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Dienstblatt des Senats von Berlin Teill Nr.9 9. November 1995
körperlich untersucht oder einer Blutentnahme unterzogen
werden, so kann ausschließlich die Richterin oder der Richter
die Maßnahme anordnen, falls die gesetzliche Vertreterin oder
der gesetzliche Vertreter zustimmen müßte, aber von der Ent-
scheidung ausgeschlossen oder ‚an einer‘ rechtzeitigen Ent-
scheidung gehindert ist ($81 a Abs. 2, $ 81 c Abs. 3 und 5 StPO,
846 Abs. 1 und 2, $53 Abs.2 OWiG).
3.5 Verfahren bei der Blutentnahme
3.5.1. Entnahme der Blutprobe
Blutentnahmen dürfen nur von Ärztinnen und Ärzten (ein-
schließlich solcher im Praktikum) nach den Regeln der ärzt-
lichen Kunst durchgeführt werden. Ersuchen um Blutentnah-
men sind an Ärztinnen und Ärzte zu richten, die dazu rechtlich
verpflichtet oder bereit sind. Andere Ärztinnen und Ärzte sind
nicht verpflichtet, Ersuchen um Blutentnahmen nachzukom-
men.
Da der Wert der Blutalkoholuntersuchung wesentlich von der
sachgemäßen Blutentnahme abhängt, ist dabei grundsätzlich
wie folgt zu verfahren:
— Das Blut ist möglichst bald nach der Tat zu entnehmen.
Es ist durch Venen-Punktion mittels eines von der zustän-
digen Landesbehörde zugelassenen Blutentnahmesystems
zu entnehmen, bei dem die Verletzungs- und Kontamina-
tionsgefahr minimiert ist. Die Einstichstelle ist mit einem
geeigneten nichtalkoholischen Desinfektionstupfer, der
luftdicht verpackt gewesen sein muß, zu desinfizieren. Die
Punktion ist in der Regel aus einer Vene der oberen Extre-
mitäten vorzunehmen. Zumindest für die jeweiligen
Nadelsysteme und Tupfer sind geeignete Entsorgungsge-
fäße vorzuhalten.
Bei Leichen ist das Blut aus einer durch Einschnitt freige-
legten Oberschenkelvene zu entnehmen. Dabei ist darauf
zu achten, daß keine Spuren vernichtet werden. Falls bei
einer Obduktion die Blutentnahme aus der Oberschenkel-
vene nicht möglich ist, müssen die Entnahmestelle und die
Gründe für ihre Wahl angegeben werden.
3.5.2 Protokoll
Die polizeiliche Vernehmung/Anhörung über die Alkoholauf-
nahme und die körperliche Untersuchung sind nach Maßgabe
des als Anlage folgenden Formblattes vorzunehmen. Sie sind
möglichst umgehend nach der Tat durchzuführen, um den zur
Zeit der Tat bestehenden Grad der alkoholischen Einwirkung
festzustellen. Das Protokoll ist zu den Ermittlungsakten zu
nehmen. Sofern eine Ausfertigung der Untersuchungsstelle
übersandt wird, ist sie in der Weise zu anonymisieren, daß
zumindest Anschrift, Geburtstag und Geburtsmonat nicht
übermittelt werden.
3.5.3 Anordnung/Anwendung von Zwang
Beschuldigte oder Betroffene, die sich der körperlichen Unter-
suchung oder Blutentnahme widersetzen, sind mit den nach
den Umständen erforderlichen Mitteln zu zwingen, die körper-
liche Untersuchung und die Blutentnahme zu dulden.
Gegen andere Personen als Beschuldigte oder Betroffene (vgl.
Nummer 3.1.2) darf unmittelbarer Zwang nur auf besondere
richterliche Anordnung angewandt werden ($ 81 c Abs. 6 StPO,
$46 Abs. 1 OWiG).
3.5.4 Zweite Blutentnahme
Eine zweite Blutentnahme ist im Hinblick auf den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit nur in Ausnahmefällen anzuordnen.
Dazu besteht vor allem Anlaß, wenn Anhaltspunkte für die
Annahme gegeben sind, daß Beschuldigte oder Betroffene
innerhalb einer Stunde vor der ersten Blutentnahme Alko-
hol zu sich genommen haben.
— sich auf einen Nachtrunk berufen oder
— die Angaben zur Alkoholaufnahme verweigern.
Die zweite Blutentnahme darf frühestens 30 Minuten nach der
ersten Blutentnahme erfolgen.
3.5.5 Sicherung der Blutproben
Die die körperliche Untersuchung und Blutentnahme anord-
nende oder eine von ihr zu beauftragende Person soll bei dem
gesamten Blutentnahmevorgang zugegen sein. Sie hat darauf
zu achten, daß Verwechselungen von Blutproben bei der Blut-
entnahme ausgeschlossen sind.
Die bei der Blutentnahme anwesende Person ist auch für die
ausreichende Kennzeichnung der Blutprobe(n) verantwortlich,
Zu diesem Zweck sollen mehrteilige Klebezettel. verwendet
werden, die jeweils die gleiche Identitätsaummer tragen
Die für die Überwachung verantwortliche Person hat die Teile
des Klebezettels übereinstimmend zu beschriften. Ein Teil ist
auf das mit Blut gefüllte Röhrchen aufzukleben. Der zweite
Abschnitt ist auf das Untersuchungsprotokoll aufzukleben, das
der Untersuchungsstelle übersandt wird. Ihm ist zugleich der
dritte Abschnitt lose anzuheften. Er ist nach Feststellung des
Blutalkoholgehalts für das Gutachten zu verwenden. Der vierte
Teil des Klebezettels ist in die Ermittlungsvorgänge einzukle-
ben. Bei einer zweiten Blutentnahme ist auf den Klebezetteln
die Reihenfolge anzugeben. Die Richtigkeit der Beschriftung
ist von der Arztin/dem Arzt zu bescheinigen.
Die bruchsicher verpackten Röhrchen sind auf dem schnellsten
Weg der zuständigen Untersuchungsstelle zuzuleiten. Bis zur
Übersendung sind die Blutproben möglichst kühl, aber unge-
froren zu lagern.
3.6 Verfahren bei der Untersuchung
Die Untersuchungsstelle hat die erforderlichen Maßnahmen
zu treffen, um sicherzustellen, daß Verwechselungen von Blut-
proben ausgeschlossen werden. Die Aufzeichnungen über die
Kennzeichnung der Proben und die Ergebnisse der Alkoholbe-
stimmung sind für die Dauer von sechs Jahren aufzubewahren,
damit sie gegebenenfalls dem Gericht oder der Verfolgungsbe-
hörde vorgelegt werden können.
Die Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke ist nach
den vom Bundesgesundheitsamt aufgestellten Richtlinien
durchzuführen.
Wird die rechtlich zulässige Variationsbreite überschritten,
muß die Analyse wiederholt werden. Dem Gutachten sind
dann nur die Ergebnisse der zweiten Untersuchung zugrunde
zu legen. Tritt ausnahmsweise auch bei dieser eine Überschrei-
tung der zulässigen Variationsbreite ein, so ist dies im Gut-
achten zu erläutern.
Weichen Sachverständige im Einzelfall von den vorstehenden
Grundsätzen ab, so haben sie dem Gericht oder der Verfol-
gungsbehörde darzulegen, ob hierdurch die Zuverlässigkeit des
Untersuchungsergebnisses beeinträchtigt wird. -
Die Untersuchungsstellen haben zur Gewährleistung einer
gleichbleibenden Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse laufend in-
terne Qualitätskontrollen vorzunehmen und regelmäßig an
Ringversuchen teilzunehmen.
Das Gutachten der Untersuchungsstelle ist umgehend der
Behörde zuzuleiten, die die Untersuchung veranlaßt hat,
sofern diese nicht die Übersendung an eine andere Stelle ange-
ordnet hat. ;
Die Blutprobenreste sollen mindestens zwei Jahre gekühlt auf-
bewahrt werden. Im Einzelfall kann die Staatsanwaltschaft
oder das Gericht eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist
anordnen.