IV/1961
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Nr. 93
(Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) und der Frei-
zügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) insoweit
eingeschränkt.
(2) Der Minderjährige soll in einer Familie oder einem
Heim untergebracht werden, in denen die Erziehung nach
den Grundsätzen seiner Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft durchgeführt wird. Davon
kann abgesehen werden, wenn eine geeignete Familie oder
ein geeignetes Heim nicht vorhanden ist oder besondere
erzieherische Bedürfnisse des Minderjährigen es erfordern;
seine religiöse Betreuung muß gesichert sein.
(3) Minderjährige, die keiner Kirche oder sonstigen
Religionsgesellschaft und keiner Weltanschauungsgemein-
schaft angehören, sollen nach Möglichkeit nur mit Einver-
ständnis der Personensorgeberechtigten oder; wenn sie das
14. Lebensjahr vollendet haben, nur mit ihrem Einverständ-
nis in einer Familie oder einem Heim-untergebracht werden,
in denen die Erziehung nach den Grundsätzen einer be-
stimmten Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschau-
ungsgemeinschaft durchgeführt wird.
(4) Den Personensorgeberechtigten ist unverzüglich mit-
zuteilen, wo der Minderjährige untergebracht ist. Auch die
Eltern, denen das Sorgerecht nicht zusteht, sind zu unter-
richten, soweit sie erreichbar sind. Das Vormundschafts-
gericht kann auf Antrag des Landesjugendamts anordnen,
daß der Unterbringungsort nicht mitzuteilen ist, wenn
durch die Mitteilung der Erziehungszweck ernstlich ge-
fährdet wird. Gegen den anordnenden Beschluß steht den
Personensorgeberechtigten und den Eltern die Beschwerde
zu. Gegen den ablehnenden Beschluß steht die Beschwerde
mit aufschiebender Wirkung dem Landesjugendamt zu.
(5) Ist Fürsorgeerziehung angeordnet, so ist auch dem
Vormundschaftsgericht der Ort der Unterbringung mit-
zuteilen.
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Das Landesjugendamt soll zur Durchführung der Frei-
willigen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung für die
erforderliche Differenzierung der Einrichtungen und Heime
nach der zu leistenden Erziehungsaufgabe sorgen.
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Ist Fürsorgeerziehung angeordnet, so hat das Landes-
jugendamt dem Vormundschaftsgericht über die Entwick-
lung des.Minderjährigen und die Aussichten, die Fürsorge-
erziehung aufzuheben, jährlich mindestens einmal zu be-
richten.
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(1) Das Nähere über die Ausführung der Freiwilligen
Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung wird durch
Landesrecht geregelt.
(2) Die Landesregierung kann in einem Land, in dem
am 1. Januar 1961 eine andere landesrechtliche Regelung
bestand, die Zuständigkeit der Landesjugendämter nach
diesem Abschnitt anderen Behörden übertragen.
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(1) Die Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorge-
erziehung enden mit der Volljährigkeit.
(2) Die Freiwillige Erziehungshilfe oder die Fürsorge-
erziehung ist aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht. oder
anderweitig sichergestellt ist. Erfordern erhebliche, fach-
ärztlich nachgewiesene geistige oder seelische Regelwidrig-
keiten des Minderjährigen eine andere Form der Hilfe, so
ist die Freiwillige Erziehungshilfe oder die Fürsorge-
erziehung erst aufzuheben, wenn die andere Form der
Hilfe gesichert ist. Die Fürsorgeerziehung kann auch unter
Vorbehalt des Widerrufs aufgehoben werden.
(3) Die Freiwillige Erziehungshilfe ist vom Landes-
jugendamt unverzüglich aufzuheben, wenn ein Personen-
sorgeberechtigter die Aufhebung beim Landesjugendamt
beantragt.
(4) Die Fürsorgeerziehung wird durch das Vormund-
schaftsgericht von Amts wegen oder auf Antrag auf-
gehoben. Der Antrag kann von den nach $ 65 Abs. 1
Satz 2 und 3 Antragsberechtigten und von dem Minder-
jährigen selbst, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat,
gestellt werden.
(5) Das Vormundschaftsgericht hat vor der Aufhebung
der Fürsorgeerziehung das Landesjugendamt und das
Jugendamt zu hören. Dem Landesjugendamt steht gegen
den die Fürsorgeerziehung aufhebenden Beschluß die so-
fortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zu. Wird
die Aufhebung abgelehnt, so steht jedem Antragsberech-
tigten die Beschwerde zu.
(6) Durch Landesrecht kann bestimmt werden, daß
für die Entscheidung über die Aufhebung der Fürsorge-
erziehung nach Absatz 4 an Stelle des Vormundschafts-
gerichts das Landesjugendamt zuständig ist mit der Maß-
gabe, daß der Antragsteller gegen die Ablehnung des
Antrags innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des
ablehnenden Bescheides die Entscheidung des Vormund-
schaftsgerichts anrufen kann; gegen den Beschluß des Vor-
mundschaftsgerichts findet die sofortige Beschwerde. statt.
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Das gerichtliche Verfahren ist kostenfrei. Die nach $ 65
Abs. 2 Satz 2 und 3 mündlich zu hörenden Personen werden
entsprechend den für Zeugen geltenden Vorschriften des
Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachver-
ständigen vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 861, 902)%
entschädigt; dies gilt nicht für den Minderjährigen und
seine Eltern sowie für Behördenvertreter.
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(1) Für eilige, auf Grund dieses Abschnitts zu treffende
Maßregeln ist neben dem in $ 43 des Reichsgesetzes über
die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit be-
zeichneten Gericht einstweilen auch das Gericht zuständig,
in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt.
Das Gericht hat die angeordneten Maßnahmen unverzüglich
dem endgültig. zuständigen Gericht mitzuteilen; dieses wird
damit ausschließlich zuständig.
(2) $ 43 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Angelegen-
heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist auch anzuwenden,
wenn eine Maßnahme des Vormundschaftsgerichts für einen
Minderjährigen erforderlich wird, für den eine Erziehungs-
beistandschaft oder ein Fürsorgeerziehungsverfahren an-
hängig ist.
Abschnitt VII
Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen
unter 16 Jahren in Heimen
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(1) Das Landesjugendamt führt die Aufsicht über
Heime und andere Einrichtungen, in denen Minderjährige
dauernd oder zeitweise, ganztägig oder für einen Teil des
Tages, jedoch regelmäßig, betreut werden oder Unterkunft
erhalten. Satz 1 gilt nicht für Jugendbildungs-, Jugendfrei-
zeitstätten und Studentenwohnheime sowie für Schüler-
wohnheime, soweit sie landesgesetzlich der Schulaufsicht
unterstehen.
{2) Die Aufsicht erstreckt sich darauf, daß in den Ein-
richtungen das leibliche, geistige und seelische Wohl der
Minderjährigen gewährleistet ist. Die Selbständigkeit der
Träger der Einrichtungen in Zielsetzung und Durchführung
ihrer erzieherischen Aufgaben bleibt unberührt, sofern das
Wohl der Minderjährigen nicht gefährdet wird.
(3) In den der Heimaufsicht unterliegenden Einrich-
tungen muß die Betreuung der Minderjährigen durch ge-
eignete Kräfte gesichert sein. Über die Voraussetzungen der
Eignung sind Vereinbarungen mit den Trägern der freien
Jugendhilfe anzustreben.
(4) Der Träger der Einrichtung hat dem Landesjugend-
amt zu melden
1. Personalien und Art der Ausbildung. des Leiters und
der Erzieher der Einrichtung,
2. jährlich die Platzzahl und ihre Änderung,
3.. die Änderung der Zweckbestimmung der Einrichtung,
4. unverzüglich unter Angabe der Todesursache den
Todesfall eines in einer Einrichtung nach Absatz 1
betreuten Minderjährigen.
(5) Das Landesjugendamt soll die Einhaltung der Vor-
schriften der Absätze 3 und 4 in den seiner Aufsicht unter-
1) GVBL. S. 927.
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