VI/1961
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Nr. 31
Bezug: 1. Mein Hrlaß betr. Vereinbarung von Preisvorbe-
halten und Preisgleitklauseln bei öffentlichen Auf-
trägen vom 15. Dezember 1955 (IB 1 — 5634/55).
Abschnitt VI der Verordnung PR Nr.8/55 über
die Preise bei öffentlichen Aufträgen für Bau-
leistungen (Baupreisverordnung).
Mit meinem Bezugserlaß habe ich im Einvernehmen mit
dem Herrn Bundesminister der Finanzen und der Bank
Deutscher Länder alle öffentlichen Auftraggeber dringend
gebeten, Preisvorbehalte in der Regel abzulehnen. Die ge-
genwärtige konjunkturelle Lage gibt mir Anlaß, erneut auf
die preispolitischen Gefahren, die eine verbreitete Anwen-
dung von Preisvorbehalten mit sich bringt, hinzuweisen und
meinen Bezugserlaß in Erinnerung zu bringen.
Soweit sich in Ausnahmefällen nach sorgfältiger Ab-
wägung aller Umstände ein Preisvorbehalt nicht aus-
schließen. läßt, bitte ich im Einvernehmen mit der Bank
Deutscher Länder, bei der Auftragsvergabe nach den in den
Anlagen zusammengestellten Grundsätzen zu verfahren.
Anlage 1 stellt Grundsätze für Aufträge im Sinne der VO
PR Nr.30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen
(ausgenommen Bauleistungen) auf; Anlage 2 enthält Grund-
sätze für die Anwendung des Abschnitts VI’ „Preisvorbe-
halte“ der VO PR Nr..8/55 über die Preise bei öffentlichen
Aufträgen für Bauleistungen‘).
Bonn, den 19. Januar 1957
IB1- 5966/56
IB 4/F 1/6695/56
Dr. Ludwig Erhard
1) Hier nicht abgedruckt.
Anlage 12)
zum Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft
IB1 — 5966/56 —
IB 4/F 1/6695/56 vom 19. Januar 1957
Anwendung von Preisvorbehalten und Preisgleitklauseln
bei öffentlichen Aufträgen im Sinne der VO PR Nr. 30/53
über die Preise bei öffentlichen Aufträgen
Allgemeine Preisvorbehalte ohne Bindung an bestimmte
Kostenfaktoren etwa in der Form „Preis freibleibend‘
oder „bei Kostenänderung behalten wir uns die An-
gleichung unserer Preise vor“ dürfen nicht vereinbart
werden.
Eine Vereinbarung von Preisvorbehalten kommt nicht
in Betracht, wenn sie unter den gegebenen Umständen
bisher auch im Wirtschaftsverkehr nicht üblich war.
»
Preisvorbehalte werden nur zugestanden, wenn zwischen
dem Tag der Angebotsabgabe und dem vereinbarten
Lieferzeitpunkt eine bestimmte längere Frist liegt;
diese Frist soll in der Regel länger als neun Monate sein.
Vereinbarungen von Preisvorbehalten müssen sowohl
den Fall der Erhöhung als auch den Fall der Ermäßi-
gung der Preise und Kosten gleichermaßen vorsehen.
Werden Preisvorbehalte in Form von Preisgleitklauseln
(Lohngleitklauseln, Stoffpreisgleitklauseln) vereinbart,
so bitte ich nach folgenden Grundsätzen zu verfahren:
a) Lohngleitklauseln berücksichtigen nur Änderungen
von Löhnen und Gehältern auf Grund von Tarif-
verträgen-oder im Falle eines tariflosen Zustandes
auf Grund von Betriebsvereinbarungen.
Außer den Änderungen der Löhne und Gehälter wer-
den nur die durch sie bedingten Änderungen der
S I’B 1 — 5966/56 —
2) Anlage2 zum. Schreiben -————————— vom 19, Januar 1957
IB4/F1/6695/56 S n
hier nicht abgedruckt, da die Verordnung. PR Nr. 8/55 betreffend.
tariflich und gesetzlich vorgeschriebenen Sozial-
aufwendungen berücksichtigt; hierfür wird
ein‘ Hundertsatz als Zuschlag schon in der Lohn-
gleitklausel festgelegt, in den auch die Umsatzsteuer
(vgl. Buchstabe d) einbezogen werden kann. Ände-
rungen der Gemeinkostenlöhne und -gehälter können
ebenfalls mittels eines Hundertsatzes als Zuschlag
auf Änderungen der Einzelkostenlöhne in Ansatz
gebracht werden.
Bei Anwendung der Lohngleitklausel dürfen Löhne
und Gehälter, die nicht auf Tarifverträgen beruhen,
nur in angemessener Höhe berücksichtigt werden
(vgl. Leitsätze Nr. 24 Abs. 1):
Werden die Lohnänderungen für die bei der Ferti-
gung des Auftragsgegenstandes beschäftigten Ar-
beitskräfte nicht auf Grund der Gegenüberstellung
der nach den neuen Lohnsätzen tatsächlich gezahlten
mit den nach den bisherigen Lohnsätzen zu zahlen-
den Löhnen, sondern auf Grund der kalkulatorischen
Arbeitszeitansätze ermittelt, so wird ferner vor-
behalten, -daß die Arbeitszeitansätze bei Anwendung
der Lohngleitklausel nur in angemessener Höhe be-
rücksichtigt werden (vgl. Leitsätze Nr. 23)
Die Festlegung und Überwachung von Gleitklauseln
für Stoffpreise begegnet häufig. besonderen Schwie-
rigkeiten; deshalb sind solche Klauseln in der Regel
zu vermeiden. Sie werden nur bei Materialien, die
ihrer Eigenart nach Preisveränderungen in be-
sonderem Maße ausgesetzt sind (insbesondere Ein-
fuhrgüter), zugestanden und auf für die Herstellung
des Auftraggegenstandes wichtige Stoffe beschränkt.
Höhere oder niedrigere Stoffpreise als die in dem
vereinbarten Preis kalkulierten Stoffpreise können
nach Maßgabe der im Zeitpunkt der Verwendung
für den Auftrag geltenden Preise in Ansatz ge-
bracht werden (vgl. Leitsätze Nr. 8, Abs.1b).
Auftragnehmer bzw. Auftraggeber werden in der
Regel an den Mehr- oder Minderkosten in einer im
Vertrag festzulegenden Höhe an den Mehr- oder
Minderkosten angemessen beteiligt (Selbst-
beteiligungsklausel); der Anteil der Selbstbeteili-
gung ist so hoch wie nach den Umständen vertret-
bar zu bemessen. Ferner sind Preisgleitklauseln so
zu vereinbaren, daß sie erst wirksam werden, wenn
ein bestimmter Mindestbetrag der Lohn- oder Stoff-
preisänderung überschritten wird (Bagatellklausel).
Nach Überschreiten dieses Mindestbetrages kommt
die volle Preisänderung, vermindert um den gemäß
Satz 1 vereinbarten Selbstbehalt, zur Auswirkung.
Der Mindestbetrag kann z. B. in einem Hundertsatz
des vereinbarten Preises festgelegt werden.
Die Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen von
Preisgleitklauseln berücksichtigt werden, werden
einschließlich der anteiligen Umsatzsteuer dem ver-
einbarten Preis im Anhängeverfahren zu-
geschlagen oder im Abzugsverfahren von
diesem abgesetzt.
Die Errechnung der Mehr- oder Minderkosten kann
im Wege einer mathematischen Formel erfolgen.
Repräsentativgleitklauseln, die der Auftragnehmer
über längere Zeitspannen mit gleichbleibenden Lohn-
und Stoffpreisanteilen anwendet, können den be-
sonderen Verhältnissen des einzelnen Auftrages nicht
genau Rechnung tragen. Sie sollten nur dann ver-
wendet werden, wenn die Eigenart des Erzeugnisses
eine genaue Gewichtung der der Gleitklausel unter-
worfenen Kostenbestandteile wesentlich erschwert
und der Auftraggeber, gegebenenfalls auf Grund
längerer Lieferbeziehungen, die sachgemäße Auf-
stellung der Repräsentativgleitklausel beurteilen
kann.
Der Auftragnehmer muß verpflichtet werden, die
sich ergebenden Änderungen der Kosten nachzu-
weisen.
5)
ec)
d)
e)
F)
6:
Wendet der Auftragnehmer Listenpreise allgemein und
stetig an (vgl. Erster Runderlaß vom 22. Dezember 1953,
Nr. 5), so gilt. folgendes: