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12. a) Gegen einen neugewählten Abgeordneten dürfen
Strafverfahren, die eingeleitet sind, oder bestehende
Freiheitsbeschränkungen oder eine begonnene
Strafvollstreckung bei Beginn der neuen Wahl-
periode nur mit Genehmigung der gesetzgebenden
Körperschaft fortgesetzt werden, der der Abgeord-
nete angehört (Nummer 8 Abs.1 der Richtlinien).
Das gleiche gilt für einen wiedergewählten Abge-
ordneten, bei dem in der vorangegangenen Wahl-
periode die erforderliche Genehmigung versagt wor-
den ist (Nummer 8 Abs. 2 der Richtlinien).
Gegen einen wiedergewählten Abgeordneten, dessen
Immunität in der vorangegangenen Wahlperiode
aufgehoben worden ist, darf das Verfahren fort-
gesetzt werden. Es ist jedoch auszusetzen, wenn es
das Parlament verlangt (Nummer 8 Abs. 3 der
Richtlinien).
Jedes Strafverfahren und jedes Verfahren über die
Verwirkung des Grundrechts (Artikel 18 GG) gegen
einen Abgeordneten sowie jede Haft und jede sonstige
Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf
Verlangen. des Parlaments aufzuheben (Artikel 46
Abs. 4 GG, Artikel 35 Abs. 4 VvB).
Dienstblatt des Senats von Berlin TeilI
EN HE
Nr. 56
8.1334) kann ein Bußgeldverfahren durchgeführt
oder eine Verwarnung erteilt werden (Nummer 6
Abs. 5 der Richtlinien).
Bei einem Verkehrsunfall können die Personalien
des Abgeordneten festgestellt werden sowie Vor-
lage des Führerscheins und des Kraftfahrzeug-
scheins. verlangt werden. Ferner können der Zu-
stand seines Kraftfahrzeugs festgestellt sowie
Fahr-, Brems- und andere Spuren vermessen, foto-
grafiert oder auf andere Weise gesichert werden.
Unmittelbar nach dem Unfall kann auch gegen
den Willen des Abgeordneten die Entnahme einer
Blutprobe gemäß 8 81a StPO veranlaßt werden
(Nummer 6 Abs. 7 der Richtlinien).
Ein Verfahren zur Abnahme einer eidesstattlichen
Versicherung kann durchgeführt und Haft ange-
ordnet werden, jedoch bedarf die Vollstreckung des
Haftbefehls der Genehmigung des Parlaments
(Nummer 6 Abs. 8 der Richtlinien).
Die Immunität eines Abgeordneten steht den folgenden
Maßnahmen nicht entgegen:
a) In einem Verfahren gegen eine andere Person ist
es zulässig, einen Abgeordneten als Zeugen zu
vernehmen (an einem anderen Ort als dem Sitz
des Parlaments nur mit dessen Genehmigung, $8 50
StPO), eine Durchsuchung vorzunehmen (88 103,
104 StPO) sowie die Herausgabe von Gegenständen
zu verlangen (8 95 StPO) (Nummer 10 Buchst. a
der Richtlinien). Der Abgeordnete ist jedoch be-
rechtigt, das Zeugnis zu verweigern über eine
Person, die ihm in seiner Eigenschaft als Abge-
ordneter oder der er in dieser Eigenschaft Tat-
sachen anvertraut hat, sowie über diese Tatsache
selbst (Artikel 47 GG, Artikel 35 Abs. 2 VvB, $ 53
Abs.1 Nr.4 StPO). Soweit das Zeugnisverweige-
rungsrecht reicht, ist auch die Beschlagnahme von
Schriftstücken unzulässig (Artikel 47 GG, 8 97
Abs. 3 StPO). Beruft sich ein Parlamentsabgeord-
neter auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, ist eine
Beschlagnahme oder Durchsuchung abzubrechen.
Dem Abgeordneten stehen dessen Hilfspersonen
gleich. Über die Ausübung des Zeugnisverweige-
rungsrechts der Hilfspersonen entscheidet der Ab-
geordnete ($ 53 a, 8 97 Abs. 4 StPO).
Gegen Anstifter, Mittäter, Gehilfen oder andere an
der Tat eines Parlamentsabgeordneten beteiligte
Personen (z. B. Hehler, Begünstiger) können Er-
mittlungsverfahren eingeleitet und durchgeführt
werden. Ist der Abgeordnete ein Mitglied des Ab-
geordnetenhauses von Berlin, ist von diesem Ver-
fahren der Präsident des Abgeordnetenhauses un-
verzüglich auf dem Dienstweg zu verständigen
(Nummer 10 Buchst. b der Richtlinien).
Bei einer Anzeige gegen einen Parlamentsabgeord-
neten kann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen
über die Persönlichkeit des Anzeigenden und über
andere Umstände, die zur Beurteilung der Ernst-
haftigkeit einer Anzeige wichtig sind, durchführen,
um festzustellen, ob eine Anzeige offensichtlich un-
begründet (querulatorisch, vexatorisch) ist (Num-
mer 6 Abs. 2 der Richtlinien).
21)
15.
IV. Zulässige Maßnahmen bei bestehender Immunität
14. Ohne Aufhebung der Immunität durch das Parlament
können die folgenden Maßnahmen getroffen werden:
a). Die Polizei kann eine Anzeige entgegennehmen oder
fertigen.
Ein Verfahren kann ohne Ermittlungshandlungen
eingestellt werden;
ein Privatklageverfahren kann vor Anberaumung
einer Hauptverhandlung eingestellt werden (8 383
Abs. 2 Satz 1 StPO);
von der Erhebung. einer öffentlichen Klage kann
abgesehen werden ($ 153 Abs.1l, 8 153b Abs.1,
8 154 Abs. 1 StPO).
(Nummer 6 Abs. 1 der Richtlinien).
Gegen Abgeordnete ist ein Sühneverfahren ($ 380
StPO) zulässig, jedoch darf eine Ordnungsstrafe
gegen den Abgeordneten weder angedroht noch ver-
hängt werden (Nummer 6 Abs. 4 der Richtlinien).
Ein Abgeordneter kann bei Begehung der Tat oder
im Laufe des folgenden Tages festgenommen wer-
den (z. B. Artikel 46 Abs. 2 GG). Die Festnahme
eines Berliner Abgeordneten ist hingegen nur ZzU-
lässig, wenn er bei Begehung der Tat angetroffen
wird (Artikel 35 Abs.3 VvB). In diesen Fällen
bedarf die Einleitung eines Strafverfahrens nicht
der Genehmigung des Parlaments. Die Polizeivoll-
zugsbeamten sind im Rahmen des Legalitätsprin-
zips (8 163 StPO) berechtigt und verpflichtet, die
Tat zu erforschen und die dazu erforderlichen poli-
zeilichen Maßnahmen zu treffen (z. B. Durch-
suchungen, $ 102 ff. StPO; Beschlagnahmen, $ 94 ff.
StPO; körperliche Untersuchungen, 88 81a, 81c
StPO). Das Ermittlungsverfahren kann auch dann
weitergeführt werden, wenn der Abgeordnete im
Laufe des Verfahrens freigelassen wird. Jedoch
bedarf die erneute Vorführung oder Verhaftung
der Genehmigung des Parlaments (Nummer 7)
Abs. 6 der Richtlinien).
Im Rahmen der geltenden Gesetze sind Maßnahmen
des polizeilichen Gewahrsams zur Abwendung von
Gefahren für das menschliche Leben und Maß-
nahmen nach 8 34 ff. des Bundes-Seuchengesetzes
zulässig. Die zuständige Behörde hat jedoch unver-
züglich den Parlamentspräsidenten über die einem
Abgeordneten gegenüber getroffene Maßnahme zu
unterrichten (Nummer 6 Abs. 9 der Richtlinien).
Polizeiliche und andere Verwaltungszwangsmaß-
nahmen mit Ausnahme der Vollziehung einer
Zwangshaft oder der zwangsweisen Vorführung
dürfen durchgeführt werden (Nummer 6 Abs. 6 der
Richtlinien).
Auf Grund des Gesetzes über Ordnungswidrig-
keiten vom 24. Mai 1968 (BGBlLl.I 8.481 / GVBl.
16.
Von jedem Verfahren gegen einen Abgeordneten, in
dem nicht nach Abschnitt V die Aufhebung der Im-
munität beantragt wird, und von jeder Einschränkung
der Freiheit eines Parlamentsabgeordneten haben die
zuständigen Behörden den Parlamentspräsidenten un-
verzüglich direkt Kenntnis zu geben (Nummer 11 der
Richtlinien).
V. Aufhebung der Immunität
17.
Abgesehen von den Regelungen des IV. Abschnitts
bedarf die Einleitung und Durchführung eines’ Ermitt-
lungs- oder Strafverfahrens gegen einen Parlaments-
abgeordneten wegen einer mit Strafe bedrohten Hand-
lung oder die Beschränkung der persönlichen Freiheit
aines Parlamentsabgeordneten der Genehmigung des