen sie
im Vergleich zu geflüchteten Männern und auch zu jenen Frauen, die in Deutschland geboren sind, deutlich
geringere Beschäftigungsquoten auf. Repräsentativen
Daten der zweiten Welle einer Längsschnittbefragung
von Geflüchteten zufolge hat sich die Erwerbsarbeit
geflüchteter Frauen im Jahr 2016 mit 4 Prozent auf nur
6 Prozent im Jahr 2017 erhöht, während der Beschäftigungsanteil geflüchteter Männer in diesem Zeitraum
von 15 Prozent auf 30 Prozent gestiegen ist.21 Geflüchtete Frauen arbeiten häufiger in Niedriglohnbranchen,
meist unter ihrem eigentlichen Qualifikationsniveau
und erzielen durchschnittlich weniger Einkommen.
Mit höherer Wahrscheinlichkeit gehen sie einer Teilzeitbeschäftigung nach. Die Geschlechterdifferenz ist
vor allem zwischen 25 und 35 Jahren am größten, sodass Frauen mit Kindern eine besonders benachteiligte Gruppe unter ihnen darstellen.22
Darüber hinaus erfahren geflüchtete Frauen
weitere Diskriminierung und Ausschlüsse, die
erhebliche Auswirkungen auf den Integrationsprozess haben können
Es sind Erfahrungen wie bspw. die Ungleichbehandlung von Frauen mit Kopftuch bei der Personalauswahl, die Zurückweisung eines Wohnungsangebotes
aufgrund der eigenen Herkunft oder der Anzahl der
Kinder, die Kündigung des Jobs nach Bekanntwerden einer Schwangerschaft sowie rassistische und
sexistische Übergriffe durch Mitarbeiter*innen auf
Ämtern und in Behörden, durch Vorgesetzte und
Kolleg*innen, die geflüchtete Frauen in Deutschland machen. Diese wiederum können erhebliche
Auswirkungen auf die Integration und die psychische und körperliche Gesundheit der Betroffenen
haben.24
23 Vgl. u.a. Wiedner, J., Salikutluk, Z. und Giesecke, J. (2018):
Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten: Potenziale, Perspektiven und
Herausforderungen. State-of-Research-Papier 7, Verbundprojekt ‚Flucht:
Forschung und Transfer’, Osnabrück: Institut für Migrationsforschung
und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück / Bonn:
Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC); darüber hinaus siehe
auch Abschnitt zur „(Re-)Produktion von Ausschlüssen am Beispiel des
Zugangs zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Frauen*“ im Beitrag „Armut
von geflüchteten Frauen*: marginalisiert, schutzlos und unsichtbar?“ von
Thiel, S. und Najafi, B. in: Dackweiler, R.-M.; Rau, A. und Schäfer, R. (Hrsg.)
(2020): Frauen und Armut – Feministische Perspektiven, Barbara Budrich.
24 Vgl. u.a. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016):
Bestandsaufnahme. https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/
Fachpublikationen/Schwangerschaft/Fachdialognetz_Medizinische_und_
psychosoziale_Angebote_fuer_schwangere_gefluechtete_Frauen_2018.pdf
19 Vgl. Brücker et al. (2019): 10-11, a.a.O. (Fn. 8).
20 Vgl. Fendel, T. (2019): Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter
Frauen*. WISO direkt 02/2019. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin, S. 1.
21 Ebd.
22 Vgl. Brücker et al. (2019): 10-11, a.a.O. (Fn. 8).
10
ziehen sich insbesondere gewaltbetroffene Frauen zurück und sind für Hilfs- und Unterstützungsangebote
häufig nur schwer erreichbar.25 Auch gibt es noch immer zahlreiche rechtliche Barrieren, die Frauen, die von
häuslicher Gewalt betroffen sind und eine Trennung
in Erwägung ziehen, keinen sicheren Schutz bieten.
Z.B. dann, wenn sie einen von ihrem gewalttätigen
Partner unabhängigen Aufenthalt nicht geltend machen können.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen illegalisierte Frauen,
die ohne Papiere in Deutschland in einem besonderen
Maß von Ausschlüssen betroffen sind. Sie befinden
sich oft in existenziellen Notlagen und haben keinen
Zugang zum Sozialsystem. In ihrer schutzlosen und
prekären Lage verfügen die Betroffenen in den seltensten Fällen über eigenen und sicheren Wohnraum
oder ein persönliches soziales Netzwerk. Die meisten
von ihnen suchen Unterstützung bei der Suche eines
sicheren Schlafplatzes, bei der Gesundheitsversorgung sowie Informationen zu den Möglichkeiten eines
Bleiberechts bzw. der Legalisierung ihres Aufenthaltes.
Der Bedarf ist groß, auch wenn die Zahlen ankommender Geflüchteter allgemein rückläufig sind. Dies zeigen
bisherige Erfahrungen Paritätischer Mitgliedsorganisationen, die seit Jahren mit ihren Unterstützungsangeboten auf geflüchtete Frauen und andere vulnerable Gruppen zugehen. Aus den hier dargelegten
Gründen braucht es vielerorts eine intensive und kontinuierliche Unterstützung und Begleitung geflüchteter Frauen. Es sind insbesondere niedrigschwellige Angebote notwendig, die Frauen stärken und bei Bedarf
in das örtliche Regelsystem überleiten.
Insgesamt bestehen demnach noch immer erhebliche Lücken in der Gewährung und Wahrnehmung von Rechten sowie im Versorgungsund Hilfesystem. Es braucht entsprechende
politisch-rechtliche Maßnahmen sowie eine
spezifische und kontinuierlich ausfinanzierte
Unterstützung geflüchteter Frauen im Aufnahme- und Integrationsprozess.
Gleichzeitig befindet sich Soziale Arbeit in diesem
Kontext auch häufig in einem Dilemma. So wichtig,
sinnvoll und notwendig die Unterstützungsarbeit ist
– wenn Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen
unter den hiesigen rechtlichen und sozialen Bedingungen stattfindet, dann stößt sie auch an ihre Grenzen. Zum einen, weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und damit auch der teilweise rassistische
Diskurs und die restriktive Flüchtlingspolitik die praktische Arbeit ganz entscheidend beeinflussen. Zum
anderen, weil strukturelle Probleme und Versorgungslücken nicht allein auf individueller Ebene von Fachkräften oder gar Ehrenamtlichen aufgefangen werden
können. Finanzielle, zeitliche und personelle Ressourcen sind oftmals schnell erschöpft, Verträge auf jedes
Jahr neu befristet. Für viele geht es in der Arbeit mit
Frauen auch um eine solidarische Herzensangelegenheit, Überstunden sind daher schnell gemacht. Doch
die Erfahrung, mit der eigenen Unterstützungsarbeit
an rechtliche und institutionelle Grenzen zu stoßen,
kann bei einigen auch zu Momenten des Frusts und
der Überforderung führen.
Zunehmend werden die besonderen Bedarfe geflüchteter Frauen auch von der Politik und Öffentlichkeit
wahrgenommen. Vielerorts wurden finanzielle Mittel
zur Stärkung des Unterstützungs- und Hilfesystems gestellt, bedarfsgerechte Maßnahmen entwickelt und der
Zugang zu bestehenden Regelangeboten erleichtert.
Doch noch immer sind erhebliche Lücken im Versorgungssystem zu verzeichnen. Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen sind häufig nicht flächendeckend
auf- und ausgebaut und zudem nicht gleichermaßen für alle zugänglich. Insbesondere in ländlich geprägten Regionen werden geflüchtete Frauen nicht
hinreichend versorgt, z.B. weil es häufig an Informationen und Sprachmittlung mangelt. Hinzu kommt,
dass geflüchtete Frauen und insbesondere Frauen
mit Traumatisierungen, Alleinerziehende, Frauen mit
Behinderungen etc. sich tendenziell seltener im Sozialraum bewegen und häufiger im direkten Umfeld
der Unterkünfte oder ihrer Wohnung verbleiben. So
Diskriminierungsrisiken für Geflüchtete in Deutschland. Eine
Bestandsaufnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. https://
www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Beratung/Gefluechtete_und_
Neuzugewanderte/Diskriminierungsrisriken/gefluechtete_node.html
25
11
Vgl. Schouler-Ocak/Kurmeyer (2017), a. a. O. (Fn. 11).
Um elementare Rechte geflüchteter Menschen durchzusetzen, strukturelle Versorgungslücken auf Dauer zu
schließen und somit nachhaltige Veränderungen zu
erwirken, braucht es entsprechende rechtliche Anpassungen sowie inklusive Konzepte und förderpolitische
Maßnahmen auf Seiten der Bundes-, Landes- und
Kommunalpolitik. Diesbezüglich und weiterführend
sei an dieser Stelle auf die Empfehlungen aus dem
Abschlussbericht der Study on Female Refugees von
Schouler-Ocak und Kurmeyer (2017) sowie auf die
Impulse der Publikation des Paritätischen Gesamtverbandes „Perspektivwechsel Empowerment. Ein Blick
auf Realitäten und Strukturen in der Arbeit mit geflüchteten Frauen“ (2016) verwiesen.
12
2. Warum Empowermentarbeit so wichtig ist
und wie sie konkret unterstützen kann
Der folgende Beitrag ist in Co-Autorinnenschaft mit Indre Bogdan vom Paritätischen Bildungswerk entstanden.
Doch worin sehen geflüchtete Frauen
selbst einen Bedarf, gestärkt zu werden?
Welche Rahmenbedingungen sollten dabei
beachtet werden? Und wie können Angebote
des Empowerments geflüchtete Frauen
wirklich erreichen und stärken?
Empowerment kann sowohl als ein selbstinitiierter
Prozess der Selbstbestimmung und -ermächtigung als
auch als Unterstützung und Förderung dieser Praxis
verstanden werden.26 Auch wenn es „gut“ oder „emanzipatorisch“ gemeint ist – bei Empowerment geht es
nicht darum, einer anderen Person etwas aufzuzwingen. In der Praxis gibt es dennoch Erfahrungen von
paternalistischen Verhaltensweisen, häufig vor allem
dann, wenn es Machtgefälle zwischen den Personen
gibt. Soziale Arbeit muss hier eine selbstkritische Rolle und Funktion einnehmen. Denn sie kann wichtige
Anknüpfungspunkte bieten und mit ihren Unterstützungsangeboten für geflüchtete Frauen Prozesse des
Empowerments entwickeln und gestalten.
Im Rahmen einer Umfrage im Projekt „Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen“ des Paritätischen
Gesamtverbandes in Kooperation mit dem Projekt
„Frauen iD“ (von „Kultur macht stark plus“ gefördert
durch das BMBF) des Paritätischen Bildungswerkes
wurden im Jahr 2018 geflüchtete Frauen aus den jeweiligen Projekten mit Hilfe eines mehrsprachigen
Fragebogens zu ihren Bedarfen, ihren Stärken und zu
ihrer Sicht auf die Projekte selbst befragt. Es handelt
sich hierbei um eine nicht repräsentative, anonymisierte Befragung, an der sich insgesamt 298 Frauen
beteiligt haben. Sie wurden als Teilnehmende der jeweiligen Angebote und Projekte adressiert, die sowohl
Beratung und Begleitung als auch Frauencafés und
Kunst- und Theaterprojekte umfassten.
26 Siehe u.a. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem
Empowerment-Begriff: Der Paritätische Gesamtverband (2016):
Perspektivwechsel Empowerment. Ein Blick auf Realitäten und Strukturen
in der Arbeit mit geflüchteten Frauen: https://www.der-paritaetische.de/
publikationen/migration-und-flucht/perspektivwechsel-empowermentein-blick-auf-realitaeten-und-strukturen-in-der-arbeit-mit-gefluechtete/
13
Zum Hintergrund der Befragung:
Der Fragebogen wurde auf Deutsch sowie in den Sprachen Englisch, Farsi und Arabisch zwischen Juni und
September 2018 an die jeweiligen Projektträger der Projekte „Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen“
und „Frauen iD“ versandt und von den teilnehmenden geflüchteten Frauen selbst oder teilweise auch mit
Unterstützung von Sprachmittler*innen und der Projektverantwortlichen ausgefüllt. Die beteiligten Frauen
wurden in einem Anschreiben über die Zielsetzung und Nutzung des Fragebogens informiert:
„Wir möchten daher mehr von Ihnen lernen! Wir würden gerne erfahren, wie es Ihnen mit diesen Angeboten
geht und was sie daraus für sich mitnehmen. Wir würden gerne mehr darüber wissen, was Sie stärkt, was Sie
brauchen und was Sie sich wünschen. Ihre Erfahrungen helfen uns, Projekte und Angebote für geflüchtete
Frauen* in Zukunft noch besser an Ihre Bedarfe anzupassen und politisch darauf aufmerksam zu machen.“
(Auszug des versendeten Fragebogens)
Neben den thematischen Schwerpunkten des Fragebogens wurden auch allgemeine soziobiographische Aspekte abgefragt. Zudem gab es sowohl die Möglichkeit, vorgegebene Antworten anzukreuzen als auch eigene
freie Antworten auf offen formulierte Fragen zu geben, welche anschließend professionell zurück ins Deutsche übersetzt wurden.
Insgesamt haben 298 geflüchtete Frauen den Fragebogen ausgefüllt.
Wer wurde befragt? Ein Blick auf die Ressourcen und Hintergründe der befragten Frauen
•
Alter: Über die Hälfte ist zwischen 18 bis 26 Jahre alt, 20 Prozent sind zwischen 26 und 35 Jahre und nur
rund 4 Prozent sind unter 18 Jahre alt.
•
Herkunftsland: Mehr als ein Viertel kommt ursprünglich aus Afghanistan, rund 20 Prozent kommen aus
Syrien, gefolgt von Irak und Iran, Türkei, Eritrea und Nigeria.
•
Sprachen: 40 Prozent der Befragten sprechen Farsi oder Dari als Muttersprache, 30 Prozent sprechen Arabisch, 12 Prozent Kurdisch und 5 Prozent Tigrinya. Fast alle geben an, in einer Art und Weise Deutsch zu
lernen, nicht alle haben jedoch Zugang zu Sprachkursen. Ca. 19 Prozent haben bereits B1 erreicht, gefolgt
von A2 und A1. Ca. 45 Prozent sprechen neben ihrer Muttersprache und Deutsch auch noch eine weitere
Sprache. Darunter sind Englisch, Türkisch, Paschtu und Französisch die am häufigsten genannten.
•
Aufenthalt in Deutschland: Rund ein Drittel ist bereits zwei bis drei Jahre in Deutschland, ist also in den Jahren 2015 und 2016 angekommen. Fast 25 Prozent sind zwischen einem und zwei Jahren hier, während knapp
19 Prozent weniger als ein Jahr in Deutschland sind. Die Hälfte der Befragten hat eine Aufenthaltserlaubnis, rund ein Viertel befindet sich noch im laufenden Asylverfahren. Knapp 5 Prozent haben eine Duldung.
•
Wohnort: Fast 45 Prozent der befragten Frauen wohnen in einer Geflüchtetenunterkunft alleine oder zusammen mit anderen Personen. Dem gegenüber stehen etwa ähnlich viele der Befragten, die angeben, in
einem eigenen Apartment – entweder allein oder mit ihren Familienangehörigen – zu wohnen.
•
Familienstand und wichtige Bezugspersonen: Es sind 43 Prozent Frauen, die mit einer*einem Partner*in
zusammenleben. Ihnen gegenüber stehen 41 Prozent ledige Frauen. Ca. 8 Prozent leben in einer getrenn14
ten Partner*innenschaft. Als wichtige Bezugspersonen in ihrem Leben nannten rund 35 Prozent der befragten Frauen ihre Kinder, gefolgt von dem Ehepartner und den Eltern.
•
Bildungsabschlüsse: Ca. ein Viertel hat in ihrem Herkunftsland ausschließlich eine Grundschule besucht,
während knapp 35 Prozent auf einer weiterführenden Schule waren. 13 Prozent haben einen Abschluss,
vergleichbar mit dem Abitur. Fast 14 Prozent geben an, in ihrem Herkunftsland eine Hochschule besucht
zu haben. 5 Prozent haben eine Ausbildung absolviert. Fast 20 Prozent verfügen über keinen formalisierten Abschluss.
•
Beruf und Beschäftigung: Ein Drittel der Befragten gab an, Student*in bzw. Schüler*in im Herkunftsland
gewesen zu sein. 25 Prozent haben hauptsächlich Haus- und Carearbeit übernommen. Die andere Hälfte der
Befragten übte Berufe als Dozent*in oder Lehrer*in, Verkäufer*in, Krankenpfleger*in oder Bürokraft aus oder
war im kreativen Bereich tätig. 10 Prozent hatten im Herkunftsland keine Arbeit. In Deutschland nehmen fast
50 Prozent an einem Deutschkurs teil, rund 20 Prozent besuchen einen Integrationskurs, 14 Prozent gehen
zur Schule, ca. 9 Prozent besuchen ein Praktikum und 4 Prozent gehen einer Ausbildung nach. Nur knapp
3 Prozent besuchen eine Hochschule.
Danksagung:
Den teilnehmenden Frauen gilt ein ganz besonders herzlicher Dank dafür, dass sie sich die Zeit genommen
haben, die Fragebögen auszufüllen und bereit waren, ihre wichtigen Perspektiven zu teilen. Ebenso sei den
Sprachmittler*innen und den jeweiligen Projektverantwortlichen gedankt, die bei der Einführung und Verteilung der Fragebögen und teilweise auch beim Ausfüllen dieser unterstützt haben. Bei der Erstellung des
Fragebogens war Fatuma Musa Afrah – die einst selbst in einer Flüchtlingsunterkunft lebte, mittlerweile Gründerin des Vereins United Action e.V. ist und als Projektleiterin und Beraterin zur Stärkung geflüchteter Frauen
arbeitet – mit ihrer Expertise eine wichtige beratende Hilfe, genauso wie das sozialwissenschaftliche und analytische Knowhow von Greta Schabram, die bei der Auswertung der Daten unterstützt hat.
Zentrale Ergebnisse:
neuen Umgebung zu stellen. Insgesamt wird deutlich,
dass sich viele der Frauen in die Gesellschaft einbringen und sie mitgestalten wollen und dass die verschiedenen Unterstützungsangebote sie maßgeblich dabei
unterstützen, sich zu informieren, die Sprache zu lernen, sich auszudrücken und andere Menschen kennen
zu lernen. Es wird aber auch deutlich, dass geflüchtete
Frauen spezifische Bedarfe haben und entsprechende
Rahmenbedingungen für Unterstützungsarbeit nötig
sind. Die Ergebnisse können als Empfehlungen verstanden werden, die bei der weiteren Konzeption und
Umsetzung von Angeboten und Projekten hilfreich
sind.
Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse aus
der Befragung dargestellt. Sie verdeutlichen die Bedürfnisse und Perspektiven geflüchteter Frauen auf
Empowermentprozesse sowie die Bedeutung von Unterstützung und Förderung dieser Praxis durch Angebote der Sozialen Arbeit.
So unterschiedlich sie in ihren Biographien und als Individuen sind – geflüchtete Frauen haben viele Stärken, Kompetenzen und Fähigkeiten. Sie übernehmen
Verantwortung für sich und andere, haben im Laufe
ihrer Bildungs- und Erwerbsbiographien verschiedene
Kompetenzen erworben, sprechen neben ihrer Muttersprache häufig noch eine oder mehrere weitere
Sprachen. Sie eint die Erfahrung der Flucht sowie der
Mut, sich der Bewältigung eines neuen Alltags in einer
15
Aktueller Handlungsbedarf aus der Perspektive geflüchteter Frauen:
Worin sollten geflüchtete Frauen gestärkt werden?
en und allen zeigen.“
erkenn
sen sie aber noch besser
n viele Stärken – sie müs
„Frauen habe
„Frauen können alles machen
–
“
powerment!
„Women em
man muss sie nur lassen.“
„Frauen sollten die Arbeit tun, die auch Männer tun, weil sie genauso fähig sind, alles zu machen.“
F 23 Worin sollten Frauen gestärkt werden?
100
1. Selbststärkung/ Autonomie,
Unabhängigkeit von Männern/ Familie
80
2. körperliche und psychische
Gesundheit, Beratung, Unterstützung,
Infos über Rechte, Umgang mit
Diskriminierung
73
3. Bildung (v.a. Sprache, Erziehung)
Anzahl
60
40
20
50
34
38
4. Selbstbewusstsein, sicht- und hörbar
werden
40
5. Zugang zu Arbeit, Ausbildung
6. Stärkung allgemein
20
16
15
7. im Miteinander, Kontakt mit
"Deutschen"
8. Kulturelle Projekte
0
Worin sollten Frauen gestärkt werden?
16
Die befragten Frauen wünschen sich Bildungs- und
Arbeitsmöglichkeiten, Kontakt und Austausch mit
anderen Menschen sowie eine selbstbestimmte und
eigenständige Lebensführung. Sie selbst sehen den
Bedarf, geflüchtete Frauen in ihrem Selbstbewusstsein
und ihrem Selbstvertrauen zu stärken sowie ihre Stimmen und Meinungen sicht- und hörbar(er) zu machen.
Im Folgenden findet sich eine Zusammenfassung der
Aspekte, zu denen sich geflüchtete Frauen wünschen
gestärkt und unterstützt zu werden:
•
Spracherwerb, Bildung, Ausbildung, Arbeit
(eigenständiges unabhängiges Lernen)
•
Selbstbewusstsein (eigene Stärken und Fähigkeiten
erkennen, erfahren, nutzen und ausleben, Frauen
sollten das tun, was sie tun wollen und sie sollten
Vertrauen haben in sich und das, was sie können)
•
Meinungsäußerung (Frauen sollen den Mut haben, ihre Meinung sagen zu können, was sie gerne
möchten und nicht möchten)
•
Wissen um eigene Rechte (Mehr Informationen
über Frauenrechte in Deutschland, Mut sich für eigene Rechte einzusetzen)
•
Selbständigkeit und Unabhängigkeit (selbstständig und finanziell unabhängig sein, selbst über
das eigene Leben bestimmen können, einen Beruf
ausüben und eigenes Geld verdienen, Entscheidungen selber treffen können)
•
Selbstwirksamkeit und Selbstverwirklichung
(eigene Stärken und Fähigkeiten erfahren und
selber etwas bewegen, Balance zwischen Familie/
Kinder und Arbeit/ Selbstverwirklichung)
•
Stärke gegen Gewalt (Sicherheit und Schutz in
Unterkünften und in der Familie gegen gewalttätige Ehemänner, Umgang mit Rassismus)
•
Gesundheit und psychische Unterstützung
(Umgang mit Stress, Trauma, Depressionen)
17
Wie können Frauen unterstützt und gestärkt werden?
Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit geflüchtete Frauen
entsprechende Angebote und Projekte wahrnehmen und Erfahrungen
von Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung erleben können?
„Wir brauchen Projekt wie diese, wir brauchen einen women space.“
„Wir brauchen neue Wege, Frauen zu motivieren, ihnen Mut zu machen,
insbesondere dann, wenn sie Erfahrungen von Ablehnung gemacht haben
.“
„Dass wir uns treffen und etwas gemeinsam machen und unsere Stärken zeigen,
dass wir gut sind und alles machen können.“
„Wir müssen ihnen zeigen, dass sie auch alles ohne Männer tun können.
Zunächst müssen sie jedoch daran glauben, dass und was sie tun wollen.“
F 24 Wie können Frauen gestärkt werden?
60
57
39
Anzahl
40
20
1. durch Stärkung Rechte Frauen,
Unabhängigkeit von Männern,
Umgang mit Gewalt/
Diskriminierung
32
39
34
2. körperliche und psychische
Gesundheit
3. Bildung, Projekte
21
17
4. Ausbildung, Arbeit,
Weiterbildung,
5. gegenseitige Unterstützung,
Vertrauen, frei entscheiden
können
6. Sprache
0
7. Kulturelle Projekte
Wie können Frauen gestärkt werden?
18
Empowermentprozesse können auf verschiedenen
Wegen in Gang gesetzt werden. Die befragten Frauen
haben vielfältige Vorstellungen von ihrem Stärkungsbedarf. Dabei ist die vertrauensvolle gegenseitige Unterstützung und autonomes Handeln von besonderer
Wichtigkeit. Der folgende Handlungsbedarf verdeutlicht die Bedeutung von Unterstützungs- und Empowermentangeboten für geflüchtete Frauen. Es braucht
verstärkt Angebote der Beratung und Unterstützung,
kreative Projekte genauso wie Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Frauen, die die Förderung von Teilhabe in ihrem Alltag stärken:
•
Kontakt, Vernetzungsmöglichkeiten und Austausch mit anderen Frauen (mit und ohne
Fluchtbiographie) / gegenseitige Unterstützung
(mehr Orte, Treffpunkte und Formate, die Möglichkeiten für Begegnungen und Austausch schaffen,
gegenseitige Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und Orientierung im neuen Lebensumfeld,
z.B. durch Pat*innenschaften und Mentoring, geschützter Erfahrungs- und Meinungsaustausch,
andere Perspektiven kennenlernen, nicht alleine
sein, Hilfe annehmen und anbieten, gelebte Solidarität, voneinander lernen)
•
Safe spaces (Angebote und Räume von und für
Frauen, Wunsch nach einem sicheren und unterstützendem Umfeld)
•
Spracherwerb (Wunsch nach Verbesserung der
Sprachkenntnisse durch Teilnahme an Angeboten/ Projekten, Informationen zu Sprachkursen)
•
•
Vertrauen und Kontinuität/ Zeit (Ansprechpartner*innen der Angebote und Projekte besser kennenlernen)
Bildung und Arbeit (Informationen zur Orientierung und Förderung des Zugangs zu Ausbildung, Weiterbildung und Arbeit, Anerkennung
von Abschlüssen, Unterstützung bei der Ausbildungsplatz- und Jobsuche, Bewerbungstraining,
Gründung eines eigenen Unternehmens, Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten,
etc.
19
•
Kreative Angebote und kulturelle Workshops
(u.a. Malerei, Design, Schreiben, Theater, Tanzen,
Gesang, Musik, aber auch Sport und Freizeit wie
z.B. Fahrradfahren)
•
Beratung und Begleitung (Zugriff auf Ansprechpartner*innen bei Problemen, Informationen und
Unterstützung bei Problembewältigung im Alltag,
wie z.B. Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche und
Unterstützung bei rechtlichen Fragen, Schutz und
Versorgung bei Gewaltbetroffenheit, gesundheitliche und psychosoziale Versorgung, Beratung in
Bezug auf Schwangerschaft)
•
Sicherung der körperlichen und psychischen
Gesundheit
•
Bewältigung von Gewalt und Diskriminierung
•
Informationen über eigene Rechte (Informationsveranstaltungen und Kurse für Frauen über
Frauenrechte und wie sie damit in der Gesellschaft
umgehen können, wie sie Rechte bekommen und
durchsetzen können)
•
Eigenes Engagement stärken (Möglichkeiten und
Strukturen schaffen, auch im Rahmen von Projekten, die dazu ermutigen, dass sich Frauen mit
ihren Stärken einbringen können, Engagement
und Selbständigkeit durch Kontakte und Finanzen
fördern)
•
Angebote ohne Kinder bzw. mit Kinderbetreuung (es braucht eine organisatorische Struktur, die
Frauen mit Kindern eine Teilnahme an Angeboten
ermöglicht)
•
Organisatorische und zeitliche Struktur (kurzund langfristige Angebote und Projekte, Erinnerung an Termine, kostenfreie Angebote, Teilnahme-Zertifikate, etc.)
Wobei können Angebote zum Empowerment geflüchtete Frauen
konkret unterstützen und stärken?
Für die Mehrheit der befragten geflüchteten Frauen
sind die Unterstützungs- und Empowermentangebote
für sich und ihren Alltag sehr wichtig. Auf die Frage hin,
inwiefern die wahrgenommenen Angebote unterstützend waren bzw. sind, wurden nachstehende Antworten gegeben. Es wird deutlich, dass die Angebote und
Projekte wichtige mittel- und unmittelbare Anknüpfungspunkte für die Deckung der spezifischen Bedarfe
geflüchteter Frauen bieten. Geflüchtete Frauen haben
dabei die Möglichkeit, andere Frauen kennenzulernen, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und ihre
Fähigkeiten und Stärken zu erkennen und auszubauen. Im Folgenden sind die Aspekte aufgeführt, die für
geflüchtete Frauen besonders unterstützend und stärkend waren:
•
Kontakt und Austausch mit anderen Frauen (insbesondere mit Frauen, die in Deutschland aufgewachsenen sind)
•
Spracherwerb (bzw. Weiterentwicklung von deutschen Sprachkenntnissen)
•
Orientierung im Sozialraum (besseres Kennenlernen des eigenen Wohnumfeldes)
•
Stärkung der Selbstwirksamkeit (Möglichkeit,
sich kreativ ausdrücken zu können und etwas
Neues zu erlernen wie z.B. durch Malerei, Design,
Schreibworkshop, Theater, Tanzen, Gesang, Musik)
•
Partizipation (Mut und Motivation, sich in die Gesellschaft bzw. Community einbringen zu können
bzw. Ermutigung, sich in das bestehende Projekt
aktiv mit einzubringen und eigene Stärken und Talente an andere zu vermitteln)
•
Verbesserung der eigenen Gesundheit und des
individuellen Wohlbefindens
•
Stärkung des Selbstvertrauens (Bestärkung, mit
anderen Menschen zu kommunizieren, die eigene
Meinung zu äußern oder sich für Frauenrechte einsetzen)
F15: : Wozu haben Ihnen die Angebote/ Projekte geholfen/ genützt?
Anderes und zwar:
5,0
Deutschkenntnisse verbessert
47,7
Habe mein Umfeld besser kennen gelernt
37,2
besser aktiv in Community einbringen
32,9
Gesundheit/Wohlbefinden verbessert
30,5
Kreativ ausdrücken/ erlerne Handwerk
33,2
an Selbstvertrauen gewonnen
26,5
Ich treffe andere Frauen
57,4
0
50
Anteil in Prozent
20
100
3. Beispiele aus der Praxis: Gelungene Ansätze in der
Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen
Paritätische Mitgliedsorganisationen im Bereich der
Frauenberatung, Gewaltschutzarbeit und Geflüchtetensozialarbeit weisen eine langjährige Expertise und
vielfältige Erfahrungen in der Empowerment- und Unterstützungsarbeit mit Frauen und anderen besonders
schutzbedürftigen Personen auf. Durch ein breites und
bedarfsorientiertes Angebot mit unterschiedlichen
Ansätzen wird das Ziel verfolgt, geflüchtete Frauen bei
der Orientierung in ihrem neuen Lebensumfeld und
der Gestaltung eines selbstbestimmten Lebens zu unterstützen. Parallel dazu erfolgt ein intensiver Aufbau
von Vernetzungsstrukturen, um die Expertise und den
Zugang zu verschiedenen Akteuren zu bündeln und
Wege in das Hilfs- und Unterstützungssystem zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.
In diesem Rahmen sind verschiedene Formate erprobt
worden, die auf zentrale Herausforderungen und Bedarfe geflüchteter Frauen reagieren. Dabei sind die
folgenden Praxisansätze entstanden, die als Grundlage und Folie auch auf weitere Standorte und Kontexte
übertragen werden können und und Impulse für die
weitere Arbeit mit geflüchteten Frauen geben.
Projekt Fotografische Tagebücher.
Porträt und Tableaux von Kadiatou Bailo Barr
© Patricia Morosan
21
a) Zugangsmöglichkeiten zu Informationen über eigene Rechte und dem
Hilfs- und Unterstützungssystem für gewaltbetroffene geflüchtete Frauen
Hannover, Niedersachsen
kargah e.V. – Verein für interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit /
SUANA-Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt, Stalking und Zwangsheirat
betroffener Migrantinnen
ationen über
„Der Bedarf geflüchteter und insbesondere gewaltbetroffener Frauen an Inform
ls an Informationen zu
Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten ist groß. Allerdings fehlt es oftma
n Hannover. Genau hier
den Strukturen, Netzwerken und der Angebotsvielfalt der Stadt und Regio
hlichen Informationen
setzt unser Projekt an: Wir wollen die Zugangsmöglichkeiten zu muttersprac
chland stärken.“
für geflüchtete Frauen zu ihren eigenen Rechten und zum Hilfesystem in Deuts
Naß, kargah e.V.)
(Sibylle
Projekt: Beratung und Unterstützung von Gewalt betroffenen und traumatisierten
geflüchteten Frauen
Das Projekt richtet sich an geflüchtete Frauen, die von
geschlechtsspezifischer Gewalt (häusliche Gewalt,
Stalking, Zwangsverheiratung und FGM) betroffen
sind und verfolgt das Ziel, den Zugang zu Informationen zu ihren Rechten zu ermöglichen und sie in der
Wahrnehmung dieser zu bestärken. Die Projektmitarbeitenden bieten Betroffenen eine vertrauliche, parteiliche und mehrsprachige psychosoziale Beratung,
zeigen konkrete individuelle Hilfs- und Handlungsmöglichkeiten auf und versuchen dabei die Hemmschwellen und ggf. Vorbehalte gegenüber dem
Unterstützungssystem zu mindern. Zudem findet Bestärkungs- und Stabilisierungsarbeit durch vielfältige
kulturelle und künstlerische Aktivitäten statt und es
werden gemeinsame Ausflüge organisiert.
der psychosozialen Beratung, der Aufenthalts- und Sozialberatung in der Beratungsstelle SUANA und dem
Flüchtlingsbüro sowie in den Sprachkursen oder dem
Begegnungscafé bei kargah wird auf das spezielle Angebot aufmerksam gemacht, sodass sich betroffene
Frauen bei Bedarf direkt an die Mitarbeitenden wenden können. Die enge Vernetzung mit Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingssozialarbeit sowie den
Sozialarbeiter*innen in den Unterkünften ist dabei
eine wesentliche Voraussetzung für den Zugang der
Zielgruppe zu diesem Angebot.
Als Selbstorganisation hat kargah e.V. langjährige
Erfahrungen in der Beratungsarbeit mit geflüchteten
Frauen. Dadurch, dass ein Teil der Mitarbeiter*innen
selbst eine eigene Fluchtbiographie hat, können sie
die Lebenswirklichkeiten der Betroffenen oftmals sehr
gut nachvollziehen und erwecken ein besonderes
Vertrauen.
Um Frauen den Zugang zu diesem Angebot zu ermöglichen, werden mehrsprachige Informationsveranstaltungen und Gesprächsrunden direkt in den
Unterkünften und in Stadtteileinrichtungen durchgeführt. Dabei stehen häufig Themen wie Frauenrechte, Gesundheit, Gewaltformen und -schutz im
Mittelpunkt. Wichtig dabei ist, dass diese in einem
geschützten Rahmen und mit Kinderbetreuung stattfinden. Betroffene Frauen können anschließend auch
eine Einzelberatung in Anspruch nehmen, die persönlich, telefonisch und nach Wunsch anonym und
muttersprachlich angeboten wird. Auch im Rahmen
Mehr Informationen zum Projekt:
https://empowerment.kargah.de
22
„Die Förderung der Selbsthilfe und Selbstermächtigung ist wesentlicher Bestan
dteil der Beratung.
Frauen werden somit darin unterstützt, ihre Alltagsherausforderungen des
Integrationsprozesses zu
bewerkstelligen und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Unser Handl
ungsansatz basiert
auf einer prozesshaften, ressourcenorientierten und mehrsprachigen Bestär
kungs- und Stabilisierungsarbeit, die die Frauen ermutigt und ihnen Perspektiven aufzeigt. Sie werde
n nachhaltig in ihrem
eigenen Selbstbewusstsein sowie Selbstbestimmungsrecht als Frau gestärkt
– das verstehen wir als
unsere Empowermentarbeit.“
(Tanja Kovačević, kargah e.V.)
Information ist Empowerment!
Im Rahmen der Projektförderung und in gemeinsamer Herausgeberschaft mit dem Paritätischen Gesamtverband hat kargah e.V. das Booklet „Rechte für
alle Frauen“ weiterentwickelt und veröffentlicht. In
mittlerweile neun Sprachen informiert das kleine illustrierte Heft über grundlegende Rechte von Frauen
und thematisiert die Gleichberechtigung sowie die
Gleichstellung aller Frauen, unabhängig von Herkunft,
Religion, Kultur und sexueller Orientierung.
Seit
Veröffe n t l i c h u n g
des Booklets
Anfang des
Jahres 2018
kommt
es
b u n d e s we i t
als Informations- und Unterrichtsmaterial sowohl in der Geflüchtetensozialarbeit und Gewaltpräventionsarbeit
in Unterkünften, in Frauenberatungsstellen, Familienzentren, Sprach- und Integrationskursen als auch
in Gesundheitszentren, Bildungseinrichtungen und
Ämtern zum Einsatz.
Mehr Informationen zum Booklet:
https://frauenbooklet.kargah.de
Das Booklet richtet sich insbesondere, aber nicht ausschließlich an geflüchtete Frauen und bietet eine niedrigschwellige Möglichkeit, zu diesen Themen miteinander ins Gespräch zu kommen. Es eignet sich somit
vor allem für Personen, Einrichtungen und Organisationen, die mit Geflüchteten arbeiten.
„Für unsere Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete sind leicht verständliche Broschüren zum Thema
Frauenrechte essentiell, um den Frauen erste Informationen über ihre Rechte in Deutschland bereitzustellen.“
„Es haben uns so viele Frauen eine positive Rückmeldung zu der Broschüre gegeben. Vor allem
haben die Frauen gesagt, dass die Broschüre so formuliert ist, dass die Männer nichts dagegen
haben werden, da die Texte absolut sachlich seien.“
nehmen und mit der Familie
„Wir finden die Booklets sehr gelungen – auch weil man es mit nach Hause
mit manchem unserer
oder Freund*innen besprechen kann. Wir können uns auch gut vorstellen, diese
älteren männlichen Jugendlichen zu diskutieren.“
23
b) Traumasensible Stabilisierung als wesentliche Voraussetzung für Verarbeitung
von Gewalterfahrungen und den weiteren Integrationsprozess
München, Bayern
Frauenhilfe München gemeinnützige GmbH
„Ein großer Teil der geflüchteten Frauen in den Unterkünften ist durch massive und vielfache
Gewalterfahrungen vor, während und nach der Flucht hochgradig belastet und leidet unter
starken Traumafolgestörungen. Viele von ihnen sind nach wie vor nicht an die reguläre psycho-soziale Versorgung angebunden, weil es an Kapazitäten fehlt und Angebote häufig zu
hochschwellig ausgelegt sind. Schwere Traumafolgen prägen sich unbehandelt vollumfänglich
nach ca. zwei bis drei Jahren aus, so dass sich aus posttraumatischen Belastungsreaktionen
andauernde Persönlichkeitsänderungen entwickeln können, die durch eine feindliche oder
misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder
Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und
Entfremdungsgefühl gekennzeichnet sind. Ein Integrationsprozess wird damit unmöglich.
Vielmehr braucht es Vermittlung von Sicherheit, Herstellen von Vertrauen, Steigerung der
Selbstwirksamkeit und Stärkung des Selbstwertgefühls – dies sind Grundpfeiler, auf denen ein
weiterer Integrationsprozess aufbauen kann und deshalb setzt unser Projekt direkt hier an.“
(Lydia Dietrich, Frauenhilfe München)
Projekt: Mobile psychosoziale Sprechstunde für besonders belastete gewaltbetroffene
Flüchtlingsfrauen in Unterkünften
Das Projekt richtet sich an besonders belastete gewaltbetroffene geflüchtete Frauen und bietet ihnen
eine niedrigschwellige aufsuchende individuelle gewalt- und traumasensible Fachberatung, die mobil in
verschiedenen Unterkünften im Großraum München
für geflüchtete Frauen und ihre Kinder zum Einsatz
kommt. Eine Traumatherapeutin nimmt sich bei einer
regelmäßig wöchentlich stattfindenden Sprechstunde mit Kurzzeitinterventionen und weitergehenden
Stabilisierungsangeboten hochbelasteter und komplex traumatisierter Bewohnerinnen der Unterkunft
an und wird von professionellen Dolmetscherinnen
unterstützt. Als besonders wichtig erweist sich zudem die Fachberatung und Supervision der Fachkräfte vor Ort, die regelmäßig im Nachgang zu den Beratungsterminen angesetzt ist.
Ziel ist es, die teilnehmenden geflüchteten Frauen in
ihrer Handlungskompetenz zu stärken, sie in ihrem Alltag zu stabilisieren, in ihren Ressourcen zu aktivieren
und bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven zu
stärken. Traumata, die unverarbeitet sind, ziehen die
Aufmerksamkeit in die Vergangenheit und projizieren
Ängste und Befürchtungen in die Zukunft. Ruhe und
Sicherheit lassen sich nur in der Gegenwart aufbauen.
Durch das Projekt wird es ermöglicht, Betroffene mit
besonders schweren Traumatisierungen zu identifizieren und an das bestehende Hilfesystem vor Ort weiterzuleiten.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://www.frauenhilfe-muenchen.de/willkommen/
24
(Symbolbild)
„Es braucht Zeit, um Gewalterfa
hrungen zu verarbeiten. Aus die
sem Grund haben manche
Frauen teilweise zunächst kei
n Interesse oder Hemmnis, An
gebote des Hilfe- und Unterstü
zungssystems aufzusuchen. Zu
tdem bleibt die aufenthaltsrech
tliche Unsicherheit oder der
fehlende Familiennachzug ein
e große Herausforderung für vie
le geflüchtete Frauen –
so ist keine Stabilität und Bearb
eitung von Traumata möglich
.
Unsere Arbeit kann somit
teilweise auch nur eine „Erste
Hilfe“ sein, aber genau diese Hil
fe ist sehr wichtig, da sie
bestärkend und stabilisierend
und damit letztendlich auch em
powernd sein kann.“
(Caroline Beekmann, Frauenhilf
e München)
„Durch die Nutzung unseres Angebots über einen längeren Zeitraum sind die Betroffenen über
die Symptomatik bei schweren Traumafolgestörungen informiert und können das eigene
Erleben entsprechend einordnen. Schritt für Schritt bauen sie Vertrauen auf und erlernen in
Einzelberatung oder in der ressourcenorientierten Stabilisierungsgruppe Übungen zur Selbstberuhigung und Stressregulation, Techniken zur Kontrolle und Distanzierung von belastenden Erinnerungen, Möglichkeiten, sich positive innere Bilder aufzubauen und erhalten Anregungen für einen leichteren Umgang mit Stress-Situationen und Hilfestellungen, wieder mehr
selbst wirksam zu werden und die eigenen Fähigkeiten deutlicher zu spüren.“
(Caroline Beekmann, Frauenhilfe München)
25
c) Sensibilisierte und geschulte Kultur- und Sprachmittler*innen für die
Vermittlung und Wahrnehmung von sexuellen und reproduktiven Rechten
Hamburg
pro familia Landesverband Hamburg e.V.
„Aus unserer Beratung wissen wir, dass geflüchtete Frauen aufgrund der Belastungen durch
die Flucht, die unsichere Zukunftsperspektive, die beengten Wohnverhältnisse aber auch
aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Rollenbild der Frau oftmals Konflikte in ihrer
Partnerschaft haben. Zudem fehlt es häufig an Informationen zu den Themen Gesundheit, Körper
und Sexualität und es gibt einen starken Wunsch nach einem Schutzraum, um über sexuelle und
reproduktive Rechte sprechen zu können. Insbesondere Mädchen und Frauen, die in Sammelunterkünften oder in Privatwohnungen leben, aber nicht integriert und oft alleine mit der Bewältigung
ihres Alltags sind, brauchen verstärkt Unterstützung bei dem Zugang zu diesen Informationen,
denn desto besser können diese auch in Anspruch genommen werden. Zudem braucht es mehr
sensibilisierte und gut geschulte Fachkräfte in der Kultur- Sprachmittlung, denn im Beratungskontext – und insbesondere bei intimen Themen – kommt ihnen eine sehr bedeutsame Rolle im Kontakt mit geflüchteten Frauen zu. Mit unserem Projekt versuchen wir diesem Bedarf zu begegnen.“
(Kerstin Falk, pro familia Hamburg)
Projekt: Flucht Focus Frau
Um geflüchteten Frauen einen besseren Zugang
zu grundlegenden Informationen zu ihren sexuellen und reproduktiven Rechten und Gesundheit zu
ermöglichen, bieten die Projektmitarbeitenden in
Zusammenarbeit mit einer Ärztin oder Sexualpädagogin Informationsveranstaltungen zu den Themen
Frauengesundheit, Schwangerschaft, Geburt, Familienplanung, Verhütungsberatung, sexuelle Gesundheit, FGM, etc. direkt in den Unterkünften an. Bei Bedarf haben die teilnehmenden Frauen anschließend
die Möglichkeit eine Einzel- oder auch Paarberatung
in Anspruch zu nehmen.
Für die Beratung und den Austausch mit den geflüchteten Frauen sind sensibilisierte Kultur- und
Sprachmittler*innen unerlässlich. Ein weiterer Bestandteil des Projekts ist es daher, diese Kultur- und
Sprachmittler*innen zu Themen der sexuellen und
reproduktiven Gesundheit fortzubilden. In einem
weiteren Schritt werden sie zu „Multiplikatorinnen“
ausgebildet, damit sie ihre Erfahrungen und Bewältigungsstrategien an diejenigen weitergeben können,
die noch nicht so lange in Deutschland sind.
Weitere Informationen zum Projekt:
https://www.profamilia-hamburg.de
26
Empfängnisverhütung (Symbolbild)
„Wir möchten, dass Mädchen und Frauen in geschützten Räumen ihre
Selbstwirksamkeit erfahren können, Stabilisierung erfahren, Verantwortung für sich übernehmen und sich in Gemeinschaft wohl fühlen können.
Dazu gehört für uns auch, sich untereinander Hilfe zu geben und sich
(Nahid Yakmanesh, pro familia Hamburg)
Hilfe holen zu können.“
„Das Wissen um Verhütung vo
n ungeplanten und ungewollte
n Schwangerschaften, aber au
die Bestärkung der eigenen Ide
ch
ntität und der eigenen Vorstellu
ng von Sexualität, ist unserer
fahrung nach ein wichtiger Sch
Erritt zum Empowerment von Fra
uen. Wir möchten mit unserem
Projekt einen Beitrag dazu leis
ten, dass Frauen mehr Gestaltu
ngsmöglichkeiten erhalten. Ein
weiteres Ziel ist es, einen Schutz
raum für die Mädchen und Fra
uen zu bieten, damit sie einen
Raum zu Selbstermächtigung
bekommen, damit sie über die
Themen sprechen können, da
sie Strategien entwickeln und
mit
bereits vorhandene Strategien
wahrnehmen. In diesem Raum
soll die Selbstbestimmung in
Bezug auf das Frau-Sein und
ihre eigene Sexualität geförde
werden. Diese ist grundlegend
rt
für das Ausleben von selbstbe
stim
mt
er
Se
xu
ali
tät
.
“
(Nahid Yakmanesh, pro familia
27
Hamburg)
pro familia Landesverband Hamburg e.V.
Sexuelle Bildung und ein Recht auf Informationen für alle
von Kersten Artus, pro familia Hamburg
Im Rahmen des geförderten Projektes hat pro familia Hamburg 16 Sprachmittlerinnen mit einer selbst konzipierten Veranstaltungsreihe fortgebildet. Ein bislang einzigartiges Projekt, das Erfolg hat.
„Da unten“ kann vieles bedeuten. Bei pro familia Hamburg wissen die Berater*innen und Sexualpädagog*innen allerdings meistens, was damit gemeint ist. Sie machen in ihren Beratungen und Veranstaltungen oft die Erfahrung, dass viele Menschen über bestimmte Körperregionen nicht sprechen können oder
wollen, geschweige denn innere und äußere Geschlechtsorgane benennen oder zuordnen können. Eben die
„da unten“.
Oft ist Scham ein Grund, Dinge nicht aussprechen zu können, um die es bei pro familia geht. Es kommt vor,
dass Ratsuchende Begriffe gar nicht erst kennen. Nicht nur inhaltliche Begriffe sind bei Zeiten unbekannt;
auch jene, die sich um das Angebot von pro familia Hamburg drehen. In manchen Sprachen gibt es den Begriff
„Beratung“ nicht. Es muss also erklärt werden, dass man sich da gegenübersitzt und nicht etwa einer Anweisung folgen muss. In vielen Teilen auf der Welt ist es nicht üblich, bei Problemen fremde Menschen aufzusuchen – dafür gibt es die Familie.
Aber wie kann man gut beraten und beraten werden, wenn die Voraussetzungen zwischen Ratsuchenden und
Ratgebenden so verschieden sind? Vor allem Sprachmittler*innen leisten hier eine wichtige Arbeit zum Verständnis, die über das reine Übersetzen hinausgeht. Das gilt nicht nur für das Vermitteln von Sprache, sondern
auch von Gefühlen wie beispielsweise Sorgen und Ängste.
Nahid Yakmanesh, ausgebildete Krankenschwester ist bei pro familia als Kulturmittlerin tätig. Gemeinsam
mit zwei Sexualpädagoginnen hat sie eine Fortbildung für Sprachmittler*innen entwickelt, die aus einer Informationsveranstaltung und fünf Tagesmodulen besteht. Sorgen um genügend Interessent*innen für diese
Fortbildung machten sie sich nicht: „Wir verfügen über ein gut funktionierendes Netzwerk in communities,
Arbeitskreise und Netzwerke, in denen Frauen wirken und arbeiten. Daher konnten wir eine Fortbildung mit
16 Frauen stattfinden lassen. Zu einigen von ihnen bestand schon vorher ein guter Kontakt“, berichteten sie.
16 Frauen, die 13 Sprachen mitbrachten. Einige hatten ihre Kinder dabei – auch dies ist eine Tatsache, die dazu
gehört, wenn Frauen sich weiterbilden wollen. Eine wichtige Voraussetzung war, dass den Teilnehmer*innen
diese berufliche Qualifikation bezahlt wurde.
28
In der Auftaktveranstaltung stellte sich pro familia als Verband sowie die Arbeitsweise der Berater*innen und
Sexualpädagog*innen vor. Wer sich danach vorstellen konnte, zu all den vielen Themen von Sexualität(en)
Sprache mitteln zu wollen, war willkommen an den Fortbildungsmodulen teilzuhaben. Zu Beginn ging es um
die Reflexion zur eigenen sexuellen Sozialisation. In vertrautem Rahmen wurde über viele ähnliche wie kontroverse, aber durchweg persönliche Themen gesprochen. Beeindruckend war, wie respektvoll über Unterschiede
gesprochen wurde. Einig waren sich alle darüber, dass sich Ratsuchende mit Fluchtbiographie in deutschen
Institutionen oft stigmatisiert und zum Opfer degradiert fühlen. Sie nehmen dann keine Ratschläge oder Hilfe
mehr an. Eine Haltung, die man verstehen sollte, um auf Augenhöhe zu bleiben.
Und so wurde die Fortbildung eine gemeinsame Reise des gegenseitigen Lernens. Vorhandene Schamgefühle
kennen lernen oder Begriffe identifizieren, bei denen man sich nicht wohl fühlt, wenn man sie ausspricht.
Oder wenn es eben kein Wort für ein Körperteil gibt. Wie beschreibt man zum Beispiel das kleine Organ, von
dem man äußerlich nur einen kleinen Hügel sieht und fühlen kann, das aber als Teil der Vulva eine wesentliche
Funktion für die weibliche Sexualität hat? Es ging bei der Fortbildung also auch darum, eine fachliche Selbstverständlichkeit herzustellen und passende Formulierungen zu finden, damit sich auch die Sprachmittlerin
wohl fühlt und professionell handeln kann.
Den Abschluss der Module bildete eine Ideensammlung für Materialien, die zum Beispiel für die Bildungs- und
Beratungsarbeit hilfreich sein können: Flyer, Grafiken, Figuren. Und es entstand eine Sammlung von Begriffen
in den verschiedenen Sprachen, die beim Übersetzen immer wieder vorkommen.
Die Fortbildung war ein voller Erfolg und wird nun als Regelangebot von pro familia Hamburg verankert. Weitere
Interessierte stehen auf der Warteliste – das Angebot hatte sich in den communities schnell herumgesprochen.
Deutlich wurde darüber hinaus, dass es eine kontinuierliche Bildungsarbeit zwischen Beratungsstelle und
Sprachmittler*innen geben müsste: „In der Einwanderungsgesellschaft, die von sozialer Ungleichheit geprägt
ist und Menschen demnach nicht die gleichen Chancen und Handlungsoptionen bietet, schlagen die Sprachmittler*innen eine Brücke“, sagen die pro familia Mitarbeiterinnen. Auch wir müssen diese Brücke schlagen, um
die strukturelle Benachteiligung zu verändern. Und um Bündnisse zu schließen: Nur in der Zusammenarbeit
können wir dafür sorgen, dass alle Frauen und Mädchen von ihrem Recht auf Aufklärung und auf Beratungsund Bildungsangebote erfahren und gleichwertige Zugänge zu Ressourcen und Dienstleistungen erhalten.
29
d) Kulturelle und kreative Workshops zur Stärkung der Selbstwirksamkeit
Marburg, Hessen
Arbeit und Bildung e.V.
ist bei den einzelnen
„Über das künstlerische Ausdrücken von Bildern, Erinnerungen, Emotionen
sprochen werden.
Frauen viel passiert und nicht immer alles musste aufgearbeitet und ausge
Situationen in
Vieles geschah dabei auch ohne Worte. Die Pädagoginnen haben viele dieser
Diese Form der
Einzelgesprächen aufgegriffen und Ansätze zur Bewältigung geben können.
und Bildung)
pädagogischen Begleitung war im Projekt sehr wichtig.“ (Kordula Weber, Arbeit
Projekt: Kultur Integriert
Im Rahmen des Projektes erhalten geflüchtete Frauen
einen solchen Raum: Hier können sich geflüchtete
Frauen, ganz unabhängig von verschiedenen Sprachniveaus, künstlerisch-kreativ und unter pädagogischer
Anleitung in Workshops zu verschiedenen Themenschwerpunkten ausprobieren.
„Früher habe ich immer Männer um Hilfe gefragt. Jetzt
weiß ich, dass ich mit Problemen auch zu euch kommen
kann. Ich brauche die Männer jetzt nicht mehr!“ oder
„Ich habe so etwas noch nie gemacht! Ich hätte nicht
gedacht, dass ich das kann!“ – Diese Zitate verdeutlichen, wie wichtig ein safe space und ein Projekt speziell
für Frauen ist. Es braucht einen sicheren Raum, damit
neue Handlungsstrategien entwickelt und Probleme
selbstwirksam bearbeitet werden können.
So behandelte bspw. ein Workshop das Thema „Mein
Leben, meine Familie und ich“. Werke, die vermisste
Familienmitglieder, kriegerische Szenen oder sogar
Personen in Gefängnissen darstellen, zeigten, dass
die Kunst als Ausdrucksmittel für traumatische Erlebnisse dienen kann, für die die Worte fehlen. Die teilnehmenden Frauen konnten sich somit ein Stück weit
selbst aus ihrer eigenen Sprachlosigkeit befreien und
durch die Kunst ihre eigene Lebenssituation und Gefühlslage zum Ausdruck bringen. In einem anderen Workshop wurde
ein Wandgemälde unter den Titel „Global
Sisterhood“ in einer Unterkunft erstellt.
Darunter wurden Gesichter unterschiedlicher Frauen gemalt, die alle trotz ihrer
Verschiedenheit vereint sind. Die bemalten Wände bringen nachhaltig Farbe in
die Tristesse der Unterkunft und werden
auch künftigen Bewohner*innen ihren
Lebensraum auf Zeit verschönern.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://www.arbeit-und-bildung.de/projekte/
frauen/kultur-integriert
30
der Workshops
„Von großer Bedeutung sind darüber hinaus die Gespräche, die während
fnisse oder
stattfinden. Die Frauen konnten sich untereinander über ihre Wünsche, Bedür
Die künstlerische
auch Ängste austauschen und erfuhren dadurch Stärkung untereinander.
onen zu den
Arbeit in den Workshops gab den Frauen nicht nur die Möglichkeit, ihre Emoti
anderen Teilbearbeiteten Themen auszudrücken, sondern durch den Austausch mit den
Erfahrungen und
nehmerinnen auch das Gefühl, damit nicht alleine zu sein. Das Teilen von
und Empfindungen
das Erkennen von Gemeinsamkeiten in der Fluchtgeschichte, Erlebnissen
l der Verbundenweckte bei den Teilnehmerinnen gegenseitiges Verständnis und ein Gefüh
und kann Reflexion
heit. Kunst erweist sich somit als verbindendes Mittel der Kommunikation
(Kordula Weber, Arbeit und Bildung)
und Ausdruck jenseits von Sprache ermöglichen.“
„Für Frauen, die nie zuvo
r den Umgang mit Farbe
und Pinsel geübt hatten,
shops eine völlig neue Au
stellten die Worksdrucksmöglichkeit dar un
d stärkten zudem das Se
der Teilnehmerinnen. Vie
lbstbewusstsein
le Frauen entdeckten durch
die Kunst bisher unbekann
Fähigkeiten und wurden
te Talente und
sich somit eigener Kompe
tenzen bewusst. Zudem ka
dadurch aus einer Passivit
m
en
die Frauen
ät heraus und konnten ihr
en eigenen Lebensraum
aktiv mitgestalten.“
(Kordula Weber, Arbeit un
d Bildung)
Kunst als Ausdrucksmittel
© Arbeit und Bildung e.V.
31
Empowerment durch Kreativität am Beispiel des Projektes „Music for Chance & Change“
von Gülin Mansur
„Ich finde, dass es etwas Tolles ist, die
ses Projekt, weil es die Frauen stärkt.
Also weil man dadurch seine Fähigkeiten und seine Stärken entdecken
kann. Ich finde, dass das etwas sehr
Schönes ist, weil wir waren sehr viele
Frauen und es hat uns sehr zusammengeschweißt, so dass wir uns nicht
als Einzelperson allein gefühlt haben,
sondern wirklich als Team gemeinsam
stark.“ (Sevinj, 19 Jahre)
Das über Kultur-ID geförderte Projekt „Music for Chance & Change“ wurde 2018 mit insgesamt 14 jungen
Frauen aus Aserbaidschan, Afghanistan, Kurdistan und
Syrien, unter Einbindung von Ehrenamtlichen, Gästen
und pädagogischen bzw. künstlerischen Fachkräften
mit Erfolg umgesetzt.
„Wir werden durch Musik der menschlichen Seele
einen kreativen Ausdruck verleihen“, war unser Ansatz, um Frauen durch Kreativität zu empowern. Das
Ziel von „Music for Chance & Change“ war es, junge
Frauen durch Musik zu empowern, neue Sichtweisen
für die Gestaltung ihres Lebens in Deutschland zu entwickeln, ihnen eine neue Form des Ausdrucks und
der Verarbeitung von Erlebtem zu vermitteln. Genauso wichtig waren der Aufbau unterstützender sozialer Beziehungen, der Abbau von Vorurteilen und die
Stärkung jeder Einzelnen in ihrer Rolle als Frau. Musik diente dabei als Sprachrohr, Ventil und Chance zu
Veränderung und zum Ausdruck von Emotionen. Auf
einer spielerischen und kreativen Ebene wurde den
jungen Frauen dadurch die Möglichkeit gegeben, sich
mit ihrer eigenen Identität und Lebenssituation auseinanderzusetzen. Die Teilnehmerinnen konnten für
ihren weiteren Werdegang ermutigt werden und fühlen sich gestärkt, sich auch zukünftig selbstständig(er)
in die Gesellschaft einzubringen.
„Wir lernen voneinander und lernen
miteinander.“
Viele der teilnehmenden Frauen berichteten, dass sie
kreative Workshops als wichtig empfinden, um den
Gebrauch der fremden, neuen Sprache zu erlernen. Als
positive Nachwirkung wurden dabei Freundschaften
aufgebaut und Frauen fühlen sich wieder lebendiger
und mächtig.
„Ich habe gelernt, wenn man was wil
l, dann
schafft man das auch!“ (Songtextpassag
e
Fatima)
32
Musik setzt keine Grenzen, sondern
überwindet und erweitert diese
© Gülin Mansur
„Die Zeit hier war schön, die wir gemeinsam
verbracht haben. Wir haben gemeinsam getrunken, gegessen und gelacht. Wir haben neue
Freundinnen kennengelernt und neue Freundinnen gefunden! Das Wichtigste in diesem
Projekt war die Liebe, die es hier reichlich gab.
Was ich aus diesem Projekt mitgenommen
habe, ist im Wesentlichen, dass ich verschiedene Menschen kennengelernt habe, verschiedene Religionen… v.a. Frauen. Z.B. Manche
Wünsche, die ich seit dem Kindesalter hatte,
wurden hier erfüllt durch die Musik!“
In vielen der Herkunftsländer gibt es kaum kreative
Angebote für Frauen und es ist nicht üblich, solche
Workshops zu besuchen.
Viele Frauen besuchten die Schule, wenn auch nur
die Grundschule. 18 Prozent der Frauen haben keine
Schulbildung, so dass die meisten von ihnen Analphabetinnen sind. Nur ein kleiner Teil, 13,1 Prozent, ging
zur Universität. Kreative Maßnahmen bieten somit die
Möglichkeit unabhängig von Bildungsunterschieden
teilzunehmen. Es entsteht keine Benachteiligung in Bezug auf ihre Herkunft, Erziehung und der schulischen
Bildung, da Musik keine Grenzen setzt, sondern diese
überwindet und erweitert, so dass Frauen motiviert
werden sich weiterzubilden und auch ohne schulische
Bildung sich stark fühlen und vieles erreichen können.
Empowerment unter Frauen ist somit vor allem in den
Bereichen Bildung, Sprache, Erziehung der Kinder,
Jobmöglichkeiten und der Entwicklung des Selbstbewusstseins sehr wichtig. „Das ist so ein Gefühl, das ich
vorher noch nie hatte.“
(Ilhama)
„Ein Gefühl, das ich mir seit meiner Kin
dheit
wünschte. Ich hatte einen Traum, als
ich noch
klein war, dass alle meine Stimme hör
en. (...)Und
als ich den Song mit meiner Stimme
hörte, hatte
ich unglaubliche Gefühle, das warme
Gefühl es
endlich geschafft zu haben – dass me
in Traum
wahr geworden ist. Ich hatte so schöne
Gefühle.“
Wichtige Rahmenbedingungen sind Kinderbetreuung, Zeit und der Aufbau von Vertrauen. Das Herstellen eines sicheren Ortes unter Frauen ist dabei ein
wesentlicher Faktor für die Stärkung der weiblichen
Identität.
(Songtextpassage von Somaye)
33
Fotografische Tagebücher – Eine kreative Biographiearbeit
von Patricia Morosan
Das Projekt „Fotografische Tagebücher“ wurde
von der Fotografin Patricia Morosan und der
gemeinnützigen Organisation Artistania e.V.
ins Leben gerufen und vom Paritätischen Bildungswerk durch das Programm „Frauen ID“ finanziert. Insgesamt 25 Frauen nahmen an dem
Projekt teil, das 2018 in den Räumlichkeiten des
Frauenzentrums Schokofabrik, der Notunterkunft im Rathaus Friedenau und der Urania in
Berlin durchgeführt wurde.
Die Biographiearbeit wird als eine Einladung für
Erwachsene beschrieben, ihre Lebensgeschichten und Erinnerungen mit Hilfe von narrativen
und kreativen Methoden wiederzugeben.27 Die
biographischen Erkundungen sollen Potenziale für die
Gestaltung des eigenen Lebens in der Gegenwart und
in der Zukunft ermöglichen. Gerade Frauen mit Fluchterfahrungen und Frauen ohne Aufenthaltsrechte haben kaum die Möglichkeit, ihr Leben als gestaltbar zu
erleben.
Polaroids der Teilnehmerinnen
© Patricia Morosan
tigungen und eines der wichtigsten Identitätsmerkmale. Mehr als die Hälfte war allein nach Europa gekommen und hatte Familie und Kinder hinter sich lassen
müssen. Die Isoliertheit war frappant: außer den umliegenden Straßen der Notunterkunft und den Menschen,
die dort arbeiteten, war ihnen Berlin fremd. Mit diesen
Dimensionen, dem persönlichen Erzählen, Vernetzen
und Raum für Fragen, ging es darum, den Frauen die Viabilität und die Anpassung in das für sie neue Umfeld zu
fördern, einen „Möglichkeitsraum“ zu schaffen.
In dem Projekt „Fotografische Tagebücher “ wurde Fotografie hauptsächlich als Instrument eingesetzt, um
Narrative anzustoßen, Distanzierungen mit den eigenen Erlebnissen zu ermöglichen und Ermutigung für
die Zukunft der Frauen zu generieren. Dafür sollten
die Teilnehmerinnen des Projektes ein Fototagebuch
führen. Die Aufgabe war es, den eigenen Alltag in
Berlin fotografisch zu dokumentieren und 20 Fragen
mit Bildern zu beantworten. Mehr noch als kreative
Kompetenzen standen die Stärkung der Resilienz, der
Selbstwirksamkeit, des Selbstkonzeptes und die Erweiterung des eigenen Möglichkeitshorizonts im Mittelpunkt.
Die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie kombiniert mit einzigartigen Gruppenprozessen
führte oft zu einer starken Emotionalisierung des Lernprozesses. Lachen und Tränen begleiteten uns. Schmerzhafte Fluchtgründe und Fluchterfahrungen wurden
durch die Bilder kenntlich gemacht. So versuchten wir
beim Bedauern von schwierigen Erfahrungen auf die
erfolgreiche Bewältigungsstrategie aufmerksam zu machen. Bei der Frage „Was magst du machen?“ suchten
wir bei unseren Treffen Verknüpfungen zu ihrem neuen
Leben in Berlin herzustellen und Potentiale hervorzuheben. So konnten wir z.B. bei Vorlieben wie „Nähen“ die
Geduld und Präzision oder auch bei „Fußball spielen“ die
Teamfähigkeit und „den“ Ehrgeiz betonen.
Das Projekt wurde mit zwei Gruppen in zwei sechsmonatigen Zyklen durchgeführt. Das „Muttersein“ war in
beiden Gruppen eines der wesentlichen Hauptbeschäf27 Vgl. Schweighofer-Brauer et al. (2012): REALIZE –Transkulturelle
Biographiearbeit für die Erwachsenenbildung: Projektbeschreibung. In:
ProjektpartnerInnen von “REALIZE – Transcultural Biography Work for Adult
Education (Hrsg): Transkulturelle Biographiearbeit.– Ein Grundtvig I Projekt.
34
Für eine Übung baten wir die Frauen, sich in eine
fantasievolle Zukunft zu projizieren und einen Tag
in zehn Jahren zu beschreiben. Diese Übung verlangte viel Diskussion und Erklärung: wir merkten,
wie schwer es für die Frauen ist, sich in die Zukunft zu
projizieren, sei es auch nur, um die Einbildungskraft
zu üben. Zwei Sitzungen lang dauerte es, bis sich
persönliche Träume in den Diskussionen entfalteten:
Rokiatou Sidibe aus der Elfenbeinküste stellte sich als
Fußballtrainerin vor. Sie schreibt in ihrem Zukunftstagebuch vom 09. September 2028: „Heute trainieren
wir. Eine Woche vor dem großen Rennen und Constance ist in Bestform. Gestern hat sie sogar 70,5km/h
geschafft. Ich bin so stolz, die schnellste Frau der Welt
zu trainieren! Sogar schneller als Mbappe. Sie ist ‘ne
Rakete!“
Fototagebücher-Treffen (Bild links)
und Szenen aus der Ausstellung
© Patricia Morosan
Als Reaktion auf die Frage „Was oder wen vermisst
Du?“ brachten die Frauen Bilder mit ganz unterschiedlichen Assoziationen. Es waren Bilder von einem besonderen Obst oder auch von den bei den Großeltern
gelassenen und vermissten Kindern: der Austausch
über diese ermöglichte ein Gefühl von „nicht alleine
sein“. Des Weiteren konnte „Fremdes“ und „Vertrautes“
mit Hilfe der Bilder eingefangen und angesprochen
werden. Der Austausch von Erfahrungen anhand der
Fotografien war ein besonderer Moment, in dem wir
uns in das Leben der anderen versetzten und uns
gegenseitig zuhörten. Viele wichtige Details kamen
tröpfchenweise und nebenläufig und wir mussten sie
mit Takt aufgreifen. Zwischen den Zeilen erwähnten
die Frauen schockierende Erlebnisse wie Vergewaltigung oder auch weibliche Genitalverstümmelungen
und wir nahmen uns mehr und mehr Zeit für Einzelgespräche. Sensibles Nachfragen und Kommentieren
waren nicht immer einfach: die radikale Diskrepanz
zwischen unserer privilegierten Position und den diskriminierten Positionen der Frauen führte dazu, dass
wir oft nicht wussten, inwiefern wir eingreifend waren. Wir merkten schnell, dass das Erzählen einen subsidiären Freiraum schaffte, in dem es möglich war, Ereignisse mit der eigenen Perspektive zu modellieren.
Techniken des aktiven Zuhörens halfen den Frauen,
sich nicht als passive Zuschauerinnen, sondern als aktive Gestalterinnen ihres Lebens, als mutige Entscheidungstrefferinnen und unglaubliche Überlebenskünstlerinnen zu erzählen.
Des Weiteren war die Sorgfalt, mit der wir mit den Bildern umgingen, auch eine Arbeit zur Würde und Stärkung des Selbstkonzeptes. Die patriarchalen Strukturen der Familien, die multiplen Gewalterfahrungen
sowie die Verachtung seitens des deutschen Staatsapparates hatten tiefe Spuren im Selbstwert und in der
Selbstachtung der Frauen hinterlassen. Vor allem die
Fotoshootings hatten hier eine positive Wirkung. Wir
verwandelten den sterilen Raum der Notunterkunft
in ein kleines Fotostudio mit besonderen Lichteffekten und farbigen Hintergründen. Die Frauen wurden gleichzeitig zu Fotografinnen und Models: sie
holten ihre feinsten Kleider, machten sich Frisuren,
schminkten sich und posierten entsprechend. Die
schwangeren Bäuche, die erst als „eklig“ bewertet wurden, wurden nach und nach gezeigt und sogar inszeniert. Als die Bilder gedruckt wurden, freuten wir uns
über ihre Reaktionen: „I’m so beautiful“ oder „What a
great foto I did“.
35
e) Stärkung der Selbsthilfe zur Integration in den Arbeitsmarkt
Wiesbaden, Hessen
Frauengesundheitszentrum SIRONA e.V.
„Die Suche nach einem Arbeitsplatz ist häufig sehr frustrierend. Die Frauen
brauchen viel
Ausdauervermögen und Kraft. Doch die regelmäßigen Treffen und der gemei
nsame
Austausch sind sehr tiefgehend und hilfreich. Wichtig ist vor allem, die Frauen
in ihren
Fähigkeiten und Kompetenzen zu stützen und zu stärken.“
(Sigrid Schellhaas, Frauengesundheitszentrum SIRONA e.V.)
Projekt: E mpowerment und Selbsthilfe für geflüchtete Frauen –
Angeleitete Selbsthilfe zur Integration in das Berufsleben
Das Frauengesundheitszentrum SIRONA e.V. bietet
psychosoziale Unterstützung und gesundheitliche Beratung auch für geflüchtete Frauen an. Aufgrund der
starken Nachfrage nach Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt, wurde eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Diese verfolgt das Ziel, den Austausch geflüchteter Frauen zu stärken, Möglichkeiten
ihrer beruflichen Situation aufzuzeigen und beim Zugang zum deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystem zu unterstützen. In der Selbsthilfegruppe sind
25 Frauen. An den regelmäßig wöchentlichen Treffen
nehmen 5-10 Frauen mit Berufs- oder Hochschul(vor)
ausbildung teil. In Kooperation mit arbeitsmarktrelevanten Partner*innen (u.a. Gewerkschaften, Netzwerke für die berufliche Förderung von Frauen) werden Informationen durch themenbezogene Vorträge
von Expert*innen von Fach- und Beratungsstellen mit
lokalem und regionalem Bezug vermittelt. Gemeinsame Besuche von politischen und kulturellen Veranstaltungen und Ausstellungen vertiefen den Kontakt in
der Gruppe und den Zugang in die Gesellschaft.
Darüber hinaus unterstützen sich die teilnehmenden
Frauen gegenseitig beim Verfassen von Bewerbungsschreiben oder der Begleitung zu Ämtern und Behörden. Die Teilnehmenden entwickeln somit eigene
Ideen zur Umsetzung einer beruflichen Tätigkeit,
erlernen einen sicheren Umgang mit Behörden und
Bürokratie und erfahren mehr über Arbeits- und Frauenrechte. Bisher haben fünf Frauen durch das Projekt
eine Anstellung gefunden. Zudem ist die Gruppe
auch motivierend, um Sprachkurse zu suchen, zu besuchen und zu einem Abschluss (B1, C1) zu bringen.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://fgz-sirona.de/projekte/
ermöglicht ein Empowerment zur eigenen
„Der Austausch mit anderen betroffenen Frauen
Ideen zur Umsetzung einer beruflichen Tätigkeit
beruflichen Situation und die Ermutigung, eigene
sicherer im Umgang mit Behörden und der
zu entwickeln. Die teilnehmenden Frauen werden
ärkt und können ihre eigenen Möglichkeiten
Bürokratie. Sie sind in ihrem Selbstbewusstsein gest
den Arbeitsmarkt besser einschätzen.
und notwendigen Maßnahmen zur Integration in
tem, zu Arbeitsrecht und zu Frauenrechten.
Sie erlangen auch Wissen zum Krankenkassensys
SIRONA e.V.)
(Sigrid Schellhaas, Frauengesundheitszentrum
36
f ) Kreative und stärkende Unterstützungsangebote für besonders
schutzbedürftige geflüchtete Mädchen und junge Frauen in Unterkünften
München, Bayern
REFUGIO München, Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer
„Junge Mädchen und Frauen mit Fluchterfahrungen stellen eine besonders
vulnerable Zielgruppe dar, die
häufig ein hohes Maß an (kultur-)sensibler Hürdenhilfe benötigt, um passen
de Unterstützungsangebote
wahrnehmen zu können. Die Mädchentage sind für unsere Teilnehmerinnen
ein fester Bestandteil, ein
Fixpunkt im sonst so unruhigen und unsicheren Alltag. Wir begegnen dieser
schwierigen Lebenssituation
vor allem durch ein intensives Vertrauensverhältnis. Wir bauen stabile Grupp
en auf und unterstützen die
Mädchen durch langfristige Zusammenarbeit bei ihren Themen und Proble
men. Das Projekt stellt die
Förderung der Kreativität in den Vordergrund und vermittelt den jungen Frauen
Selbstvertrauen. Das Medium Kunst dient uns hierbei als nonverbale Ausdrucksmöglichkeit, um sowoh
l negative als auch positive
Erlebnisse zu verarbeiten und mitzuteilen.“
(Annette Hartmann, Refugio München)
Projekt: MÄDCHENTAGE – Empowerment für
besonders schutzbedürftige geflüchtete Mädchen und junge Frauen
Im Rahmen des Projektes ist eine Gruppe von geflüchteten Mädchen und jungen Frauen entstanden,
die sich während niedrigschwelliger aufsuchender
Arbeit in Flüchtlingsunterkünften gebildet hat. Diese sog. Mädchenkreativgruppe ist einerseits vor Ort
in der Unterkunft im geschützten Raum aktiv, andererseits unternimmt sie auch gemeinsame Aktionen
in München, z.B. Ausstellungsbesuche. Die Mädchen
und Frauen erfahren gemeinsam in der Gruppe eine
erholsame Pause vom anstrengenden Alltag und gedrängtem Leben in der Unterkunft, kommen beim
bildnerischen Gestalten zur Ruhe und lernen, sich im
neuen Lebensfeld München zurechtfinden.
zurecht und genießen es, sich jenseits von Bewertungen,
Erwartungen und Rollenvorgaben auszudrücken.
Die regelmäßigen Treffen und gemeinsamen Aktionen
richten sich nach den Interessen und Ressourcen der
Teilnehmerinnen und zielen auf deren emotionale
Stabilisierung und die Stärkung ihres Selbstwertgefühls. Der Ansatz ist niederschwellig und verbindet
Kunst- bzw. Kulturpädagogik mit Medien sowie erlebnispädagogischen Elementen – z.B. ein Kino-Abend
im Mutter-Kind-Haus oder eine im Gruppenraum der
Gemeinschaftsunterkunft aufgebaute Fotostation.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://www.refugio-muenchen.de/angebote-fuer-menschen-mit-fluchterfahrung-und-migrationshintergrund/kunstwerkstatt/
Der unmittelbare, kreative Ausdruck kann sich befreiend
und stärkend auswirken. Auch Mädchen, die neu dazukommen finden sich meist schnell in diesem Freiraum
en Frauen einen gemeinsamen Erfahrungs„Gemeinsame Ausstellungsbesuche bieten den jung
lemzentrierten Alltagswelt und damit
raum, der ihnen ermöglicht, fernab ihrer häufig prob
lung zu erleben. Zugleich bietet das Unverbundenen Stigmatisierungen, Momente der Erho
tragfähige Vertrauensbasis zu entwickeln,
terwegssein in der Gruppe, gute Möglichkeiten eine
ll an andere Hilfsangebote weitervermitteln
die maßgeblich ist, um die Mädchen im Bedarfsfa
tische Angebot von Refugio aber auch der
zu können. Dank der Rückbindung an das therapeu
IMMA oder dem Frauennotruf, konnte bisher
guten Vernetzung zu weiteren Beratungsstellen wie
zwei jungen Frauen erreicht werden.“
eine psychische Stabilisierung und Stärkung von
Bierner, Refugio München)
(Katharina
37
g) Peer-to-peer: Stärkung der Selbsthilfepotentiale und Aufbau von
Selbsthilfestrukturen von und für geflüchtete Frauen
Berlin
Für eine kulturvolle, solidarische Welt e.V. – Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I.
s eingebunden und
„Das Projekt ist in den frauenspezifischen Aktivitäten und Ressourcen des Träger
Gruppenbasiert auf langjährigen Erfahrungen in der muttersprachlichen Einzel- und
erinnen“ sind,
arbeit durch und für Migrantinnen. Daher wissen wir, wie wichtig „Brückenbau
haben. Daher stred.h. z.B. Frauen mit Fluchterfahrung, die sich bereits in Deutschland integriert
terinnen und
ben wir auch in diesem Projekt an, dass sowohl die Referentinnnen, Workshoplei
innen sprechen.“
Künstlerinnen als auch die Beraterinnen dieselbe Muttersprache wie die Nutzer
(Janina Argilagos, S.U.S.I.)
Projekt: Women for Fun
In Zusammenarbeit mit Fatuma Musa Afrah und ihrem Verein United Action e.V. sind mehrere Gruppenangebote initiiert und erfolgreich durchgeführt
worden. Das Angebot „Women for fun“ ist ein niedrigschwelliges Gruppenangebot mit Frauen-Café
(offene Treffen), sportlichen Freizeitaktivitäten und
gemeinsamen Essen, zu denen auch Expert*innen
eingeladen werden, so dass wichtige Informationen
zu bestimmten Themen vermittelt werden, wie z.B.
zu Frauenrechten, Genitalverstümmelung, Unterstützungsangebote vor Ort u.v.m.
Weitere Informationen zum Projekt:
www.susi-frauen-zentrum.com/
„Die meisten Newcomer-Frauen, mit
denen wir zusammenarbeiten, sta
mmen aus Ländern, in denen Frauenrechte als nic
ht so wichtig angesehen werden bzw
.
für einige buchstäblich nicht existieren. Wenn wir
mit den Frauen zusammen sind, dan
n können wir die
vollen Potenziale der Frauen erkenn
en, die sie schon immer mit sich get
ragen haben, aber
nicht zeigen konnten. Der beste We
g, die Frauen zu ermutigen, besteh
t darin, ihnen eine
Stimme zu geben und sie in versch
iedene pädagogische, gemeinschaftl
iche und interkulturelle Projektaktivitäten einzubezie
hen. Die Teilnahme gibt ihnen die
Möglichkeit, integrativ zu sein und Neues zu lernen.
Ein weiterer wichtiger Weg, um die
Newcomerinnen zu
empowern, besteht darin, mit ihnen
und nicht für sie zu arbeiten. Dies gib
t ihnen die Chance und Verantwortung, gemeinsam
mit anderen im Lernprozess Dinge
zu
tun und Vertrauen zu entwickeln. Die Selbstorganisat
ion von Newcomerinnen ist ein weiter
er sehr wichtiger
Weg, um ihre Fähigkeit zu stärken,
mit Unterstützung anderer mehr für
sich selbst zu tun.
Das Gefühl, Verantwortung zu überne
hmen und sich selbst zu organisieren,
ist so wichtig, dass
sie ihre Positionen in der Gemeinsch
aft verstehen und einfordern, ein we
sen
tlicher Teil der von
Männern dominierten Gesellschaften
zu sein bzw. zu werden. Sie über ihre
Rechte aufzuklären,
ist eine weitere Möglichkeit, die Frauen
zu unterstützen. Mit unserem Projekt
versuchen wir all
dies zu berücksichtigen.”
(Fatum
a Musa Afrah, United Action e.V.)
38
h) Selbststärkung und Gewaltprävention von jungen geflüchteten Frauen durch
Selbstverteidigungstechniken
Freiburg, Baden-Württemberg
Tritta e.V.
„Wen-Do wurde vor vielen Jahren von Frauen* für Mädchen* und Frauen* entwic
kelt und hat zum Ziel,
sie stark zu machen und ihren Schutz, ihre Sicherheit, ihre Würde und Wohlbefinde
n in den Mittelpunkt
zu stellen. Vermittelt werden wirksame, schnell erlernbare Techniken aus ostasia
tischen Methoden der
Selbstverteidigung. Neben Selbstverteidigungstechniken bilden Sensibilisieru
ng für Grenzsetzung und
Rollenspiele zum besseren Wehren den zweiten Schwerpunkt.“
(Annette Krings, Wen-Do-Trainerin* bei Tritta e.V.)
Projekt: Empowerment für geflüchtete Mädchen* und junge Frauen*
durch Wen-Do (Selbstbehauptung und Selbstverteidigung)
Durch Wen-Do wurden unzählige Mädchen* und
junge Frauen* in den letzten Jahrzehnten in ihrem
Selbstbewusstsein und ihrer Kraft gestärkt. Immer
wieder stellen die Mitarbeiter*innen von Tritta e.V.
fest, dass es für Mädchen* und junge Frauen*, die Lebenserfahrungen haben, die sie nicht mit den Mädchen* der Mehrheitsgesellschaft teilen, sehr positiv
ist, Wen-Do in einem erfahrungshomogenen Setting zu trainieren. Empowerment heißt dann, dass
die ähnlichen Lebenserfahrungen im Mittelpunkt
stehen. In diesem Rahmen können sich somit auch
Mädchen* und junge Frauen* mit Fluchterfahrung
bewusster über die vielen einschränkenden Faktoren
in ihrer Lebenssituation „nach der Flucht“ und „im
Wohnheim“ werden, genauso wie sie ihre Solidarität
untereinander in positiver Weise entwickeln können.
Sie lernen eigene Stärken kennen und spüren ihre
körperliche Kraft. Diese Erfahrung in Kombination
mit den erlernten Techniken verhilft ihnen dazu, sich
selbst zu behaupten. Wen-Do ermöglicht es somit,
die Ziele „Geschützter Raum“, „Gewaltprävention“,
„Empowerment“ und „Solidarität und Bewusstmachung“ zusammen umzusetzen.
Zusätzlich zu den geschützten Räumen im Projekt
der Wen-Do-Kurse können geflüchtete Mädchen*
und junge Frauen* an allen Gruppen- und Kursangeboten der Einrichtung kostenfrei teilnehmen:
das sind z.B. Theater, Genusstag, Fotokurs, Kanutag,
Longboard, Musikprojekte, Feriencamps und vieles
mehr. Die Mädchen* und jungen Frauen* können somit viele neue Dinge lernen, zu denen sie sonst kaum
Zugang hätten.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://www.tritta-freiburg.de
mkeit erleben kön„Sie erfahren Empowerment dadurch, dass sie sich selbst in ihrer Selbstwirksa
n im gemeinsamen
nen und dass sie Kontakte mit anderen Mädchen knüpfen und vertiefen könne
ssituation, die sie mit
Tun. Die Teilnehmerinnen werden bewusster über die Faktoren in ihrer Leben
Trennende sichtbar ist.
anderen Mädchen gemeinsam haben - Nicht wie sonst oft, wenn v.a. das
ander entwickeln.“
Geflüchtete und nicht-geflüchtete Mädchen* können somit Solidarität mitein
(Martina Hocke, Projektleiterin*, Tritta e.V.)
39
i) Stärkung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch langfristige Unterstützung und Begleitung
Essen, Nordrhein-Westfalen
ViBB Essen e.V.
„Nach dem Erhalt eines Aufenthaltstitels bestehen für geflüchtete Frauen
zwar Sicherheit im
juristischen Sinn sowie Möglichkeiten der Integration. Zugleich ergeben sich
für sie aber auch
enorme Herausforderungen und geschlechtsspezifische Hürden: Insbesonder
e alleinerziehende
und sich in Trennung befindende Frauen stehen häufig allein vor einem Neuan
fang hinsichtlich
beinahe aller Lebensbereiche in einer noch oft als sehr fremd empfundenen
Gesellschaft. Umso
wichtiger ist es, diese Frauen dabei zu unterstützen, ihren spezifischen Bedür
fnissen entsprechend
neue Lebensperspektiven in ihrer neuen Heimat Essen bzw. dem Ruhrgebiet
zu entwickeln.“
(Chandralekha Trettin-Deb, ViBB Essen e.V.)
Projekt: ( Ein-) Leben in Essen – Integrationshilfen für Frauen mit Fluchterfahrung
und andere besonders schutzbedürftige Personen
Das Projekt hat zum Ziel, geflüchtete Frauen darin zu
empowern, dass sie selbstbewusst und zunehmend
selbständig am gesellschaftlichen Leben in ihrer
neuen Umgebung teilhaben. Durch vielfältige aufeinander abgestimmte Angebote lernen die Teilnehmer*innen wesentliche Möglichkeiten zur Gestaltung
ihres Alltagslebens kennen und lernen diese auch entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu nutzen.
Die Beratungen und Begleitungen in den vergangenen Jahren zeigen erste Erfolge hinsichtlich der beruflichen Integration von Teilnehmer*innen. Dabei ging
es nach der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen durch deutsche Behörden v.a. um die Anbindung
an fachlich passende Möglichkeiten zu berufsspezifischen Fortbildungen, Praktikumsstellen und (potenziellen) Arbeitsplätze. Hinsichtlich der Integrationshilfe
in den Arbeitsmarkt kann das Projekt in den kommenden Jahren noch erheblich mehr als bislang für die
Teilnehmer*innen leisten, da viele Frauen inzwischen
das für den Arbeitsmarkt notwendige Sprachniveau
B1/B2 und evtl. schon C1 erreicht haben.
So bieten regelmäßige Gruppentreffen Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch integrationsrelevanter Themen und ein gemeinsames Erlernen
praktischer Fähigkeiten für den Lebensalltag. Durch
gemeinsame Ausflüge lernen die Frauen vielfältige
Möglichkeiten zur Teilhabe am soziokulturellen Leben kennen. Eine zusätzliche intensive Einzelbetreuung geht auf weitere individuelle Bedürfnisse der
Frauen ein. Zentrale Themen dabei sind: Einkommenssicherung, Spracherwerb, Wohnungssuche, Gesundheitsvorsorge bzw. Behandlungsmöglichkeiten,
Verlauf eines Trennungs-/ Scheidungsprozesses, Umgangsrecht bzgl. Kindern, Umgang mit Behörden sowie die mittelfristige berufliche Entwicklung.
Um interessierte Frauen enger an den Verein zu binden, wird darüber hinaus eine Gruppe von Multiplikator*innen ausgebildet, die im Rahmen des Projektes
lernen, anderen Frauen mit ähnlichen Problemlagen
Unterstützung zu geben.
Mehr Informationen zum Projekt: https://www.
vibb-essen.de/verein/gefoerderte-projekte/aktuelle-projekte/
ren Anlaufpunkt für viele geflüchtete Frauen
„ViBB e.V. ist mittlerweile zu einem wichtigen und siche
langfristige Projektförderung sichergestellt wergeworden. Wichtig ist – und das kann nur durch eine
e der Teilnehmerinnen über eine lange Zeit vom
den –, dass die sich entwickelnden sozialen Netzwerk
dralekha Trettin-Deb, ViBB Essen e.V.)
Projektträger gefördert und begleitet werden.“ (Chan
40
j) Stärkung von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren
in der Arbeit mit LSBTIQ*-Geflüchteten
Gleichen, Niedersachsen
Stiftung Akademie Waldschlösschen
Geflüchteten haben einen LSBTIQ*-Hinter„Schätzungsweise 5-10 Prozent der nach Deutschland
verfolgt, sondern werden auch in den
grund. Sie wurden nicht nur in ihren Herkunftsländern
isch und psychisch bedroht. Seit fast vier JahGemeinschaftsunterkünften nicht selten massiv phys
und Einrichtungen im öffentlichen Sozial- und
ren arbeiten Projekte aus der LSBTIQ*-Community
versuchen ihre Situation zu verbessern. InsbeGesundheitswesen mit LSBTIQ*-Geflüchteten und
geschlechtliche Vielfalt“ jedoch stark unterresondere in Unterkünften ist das Thema „sexuelle und
Informationen zu den aktuellen Veränderungen
präsentiert. Zudem gibt es einen großen Bedarf an
ngungen – so zum Beispiel zur Einführung
in den rechtlichen und institutionellen Rahmenbedi
n)
n Rosenberger, Stiftung Akademie Waldschlössche
eines dritten positiven Geschlechtseintrags.“ (Kevi
Projekt: Durchführung von Fortbildungen und Vernetzungstreffen für ehren- und
hauptamtliche Mitarbeiter*innen im Bereich LSBTIQ*-Geflüchtete
Im Rahmen des Projektes werden bundesweite Fortbildungen und Vernetzungstreffen für Ehren- und
Hauptamtliche aus Projekten der LSBTIQ*-Community, AIDS-Hilfen und Einrichtungen im öffentlichen Sozial- und Gesundheitswesen durchgeführt. Die Teilnehmenden erhalten Informationen und konkrete
Impulse für ihren Arbeitskontext u.a. durch rechtliche
Grundlagen und Inputs zur Arbeit mit traumatisierten
LSBTIQ*-Geflüchteten genauso wie zu Diskriminierung und Rassismus im Alltag von LSBTIQ*-Geflüchteten. Sie werden zur Reflexion ihrer eigenen Arbeit
angeregt und setzen sich in einem Erfahrungs- und
Perspektivenaustausch zum Umgang mit schwierigen Situationen auseinander. Wie spreche ich bspw.
über Sex, Liebe und Beziehung in der Beratung? Aber
auch: Ist es überhaupt notwendig, mehr über die
„Anderen“ zu wissen oder ist es nicht wichtiger, mehr
über sich selbst und den vorwiegend eigenen westlich geprägten Vorstellungen zu wissen? Welche sind
die Fragen, die sich Sozialarbeiter*innen selbst stellen sollten? Wie sind die (Macht)strukturen geprägt,
in denen sie im Kontext von Flucht arbeiten und welche Auswirkung hat dies auf die Arbeit, wenn es um
die unterschiedlichen Sexualitäten und Liebesleben
in den verschiedenen kulturellen Prägungen geht?
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen stärkt somit nicht nur die Akteure selbst, sondern wirkt sich
konkret positiv auf LSBTIQ*-Geflüchtete aus.
Mehr Informationen zum Projekt:
https://www.waldschloesschen.org
„Die Vernetzungstreffen und die Fortbildungen sind
ein wichtiges kontinuierliches Angebot
für viele Fachkräfte. Sie sind notwendig, um Handlun
gsorientierungen im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu erwerben und
die Soziale Arbeit in Bezug auf die Arbeit
mit LSBTIQ*-Geflüchteten zu sensibilisieren und zu
professionalisieren.“
(Wolfgang Vorhagen, Stiftung Akademie Waldschlö
sschen)
41
k) Verhinderung von sekundärer Traumatisierung in der Arbeit mit geflüchteten
Mädchen und Frauen
Oldenburg, Niedersachsen
Wildwasser Oldenburg e.V. Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen
en.
„Kriegserfahrungen, sexualisierte Gewalt und Flucht können Traumata auslös
enden, denen
Und zwar nicht nur bei den direkt Betroffenen, sondern auch bei den Zuhör
a ist ansteckend.
geflüchtete Schutzsuchende ihre dramatischen Erlebnisse anvertrauen. Traum
Verletzlichkeit, HilfTraumaerfahrungen anderer konfrontieren Helfer*innen mit der eigenen
rungen oder die
losigkeit und Ohnmacht. Vielen Helfer*innen gehen die gehörten Gewalterfah
ken „überspringt“,
Eindrücke z.B. in Flüchtlingsunterkünften nicht aus dem Kopf. Wenn der Schrec
rschöpfung“.
sprechen Fachleute von „Sekundärer Traumatisierung“ oder auch „Mitgefühlse
omen, die auch
Diese Form der Traumatisierung äußert sich bei Betroffenen in Form von Sympt
te Wachsamkeit und
bei Posttraumatischen Belastungsstörungen auftreten. Zum Beispiel: erhöh
OhnmachtsÜbererregung, Vermeidung von traumaassoziierten Reizen, Interessensverlust,
gien zu kennen, die
gefühle und Wiedererleben. Um dies zu verhindern ist es unerlässlich, Strate
wenn ich selbst stabil
zur eigenen psychischen und körperlichen Stabilisierung dienen. Denn nur
Beziehungsmöglichkeit
bleibe, kann ich traumatisierten Menschen eine tragfähige Kontakt- und
zu erkennen und ausanbieten, die sie zur Heilung so dringend benötigen. Die eigenen Grenzen
ngen, um eine Anstereichend für die eigene Psychohygiene zu sorgen sind wichtige Voraussetzu
ckung mit dem Trauma zu verhindern und einem Burn Out vorzubeugen.“
(Frauke Janßen, Wildwasser Oldenburg e.V.)
Projekt: Trauma – was tun?!
Im Umgang mit traumatisierten geflüchteten Mädchen und Frauen treten häufig Verunsicherungen
und Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht bei den
Unterstützenden auf. Gutes Rüstzeit zur Bewältigung
ist für alle – Betroffene wie Helfende – wichtig.
Die Teilnehmenden lernen somit Grundlagen der
Psychotraumatologie kennen und erhalten einen
Einblick, welche Folgen Trauma-Erfahrungen für
das Verhalten und Erleben Betroffener haben kann.
Mithilfe von anschaulichen Materialien des sog.
Traum(a)-Koffers werden praktische Strategien zur
Stabilisierung nach traumatischen Erfahrungen vorgestellt und ihre Übertragbarkeit auf verschiedene
Lebensfelder bezogen.
Mit dem Ziel, einer sekundären Traumatisierung entgegenzuwirken und alle Beteiligten zu stärken, werden im Rahmen des Projektes Fachfortbildungen und
Informationsgespräche für Fachkräfte und Ehrenamtliche, die mit geflüchteten Frauen arbeiten, durchgeführt. Bisher nutzen vor allem Flüchtlingssozialarbeiter*innen, Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen,
Pädagog*innen, Studierende sowie Integrationslots*innen, Bildungspat*innen und engagierte Bürger*innen in der Integrationsarbeit diese Angebote.
Mehr Informationen zum Projekt: http://www.wildwasser-oldenburg.de/Erwachsene/Praeventionsangebote
42
„In der Arbeit mit traumatisierten Mensch
en zeigt sich immer wieder, dass Reflektieren
und Besprechen allein nicht langfristig hilfr
eich sind. Vielmehr sind Betroffene und auc
h
ihre Bezugspersonen dankbar für konkrete,
direkt umsetzbare Handlungsstrategien zur
Distanzierung und Stabilisierung. Der Trau
m(a)-Koffer enthält verschiedene Materialien
,
die als sogenannte „Stabis“ zur Stabilisierun
g im Alltag verwendet werden können – wie
z. B.: Leuchtsterne als „Gegenwartsanker“
gegen Alpträume, Stopp-Zeichen für eine
deutliche Abgrenzung, Fingermassageringe zur
Stressreduzierung, Lebenskärtchen mit erm
utigenden Botschaften, Kraftlöwen zur Selb
stwertstärkung und eine „wenn-dann-Liste“
für
das Hilfeholen in Notsituationen. Bezugspers
onen erfahren so konkrete Handlungsmöglichkeiten, wie sie zur alltäglichen Stabilisie
rung nach Traumata beitragen und die Mat
erialien auch zur eigenen Stabilisierung (Psy
chohygiene) benutzen können.“
(Kerstin Koletschka, Wildwasser Oldenburg
Der Traum(a)-Koffer kann bei Wildwasser bestellt werden.
43
e.V.)
4. Tipps für die Praxis: Handlungsempfehlungen für die
Unterstützungsarbeit mit geflüchteten Frauen
Ausgehend von der langjährigen Expertise und den praktischen Erfahrungen Paritätischer Mitgliedsorganisationen, u.a. im Rahmen des bundesweiten Projektes „Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen“, wurden folgende Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet. Diese Empfehlungen können die weitere Arbeit mit
geflüchteten Frauen unterstützen und sind sowohl für die Planung von Angeboten als auch für die konkrete
Umsetzung von Projekten hilfreich. Neben den konkreten Erfahrungen der Projektträger berücksichtigen die
Empfehlungen die Erkenntnisse aus einer Befragung (siehe Kapitel II) und beruhen somit auch auf den Bedarfen
und Wünschen geflüchteter Frauen selbst.
a) Projektplanung: Vorbereitende
Überlegungen und Maßnahmen
Eine gute Vorbereitung ist essentiell. Die Beschäftigung mit Fragen zur eigenen Motivation, zu Zielen
und Zielgruppen kann bei der Projektplanung und der
konkreten Umsetzung der Maßnahmen sehr hilfreich
sein. Zudem können mögliche später auftretende
Schwierigkeiten im Projektverlauf vorausschauender
und effektiver bearbeitet werden.
Eigene Motivation und Ziele reflektieren
Was motiviert mich bzw. uns als Organisation, ein
Angebot für bzw. mit geflüchteten Frauen durchzuführen?
•
Was möchten wir mit unserem Angebot konkret
erreichen?
•
Wie können wir die Selbstwirksamkeitserfahrung
der Zielgruppe stärken?
•
Können geflüchtete Frauen durch unser Angebot
mit anderen vernetzt und zur Selbsthilfe ermutigt
werden?
•
Welche Ziele verfolgen wir dabei für uns und welche für die Zielgruppe?
Welches Verständnis haben wir von unserer Rolle
in diesem Projekt?
•
Wie sind wir im Team aufgestellt, welche Positionen und gesellschaftlichen Positionierungen
nehmen wir ein, welche nimmt unsere Zielgruppe
ein? Welche Herausforderungen könnten damit im
Projektverlauf verbunden sein und wie können wir
damit umgehen?
Diese und weitere Fragen können ein wichtiger erster
Schritt sein, um sich vor Projektbeginn ehrlich und
selbstkritisch mit der eigenen Haltung und auch mit
Erwartungen an das Projekt und die Zielgruppe auseinander zu setzen. Zudem können mögliche Schieflagen wie bspw. unterschiedliche aufenthaltsrechtliche
Privilegien oder Sprachbarrieren bewusst(er) gemacht
werden. Wichtig ist, dass Paternalismus genauso wie
Rassismus und weitere Diskriminierung besprechbar
werden und Konsequenzen für das eigene und gemeinsame Handeln daraus abgeleitet werden. Es empfiehlt sich, diese Fragen im Projektverlauf immer wieder aufzurufen und neu für sich und das eigene Team
zu beantworten. Je nach Bedarf kann es auch hilfreich
sein, eine kollegiale Beratungspraxis oder Supervision
im Team zu etablieren.
Bevor es an die konkrete Planung und Projektumsetzung geht, ist es zunächst wichtig, die eigene Motivation und die damit verbundenen Ziele in den Vordergrund zu stellen:
•
•
44
Weiterführende Literaturempfehlungen:
Die Zielgruppe und ihre Bedarfe kennen
Wen möchten wir mit unserer Arbeit erreichen? Was
wissen wir über unsere Zielgruppe, ihre Lebenssituation, ihre Rechte und ihre Bedarfe vor Ort – und was
wissen wir nicht? Richtet sich unser Angebot nach den
Interessen und Ressourcen der Zielgruppe? Wie sollte
unser Angebot also möglichst ausgestaltet sein, damit
wir auch tatsächlich diejenigen erreichen, die wir erreichen möchten?
E
ine Sammlung zahlreicher Reflexionsfragen u.a. in Bezug auf das Selbstverständnis
und die Ziele der eigenen Arbeit befinden
sich in der Broschüre „Willkommen ohne Paternalismus“ von glokal e.V., einem Berliner
Verein für machtkritische Bildungsarbeit,
der seit 2006 in der politischen Jugend- und
Erwachsenenbildung tätig ist. Die Reflexionsfragen basieren auf Erfahrungen mit
der Empowermentarbeit mit Geflüchteten: https://www.glokal.org/wp-content/
uploads/2017/02/Willkommen-ohne-Paternalismus_Reflexionshilfe.pdf
Geflüchtete Frauen wissen selbst am besten, was sie
brauchen. Warum also nicht einfach sie selbst fragen?
Auch Fachkräfte, die vor Ort mit der Zielgruppe arbeiten sowie Fachberatungsstellen können ein wichtiger
Startpunkt für die Projektplanung sein. Zudem ist es
sinnvoll, das Projektvorhaben im zeitlichen Verlauf an
die konkreten Bedarfe und Wünsche der Zielgruppe
sowie etwaigen weiteren Entwicklungen anzupassen
bzw. direkt mit ihnen weiterzuentwickeln (bedarfsund prozessorientiertes Arbeiten). Entsprechend sollte
schon vor Projektbeginn eine gewisse Flexibilität und
Möglichkeit der Veränderungen der Maßnahmen eingeplant werden.
I
m Rahmen der Broschüre „Patenschaften
mit geflüchteten Menschen“, die 2017 vom
Paritätischen Gesamtverband und vom Paritätischen Landesverband Berlin herausgegeben wurde, befindet sich auch ein Kapitel
zum Thema „Begegnung auf Augenhöhe?
Über Herausforderungen und Fallstricke
in Patenschaften mit geflüchteten Menschen.“ Hier werden potentielle Schwierigkeiten in Patenschaften mit geflüchteten
Menschen erläutert, die auch auf die Arbeit
mit geflüchteten Frauen bezogen werden
können, siehe S. 19-23: https://www.der-paritaetische.de/publikationen/patenschaften-mit-gefluechteten-menschen/
Geflüchtete Frauen bilden keine homogene Gruppe.
Sie haben unterschiedliche Biographien und Sozialisationserfahrungen gemacht, haben verschiedene Bildungs- und Berufshintergründe und bringen verschiedene Interessen, Stärken und Kompetenzen mit. Es ist
demnach essentiell, sich mit der eigenen Zielgruppe
differenziert auseinander zu setzen, damit Angebote
nicht an den Bedarfen der Zielgruppe vorbei konzipiert werden.
Darüber
hinaus illustriert folgendes Video,
welche möglichen Irritationen und Grenzen
in der Unterstützungsarbeit mit geflüchteten
Menschen aufkommen können. Das Reflexionsvideo „Unterstützungsarbeit – auf Augenhöhe mit Geflüchteten?!“ vom Netzwerk
rassismuskritische Migrationspädagogik und
dem IQ-Landesnetzwerk Baden-Württemberg (2016) möchte Impulse geben, diese
Arbeit in Fortbildungen oder Gruppendiskussionen zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Es soll helfen, schwierige Situationen
besser zu verstehen, Stereotypisierungen
bewusst zu machen und Frustrationen auf
beiden Seiten zu vermeiden: https://www.
rassismuskritik-bw.de/erklaervideo/
Zudem sind geflüchtete Frauen als Asylsuchende, Geduldete oder Anerkannte mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmen- und Lebensbedingungen konfrontiert.
Die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen
und in sog. AnKER-Zentren, Zugangsbeschränkungen
zu Integrationsangeboten sowie zur gesundheitlichen
Versorgung, Residenzpflicht und Wohnsitzregelung –
all diese Regelungen haben reale Auswirkungen auf
die Unterstützungsarbeit mit geflüchteten Frauen,
weshalb grundlegende Kenntnisse zum Asyl- und Aufenthaltsrecht empfehlenswert sind.
45
Zudem kann es generell – und nicht nur in der Arbeit
mit geflüchteten Frauen – hilfreich sein, die eigenen
Erfahrungs- und Wissensbestände auszuweiten und
sich mit anderen Perspektiven und Konzepten auseinanderzusetzen. Was kann es bspw. bedeuten und
welche Auswirkung hat es auf der Beziehungsebene,
wenn familiäre Strukturen fluchtbedingt über Monate
oder Jahre getrennt werden? Welche Konzepte von
bspw. Familie und Erziehung gibt es und welchen Stellenwert haben sie für andere? Oder: Inwiefern ist das
Konzept des Hilfesuchens außerhalb des familiären
Bereichs bzw. das Anvertrauen einer externen Berater*in bekannt und vertraut?
eines Vorhabens entscheiden. Noch weiter geht die
Selbstbestimmung und -organisation; hier gehen sowohl Initiative als auch Entscheidungen und Verwaltung von der Gruppe selbst aus.
Letztendlich ist es wichtig, dass allen Beteiligten klar
ist, welche entsprechende Form der Partizipation
möglich ist und welche Erwartungen damit verknüpft
sind. Hierbei sollte nicht vergessen werden, dass Partizipation als zweiseitiger Prozess auch immer von einer
privilegierteren Seite gewollt und ermöglicht werden
muss.
Weiterführende Literaturempfehlungen:
Partizipation ermöglichen!?
Soziale Arbeit kann mit ihren Unterstützungsangeboten und dem Fokus auf Empowerment wichtige
Strategien und Maßnahmen zum Aufbau und zur
Stärkung partizipativer Strukturen fördern. Wesentlich
dafür sind zwei Aspekte: Zum einen eine Haltung, die
geflüchtete Menschen nicht als passive, sondern aktiv
Handelnde ernst nimmt. Zum anderen ist es essentiell,
sich kritisch mit dem Konzept von Partizipation auseinanderzusetzen. Dies kann damit beginnen, sich mit allen Beteiligten über das eigene bzw. über ein gemeinsames Verständnis von Partizipation auszutauschen.
Dazu gehört neben der Formulierung von Zielen und
Erwartungen auch die Klärung von Fragen, bspw. wie
entsprechende Zugänge zu Partizipationsstrukturen
ermöglicht und welche Entscheidungsspielräume und
Ressourcen für konkrete Partizipationsmöglichkeiten
zur Verfügung gestellt werden können. All dies ist
wichtig, damit Partizipation schließlich mehr als eine
„Alibi“-Beteiligung wird.
Partizipation kann verschiedene Formen annehmen.
Der Zugang und die Vermittlung von Informationen
können bereits eine essentielle Voraussetzung für
Partizipation insbesondere für geflüchtete Frauen
darstellen, v.a. weil ihnen häufig Informationen über
ihre eigenen Rechte fehlen. Ein wichtiger Aspekt bei
der Förderung von Partizipation bspw. als Förderung
des Engagements im Rahmen eines vorgegebenen
Projektes ist, dass zwischen Mitwirkung und Mitbestimmung unterschieden wird; bei Letzterem können
geflüchtete Frauen auch selbst über die Umsetzung
46
D
ie Broschüre „Partizipation in der Arbeit mit
geflüchteten Frauen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege fasst
die Ergebnisse aus den Vorträgen, Workshops und Diskussionen der Teilnehmenden
des Fachtages „Partizipation in der Empowermentarbeit mit geflüchteten Frauen“
am 18. Oktober 2018 zusammen und gibt
Impulse zur Stärkung der Partizipation für
die Empowermentarbeit mit geflüchteten
Frauen und anderen schutzbedürftigen
Personen: https://www.der-paritaetische.
de/publikation/partizipation-in-der-arbeit-mit-gefluechteten-frauen/
W
eitere Impulse zur Partizipation geflüchteter Menschen in den Unterkünften sowie
eine Sammlung zahlreicher Reflexionsfragen zur Schaffung besserer Partizipationsmöglichkeiten finden sich auch hier: http://
beratungsforum-engagement.berlin/dokumentation-bfe-werkstatt-2-2018-partizipation-und-empowerment-gefluechteter-menschen-in-den-unterkuenften/
sowie in der Broschüre „Willkommen ohne
Paternalismus“ des Berliner Vereins glokal
e.V.: https://www.glokal.org/wp-content/
uploads/2017/02/Willkommen-ohne-Paternalismus_Reflexionshilfe.pdf
Kooperationen und Netzwerke vor Ort aufund ausbauen
Selbstfürsorge – Eigene Ressourcen und
Grenzen kennen
Welche Akteure und Angebote gibt es bereits in unserem Wirkungsumfeld? Wer arbeitet konkret mit
geflüchteten Frauen vor Ort, wer zu zielgruppenrelevanten Themen? Wer hat bereits Zugang zu Unterkünften und ist gut vernetzt?
Der Kontakt zu und die Arbeit mit geflüchteten Frauen
kann auch für die Projektdurchführenden selbst belastend und manchmal überfordernd sein. Persönliche
Fluchtgeschichten, die Schilderung aktueller Lebensumstände oder Erlebnisse von Gewalterfahrungen
können teilweise ziemlich nah berühren. Gefühle von
Ohnmacht können aufkommen und nicht immer ist
dabei ein professioneller Umgang möglich. Aber auch
Erwartungen an die Unterstützung können manchmal
die eigenen übersteigen und zu Stress und Überforderung führen.
Vielerorts gibt es Initiativen und Organisationen,
die mit ihrer Arbeit die Lebensbedingungen geflüchteter Menschen verbessern wollen und entsprechende Strukturen aufgebaut bzw. ihre Angebote für die Zielgruppe geöffnet haben. Es ist daher
empfehlenswert, diese Akteure zu identifizieren und
ggf. Kontakt aufzunehmen. Vielleicht ergeben sich
somit Kooperationen, durch die der Zugang zur Zielgruppe oder die Bekanntmachung eines neuen Angebotes erleichtert werden kann. Es ist auch möglich,
dass sich eine konkrete Zusammenarbeit entwickelt,
bspw. wenn sich die jeweiligen Angebote gegenseitig
gut ergänzen.
Es empfiehlt sich daher bereits in der Vorbereitungsphase Möglichkeiten der Selbstfürsorge, des kollegialen Austauschs, der Supervision, der Fachberatung sowie der Fort- und Weiterbildung des Teams
einzuplanen. Ein regelmäßiger Austausch im Team
kann Überforderungsgefühlen, aber auch Frustration
Raum geben. Fälle können praxisnah besprochen und
mögliche Lösungsansätze für das weitere Vorgehen
gemeinsam erarbeitet werden. Aber vor allem ist es
wichtig, vorab Grenzen für sich zu setzen und gegenseitige Erwartungen aneinander und die Reichweite
der Unterstützung vorab transparent zu machen.
Insbesondere in der Arbeit mit geflüchteten Frauen ist
der Aufbau von Kooperationen und Netzwerken wichtig, weil so frühzeitig Strukturen geschaffen werden,
die beim Übergang von der Erstaufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft oder in eine private Wohnung
eine bessere Anbindung an das Hilfe- und Unterstützungssystem ermöglichen können.
47
b) Rahmenbedingungen gestalten:
Besondere Bedarfe im Blick haben
Neben dem eigentlichen Inhalt des bedarfsgerechten
Angebotes28 ist es wichtig, die organisatorische Struktur in den Blick zu nehmen. Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit die Zielgruppe
an dem Angebot teilnehmen kann? Eine fehlende
Kinderbetreuung oder eine fehlende Sprachmittlung
kann die Teilnahme geflüchteter Frauen an einem Angebot bspw. erheblich erschweren. Dementsprechend
sollten dafür auch Ressourcen eingeplant werden.
Sprachmittler*innen an (wie bspw. zum Thema Körper
und Sexualität, siehe Projektansatz von pro familia Hamburg in Kapitel III). Sie können somit einerseits ein*e vertrauensvolle*r Türöffner*in sein, andererseits aber auch
verhindern, einen Zugang zu Personen zu erlangen. Eine
trauma- und geschlechtssensible Sprachmittlung ist somit unerlässlich. Es empfiehlt sich auch, die Sprachmittler*innen in einem Vorgespräch kennenzulernen bzw.
nach der ersten Zusammenarbeit zu überlegen, ob eine
Fortführung oder ein Wechsel sinnvoll erscheinen. Noch
besser ist es, wenn eine Berater*in selbst die Muttersprache der Ratsuchenden spricht und somit keine dritte
Person dazwischen geschaltet sein muss.
Kinderbetreuung
Geflüchtete Frauen mit Kindern haben häufig nicht
die Möglichkeit an Angeboten teilzunehmen, wenn
es keine parallele Betreuung für ihre Kinder gibt. Denn
nicht alle Kinder haben Zugang zu einer Kindertagesstätte oder Schule. Und nicht alle können oder wollen
auf familiäre Unterstützungsstrukturen oder andere
nahe Bezugspersonen zurückgreifen. Die Organisierung einer parallelen qualifizierten Kinderbetreuung
kann somit von grundsätzlicher Bedeutung sein, um
die Teilnahme für bestimmte Frauen zu ermöglichen.
Eine weitere Herausforderung ist die Entscheidung darüber, welche Sprachen in den Blick genommen werden
und welche ggf. nicht abgedeckt werden (können). Welche Sprachen werden gebraucht, wenn noch gar nicht
klar ist, wer mit welchem Sprachbedarf an unserem
Angebot teilnimmt? Ist es ausreichend, diejenigen
Sprachen zu fokussieren, die auch durch die häufigsten
Herkunftsländer bzw. -sprachen abgedeckt werden?
Wollen wir mit unserem Angebot alle bzw. möglichst
viele Frauen erreichen? Wollen wir eine ganz bestimme Gruppe an Frauen erreichen, die u.a. aufgrund ihrer
Sprache sonst nur schwer erreichbar ist? Oder aber wollen wir ein möglichst inklusives Gesamtprojekt umsetzen und alle ansprechen? Hier sind also entsprechende
Vorüberlegungen zur Zielgruppe und zu den eigenen
Zielen wichtig, die natürlich nicht unabhängig von den
für die Sprachmittlung verfügbaren finanziellen und
personellen Ressourcen zu betrachten sind. Es sollte
aber bewusst gemacht werden, dass eine Entscheidung
für oder gegen bestimmte Sprachen potentiell auch immer Personen ausschließen kann. Darüber hinaus sollte
mit einer gewissen Flexibilität bei der Projektumsetzung
gerechnet werden, insbesondere weil sich der Bedarf an
Sprachmittlung durch bspw. Fluktuation bzw. Umverlegung in einer Unterkunft kurzfristig ändern kann.
Sprachmittlung
Für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung sind
Sprache bzw. Kommunikation elementar. Sprachmittlung
– als Oberbegriff für Dolmetschung und Übersetzung –
sollte daher als selbstverständlicher Bestandteil fest in
der eigenen Arbeit verankert werden. Denn Sprachmittler*innen spielen als Vermittler*innen eine zentrale Rolle;
sie bilden ein aktives und wichtiges Bindeglied zwischen
der Organisation bzw. Projektleitung und der Zielgruppe.
Sie leisten eine wichtige Arbeit zum Verständnis, die über
das reine Sprachmitteln hinausgeht. Dies gilt nicht nur
für die Vermittlung der Bedeutung von Wörtern, sondern
auch von Gefühlen wie bspw. Sorgen und Ängsten.
Insbesondere im Beratungs- bzw. Gesprächskontext mit
geflüchteten Frauen kommt es dabei auf die Sensibilität und auch das Wissen zu bestimmten Themen der
Insbesondere im ländlichen Raum tritt das Problem auf,
dass nicht alle Sprachen durch Sprachmittler*innen
vor Ort abgedeckt werden können. Auch wenn eine
individuelle und persönliche Sprachmittlung dadurch
keinesfalls ersetzt werden kann, so können digitale
28 Was bei der Entwicklung von Angeboten berücksichtigt werden sollte
und welche Bedarfe geflüchtete Frauen haben siehe Kapitel II.
48
Safe spaces
Hilfsangebote oder eine Videodolmetschung hier eine
mögliche sinnvolle Ergänzung in der Unterstützung
sein und den Zugang zu bestimmten Informationen
durch bspw. mehrsprachige Webseiten erleichtern.
„Safe spaces“ können wichtige „geschützte Räume“
sein, in denen geflüchtete Frauen temporär unter sich
sein können, d.h. ohne Anwesenheit von geflüchteten
Männern oder Frauen ohne Fluchtbiographie. Safe
spaces können eine verletzungs- und hierarchiearme
Kommunikation und einen persönlichen Austausch
von bspw. schambesetzten Themen oder traumatischen Diskriminierungserfahrungen in einer vertrauensvollen Atmosphäre ermöglichen. Erfahrungen
zeigen, wie wichtig und bestärkend es sein kann, einen Raum für die von Frauen eingebrachten Themen
zur Verfügung zu stellen und damit eine geschützte
Auseinandersetzung zu ermöglichen. Dadurch, dass
Themen besprochen und reflektiert und eben nicht
ignoriert werden, können sich die Teilnehmenden gegenseitig stärken und bei weiteren Schritten im Prozess unterstützen. Insofern können safe spaces einen
gemeinsamen Erfahrungsraum bieten, der es geflüchteten Frauen ermöglicht, fernab ihres häufig problemzentrierten Alltags, Momente der Erholung zu erleben.
Tipps für Gespräche mit Sprachmittlung:
•
Planen Sie die doppelte Zeit ein: Ein Gespräch
mit Sprachmittlung dauert häufig länger!
•
Führen Sie ein Vorgespräch mit der sprachmittelnden Person, um das Thema und ggf. Vorgehen im Gespräch anzukündigen und Regeln
abzusprechen.
•
Erklären Sie vorab Schweigepflicht und Rahmenbedingungen: Weisen Sie sowohl zu Beginn
jedes Gesprächs (auch des zweiten, dritten etc.)
als auch im Beisein der Klient*in auf die Schweigepflicht hin und klären Sie die Rollenverteilung
(„Ich möchte mit Ihnen sprechen und die*der
Sprachmittler*in hilft uns dabei.“).
•
Lassen Sie während des Termins Klient*in und
Sprachmittelnde nicht allein: Das trägt zur Wahrung der nötigen Distanz und Unparteilichkeit bei.
•
Führen Sie ein Nachgespräch: Geben Sie
der*dem Sprachmittelnden Feedback, erfragen
bzw. klären Sie ggf. kulturelle Nuancen oder
schwierige Begriffe.
•
Nutzen Sie Teamsitzungen, um Situationen mit
Sprachmittler*innen zu analysieren und gemeinsam zu reflektieren (u.a. Was hat die Anwesenheit der Sprachmittlung verändert?).
Q
uelle: Paulus, M. und Kühner, A. (2018): Frühe
Hilfen für geflüchtete Familien. Impulse für
Fachkräfte. Herausgegeben vom Nationalen
Zentrum Frühe Hilfen (NZFH). Köln, S. 43ff:
https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/
user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation-NZFH-Impulse-fuer-Fachkraefte-Fruehe-Hilfen-fuer-gefluechtete-Familien.pdf
D
er Paritätische Gesamtverband (2020):
Sprachmittlung in der Migrations- und
Flüchtlingsberatung – Eine Arbeitshilfe
für Fachkräfte der Migrationssozialarbeit
https://www.der-paritaetische.de/publikationen/migration-und-flucht/
Soziale Arbeit kann somit einen Rahmen für
empowernde Prozesse bilden. Trägerorganisationen
können safe spaces unterstützen bzw. entsprechende
Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, indem
sie z.B. einen Raum organisieren, eine erste Einladung
zum Austausch initiieren und ggf. Vertreter*innen von
Selbstorganisationen einladen. Dies ist insbesondere
deshalb sinnvoll, weil viele Frauen, die in Deutschland
ankommen, zu Beginn nur wenige soziale Kontakte
haben. Auch wenn sie vielleicht in einer Einrichtung
untergebracht sind, heißt das nicht automatisch, dass
sie sich begegnen und kennenlernen. Um die Selbstorganisierung zu fördern, hilft es auch, bestehende
Netzwerke auszubauen und Frauen miteinander zu
vernetzen, die sich in ähnlichen Lebenslagen befinden. Viele geflüchtete Frauen haben auch den Bedarf,
sich mit Frauen ohne Fluchtbiographie auszutauschen
und Kontakte zu knüpfen. Es empfiehlt sich demnach,
entsprechende Vernetzungsmöglichkeiten mit einzuplanen und bei Bedarf zu initiieren.
49
Übergänge ins Hilfe- und Unterstützungssystem gestalten
Vernetzung mit dem örtlichen professionellen Unterstützungssystem, den zuständigen Kommunen, Behörden, Migrationsberatungsstellen, dem Bildungssystem
sowie Anbietern von Integrations- und Sprachkursen,
Selbstorganisationen der Migrant*innen und Religionsgemeinschaften aufzubauen, um den Zugang zu und
die Anbindung an Einrichtungen der Regelstrukturen
zu unterstützen. Folgende bundesweite Datenbanken
können dabei u.a. hilfreich sein:
Im Fokus der Arbeit mit geflüchteten Frauen sollte neben den eigenen Projektinhalten und -zielen auch die
Identifizierung von weitergehendem besonderen Unterstützungsbedarf stehen und die damit verbundene
mögliche Begleitung bzw. Weiterleitung ins örtliche
Hilfe- und Unterstützungssystem. Denn häufig haben
Frauen einen großen Bedarf an weiterführender bzw.
spezialisierter Unterstützung durch Regelangebote, jedoch werden diese nicht immer frühzeitig im Rahmen
der Erstaufnahme erkannt. Zudem sind viele von ihnen
mit rechtlichen Einschränkungen konfrontiert oder es
fehlen ihnen Informationen, um entsprechende Angebote wahrnehmen zu können. Bei einigen von ihnen
bilden sich aber auch Misstrauen und Hemmschwellen, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Hier ist
es wichtig, zunächst einmal zuzuhören, um eine etwaige Ablehnung der Kontaktaufnahme zu deutschen
Institutionen nachvollziehen zu können. Nicht selten
machen Frauen stigmatisierende Erfahrungen und
fühlen sich nicht ernst genommen und auf Augenhöhe von deutschen Behörden behandelt. Für einige ist
es aber auch unverständlich und unvorstellbar, sich
fremden Personen und Institutionen anzuvertrauen,
wo dies doch eigentlich häufig auch die Familie oder
Community auffangen kann. Niedrigschwellige Angebote und Informationen, die die Rolle und Funktion
von bspw. einer Hebamme, einer Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt oder eines Jobcenters näher
bringen, können jedoch auch wieder Vertrauen schaffen und eine Weiterleitung bei Bedarf unterstützen.
Zudem kann es für einige Frauen hilfreich sein, diesen
Weg nicht alleine bewältigen zu müssen. Es ist empfehlenswert, eine persönliche Begleitung und ggf.
auch eine Sprachmittlung für einen ersten Termin anzubieten oder sich nach dem Verlauf des Termins zu erkundigen und weitere Schritte gemeinsam zu planen.
B
eratungsstellen zu Flucht und Migration:
https://adressen.asyl.net/
F
rauennotrufe und Frauenberatungsstellen:
https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/
hilfe-beratung.html
F
rauenhäuser:
https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/frauenhaussuche/
Barrierefreiheit:
Kommunikation und Räumlichkeiten
Bereits bei der Projektplanung sollten gewisse Fragen
zu weiteren möglichen Barrieren, die den Zugang zu
dem Angebot erschweren könnten, im Blick behalten
werden. Ist das Angebot für die Zielgruppe örtlich gesehen leicht und möglichst barrierearm zu erreichen?
Ist das Angebot kostenfrei? Werden bestimmte Fähigkeiten oder Vorkenntnisse vorausgesetzt?
Für einige Frauen können diese Aspekte für ihre Teilnahme entscheidend sein. Es ist wichtig, dass zu Beginn eventuelle Hemmschwellen behutsam abgebaut
werden. Hilfreich ist auch das Benennen einer Ansprechperson mit Möglichkeit einer Kontaktaufnahme (Mail-Adresse, Telefonnummer). Der Ort sollte gut
überlegt sein. Falls dieser nicht direkt in der Unterkunft
ist, ist er gut für die Teilnehmenden erreichbar? Gibt
es eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr?
Gibt es einen Fahrstuhl oder Möglichkeiten, einen Kinderwagen im Erdgeschoss abzustellen? Gibt es eine
mehrsprachige Ausschilderung, die das Aufsuchen
des Raumes erleichtert? Auch die Zeit und Dauer des
Angebotes ist wesentlich, u.a. für die Frage, ob ein sicherer Weg der Teilnehmer*innen auch nach Ende der
Veranstaltung gegeben ist.
Es geht aber auch um weitere lokale Angebote, die im
Sozialraum verankert sind und es den Frauen ermöglichen, ihr Umfeld besser kennenzulernen. Aktionen in der
Nachbar*innenschaft, bestehende Mutter-Kind-Gruppen sowie Sport- und Freizeitangebote in der Nähe des
Wohnortes können regelmäßig vorgestellt und ggf. gemeinsam besucht werden. Es ist also notwendig, solche
Angebote im Vorfeld zu recherchieren und eine gute
50
(Lern)Erfolge sichtbar machen und feiern
es ggf. sinnvoll ist, das Angebot persönlich bekannt
zu machen. Gibt es vielleicht bereits Personen, die an
einem ähnlichen Angebot von uns teilgenommen haben und die einen guten Draht in die Community und
Unterkunft haben? Häufig sprechen sich Angebote
auch von Mund-zu-Mund weiter. Ein wichtiger „Türöffner“ können auch offene Frauencafés sein, da hier
Informationen zu möglichen Beratungsangeboten
gegeben werden können.
Schon kleine Fortschritte können für manche Menschen einen riesigen Unterschied machen und das
Selbstbewusstsein und die eigene Selbstsicherheit
stärken. Es kann empowernd sein, scheinbar kleine
Schritte sichtbar zu machen und wertzuschätzen. Dies
kann durch bestärkende Worte und Feedback, die Reflexion mit Hilfe eines eigenen Lerntagebuches oder
bei Abschluss des Projektes durch ein Teilnahmezertifikat oder auch durch eine Abschlusspräsentation des
Erlernten oder des Produzierten (bspw. eine Fotographie oder ein Kunstwerk) geschehen. Darüber hinaus
können Erfolge eines Projektes durch Öffentlichkeitsarbeit sichtbar(er) gemacht werden. Zum Ende eines
Projektes empfiehlt sich auch ein Gespräch, in dem die
Lernerfolge gemeinsam reflektiert werden und Informationen zu ggf. weiteren (Beratungs-)Angeboten gegeben werden können.
Kommunikation über Netzwerke und Kooperationen
In den letzten Jahren haben sich das Unterstützungsund Hilfesystem sowie das ehrenamtliche Engagement mit und für Geflüchtete sehr stark (weiter)entwickelt. Vielerorts haben sich Fachberatungsstellen und
Hilfsorganisationen für neue Zielgruppen qualifiziert
und ihre Angebote geöffnet. Es ist demnach sinnvoll,
sich zunächst einen Überblick über die jeweiligen
Akteure in der Region zu verschaffen und ggf. Kontakt aufzunehmen. Vielleicht gibt es Akteure in der
Umgebung, die ein ähnliches Angebot durchführen?
Oder Initiativen, die bereits erfolgreich in den Unterkünften arbeiten und möglicherweise den Kontakt zur
Zielgruppe erleichtern, auf das Angebot verweisen
können oder vielleicht sogar für die Durchführung
einer gemeinsamen Veranstaltung geeignet wären?
Zudem kann es hilfreich sein, Orte aufzusuchen, an
denen sich geflüchtete Frauen gelegentlich aufhalten
(müssen), wie bspw. Ämter und Behörden, Jobcenter,
Sprachkurse, etc. Hier können ggf. Informationen für
die eigenen Angebote verbreitet werden. Insbesondere in ländlich geprägten Regionen mit einer nicht stark
ausgebauten Struktur des Hilfe- und Unterstützungssystems ist Netzwerkarbeit umso bedeutender, weil
dadurch insgesamt Zugänge für geflüchtete Frauen zu
den vorhandenen zivilgesellschaftlichen Strukturen
gestärkt werden können. Wichtig zu bedenken ist,
dass Kooperations- und Vernetzungsgespräche Ressourcen und Zeit in Anspruch nehmen und im besten
Fall kontinuierlich stattfinden.
c) Zugänge ermöglichen: Wie erreiche
ich die Zielgruppe und wie spreche
ich sie an?
Für viele Organisationen und Engagierte ist die Frage nach dem Zugang zur Zielgruppe eine herausfordernde Aufgabe. Denn oftmals besteht zu Beginn kein
direkter persönlicher Kontakt zur Zielgruppe. Wie erreiche ich also bestimmte Personen mit meinem Angebot? Und wie mache ich am besten auf mein Angebot aufmerksam?
Zunächst einmal: Es gibt kein Patentrezept für „den einen“ Weg des Zugangs. So unterschiedlich Menschen
und Bedürfnisse sind, so unterschiedlich und vielfältig sollten auch die Formen sein, um auf das Angebot
aufmerksam zu machen. Wichtig für den Beginn ist zunächst die Frage nach möglichen Barrieren der Mobilität und Anbindung an Infrastruktur, die eine Erreichbarkeit vielleicht erschweren könnten. Dann empfiehlt
es sich, das Angebot auf mehreren Wegen bekannt
zu machen. Je nach Zielgruppe stellt sich dabei u.a.
die Frage, ob sich z.B. ein analoger oder digitaler
Flyer anbietet, eine niedrigschwellige Informationsveranstaltung einen passenden Rahmen bietet oder
Im Rahmen der Arbeit mit und für geflüchtete Frauen
haben sich in der Praxis u.a. folgende Akteure als relevante Ansprechpartner*innen und mögliche Kooperationspartner*innen bewährt:
51
•
Mitarbeitende in Aufnahmeeinrichtungen, z.B.
Leitungspersonal, Sozialarbeiter*innen, Kinderbetreuer*innen oder Ehrenamtskoordination
um potentiell Interessierte auf Beratungsangebote
o.ä. hinzuweisen.
•
selbstorganisierte Initiativen und Vereine von und
für Geflüchtete oder Migrant*innen sowie muttersprachliche Communities und andere, in den Unterkünften lebende Multiplikator*innen
Aufsuchende Arbeit und direkte Ansprache
•
Flüchtlings- oder Migrationsberatungsstellen und
Frauenfachberatungsstellen
•
Stadtteilzentren und Bürger*innentreffs
•
Ehrenamts- und Unterstützungskreise
•
Akteure des Integrationsmanagements
•
Moscheen, Kirchen, Synagogen und religiöse Gemeinden
•
Bildungseinrichtungen und Sprachkurse
•
Freie Träger der Jugendhilfe
•
Kulturvereine
•
Verbraucherzentralen
•
Flüchtlingsräte
•
Jobcenter und Arbeitsagenturen
•
Akteure aus dem Gesundheitswesen
•
Kommunale Verwaltung
•
Schulsozialarbeit
Die Erfahrungswerte aus der bisherigen Praxis haben
gezeigt, dass aufsuchende Arbeit in Unterkünften
(sowie an anderen Orte, siehe Auflistung unter „Kommunikation über Netzwerke und Kooperationen) und
eine direkte, persönliche Ansprache ein empfehlenswerter Weg ist, um geflüchteten Frauen den Zugang
zu Unterstützungsangeboten möglich zu machen.
Flyer oder Info-Plakate können eine erste Form sein,
um eine Zielgruppe für das eigene Projekt anzusprechen und sollten möglichst in viele Sprachen übersetzt
werden. Beim Anbringen von Material in Geflüchtetenunterkünften empfiehlt es sich, diese an öffentlichen
und an nicht-öffentlichen Plätzen aufzuhängen und
kleine Abreißzettel mit entsprechenden Kontaktinfos
beizufügen. Sie sollten aber nicht die einzige Form der
Ansprache bleiben, da nicht alle Menschen hierdurch
erreicht werden können (Analphabet*innen, weniger
mobile oder zurückgezogen lebende Menschen, etc.).
In persönlichen Treffen (bspw. in Kooperation mit den
Sozialarbeiter*innen vor Ort) können Frauen direkt
über ein Angebot informiert und eingeladen werden.
Je nach Angebot kann es auch hilfreich sein, zunächst
eine offene Veranstaltung oder ein Frauen-Café in einer Unterkunft anzubieten. Dies kann Möglichkeiten
der Begegnung schaffen und ein Anknüpfungspunkt
sein, um Themen und Bedarfe zu eruieren und auf weitere Angebote aufmerksam zu machen.
Aber auch die eigenen Organisationsstrukturen und
vorhandenen Angebote können ggf. hilfreich sein.
Bietet ein Träger bspw. eine Aufenthalts- und Sozialberatung, Sprachkurse oder ein Begegnungscafé
an, so können hier entsprechende Informationen zu
speziellen Angeboten an andere Kolleg*innen gegeben und ggf. auch Flyer verteilt werden. Dies ist
mitunter bei sensiblen Themen wie bspw. Betroffenheit von geschlechtsspezifischer Gewalt eine Möglichkeit, um potentiell Betroffenen aufzuzeigen, dass
es Hilfs- und Handlungsmöglichkeiten in ihrer individuellen Situation gibt, auch wenn sie es nicht sofort
in Anspruch nehmen. Auch Freizeitangebote oder
Kunstprojekte können ein Anknüpfungspunkt sein,
Bei Durchführung des Projektes an einem Ort außerhalb der Unterkunft kann es eine Überlegung sein, zu
Beginn des Projektes einen Treffpunkt auszumachen,
die Teilnehmenden abzuholen und dann gemeinsam
zum Veranstaltungsort zu fahren. Dies kann sehr zeitintensiv sein, aber in der Praxis hat sich diese Art der
persönlichen Akquise und Begleitung durchaus bewährt. Denkbar ist es auch, das Angebot als mobiles
Angebot zu konzipieren und direkt in der Unterkunft
bzw. in unmittelbarer Nähe der Unterkunft vor Ort
durchzuführen. Dies hat den Vorteil, dass somit auch
Personen erreicht werden können, die z.B. weniger
mobil sind (körperlich, psychisch, aber auch wegen
Kinderbetreuung) oder aus anderen Gründen zurück52
Infrastruktur möglichst niedrigschwellig
gestalten
gezogen leben und zu externen Angeboten sonst nur
schwer Zugang finden. Auch eine Mischung ist möglich. So kann zur Bekanntmachung eines Angebotes
eine niedrigschwellige mehrsprachige Informationsveranstaltung direkt in der Unterkunft stattfinden,
das tatsächliche Projekt dann aber an einem anderen
Ort.
So wichtig feste Strukturen und geregelte Abläufe
und wie verständlich begrenzte Ressourcen sind,
sie können einem niedrigschwelligen Zugang auch
entgegenstehen. Wenn es sich einrichten lässt, so ist
eine tägliche Erreichbarkeit und ein zuverlässiger Kontakt bzw. eine feste Ansprechperson für eine (erste)
Kontaktaufnahme hilfreich. Auch wenn Frauen außerhalb der Öffnungs- bzw. Sprechzeiten kommen oder
anrufen, so schafft es einen Zugang, wenn diese nicht
gleich weggeschickt, sondern ihr Anliegen angehört
und ggf. weitere Schritte vereinbart werden. Eine niedrigschwellige Infrastruktur kann für einige Frauen sehr
wichtig sein. Zum Beispiel auch dann, wenn es eine
Möglichkeit gibt, die Fahrtkosten bei Anfahrtswegen
der Teilnehmer*innen zu übernehmen.
Digitale Zugänge
Eine digitale Bekanntmachung eines Angebotes bspw.
über Social-Media-Kanäle kann ebenso eine mögliche
Ansprache sein, ist jedoch nicht grundsätzlich für
alle geeignet. Praxiserfahrungen zufolge kann eine
digitale Bewerbung abhängig vom Thema eines Angebotes insbesondere für gut vernetzte Zielgruppen
zielführend sein. Dabei ist vorab immer zu bedenken
und zu prüfen, ob eine digitale Teilhabe für alle Frauen
sichergestellt sein kann und datenschutzrechtliche
Vorkehrungen getroffen werden.
I
m Webzeugkoffer des Paritätischen Gesamtverbandes finden sich Anleitungen, Empfehlungen und Tipps zu Social Media-Kanälen und
diversen Tools zur Zusammenarbeit. http://
www.der-paritaetische.de/schwerpunkt/digitalisierung/webzeugkoffer/
I
eitere Hinweise zur Unterstützungsarbeit
mit Geflüchteten in Zeiten der Corona-Pandemie 2020 mit Praxistipps zu Rahmenbedingungen und Nutzung onlinebasierter
Kommunikation finden sich hier: https://
www.der-paritaetische.de/publikationen/
unterstuetzungsarbeit-mit-gefluechteten-in-zeiten-der-corona-pandemie-2020/
Informationen mehrsprachig und niedrigschwellig gestalten
Wenn das Angebot mit Hilfe eines Flyers bekannt
gemacht werden soll, empfiehlt es sich, diesen nicht
nur mehrsprachig zu verfassen, sondern auch ansprechend, z.B. durch die Verwendung von Illustrationen
zu gestalten. Eine klare Benennung der Rahmenbedingungen ist wichtig (neben Ort, Zeit, Möglichkeiten
der Kinderbetreuung und Sprachmittlung auch die
Kontaktdaten der Ansprechpartner*innen) genauso
wie die Angabe, an wen sich das Angebot richtet und
welche Erwartungen und Ziele mit einer Teilnahme
verbunden sind.
Je nach Angebot kann es unter Umständen sinnvoll
sein, sensibel bei der Wahl des Titels des Angebotes
vorzugehen. Eine große Überschrift mit den Worten
„Sie werden von ihrem Partner geschlagen und brauchen Hilfe?“ auf einem Aushang mitten im Eingangsbereich einer Unterkunft kann unter Umständen
Scham oder Verunsicherung auslösen und potentiell
Interessierte davon abhalten, unter Beobachtung von
anderen vor dem Aushang stehen zu bleiben. Die Titel
sollten daher etwas „unverfänglicher“ bzw. „unauffälliger“ formuliert werden und bspw. die Beratung zur
eigenen Gesundheit in den Mittelpunkt stellen. Für
manche Frauen ist die Akzeptanz des Angebots durch
53
Spezifische Bedarfe im Blick haben
die Partner bzw. durch die Community sogar entscheidend für eine Teilnahme.
Ein differenzierter Blick auf die eigene Zielgruppe ist
zentral, um diese auch mit dem eigenen Angebot ansprechen und tatsächlich erreichen zu können. Vorab
und im Prozess sollte dabei immer wieder auf besondere Bedarfe eingegangen werden. Sind die Themen
des Angebotes bspw. auch für junge Frauen interessant oder bewegen sie ganz andere Themen? Haben
Frauen mit Behinderungen die Möglichkeit an dem
Angebot vollumfänglich teilzunehmen oder gibt es
Barrieren, die dies erschweren? Welche Zugangsmöglichkeiten haben illegalisierte Frauen? Welchen spezifischen Bedarf haben ältere Frauen und welchen
alleinerziehende Frauen? Wie kann der Zugang auch
für Analphabet*innen gewährleistet werden? All diese
Fragen sind wichtig, um eventuelle Auswirkungen auf
die eigene Arbeit im Blick zu haben und ggf. mit weiteren Ressourcen oder spezialisiertem Knowhow auf
neue Zielgruppen bzw. spezifische Bedarfe eingehen
zu können.
Peer-to-peer-Angebote und Multiplikator*innen als mögliche Brückenbauer*innen
Frauen, die vergleichbare Lebensbiographien und
ähnliche Erfahrungen teilen oder eine gemeinsame
Sprache sprechen, können untereinander eine besondere Art von Vertrauen schaffen und mögliche
Hemmschwellen in Bezug auf die Teilnahme an einem
Angebot abbauen. Angebote, die in einem peer-topeer-Format, also von und für geflüchtete Frauen konzipiert sind, können daher einen möglichen Vertrauensvorsprung und damit einen Zugang zur Zielgruppe
schaffen. So können Frauen, die bspw. bereits länger
in Deutschland leben und entsprechende Bewältigungsstrategien für ihren Alltag entwickelt haben,
neu ankommende Frauen durch ihr gelebtes Beispiel
ermutigen, ihre Erfahrungen teilen, hilfreiche Informationen geben und ihnen Zuversicht in das eigene
Handeln vermitteln.
Über „heikle“ Themen sprechen
Sie können wirksame Multiplikator*innen sein, die
eine gute Verbindung zur Zielgruppe bzw. in die Community haben und auf ein bestimmtes Angebot oder
Projekt aufmerksam machen. Häufig eröffnet aber
auch schon ein mündlicher Erfahrungsaustausch unter
Frauen, die einerseits bereits an einem Angebot teilgenommen haben und anderseits interessiert sind, eine
Möglichkeit, ein Angebot oder Projekt bekannt(er) zu
machen und neue Teilnehmer*innen zu akquirieren.
Darüber hinaus können auch vertraute Bezugspersonen, wie bspw. Angehörige oder teilweise auch Ehrenamtliche wichtige Multiplikator*innen sein, indem
sie Informationen über Hilfsstrukturen an geflüchtete
Frauen weitergeben.
Die Frage nach dem Zugang kann auch die Beziehungs- und Gesprächsebene berühren. Praxiserfahrungen zufolge ist es nicht immer leicht, ein vertrautes Setting herzustellen, v.a. dann, wenn es um
„heiklere“ Themen wie etwa Verhütung, sexuelle Gesundheit oder FGM*FGC (englisch für female genital
mutilation und female genital cutting) geht. Dabei ist
wichtig zu betonen, dass das Sprechen über schambesetzte Themen für viele Frauen, ganz unabhängig davon, ob sie geflüchtet sind oder nicht, häufig
schwierig ist. An erster Stelle sollte daher der Bedarf
der Ratsuchenden stehen, über ein solches Thema
überhaupt sprechen zu wollen. Gleichwohl kann ein
Gespräch auch offen initiiert werden, bspw. durch die
Frage „Wie geht es Ihnen?“. In jedem Fall braucht es
einen geschützten Rahmen, Vertrauen und für einige
die Sicherheit einer anonymen Beratung. Manchmal
können auch allgemeinere Themen wie Gesundheit
oder Elternschaft einen Zugang zu anderen Themen
eröffnen. Andererseits gibt es auch die Erfahrung,
dass bspw. Frauen, die von FGM*FGC betroffen sind,
es erleichternd finden, direkt auf ihr Thema angesprochen zu werden, weil sie dadurch eine erleichternde
Safe spaces
Die Umsetzung eines Angebotes in einem geschützten Raum, der nur für Frauen und/ oder LSBTIQ* geöffnet ist, kann für einige von ihnen entscheidend für ihre
Teilnahme sein (siehe weitere Ausführungen unter b)
Rahmenbedingungen gestalten.)
54
d) Kontinuität der Teilnahme erhalten:
Zum Umgang mit unregelmäßigen
Teilnehmenden
Normalisierung spüren und sich ggf. auch mit anderen Betroffenen austauschen können. Wichtig ist und
bleibt ein sensibler Umgang der Berater*innen.
Darüber hinaus ist es besonders wichtig, dass den
Ratsuchenden mit Respekt und einer unvoreingenommenen Haltung begegnet wird. Sie sind die
Expert*innen in eigener Sache, ihre Ansichten und
Wünsche, aber auch ihre Grenzen sollten im Mittelpunkt stehen. Zudem ist eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Motivation und
Zielstellung der Beratung wichtig: Um welche Art von
Unterstützung geht es hier? Inwiefern liegt der Beratung möglicherweise ein emanzipatorischer Aufklärungsbedarf zugrunde? Auch wenn es „gut“ gemeint
ist, stereotype Zuschreibungen und Bilder im Kopf
können die Begegnung und das Gespräch maßgeblich beeinflussen. Wichtig bleibt, sich den möglichen
Unterschieden in der Sozialisation, den Lebenserfahrungen und vielleicht auch der Generationenfrage
bewusst zu sein. Beratung sollte unabhängig und ergebnisoffen sein. Gespräche sollten „auf Augenhöhe“
und nicht belehrend sein; sie sollten den Ratsuchenden das Gefühl geben, auch bei unterschiedlichen
Ansichten wieder kommen zu können. Schließlich
kann es nicht mehr als um die Öffnung eines Zugangs
zu weiteren Informationen gehen, um das Aufzeigen
von Angeboten und das Schaffen von Räumen für einen Austausch.
„Die Frauen kommen nicht, sie sind nicht an dem Angebot interessiert“ oder „Die Frauen kommen nicht
regelmäßig, die Fluktuation ist so hoch und ermöglicht keinen kontinuierlichen Ablauf des Projekts“ - eine
mangelnde Kontinuität bei der Teilnahme oder eine
wechselnd niedrige oder hohe Teilnehmendenzahl
kann für Projektverantwortliche eine große Herausforderung darstellen und mitunter frustrierend sein. Bei
festen und regelmäßig stattfindenden Angeboten kann
eine unregelmäßige oder wechselnde Teilnahme z.B.
dem Entstehen eines vertrauensvollen Gruppengefühls
im Wege stehen. Doch es gibt vielerlei Gründe, weshalb
ein Angebot nicht wahrgenommen wird bzw. werden
kann. Wichtig dabei ist, sich bewusst zu machen, dass
niemand sich zu irgendetwas verpflichtet fühlen sollte
und die Teilnahme der Frauen auf Freiwilligkeit beruht.
Bevor also vorschnell ein Urteil gefällt wird, kann es
sinnvoll sein, erst einmal mögliche Ursachen für eine
ausbleibende Teilnahme zu ergründen:
•
In einem ersten Schritt ist es zunächst hilfreich,
den Blick kritisch auf sich zu richten. Was könnten
die Ursachen sein? Wurde die Zielgruppe vorab
mit einbezogen und sind ihre Bedarfe bekannt?
Bzw. trifft unser Angebot tatsächlich den Bedarf?
Stimmen die organisatorischen Rahmenbedingungen? Ist die Art der Ansprache die passende?
Wie verhalte ich mich eigentlich selbst als Teilnehmer*in von Angeboten oder Projekten? Zu welchen Zeiten oder Phasen in meinem Leben kann
ich mich komplett und zuverlässig darauf einlassen, in welchen Situationen ist dies vielleicht auch
mal nicht der Fall?
•
Fehlende kontinuierliche Ansprechpartner*innen
und fehlende feste räumliche Gegebenheiten: bei
mobilen Angeboten kann die kontinuierliche Teilnahme erfahrungsgemäß eine Herausforderung
sein.
•
Insbesondere bei Angeboten in der Erstaufnahme
kann es zu Diskontinuitäten und hohen Fluktuati-
Für offene Formate wie bspw. Frauen- oder Eltern-Kind-Cafés kann es auch hilfreich sein, externe
Berater*innen einzuladen. So können interessierte
Frauen in einer ungezwungenen Atmosphäre bspw.
mit einer Hebamme oder mit einer Mitarbeiterin einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle über
ihre Fragen sprechen.
Sofern die Beratung nicht muttersprachlich durchgeführt werden kann, ist auch hier wichtig, entsprechend geschulte Sprachmittler*innen zu engagieren.
Insbesondere bei schambesetzten Themen ist eine
pragmatische (fachliche) Sensibilität und Unvoreingenommenheit auch bei ihnen unabdingbar. Manchmal kommt es auf die kleinste Konnotation an, die ein
Gespräch ggf. sogar moralisch aufladen und beeinflussen kann (siehe auch Praxisansatz von pro familia
Hamburg in Kapitel III).
55
onen kommen, etwa dann, wenn ein Übergang in
eine Gemeinschaftsunterkunft bzw. in eine Wohnung und damit häufig auch ein Übergang in eine
andere Kommune stattfinden.
•
die Frauen erreichbar ist bzw. Frauen für Angebote schwerer zu erreichen sind. In vielen Erstaufnahme- und AnKER-Einrichtungen bleiben
geflüchtete Frauen je nach Herkunftsland und
Bleibeperspektive oftmals nur über einen kurzen
Zeitraum, bevor sie in eine andere Unterkunft
verwiesen werden.
Angebote, die von sich aus einen offenen und unverbindlichen Charakter haben, wie bspw. Frauencafés, führen nicht selbstverständlich zu einer
festen kontinuierlichen Teilnahme.
•
Der Alltag geflüchteter Frauen ist häufig geprägt
von Zukunftsängsten und Unruhe (z.B. in der Unterkunft, die nicht selten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt) und kann eine Projektteilnahme schnell in den Hintergrund rücken lassen.
Vielleicht stehen aber auch Verarbeitungsprozesse
traumatischer Erlebnisse im Mittelpunkt, sodass
kaum Energie für Angebote oder Projekte vorhanden ist.
•
Persönliche Termine, wie bspw. die Teilnahme an
Deutsch- und Integrationskursen, Schule, Praktikum, Ausbildung, Hochschule sowie Termine bei
Ärzt*innen oder dem Sozialamt haben verständlicherweise Priorität. Auch bestimmte Feiertage wie
bspw. Ramadan sind zwar nicht für alle ein Abwesenheitsgrund, sollten von den Projektverantwortlichen jedoch immer mitgedacht werden.
•
Zudem haben einige Frauen (mehrere) Kinder, deren Betreuung und Versorgung ggf. allein ihnen
obliegt. Eine fehlende Kinderbetreuung oder die
Erkrankung eines Kindes kann eine Teilnahme verhindern.
•
Individuelle Veränderungen bzgl. des Aufenthaltes
in Deutschland können neue Engpässe in den zeitlichen Ressourcen mitbringen, bspw. dann, wenn
eine Ausbildung oder ein neuer Job aufgenommen wurde.
•
Aber auch externe strukturelle Gegebenheiten
können ein Hinderungsgrund sein. Vielerorts
schließen Unterkünfte wegen rückläufiger Belegungszahlen oder Geflüchtete werden aus
anderen Gründen in andere Unterkünfte bzw.
Landkreise umverteilt. Dies kann zur Folge haben, dass ein Angebot nicht mehr so gut für
In jedem Fall empfiehlt sich jedoch die direkte Kontaktaufnahme: Persönliche Gespräche mit den teilnehmende Frauen könnten eine Möglichkeit bieten, mehr
über individuelle Wünsche zu erfahren und Probleme
zu identifizieren, die ihnen eine regelmäßige Teilnahme erschweren. Und noch wichtiger scheint die Haltung zu sein, dass sich Frauen im Sinne der Selbstwirksamkeit nicht zu einer Teilnahme verpflichtet fühlen
sollten, sondern eher zu einer Selbstgestaltung des
Alltags ermuntert werden.
In der Projektpraxis haben sich daraus folgende Erfahrungswerte ergeben, die einen Umgang mit einer unregelmäßigen bzw. ausbleibenden Teilnahme ermöglichen:
56
•
Offene Formate, wie bspw. Frauencafés, müssen
nicht per se eine unverbindliche Teilnahme mit
sich bringen. In Erstaufnahmeeinrichtungen können sie vor allem wegen der hohen Fluktuation
eine passende flexible Antwort sein. Wichtig ist
vielmehr, sich im Vorfeld Gedanken zu der Gestaltung und den Zielen zu machen und auch die Teilnehmer*innen mit einzubeziehen: Was braucht
es, damit sich alle wohlfühlen können? Welche
Art von Austausch ist gewünscht? Gibt es Bedarf
nach einer beratenden Begleitung oder einem
konkreten wechselnden Thema, das gemeinsam
besprochen wird? Und wie können sich Teilnehmende aktiv und gestaltend mit einbringen? Ein
Versuch kann es dabei auch sein, das Angebot mit
einem offenen Start zu beginnen. Unerlässlich ist
jedoch mindestens eine Person, die sich für die
Gestaltung des Raumes und des Zusammenkommens verantwortlich zeigt.
•
Es empfiehlt sich, bereits im Vorfeld Konzepte zu
entwickeln, die einen etwaigen Übergang von
der Erstaufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft oder Wohnung gut begleiten und geflüch-
tete Frauen mit weiterem Unterstützungsbedarf
in lokale Regelangebote vermitteln. Auch Buddy-Systeme oder Pat*innenschaften können hier
eine zuverlässige Anbindung gewährleisten,
indem sich z.B. immer zwei bis drei Teilnehmende
füreinander verantwortlich fühlen und sich
bei etwaigen Veränderungen gegenseitig
informieren.
•
Terminvereinbarungen treffen: In Absprache mit
den interessierten Frauen kann ein fester Termin
für weitere bzw. regelmäßige Treffen festgelegt
werden. Die Treffen und gemeinsamen Aktionen
richten sich somit nach den Bedürfnissen und
Ressourcen der Teilnehmer*innen. Grundsätzlich empfiehlt es sich, unterschiedliche Projektformate auszuprobieren, sowohl kurze als auch
langfristige, auf Dauer angelegte Projekte umzusetzen. Je nach übergreifenden Zielen können
Projekte von kürzerer Dauer auch punktuell stärkend wirken und Orientierung im nahen Umfeld
bieten, während fortdauernde Projekte, in denen
Frauen Kontinuität erleben, tiefergehendes Vertrauen aufbauen und längerfristige Perspektiven
entwickeln können.
•
Das Projekt an Termine und Zeiten anpassen: Der
Spannungsbogen in einem Jahr verläuft zyklisch
häufig auch entlang der Ferien und Stresszeiten
in der Schule. Demnach kann es sinnvoll sein, Projekte anzubieten, die zum Teil in den Ferien stattfinden und andere Projekte, die zu bestimmten, „ruhigeren“ Zeiten in der Schulzeit stattfinden. Zudem
kann überlegt werden, ob ggf. während der Feiertage weniger bzw. keine Termine stattfinden.
•
Konkrete und persönliche Einladungen werden
häufig gut angenommen und gelingen, wenn es
bereits ein gewisses Vertrauen zwischen den interessierten Frauen und den Projektverantwortlichen gibt. Für einige Frauen braucht es mehr Zeit,
um eventuelle Unsicherheiten, Hemmschwellen
oder Skepsis abzubauen. Ggf. können hier auch
ein persönliches Abholen und auch ein Zurückbringen hilfreich sein, sofern sie das möchten und
dies von den Projektverantwortlichen umzusetzen
ist.
•
Erinnerung an Termine: Interessierte Frauen
können ggf. über einen Social-Media-Kanal
(Chat-Gruppe o.ä.), telefonisch oder über andere
Teilnehmende an einen Termin erinnert werden.
•
Kontakt zur Community: Es kann mitunter sehr
hilfreich sein, den Kontakt zu anderen Teilnehmer*innen aufzubauen und ggf. nach ehemaligen
Teilnehmer*innen zu fragen, denn häufig gibt es
eine gute Vernetzung in einer Community. Dies
kann insbesondere auch dann nützlich sein, wenn
aufgrund einer Verlegung oder eines Umzuges in
eine andere Kommune der Kontakt abgebrochen
ist, der Bedarf nach weiterer Unterstützung aber
noch gegeben ist.
Insgesamt ist eine gewisse Flexibilität erforderlich, v.a.
bei Angeboten in Erstaufnahmeeinrichtungen, die mit
einer relativ hohen Fluktuation rechnen müssen. Teilweise macht dies sogar eine stets neue Akquise von
Teilnehmer*innen erforderlich. Zudem kann es auch
sinnvoll sein, den Kontakt zu den kommunalen Strukturen wie z.B. den Integrationsmanager*innen oder
den MBE-Stellen (Migrationsberatung für erwachsene
Zuwanderer) zu intensivieren.
Umgekehrt kann sich auch die Herausforderung ergeben, dass die Zahl interessierter Frauen so hoch wird,
dass die Infrastruktur des Projektes die Durchführung
nicht mehr gewährleisten kann. Je nach gegebenen
finanziellen und personellen Rahmen kann hier ggf.
versucht werden, ein zusätzliches Parallelangebot zu
installieren.
57
e) Zur Arbeit mit traumatisierten und
von Gewalt betroffenen geflüchteten
Frauen
Weiterführende Literaturhinweise:
W
ie erkenne ich Traumasymptome? Gehört
das überhaupt in meinen Aufgabenbereich
und entspricht meiner Kompetenz? Darf
über das Trauma gesprochen werden? Besteht die Gefahr einer Retraumatisierung?
Auf diese Fragen und mehr wird im Praxisleitfaden „Traumasensibler und empowernder
Umgang mit Geflüchteten“ von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer
Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.
(BAfF) eingegangen. Er umfasst Informationen und Handlungsvorschläge zu den
Bereichen Trauma und Flucht, strukturelle
Bedingungen der Psychotherapie mit Geflüchteten, Umgang mit Traumasymptomen
und Stabilisierung in Belastungssituationen,
Selbstreflexion bezüglich der eigenen Position und Arbeit, Vorgehen bei Gewaltvorfällen,
Krisen und Suizidalität, sowie Selbstfürsorge:
http://www.baff-zentren.org/news/praxisleitfaden-traumasensibler-und-empowernder-umgang-mit-gefluechteten/
E
ine traumasensible Herangehensweise ist in
der Arbeit mit geflüchteten Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, wichtig. Medica
mondiale (2015) möchte mit ihren „Elf Tipps
für die Arbeit mit geflüchteten Menschen“,
die auch im Umgang mit geflohenen Männern gelten, unterstützen und dazu beitragen, dass Stärken und Grenzen – auf beiden
Seiten – erkannt und gewahrt werden:
https://www.medicamondiale.org/fileadmin/redaktion/5_Ser vice/Mediathek/
Dokumente/Deutsch/Flyer_Infoblaetter/
Tipps_fuer_Arbeit_mit_Fluechtlingen_Grafik_medica_mondiale.pdf
Projektverantwortliche können im Rahmen ihrer Arbeit mit geflüchteten Frauen mit Themen wie Gewalt
und Traumatisierung konfrontiert werden. Insbesondere in der Projektarbeit, die nicht vordergründig auf
die Bearbeitung von Gewalterlebnissen und Traumatisierungen abzielt, ergeben sich somit häufig große
Unsicherheiten und Fragen bzgl. eines geschlechtsund traumasensiblen Umgangs der Projektverantwortlichen mit den Betroffenen.
Für die Umsetzung von Angeboten bedeutet dies, dass
hier keine unmittelbare Konfrontation mit traumatisierenden Erlebnissen provoziert werden sollte, sondern vielmehr die emotionale Stabilisierung und die
Stärkung des Selbstwertgefühls in den Fokus gerückt
werden. Grundlegend sollte eine Haltung und Praxis
sein, die die betroffenen Frauen als Expert*innen ihrer selbst versteht und ihre Perspektiven in den Mittelpunkt stellt. Um einer sekundären Traumatisierung
in der Arbeit mit geflüchteten Frauen entgegen zu
wirken und eigene Handlungskompetenzen zu stärken, seien dringend Fortbildungen für Fachkräfte und
ehrenamtlich Engagierte von spezifischen Fachstellen
empfohlen (siehe auch Projektansatz von Wildwasser
Oldenburg e.V. im Kapitel III).
Die Arbeit mit gewaltbetroffenen und traumatisierten geflüchteten Frauen setzt i.d.R. eine langfristige
bedarfsgerechte, vertrauensvolle und intensive Unterstützung voraus. Dabei haben sich u.a. folgende Aspekte für essentiell erwiesen, die für die eigene Arbeit
berücksichtigt werden sollten:
Vertrauen aufbauen und Sicherheit
gewährleisten
brauchen einen geschützten Rahmen, in dem sie über
ihr Erlebtes sprechen können, alleine oder in einer
vertrauensvollen Gruppe. Es hat sich gezeigt, dass es
häufig eine lange Vorlaufzeit und eine kontinuierliche
Begleitung braucht, um Vertrauen zu den Projektverantwortlichen, den Berater*innen und auch Sprachmittler*innen zu schaffen. In der Zusammenarbeit
Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung und
die Gewährleistung von Sicherheit sind zentrale Voraussetzungen für eine nachhaltig erfolgreiche Stabilisierung geflüchteter Frauen mit Gewalterfahrungen
durch Angebote der Beratung und Begleitung. Frauen
58
Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen
mit Betroffenen von sexualisierter Gewalterfahrung
sollten ausschließlich Frauen als Leitungen oder Mitarbeitende eingesetzt werden.
Stabilisierende und stärkende Prozesse knüpfen häufig an den eigenen Ressourcen an. Gerade in Situationen der Ohnmacht oder Hilflosigkeit können das
Vertrauen auf sich selbst sowie der Austausch mit anderen und das Erleben von eigener Handlungsstärke
helfen, neue Kräfte zu sammeln. Durch niedrigschwellige Angebote in einem geschützten Rahmen sind zunehmendes Zutrauen zu sich selbst und Erfolgserlebnisse möglich. Diese geben Sicherheit und erhöhen
die Chance, Trauma zu bewältigen. Nach der Trennung
einer Gewaltbeziehung sind Frauen häufig plötzlich
auf sich allein gestellt oder auch alleinerziehend. In
dieser schwierigen und neuen Lebensphase sind sie
in besonderem Maße auf Unterstützung angewiesen.
Die Förderung der Eigenständigkeit von geflüchteten
Frauen (u.a. durch Sprache, gesellschaftliche Partizipation, Ausbildung, Arbeit sowie Aufbau eines sozialen
Netzes) ist somit zentral, da Gewalterfahrungen vor,
während oder nach der Flucht sowie eine Trennung
bei häuslicher Gewalt meist als ein Bruch in der Familie und Biografie mit teilweise großen sozialen Folgen
erlebt wird. Gerade nach einer Fluchterfahrung, die oft
mit dem Wegfall großer Teile des sozialen Netzes und
Verunsicherungen durch die Neuorientierung in einer
zunächst ungewohnten Umgebung verbunden ist,
kann ein zusätzlicher familiärer Bruch eine besondere
Belastung darstellen. Niedrigschwellige Angebote der
emotionalen Stabilisierung, Stärkung des Selbstwertgefühls, des Selbstbewusstseins und des Empowerments sowie das Bewusstmachen der eigenen Kompetenzen und Stärken fördern die Eigenständigkeit
und können beim Aufbau eines neuen sozialen Netzes
unterstützen.
Stabilisierung als Stärkung
Viele kleine Schritte können große Schritte aus einer
anderen Perspektive bedeuten. Alles, was stärkt, kann
auch stabilisieren und umgekehrt: alles, was stabilisiert, kann stärken. Stabilisierung ist eine zentrale Voraussetzung, um die eigenen Themen überhaupt erst
bearbeitbar zu machen und schließlich empowernde
Prozesse beginnen zu können (siehe auch Projektansatz von Frauenhilfe München im Kapitel III).
Kontinuität und Verlässlichkeit gewährleisten
Eine vertrauensvolle Beziehungsarbeit braucht neben Zeit und Geduld auch Kontinuität. Insbesondere
für gewaltbetroffene Frauen, die eine Trennung von
der gewaltausübenden Person (noch) nicht beabsichtigen, sind kontinuierliche und verlässliche Hilfsstrukturen enorm wichtig. Zudem braucht es feste
Bezugspersonen und Transparenz. Die Erfahrungen
aus der Praxis zeigen, dass der Weg aus einer Gewaltbeziehung heraus häufig ein langjähriger, auch durch
Rückschläge geprägter Prozess ist. Betroffene brauchen in dieser Lebensphase besonders intensive und
stabilisierende Unterstützung. Dabei kann es hilfreich
sein, den Raum bzw. Ort nicht zu wechseln, einen
möglichst gleichen Ablauf des Angebotes durchzuführen und wiederkehrende Elemente zu etablieren.
Der Wechsel einer Sprachmittlerin kann somit unter Umständen zu einer herausfordernden Situation führen, da auch diese ein enormes Vertrauen der
begleiteten Frauen brauchen und neue Sprachmittler*innen erneut mit höchster Sensibilität eingesetzt
werden sollten. Es braucht klare und feste Ansprechpartner*innen sowie eine Kontaktmöglichkeit. Dabei
sollte auch ein zeitlicher Rahmen, in welchem sich
Betroffene an die jeweilige Person wenden können,
transparent gemacht werden. Zudem ist es wichtig,
dass zu Beginn der Rahmen des Angebotes und der
möglichen Unterstützung klar kommuniziert werden,
damit sich Betroffene auf diesen einstellen können
und wissen, was sie erwartet.
Darüber hinaus kann auch der Aufbau von Selbsthilfestrukturen unterstützend sein. So z.B. die fachlich
begleitende und finanzielle Unterstützung bzw. Kooperation mit einer Gruppe von Geflüchteten, die ihre
Community-Struktur stärken und damit einen Schutzraum für geflüchtete Frauen schaffen möchte.
Austausch ermöglichen
Ein Austausch unter Frauen, die Ähnliches erlebt und
Erfahrungen mit Gewalt gemacht haben, kann sehr
59
Kunst und kreative Angebote als Ausdrucksmittel
stärkend sein und eine wichtige soziale und emotionale Unterstützung bieten. Dies ist insbesondere dann
wichtig, wenn eine Frau mit Loyalitätskonflikten zu
kämpfen hat und im Trennungsprozess keinen Rückhalt von der Familie oder der eigenen Community
erhält. In einem geschützten Rahmen können persönliche Empfehlungen für Beratungsstellen gegeben
oder aber auch eigene Bewältigungsstrategien geteilt werden, die im Entscheidungs- oder Trennungsprozess Rückhalt geben. Ein Austausch ermöglicht
es aber auch, andere Perspektiven zu hören und die
eigene Selbstreflektion anzuregen. Es können auch
selbstorganisierte Geflüchteten- oder Migrant*innengruppen eingeladen werden, die über ihre Arbeit
und ihre Erfahrungen berichten. In jedem Fall können
Peer-to-per-Formate einen wichtigen Beitrag zu einer
psychosozialen Stabilisierung und Stärkung der Widerstandskräfte betroffener Frauen bieten.
Eine Möglichkeit für Frauen, sich ganz unabhängig
von verschiedenen Sprachniveaus mit ihren eigenen
Erfahrungen und Emotionen zu befassen, sind kreative und künstlerische Angebote. Durch den Einsatz
verschiedener handwerklicher Techniken und über
ihre künstlerischen Werke können sich Interessierte so
ausdrücken und ihre Emotionen aufarbeiten. Wichtig
hierbei sind eine kunstpädagogische Begleitung und
ein vertrauensvolles Setting (siehe auch Projektansatz
von Arbeit und Bildung e.V. im Kapitel III).
Kollegiale Fallberatung und Supervision
Auch diejenigen, die mit betroffenen Menschen arbeiten, sollten nicht aus dem Fokus geraten. Die Dynamiken von Traumaerfahrungen sind häufig komplex,
persönliche Geschichten können berühren, emotionale Ausbrüche aufwühlen. Zudem können Gefühle
der Ohnmacht und der eigenen Verletzlichkeit einen
weiteren Austausch mit geflüchteten Frauen und ein
professionelles Arbeiten verhindern. Dieser Gefahr
einer „sekundären Traumatisierung“ kann entgegengewirkt werden. Im Kontakt mit gewaltbetroffenen
traumatisierten Frauen braucht es daher immer auf
beiden Seiten verlässliche Rahmenbedingungen und
Auffangstrukturen.
Die Arbeit als Prozess verstehen
Die größte Herausforderung bei Gewaltbetroffenheit
ist die Öffnung der Frauen und die eigene Überzeugung und Bereitschaft, sich ggf. aus der Community,
der Familie bzw. vom Partner zu „lösen“. Häufig sind
es Kollektivschuldgefühle und Loyalitätskonflikte, die
einen solchen Ablösungsprozess verlängern können.
Teilweise ist der Partner, der Gewalt ausübt, die einzige
Person, die vertraut ist. Hinzu können Ängste vor dem
Alleinsein, vor Abschiebung usw. den Entscheidungsprozess beeinflussen. Für die Beratungsarbeit bedeutet dies viel Geduld, Verständnis und Zeit mitzubringen und die Arbeit prozesshaft zu verstehen. Wichtig
ist, dass Frauen auch nach „anderer“ Entscheidung
wieder „zurückkommen“ können zur Beratung, dass
diese also immer parteilich, nicht belehrend und somit
auch ergebnisoffen bleibt.
Um den Umgang mit den Themen Gewalt und Trauma
sensibel zu gestalten und zu stärken, ist es wichtig,
das eigene Team durch Fortbildungen, Zeit für gemeinsame Reflexion und kollegiale Unterstützung zu
stärken. Es braucht sowohl Wissen um Ausprägungen
und Folgen von Trauma als auch die Kenntnis von
Strategien für die eigene körperliche und psychische
Stabilisierung. Aber auch das Wissen um die eigenen
Grenzen ist hierfür bedeutend. Im Rahmen einer kollegialen Fallbearbeitung können z.B. Erfahrungen und
Fälle plus ggf. der Unterstützung einer erfahrenen Psychotherapeut*in gemeinsam praxisnah besprochen
und mögliche Lösungsansätze für das weitere Vorgehen erarbeitet werden (siehe auch Praxisansatz von
Wildwasser Oldenburg e.V. im Kapitel III).
60
f ) Zur Frage der Einbindung von
geflüchteten Männern
nach mehreren Beratungsgesprächen empfiehlt es sich
immer wieder mit den Frauen rückzukoppeln, ob eine
weitere Teilnahme des Mannes in Ordnung ist.
Zuallererst: Es geht nicht darum, Angebote für geflüchtete Frauen zu ersetzen, sondern sie sinnvoll zu
ergänzen. Geflüchtete Frauen und andere besonders
schutzbedürftige Personen brauchen geschützte
Räume – ohne Anwesenheit von geflüchteten Männern. Denn eigene Schutzräume können eine sichere,
vertrauensvolle Atmosphäre und einen Austausch ermöglichen (insbesondere für die Themen Gewalterfahrungen, Frauenrechte oder sexuelle und reproduktive
Gesundheit), Begegnungen auf Augenhöhe schaffen
und stabilisierende und empowernde Prozesse stärken. Gleichzeitig ist Gewalt ein strukturelles Problem
und muss alle Menschen adressieren. Gewaltpräventionsarbeit muss daher auch die Einbindung von Männern mitdenken.
Gemeinsame Formate können auch im Rahmen gendersensibler pädagogischer Workshops einen Austausch zwischen allen Beteiligten schaffen. So können
bspw. durch die gemeinsame Beschäftigung mit Medien, Kunst und Kultur bestimmte Themen angesprochen und eine Auseinandersetzung mit gewohnten
Denk- und Verhaltensmuster angeregt werden.
Daneben empfiehlt sich, verstärkt und explizit Angebote für geflüchtete Männer zu schaffen, in denen
sie sich kritisch mit Männlichkeiten, patriarchalen
Strukturen, Geschlechterrollen, Gewalt sowie Frauenrechten auseinandersetzen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass insbesondere muttersprachliche und
niedrigschwellige Angebote wie Sprachcafés, Sportund Musikangebote oder Väterabende in einem Peerto-Peer-Format, also von und für geflüchtete Jungen
und Männer, gut angenommen werden. Multiplikator*innen bzw. andere Männer mit Vorbildfunktion
können hier einen Zugang zu weiteren männlichen
Geflüchteten schaffen. Darüber hinaus empfiehlt sich
der Aufbau einer guten Vernetzung zu Sozialarbeiter*innen in Unterkünften sowie Beratungsstellen und
Sportvereinen.
Gewaltprävention unter Einbeziehung geflüchteter
Männer findet innerhalb eines sehr komplexen Spannungsfeldes statt. Es braucht ein Verständnis von Gewalt, in in dem diese weder relativiert, noch zur Stigmatisierung verwendet wird. Denn häufig wird Gewalt
in diesem Kontext kulturalisiert, d.h. sogenannte kulturelle Unterschiede bzw. die „Herkunftskultur“ werden
zur Erklärung der Gewalt herangezogen. Wichtig sind
aber v.a. auch die patriarchalen Strukturen sowie die
Folgen für Menschen mit Fluchterfahrung, die durch
einhergehende Belastungen gewaltfördernde Effekte
haben können.
Abhängig von den individuellen Hintergründen und
Zielen können gemeinsame Formate für Frauen und
Männer gleichwohl durchaus wirksam sein, bspw. dann,
wenn sie als Familie (mit Kindern) oder zu weniger verfänglichen Themen wie allgemeine Gesundheitsthemen
oder die Beratung zum Arbeitsmarktzugang angesprochen werden. Teilweise können auch gemeinsame Gespräche bei schwierigeren Themen wie Erziehung, präventiver Paarberatung oder Familienbegleitung nach
längeren Trennungszeiten (insbesondere bei Familiennachzug) konstruktiv sein. Bei „heikleren“ Themen sollte
grundsätzlich die Bereitschaft der Frauen entscheidend
sein, ob und in welcher Weise geflüchtete Männer in einen Beratungsprozess einbezogen werden. Sofern gewünscht, kann auch hier die Einbindung geflüchteter
Männer in der Rolle der Partner sinnvoll sein. Aber auch
61
5. W
eiterführende Literaturhinweise und Praxistipps
für die Arbeit mit geflüchteten Frauen und anderen
besonders schutzbedürftigen Personen
Die folgende Übersicht bündelt weiterführende praktische Tipps für Fachkräfte und ehrenamtlich Engagierte, Informationsmaterial, das sich direkt an Geflüchtete richtet und in mehreren Sprachen verfügbar ist sowie Hinweise
auf Fachinformationen, Studien, Berichte und Webseiten.
a) Praxistipps für Fachkräfte und
ehrenamtlich Engagierte
P
erspektivwechsel
Partizipation
Empowerment. Ein Blick
auf Realitäten und Strukturen in der Arbeit mit
geflüchteten Frauen
Herausgegeben von: Der Paritätische Gesamtverband (2016)
in der Arbeit mit geflüchteten
Frauen
Herausgegeben von: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (2018)
Die Broschüre fasst die Ergebnisse und Impulse
aus den Vorträgen, Workshops und Diskussionen
der Teilnehmenden des Fachtages „Partizipation in der Empowermentarbeit mit geflüchteten
Frauen“ am 18. Oktober 2018 zusammen. Sie
möchte Impulse zur Stärkung der Partizipation
für die Empowermentarbeit mit geflüchteten
Frauen und anderen schutzbedürftigen Personen geben.
https://www.der-paritaetische.de/publikation/partizipation-in-der-arbeit-mit-gefluechteten-frauen/
Die Publikation wagt einen Perspektivwechsel:
Was genau bedeutet eigentlich Empowerment?
Wie ist Empowerment im Kontext der Arbeit mit
geflüchteten Frauen einzuordnen? Wer empowert wen? Und ist überall, wo Empowerment
drauf steht, auch Empowerment drin – und
umgekehrt? Die Broschüre enthält Praxiserfahrungen von Projektträgern, Berichte und Statements und stellt ganz bewusst verschiedene
Perspektiven auf das Thema Empowerment dar.
Sie richtet sich an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und Aktive von Organisationen,
Vereinen und Initiativen, die mit geflüchteten
Frauen arbeiten sowie an weitere Interessierte, die sich kritisch mit Ansätzen des Empowerments beschäftigen möchten.
https://w w w.der-paritaetische.de/pub likationen/migration-und-flucht/perspektivwechsel-empowerment-ein-blick-auf-realitaeten-und-strukturen-in-der-arbeit-mit-gefluechtete/
Handreichung
für die Betreuung und Unterstützung von LSBTTIQ*-Flüchtlingen
Herausgegeben von: Arbeiter-Samariter-Bund,
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland
und Paritätischer Gesamtverband e.V. (2017)
Die bundesweite Ausgabe gibt eine Einführung in asylrechtliche Grundlagen und wichtige Handlungsempfehlungen für die Arbeit mit
LSBTI*-Geflüchteten. Sie enthält darüber hinaus
eine bundesweite Übersicht zu spezifischen Beratungsstellen in Deutschland.
https://www.der-paritaetische.de/publikation/
migration-und-flucht/aktualisierte-handreichung-fuer-die-betreuung-und-unterstuetzung-von-lsbtti-fluechtlingen/
62
Wir wollen Sicherheit – Anregungen für eine
Traumasensibler
und empowernder Umgang
mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden
Herausgegeben von: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF) (2017)
gender- und fluchtsensible Praxis im Umgang
mit geflüchteten Frauen*
Herausgegeben
von:
Forschungsprojekt
„Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken” Universität Göttingen, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.,
bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen
und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e. V.
(2019).
Bei vielen Fachkräften und ehrenamtlich Engagierten bestehen Fragen und Unsicherheiten
bezüglich des Umgangs mit traumatisierten Geflüchteten. Wie erkenne ich Traumasymptome?
Gehört das überhaupt in meinen Aufgabenbereich und entspricht meiner Kompetenz? Darf
über das Trauma gesprochen werden? Besteht
die Gefahr einer Retraumatisierung? Auf diese Fragen und mehr wird im Praxisleitfaden
eingegangen. Er umfasst Informationen und
Handlungsvorschläge zu den Bereichen Trauma
und Flucht, strukturelle Bedingungen der Psychotherapie mit Geflüchteten, Umgang mit
Traumasymptomen und Stabilisierung in Belastungssituationen, Selbstreflexion bezüglich
der eigenen Position und Arbeit, Vorgehen bei
Gewaltvorfällen, Krisen und Suizidalität, sowie
Selbstfürsorge.
http://www.baff-zentren.org/news/praxisleitfaden-traumasensibler-und-empowernder-umgang-mit-gefluechteten/
Die Broschüre vereint verschiedene Perspektiven,
um über Schutz und Sicherheit für geflüchtete
Frauen* nachzudenken: Die Themen behandeln
Bereiche wie sexualisierte Gewalt, Bleibeperspektiven, Empowerment und Selbstorganisation, Unterbringung, Arbeitsmarktzugang, Unterstützungsstrukturen und Informationslücken.
Neben den geflüchteten Frauen*, die hier als
Expert*innen für ihre eigene Situation sprechen,
kommen in der Broschüre auch Akteur*innen
aus der flüchtlings- und frauenpolitischen Arbeit,
aus Menschen- und Frauenrechtsorganisationen
sowie Wissenschaftler*innen aus der kritischen
Flucht_Migrationsforschung zu Wort.
https://www.nds-fluerat.org/40733/
aktuelles/broschuere-wir-wollen-sicherheit-gender-und-fluchtsensible-praxis-im-umgang-mit-gefluechteten-frauen/
Kostenloses
E-Learning: Traumasensible Unterstützung für geflüchtete Kinder und Jugendliche
Expertise
„FEMPOWERMENT – Geflüchtete
Frauen in Deutschland stärken“
Herausgegeben von: PHINEO gAG (2018)
Das kostenfreie E-Learning-Programm wurde
von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft
Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF) gemeinsam mit dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge (BumF) entwickelt. Es richtet sich an
Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte,
die mit geflüchteten, traumatisierten Kindern
und Jugendlichen arbeiten. In den Kursen werden sowohl theoretisches Wissen zu Trauma
und Flucht vermittelt als auch praktisches
Handlungswissen in Alltagssituationen geübt.
Die interaktive Kursdidaktik ist entlang realer
Fluchtgeschichten aufgebaut. Das Material ist
Was bedeutet gutes Ankommen für geflüchtete
Frauen in Deutschland? Und wie lässt sich dieser
Prozess wirkungsorientiert begleiten? Die Expertise erläutert diese Herausforderungen und zeigt
Lösungsansätze und gute Projektansätze auf.
https://www.bmfsfj.de/lob/129754/630babbd1ba33da39f69380f88318f73/phineo-expertise-fempowerment-data.pdf
63
zwar auf den Schulkontext ausgerichtet, viele
Hinweise und das Wissen können aber auch in
andere Arbeitsbereiche übertragen werden.
https://b-umf.de/trauma-sensibel/
Policy
Paper: Flucht & Menschenhandel –
Betroffene erkennen, unterstützen, schützen
Herausgegeben von: Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e. V.
(2017)
Die Publikation zeigt die aktuelle Situation und
Entwicklungen im Bereich Menschenhandel im
Kontext von Flucht in Deutschland auf. Es wird
insbesondere auch den Fragen nach Herkunftsländern und Ausbeutungsort nachgegangen.
Im Weiteren werden erste Erklärungen und
Ursachen aufgezeigt, warum in den Fachberatungsstellen eine Mehrzahl der Klient*innen mit
Fluchthintergrund aus westafrikanischen Ländern stammen und wenig Betroffene aus den
Ländern Syrien, Irak oder Afghanistan Unterstützung suchen. Abschließend werden Handlungsempfehlungen an Bund und Länder sowie das
deutsche Unterstützungssystem für Betroffene
von Menschenhandel aufgestellt.
https://w w w.kok- gegen-menschenhandel.de/flucht-menschenhandel-start/policy-paper-betroffene-erkennen-unterstuetzen-schuetzen/
Frühe Hilfen für geflüchtete Familien. Impulse
für Fachkräfte.
Herausgegeben von: Nationales Zentrum Frühe
Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit
dem Deutschen Jugendinstitut e. V. (DJI) (2018)
Die Publikation bietet Fachkräften Orientierung
und Impulse sowohl für die Arbeit mit Familien mit Fluchterfahrung als auch für die Arbeit
im Netzwerk Frühe Hilfen rund um das Thema
Flucht. Die Autorinnen präsentieren mit der Veröffentlichung erste Ergebnisse eines Diskussionsprozesses, zu dem Expertinnen und Experten
aus dem Arbeitsfeld der Frühen Hilfen und der
Flüchtlingshilfe ihre Erfahrungen beigetragen
haben. So finden Fachkräfte in der Broschüre
Hintergrundinformationen, Praxis- und Methodenbeispiele sowie Anregungen für den kollegialen Austausch und Fragen zur Selbstreflexion.
Die Publikation soll Fachkräfte in einem oft von
Barrieren und Grenzen begleiteten Alltag und in
der Arbeit mit geflüchteten Familien unterstützen.
https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/
user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation-NZFH-Impulse-fuer-Fachkraefte-Fruehe-Hilfen-fuer-gefluechtete-Familien.pdf
Patenschaften
mit geflüchteten Menschen.
Eine Arbeitshilfe für Paten/Patinnen und Begleiter/-innen von Patenschaften
Herausgegeben von: Der Paritätische Gesamtverband und der Paritätische Landesverband
Berlin (2017).
Die Publikation enthält Beiträge zu theoretischen Hintergründen, Praxiserfahrungen von
Begleiter*innen von Patenschaften sowie kritische Impulse und Handlungsempfehlungen für
die eigene Praxis. Sie richtet sich an haupt- und
ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und Aktive von
Organisationen, Vereinen und Initiativen, die Patenschaften mit geflüchteten Menschen vermitteln, koordinieren und begleiten sowie an Patenschaftstandems selbst.
https://www.der-paritaetische.de/publikationen/patenschaften-mit-gefluechteten-menschen/
Handlungsempfehlungen:
Sportangebote für
geflüchtete Frauen* und Mädchen* entwickeln
Herausgegeben von: Fußball und Begegnung
e.V. / DISCOVER FOOTBALL (2017)
Geflüchtete Mädchen und Frauen in Sportangebote einzubeziehen, ist eine ganz besondere Herausforderung. Viele von ihnen sind mit
einer anderen Geschlechterrollenerwartung
aufgewachsen. Oftmals sind sie so eine andere
Körper- und Bewegungskultur gewöhnt. Die for-
mulierten Handlungsempfehlungen dienen als
Anregungen bei der Entwicklung von Sportangeboten für diese Zielgruppe.
http://www.discoverfootball.de/home/buecher-und-veroeffentlichungen/handlungsempfehlungen-spor tangebote -fuer-gefluechtete-maedchen-und-frauen/
oft in Unterstützungsgruppen auftauchen und
geben Anregungen zu möglichen Ansätze zu
deren Überwindung. Abschließend unterstützt
eine ausführliche Reflexions- und Praxishilfe die
Leser*innen aus Unterstützungsgruppen bei der
Analyse und Transformation des eigenen Engagements.
https://www.glokal.org/publikationen/willkommen-ohne-paternalismus/
Soziale
Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften – Professionelle Standards und sozialpolitische Basis
Herausgegeben von: Alice Salomon Hochschule
Berlin (2016)
b) Informationsmaterial für Geflüchtete
Rechte für ALLE Frauen
Das Positionspapier soll eine Grundlage für die
professionelle Selbstverständigung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen bieten, aber auch in der übergreifenden sozialpolitischen Diskussion zum Einsatz kommen. Es
soll Sozialarbeiter*innen ermöglichen, sich in
ihrem Handeln und dessen Begründung auf geteilte berufsethische und fachliche Standards
zu berufen. Ferner soll es dazu beitragen, mehr
Transparenz und Verbindlichkeit hinsichtlich
der Leistungen der Sozialen Arbeit herzustellen
und die erforderlichen Rahmenbedingungen
einzufordern. Schließlich soll das Positionspapier Qualitätsentwicklungsprozesse im Bereich
der Sozialen Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften anregen, um diese noch stärker am Bedarf
der sie Nutzenden, das heißt den Geflüchteten
selbst, zu orientieren.
http://www.fluechtlingssozialarbeit.de/
Herausgegeben von: Suana/ kargah e.V. und der
Paritätische Gesamtverband (2018)
Das mehrsprachige Booklet „Rechte für ALLE
Frauen“ informiert bildhaft über grundlegende
Rechte und möchte somit die Selbstbestimmung von Frauen stärken. Es ist zweisprachig in
mehreren Sprachen verfügbar und eignet sich
somit auch für den Einsatz in Sprach- und Integrationskursen.
https://www.der-paritaetische.de/publikation/
migration-und-flucht/rechte-fuer-alle-frauen/
Meine, Deine, Unsere Rechte. Ein kleiner Leitfaden für Frauen* mit Fluchterfahrung
Herausgegeben von: DaMigra e. V. | MUT-Projekt
(2017)
Der Leitfaden möchte Frauen* mit Fluchterfahrung MUT machen, ihre Rechte in den Bereichen
Arbeit, Bildung, Asyl, Gesundheit, Ehe und Familie sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe einzufordern. Der Leitfaden bietet konkrete
Ansprechpartner*innen, an die sich Frauen* mit
Fluchterfahrung wenden können.
https://www.damigra.de/publikationen/
meine-deine-unsere-rechte/
Willkommen ohne Paternalismus. Hilfe und Solidarität in der Unterstützungsarbeit
Herausgegeben von: glokal e.V. (2017)
In der 80-seitigen Publikation gehen die Autor*innen aus vielfältigen Perspektiven auf die
Phänomene Flucht, Migration, Hilfe und Solidarität ein. glokal e.V. bietet seit Jahren Seminare
zu Rassismuskritik, Diskriminierungssensibilisierung und Empowerment an, auch für Geflüchteten-Unterstützungsgruppen. Aus dieser
Erfahrung heraus sprechen sie Probleme an, die
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Gleichberechtigung
von Menschen unterschiedlichen Geschlechts bzw. verschiedener
sexueller Identität
Herausgegeben von: Arbeiter-Samariter-Bund,
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland
und Paritätischer Gesamtverband e.V. (2019)
wird und wo betroffene Personen Unterstützung
finden können.
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/
SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Refugees/Fluechtlingsbroschuere_deutsch.html
Die mehrsprachige Broschüre informiert über
den gleichberechtigten Status von Frauen und
Männern sowie von Menschen verschiedener
sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher
Identität in Deutschland. Sie betont die gelebte
Vielfalt der individuellen Lebensentwürfe sowie
ein respektvolles Zusammenleben aller.
https://www.der-paritaetische.de/publikationen/gleichberechtigung-von-menschen-unterschiedlichen-geschlechts-bzw-verschiedener-sexueller-identitaet/
Gewaltschutz für Frauen in Deutschland – Rat-
geber für geflüchtete Frauen, Migrantinnen
und Jugendliche
Herausgegeben von: Ethno-Medizinische Zentrum e.V. (2018)
Der 40-seitige Ratgeber richtet sich an geflüchtete Frauen, Migrantinnen und Jugendliche
und informiert rund um das Thema „Schutz
und Sicherheit vor Gewalt” und stellt Rechte
und Schutzmöglichkeiten dieser Zielgruppe in
Deutschland zusammen. Der Ratgeber wurde im
Rahmen des bundesweiten Projekts „MiMi-Gewaltprävention mit Migrantinnen für Migrantinnen” entwickelt und steht in 18 Sprachen zur
Verfügung.
https://www.mimi-bestellportal.de/shop/publikationen/gewaltpraevention/leitfaden-gewaltschutz-fuer-frauen-deutschland/
Kenne deine Rechte. Informationen für weibliche Geflüchtete
Herausgegeben von: IQ Netzwerk Niedersachsen/ Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. (2017)
Die Broschüre bietet geflüchteten Frauen hilfreiche Informationen zu unterschiedlichen Aspekten des Lebens in Deutschland. Präsentiert
wird Wissenswertes zu den Themen Asylverfahren, Rechte von Frauen und Kindern, Unterstützung bei häuslicher Gewalt, Beratung bei
Schwangerschaft, Orientierung auf dem Arbeitsmarkt und Möglichkeiten zur Weiterbildung und
Qualifizierung. Die Broschüre steht in mehreren
Sprachen zur Verfügung.
https://www.nds-fluerat.org/wp-content/
uploads/2017/05/1706_Kenne_deine-Rechte_nds.pdf
Gewaltschutz
in Deutschland – Ratgeber für
geflüchtete und neu zugewanderte Männer
Herausgegeben von: Ethno-Medizinische Zentrum e.V. (2018)
Der 40-seitige Ratgeber richtet sich an geflüchtete und neuzugewanderte Männer und möchte
helfen, die Orientierung in Deutschland bei Fragen zum Thema Gewalt zu erleichtern. Er möchte
über die Schutz- und Unterstützungsmöglichkeiten informieren, sowie über Möglichkeiten,
gewalttätiges Verhalten bei sich selbst oder anderen zu erkennen und zu verringern. Der Ratgeber wurde im Rahmen des bundesweiten Projekts „MiMi-Gewaltprävention mit Migrantinnen
für Migrantinnen” entwickelt und steht in 18
Sprachen zur Verfügung.
https://www.mimi-bestellportal.de/shop/publikationen/gewaltpraevention/ratgeber-gewaltschutz-fuer-maenner-in-deutschland/
Diskriminierungsschutz
in Deutschland. Ein
Ratgeber für Geflüchtete und Neuzugewanderte.
Herausgegeben von: Antidiskriminierungsstelle
des Bundes (2018)
In der mehrsprachig verfügbaren Broschüre wird
erklärt, wie Diskriminierung rechtlich gefasst
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Checkliste
Willkommen in Deutschland – Ein Wegbeglei-
für schwangere Migrantinnen für
die Zeit vor, während und nach der Geburt
Herausgegeben von: pro familia Bundesverband
(2019)
ter für unbegleitete Minderjährige
Herausgegeben von: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. und Jugendliche ohne Grenzen (2016)
Geburtshilfliche Gesundheitssysteme funktionieren in vielen Ländern unterschiedlich und zumeist anders als es Frauen aus ihren Herkunftsländern kennen. Die zweisprachige Checkliste
bietet eine Hilfe und Orientierung rund um die
wichtigsten Fragen der Schwangerschaft in
Deutschland.
https://www.profamilia.de/publikationen/themen/schwangerschaft-und-geburt.html
In dieser mehrsprachigen Broschüre, die gemeinsam mit Jugendlichen erarbeitet wurde, werden
die Rechte von unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen kindgerecht dargestellt.
Das dazu gehörige Online-Portal https://
kommgutan.info/ ermöglicht das Abrufen dieser Informationen auch auf dem PC oder dem
Smartphone.https://b-umf.de/p/willkommen-in-deutschland/
Frauenärzt*innenbesuch Vokabelliste
Herausgegeben von: pro familia Hamburg (2018)
Der praktische Flyer enthält Vokabeln zu den
Themen Gesundheitsvorsorge, Schwangerschaft, Anatomie, Beschwerden und Sexualität
und ist in verschiedenen Sprachen verfügbar.
https://www.fachdialognetz.de unter „Mediathek“
c) Wissenswertes: Fachinformationen,
Studien, Berichte
Basisinformationen für die Beratungspraxis
Weitere themenrelevante Informationen bieten
die so genannten „Basisinformationen für die
Beratungspraxis“ vom Informationsverbund Asyl
und Migration. Sie erscheinen in loser Folge und
werden zum Download auf der Webseite https://
www.asyl.net/view/basisinformationen-fuer-die-beratungspraxis/ veröffentlicht und können ggf. auch bestellt werden. Bisher erschienen
sind u.a. Ausgaben zum Ablauf des Asylverfahrens in Deutschland, zu Rechten und Pflichten
von Asylsuchenden, zu Rahmenbedingungen
des freiwilligen Engagements für Schutzsuchende und zum rechtlichen Diskriminierungsschutz
für Flüchtlinge.
Neu anfangen: Tipps für geflüchtete Jugendli-
che, die mit ihrer Familie in Deutschland leben
Herausgegeben von: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. und Jugendliche ohne Grenzen (2018)
Welche Rechte haben Jugendliche in Deutschland und wie kann man diese durchsetzen? Was
ist Diskriminierung und was kann man dagegen
tun? Welche Perspektiven und Möglichkeiten
gibt es für Schule, Ausbildung, Studium und Beruf? Wo und wie können junge Geflüchtete und
ihre Familien Unterstützung, Hilfe und Beratung
finden? Welche Perspektiven gibt es für den Aufenthalt und die Familienzusammenführung?
Und was ist, wenn jemand aus der Familie krank
wird? Junge Geflüchtete, die gemeinsam mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind,
finden in dieser Broschüre wichtige Informationen zu ihrer ersten Zeit in Deutschland.
https://b-umf.de/material/neu-anfangen/
F.A.Q. – häufig gestellte Fragen an der Schnitt-
stelle Gewaltschutz und Flucht.
Herausgegeben von: Frauenhauskoordinierung
e.V. und Bundesverband Frauenberatungsstellen
und Frauennotrufe - Frauen gegen Gewalt e.V.
(2018)
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Das F.A.Q. beantwortet Fragen rund um das Thema Gewaltschutz geflüchteter Frauen und Mädchen. Am Anfang steht ein Glossar zur Klärung
zentraler Begriffe und deren Konsequenzen für
geflüchtete Frauen. Die Broschüre liegt in englischer sowie in einfacher Sprache vor.
https://www.frauenhauskoordinierung.de/
arbeitsfelder/flucht-und-gewaltschutz/faqflucht-und-gewaltschutz/faq-deutsch/
gabe der Innen- und Außenpolitik und macht
die Anliegen geflüchteter Frauen sichtbar.
https://heimatkunde.boell.de/dossier-frauenund-flucht
Study on Female Refugees. Repräsentative Un-
tersuchung von geflüchteten Frauen in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland
Von: Schouler-Ocak, Meryam/Kurmeyer, Christine - Charité Berlin (2017)
Mindeststandards zum Schutz von geflüchte-
ten Menschen in Flüchtlingsunterkünften
Herausgegeben von: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und United
Nations Children’s Fund (UNICEF) (2018)
Die Studie gibt Auskunft über die psychosoziale
Situation geflüchteter Frauen in fünf städtischen
und ländlichen Regionen in verschiedenen Bundesländern und berücksichtigt dabei sowohl Erfahrungen in den jeweiligen Herkunftsregionen
der Frauen als auch während der Flucht und nach
der Ankunft in Deutschland. Die gesammelten
Informationen basieren auf einer repräsentativen Umfrage und wurden durch qualitative Daten ergänzt. Die Perspektive der für das Projekt
befragten geflüchteten Frauen, insbesondere
deren Verbesserungsvorschläge für die psychosoziale Versorgung, wurden von den Autorinnen
integriert.
https://female-refugee-study.charite.de/
Im Rahmen der Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ wurden bundesweit einheitliche Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen
und Frauen in Flüchtlingsunterkünften entwickelt. Die Mindeststandards gelten als Leitlinien für die Erstellung und Umsetzung von
Schutzkonzepten in allen Flüchtlingsunterkünften. Die Broschüre enthält drei Annexe zur
Umsetzung der Mindeststandards für LSBTIQ,
geflüchtete Menschen mit Behinderungen sowie geflüchtete Menschen mit Traumafolgestörungen. Darüber hinaus gibt es eine Begleitpublikation zur Umsetzung des Mindeststandards
4 „Prävention und Umgang mit Gewalt- und Gefährdungssituationen/Risikomanagement“.
https://www.gewaltschutz-gu.de/themen/die_
mindeststandards/
Vulnerabilität
Forschung
zu Schwangerschaft und Flucht Aktuelle Befunde und Forschungslücken
Herausgegeben von: pro familia Bundesverband
(2018)
Expertise mit Befunden zu Lebensbedingungen
und Gesundheitszustand von schwangeren,
geflüchteten Frauen sowie Hintergrundinformationen zum Zugang zu medizinischen und
psychosozialen Angeboten und Leistungen in
Deutschland.
https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/Fachpublikationen/Schwangerschaft/
Fachdialognetz_Forschung_zu_Schwangerschaft_und_Flucht_2018.pdf
– Empowerment – Teilhabe.
Ein Dossier.
Herausgegeben von: Heinrich-Boll-Stiftung e.V.
(2018)
Wie können Frauen und Mädchen in ihren Herkunftsländern, aber auch in Deutschland geschützt werden? Wie können sie ökonomische
Selbstständigkeit und Teilhabe auf allen Ebenen
erreichen? Das E-Paper beschreibt die Förderung
und Stärkung von Frauen als Querschnittsauf68
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit
Ruhe zum Lernen oder Spielen finden. Hinzu
kommen zum Teil problematische hygienische
Bedingungen in den Unterkünften. Sanitäranlagen müssen oftmals von vielen Personen benutzt werden, sind nicht immer abschließbar und
somit ein Risiko für die persönliche Sicherheit.
Die Versorgung mit Sachleistungen und ein eingeschränkter Zugang zum Gesundheitssystem
haben unter anderem zur Folge, dass den individuellen Bedürfnissen und gesundheitlichen
Problemen beispielsweise von Kleinkindern und
stillenden Müttern nicht ausreichend Rechnung
getragen wird.
https://www.unicef.de/informieren/materialien/kindheit-im-wartezustand-fluechtlingskinderstudie/137018
Fluchterfahrung. Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in
Deutschland.
Herausgegeben von: Save the Children Deutschland e.V. (2019)
Die Broschüre fasst die Ergebnisse einer Analyse zur besonderen psychosozialen Bedarfen und
Ressourcen von Mädchen in Erstaufnahmeeinrichtungen zusammen und leitet Empfehlungen
für Fachkräfte, Politik und Gesellschaft ab. Zusätzlich soll ein Werkzeugkoffer zur psychosozialen Unterstützung von geflüchteten Mädchen
entstehen, der praktische Tipps und Impulse
für Mädchen selbst, ihre Eltern sowie Mitarbeiter*innen und Betreiber*innen von Unterkünften enthält.
https://www.savethechildren.de/informi e re n / e i n s a t z o r t e / d e u t s c h l a n d / m i g ra tion-und-flucht/maedchen-machen-mut
Uns gibt es, wir sind hier – Geflüchtete Frauen
in Deutschland erzählen von ihren Erfahrungen
Herausgegeben von: International Women* Space (2018)
Mädchen* und junge Frauen* nach Flucht in
der Migrationsgesellschaft
Herausgegeben von: LAG Mädchenarbeit in
NRW e.V. (2019)
Das Buch enthält acht Geschichten. Geschichten, die wütend machen und entmutigen, aber
genauso Geschichten, die ermächtigen und aufbauen. Geschichten über die Erfahrungen von
Frauen, die in Libyen Opfer von Menschenhandel und zur Prostitution gezwungen wurden;
von Flucht vor staatlicher und gesellschaftlicher
Unterdrückung in Ägypten, Syrien und dem Iran;
von Verfolgung auf Grund von akademischem
Aktivismus in der Türkei oder auf Grund von Drogenabhängigkeit in Russland; Frauen, die ihres
Rechts auf Selbstbestimmung beraubt wurden;
Frauen, die sich der Abschiebung widersetzt
haben und täglich gegen Rassismus und rassistische Strukturen in Deutschland kämpfen.
https://iwspace.de/uns-gibt-es/
Dokumentation einer qualitativen Erhebung
zu Bedarfen und zur Lebenssituation von Mädchen* und jungen Frauen* nach Flucht in NRW.
http://www.maedchenarbeit-nrw.de/info/publikation/MujFnF-8819-Dokumentation.pdf
Kindheit im Wartezustand – Studie zur Situa-
tion von Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland
Herausgegeben von: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. im
Auftrag von Deutsches Komitee für UNICEF e.V.
(2017)
Die Studie zeigt, dass die Unterbringung in
Flüchtlingsunterkünften viele Familien vor große
Herausforderungen stellt. So führen mangelnde
Privatsphäre und fehlende Rückzugsorte in Unterkünften dazu, dass Familien Angst vor Konflikten haben und Kinder und Jugendliche keine
69
d) Weitere hilfreiche Webseiten
Unterstützung von multidisziplinären Fachkräften, ehrenamtlichen Initiativen und Migrantenorganisationen – zum Beispiel aus dem Gesundheitswesen, der Geburtshilfe, der psychosozialen
Beratung sowie aus Migrationsdiensten oder der
Jugendhilfe. Die webbasierte Wissens- und Vernetzungsplattform bietet eine Angebots- und
Expert*innendatenbank, eine interaktive Karte
mit Beratungsangeboten sowie eine Dokumentensammlungen mit Fachtexten und Broschüren.
https://www.der-paritaetische.de/publikation/
migration-und-flucht
Auf der Webseite des Paritätischen Gesamtverbandes gibt es eine Übersicht zu Publikationen
speziell im Bereich Flucht und Migration. Es sind
sowohl Grundlagen zum Asyl- und Aufenthaltsrecht als auch thematisch bezogene Publikationen zu finden.
https://www.asyl.net
Auf der Website des Informationsverbunds Asyl
und Migration sind viele praktische Tipps, Adressen, thematische Ratgeber, Gerichtsentscheidungen und andere Dokumente zu finden. Der Informationsverbund ist ein Zusammenschluss von
in der Flüchtlingsarbeit aktiven Organisationen.
Gemeinsames Ziel ist es, für die Beratungspraxis
relevante Informationen zugänglich zu machen.
https://fluechtlingshelfer.info
Die Webseite sammelt nützliches Wissen für die
Unterstützung von Geflüchteten – für ehrenamtliche Helfer*innen, für Hauptamtliche aus
der Flüchtlingsarbeit und für Geflüchtete selbst.
Es sind Arbeitshilfen zum Asyl- und Aufenthaltsrecht, Handreichungen zum Thema Arbeitsmarktzugang, Hilfsmittel zum Deutschlernen und viele
andere Materialien zu finden. Zusammengestellt
werden die Informationen vom Informationsverbund Asyl und Migration.
www.gewaltschutz-gu.de
Auf der Webseite der Bundesinitiative „Schutz
von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ finden sich nützliche Informationen und
Materialien rund um das Thema Gewaltschutz in
Flüchtlingsunterkünften, Umgang mit häuslicher
Gewalt oder psychosoziale Unterstützung von
Geflüchteten.
https://www.fachdialognetz.de
Das Fachdialognetz für schwangere, geflüchtete
Frauen war ein Modellprojekt des pro familia Bundesverbandes. Es dient der professionellen Vernetzung, dem Austausch und der gegenseitigen
70
https://www.frauenhauskoordinierung.de/
Der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) setzt
sich dafür ein, Gewalt gegen Frauen zu verhindern und die Hilfen für misshandelte Frauen und
ihre Kinder zu verbessern. FHK unterstützt Frauenhäuser und Fachberatungsstellen durch Informationen, Austausch und Vernetzung. Die Angebote und Materialien von FHK richten sich vor
allem an Mitarbeiter*innen in Frauenhäusern und
Fachberatungsstellen, an Multiplikatoren*innen,
Fachpersonen und alle am Thema Interessierten.
https://www.frauen-gegen-gewalt.de
Der bff ist der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland.
Neben Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen führt
der bff Seminare und Tagungen durch, verbreitet Expertise aus Praxis und Forschung und entwickelt Informationsmaterialien zum Thema Gewalt gegen Frauen. Zudem bietet der bff auf seiner Website eine Suchmaske, über die sich lokale
Beratungsstellen finden lassen.
https://www.hilfetelefon.de
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein
bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die
Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter
der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung können Betroffene unterstützt werden – 365
Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige,
Freund*innen sowie Fachkräfte werden anonym
und kostenfrei beraten.