1V/1973
Seite 140
Nr. 50
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Arb/Soz VII A 3 — 4561 1
Fernruf: 2122 217 — (979) 217 | 30. 7. 1973 |
ABl. S. 1070
An die Bezirksämter
Ausführungsvorschriften
über die Erteilung von Zeugnissen
zur Erlangung des Armenrechts
sowie von Mittellosigkeitsbescheinigungen
(AV-ArmR)
Auf Grund des 8 3 des Gesetzes zur Ausführung des Bun-
dessozialhilfegesetzes vom 21. Mai 1962 (GVBl. Sb. II
2170-2) werden zur Ausführung des Bundessozialhilfe-
gesetzes (BSHG) in der Fassung vom 18. September 1969
(BGBl. I S. 1688 / GVBl. S. 2130) die folgenden Ausfüh-
rungsvorschriften erlassen:
I. Kostenbefreiungszeugnisse
A. Voraussetzungen, Wirkung und Zuständigkeit
Die Feststellung des Unvermögens zur Bestreitung der
Prozeßkosten ($ 118 ZPO) ist eine Amtshilfetätigkeit,
die von den Bezirksämtern von Berlin in ihrer Eigen-
schaft als Träger der Sozialhilfe wahrgenommen wird.
Die örtliche und sachliche Zuständigkeit ergibt sich
aus den Ausführungsvorschriften über die örtliche Zu-
ständigkeit auf dem Gebiet der Sozialhilfe vom 19. Juni
1972 (Dbl. IV/1972 Nr. 42) und den Gemeinsamen
Ausführungsvorschriften zu 88 30 und 31 des Gesetzes
zur Ausführung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt und
zur Regelung der öffentlichen Jugend- und Familien-
hilfe (AGJWG) über die sachliche Zuständigkeit auf
dem Gebiet der Sozialhilfe vom 20. März 1972 (ABl.
S. 491 — Dbl. IV/1972 Nr. 24).
Bewohner der DDR und Ostberlins, die in Berlin (West)
ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren durchführen
wollen oder die beabsichtigen, sich in einem hier an-
hängigen Gerichtsverfahren zu verteidigen, dürfen, so-
fern sie bei einem Bezirksamt von Berlin (West) ge-
mäß $ 118 Abs.2 Satz 1 der Zivilprozeßordnung die
Ausstellung eines Kostenbefreiungszeugnisses bean-
tragen, nicht an die Behörde verwiesen werden, die für
ihren Wohnsitz in den genannten Gebieten zuständig
wäre. In diesen Fällen ist das Bezirksamt örtlich zu-
ständig, in dessen Bereich die mittellose Partei ihren
tatsächlichen Aufenthalt hat.
Die vorläufige Kostenbefreiung kann auch Ausländern
und Staatenlosen bewilligt werden.
Das Kostenbefreiungszeugnis kann auch von mittel-
losen Personen, deren Erscheinen an einer auswärtigen
Gerichtsstelle angeordnet . ist, zur Erlangung eines
Reisekostenvorschusses oder einer Reisekostenentschä-
digung beantragt werden. Das Nähere ergibt sich aus
der Vereinbarung über die. Bewilligung von Reise-
entschädigungen an mittellose Personen und von Vor-
schußzahlungen an Zeugen und Sachverständige (All-
gemeine Verfügung des Senators für Justiz vom
12. Dezember 1958 — ABl. S. 1613, 1959 S. 887 —) sowie
aus der gleichnamigen Vereinbarung in Verfahren vor
den Gerichten für Arbeitssachen (Gemeinsame All-
gemeine Verfügung der Senatoren für Arbeit und So-
ziales und für Justiz vom 2. März 1961 — ABl. S. 329 —).
Über die Bewilligung der vorläufigen Kostenbefreiung
(Armenrecht) entscheidet das zuständige Gericht. Bei
der Ausstellung von Kostenbefreiungszeugnissen sind
Jaher weder die Erfolgsaussichten eines Verfahrens
der dessen mutwillige Durchführung zu prüfen noch
ist der Antragsteller hinsichtlich der Auswahl eines
Rechtsanwalts zu beraten.
Einer Partei, die außerstande ist, ohne Beeinträchti-
zung des für sie und ihre Familie notwendigen Lebens-
unterhalts die Kosten eines Prozesses (oder andere mit
einer Rechtsverfolgung im Zusammenhang stehende
Kosten) zu bestreiten, ist durch das zuständige Gericht
die vorläufige Befreiung hiervon zu bewilligen, wenn
die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mut-
willig erscheint.
Die vorläufige Kostenbefreiung wird überwiegend auf
dem Gebiet der streitigen Zivilgerichtsbarkeit gewährt.
Darüber hinaus finden die entsprechenden Regelungen
der Zivilprozeßordnung auch auf anderen Rechtsgebie-
ten entsprechende Anwendung.
Die Kostenbefreiung hat nur einstweilige (vorläufige)
Wirkung. Wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse
der mittellosen oder einkommensschwachen Partei ver-
bessern, kann sie zur Erstattung der Kosten heran-
gezogen werden ($ 125 ZPO). Die Bewilligung der vor-
läufigen Kostenbefreiung schützt nicht vor den Nach-
teilen eines verlorenen Verfahrens. Die unterlegene
arme Partei ist z. B. auch verpflichtet, ihrem Gegner
die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten (8 117
ZPO).
Das Gesuch um Bewilligung der vorläufigen Kosten-
befreiung ist bei dem. Gericht einzureichen, bei dem
die Partei das Verfahren durchzuführen gedenkt (8 118
Abs. 1 ZPO).
Zum Nachweis der Mittellosigkeit ist dem Gesuch ein
Kostenbefreiungszeugnis (Vordruck Soz III N 10)
beizufügen, das von der zuständigen Stelle (Nummer 2)
auszustellen ist.
8.
3.
10.
11.
B. Verfahren
12,
Das Kostenbefreiungszeugnis kann nur erteilt werden,
wenn der Antragsteller
a) den letzten Veranlagungsbescheid zur Einkommen-
und Vermögensteuer oder eine Bescheinigung des
Finanzamtes darüber vorlegt, daß und aus wel-
chem Grunde er zu beiden Steuern oder einer von
ihnen nicht veranlagt ist;
Unterlagen über das Einkommen (z. B. Lohnstrei-
fen, Rentenbescheid usw.) vorlegt.
Sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aus-
reichend aus Sozialhilfeakten oder anderen Aktenvor-
gängen bekannt sind oder durch Unterlagen nach-
gewiesen werden, sind sie besonders zu ermitteln.
Bei der Ausstellung von Zeugnissen nach 8 118 Abs.2
der Zivilprozeßordnung ist von den nach 8 22 Abs.3
des Bundessozialhilfegesetzes festgesetzten Regelsätzen
auszugehen.
Das Einkommen des Antragstellers wird nach Maßgabe
des $ 76 des Bundessozialhilfegesetzes in Verbindung
mit den zu dieser Vorschrift erlassenen Rechtsverord-
nungen festgestellt. $ 78 BSHG ist sinngemäß anzu-
wenden. Leistungen, die im Sinne des 8 77 des Bundes-
Ssozialhilfegesetzes auf Grund Ööffentlich-rechtlicher
Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck
gewährt werden, sind nicht als Einkommen anzurech-
nen.
Bei der Prüfung, ob vorhandenes Vermögen zur Be-
streitung der Prozeßkosten herangezogen werden kann,
ist entsprechend den Grundsätzen in $ 88 Abs.1 bis 3
des Bundessozialhilfegesetzes zu verfahren.
Das Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten ist
im Regelfall zu bescheinigen, wenn der Antragsteller
nicht über ein einsetzbares Vermögen verfügt und sein
monatliches Einkommen im Sinne des $ 76 des Bundes-
sozialhilfegesetzes eine Einkommensgrenze nicht über-
steigt, die sich ergibt aus:
a) einem Grundbetrag in Höhe des Doppelten des Re-
gelsatzes eines Haushaltungsvorstandes;
einem Familienzuschlag in Höhe des jeweils maß-
geblichen Regelsatzes für jede von dem Antragstel-
ler in seinem Haushalt unterhaltene Person; der
Zuschlag entfällt, soweit diese aus eigenen Einkom-
men oder Vermögen zu ihrem Unterhalt beitragen
kann;
13.
14.
15.
16.
17)
b)