IV/1961
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Nr. 66
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:
ABSCHNITT 1
Allgemeines
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Inhalt und Aufgabe der Sozialhilfe
(1) Die Sozialhilfe umfaßt Hilfe zum Lebensunterhalt
und Hilfe in besonderen Lebenslagen.
(2) Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der
Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der
Würde des Menschen entspricht. Die Hilfe soll: ihn soweit
wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; hier
bei muß er nach seinen Kräften mitwirken.
Br
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Nachrang der Sozialhilfe
(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann
oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von
Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen
erhält.
(2) Verpflichtungen anderer, besonders Unterhalts:
pflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, wer-
den durch dieses Gesetz nicht berührt. Auf Rechtsvorschrif-
ten beruhende Leistungen anderer, auf die jedoch kein An-
spruch besteht, dürfen nicht deshalb versagt werden, weil
nach diesem Gesetz entsprechende Leistungen vorgesehen
sind.
83 .
Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles
(1) Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich
nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der
Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und
den örtlichen Verhältnissen.
(2) Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die
Gestaltung der Hilfe richten, soll entsprochen werden, so-
weit sie angemessen sind und keine unvertretbaren Mehr-
kosten erfordern.
(3) Auf seinen Wunsch soll der Hilfeempfänger in einer
solchen Einrichtung untergebracht werden, in der er durch
Geistliche seines Bekenntnisses betreut werden kann.
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Anspruch auf Sozialhilfe
(1) Auf Sozialhilfe besteht ein Anspruch, soweit dieses
Gesetz bestimmt, daß die Hilfe zu gewähren ist. Der An-
spruch kan nicht übertragen, verpfändet oder, gepfändet
werden.
(2) Über Form und Maß der Sozialhilfe ist nach pflicht-
mäßigem Ermessen zu entscheiden, soweit dieses Gesetz
das Ermessen nicht ausschließt.
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Einsetzen der Sozialhilfe
Die Sozialhilfe setzt ein, sobald dem Träger der Sozial
hilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird
daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen.
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Vorbeugende Hilfe, nachgehende Hilfe
(1) Die Sozialhilfe soll vorbeugend gewährt werden,
wenn dadurch eine dem einzelnen drohende Notlage ganz
oder teilweise abgewendet werden kann. Die Sonderbe-
stimmungen der 88 36 und 57 gehen der Regelung des
Satzes 1 vor.
(2) Die Sozialhilfe soll auch nach Beseitigung“ einer
Notlage gewährt werden, wenn dies geboten ist, um die
Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern. Die
Sonderbestimmungen der $8 40, 49 und 50 gehen der Re-
gelung des Satzes 1 vor.
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Familiengerechte Hilfe
Bei Gewährung der Sozialhilfe sollen die besonderen
Verhältnisse in der Familie des Hilfesuchenden berück-
sichtigt werden, Die Sozialhilfe soll die Kräfte der Familie
zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie
festigen.
NE)
Formen der Sozialhilfe
(1) Formen der Sozialhilfe sind persönliche Hilfe, Geld-
leistung oder Sachleistung.
(2) Zur persönlichen Hilfe gehören auch die Beratung
in Fragen der Sozialhilfe sowie die Beratung in sonstigen
sozialen Angelegenheiten, soweit letztere nicht von an-
deren Stellen oder Personen wahrzunehmen ist. Wird Be-
ratung‘ in sonstigen. sozialen Angelegenheiten auch von
Verbänden der freien Wohlfahrtspflege wahrgenommen, ist
der Ratsuchende zunächst hierauf hinzuweisen.
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Träger der Sozialhilfe
Die Sozialhilfe wird von örtlichen und überörtlichen Trä-
gern gewährt.
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Verhältnis zur freien Wohlfahrtspflege
(1) Die Stellung der Kirchen und Religionsgesellschaf-
ten des öffentlichen Rechts sowie der Verbände der freien
Wohlfahrtspflege als Träger eigener sozialer Aufgaben und
ihre Tätigkeit zur Erfüllung dieser Aufgaben werden durch
dieses Gesetz nicht berührt,
(2) Die Träger der Sozialhilfe sollen bei der Durchfüh-
rung dieses Gesetzes mit den Kirchen und Religionsgesell-
schaften des öffentlichen Rechts sowie den Verbänden
der freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeiten und dabei
deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung
ihrer Aufgaben achten.
(3) Die Zusammenarbeit soll darauf gerichtet sein, daß
sich die Sozialhilfe und die Tätigkeit der freien Wohl-
fahrtspflege zum Wohle des Hilfesuchenden wirksam er-
gänzen. Die Träger der Sozialhilfe sollen die Verbände der
freien Wohlfahrtspflege in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet
der Sozialhilfe angemessen unterstützen.
(4) Wird die Hilfe im Einzelfalle durch die freie Wohl-
fahrtspflege gewährleistet, sollen die Träger der Sozialhilfe
von der Durchführung eigener Maßnahmen absehen; dies
gilt nicht für die Gewährung von Geldleistungen.
(5) Die Träger der Sozialhilfe können allgemein an
der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die
Verbände der freien Wohlfahrtspflege beteiligen oder
ihnen die Durchführung solcher Aufgaben übertragen,
wenn die Verbände mit der Beteiligung oder Übertragung
einverstanden sind. Die Träger der Sozialhilfe bleiben dem
Hilfesuchenden gegenüber verantwortlich.
ABSCHNITT 2
Hilfe zum Lebensunterhalt
UNTERABSCHNITT 1 P
Personenkreis, Gegenstand der Hilfe
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Personenkreis
(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren,
der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem
aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann.
Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten sind das Einkom-
men und das Vermögen beider Ehegatten zu berücksich-
tigen; soweit minderjährige unverheiratete Kinder. die dem