Ausgegeben am 25. 10. 1962
Dienstblatt des Senats von Berlin
Teil 11!
1/1962
Seite 177
Nr. 82
Inh akt:
Nr. 82 Richtlinien für die Sexualerziehung in der Berliner Schule
Seite 177
en” Vbildg IIa or
f M11-82 | Fernruf: 92 001 — (987) 387 — ( SS 98
An die Bezirksämter — Vbildg/Schul — ABILS. 978
; DbI V/1962
Richtlinien 88
für die Sexualerziehung in der Berliner Schule
Auf Grund des $ 26 Satz 3 des Schulgesetzes für Berlin in
der Fassung vom 15. Juni 1961 (GVBl S. 1101) werden die
nachstehenden Richtlinien für die Sexualerziehung in der
Berliner Schule erlassen.
2.
Den Kindern und Jugendlichen soll das ihrem Alter
und ihrer geistigen Reife entsprechende Wissen sachlich
einwandfrei übermittelt werden.
D. Durchführung der Sexualerziehung
Für die Schule ergeben sich folgende Aufgaben:
a) Die Erziehung zu Ssittlichem Verhalten auf ge-
schlechtlichem Gebiet ist, wie die Erziehung zu
sittlicher Haltung überhaupt, Aufgabe aller
Lehrer während der ganzen Schulzeit. Probleme der
sittlichen Haltung in geschlechtlichen Fragen sind
bei geeigneter Gelegenheit im Gesamtunter-
richt undin allen Fächern zu behandeln:
Die Vermittlung der notwendigen biologischen
Kenntnisse auf geschlechtlichem Gebiet bleibt geeig-
neten Lehrern vorbehalten, in erster Linie dem
Klassenlehrer und den Lehrern, die den Unterricht
in Biologie oder Gesundheitslehre erteilen.
In besonderen Fällen von sexuellen Schwierigkeiten
unterrichtet die Schule die Eltern, den Schulpsycho-
logen und den Schularzt.
Das Gesundheitsamt wirkt mit:
a) es berät Eltern, Lehrer und Schüler,
b) es ist an der Weiterbildung der Lehrer beteiligt.
1.
A. Einleitung
Eine verantwortungsbewußte Pädagogik muß der ge-
schlechtlichen Entwicklung des heranwachsenden Menschen
die Aufmerksamkeit widmen, die ihr gebührt.
Daher kann auch die Schule sich nicht der Verpflichtung
entziehen, im Rahmen des ihr eigenen Bildungsauftrages
die geschlechtliche Erziehung des jungen Menschen in an-
gemessener Weise zu berücksichtigen.
Die Rechte und Pflichten anderer Erzieher werden da-
durch nicht beeinträchtigt. Es ist grundsätzlich Aufgabe
der Eltern, für die Sexualerziehung ihrer Kinder zu sorgen.
Auch die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemein-
schaften belehren und erziehen auf geschlechtlichem Gebiet.
Der Lehrer muß wissen, daß diese Bemühungen, die in
eigenen Rechten und Pflichten ihrer Träger begründet sind,
neben denen der Schule ihren Platz haben.
Diese Richtlinien sollen dem Lehrer bei der Bewältigung
der wichtigen Aufgabe der geschlechtlichen Erziehung
helfen.
2.
E, Voraussetzungen für die Durchführung
der Sexualerziehung
Hilfen für die Elltern:
a) Zur vor- und außerschulischen Erziehung der Kin-
der sollen den Eltern Hefte bzw. Merkblätter zur
Verfügung gestellt werden.
In Einzelgesprächen berät der Klassenlehrer die
Eltern, sofern es erforderlich ist.
In Klassenelternversammlungen — möglichst zu
Beginn des Schuljahres — bespricht der Lehrer mit
den Eltern die geschlechtlichen Fragen, die die
Entwicklungsstufe seiner‘ Schüler betreffen und de-
ren Behandlung im Unterricht er für notwendig
hält. Dies ist besonders in den Klassen für Schul-
anfänger zu beachten.
In Schulelternversammlungen können Fragen der
Sexualerziehung, für die Interesse besteht, behan-
delt werden. Dabei ist die Verwendung geeigneter
Anschauungsmittel zu empfehlen. Bei dieser Gele-
genheit sollen die Eltern auch auf die Gefahren der
Sittlichkeitsdelikte aufmerksam gemacht werden.
Damit sexualpädagogische Fragen in Klassen- und
Schulelternversammlungen umfassend behandelt
werden können, empfiehlt es sich, den zuständigen
Schularzt und den zuständigen Schulpsychologen
einzuladen. Die in den Klassen der betreffenden
Schule unterrichtenden Lehrer der Kirchen, Reli-
gions- und Weltanschauungsgemeinschaften dürfen
gemäß 3c) der Ersten Durchführungsverordnung
zum Schulgesetz für Berlin vom 28. Februar 19501)
in Verbindung mit Nr. 6 der Verfügung betr. Reli-
gionsunterricht vom. 9. November 19502) an. diesen
Versammlungen teilnehmen.
Ausbildung und Weiterbildung der Lehrer:
a) Für den Lehrernachwuchs sind an den Hochschulen
Vorlesungen über Sexualpädagogik zu halten. In der
Ausbildung zwischen der Ersten und Zweiten
B. Notwendigkeit der Sexualerziehung
Das Geschlechtliche gehört zum Wesen.des Menschen. Es
ist für die Entwicklung zur Persönlichkeit, für das Leben
des einzelnen, für seine Beziehung zum Mitmenschen und
für das Leben in der Gemeinschaft — insbesondere in Ehe
und Familie — von grundlegender Bedeutung. Der Mensch
ist gefährdet, wenn er nicht zur sittlichen Haltung und
zum verantwortlichen Handeln im Bereich des Geschlecht-
lichen gelangt. Darum ist die Sexualerziehung ein wichtiges
Teilgebiet der ganzheitlichen Erziehung und gehört auch in
die Schule.
Sexualerziehung ist notwendig, damit das Wissen um die
geschlechtlichen Fragen nicht aus unsauberen Quellen ge-
schöpft, sondern von verantwortlicher Seite an die Jugend-
lichen herangetragen wird. Unwissenheit, falsche oder
ungenaue Kenntnis des geschlechtlichen Lebens und die
Unfähigkeit, das Triebleben richtig in das Gesamtleben der
Person einzuordnen, können Nöte und Gefahren für: den
jungen Menschen bringen, seine gesunde Entwicklung und
Reifung hemmen und ihm selbst und den Gemeinschaften
Schaden zufügen.
a
a
C. Ziel der Sexualerziehung
Der heranwachsende Mensch soll das Geschlechtliche in
seiner umfassenden Bedeutung für das Leben des ein-
zelnen und der Gemeinschaften erkennen. Er soll lernen,
die geschlechtlichen Triebkräfte in den Gesamtbereich
seiner Person einzuordnen und damit im Hinblick auf
das Geschlechtliche zur Triebbeherrschung, zur sittli-
chen Haltung und zum verantwortungsvollen Handeln
gegenüber sich selbst, den anderen Menschen und der
Nachkommenschaft erzogen werden.
2.
1) VOB1I.S. 76 — DbIl II1/1950 Nr. 6 — Schulrecht S. I B 1/7.
2). Db1 1111/1950. Nr. 43 — Schulrecht 8. III B 1/1.