Pat*innen,
Mentor*innen,
Lots*innen:
Engagiert für Bildung
und gesellschaftliche
Teilhabe
4. BBE-Fachkongress im Programm
„Menschen stärken Menschen“
1 | TEXT
2 | IMPRESSUM
Herausgeber:
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17 / 18
10179 Berlin
Tel.: +49 (0)30 62980-110
Fax: +49 (0)30 62980-151
E-Mail: info@b-b-e.de
Web: www.b-b-e.de
Redaktionsteam (BBE):
Madleen Bernhardt
Dr. Behzad Fallahzadeh
Wiebke Kunstreich
Sanga Lenz
Dr. Lilian Schwalb
Layout & Satz:
Daniela Rusch
www.die-projektoren.de
V.i.S.d.P.:
PD Dr. Ansgar Klein (BBE)
Bildnachweise:
Elke Jung-Wolff
www.jung-wolff.de
ISBN:
978-3-948153-08-3
Erscheinungsdatum:
August 2020
Kommt
INHALT
INHALT | 4
Einleitung.............................................................................................................................6
Grußwort............................................................................................................................11
Pat*innenschaften stützen: Vom persönlichen Blick
zu den Forderungen an die Engagementpolitik ..............................................................14
Sackgasse soziale Herkunft?
Patenschaften als Chance für den Bildungserfolg.........................................................24
WORLDCAFÉ
Kommunikation & Vernetzung – Wie erreicht man seine Zielgruppe?..........................34
FISHBOWL
Welche Rahmenbedingungen brauchen Pat*innenschaftsund Mentoringprogramme mit Kindern und Jugendlichen?..........................................37
MEET THE EXPERT
Welche Chancen und Herausforderungen birgt die
Digitalisierung im Kontext von Pat*innenschaften?.......................................................40
WORKSHOP
„Welches Potenzial haben Sozialräume für
Pat*innenschaften und Mentoring?“................................................................................43
Panel I
Helfen in allen Lebenslagen? Pat*innen und Mentor*innen
als pädagogische Laien ...................................................................................................47
Panel II
Wann kommen wir an? – Der lange Weg in die Arbeitswelt...........................................50
Panel III
Verbunden über Generationen? – Beziehungsarbeit in
Pat*innenschafts- und Mentoringprogrammen..............................................................53
Panel IV
Schlüssel für Teilhabe und Integration? –
Chancen und Grenzen ehrenamtlicher Sprachförderung...............................................56
Handlungsempfehlungen.................................................................................................60
Lesung...............................................................................................................................63
Mitwirkende.......................................................................................................................67
Zum Weiterlesen...............................................................................................................71
EINLEITUNG
6 | EINLEITUNG
Einleitung
Das bürgerschaftliche Engagement im Rahmen von Pat*innenschaften und Mentoringbeziehungen bietet vielfältige Perspektiven - für beide Seiten, Pat*innen bzw. Mentor*innen und Mentees.
Mit neuen Ansätzen in Forschung und Praxis sowie guten Rahmenbedingungen der Engagementförderung befasste sich der 4. BBE-Fachkongress im Programm „Menschen stärken Menschen“
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) am 5. und 6. November 2019 in Berlin. „Pat*innen, Mentor*innen, Lots*innen: Engagiert für Bildung und gesellschaftliche Teilhabe“, unter diesem Titel trafen sich rund 200 Expert*innen zur fachlichen Auseinandersetzung im Themenfeld Zivilgesellschaft - Teilhabechancen - gesellschaftliche Integration.
Seit 2016 fördert das Programm „Menschen stärken Menschen“ des BMFSFJ das freiwillige Engagement von Menschen für ihre Mitmenschen. An über 500 Standorten bundesweit sind mittlerweile mehr als 94.000 Pat*innenschaften gestiftet worden. Neben der Verbesserung von Teilhabe
und mehr Bildungsgerechtigkeit zielt das Programm auf die Unterstützung der Engagementlandschaft durch die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und auf eine Stärkung des
gesellschaftlichen Zusammenhalts ab. Mit der Erweiterung der Programmperspektive auf herkunftsunabhängige Chancenpat*innenschaften Ende 2018 zielt das Programm verstärkt auf eine
verbesserte Teilhabe und Chancengerechtigkeit besonders jüngerer Zielgruppen im Bildungsbereich. Vor diesem Hintergrund setzt der diesjährige Kongress einen inhaltlichen Schwerpunkt auf
die Perspektiven bürgerschaftlichen Engagements für Zugänge zu Bildung und für gesellschaftliche Teilhabe. Denn: Im Engagement, insbesondere in Pat*innenschaftsprogrammen, liegt sehr
viel Bildungspotenzial. Alle Beteiligten einer Pat*innen- oder Mentoringbeziehung profitieren, sowohl in formalen als auch in informalen und informellen Bildungskontexten.
Die Keynote von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Autor der 18. Shell-Jugendstudie, thematisierte den
engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und der Bewältigung vielfältiger Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen sowie die Potenziale von Pat*innenschaften und Mentoring diesen Zusammenhang aufzubrechen. Dabei machte er deutlich, dass Pat*innenschaften in sämtlichen Feldern
der Entwicklung, nicht nur im Bildungsbereich, erfolgreich zum Einsatz kommen könnten.
Pat*innenschaftskonzepte setzten häufig an Bildungsübergängen und Veränderungsprozessen
an und böten auf die jeweilige Situation abgestimmte Angebote an, um insbesondere in herausfordernden Situationen zu begleiten und zu unterstützen. Hierfür bedarfe es komplexer Rahmenbedingungen. Dies wurde auch in dem vertieften Austausch in den Fachformaten deutlich, die
ein breites inhaltliches Spektrum bearbeiteten. In Podiumsdiskussionen und Debatten im Plenum
standen neben engagement- und bildungspolitischen Themen auch Perspektiven des Bundesprogramms im Fokus. Dies vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Veranstaltung weitreichende Kürzungen für das Bundesprogramm im Raum standen. Weiterhin gab ein „Meet & Greet“
Möglichkeiten zum fachlichen Austausch und zur Vernetzung. Abgerundet wurden die Formate
durch eine Lesung, die persönliche und reflektierte Einblicke in eine Pat*innenschaft und ihre Rahmenbedingungen bot.
7 | EINLEITUNG
Bildungspotenziale im Engagement heben
Anlässlich der inhaltlichen Erweiterung des Programms „Menschen stärken Menschen“ Ende
2018 gerieten zunehmend bildungspolitische Aspekte zu Teilhabe und Chancengleichheit in
das Blickfeld der Programmträger, die sich dabei immer auch an der Schnittstelle zu Engagement- und Demokratiepolitik befinden. Ein „Politisches Gespräch zu Engagement und Bildung“
am ersten Kongresstag setzte bei dieser Thematik an und diskutierte aktuelle Fragestellungen,
die unter anderem durch die Programmträger im Zuge eines BBE-Fachworkshops im Vorfeld
gemeinsam erarbeitet wurden. Das Gespräch führten Michael Tetzlaff, Leiter Zentralabteilung
1 Demokratie und Engagement des BMFSFJ, die Bundestagsabgeordneten Dr. Karamba Diaby
(SPD) und Martin Patzelt (CDU) sowie Carola Schaaf-Derichs, BBE-Sprecher*innenrat und Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin.
Eröffnet wurde die Runde mit einem Blick auf die Erweiterung von „Menschen stärken Menschen“,
durch die seit Ende 2018 neben Geflüchteten auch andere Zielgruppen von dem Programm profitieren können. Grundlegend hierfür war die Tatsache, dass der Bedarf an Unterstützung durch
Pat*innenschaften und Mentoring auch herkunftsunabhängig besteht. So ist zu erwarten, dass
2019 30.000 weitere Pat*innenschaften gestiftet werden. Die angelaufene zweite Wirkungsanalyse wird Ende 2020 erscheinen und dies zeigen.
Das Programm fördere ein zentrales Element für Pat*innenschaften, die Beziehungsarbeit. Da es
sich um einen hochsensiblen Bereich handele, brauche es Spezialist*innen im Hauptamt, die als
Back-Up sicherstellen, dass das Ehrenamt gut geleistet werden könne. Pat*innenschaften bedürften einer Perspektive nach vorn, dazu gehörten auch Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne eines
„train the trainer“. Für all dies werde finanzielle Stabilität benötigt.
Der Bildungsbegriff müsse erweitert werden, so sei z.B. die emotionale Bildung in früher Kindheit
sehr wichtig und Versäumnisse an dieser Stelle durch kognitive Bildung später schwer nachholbar. Hilfestellungen und Interventionen durch das bürgerschaftliche Engagement sollten dabei die
ganze Familiensituation berücksichtigen. Die zentrale Frage müsse lauten: Wie kommen wir zu
einer solidarischen Gesellschaft und welchen Beitrag leistet Engagement hierfür?
In der Bildungspolitik müssten Bildungsangebote außerhalb des Lernorts Schule verstärkt wahrgenommen werden. Außerschulische Angebote bieten vielfältige Gelegenheiten, Themen wie
8 | EINLEITUNG
Anti-Rassismus, Nachhaltigkeit und Ökologie lebensnah und relevant zu vermitteln. Außerdem sei
es wichtig, dass Schulen sich noch mehr für Engagement- und Lernangebote öffneten und das
Thema verstärkt Eingang in die Curricula der Bildungseinrichtungen finde.
In Hinblick auf die zum Zeitpunkt des Kongresses drohenden, später im Jahr abgewendeten, massiven Kürzungen für das Programm im Jahr 2020 erkannte das Ministerium an, dass die fehlende
Perspektive hinsichtlich einer Kontinuität der Förderung zu Verunsicherungen im Trägerfeld führe. Eine
längerfristige Förderung sei erstrebenswert, Grundlage dafür sei aber eine tragfähige Rechtsgrundlage, die es bislang nicht gäbe. BMFSFJ und BMI würden prüfen, welche rechtlichen Verbesserungen
möglich seien. Das Demokratiefördergesetz ziele bereits in die Richtung von mehr Planungssicherheit.
Die Bedeutung von rechtlichen Rahmenbedingungen, um Mentoring und bürgerschaftliches Engagement in der Bildung zu fördern, wurde hervorgehoben: Daueraufgaben gehörten dauergefördert, die Engagementpolitik solle dahingehend ausgerichtet sein, gut funktionierende Programme
und die bestehende Infrastruktur, auf Bundes- wie auf lokaler Ebene, zu unterstützen. So könne
das hohe Engagementpotenzial in der Gesellschaft genutzt werden, um den gesellschaftlichen
Wandel produktiv zu gestalten, vielfältige Vorbilder zu schaffen, Radikalisierung entgegenzutreten
und um Empathie und Resilienz zu stärken, die wichtige Grundfeste für eine lebendige Zivilgesellschaft und Demokratie seien. Letztlich gäbe es weder wirtschaftliche Prosperität noch politische
Stabilität ohne gesellschaftliche Stabilität.
Sichere Rahmenbedingungen für eine starke Engagement-Infrastruktur
Die den Kongress beschließende Diskussionsrunde bündelte und reflektierte zentrale Inhalte der
beiden Veranstaltungstage und nahm potenzielle Perspektiven des Programms in den Blick. Das
Gespräch führten Dr. Christoph Steegmans, Unterabteilungsleiter Zentralabteilung 1 Demokratie und Engagement des BMFSFJ, Michael Bergmann, BBE-Sprecher*innenrat und Leiter Engagementförderung beim Deutschen Caritasverband, Olaf Ebert, Geschäftsführer der FreiwilligenAgentur Halle-Saalkreis, sowie Elisabeth Kaneza, Gründerin der Kaneza Foundation for Dialogue
and Empowerment und BBE-Themenpatin für Junges Engagement. Die Teilnehmenden positionierten sich eingangs mit Statements zu ihren engagementpolitischen Visionen für die nächsten
fünf bis zehn Jahre. In die folgende Diskussion flossen auch die wichtigsten Befunde aus der
vorangegangenen Arbeit in den Panels „Wissenschaft trifft Praxis“ ein.
9 | EINLEITUNG
Pat*innenschaften und Mentoring ermöglichten Begegnungen auf Augenhöhe – gut umgesetzt
wie im Programm „Menschen stärken Menschen“ leisteten sie einen bedeutenden Beitrag zum
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Generationsübergreifend, mit der Grundhaltung des gegenseitigen Lernens und Entwickelns könnten die Lebenserfahrungen und Kompetenzen beider Seiten
fruchtbar gemacht werden. Idealerweise entstehe daraus ein gegenseitiges Empowerment, das
Teilhabechancen fördere, und eine „Kultur des selbstverständlichen Engagements“, die zivilgesellschaftliches, solidarisches und demokratisches Handeln fördere.
Bildungseinrichtungen sollten sich stärker für partizipative Ansätze (z.B. Schülerbeteiligungen) und
Engagement öffnen. Alternative Gestaltungsformen von Bildung, z.B. mittels einer Reflexion des
eigenen Engagements im Service Learning, seien geeignet, um Vorurteilen zu begegnen. Obwohl
Deutschland ein Einwanderungsland ist, sei Chancengleichheit keine Selbstverständlichkeit, sondern nach wie vor ein Privileg des bessergestellten Teils der Mehrheitsgesellschaft. Mentoring könne Brücken zu mehr Teilhabemöglichkeiten bauen, wobei das Engagement alle Beteiligten stärke.
Empowerment für Minderheiten sei wichtig, visionäres Ziel dabei: Diversität als Norm zu verstehen.
Es bedürfe guter Rahmenbedingungen gleichermaßen für Hauptamtliche, Pat*innen/Mentor*innen und Mentees, damit die Programme stabil und qualitätsvoll umgesetzt werden könnten. Diese
müssten durch einen gesellschaftspolitischen Rahmen flankiert werden, der über Parteigrenzen
hinaus integrierend wirken sollte. Die Programmfinanzierung dürfe nicht zum Spielball haushaltspolitischer Konjunkturen gemacht werden, starke finanzielle Schwankungen bürgten die Gefahr,
Engagierte zu verschleißen und verspielten das bestehende Vertrauen der Träger in die Förderer.
Es bedürfe einer langfristigen Perspektive für die Weiterentwicklung des Programms. Im Sinne
von Nachhaltigkeit sollte die jüngst gegründete Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement
evaluieren, wie die Programme untereinander wirkten.
Angesichts der Tatsache, dass die Gesellschaft sich in einem dynamischen Wandel befinde,
müssten Programme stabil aufgestellt sein, um sich entsprechend neu justieren zu können. Der
radikalisierte politische Diskurs, besonders geführt in den Sozialen Medien, aber auch die zunehmenden rechtsextrem motivierten Übergriffe und Gewalttaten machten deutlich, dass Engagement und gesellschaftlicher Zusammenhalt zunehmend wichtig seien. Nur mithilfe einer starken
lokalen Infrastruktur könne die Demokratie und das Engagement vor Ort und in der Fläche wirksam gestärkt werden.
DANKSAGUNG
Der BBE-Pat*innen-Kongress gab den Rahmen für einen vielseitigen und inhaltsreichen Austausch
– auf der Bühne, in den Fachforen und auch in den Pausen wurden spannende Diskussionen geführt und nachhaltige Impulse gesetzt. Wir danken allen Referent*innen für ihren Einsatz und die
eingebrachte Expertise und allen weiteren Teilnehmenden für die Bereicherung aller Formate durch
ihre aktive Beteiligung am fachlichen Austausch, der Vernetzung und einem offenen Miteinander.
Weiterhin gilt unser Dank den weiteren Trägern für die professionelle und kollegiale Zusammenarbeit im Programm, die einen der Pfeiler für den Erfolg des Programms bildet.
Nicht zuletzt danken wir dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und
seinen Vertreter*innen des Bundesprogramms sehr herzlich für die immer sehr gute Zusammenarbeit und für die Ermöglichung des Kongresses.
GRUSSWORTE
11 | GRUSSWORTE
Grußwort
JULIANE SEIFERT, Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Sehr geehrter Herr Dr. Röbke,
Sehr geehrte Frau Dr. Schwalb,
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Odysseus sich auf den Weg machte, um mit Agamemnon, Achilles und vielen anderen gegen
Troja zu ziehen, ließ er seine Familie auf Ithaka zurück: seine Frau Penelope und seinen Sohn
Telemachos. Die Erziehung von Telemachos übergab er seinem alten Jugendfreund Mentor. So
erzählt es Homer.
Dort kommt der Begriff des Mentors her. Oft ein älterer, lebenserfahrener Mensch, der sich um
einen jüngeren kümmert - der ihn auf seinem Lebensweg berät, begleitet und unterstützt. Von
diesen Mentoren, Lotsen oder Paten gibt es viele in unserem Land – Frauen und Männer. Sie sind
aktiv in der Hausaufgabenhilfe, als Vorlesepatinnen und -paten, als Integrationshelferinnen und
Integrationshelfer und vieles mehr. Menschen, die auf andere zugehen, ihnen Hände reichen und
Wege weisen. Menschen, denen unser Zusammenhalt am Herzen liegt. Menschen, die sich darum kümmern, dass an unserer Gesellschaft alle teilhaben.
Dazu gehören auch Sie, die vielen Engagierten im Patenschaftsprogramm „Menschen stärken
Menschen“. Sie zeigen tagtäglich, was Engagement alles bewegen kann. Ich danke Ihnen für Ihren
Einsatz. Mit diesem vierten Kongress blicken wir auf vier gute Jahre zurück. Vier Jahre mit zehntausenden Patenschaften, vier Jahre des Miteinanders und Füreinanders. Am Anfang stand eine
Idee: Das große Engagement der Menschen in unserem Land zu nutzen, um zu uns geflüchteten
Menschen das Ankommen zu erleichtern. Weil man eine Sprache leichter lernt, wenn man sie
nicht nur im Unterricht in Rollenspielen übt, sondern sie im Alltag anwendet. Beispielsweise um
sich über Kindererziehung, die letzten Fußballergebnisse oder Kochrezepte auszutauschen. Und
weil man weniger Berührungsängste hat, wenn man einfach mal mitgenommen wird: Beim ersten
Mal einkaufen, beim ersten Arztbesuch, bei der Eingewöhnung der Tochter in der Kita.
Wir im Bundesfamilienministerium verstehen uns als Gesellschaftsministerium. Daher haben wir
gesagt: Wir dürfen die Menschen nicht allein lassen, die sich überall im Land einbringen. Die anpacken, anstatt zu resignieren, die gestalten, anstatt zu mäkeln. Das war der Startschuss für unser
Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“. Dieser Schuss hallt bis heute nach. Das zeigen
dieser Kongress und der Programmerfolg. Seit dem Start haben wir über 94.000 Patenschaften
gestiftet. Eine unglaubliche Zahl, zumal da ja oft mehrere Personen, manchmal ganze Familien
dazugehören.
Ein Schlüssel zum Erfolg von „Menschen stärken Menschen“ sind die 29 Programmträger. Und die
über 500 lokalen Einrichtungen, die das Programm gemeinsam umsetzen. Das Programm gibt
kein bestimmtes Konzept vor, kein „one fits all“. Die Einrichtungen vor Ort kennen die Menschen
und die Herausforderungen. Sie wissen, was gebraucht wird und sorgen dafür, dass das Angebot dazu passt. Dabei werden sie von den Trägern unterstützt: zum Beispiel mit administrativem
Know-How und Öffentlichkeitsarbeit. Viele von Ihnen sind heute hier. Daher will ich diese Gelegenheit nutzen und Danke sagen. Vielen Dank für Ihren Einsatz! Ohne Sie wäre dieser Erfolg, wäre
dieses Programm undenkbar. Sie sorgen für das Matching von potenziellen Patinnen, Paten und
12 | GRUSSWORTE
Mentees. Sie begleiten die Patenschaften, beraten alle Beteiligten und halten den Kontakt oft noch
weit über die eigentliche Patenschaft hinaus.
Das führt mich direkt zum zweiten Schlüssel des Erfolgs: den Engagierten. Es sind Menschen, die
handeln, die aufeinander zugehen und einen Unterschied machen. Eine Patenschaft ist eine ganz
besondere Art des Engagements. Sie verlangt von beiden Seiten, sich aufeinander einzulassen.
Sie bedeutet, eine andere Perspektive kennenzulernen und auch mal Kritik zu ertragen und Konflikte auszutragen. Sie kostet viel Zeit und Kraft, oft mehr als eine einfache Vereinsmitgliedschaft,
wo man einmal in der Woche oder im Monat hingeht – oder auch nicht.
In einer Patenschaft steckt viel Arbeit. Aber anderen helfen macht auch viel Spaß. Das sagt uns die
Wirkungsanalyse des Programms. Bei einem Träger haben zum Beispiel 93 Prozent der Befragten
angegeben, dass ihnen ihr Engagement Spaß macht und sie persönlich weiterbringt. So wie bei
Malik aus Afghanistan. Einige Zeit nach seiner Ankunft in Deutschland bekam er 2017 einen Lernpaten, der ihn beim Deutschlernen und im Alltag unterstützt hat. Er besucht mittlerweile die 12.
Klasse des Berufskollegs in Ratingen und will nach seinem Abschluss gerne Informatik studieren.
Kürzlich hat er eine Wohnung gefunden, in der er mit seinem Bruder bald einziehen möchte. Weil
für ihn zu einem echten Zuhause die Familie einfach dazugehört. Er hat es geschafft. Er ist angekommen – und will nun anderen helfen, das Gleiche zu erreichen. Er will der Gesellschaft und
den vielen Menschen, die ihn unterstützt haben, etwas zurückgeben. Seit dem letzten Jahr hat er
selbst eine Patenschaft übernommen und gibt einem Schüler aus der siebten Klasse Nachhilfe in
Mathematik.
Die Erfolge und die Vielfalt der Angebote haben uns im letzten Jahr (2018, Anm. d. Red.) darin
bestärkt zu sagen: Wir weiten das Programm aus. Alle Menschen, die sich in einer schwierigen
Situation befinden, haben Unterstützung und ihre Chance verdient. Und wenn das nicht reicht,
eine zweite oder dritte: Die Chancenpatenschaften waren geboren. Ob junge Schulabbrecher, die
Begleitung auf ihrem Weg zurück ins Bildungssystem benötigen, ältere Menschen, die nicht mehr
gut zu Fuß sind und drohen, zu vereinsamen, oder Strafgefangene, die sich auf ihr Leben in Freiheit vorbereiten wollen. Sie alle können unterstützt werden.
Der Erfolg des Programms und Ihr Einsatz sprechen für sich. Sie sind die beste Werbung für bürgerschaftliches Engagement. Für den Wert, den ein persönliches Engagement für einen selbst
und für unsere Gesellschaft insgesamt hat. Und Sie sind mit Ihrem Einsatz nicht allein. Es gibt
weitere Programme, die den Mentoring- oder Patenschaftsansatz erfolgreich nutzen. Etwa die
„Aktion zusammen wachsen“, die seit 2008 über ihre eigene Projektdatenbank potentielle Mentoren und Patinnen und Paten mit Projekten zusammenbringt. Projekte, die wiederum Kinder und
Jugendliche in ihrer Sprach- und Lesekompetenz und auf ihrem Bildungsweg unterstützen. Da die
„Aktion zusammen wachsen“ sich auch an ältere Menschen nach der Erwerbsphase richtet, trägt
sie zugleich zum Dialog zwischen den Generationen bei. Das kann für unsere älter werdende Gesellschaft nur gut sein.
Ein anderes Programm, das sich der Unterstützung und Begleitung von Familien widmet, ist unser
ESF-Programm „Elternchance“. Über 12.000 pädagogische Fachkräfte haben wir damit zu Elternbegleiterinnen und Elternbegleitern qualifiziert. Sie sind nah an den Familien dran. Und das bundesweit. Sie arbeiten in Familienzentren, Kitas, Mehrgenerationenhäusern, Jugendämtern und
anderen Stellen. Sie kennen die Angebote vor Ort für Familien und stehen Eltern mit Rat und Tat
zur Seite. Zum Beispiel bei der Suche nach einem Kita-Platz, der weiterführenden Schule oder anderen Förderangeboten. Hier die Zusammenarbeit und den Austausch voranzubringen, ist sicher
13 | GRUSSWORTE
wertvoll. Auf diese Weise können wir gemeinsam vorhandenes Wissen nutzen, um die Qualität
von Patenschaftsprogrammen, ihre Angebote und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Das stärkt
jedes einzelne Projekt und das bürgerschaftliche Engagement insgesamt.
Dafür setzen wir uns auch mit der Deutschen Engagementstiftung ein, die wir noch in diesem
Jahr gründen. Sie wird eine Anlaufstelle für alle sein, die sich für unser Gemeinwesen einbringen
wollen. Mit der Stiftung wollen wir Engagement überall, aber besonders in strukturschwachen
Regionen stärken. Wir wollen für einen besseren Austausch untereinander sorgen, damit gute Beispiele schneller Schule machen. Und damit Engagierte schnelle Antworten finden, wenn sie sich
zum Beispiel fragen: Welche Partner gibt es für meine Initiative im Umkreis? Wo finde ich Fortbildungsangebote? Oder: Wie werbe ich Spenden ein und was muss ich beim Thema Datenschutz
besonders beachten? Mit der Stiftung wollen wir den Engagierten in Deutschland den Rücken
stärken. Dieses wertvolle Engagement hat einen stabilen Rahmen und Förderung verdient.
Meine Damen und Herren,
Sie arbeiten mit Ihrem Engagement in Patenschaftsprogrammen dafür, dass alle Menschen ihren
Weg gehen können. Sie arbeiten für gesellschaftliche Teilhabe, für Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für alle. Wie das noch besser gelingen kann, darüber werden Sie sich heute und morgen austauschen.
Ich danke den vielen Fachleuten, die ihr Wissen hier einfließen lassen. Und ich danke dem Bundesnetzwerk für Bürgerschaftliches Engagement, das für Sie wieder ein spannendes, vielseitiges
Programm auf die Beine gestellt hat.
Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit und wünsche Ihnen einen erfolgreichen Kongress.
Es gilt das gesprochene Wort.
14 | GRUSSWORTE
Pat*innenschaften stützen:
Vom persönlichen Blick zu den Forderungen
an die Engagementpolitik
DR. THOMAS RÖBKE, Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrats,
Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte heute mit Ihnen einen Parforceritt absolvieren, nämlich von ganz persönlichen, oft
sehr berührenden, manchmal ernüchternden, ja frustrierenden, manchmal stolz machenden Erfahrungen (mein erster Punkt) über die Frage, was bürgerschaftliche Pat*innenschaften leisten
können (mein zweiter Punkt), bis hin zu den rahmensetzenden und fördernden Bedingungen der
Engagementpolitik (mein dritter Punkt). Ich komme also vom Einzelnen ins Allgemeine.
1. Persönliche Erfahrungen
Vor fünf Jahren begann ich ehrenamtlich zwei Jugendliche zu unterstützen, die als unbegleitete
Flüchtlinge nach Nürnberg kamen. Die Bedingungen damals waren noch sehr entspannt, keine
vollen Aufnahmeeinrichtungen, die von Sicherheitsdiensten bewacht wurden, wie sie nach dem
großen Ansturm über die Balkanroute im Herbst 2015 aus dem Boden gestampft wurden, sondern eine gut ausgestattete Jugendhilfeeinrichtung, in der beide ihre eigenen Zimmer hatten.
Ich wollte mich engagieren und wandte mich an eine Anlaufstelle der Arbeiterwohlfahrt, die derartige ehrenamtliche Tätigkeiten in Nürnberg vermittelt. Und so kam ich dann zu Ali und Sultan
(Namen geändert), die einen Nachhilfelehrer suchten. Obwohl sie erst seit ein bzw. zwei Jahren
in Deutschland lebten und ihre Deutschkenntnisse noch äußerst lückenhaft waren, wollten sie
unbedingt einen qualifizierten Hauptschulabschluss schaffen. Dass Bildung der Schlüssel zur Integration ist, musste man ihnen nicht eintrichtern. Das wussten sie schon selbst.
Ich lernte zwei wissbegierige, freundliche Jungen kennen, die unglaublich schnell die deutsche
Sprache erlernten und die Kugeloberfläche berechnen konnten.
Meine Frau sagte mir, als beide dann tatsächlich den qualifizierten Hauptschulabschluss geschafft hatten, so voller Stolz und Freude hätte sie mich schon lange nicht mehr gesehen. Und
in der Tat: Das hat mir schon die Tränen in die Augen getrieben. Bei dem von mir spendierten
Belohnungseis hatte ich ihnen dann das Du angeboten und meinte auch, dass mein Einsatz jetzt
zum Ende gekommen sei. Aber beides lehnten sie ab. Sie wollten weiter Sie zu mir sagen, weil
man das eben zu Lehrern aus Respekt so sagt, meinten sie. Und außerdem wollten sie jetzt die
Mittlere Reife machen und da brauchten sie meine Unterstützung. Naja, das hat mich nochmal
stolz gemacht, muss ich zugeben.
Ich habe aus der Innensicht eines betroffenen Ehrenamtlichen mal versucht, meine Rolle zu definieren: Ehrenamtliche können keine offiziellen Dokumente ausstellen oder Traumata psychologisch aufarbeiten. Aber sie können für eine freundliche Normalität sorgen und Vertrauen herstellen. Also unangestrengt und selbstverständlich für Beheimatung sorgen. Das ist oft beglückend,
aber auch manchmal frustrierend. Es stößt sich auch an politischen Gegebenheiten, deshalb haben sich auch viele Flüchtlingshelferkreise öffentlich zu Wort gemeldet. Man muss sich auch
15 | GRUSSWORTE
immer wieder selbst motivieren, obwohl ich doch gerade von den Jungen viel Wertschätzung
erfahren habe. Ich habe mal auf einer längeren Taxifahrt in Berlin meine Erlebnisse einem afghanischen Taxifahrer erzählt, der schon Jahrzehnte in Deutschland lebt. Er sagte mir: „Sie wissen gar
nicht, wieviel sie diesen Jungen bedeuten, sie sind doch hier einer der wichtigsten Anker für sie.“
Das hat mir auch meine Verantwortung aufgezeigt.
Aber ich habe viel gelernt, nicht nur über andere Kulturen, sondern auch über meine eigene. Es
ist einfach unglaublich, welche Sicht man auch auf seine eigene erhalten kann, wenn man sie
gleichsam durch fremde Augen reflektiert. Mir ist aufgegangen, nur als kleines Beispiel, in welch
unsäglichem Deutsch die meisten mathematischen Textaufgaben formuliert sind. Das ist zum
Teil hanebüchen. Und warum muss man sich sieben unterschiedliche sprachliche Ausdrücke für
Plus und ebenso viele für Minus ausdenken, wenn man doch nur Gleichungen in Sprache übersetzt? Was hat das mit der Praxis zu tun? Dann scheitern Schüler nicht an der Rechnung, sondern
an einem komplizierten und schlechten Deutsch, das niemand spricht.
Über die lange Zeit hat sich das persönliche Vertrauen vertieft. Ali und Sultan fragen mich schon
mal, wie das mit den Mädchen ist, und ich denke, ich sollte da nicht anders reagieren als bei
meinem eigenen Sohn: die Nöte hören, über die ungeheure Schüchternheit sprechen, über den
Respekt, sich dem anderen Geschlecht zu nähern. Als die Vorkommnisse in der Silvesternacht in
Köln bekannt wurden, reagierten sie mit absolutem Unverständnis. Die folgende Diskussion hat
übrigens dazu geführt, dass wir gemeinsam in den Film „Suffragetten“ gegangen sind. Sie haben
mitgefiebert mit den Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in England für das allgemeine Wahlrecht gekämpft haben. Und wir haben alle herzlich gelacht, als im Abspann des Filmes in chronologischer Reihenfolge die Länder aufgezählt wurden, die das Frauenwahlrecht eingeführt haben.
Da stand dann an vorletzter Stelle die Schweiz (1971), danach kam Saudi-Arabien, das 2015 das
kommunale Frauenwahlrecht einführte. Auch wenn wir zu unseren Grundwerten stehen, so hat
mich diese Erfahrung doch zwei Dinge gelehrt: Erstens, unsere Grundwerte wurden erkämpft, sie
existieren nicht schon seit einer europäischen Ewigkeit und dieser Kampf ist auch noch nicht zu
Ende, denn die Gleichberechtigung der Frauen ist heute immer noch auf der Tagesordnung. Zum
anderen sollten wir nicht in das Vorurteil verfallen, dass muslimische Jungs grundsätzlich anders
denken. Ich will damit die Probleme der Integration keinesfalls kleinreden. Aber ich glaube doch,
dass die Rolle einer ehrenamtlichen Begleitung, die eben freundlich darüber aufklärt, wie unsere
16 | GRUSSWORTE
Gesellschaft tickt, für gelingende Integrationsprozesse von großer Bedeutung ist. Denn viele Konflikte beruhen nicht auf einem prinzipiellen „Clash of Cultures“, sondern eher auf der Unsicherheit,
welche Regeln gelten, welche feinen Signale im gesellschaftlichen Verkehr zu beachten sind, um
keinen Fauxpas zu begehen.
Ich erlebe die Begegnung mit den beiden für mich wie ein Gegengift zu jenen Nachrichten, die
mich täglich erreichen. Sultan ist Sunnit und kommt aus dem Norden Pakistans, Ali ist Schiit und
stammt aus Afghanistan. Sie sind Freunde und respektieren einander. Sie haben mir den Unterschied erklärt, der in der Auffassung über die Nachfolge des Propheten seinen Ursprung hat. Ich
dachte mir, naja, was so kleine Abweichungen für große Wirkungen erzielen können. Aber wir
waren ja im Christentum auch nicht anders: Unser Streit über das Abendmahl oder noch früher
über das Wesen der Dreifaltigkeit hat im Christentum zu großen Schismen geführt, die zum Teil in
blutigen Glaubenskriegen ausgefochten wurden.
Gemeinsam besuchen wir die beiden Moscheen, in denen Sultan und Ali ihr Gebet verrichten. Die
sind, von außen gesehen, die letzten Bruchbuden, von innen betrachtet liebevoll hergerichtete Gebetsräume. Der Imam empfängt mich respektvoll, wir kommen ins Gespräch, anfangs schüchtern,
dann immer herzlicher. Sultan übersetzt, was ihn sichtlich stolz macht. Wir reden darüber, dass
für den Frieden in der Welt jeder Mensch wichtig sei, ungeachtet seiner religiösen Zugehörigkeit.
Es komme doch auf die Begegnung an. Im Hintergrund spielen Kinder Fangen, sausen jauchzend
über die Teppiche und schlugen sich dort frei, wo sonst der Vorbeter seinen Platz einnimmt. Der
Imam lächelt etwas schüchtern. Die wüssten, das könnten sie sich herausnehmen, weil ja jetzt
Besuch da sei. Wir lachen gemeinsam. Ich zeige Sultan und Ali, gleichsam als Gegenbesuch, den
Nürnberger Johannisfriedhof und die Lorenzkirche mit ihren imposanten Kulturschätzen. Im Zeitalter einer besseren ökumenischen Verständigung, denke ich mir, wäre es schön, wenn man mal
die Räume der Gottesdienste wechseln würde.
Über die Jahre bleiben die Kontakte regelmäßig, aber sie werden auch weniger und dann erfahre
ich, mit welchen Zufällen, aber auch mit welcher Härte politische Schläge die so hoffnungsvollen
Wege krümmen können.
Sultan ist in Pakistan geboren. Die Region, aus der er stammt, war ein wichtiges Rückzugsgebiet
der Taliban, auch Bin Laden hatte dort seinen Unterschlupf gefunden. Die Taliban wollten dort mit
Gewalt den Menschen ihre strengen Regeln aufzwingen, daher hat er sich auf den Weg gemacht
und seine Heimat verlassen, kurz nachdem er seinen Vater bei einer Bombenexplosion verloren
hatte. Als Ältester sollte er wenigstens in Sicherheit kommen, um die Familientradition fortzuführen. Diese Haltung ist uns modernen Kleinfamilien vielleicht fremd und sie hat auch ihre Untiefen,
wie man noch sehen wird. Die Taliban wollten einen Gottesstaat errichten, sie wollten dafür eine
Kinderarmee unter Zwang rekrutieren, der sich auch einige Spielgefährten und Schulkameraden
Sultans anschließen mussten. Mit entführten Kindern wollten sie ihre Kampfgruppen verstärken.
Mädchen und Frauen mussten sich in eine Burka hüllen. Die Taliban schlossen die Schulen, zerstörten sogar die Schulgebäude. Kinder und Frauen trauten sich nicht mehr auf die Straße.
Das Leben in Pakistan war seit dieser Zeit von Extremen geprägt. In der Kulturmetropole Punjab
singen Sufi-Rocker von Liebe und Leidenschaft, während radikale Islamisten den Hass auf Andersgläubige predigen. Pakistan an sich ist ein sehr schönes Land, alle sind sehr höflich und gastfreundlich, sagt Sultan. „Aber ich habe gesehen, wie schnell sich eine Kultur spalten und selbst
zerstören kann, durch Fanatismus und Gewalt, die überall Misstrauen säen.“
17 | GRUSSWORTE
Sultan kommt nach längeren Irrfahrten nach Deutschland. Er lernt schnell. Schon nach einem
Jahr kommt er in eine Regelschule. In 2014 besteht er den qualifizierten Hauptschulabschluss
mit einem Durchschnitt von 2,3. Das war der zweitbeste Abschluss der ganzen Schule. Er will
in zwei Jahren die mittlere Reife machen. Nach einem guten Zeugnis nach dem ersten Jahr bekommt er von einer Firma einen Lehrvertrag angeboten, aber er kann nicht zusagen, weil er vom
Ausländeramt keine Arbeitserlaubnis erhält. Er klagt, verliert vor Gericht, er bekommt keinen Aufenthaltstitel. Pakistan gilt als einigermaßen sicher, die Bedrohung, die er als Kind erfahren hatte,
nicht so schwerwiegend. Das ist die Situation, als er im zweiten Schuljahr für die Mittlere Reife
steckt. Seine Noten werden schlechter, er lässt die Schule schleifen, verfehlt dann die Mittlere Reife, was er mir aber verheimlicht. Immer mehr zieht er sich in eine Community von pakistanischen
männlichen Jugendlichen zurück. Er gerät in eine Schlägerei mit indischen Jugendlichen, obwohl
er selbst nicht Hand anlegt, wird das eben polizeilich vermerkt.
Irgendwann werde ich von Sultans sozialpädagogischem Betreuer davon in Kenntnis gesetzt,
dass Sultan immer öfter in der Schule fehlt. Ich versuche mich für ihn einzusetzen. Er ist doch
gut integriert und hat sogar eine Lehrstelle in Aussicht, das muss doch zählen. Das Ausländeramt in Nürnberg ist allerdings bekannt für seine Unnachgiebigkeit, es halte sich an das Gesetz,
lege es aber kaum aus nach den auch möglichen Spielräumen, sondern bleibe buchstabentreu.
So sagt man. Ich selbst kann das nicht beurteilen. Ich wende mich an den Oberbürgermeister. Er
verspricht auch zu unterstützen. Ich nenne im Gespräch mit ihm den in Schweden so erfolgreich
umgesetzten Spurwechsel, wo Asylbewerber, die sich integriert und gute Aussichten auf dem
Arbeitsmarkt haben, eine Chance erhalten, bleiben zu können. Der Bürgermeister sagt, schöne
Idee, aber das wird dauern, bis das kommt. Seit Mai 2019 gibt es jetzt das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, das den Spurwechsel vorsieht, aber für Sultan kommt das zu spät.
Er zieht seine eigenen Schlüsse. Ich weiß nicht, ob er wirklich akut von einer Abschiebung bedroht ist
oder in Panik gerät. Er verheimlicht das, und eines Tages ist er verschwunden. Der Kontakt reißt ab,
aber Ali bekommt mit, dass Sultan auf irgendeinem sozialen Medium immer mal wieder postet. Seine
Stationen in den letzten eineinhalb Jahren: Italien, dann Calais, er will nach England, was misslingt,
dann soll er wieder nach Deutschland gekommen sein. Dann reist er zu seiner Familie nach Pakistan, geht aber nach Kurzem wieder nach Europa – ob seine Familie ihn wieder geschickt hat, um als
ältester Sohn das Familienerbe aufrechtzuerhalten? Er will über Europa nach Kanada, es misslingt.
Heute soll er bei Mailand sein. Er will zurück nach Deutschland. Von was lebt er? Will ich es wissen?
18 | GRUSSWORTE
2. Nun zu der hellen Geschichte mit einem guten Ausgang:
Ali stammt aus Afghanistan. Er gehört zur Volksgruppe der Hazara, die von den Taliban verfolgt
wird. Im Dezember 2012 kommt er alleine nach Deutschland. Sein kleiner Bruder war anfangs mit
ihm auf der Flucht, aber hat es körperlich nicht durchgestanden und musste zurück. Jetzt ist er
tot, von Taliban erschossen. Ali ist im Krieg geboren. Sein liebstes Spielzeug waren Patronenhülsen. Taliban bedrohen und töten Hazara, weil sie schiitischen Glauben haben. Auch der Onkel und
die Mutter Alis wurden, nachdem Ali schon in Deutschland in Sicherheit war, von Taliban ermordet.
Trotz dieser Schicksalsschläge verzagt Ali nicht. Er ist kein so guter Schüler wie Sultan, schafft
den qualifizierten Hauptschulabschluss mit Ach und Krach, geht auf eine Sozialpflegeschule, wird
nach zwei Jahren dort auch mit Ach und Krach gerade seinen Abschluss schaffen, aber er schafft
ihn. Und er hat eine große lebenspraktische Intelligenz. Er jobbt schon während seiner Schulzeit
bei der Caritas, die ihm nach der absolvierten Schule eine feste Stelle in Aussicht stellt. Er holt
sich die nötige Hilfe, um durch den ganzen Antragsdschungel durchzukommen. Jetzt hat er eine
Arbeitserlaubnis, einen festen Job und eine feste Wohnung.
An der Wohnung zeigt sich wieder einmal, wie wichtig Ehrenamt sein kann. Der Vermieter verspricht sie ihm, vorausgesetzt an einem festen Termin ist die Kaution auf dem Konto. Die Überweisung durch das Amt verzögert sich, der Vermieter will abspringen, ich überbrücke mit einem
Kredit. Sonst wäre die Wohnung weg gewesen. Wegen zwei Wochen!
Ali drückt mir immer wieder seine Dankbarkeit aus. Am meisten freut mich, dass er selbst ehrenamtlich tätig geworden ist: Als Übersetzer und als Betreuer eines Sprachcamps für junge Flüchtlingskinder.
3. Rollen der ehrenamtlichen Pat*innenschaften
Soweit meine Erfahrungen als Pat*innenonkel. Ein wirkliches Wechselbad der Gefühle! Nun habe
ich natürlich viele Menschen, mit denen ich meine Erfahrungen teilen kann und die wie ich professionell im sozialen Bereich arbeiten. Die Einsatzstelle bei der AWO, die Fortbildungen und regelmäßigen Austausch der Ehrenamtlichen anbietet, ist mal für zwei Jahre finanziert, dann fehlt
das Geld, dann gibt es mal wieder etwas, dann wird sie wieder zurückgefahren. Was machen die
Pat*innen, die auf diese Unterstützung mehr als ich angewiesen sind? Gerade wenn man auch
solche Situationen bei den Pat*innenschaften durchlebt.
19 | GRUSSWORTE
Dafür ist es unabdingbar, klar herauszuarbeiten, was die wichtigsten Vorteile ehrenamtlicher Hilfestellungen und Unterstützungsleistungen sind. Denn oft höre ich auch die Meinung: „Jetzt, da es
ja einen gut aufgestellten hauptamtlichen Mitarbeiterstab wie Asylberater oder Integrationslotsen
gibt (der natürlich auch schon wieder bröckelt, weil ja angeblich die akuten Hilfesituationen zurückgehen), dann können die Ehrenamtlichen ja gerne wieder nach Hause gehen.“ Das ist Unsinn,
weil sie gerade etwas ganz Spezielles mitbringen, was Hauptamtliche gar nicht so leisten können.
Ehrenamtliche spielen in diesem Integrationsprozess immer noch eine wichtige Rolle. Sie können
freundliche Brückenbauer, Begleiter und Übersetzer sein. Sie können menschliches Vertrauen aufbauen und viele alltägliche Hilfestellungen geben, ob im Verein, in Schule und Kindergarten oder
beim Ämtergang. Aber sie sind keine Angestellten der Polizei oder der Asylberatung, die durch ihre
Stellung Autorität besitzen.
Also mein zweiter Punkt: Die Rollen der Ehrenamtlichen in unserer Gesellschaft im Allgemeinen
und der Pat*innenschaften im Besonderen kann man folgendermaßen umschreiben:
•
Die Engagierten haben eine Vorbildfunktion: Sie können andere Menschen immer wieder
aufs Neue überzeugen, dass Engagement und Ehrenamt nicht nur wichtig und ehrenhaft, sondern auch sinnergebend und bereichernd sind. Konkrete Bereiche in denen das ehrenamtliche
Engagement besondere Qualität hat, gibt es viele. Sie können vor allem Hilfe leisten, wo gerade Hilfe gebraucht wird, ganz unbürokratisch, siehe meine Kaution!
•
Empathie zeigen: Jeder Mensch braucht – neben materiellen Grundlagen – Zuwendung, für
jeden ist Zuneigung ein sehr wertvolles Gut. Die hauptamtlichen Helfer haben vor allem eine
professionelle Aufgabe, auch wenn sie diese mit Empathie persönlich erfüllen. Bei Ehrenamtlichen steht Empathie ganz weit oben, weil sie ja das, was sie tun, freiwillig und unentgeltlich
tun, und sie es ja nicht tun würden, wenn es ihnen nicht um den einzelnen Menschen ginge.
•
Orientierung geben: Wir dürfen nicht unterschätzen, wie kompliziert unsere Welt für Bedürftige ist. Da ist natürlich einerseits die Kompliziertheit des heutigen Lebens und heutiger
Konfliktsituationen im Großen und Kleinen. Da ist aber auch eine andere Kompliziertheit: Wir
haben in unserem sozialen Gemeinwesen gottseidank sehr viele Hilfsangebote: Beratung,
materielle Hilfen, pädagogische Hilfen und vieles andere mehr. Wo es selbst für Hauptamtliche schwierig ist, die Übersicht zu bewahren, ist das für Ehrenamtliche – wie gut auch immer
sie sich qualifizieren – kaum möglich. Aber sie versuchen es und gehen die wichtigen ersten
Schritte für die Menschen, für die sie sich einsetzen. Sie haben kein Ressortdenken in Zuständigkeiten, sie wollen Alltagsorientierung leisten (siehe meine Gespräche mit meinen Jungs,
wie man sich dem anderen Geschlecht gegenüber zu verhalten hat).
•
Wege aufzeigen: Wo Ehrenamt gut funktioniert, sind es die Ehrenamtlichen – im Sozialen, genauso wie im Sport oder im Rettungswesen – die andere Menschen durch Zuspruch und Unterstützung begleiten können. Ehrenamtliche Pat*innen helfen, den „Weg zum eigenen Weg“
(Rainer Plöße: Rede zum vierten Bayerischen Ehrenamtskongress 2018 in Nürnberg, Anm. d.
Red.) zu gehen. Sie sollten auch dazu ermutigen, dass die Pat*innenkinder sich selbst stark
genug fühlen, anderen etwas abzugeben, also etwa selbst ein Ehrenamt zu übernehmen.
•
Teilhabe ermöglichen: Ehrenamtliche sind in der Regel besser situiert als der Durchschnitt
der Bevölkerung und natürlich vor allem auch als die Bedürftigen in einer Stadt. Ich glaube, dass vielen besser situierten Menschen in unserer Stadt gar nicht bewusst ist, wie viele
Menschen von wie vielen Feldern der Teilhabe ausgeschlossen sind: materiell, sozial (hier
20 | GRUSSWORTE
gemeint als Kontaktnetze, die sich gegenseitig stützen) und kulturell. Umso wichtiger ist die
Aufgabenstellung, andere Menschen an Teilhabe teilhaben zu lassen – d.h. Erfahrungen zu
ermöglichen, die jenseits der bisherigen und engeren Lebenssphären liegen.
•
Das geht bis zur politischen Teilhabe. Alle diese Prozesse, zu denen die Ehrenamtlichen
so viel beitragen können, führen – hoffentlich – zu einem „freien, selbstbewussten, zur Solidarität fähigen Menschen in einer demokratischen Gesellschaft“ (Rainer Plöße: Rede zum
vierten Bayerischen Ehrenamtskongress 2018 in Nürnberg, Anm. d. Red.). Wir kennen viele
Geschichten, wo tatsächlich ein einzelner Ehrenamtlicher, eine einzelne Ehrenamtliche einem
Menschen in schwieriger Situation den entscheidenden Impuls geben konnte, auf den der
Empfänger – oft Jahrzehnte später – noch mit Dankbarkeit zurückblickt.
•
Nicht zuletzt: Innovationsmotor für gesellschaftliche Themen und soziale Fragen: Nicht
jeder Politiker freut sich über jede Anregung oder auch Protest aus den Reihen der Bürgerschaft. Aber gleichzeitig sind gerade die Kommunalpolitiker sehr sensibel, was die aus dem
bürgerschaftlichen Engagement kommenden Ideen betrifft. Gerade, wenn man die „historische Brille“ aufsetzt und die letzten Jahrzehnte Revue passieren lässt - dann weiß man als
Politiker, wie gut es ist, die Innovationskraft der Bürgerschaft zu würdigen: Das betrifft die
Entwicklung der ganzen sozialen Arbeit des letzten Jahrhunderts, die Entwicklung der Volkshochschulen seit den 1920er Jahren, die Sensibilität für Umweltthemen, die Entwicklung der
Hospizbewegung und vieles andere mehr.
Und was hat man davon? Ehrenamtliche bekommen viel dafür zurück: Sie können ihre Talente einbringen, sie merken, wie ihre Unterstützung ankommt, fühlen sich gebraucht. Sie erhalten
spannende Einblicke in andere Lebenswelten und können sich selbst und ihre eigene Kultur daran
prüfen. Sie können gestalten wie in kaum einem anderen Bereich des gesellschaftlichen Lebens.
Natürlich ist auch vieles im Ehrenamt reglementiert, aber dennoch sind die Freiheitsgrade im Gegensatz z.B. zu Bereichen der Erwerbsarbeit doch schon enorm. Man ist nicht weisungsgebunden, kann selbst mitentscheiden, welche Aktivitäten man durchführen will etc.
4. Rahmenbedingungen für Pat*innenschaftsprojekte
Ich möchte mich abschließend den engagementpolitischen Rahmenbedingungen zuwenden: Ich
habe natürlich eine besondere Situation mit meiner Pat*innenschaft für junge geflüchtete Menschen erlebt. Es gibt natürlich viel mehr Formen: Familienpat*innenschaften, Lesepat*innenschaften, Bildungspat*innenschaften, Sozialpat*innenschaften, Demenzpat*innenschaften etc. Viele
Projekte variieren nach Themenschwerpunkten, aber auch nach Zielgruppen, vielleicht auch den
Eigenschaften der Pat*innen.
Gibt es da überhaupt allgemeine Aussagen über gute Rahmenbedingungen zu treffen? Ich meine
ja. Zunächst: Die Bedeutung des Ehrenamtes in der Begleitung zwischen persönlicher Bindung
und fachlicher Hilfe, die Patinnen und Paten anbieten, ist meines Erachtens nicht zu unterschätzen. Es gibt dazu mittlerweile beeindruckende Studien, u.a. von „Balu und Du“, die auch im Rahmen unserer Tagungsreihe „Bildung begleiten“ schon vorgestellt wurden. (Näheres hier)
Die Bereitschaft Engagement am Laufen zu halten und nicht abzuwürgen, erfordert eine sensible Balance zwischen einer Regulierung einerseits, die für Sicherheit und Effektivität sorgt, ohne
andererseits die Spontaneität der Hilfemotive in den Hintergrund zu drängen. Das ist manchmal
schwierig. Ich erlebe das gerade an der Frustration von manchen ehrenamtlichen Initiativen über
das Anwachsen der staatlichen Bürokratie. Es geht darum, ein gutes Maß an Eigensinn und ge-
21 | GRUSSWORTE
sundem Menschenverstand, den die Ehrenamtlichen auch mitbringen, nicht nur zuzulassen, sondern wertzuschätzen. Aber den Ehrenamtlichen auch Sicherheit zu geben, dass sie ihre Aufgabe,
die sie sich vorgenommen haben, gut bewältigen.
Erstens: Ich beobachte, dass sich Pat*innenschaftsformate passgenauer profilieren. Wir hatten
im „Zentrum Aktiver Bürger“ in Nürnberg, das ich vor langer Zeit einmal leitete, uns mit Familienpat*innenschaften ganz allgemein befasst, sahen aber mit der Zeit doch sehr unterschiedliche
Unterstützungsbedarfe: Von der Hilfe, Formulare auszufüllen, prekäre Finanzen wieder ins Lot
zu bringen bis hin zu jungen Familien, die gerade ihr erstes Kind bekommen hatten. Umgekehrt
haben Patinnen und Paten auch eine gute Vorstellung davon, was sie gern machen würden und
für welche Tätigkeiten sie sich eignen. Insofern wird das, was man im englischen matching nennt,
also eine gute Passung zu finden, immer wichtiger. Dabei geht es nicht nur um Tätigkeitsfelder,
sondern auch um Grade der Verantwortungsübernahme, verfügbare Zeiten für die Pat*innenschaft, Dauer der Pat*innenschaft etc. Dazu benötigen Patinnen und Paten Rückhalt durch fachlichen Service und professionelles Freiwilligenmanagement, also verlässliche Infrastrukturen, an
die sie sich wenden können. Am Beispiel der erwähnten Stelle der AWO zeigt sich die Problematik
der Projektförderung, gerade dann, wenn es um langwierige Prozesse der Begleitung geht. Ehrenamt kann durch das Hauptamt und die wichtigen Institutionen unserer Gesellschaft überhaupt
nicht ersetzt werden. Aber es braucht professionelle Unterstützung, nicht für zwei oder drei Jahre,
sondern dauerhaft.
Zweitens: man erinnert sich an mein Beispiel, die Kugeloberfläche zu errechnen. Ich habe mir das
mühselig aus meinen alten Formelsammlungen herausgekramt. Dann aber stand ich vor der Frage: Wie vermittelt man das altersgerecht? Dann habe ich festgestellt, dass junge Menschen aus
Pakistan zum Beispiel eine ganz andere Technik haben, Zahlen zu addieren. Also hätte ich mir auch
ein interkulturelles Verständnis von mathematischen Aneignungsweisen gewünscht. Ich habe Bücher selbst gekauft, was man alles für einen qualifizierten Hauptschulabschluss wissen muss etc.
Aufgrund dieser Erfahrungen bin ich sehr für ein gutes Fortbildungsangebot, wie es beispielsweise
jetzt die „LernPatenAkademie“ der Landeshauptstadt München (Näheres hier) anbietet.
Dann hätte ich mir, drittens, mehr Austausch mit den Institutionen wie Schulen oder auch Kindergärten oder den Jugendhilfeeinrichtungen auf Augenhöhe gewünscht. Auf was ist zu achten? Ge-
22 | GRUSSWORTE
rade die Orte der formalen Bildung könnten meines Erachtens noch mehr entdecken, was sie mit
einer besseren Unterstützung durch Ehrenamtliche gewinnen können und dafür auch die richtigen
Bedingungen, wie regelmäßige Sprechstunden für Patinnen und Paten mit ihren Pat*innenkindern
bieten.
Viertens geht es um sichere Rahmenbedingungen. Wir haben beispielsweise immer noch viele
ungeklärte Fragen z.B. bei Schulpat*innenschaften hinsichtlich Haftungsrecht, Unfallversicherung, Dienstaufsicht etc. Wir brauchen mehr Rechtssicherheit, aber eben nicht mehr Bürokratie.
Manchmal hat man den Eindruck: Ja, den Patinnen und Paten wird da schon einiges zugemutet,
von Datenschutzerklärungen bis zum regelmäßig vorzulegenden polizeilichen Führungszeugnis.
Einen umgekehrten Check, was beispielsweise Schulen für Ehrenamtliche an Rechtssicherheit
bieten sollten, um ein guter Ort für das Ehrenamt zu sein, gibt es allerdings nicht. So eine Art Qualitätssiegel für engagementfreundliche Institutionen.
Und schließlich, fünftens, sollte man Insellösungen vermeiden. An die akute Flüchtlingssituation haben sich besondere Förderrichtlinien angeschlossen, die sich speziell an diese Zielgruppe
richten. Dann kreiert vielleicht die Familienhilfe wieder eine besondere Form der Pat*innenschaft,
dann die Schulverwaltung etc. Bei aller Differenzierung der Pat*innenschaftsformate, die oben ja
auch begrüßt wurde: Es muss für Menschen, die sich engagieren wollen, einfache und niedrigschwellige Ansprechsituationen geben, keine versäulte Behördenstruktur.
Das bedeutet also in Summe: gute Begleitung und passgenaues Engagement, niedrigschwellige
Zugänge für die Engagierten, Fortbildungsmöglichkeiten, ein Feedback in schwierigen Situationen,
das verlässlich gegeben ist, ein sicherer und verlässlicher Rahmen, Möglichkeiten für regelmäßigen Austausch mit Institutionen und Behörden auf Augenhöhe. Politik soll hierfür Ressourcen zur
Verfügung stellen und Wege bereiten. Vor Ort ist man dann klug genug, das gut umzusetzen.
Schluss
Ich möchte mit meinen beiden Patenkindern diesen Vortrag beschließen. Je mehr wir miteinander
bekannt wurden, desto mehr öffneten sie sich. Sie erzählten mir von den Toten, die sie schon als
Kinder gesehen haben. Und sie hatten dieselbe Geschichte als ihre persönliche Utopie: Ihr Held ist
Joseph oder Yusuf, dessen Legende gleichermaßen in Bibel und Koran steht. Nach Vertreibung
durch seine Brüder, falschen Anschuldigungen, die ihn ins Gefängnis bringen und langen Jahren
des Exils findet Joseph hochgeachtet zu seiner verzweifelten Familie zurück, verzeiht ihr und legt
das Fundament für eine verheißungsvolle, gemeinsame Zukunft. Das ist doch ein schöner, ein allgemein menschlicher Ausblick auf eine Gerechtigkeit, zu der wir Patinnen und Paten unser Scherflein beitragen können. Arbeiten wir weiter daran.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
(Der Vortrag basiert auf einer Keynote im Rahmen der Tagung „Bildung begleiten V“ des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V. und Arbeiterkind e.V. am 16.7.2019 in Nürnberg.)
KEYNOTE
24 | KEYNOTE
Sackgasse soziale Herkunft?
Patenschaften als Chance für den Bildungserfolg
PROF. DR. H.C. KLAUS HURRELMANN, Hertie School of Governance,
Mit-Autor der 18. Shell-Jugendstudie
Die 18. Shell Jugendstudie trägt den Untertitel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Trotz des
weiterhin prägenden pragmatischen Grundmusters in den Einstellungen und Haltungen zeichnen
sich bei den 12 bis 25 Jahre alten Befragten inzwischen deutliche Veränderungen gegenüber der
vorangehenden jungen Generation ab. Die gegenwärtige junge Generation benennt wieder nachdrücklicher eigene Ansprüche insbesondere hinsichtlich der Gestaltung der Zukunft der Gesellschaft und fordert vermehrt aktiv ein, dass bereits heute dafür die aus ihrer Sicht erforderlichen
Weichenstellungen vorgenommen werden.
Wie sind solche Unterschiede zwischen den jungen Generationen zu erklären? Jede junge Generation ist – vor allem nach der Pubertät – durch ihre historisch einmaligen Lebensumstände geprägt. Daraus ergeben sich starke Impulse für gesellschaftliche Veränderungen.
Jede Generation baut, wie die Sozialisationstheorie zeigt, ihre Persönlichkeit wie alle Generationen
zuvor im Prozess der produktiven Verarbeitung der inneren und der äußeren Realität auf:
•
•
•
•
•
•
Auf die als „skeptisch“ bezeichnete, nüchtern mit dem Wiederaufbau des Landes beschäftigte
Nachkriegsgeneration der Geburtsjahrgänge 1925 bis 1940 folgen
die rebellischen und hochpolitisierten „1968-er“ (geboren etwa zwischen 1941 und 1955), die
sich mit dem autoritären Erbe ihrer Eltern kritisch und oft geradezu aggressiv auseinandersetzen,
dann die konstruktiven und machtbewussten Babyboomer (geboren 1956 bis 1970), die in
beiden deutschen Staaten politische und wirtschaftliche Strukturen festlegen und bis heute
an den Schalthebeln der Macht sitzen,
die unsicheren Angehörigen der Generation X (geboren 1971 bis 1985), die von Anfang an im
Schatten der mächtigen Babyboomer stehen und die Unwägbarkeiten der Vereinigung der
beiden deutschen Staaten aushalten müssen,
die egotaktisch ausgerichteten jungen Leute der Generation Y (geboren 1986 bis 2000), die in
wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten groß werden, und
die politisch aktiven Angehörigen der nach 2000 Geborenen, die oft als „Generation Z“ bezeichnet werden.
Welche Lebensbedingungen finden die jungen Leute der Generation Z vor und wie gehen sie damit
um? Welche Unterstützung brauchen sie bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen? Welche
Rolle kann dabei ein Patenschafts-Programm einnehmen?
25 | KEYNOTE
Schauen wir im Sinne der Sozialisationstheorie auf die großen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, auf die allgemein gültigen und historisch überdauernden Bereiche von Entwicklungsaufgaben, bietet sich die folgende Aufteilung an:
1.
2.
3.
4.
„Bilden und Qualifizieren“: Die Entwicklung der intellektuellen und sozialen Kompetenzen für
Leistungs- und Sozialanforderungen und der Fähigkeiten für spezifische Tätigkeiten, um die
gesellschaftliche Mitgliedsrolle eines Berufstätigen zu übernehmen.
„Eigene Beziehungen aufbauen“: Die Entwicklung der Körper- und Geschlechtsidentität, die
emotionale Ablösung von den Eltern, der Aufbau von Freundschaftsbeziehungen zu Gleichaltrigen und die Fähigkeit der partnerschaftlichen Bindung, um die gesellschaftliche Mitgliedsrolle eines Familiengründers zu übernehmen.
„Konsumieren und Medien nutzen“: Die Entwicklung von Regenerationsstrategien und die Fähigkeit zum Umgang mit Wirtschafts-, Freizeit- und Medienangeboten, um die gesellschaftliche Mitgliedsrolle eines Konsumenten zu übernehmen.
„Werte bilden und Partizipieren“: Die Entwicklung eines individuellen Werte- und Normensystems und der Fähigkeit zur sozialen und politischen Gestaltung und Beteiligung, um die gesellschaftliche Mitgliedsrolle eines Bürgers zu übernehmen.
1. Bilden und Qualifizieren
Die Generation Z, nach 2000 geboren, findet hervorragende Perspektiven in Ausbildung und Beruf
vor. Die Folgen der Wirtschaftskrise sind nicht mehr zu spüren, die jungen Leute müssen nicht als
Bittsteller bei Firmen und Behörden auftreten. Die demografische Entwicklung spielt ihnen in die
Hände.
Das traditionelle berufliche Ausbildungssystem bekommt die Folgen dieser Entwicklung zu spüren.
Die meisten Betriebe haben keine Bewerber mit super Schulabschlüssen mehr. Sie tun sich schwer
damit, sich auf mittelmäßig qualifizierte Schulabsolventen einzustellen. Sie stehen vor intensiven
Investitionen in Bildung und Ausbildung, die notwendig wären, um Defizite auszugleichen.
Die Ungleichheit wächst: Die Mehrheit macht heute das Abitur, schon rund 55 Prozent. Insgesamt
fast 70 Prozent streben es laut der jüngsten Shell Jugendstudie an. Mit dem Abitur in der Tasche
26 | KEYNOTE
studieren die jungen Leute immer häufiger. Aber es bleibt eine große Ungewissheit. Denn beruflich ist alles ist im Fluss: Die Digitalisierung wälzt eine Branche nach der anderen um, die Globalisierung wirbelt den Arbeitsmarkt durcheinander. Fast die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge ist
befristet. Ein klares und berechenbares Bild von künftigen Arbeitsfeldern und Branchen ist nicht
mehr möglich. Es gibt fast 400 Ausbildungsberufe und über 20.000 Studiengänge – da hat keiner
mehr die Übersicht.
Wer zu den etwa 20 Prozent eines Jahrgangs zählt, die einen sehr schlechten oder gar keinen
Schul- oder Ausbildungsabschluss erwerben, hat schlechtere Chancen als früher auf dem Arbeitsmarkt. Junge Leute leben in einer Vier-Fünftel-Gesellschaft, in der die soziale Herkunft immer
noch entscheidend für den Bildungserfolg ist. Während es unter Jugendlichen aus der unteren
Schicht (13 %) nur eine kleine Minderheit an das Gymnasium schafft, ist es bei Jugendlichen aus
der oberen Schicht (71 %) die breite Mehrheit. Die soziale Herkunft ist und bleibt eine Sackgasse.
Auch das Geschlecht spielt eine große Rolle. Mädchen (53 %) besuchen deutlich häufiger das
Gymnasium als Jungen (42 %).
Groß fällt der Kontrast bei den Jugendlichen aus, die bereits Brüche in ihrer Bildungskarriere erlebt
haben. Exemplarisch haben wir dazu den Optimismus der Jugendlichen betrachtet. Sowohl Jugendliche, die bereits kritische Bildungsereignisse erlebt haben (47 %), als auch Jugendliche mit bevorstehenden Unsicherheiten in der Qualifikationsphase (30 %) blicken deutlich seltener zuversichtlich
in die Zukunft als Jugendliche, die von solchen Schwierigkeiten nicht berichten müssen (63 %).
Mit 59 % stimmt die Mehrheit der Jugendlichen (47 % „eher“ und 12 % „voll und ganz“) der Aussage zu, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht. Allerdings verweist etwa jeder
zweite Jugendliche aus der untersten Herkunftsschicht (51 %) auf fehlende soziale Gerechtigkeit.
Bei Jugendlichen aus der unteren Mittelschicht sind es 42 %, aus der Mittelschicht 38 % und aus
der oberen Mittelschicht 34 %. Am wenigsten häufig trifft dies für Jugendliche aus der obersten
Schicht zu. Von ihnen teilen nur noch 25 % die Einschätzung einer fehlenden sozialen Gerechtigkeit in Deutschland.
2. Aufbau eigener Beziehungen
Die Mehrzahl von 70 % der jungen Leute wächst heute in vollständigen Familien mit zwei Eltern
auf. Der Anteil von Alleinerziehenden steigt aber jedes Jahr und macht schon rund 20 Prozent aller
Familien aus. Nach Trennung und Scheidung neu zusammengesetzte „Patchwork-Familien“ stellen fast 10 Prozent. Über ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen erlebt die Trennung ihrer Eltern
und wird zu einem schwierigen Beziehungs-Management gezwungen. Eine stabile und sichere
soziale Umwelt ist also für einen großen Teil der jungen Leute keineswegs selbstverständlich, und
entsprechend verunsichert sind viele von ihnen.
Das gilt auch für die Eltern selbst. Etwa ein Drittel von ihnen fühlt sich unsicher in ihrer Rolle. Sie
gehen von der Annahme aus, das Leben ihres Nachwuchses sei heute gefährlicher als jemals
zuvor. Objektiv ist das falsch, aber in den Medien herrscht Hysterie und Erregung, die sich überträgt. Kinder werden behütet wie noch nie. Moderne „Helikopter-Drohnen-Eltern“ wissen jederzeit,
wo sich ihre Kinder gerade aufhalten und sind ständig in Sorge, ihnen könnte ein Leid zustoßen.
Die Mutter und mit Abstand der Vater sind, wie die Shell Jugendstudien zeigen, die bedeutendsten
Vorbilder für ihre Kinder, selbst als junge Erwachsene. Sie sind die engsten Berater in Bildungsund Karrierefragen. Sie treiben ihren Nachwuchs an, vor allem zu schulischen Bestleistungen.
27 | KEYNOTE
Berufsorientierung ebenso wie Berufs- und Studienwahl werden immer mehr mit den Eltern abgestimmt, teilweise sogar federführend von ihnen übernommen. Der Leitspruch der Angehörigen
der Generation Z lautet: „Nichts ohne meine Eltern“. Viele junge Leute sind hierdurch oft unsicher
und entscheidungsschwach und haben kein realistisches Gefühl für ihre Stärken und Schwächen.
Sie sind selbstbewusst, aber unselbstständig. Denn mit ihrer starken Fürsorglichkeit verhindern
viele Eltern, dass ihr Nachwuchs lernt, Belastungen und Rückschläge in Schule und Beruf wegzustecken. Kontakt- und Konfliktfähigkeit leiden darunter.
Die oben erwähnten 20 Prozent aus sozial benachteiligten Elternhäusern erleben das Gegenteil
– ihre Mütter und Väter sind nicht in der Lage, ihnen eine gute Orientierung für ihren weiteren Lebensweg zu geben.
3. Mit Freizeit- und Medienangeboten umgehen
Die nach dem Jahr 2000 Geborenen sind „Digital Natives“, die mit Smartphone und Computer
groß werden und diese als Bestandteil ihres Körpers empfinden. Die Nutzung digitaler sozialer
Netzwerke wie Facebook und Plattformen wie Instagram oder Snapchat ist absolut selbstverständlich. Andere Kommunikationskanäle versiegen – wie etwa die Zeitung.
Ganz offensichtlich kommt die Mehrheit der jungen Leute mit den digitalen Herausforderungen
gut zurecht, überwiegend jene mit guter bis sehr guter Bildung. Sie können virtuos mit digitalen
Geräten und Angeboten umgehen, intuitiv und unbefangen. Sie beherrschen die mobile Kommunikation, geraten nicht in Abhängigkeitsschlaufen bei Videospielen, nutzen die sozialen Medien
zu ihrem Vorteil, sind dabei teilweise erfindungsreich und kreativ. Sie mischen virtuelle und reale
Kontakte und behalten trotzdem die soziale Bodenhaftung. Sie können sich sowohl in Onlineshops sicher bewegen als auch mit aggressiver Werbung umgehen. In die Begeisterung für das
Digitale mischt sich bei ihnen eine kritische Distanz und die Sorge vor persönlicher Ausbeutung.
Sie wissen um die kommerziellen Interessen der großen Anbieter und achten nach eigenen Angaben darauf, nicht zu viel von sich im Internet preiszugeben.
Der Mehrheit der jungen Leute gelingt es, die Risiken einer Überdosis von digitalen Impulsen abzuwehren. Entgegen den Empfehlungen von manchen Psychiatern ist das nicht durch einen Bann,
durch ein striktes Verbot der Nutzung von Smartphone und Laptop gelungen, sondern durch das
Erlernen und Einüben eines kompetenten Umgangs mit den Geräten, den Plattformen und den
Spielen. Zusammen mit ihren Eltern haben sie trainiert, sich selbst Grenzen zu setzen, Auszeiten
zu nehmen und die Dosis des Konsums zu regulieren.
Neben diesen einigermaßen souveränen Nutzern gibt es 20 Prozent, die keine kompetente Nutzung schaffen. Sie rutschen immer in die Abhängigkeitsmechanismen hinein. Ihre psychische
Gesundheit und ihre soziale Kontaktfähigkeit stehen auf der Kippe. Sie sind schnell abgelenkt
und durch virtuelle Umgangsformen nicht mehr gewohnt, sich in realen sozialen Situationen angemessen zu verhalten, Höflichkeitsregeln einzuhalten und dem Gegenüber ins Auge zu sehen.
Weil Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer leiden, sinkt ihre Leistungsfähigkeit ab. Manche sind
krank im Sinne der Definition von Internet Addiction Disorder oder Gaming Disorder der Weltgesundheitsorganisation. Unter ihnen sind die wahrscheinlich zwei bis drei Prozent krankhaft Onlinesüchtigen und Videospielsüchtigen. Nach Schätzungen können das um die 500.000 junge Leute
unter 20 Jahren in Deutschland sein. Die große Mehrheit sind Jungen und junge Männer. Der
sozialpsychologische Hintergrund ist oft durch desolate Familienkonstellationen, Bildungs- und
Bindungsarmut gekennzeichnet, oft sind Ursache und Wirkung nicht zu unterscheiden.
28 | KEYNOTE
4. Wertorientierung und soziales Engagement aufbauen
Das politische Interesse von Jugendlichen hat sich stabilisiert. Als stark interessiert bezeichnen
sich 8 % der Jugendlichen und weitere 33 % sehen sich als interessiert. Im längerfristigen zeitlichen Verlauf betrachtet liegt das deutlich über den Ergebnissen der Jahre 2002, 2006 und 2010.
Jeder zweite Jugendliche, der das Abitur anstrebt oder erreicht hat, bezeichnet sich als politisch
interessiert. Bei Jugendlichen mit angestrebtem oder erreichtem Hauptschulabschluss trifft dies
hingegen nur auf jeden Vierten zu. Mit 66 % politisch Interessierten bilden Studierende nach wie
vor die Gruppe mit dem größten politischen Interesse.
Waren es bis 2010 noch die wirtschaftliche Lage und steigende Armut sowie Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden, die von Jugendlichen schwerpunktmäßig
als Probleme genannt wurden, so hat sich das Bild seitdem deutlich verändert. Aktuell benennen fast drei von vier Jugendlichen die Umweltverschmutzung als das Hauptproblem, das ihnen
Angst macht, gefolgt von der Angst vor Terroranschlägen (66 %) sowie dem Klimawandel (65 %).
Die wirtschaftliche Lage mit steigender Armut wird hingegen nur noch von etwas mehr als jedem
zweiten Jugendlichen benannt, die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust, oder dass man keinen
Ausbildungsplatz findet, sogar nur von etwas mehr als jedem Dritten.
Weiterhin haben mehr als 56 % der Jugendlichen Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind. Auch die Angst vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit in Deutschland (52 %) wächst, ebenso die Angst vor weiterer Zuwanderung
(33 %). Anders als noch im Jahr 2015 spricht sich inzwischen aber jeder Zweite (Westen; 47 %;
Osten: 55 %) dafür aus, weniger Zuwanderer als bisher aufzunehmen. 2015 war es erst etwas
mehr als jeder dritte Jugendliche.
Populistische Argumentationsmuster erweisen sich grundsätzlich auch bei Jugendlichen als anschlussfähig. Sichtbar werden aber auch wichtige Unterschiede. Immerhin betont die Mehrheit
der Jugendlichen (57 %), dass sie es gut finden, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen
hat. Diejenigen, die dies ablehnen, sind in der Minderheit (40 %). Die Aussage „In Deutschland darf
man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“
erhält allerdings noch mehr Zustimmung (68 %). Das Argumentationsmuster deckt ein offenbar
29 | KEYNOTE
weit verbreitetes Gefühl ab, dass es Dinge gibt, die man nicht ansprechen darf, ohne dafür sofort
im eigenen Empfinden moralisch sanktioniert zu werden. Etwas mehr als jeder zweite Jugendliche stimmt der Aussage zu: „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“. Diese
Kritik am sogenannten Establishment bedient offenbar ein vorhandenes Empfinden, nicht ernst
genug genommen und übergangen zu werden.
Je höher die Bildungsposition, desto geringer die Populismus-Affinität. Von den Jugendlichen
mit höherer Bildungsposition gehört jeder Zweite zu den Weltoffenen oder zu den Kosmopoliten,
während es bei Jugendlichen mit niedriger Bildungsposition entgegengesetzt ist. Hier gehört weit
mehr als jeder Zweite zu den Populismus-Geneigten oder zu den Nationalpopulisten.
Die sozialen Unterschiede nach Herkunft sind also auch hier auffällig. Die hervorragend ausgebildeten 40 % der Angehörigen der jungen Generation sind politisch besonders engagiert. Weil sich
der Leistungsdruck abgeschwächt hat und die beruflichen Chancen objektiv gut sind, haben sie
Energien frei, um sich einzubringen. Die 40 % in der unteren Mitte kommen in wirtschaftlich stabilen Zeiten ganz gut durch, könnten aber schnell in eine prekäre Position geraten, sobald es einen
ökonomischen Abschwung gibt. Am unteren Ende der sozialen Leiter stehen die jungen Leute aus
Familien, die wenige Bildungsressourcen haben. Sie sind nicht nur von wirtschaftlicher, sondern
auch von Bildungs- und Gesundheitsarmut bedroht und müssen sich Sorgen machen, überhaupt
Arbeit zu finden. Kein Wunder, dass sie politisch verunsichert sind. Unter ihnen sind besonders
viele junge Männer – eine Krise der Männerrolle ist auch in diesem Bereich unübersehbar.
5. Patenschaften als Chance für Persönlichkeitsentwicklung
und Bildungserfolg
Jugendlicher sein – das ist in einer modernen Gesellschaft harte Arbeit an sich selbst. Die produktive Realitätsverarbeitung wird in allen Entwicklungsbereichen verlangt. Wenn das Elternhaus
stabil ist und Kita und Schule gute Arbeit leisten, dann können eine junge Frau oder ein junger
Mann diese Herausforderung bewältigen. Eine gute Einbindung in weitere Netzwerke ist allerdings
sehr hilfreich. Das gilt auch für eine Patenschaft. Denn wenn Familie und Bildungsinstitutionen
einen jungen Menschen nicht erreichen, dann sind zusätzliche Netzwerke und Patenschaften oft
die entscheidende Hilfe.
Die Unterstützung im Bereich Bildung und Qualifikation ist zwar bedeutsam, aber nicht ausreichend. Jugendliche brauchen nun einmal Begleitung für das „ganze Leben“, und der beste Ansatz
ist es, ihnen bei der Bewältigung aller ihrer Entwicklungsaufgaben Assistenz zu leisten. Das Bilden
und Sich-Qualifizieren, der Aufbau sozialer Kontakte und Bindungen, der souveräne Umgang mit
Freizeitangeboten, Geld, Konsumwaren und Medien, das soziale und politische Engagement – die
Bereiche lassen sich nicht voneinander trennen, sie gehören zusammen, auch in der Patenschaft.
Die aktuelle Shell Jugendstudie zeigt, dass vier Fünftel der jungen Menschen gut zurechtkommen,
und zwar in allen Bereichen, die für die heutige Zeit wichtig sind, sei es im Leistungsbereich oder
bei der Bildung ihres Wertehorizonts, beim Umgang mit Freizeitangeboten und Medien oder hinsichtlich ihrer Kontakte und sozialem und politischem Engagement.
Für das verbleibende Fünftel gilt das jedoch nicht. Diese jungen Menschen bewältigen die entsprechenden Entwicklungsaufgaben nur ungenügend. Wenn wir genauer hinschauen, sind das junge
Leute aus Elternhäusern, die ein niedriges Bildungsniveau haben, meist kombiniert mit einem geringen Einkommen und einer geringen sozialen Integration ins Umfeld. In den Shell-Jugendstudien haben wir diese Gruppe als die „Abgehängten“ bezeichnet. Nicht um sie zu diskriminieren,
30 | KEYNOTE
sondern um zu signalisieren, dass sie in vielen Bereichen, anders als die große Mehrheit, den
Anschluss nicht halten können.
Für diese jungen Leute kommt ihre soziale Herkunft einer Sackgasse in ihrer weiteren Entwicklung
gleich. Ihre ungünstige sozioökonomische Lage schlägt auf ihren gesamten weiteren Lebensweg
durch. Sie haben dieselben Potenziale wie andere auch, nur ist es den Eltern nicht gelungen, sie
zu wecken.
Damit ist das eine Aufgabe für den Mentor und die Mentorin. Sie können allerdings nur dann
eine gute Ratgeber- und Anregungsfunktion ausüben, wenn sie in ihrem Gegenüber etwas Positives erkennen, das gefördert und gestärkt werden kann. Das ist die professionelle Basis für das
Mentoring: Anknüpfen an das, was mein Gegenüber an interessanten Fähigkeiten und Merkmalen mitbringt, herauszufinden, wen ich eigentlich als Ansprechpartner vor mir habe. Was für ein
Persönlichkeits-, Sozial- und Leistungsprofil hat mein Mentee? Was kann er oder sie, was fehlt,
welche Stärken und Schwächen sind erkennbar? Warum hat er oder sie Schwierigkeiten in der
Schule, wann sind diese entstanden, wie haben sie sich verschärft? Finde ich eine Stelle, an der ich
die negative Spirale unterbrechen kann? Wie schaffe ich es, dass der Misserfolg im schulischen
Bereich nicht auf die anderen Entwicklungsbereiche hinüberspringt?
Auf eine Formel gebracht: Man schaut, wo sind Stärken, wo Potenziale, identifiziert sie, lernt sie
kennen, geht darauf ein, hebt sie hervor – und lässt so seinen Mentee Anerkennung erfahren, das
Gefühl, etwas zu sein, etwas zu können. Das kann dem Mentee ein Schlüsselerlebnis verschaffen,
das möglicherweise den Zirkel der negativen Impulse unterbrechen kann. Insbesondere die oben
angesprochenen 20 Prozent der jungen Generation benötigen diese Unterstützung dringend.
Um zu entdecken, wer das Gegenüber ist, kann man gut die persönliche Intuition nutzen. Allerdings sollte man nicht allein auf die eigene Laienkompetenz bauen, sondern muss auch Tests
oder Fragebögen einsetzen und weitere Personen fragen, die es sachkundig beurteilen können. Zu
solchen Tests und Beurteilungen sollte man die Patinnen und Paten immer wieder neu fortbilden,
ebenso wie zu der Frage, wie man eine gute Gesprächsführung macht, und zu weiteren Aspekten,
etwa wie sich Anerkennung vermitteln lässt und welche Formen der Förderung es gibt.
31 | KEYNOTE
Das klingt zunächst harmlos, ist aber eine Kunst, die systematisch trainiert werden muss. Im besten Fall lernen Freiwillige dabei auch, sehen zu können, wo sie als Mentoren ihre Grenzen haben,
etwa in der Einschätzung der Persönlichkeit des Mentees. Oder auch den Moment zu erkennen,
wann man professionelle Unterstützung hinzuziehen sollte, seien es Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen oder Lehrer*innen. Wenn etwa ein Verhaltensaspekt eine pathologische Qualität hat
und eine Persönlichkeitsstörung eingetreten ist, dann muss ich das als Mentor berücksichtigen. In
diesem Fall ist das Zusammenspiel von Freiwilligen mit Experten entscheidend.
Von Patenschaften profitieren die jungen Leute aus benachteiligten Herkunftsfamilien am meisten. Darunter vor allem die Jungen und die jungen Männer. Aus einem einfachen Grund: Das
besagte Fünftel, die Gruppe junger Menschen mit sozialen Handicaps und Benachteiligungen,
besteht zu fast zwei Dritteln aus Jungen und jungen Männern. Das deutet darauf hin, dass im
Erziehungs- und Sozialisationsprozess, sei es in der Familie oder Schule, Prozesse ablaufen, die
Jungen benachteiligen. Warum Jungen etwa im schulischen Leistungsbereich schlechter abschneiden als Mädchen, ist nicht anders zu erklären als mit der Art und Weise, wie gelernt und
Unterricht gestaltet wird. Deswegen ergibt sich hier für das Mentoring eine besondere Herausforderung und Chance.
Wie kann man sie nutzen? Auch hier gilt, gezielt zu sondieren und diagnostizieren, wo der Junge
oder der junge Mann etwa den Anschluss im Bildungsbereich verliert oder verloren hat. Was ist
passiert? Wie kommt es, dass seine Lehrer*innen keinen Zugang mehr zu ihm haben? Hat er körperlich zu wenig Bewegungsfreiraum oder Ausdrucksmöglichkeiten? Hat er beim Lernen zu wenig
Freiheitsgrade? Sind die Umgangsformen zu sanft, zu dezent, zu milde, so dass er den Eindruck
hat, er kann sich gar nicht angemessen einbringen?
Die Frage, was am Verhalten und an den gesamten Lebensumständen möglicherweise geschlechtsspezifisch ist, wäre für mich auch ein Aspekt für die Schulung von Mentor*innen. Da darf man keine
Angst vor Stereotypen haben. Wir kommen nicht umhin, zu definieren, was männlich und was weiblich ist. Auch pädagogisch ist das geboten, denn um sie abzubauen, muss ich die Klischees ja erst
einmal erkennen. Zur pädagogischen Arbeit gehört mit dazu, dass ich das Männliche an meinem
Mentee identifiziere, es in die Beziehung einfließen lasse und vielleicht sogar als Kernpunkt nutze.
Alle diese wichtigen Arbeiten können nur geleistet werden, wenn der organisatorische und institutionelle Rahmen stimmt. Deswegen braucht es unbedingt die permanente Weiterbildung und
Fortbildung für die Patinnen und Paten. Sie sind nur dann in der Lage, ihre wichtige Aufgabe zu
erfüllen, wenn sie regelmäßig weiter geschult werden. Wichtig ist, dass die soziale Rolle der Patinnen und Paten immer wieder neu definiert wird. Sie sollen nicht nur durch das System lotsen,
sondern auch helfen, dass ihre Schützlinge ihre Interessen erkennen und die dazu passenden
Aktivitäten organisieren. Ein Pate darf kein Anführer in einer hierarchischen Struktur sein. Vielmehr
besteht seine Rolle darin, seinen Mentee zu unterstützen und ihn darin zu trainieren, andere Unterstützer in seiner Umwelt zu aktivieren.
Diese Fähigkeit zum Netzwerken ist der Schlüssel für etwas, was man „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennen könnte. Es geht darum, die Schutzfaktoren im eigenen Umfeld zu aktivieren, etwa durch Bezugspersonen mit wertschätzenden Beziehungen. Ergänzend kommt dann das Training der persönlichen Resilienz dazu. Dazu gehört eine angemessene Selbstwahrnehmung, eine realistische
Einschätzung der Gefühle, eine Fähigkeit zur Selbststeuerung, Konfliktfähigkeit und eine positive
Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Wichtig ist es, mit Belastungen und Stress angemessen umzugehen. Alles das kann in der Patenschaft trainiert werden.
32 | KEYNOTE
Zum institutionellen Rahmen gehört schließlich die finanzielle Absicherung. Die Patenschaftsarbeit muss aus der Projektfinanzierung heraus und in die strukturelle Dauerfinanzierung hinein.
Deshalb sollten die politischen Bemühungen darauf gerichtet sein, Mentoring und Patenschaften
zum Bestandteil der Kultur-, Bildungs- und Sportarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu machen.
Wir müssen Mentoring in die pädagogische und schulische Förderung junger Menschen so integrieren, dass es überall fest verankert ist.
Wir brauchen also feste Förderstrukturen auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene. Projekte kommen und gehen, aber wir haben es hier nicht mit einem konjunkturellen Bedarf zu
tun, der auftritt und durch eine vorübergehende Maßnahme wieder verschwindet. Nein, der Bedarf
ist ja dauerhaft, er bleibt. Um darauf einzugehen, brauchen wir ein gezielt auf die Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtetes Mentoring, zusätzlich zu den einschlägigen professionellen Angeboten in Kindergarten, Schule und Familien- und Jugendsozialarbeit. Denn das bürgerschaftliche
Engagement in Form einer Patenschaft hat breite gesellschaftliche Wirkung. Es sorgt nicht nur für
mehr Bildung und Integration, sondern es dient der Stärkung der Demokratie, der Verbesserung
des sozialen Klimas, der Stärkung des Zusammenhalts in der Bevölkerung. Er ist ein wertvoller
Beitrag für die Entwicklung der Zivilgesellschaft.
FACHFORMATE
WORLDCAFÉ
Kommunikation & Vernetzung –
Wie erreicht man seine Zielgruppe?
AXEL HALLING, Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V., PETER KUSTERER,
BBE-Themenpate Kommunikation, IBM Deutschland GmbH, DR. LILIAN
SCHWALB, BBE, SABINE SÜß, Netzwerk Stiftungen und Bildung, WIEBKE
WOLTERS, Landeskoordinierungsstelle Netzwerk Gesunde Kinder
Moderation: DR. LILIAN SCHWALB, BBE
Die Impulsgebenden und Teilnehmenden des
Worldcafé beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, Chancen und Herausforderungen der
zielgruppengerechten Kommunikation und Vernetzung durch vier thematische Stränge an vier
Tischen mit zwei Durchläufen.
Außenwirkung und Zielgruppenaktivierung
WIEBKE WOLTERS von der Landeskoordinierungsstelle „Netzwerk gesunde Kinder“
legte das Augenmerk an ihrem Tisch auf die
Außenwirkung und Zielgruppenaktivierung in
der Kommunikation. Bevor überhaupt über
die eigenen Zielgruppen nachgedacht werden
könne, müsse intern Einigkeit darüber erzielt
werden, was das Ziel und die Motivation hinter
dem jeweiligen Projekt seien. Erst im nächsten
Schritt wäre es sinnvoll darauf einzugehen, wie
eine zielgruppengerechte Ansprache aussehen
könne und welche Kommunikationskanäle da-
für geeignet wären. Zu erarbeiten und verdeutlichen sei auch, welche Wirkung nach außen
erwirkt werden solle. Besonders spiele auch die
Sprache eine wichtige Rolle für den Erfolg der
Kommunikation. Hierbei sei es wichtig, die zielgruppengerechte Sprachwahl vorab zu testen
und sich ihrer Wirkung zu versichern. In Pat*innenschaften sei es weiterhin von großer Bedeutung die Erwartungen beider Seiten, der Mentor*innen und Mentees gleichermaßen, so gut
wie möglich von vorne herein deutlich zu machen, um so Missverständnisse und Frust über
den Möglichkeitsrahmen der potenziellen Beziehung zu vermeiden. Um die Außenwirkung
der Kommunikation maximieren zu können
seien Kooperationen mit bekannten Partnern
oder Institutionen ein hilfreiches Werkzeug.
Auch Vermittler*innen, beispielsweise die Einbeziehung von Lehrpersonal an Schulen für die
Gewinnung von Schüler*innen, seien wertvolle
Vorantreiber*innen der Vernetzung.
35 | FACHFORMATE
Sektorenübergreifende Vernetzung
Über die Herausforderungen und Chancen
der sektorenübergreifenden Vernetzung diskutierte DR. LILIAN SCHWALB vom BBE mit
den Teilnehmenden. Herausforderungen in der
Kommunikation über Sektorgrenzen hinweg
lägen vor allem in der Heterogenität und den
vielfältigen Interessenslagen der Akteure. In
solch einer Konstellation, so wurde diskutiert,
müssten die womöglich konkurrierenden Einzelinteressen zusammengebracht werden, um
ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Herausfordernd sei, dass häufig nur ein kleinster gemeinsamer Nenner angestrebt werden könne. Der
Aufbau eines heterogenen Netzwerks sei in der
Struktur häufig aufwendig, erfordere Zeit und
Geduld. Netzwerkarbeit sei kein Selbstläufer:
Eine stabile Koordination sei wichtig, die sich
langfristig um Fragen des Aufbaus, der Betreuung und Begleitung sowie um die Weiterentwicklung kümmere. Von hoher Relevanz seien
Fragen der Transparenz und Legitimität. Die
Chancen lägen besonders in den vielfältigen
Expertisen, die es ermöglichten, neue Perspektiven gemeinsam zu entwickeln und innovative
Ideen umzusetzen. Der Mehrwert eines sektorenübergreifenden Netzwerkens läge ferner
im Austausch von Beteiligten, die sonst selten
Berührungspunkte hätten, über die wiederum
neue Bindungen und eine politische Strahlkraft
und neue Arten der Impulssetzung entstehen.
Persona-Methode
Die Methode der ‚Persona‘ zur Zielgruppenbestimmung stellte PETER KUSTERER von IBM
Deutschland und BBE Themenpate Kommunikation an seinem Tisch vor. Diese Methode helfe dabei sich seine Zielgruppe zu veranschaulichen. Dabei stelle man sich eine Musterperson,
die adressiert werden soll, mit Hilfe von vier
Typisierungen in ihrer Lebensrealität vor und
erstelle so ein Profil: was denkt und fühlt diese
Person, und was sagt und tut sie. Auf diese Weise würde deutlich, welche Sprache und welche
Kommunikationskanäle und Verhaltensmuster
bedient werden müssten, um diese Person gezielt ansprechen zu können. So mache es beispielweise weniger Sinn die junge Generation
von Schüler*innen über Tageszeitungen oder
Flyer gewinnen zu wollen. Gewinnbringender
wäre in diesem Falle sicherlich die Ansprache
über Social Media, wie Instagram oder Facebook. Die Feststellung der Persona solle im
besten Falle in einer diversen Gruppe erarbeitet werden. Die Persona-Methode, eigentlich
aus dem Bereich der Marktforschung und dem
Marketing kommend, werde dort mit Hilfe von
personenbezogenen Daten genutzt. Auch ohne
sensible Daten nutzen zu müssen sei diese Methode auch in Pat*innenschaftsprojekten ein
hilfreiches Werkzeug, um die Kommunikation
zielgerichteter ausrichten zu können.
Kommunikatives Zusammenspiel von
Bundes- und Kommunalebene
Auch SABINE SÜSS vom „Netzwerk Stiftungen
und Bildung“ und AXEL HALLING vom „Bundesverband Deutscher Stiftungen“ thematisierten
in ihren Gruppen grundlegende Fragestellungen zur Identifizierung der Zielgruppen und
zum übergeordneten Ziel, sich mit der Arbeit
der Zielgruppe auseinanderzusetzen. Gerade
in Netzwerken, die mehrere Ebenen – Kommunal-, Länder- und Bundesebene – ansprächen,
sei es wichtig auch die Beschaffenheit des
Netzwerks zu erörtern. Ist das Netzwerk ein anlassbezogener, temporärer Zusammenschluss
oder soll grundlegend ein Netzwerk aufgebaut
werden, in dem Vorhaben und Themen langfristig verfolgt werden? Es sei ratsam von den
Zielen her zu denken und diese immer wieder
neu auszurichten und weiterzuentwickeln. Eine
zentrale Koordination sowie Verbindlichkeit und
Ansprechbarkeit sollten kontinuierlich gewährleistet sein. Gerade in großen Netzwerkverbänden sei die Erreichbarkeit der Bundesebene
wichtig und auf den Wissenstransfer und die
Zusammenarbeit, vertikal wie auch horizontal,
müsse besonderes Augenmerk gelegt werden.
Die Arbeitsteilung und jeweiligen Expertisen
der einzelnen Ebenen, wie das Wissen der lokalen Standorte um konkrete Bedarfe und das
politische Agieren der Bundesebene, zu berücksichtigen, sei besonders in der Kommunikation
untereinander wichtig, um einzelne Gruppen im
Austausch nicht zu verlieren. So seien bedarfsorientierte Mailings für die einzelnen Ebenen
oder Untergruppen zielführender als ein News-
36 | FACHFORMATE
letter, der den gesamten Organisationsverband
abdecke. Ehrenamtliche beispielsweise seien
auf der lokalen Ebene mit anderen Themen
beschäftigt als Hauptamtliche auf der Bundesebene.
Abschließende Bedarfe &
Empfehlungen
•
Professionelle und zielgruppenorientierte
Öffentlichkeitsarbeit ist teuer und aufwendig. Diese wichtige, kostspielige Arbeit innerhalb von Förderungen durch Beauftragung von Professionellen oder finanziell
innerhalb der eigenen Organisation abdecken zu können, wäre hilfreich.
•
•
•
•
Eine direkte Ansprache der Zielgruppe, anstelle eines Sprechens über die Zielgruppe,
ist von großer Wichtigkeit und wird häufig
verfehlt.
Die Sichtbarkeit der Akteur*innen vor Ort
muss gestärkt und hervorgehoben werden,
da sie die Sensoren der Bedarfe sind.
Projekte und Organisationen sollten enger
zusammenarbeiten, um sektorenübergreifend langfristige Wirkung zu erzielen.
Auch innerhalb einer Zielgruppe sind die
Bedarfe nicht homogen. Je nach Standort
können diese voneinander abweichen. Dies
muss in der Kommunikation berücksichtigt
werden.
FISHBOWL
Welche Rahmenbedingungen brauchen Pat*innenschaftsund Mentoringprogramme mit Kindern und Jugendlichen?
MARIANNE BALLÉ MOUDOUMBOU, Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe, STEFANIE COROGIL, Stiftung Unionshilfswerk Berlin, SUSANNE HUTH, INBAS Sozialforschung GmbH, FRANZISKA
NAGY, Stiftung Lernen durch Engagement, LISA PAETZ, Stiftung Bildung
Eingangsstatements der
Impulsgebenden
„Damit Pat*innenschaften und Mentoringbeziehungen funktionieren, benötigen sie organisatorische, institutionelle und gesellschaftliche
Rahmenbedingungen. Die Beteiligten, und insbesondere Kinder und Jugendliche in herausfordernden Lebenslagen, benötigen ein Netz
an Unterstützer*innen, z.B. an ihrem Wohnort,
in Bildungsstätten und in Behörden. Es braucht
Gesetze, die sie schützen und Teilhabe sowie
Chancengerechtigkeit ermöglichen. Projekte
und Akteure sollten von der Vielfalt der Gesellschaft geprägt sein, sich dezentral und aus der
Basis heraus etablieren. Das heißt auch, in Migrant*innenorganisationen verankert zu sein.
Nur auf diese Weise wird sichergestellt, dass
Angebote den Bedarfen der Mitwirkenden gerecht werden. Es braucht geeignete Förder- und
Unterstützungsstrukturen und den engagierten
Einsatz gegen Rassismus, Diskriminierung und
Rechtsextremismus, der längst in allen Teilen
der Gesellschaft vorkommt. Dazu ist die vollständige Umsetzung der Erklärung und des Aktionsplans aus der Weltkonferenz von Durban
(DDPA) und der UN-Kinderrechtskonvention
und eine Reform des Gleichbehandlungsgesetzes notwendig.”
(MARIANNE BALLÉ MOUDOUMBOU)
„Gelingendes Mentoring braucht einen sicheren
Rahmen! Trotz unterschiedlicher thematischer
Ausrichtung, der unter der Dachmarke „Hürdenspringer“ umgesetzten Mentoring-Projekte, eint
sie ein konzeptioneller Ansatz. Dieser ist ge-
prägt von einer 1:1-Beziehung, der engen Steuerung durch hauptberufliche Mitarbeiter*innen
und der Qualifizierung und fortlaufenden Begleitung der Tandem-Partner*innen. Besonders
viel Wert wird auf eine mindestens zweijährige
Projektlaufzeit gelegt, nur so können Strukturen nachhaltig angelegt werden. Im Programm
werden die engagierten Mentor*innen vor Beginn ihres Einsatzes qualifiziert, zum einen zu
fachlichen Fragen rund um die Themenfelder
Schule-Ausbildung-Beruf, sowie zum anderen
hinsichtlich des Mentorings, ihrer Rolle, den
Chancen und Grenzen der Beziehung zum
Mentee. Auch diese werden auf das Mentoring
vorbereitet. Während der Laufzeit des Tandems
gibt es diverse Begleitangebote und Fortbildungen, die Möglichkeit zur Supervision und die
stetige Ansprechbarkeit der hauptberuflichen
Kolleg*innen. Um diesen qualitätssichernden
Rahmen zu gewährleisten sind Stabilität in der
Projektfinanzierung und beim Personal genauso unerlässlich wie regelmäßige (Team-)Fortbildungen und gute Arbeitsbedingungen.“
(STEFANIE COROGIL)
„In den letzten Jahren gab es einen regelrechten Boom von Programmen, deren Konzepte
sich im Laufe der Jahre stark gewandelt haben.
Aus dem anfänglichen Motto „Alt hilft Jung“
ist heute eine vielfältige Trägerlandschaft geworden – Programme sind ganzheitlich ausgerichtet, haben Empowerment und die Stärkung
der Persönlichkeitsentwicklung zum Ziel, beziehen Eltern, das soziale Umfeld und weitere
Bildungsakteure ein. Zum Teil werden die jun-
38 | FACHFORMATE
gen Menschen selbst zum Engagement angeregt. Damit sind auch die Anforderungen an
die Akteure komplexer geworden. Dem Einsatz
als Pat*in ging früher eine intensive fachliche
Vorbereitung voraus. In aktuellen Programmen
folgt der kurzen Basisqualifikation, die stärker
persönliche Kompetenzen als fachliches Wissen fördert, ein schneller Einstieg in die Pat*innenschaft. Die Weiterqualifizierung entlang der
Laufzeit der Tandems richtet sich stärker nach
den Bedarfen, die aus der Beziehung heraus
entstehen.
Vor dem Hintergrund der bestätigten und anerkannten Wirksamkeit entsprechender Programme ist eine deutlich gestiegene politische
Aufmerksamkeit zu beobachten. Damit verbunden ist jedoch zugleich ein höherer Anspruch
an die Erfolge und Auswirkungen für die einzelnen Kinder und Jugendlichen sowie darüber
hinaus auf die Verbesserung gesellschaftlicher
Teilhabemöglichkeiten.“
(SUSANNE HUTH)
„Die spendenfinanzierte Stiftung Bildung setzt
ein besonderes Pat*innenschafts-Format um,
in dem Tandems zwischen Kindern und Jugendlichen in ungefähr gleichem Alter gebildet
werden. Pat*innenschaften können so auf Augenhöhe stattfinden, die klassischen Rollen als
Mentor*in und Mentee werden aufgelöst, weil
die Kinder und Jugendlichen gemeinsam durch
übergeordnete Themen an ihren Stärken und
Schwächen arbeiten, voneinander lernen und
sich gegenseitig unterstützen. Die Pat*innenschaft verliert ihren defizitären Blick auf Schwächen und stärkt Lerneffekte auf beiden Seiten.
Strukturelle Benachteiligung wird überwunden
durch die Ausrichtung an gemeinsamen Interessen, die sich in Projektarbeit wiederfinden.
Die Stiftung Bildung nutzt und unterstützt für
die Programmumsetzung die vorhandenen
Engagementstrukturen der Kita- und Schulfördervereine. Denn das geringe Angebot an Kindergärten und Schulen unterstützt die Bildung
von ganz diversen Partnerschaften, die zwar
dieselbe Einrichtung besuchen, aber aus unterschiedlichen Sozialräumen kommen. Besonders schön ist, dass wir durch diesen Ansatz
Kinder und Jugendliche vor allem auch in strukturschwachen, ländlichen Räumen erreichen
können. Dies funktioniert gut, wenn es dezentral und aus der Basis heraus organisiert wird,
die Kinder in die Projektplanung einbezogen
sind und wenn ausreichend hauptberufliches
Personal die Engagierten bei der Bewältigung
von Bürokratie, Qualifizierung und fachlichen
Anforderungen unterstützen.“
(LISA PAETZ)
„In der schulischen Lehr- und Lernform „Service-Learning/ Lernen durch Engagement“ werden Kinder zur Übernahme von Verantwortung
und zu Engagement im eigenen sozialen Um-
39 | FACHFORMATE
feld motiviert. Zu den Umsetzungsformaten
gehören auch die Pat*innenschaften. Eingebettet in den Fachunterricht, in Wahlpflicht- oder
Oberstufenkurse beschäftigen sich die Kinder
und Jugendlichen im Unterricht mit Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und gesellschaftlichem Wandel. Durch diese Kombination erwerben sie genau jene Kompetenzen, die
die 21st Century Skills der OECD fordern. Durch
die Anbindung an die Schulen können auch
jene Kinder und Jugendlichen erreicht werden,
die sich freiwillig nicht engagieren würden.
Hinsichtlich der Auswahl der Schulen ist eine
notwendige Rahmenbedingung, dass diese
auch Demokratiebildung und Wertevermittlung
als ihren Lehrauftrag verstehen. Schulen müssen eine Integrationskultur ohne Stigmatisierung etablieren und sich in ihrem Stadtteil vernetzen. Eine besondere Herausforderung stellt
dar, dass sich aus der Schnittstelle Bildung und
Engagement unterschiedliche behördliche Zuständigkeiten ergeben. Im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit ist eine größere
Offenheit und Transparenz wünschenswert.“
(FRANZISKA NAGY)
Resümee aus der Diskussion
Es sollte das Ziel aller Akteure sein, das Kind
bzw. den/die Jugendliche*n in den Mittelpunkt
zu stellen und das individuell beste Angebot zu
finden. Es gilt daher anzustreben, haupt- und
ehrenamtliche Angebote entlang des Bildungswegs sinnvoll ineinandergreifen zu lassen und
darüber im Austausch zu stehen. Auf diese
Weise kann aus einer Vielzahl sich ergänzender
Angebote geschöpft werden. Die Gründung von
Bündnissen und Netzwerken und das Arbeiten
auf Basis von Kooperationen sind die logische
Konsequenz daraus. Schriftliche Vereinbarungen helfen, den Rahmen der Zusammenarbeit
nach außen zu setzen, organisationsintern sind
sie für die Klärung von ehrenamtlichen und
hauptamtlichen Rollen und Aufgaben hilfreich.
Pat*innenschafts- und Mentoringprogramme
sind so vielfältig, dass kein Konzept oder Vorgehen für allgemeingültig erklärt werden kann.
Für alle Akteure ist es wichtig, regelmäßig zu reflektieren, ob Ziele, Haltungen und Vorgehen innerhalb des Programms stimmig sind und von
allen Beteiligten getragen werden. So können
auch Konfliktpotenziale herausgearbeitet und
Fortbildungs- und Supervisionsbedarfe identifiziert werden. Ein professionelles Ehrenamtsmanagement wertschätzt die Engagierten und
bezieht sie in die Gestaltung von Programmangeboten ein.
Für eine qualitätsvolle Umsetzung braucht es
vor allem Zeit und Geduld, diskriminierungsfreie Räume in der Haltung, im Umgang und in
der Sprache sowie angemessene Ressourcen
für die Koordination und für funktionierende
Strukturen. Die vorwiegende Finanzierung über
Projektförderungen ist ungeeignet für die Anforderungen, die sich aus der Komplexität der
Arbeit ergeben.
MEET THE EXPERT:
Welche Chancen und Herausforderungen birgt die
Digitalisierung im Kontext von Pat*innenschaften?
Impulse: JAKOB FILZEN, Start with a Friend, HANNES JÄHNERT,
Deutsches Rotes Kreuz, KATARINA PERANIC, Stiftung Bürgermut,
DR. KARIN REICHEL, FrauenComputerClubBerlin
Moderation: DR. BEHZAD FALLAHZADEH, BBE
Pat*innenschaften basieren auf persönlichen
Beziehungen und Begegnungen zwischen
Mentor*in, Mentee und Projektkoordination.
Demgegenüber eröffnen die Digitalisierung im
Allgemeinen und digitale Tools im Speziellen
Möglichkeiten der Begegnung und Beziehung
über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg.
Ausgehend von diesem vermeintlichen Widerspruch, waren die Teilnehmenden eingeladen,
mit Expert*innen über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung im Kontext von
Pat*innenschaften zu diskutieren.
JAKOB FILZEN berichtete von dem Vorhaben,
Arbeitsprozesse der Koordination digital zu vereinfachen, um auch in Zukunft skalierbar und
wirkungsvoll arbeiten zu können. Hierzu wurde
im ersten Schritt im Jahr 2016 von Excel-Dateien auf eine Datenbank umgestellt. Aktuell
strebt Start with a Friend an, diese Datenbank
dahingehend weiterzuentwickeln, dass einzelne Arbeitsschritte automatisiert erfolgen, um
die Koordinator*innen in ihren Verwaltungstätigkeiten zu entlasten und die freigewordenen
Ressourcen in die Qualität der Koordination zu
investieren. Im Rahmen der Begleitung könnten
so etwa nach einem vorgegebenen Zeitintervall
automatisch Evaluationsemails versendet werden. Perspektivisch wäre auch denkbar, dass
beispielsweise erste Matching-Vorschläge
durch Algorithmen erfolgen.
Ausgehend von der Frage ‚Was kann Digitalisierung zur Organisationsentwicklung beitragen?‘
stellte HANNES JÄHNERT vom Deutschen Roten Kreuz fest, dass die Digitalisierung alle vor
neue Herausforderungen stelle, weil sie unterschiedlichste Lösungen für ein Problem bereitstelle. Daraus resultiere oftmals ein ‚Solutionismus‘ (Evgeny Morozov), der zur Folge habe,
dass Lösungen implementiert würden, bevor
das Problem analysiert sei bzw. sich überhaupt
stelle. Digitalisierung könne hingegen nur dann
einen Beitrag zur Organisationsentwicklung
leisten, wenn die richtigen Fragen gestellt werden: ‚Was ist unser Anliegen, was ist unser Projekt?‘, ‚Was treibt uns an?‘ und ‚Wie wollen wir
arbeiten?‘ Die genannten Fragen in einer Organisation zu bearbeiten, setze indes die Bereitschaft zu echter Partizipation voraus.
KATARINA PERANIC von der Stiftung Bürgermut stellte in ihrem Impuls dar, wie sich unsere Kommunikationsgewohnheiten im digitalen
Raum verändert haben und welche Herausforderungen dies für Organisationen darstelle.
Hierzu gehörten beispielsweise grundsätzlich
veränderte Seh- und Lesegewohnheiten, die
oftmals negativ als sinkende Aufmerksamkeitsspanne gedeutet würden. Tatsächlich ziehen digital affine Menschen, insbesondere in
audiovisuellen Medien, Stories und StorytellingFormate den langen, textbasierten Formaten
vor. Gleichzeitig beziehen sie ihre Informationen aus unterschiedlichsten digitalen Kanälen,
was für Organisationen Mehraufwand bedeute,
da sie ihre Kommunikation medienspezifisch
aufbereiten müssten. Zudem unterlägen digi-
41 | MEET THE EXPERT
tale Technologien, Plattformen und Angebote
einem stetigen und schnellen Wandel. Was
heute gehypt werde, sei morgen bereits wieder
out. Für diesen schnellen Wandel müssten Organisationen stets offen sein.
Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden
ihre Fragen mit den Expert*innen. Die wichtigsten Befunde zusammengefasst:
Wie können digitale Technologien
zur besseren Kommunikation von
DR. KARIN REICHEL vom FrauenComputerZen- Träger*innen auf der Bundesebene
trumBerlin fokussierte in ihrem Beitrag auf die und ihren Koordinator*innen vor Ort
erforderlichen Kompetenzen in einer digitalen beitragen?
Welt, die sich laut Reichel in drei Stufen einteilen ließen. In der ersten Kompetenzstufe bilde
sich eine digitale Literalität, die Akteur*innen
beherrschten und verstünden die Technologie
in ihren Grundzügen und könnten mit ihrer Hilfe Probleme lösen. In der nächsthöheren Stufe, Digital Citizenship genannt, gebrauchen die
Akteur*innen die Technologie nicht nur zur Problemlösung, sondern können darüber hinaus
auch Normen und Werte für eine verantwortungsvolle Nutzung der Technologie einschätzen. Die höchste Kompetenzstufe bilde derweil
jene, in welcher Aktivitäten in einer digitalen
und digitalisierten Welt auch zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung beitragen, indem beispielsweise im Umgang mit den digitalen Medien das eigene kritische Denken, die Empathie,
Kreativität oder Innovationsfähigkeit gesteigert
werde. Vor diesem Hintergrund müssten Weiterbildungen in einer digital vernetzten Welt
auch folgende drei zentrale Fragen bearbeiten:
„Wie funktioniert die Technologie?“, “Wie wird
die Technologie genutzt?“ und „Welche gesellschaftlich-kulturellen Auswirkungen hat die
Technologie?“.
HANNES JÄHNERT: „In einer digitalen Welt
wollen Menschen mit eigener Stimme sprechen und auch gehört werden können. Das gilt
auch für Koordinator*innen auf lokaler Ebene.
Dafür können Verbände auf der Bundesebene
Resonanzräume schaffen, also Räume, die vorstrukturiert, aber inhaltlich nicht vorgegeben
sind: Beispielsweise Blogs, in denen Koordinator*innen aus ihrer alltäglichen Arbeit berichten. Wenn dieser Blog dann eine gewisse
Reichweite hat, weil er über den Träger auf der
Bundesebene verbreitet wird, dann nehmen die
Koordinator*innen das an – zumindest bei uns
in der DRK. Hierdurch ist zweierlei gewonnen:
Erstens erhalten die Koordinator*innen Reichweite und die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen. Zweitens kommen wir auf der Bundesebene an Informationen und Praxisbeispiele,
die in der alltäglichen Kommunikation eventuell
untergehen würden. Es gilt mit anderen Worten, nicht in schrittigen Prozessen zu denken,
wie man an Informationen gelangt, sondern
wie Kommunikationsräume dafür geschaffen
werden können.“
42 | MEET THE EXPERT
KATARINA PERANIC: „Ja, die Schaffung von
Resonanzräumen für Kommunikation ist wichtig. Aber noch wichtiger ist es, Partizipation zu
ermöglichen. Wenn Koordinator*innen oder
auch Tandems partizipativ nicht eingebunden
werden, dann verstehen sie sich auch nicht als
Community und werden dann auch die Angebote nicht annehmen. Wollen wir also Feedback
von den Koordinator*innen, dann gilt es, sie
bereits bei der Frage miteinzubeziehen, warum
Feedback notwendig ist und wie dieses aussehen sollte. Und das ist auch jenseits von Digitalisierung wichtig. Unsere Welt ist einfach komplexer geworden, und hierfür brauchen wir auch
andere Arbeitsmethoden und –prozesse, um
das Wissen von allen in Wert setzen zu können.“
Inwieweit sollten Algorithmen im
Matching eine Rolle spielen dürfen?
JAKOB FILZEN: „Die Erfahrung unserer Arbeit
zeigt, dass ein intensiver Matchingprozess
durch die Vermittler*innen wichtig ist, beispielsweise auf Grundlage von Interessen und Hobbies, aber am Ende die Tandems auch selbst
entscheiden, ob es wirklich matcht. Vor diesem
Hintergrund könnten Algorithmen die Vermittler*innen bei dem Matchingprozess entlasten.
Sie können dann vermehrt ihre Ressourcen für
die Ermutigung und Begleitung der Tandems
sowie für die Lösung möglicher Herausforderungen verwenden. Uns geht es folglich nicht
darum, den Matchingprozess durch Algorithmen einfach nur zu beschleunigen, sondern
mehr Zeit zu schaffen für das was uns wirklich
wichtig ist: persönliche Begegnungen und die
Begleitung der Tandems, insbesondere dann,
wenn die Vermittlung und Begleitung der Tandems durch Ehrenamtliche erfolgt.“
Setzt die Nutzung digitaler Tools
eine Digitalisierungsstrategie voraus, oder kann auch die Methode des
Trial-and-Errors zum Erfolg führen?
DR. KARIN REICHEL: „Ich würde immer dafür plädieren, eine Digitalisierungsstrategie zu
entwerfen, und zwar immer ausgehend von
den Problemen, die vorliegen. Also die Fragen
stellen: „Warum brauchen wir das?“, “Welches
Problem wollen wir damit lösen?“ und “Welche
Anforderungen haben wir?“. Trial and Error, also
bloßes Ausprobieren, ist wenig zielführend und
nachhaltig. Eine professionelle und systematische Vorgehensweise ist folglich anzuraten,
wenn längerfristige Lösungen gefunden werden sollen.“
WORKSHOP
„Welches Potenzial haben Sozialräume für
Pat*innenschaften und Mentoring?“
Impulse: CHRISTIANE GRABE, Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe,
JOHANNES GRÜNECKER, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO)
Moderation: WIEBKE KUNSTREICH, BBE
Als Ergebnis sozialer Beziehungen, das dem
Interesse und Handeln von Individuen und
Gruppen entspringt, bildet der Sozialraum oder
das „Quartier“ einen wichtigen Austragungsort
gesellschaftlicher Gestaltungs- und Veränderungsprozesse. Der Workshop thematisierte,
inwieweit sich die Bedingungen für soziale
Exklusion und Inklusion verändert haben, wo
Pat*innenschaftsprojekte im sozialen Nahraum zum Tragen kommen, und was eine gute
Zusammenarbeit zwischen den Akteuren im
Sozialraum ausmacht.
Christiane Grabe stellte eingangs das bundesweit einzigartige Konzept der aktuell 171
Integrationsagenturen vor, die von der Wohlfahrtspflege betrieben werden und explizit
sozialraumorientiert arbeiten. Die Arbeit der
Integrationsagenturen ist nicht Pat*innenschaftsbezogen, jedoch bestehen Analogien,
die wichtige Hinweise geben auf Gelingensbedingungen auch für Pat*innenschaften und
Mentoring.
Der Sozialraum vereint vielfältige Themen und
Handlungsfelder: Stadt(teil)entwicklung, Quartiersmanagement, Alten- und Behindertenhilfe,
Familien-, Kinder- und Jugendhilfe, Inklusion sowie Integration. Die klassischen Akteure, Nachbarschaftsheime, Seniorenbegegnungsstätten,
Häuser der offenen Tür für Kinder und Jugendliche, Stadtteilzentren und Bürgerläden arbeiten
meist themenbezogen mit starkem Quartiersbezug. Familienzentren und Gemeindezentren
der Kirchen bieten hingegen übergeordnete An-
gebote an, an die Pat*innenschaftsprojekte gut
andocken können. Starken Bezug zu Pat*innenschafts- und Mentoringprogrammen haben die
„Stadtteilmütter“-Projekte, in denen Frauen mit
Migrationshintergrund in ihren Communities
sehr wirkungsvoll als Ansprechpartnerinnen für
soziale und ökonomische Problemlagen wirken.
Zu den Projekten im Sozialraum, die gute Anknüpfungsmöglichkeiten für Mentoring- und
Pat*innenprojekte bieten, gehören Wohn- und
Arbeitsprojekte, Nachbarschaftszusammenschlüsse und Quartiergenossenschaften. Bei
regionalen Erzeuger- und Verbraucherkooperativen gibt es erfahrungsgemäß eine große
Offenheit für ein Engagement in der Flüchtlingshilfe. Das Spektrum reicht von Ausbildungspat*innen, Jobcoaches für Zugewanderte, Sprach-, Kultur- und Stadt(teil)mittler*innen,
über Gesundheits- und Sportlots*innen hin zu
bilingualen Gedächtnistrainer*innen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: es entwickelt sich eine Beteiligungs- und Mitwirkungskultur, wobei die Bereitschaft zum Engagement
im Nahraum besonders hoch ist. Da weder
Integration noch Inklusion für relevante Bevölkerungsteile gewährleistet sind, bedarf es verstärkter Bemühungen, ein „Zusammenwirken
und Zusammenstehen“ quer durch alle Schichten, Milieus und Kulturen zu entwickeln, zu nutzen und zu fördern. Pat*innenschaftsprojekte
sind dafür eine Plattform.
44 | WORKSHOP
Johannes Grünecker, Koordinator des Pat*innenschaftsprogramms der Arbeiterwohlfahrt,
gab anschließend Einblicke in die sozialraumorientierte Arbeit der AWO. Deren Programm
startete 2016 im Programm „Menschen stärken Menschen“ mit dem Ziel, Geflüchtete durch
Pat*innenschaften zu unterstützen. 2019 wird
das Programm bundesweit mit 6.500 Pat*innenschaften an über 45 Standorten umgesetzt,
die Zielgruppen sind entsprechend der Programmerweiterung ausdifferenziert worden.
Grünecker zeigte anhand der Entwicklungen
im Pat*innenprogramm in 2018 auf, inwiefern
sich die Bedingungen von Inklusion und Exklusion verändert haben. Die Mehrheit der Standorte habe zunehmend Schwierigkeiten, Freiwillige zu finden. Gleichzeitig müssten sie mehr
in die Pat*innenschaften investieren und es
falle ihnen schwerer, Abbrüche zu verhindern.
Außerdem seien die Engagierten zunehmend
„ausgebrannt“. An der Hälfte der Standorte wird
zudem nicht hauptamtlich, sondern ehrenamtlich koordiniert. In der Summe ist die Arbeit für
die hauptamtlichen Koordinator*innen schwieriger geworden. Betrachtet man, dass die
durchschnittliche jährliche Betreuungszeit pro
Pat*innenschaft von 7,5 Stunden in 2017 auf
6,5 Stunden in 2018 gesunken ist, werde klar:
Die Betreuung für die Engagierten ist geringer
geworden, gleichzeitig sind die Herausforderungen gestiegen.
Die Quartiersarbeit ist für die AWO wichtig,
aktuell gibt es bundesweit 100 Projekte. Der
Fokus liegt auf generationsübergreifender
Quartiersarbeit, die Engagement in die soziale
Dienstleistung integriert. Grundsätzlich soll das
Engagement jedoch nicht professionelle soziale Arbeit ersetzen, sondern als „Türöffner“ dahingehend unterstützen, Teilhabe zu erhöhen
und Hilfsangebote zu finden.
Anhand des „Haus der Begegnung“ im bayrischen Mühldorf am Inn erläuterte Grünecker die
Einbindung des Pat*innenschaftsprogramms
in die sozialraumorientierte Arbeit der AWO. Als
Mehrgenerationenhaus, Familien- und Selbsthilfezentrum vereint die Einrichtung unterschiedliche Angebote. Eine hausintern organisierte Freiwilligenbörse vermittelt in Angebote.
Die sozialräumliche Infrastruktur - Grundschule,
Berufsschule, Kirchengemeinde, Seniorenzentrum und Flüchtlingsunterkunft - bildet eine gute
Grundlage für die Vernetzung der Akteur*innen
im Nahraum. Das Pat*innenschaftsprogramm
startete dort 2016, indem die Bedürfnisse der
Menschen in der 2015 eingerichteten Flüchtlingsunterkunft mittels aufsuchender Arbeit
eruiert und darauf abgestimmte Angebote entwickelt wurden. Daraus sind niedrigschwellige,
offene Angebote wie das „Café International“
entstanden, das dem Austausch auch über Bedarfslagen dient. Die daraufhin eingerichteten
Gruppenangebote wie ehrenamtliche Deutschkurse, Hausaufgabenbetreuung und Ferienfrei-
45 | WORKSHOP
zeiten für Kinder und Jugendliche bieten einen
guten Andockungspunkt, um individuelle Bedarfe zu ermitteln und diese durch 1:1-Pat*innenschaften zu unterstützen.
Die Herausforderung läge angesichts der Vielfalt der Zielgruppen und unterschiedlichen Bedarfe in der Breite der inhaltlichen Arbeit. Wenn
die benötigten Ressourcen nicht hauptamtlich
vorhanden seien, bedarf es einer sehr gut koordinierten Freiwilligenarbeit. Auch die Netzwerkarbeit zwischen den lokalen Akteur*innen brauche Zeit und Vertrauen, um gemeinsame Ziele
zu erarbeiten. Die Chancen: offene Angebote
geben gute Einblicke in die (sich wandelnden)
ganisation von Pat*innenschaften. Als wichtigste Ergebnisse wurden festgehalten: Ausgehend
von Bedarfslagen und Zielgruppen brauche es
zunächst eine Übersicht der bestehenden Angebote. Neue Angebote sollten stets am Bedarf orientiert sein. Als relevante Stakeholder
wurden Stadtteilmanager*innen, Sozialraumkoordinator*innen, Bürgeramt, Kirchen- und
Moscheen-Gemeinden, Migrantenselbstorganisationen, Kultur- und Sportvereine, lokale und
regionale Wohlfahrtsverbände, Bildungseinrichtungen, Veranstalter*innen von kulturellen und
religiösen Festen sowie persönliche Netzwerke
identifiziert. Ein guter Ausgangspunkt für das
Gelingen eines Pat*innenschaftsprogramms
Bedarfe des Quartiers, gleichzeitig trete durch
Engagement zutage, welche Potenziale vorhanden seien. Die Arbeit im sozialen Nahraum
schaffe eine besondere Motivation, durch die
Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes
Selbstwirksamkeit zu erfahren. Als wichtige
Gelingensbedingungen sieht Grünecker neben
Pragmatismus und Geduld v.a. den persönlichen Kontakt und eine breite Kooperationsbereitschaft.
sei, zunächst an aktuelle Themen im Sozialraum anzuknüpfen. Darauf abgestimmt sollten
niedrigschwellige Zugänge geschaffen werden,
das Stiften von Pat*innenschaften sollte nicht
der alleinige Fokus sein. In der Anbahnung und
Umsetzung des Programms bedürfe es dann
Schlüsselpersonen bzw. Institutionen, die als
„Türöffner“ zu den Communities und Zielgruppen fungieren, sowie einer guten Vernetzung
und Kooperation der relevanten Akteure.
In der anschließenden Kleingruppenarbeit beschäftigten die Teilnehmenden sich mit der
Identifikation von relevanten Stakeholdern im
Sozialraum, insbesondere in Bezug auf die Or-
PANELS
47 | TEXT
KEYNOTE | 47
PANEL I
Helfen in allen Lebenslagen? –
Pat*innen und Mentor*innen als pädagogische Laien
Impulse: ANNIKA JÄHNKE, BürgerStiftung Hamburg, BETTINA JANTZEN,
Ehlerding Stiftung, BIRGIT JOHANNSSEN, Seniorpartner in School e.V.,
JUN.-PROF. DR. MARIAN KRATZ, Universität Koblenz-Landau
Moderation: RAINER HUB, Diakonie Deutschland
Die wissenschaftliche Grundlage für das Panel
legte JUN.-PROF. DR. MARIAN KRATZ von der
Universität Koblenz-Landau, mit einem Bericht
aus dem Service-Learning-Projekt „Alltagsbegleitung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter“ an der Universität Frankfurt am Main,
in dem Studierende sich ein Jahr lang ehrenamtlich in 1:1-Beziehungen als Mentor*innen
engagierten. Vorbereitet wurden die Mentor*innen durch Seminare, u.a. zum pädagogischen
Rollenverständnis und traumasensibler Pädagogik, Critical Whiteness-Forschung sowie
Fallstudien von Mentoring-Erfahrungen. Für
die Beforschung des Projekts waren folgende
Fragestellungen leitend: Was für Beziehungsdynamiken lassen sich in ehrenamtlich strukturierten „Arbeitsbündnissen“ beobachten?
Welche Chancen, welche Belastungspotenziale
bestehen? Wie müssten Engagierte begleitet
werden, um ehrenamtliches Handeln pädagogisch fruchtbar zu machen?
Anhand der Analyse dreier Fälle aus dem
Projektkontext veranschaulichte Kratz unterschiedliche Perspektivlagen. Erstens: Ehrenamtliche „Arbeitsbündnisse“ brauchen einen
thematischen Rahmen und Ziele. Sind diese
nicht gegeben, werden zwar diffuse Bedürfnisse erkannt, die sich aber nur schwer in Handlungen umsetzen lassen. Die Beziehungswünsche
der/des Mentee, im vorgestellten ersten Fall
nach Nähe-Freundschaft-Familie, können zwar
gesehen, aber nicht weiterbearbeitet werden.
Obwohl die Beziehung großes Potenzial und
Spielräume bietet, schafft die/der Mentor*in es
nicht, ihre*n Mentee darin zu unterstützen, die
(peer group-) Beziehungen zu finden, die er/sie
sucht, z.B. durch eine Vermittlung in Vereine.
Zweitens: Die aus der Fluchterfahrung resultierende Belastung des/der Mentee sollte angemessen wahrgenommen werden. Im zweiten
Fall tritt die hohe Belastungssituation, bedingt
durch eine zweifache Flucht, zugunsten einer
Glorifizierung durch die/den Mentor*in vollständig in den Hintergrund, indem nur auf die
Begeisterungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der/des Mentee abgehoben wird. Die/
der politisch engagierte Mentor*in lässt keine
Ambivalenz zu, sie/er überträgt ihre politische
Überzeugung auf den/die Mentee. Drittens:
Mentor*innen müssen auf den Umgang mit zurückliegenden und aktuellen Belastungen des/
der Geflüchteten vorbereitet werden. Allgemein
wird angenommen, dass sich Mentor*innen
für die mitgebrachte Belastung des/der Mentee wappnen müssen. Jedoch kann auch das
Bezeugen und mittelbare Erleben von post-migrantischen Belastungssituationen, z.B. das
Erleiden alltäglicher Diskriminierung des/der
Mentee für die Mentor*innen und zu starker
Überforderung führen. Kratz veranschaulichte
dies am Beispiel einer Lehrerin, die gegenüber
einer Mentee rassistisch und verbal sexuell
übergriffig handelte.
Kratz zieht daraus das Fazit, „dass ehrenamtlich
Engagierte Reflexionsräume benötigen, damit
sich in sicheren Momenten stabiler, weil reflektierter Sozialbeziehungen ein Milieu entwickeln
kann, in dem ehrenamtliches Engagement als
ein Glied in der psychosozialen Versorgungskette verantwortungsvoll wirken kann“. Wenn dieser
48 | PANEL I
Raum geschützt sei, könne sehr viel Fruchtbares stattfinden, gründend auf Authentizitätserfahrungen und gegenseitigem Vertrauen.
Die drei anschließenden Praxisimpulse gaben
Einblicke in die Vorbereitung und Begleitung
von Freiwilligen als Pat*in und Mentor*in für
Kinder und Jugendliche.
ANNIKA JÄHNKE, Leiterin des Projekts „Landungsbrücken – Patenschaften in Hamburg stärken“ stellte das Angebot vor, das an
Hamburger Pat*innen- und Mentoringprojekte gerichtet ist, die Kinder und Jugendliche
herkunftsunabhängig im Rahmen einer Chancenpat*innenschaft fördern. Das Projekt unterstützt die Koordination als auch die Pat*innen
durch drei Säulen: Beratung und Information
für bestehende und neue Projekte, Qualifizierung und Vernetzung sowie Projektförderung.
Jähnke erachtet das Credo „Ehrenamt braucht
Hauptamt“ insbesondere für Pat*innenschaften und Mentoring als wichtig an. Herausforderung des Hauptamtes sei es, das Ehrenamt so
zu qualifizieren und begleiten, dass es die Anforderungen erfüllen kann. Grundlegend seien
die Klärungen hinsichtlich Rollenverständnis,
Abgrenzung, Schutzkonzepten und guter Begleitung, um vorzeitige Abbrüche von Pat*innenschaften zu vermeiden. Gut organisiertes
Ehrenamt sei eine Ressource, mit der viel bewegt werden kann, weil sie flexibel ist und stark
in der inhaltlichen und in der Beziehungsarbeit.
Es stoße jedoch an Grenzen, wenn Professionalisierungsschritte größeren Umfangs notwendig seien. Hauptamtliche Strukturen sollten in diesen Entwicklungsschritten beraten
und zwischen Haupt- und Ehrenamt vermitteln.
BETTINA JANTZEN, Leiterin der 2007 gegründeten mitKids Aktivpatenschaften der Ehlerding-Stiftung, stellte das Zusammenwirken
von Haupt- und Ehrenamt in ihrem Projekt vor,
das ehrenamtliche Pat*innen an Kinder aus
belasteten Situationen vermittelt. Während
die Leitung und Koordination der drei Standorte hauptamtlich tätig sind, sind die Pat*innen
und Pat*innenschaftsbegleiter*innen Ehrenamtliche. Die Pat*innenschaftsbegleiter*innen
besuchen neu angemeldete Familien, prüfen
die Eignung für das Projekt, wirken am Matching mit, begleiten die Pat*innenschaft und
moderieren Konflikte. Neben einer Schulung
zu Beginn gibt es kontinuierlich Fortbildungsangebote zur Konfliktberatung, Rollenklärung
sowie Supervision. Auch eine Kinderpsychologin kann konsultiert werden. Unter den 180
Pat*innenschaften gibt es zahlreiche langjährige, mithilfe derer auch Krisenphasen überwunden und Übergänge erfolgreich begleitet
werden. Jantzen stellt heraus, dass mit dieser
49 | PANEL I
Langfristigkeit und Intensität nur ehrenamtliche Pat*innenschaftsbegleiter*innen begleiten können. Die besondere Qualität des
Ehrenamts zeige sich laut Jantzen v.a. in drei
weiteren Aspekten: Die Freiwilligkeit ist ein
Geschenk für den/die Mentee, sie wird sehr
wertgeschätzt und macht das Kind stark. Der
Umstand, dass Pat*innen pädagogische Laien
und damit authentisch und lebensnah sind,
trainiert ihr*e Mentee zudem für die „reale“
Welt. Außerdem können ehrenamtliche Pat*innen im Gegensatz zu Professionellen ihre persönlichen Netzwerke einbringen und damit
Teilhabe befördern.
BIRGIT JOHANNSSEN, Landesvorsitzende von
Seniorpartner in School (SiS) in Berlin, erläutert
das Konzept des Einsatzes engagierter Senior*innen, die als ehrenamtliche Schulmediator*innen die gewaltfreie Kommunikation unter
Schüler*innen fördern. Die SiS wirken in den drei
Aufgabenfeldern Mediation, helfende Einzelgespräche und Bildungsbegleitung. Während die
Mediation situationsbedingt Hilfen zur Konfliktbewältigung gibt, zielt das Einzelgespräch auf
die Stärkung des Selbstvertrauens und Hilfe zur
Selbsthilfe ab. Die längerfristig angelegte Bildungsbegleitung fokussiert zusätzlich auf das
soziale Lernen, auf Findung und Erreichung von
Zielen und klärt ggf. den Bedarf externer Hilfen.
Wichtigster Aspekt bei Einzelgespräch und Bildungsbegleitung ist die positive Betrachtung,
um die Stärken des Kindes herauszuarbeiten.
Für ihren 18-monatigen Einsatz werden die SiS
in 88 Stunden von einer zertifizierten Trainerin
ausgebildet. Die Arbeit im Team ist dazu angelegt, Fehlverhalten oder mögliche Grenzüberschreitungen zu korrigieren. Der wöchentliche,
vierstündige Einsatz an einer Schule fördert
intensive Beziehungen zu den Kindern. Ihre Einsätze reflektieren die SiSler in mindestens zehn
Supervisionssitzungen. Fortbildungen finden
zusätzlich zu den Themen Umgang mit Kindern
bei schwierigem Verhalten, interkulturelle Kommunikation und (Cyber-)Mobbing statt.
Die anschließende Diskussion erbrachte als
wichtigste Ergebnisse: Damit Engagement
sinnvoll wirken kann, bedarf es Rahmenbedingungen, die finanziert und durch Fachpersonal
begleitet werden müssen. Die große Qualität
des Ehrenamts, Flexibilität und ganzheitliche
Wirkung, darf nicht überstrapaziert werden.
Nur wenn hinreichende Rahmenbedingungen
für die drei Personengruppen Koordination,
Pat*innen/Mentor*innen und Mentees bestehen, bleiben alle Gruppen handlungsfähig. Der
Staat als Akteur und Rahmengeber ist gefordert, Strukturen, Regelungen und Abläufe so zu
gestalten, dass die Arbeit von Ehrenamtlichen
wirksam werden kann.
50 | TEXT
PANEL II
Wann kommen wir an? – Der lange Weg in die Arbeitswelt
Impulse: HAMIDOU BOUBA, Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege,
Empowerment und Diversity, FREDERICK SIXTUS, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, CHRISTOPH ZECKRA, Generali Deutschland Holding AG
Moderation: PROF. DR. REINER LEHBERGER, ZEIT-Stiftung Ebelin
und Gerd Bucerius
Die Basis für den Austausch legte FREDERICK
SIXTUS, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, mit
einem Impuls zu den aktuellen Entwicklungen
der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.
1,2 der insgesamt knapp 1,7 Millionen Schutzsuchenden in Deutschland (Stand Ende 2018) verfügen über einen anerkannten Schutzstatus und
dürfen somit arbeiten. Knapp 350.000 davon
sind mittlerweile sozialversicherungspflichtig
beschäftigt. Diese Entwicklung ist zum einen den
Bemühungen der Zivilgesellschaft, zum anderen
den derzeit günstigen Bedingungen des Arbeitsmarktes zuzuschreiben. Von dem bestehenden
und perspektivisch zunehmenden Fachkräftemangel wird die Mehrheit der erwerbsfähigen
Geflüchteten jedoch nicht profitieren können, da
sie selten abgeschlossene Studien mitbringen
bzw. keine formalen beruflichen Qualifikationen
nachweisen können. Vielmehr kommt ein Großteil in prekären Arbeitsverhältnissen unter, ca.
30% davon in Leiharbeit. Dass sich die Beschäftigungsquote von Geflüchteten erst nach ca. 15
Jahren der Quote anderer Zuwanderer angleicht,
lässt sich durch die besonderen Hürden erklären, die sich ihnen stellen.
Zu den individuellen Hürden, die der Fluchtsituation geschuldet sind, gehören mangelnde
deutsche Sprachkenntnisse, unzureichende
Schul- und Fachkenntnisse, mangelnde Kenntnis des deutschen Arbeitsmarkts sowie eine
geringe soziale Integration, d.h. kein entsprechendes Netzwerk und „Vitamin B“. Nicht zu-
letzt erschweren psychische Probleme aufgrund traumatischer Erlebnisse, der Sorge um
die Entwicklung des Aufenthaltsstatus und
das Schicksal zurückgebliebener Angehöriger das Lernen und „Funktionieren“ im neuen
Lebensumfeld. Angebote zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Überwindung dieser
individuellen Hürden sind zahlreich und unverzichtbar. Sie bieten Orientierung durch aufsuchende Angebote wie Sprechstunden in den
Unterkünften oder Beratungen in Sprachkursen
oder Willkommensklassen, um beispielsweise
über regionale Ausbildungsinitiativen oder Ausbildungscoachings zu informieren. Initiativen
unterstützen außerdem bei der Anerkennung
von Berufsausbildungen und bieten Sprachkurse an, die das staatliche Angebot z.B. im fachsprachlichen Bereich ergänzen. Auch Vermittlungen in Praktika durch Öffnung der eigenen
Netzwerke sind von großem Wert.
Neben den individuellen bestehen institutionelle
Hürden seitens Politik und Verwaltung, die noch
stärker ins Gewicht fallen. Hohe gesetzliche
Auflagen und Anforderungen erschweren sowohl Eintritt als auch Verbleib im Arbeitsmarkt,
z.B. aufgrund der Wohnsitzauflage oder fehlender Flexibilität bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen und -qualifikationen. Eine komplexe Verteilung von Zuständigkeiten führt dazu,
dass Gesetze regional unterschiedlich ausgelegt werden und sich ein „Behördendschungel“ auftut, in dem je nach Aufenthaltsstatus
unterschiedliche Ebenen und Institutionen des
51 | PANEL II
föderalen Systems für die grundlegenden Belange zuständig sind. Hinzu kommt das komplexe deutsche Ausländerrecht, das zu einer
undurchsichtigen Rechtslage führt. Engagierte
leisten hier einen wichtigen Beitrag, beispielsweise als „Behördenlots*innen“ oder als Initiator*innen von Vermittlungsplattformen, die
Kontakte zwischen Unternehmen und Geflüchteten ermöglichen.
Der anschließende Impuls von CHRISTOPH ZECKRA, Leiter des Projekts „The Human Safety
Net“ (THSN) des Generali Zukunftsfond, gab
Einblick in einen konsequent potenzialorientierten Ansatz bei der Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Selbstständigkeit. Laut
Zeckra gibt ein Drittel der Geflüchteten an, in
ihrem Land als kleine Unternehmer*innen tätig
gewesen zu sein. Eine Befragung des BAMF ergab zudem, dass die Hälfte der Geflüchteten
Interesse an einer Selbstständigkeit und laut
Jobcenter mindestens 10-15% der Zugewanderten Potenzial für die Selbstständigkeit haben. Dies sei interessant vor dem Hintergrund,
dass in Deutschland die Zahl der Gründungen
zurückgehe. THSN will Angebot und Nachfrage
zusammenführen, indem es interessierte Geflüchtete bei der Gründung von Start-ups unterstütze. Das Projekt wird in enger Partnerschaft
mit allen Stakeholdern derzeit in elf deutschen
Städten durchgeführt, außerdem in Frankreich,
Italien und der Schweiz. Da Gründungserfolg
interkulturelle Kompetenz, Gründungsberatungserfahrung und eine lernfördernde Umgebung voraussetzt, dockt THSN immer an Social
Impact Labs an. Durch Trainings werden die
Entwicklung von Konzepten und unternehmerischer Fähigkeiten und der Aufbau von Fachwissen und Netzwerkkontakten initiiert, gefördert und begleitet. Weiterhin unterstützt das
THSN mit Räumlichkeiten, Mikrokrediten und
1:1-Coaching. Bislang wurden in 18 Monaten
60 Unternehmen mit 500 Arbeitsplätzen gegründet, angesichts des komplexen Verfahrens
in Deutschland sei das ein gutes Ergebnis.
Gewonnene Erkenntnisse sind, dass der Prozess viel länger als erwartet dauere, dass die realisierten Geschäftsideen noch weit hinter den
Potenzialen zurückblieben und zu wenig an die
bestehenden Qualifikationen anknüpften. Hinsichtlich des Spracherwerbs zeige sich, dass
fachbezogene Sprachübungen Teil des Kompetenzbedingungsnachweises werden sollten.
Außerdem bestehe ein Anpassungsbedarf in
beide Richtungen: die Teilnehmenden müssten
sich hinsichtlich Sprache, Märkte, rechtlicher
Rahmen, Mentalität und Geschäftsgepflogenheiten an das System anpassen, gleichzeitig
müsse sich das System in Bezug auf religiöse Rahmenbedingungen und Unterstützungsmöglichkeiten den Teilnehmenden annähern.
52 | PANEL II
HAMIDOU BOUBA, Geschäftsführer des Verbands für interkulturelle Wohlfahrtspflege,
Empowerment und Diversity, stellte anschließend das Projekt „Vitamin P – Chancenpatenschaften im Übergang zwischen Schule und
Beruf“ vor. Dieses wird in fünf Bundesländern
mit regionalen Partner*innen aufgebaut und
durchgeführt, für den Zeitraum 2019 bis 2021
sind 1.500 Pat*innenschaften geplant. Ziel ist
es, bildungsferne Jugendliche und junge Erwachsene mittels Pat*innenschaften zu unterstützen, ihre Chancen beim Eingang ins Ausbildungssystem und in den Arbeitsmarkt zu
verbessern.
Das Projekt ist in drei Phasen aufgebaut: Phase
A unterstützt am Übergang zwischen Grundund weiterführender Schule. Phase B setzt beim
Übergang von der weiterführenden Schule an,
gibt Orientierungshilfen zum Ausbildungssystem und der Studienlandschaft und unterstützt
beim Aufbau von Netzwerken, z.B. in der Suche
von Ausbildungsplätzen oder Praktika. Phase C
birgt die größte Herausforderung und Verantwortung, denn am Übergang zwischen Berufsschule und Arbeitsmarkt kommen die individuellen und institutionellen Hürden am stärksten
zum Tragen. An dieser Stelle können Pat*innen
gut wirken. Hauptamtliche Koordinator*innen
bereiten Pat*innen durch Qualifizierungen auf
diese Aufgabe vor. Die Begleitung unterstützt
bei der Entscheidungsfindung, der Entwicklung
von Fähigkeiten und Sprache, der Sozialisation
und beim Empowerment. Auch die Mentees erhalten Angebote wie Bewerbungstrainings und
Informationen über Ausbildungs- und Studienoptionen. Vorrangiges Ziel von Phase B und C
ist die Stärkung der Selbstständigkeit der Jugendlichen in allen relevanten Bereichen.
Wichtige Erkenntnisse nach dem Projektstart
seien, dass sowohl die Kommunikation sowohl
über die Projektträger*innen als auch über das
Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ intensiviert werden sollte. Herausforderungen bei der Umsetzung des Programms
lägen zum einen in der Diskrepanz zwischen
Berufswünschen und Arbeitsmarktbedarfen,
zum anderen in der starken Orientierung am
Arbeitsmarktbedarf. Tatsächliche Fähigkeiten
und Berufungen würden dadurch vernachlässigt, die spätere praktische Umsetzung brächte
dann Ernüchterung. Für eine erfolgreiche Projektdurchführung sei das Andocken an vorhandene Strukturen ein wichtiger Gelingensfaktor.
Beim Strukturaufbau sei es zentral, als Akteur*in im sozialen Kontext vor Ort Akzeptanz
aufzubauen und nach Möglichkeit mit den etablierten Sozialstrukturen zu kooperieren.
53 | TEXT
PANEL III
Verbunden über Generationen? – Beziehungsarbeit in
Pat*innenschafts- und Mentoringprogrammen
Impulse: PROF. DR. GISELA JAKOB, Hochschule Darmstadt,
ERIK RAHN, Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros e.V.,
VERENA THUN, ROCK YOUR LIFE! Deutschland
Moderation: CAROLA SCHAAF-DERICHS, BBE-Sprecher*innenrat,
Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V.
PROF. DR. GISELA JAKOB von der Hochschule
Darmstadt legte mit einem Bericht aus ihrem
kürzlich abgeschlossen Forschungsprojekt die
wissenschaftliche Grundlage für das Panel. In
dem untersuchten Pat*innenschaftsprojekt
wurden Schüler*innen im Übergang von der
Schule in eine Ausbildung oder in eine weiterführende Schule bei ihrer Berufsorientierung
und -findung begleitet. Ziel der Forschungsarbeit war es zu prüfen, welchen Einfluss biographische Passungsverhältnisse auf das
Zustandekommen und Gelingen von Pat*innenschaften haben. Den Forschungsergebnissen zufolge wirkten die Pat*innenschaften
trotz der konkreten Zielsetzung zusätzlich auch
als eine biographische Begleitung in der jeweiligen Lebensphase. Dies gelänge insbesondere, wenn die Pat*innen verlässliche Ansprechpartner*innen seien, authentisch handelten,
Perspektivwechsel vornehmen könnten, gemeinsam Handlungsalternativen entwickelten
und als Vorbild genommen werden konnten.
Im Wesen der Pat*innenschaft lägen zudem
Ambivalenzen, von denen Jakob drei hervorhob: Erstens könne es zwischen Pat*innen
und Jugendlichen zu einem unterschiedlich
ausgeprägten asymmetrischen bzw. hierarchischen Verhältnis kommen. Zweitens benötige
eine stabile Beziehung eine gewisse Nähe, die
jedoch einer drohenden Abhängigkeit gegenüberstehe. Drittens mache es eine gute Pat*in
aus, sich an der Lebenswelt der Jugendlichen
zu orientieren, zugleich aber eigene Werte und
Haltungen zu vermitteln. Diese zentralen Ambivalenzen ließen sich nicht auflösen, müssten
aber reflektiert und bearbeitet werden.
In dem Pat*innenschaftsmodell zwischen Jugendlichen und Erwachsenen seien die Generationenbeziehung von vornherein angelegt.
Gemäß der aktuellen Generationenforschung
werde davon ausgegangen, dass es im mittleren und höheren Alter ein Bedürfnis gibt, von der
jungen Generation gebraucht zu werden und
eigenes Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Diese Sorge und das Handeln würden als
Generativität bezeichnet. In Pat*innenschaften
seien eine Reihe von Motiven für den Einsatz
als Pat*in bedeutend: das Bedürfnis, die junge
Generation zu unterstützen und Verantwortung
zu übernehmen, Sinn zu stiften, Erfahrungen
weiterzugeben und zu sammeln, Einblicke in
andere Lebenswelten zu ermöglichen und zu
bekommen. Die Pat*innenschaft stelle also
auch für die Mentor*innen eine passende Möglichkeit zur Erfüllung dieser Bedürfnisse dar.
Auch den Jugendlichen sei die Wechselseitigkeit von Generativität durchaus bewusst. Für
sie biete die Pat*in eine verlässliche Bezugsperson einer älteren Generation, die nicht die
Eltern seien. Pat*innen ermöglichten Lern- und
Bildungsprozesse undseien Vorbilder für die
eigene Identitätsentwicklung. Zugleich begäben sie sich in der Pat*innenschaft auch in eine
Geberrolle, indem sie den Pat*innen Erfahrungen mit jungen Menschen und Einblicke in ihre
54 | PANEL III
Lebenswelt gäben, interkulturelle Beziehungen
ermöglichten und Wertschätzung vermittelten.
Positiv für die Beziehung sei, wenn es viele Passungen gäbe, z.B. eine gemeinsame Herkunft
oder Fluchterfahrung, Parallelitäten in den (ungeraden) Lebenswegen, positive Erfahrungen
biographischer Begleitung außerhalb der Familie, verbunden mit dem Wunsch nach Weitergabe an die Mentees. Diese in Pat*innenschaften entstehenden Passungsverhältnisse
seien durch professionelles Handeln nicht zu
kompensieren, da sie Kommunikationsräume
eröffneten, die weder die Familie noch das professionelle System bieten können.
Schlussfolgernd lässt sich zusammenfassen:
Die Erkenntnisse zur biographischen Passung
sollten im Prozess des Matchings Berücksichtigung finden. Der Mehrwert einer Pat*innenschaft liegt in der individuellen 1:1-Begleitung.
Pat*innen sind keine Professionellen und können das professionelle System nicht ersetzen.
Gleichwohl benötigen sie Sozialkompetenzen,
die weiter qualifiziert werden müssen, sowie
Reflexionsmöglichkeiten und Begleitung in der
Pat*innenschaft, die durch hauptberufliche
Teams sichergestellt werden müsse.
ERIKA RAHN, Leiter der „Alt & Jung Chancenpatenschaften“ bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS), gab im Anschluss
Einblicke in das Projekt, das seit 2016 an mittlerweile 20 Standorten deutschlandweit mit
ca. 1.000 Freiwilligen durchgeführt wird. Auch
nach der Zielgruppenerweiterung seien überwiegend Tandems zwischen Senior*innen und
Geflüchteten Teil des Projekts. Rahn berichtete
von den Erfahrungen der praktischen Arbeit, die
z.T. auch durch Erkenntnisse einer Studie der
INBAS Sozialforschung bestätigt worden seien.
So könnten lebensältere Menschen (mehr) Zeit
und Erfahrungen einbringen und seien zudem
länger und verbindlicher im Engagement. Oftmals hätten Ältere eine höhere Zielorientierung,
woraus der positive Effekt erwachse, dass sie
sehr interessiert daran seien, mit ihrem/ihrer
Mentee etwas zu erreichen. Dies berge zugleich
die Gefahr einer Überforderung bzw. einer Demotivation bei Misserfolgen. Des Weiteren sähen Ältere in ihrem Engagement teilweise eine
„Mission“, die nicht immer konkludent mit den
Zielen des Programms oder den Möglichkeiten
und Fähigkeiten des/der Mentee sei.
Als wichtige Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer stabilen Beziehung siehe Rahn,
dass die Möglichkeiten und Grenzen einer
Pat*innenschaft realistisch betrachtet würden.
Es bleibe ein bürgerschaftliches Engagement,
welches das professionelle System weder ersetzen kann noch solle. Nähe und Distanz in
der Pat*innenschaft müssten immer wieder
thematisiert und bearbeitet werden. Auch die
55 | PANEL III
Gegenseitigkeit im Projekt solle betont werden,
eine Pat*innenschaft ermögliche eine besondere Form der Begegnungen für beide Seiten.
Da die Arbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen zudem vielfältige und unterschiedliche
Anforderungen, Motive, Rahmenbedingungen
und rechtliche Vorgaben mit sich bringe, sei die
professionelle Begleitung der hauptberuflichen
Teams unerlässlich.
ten alle ein Zertifikat über ihre Teilnahme. Auch
wenn der Altersunterschied nicht groß sei, träfe
dennoch unterschiedliche Generationen aufeinander (Generation Y à Generation Z), die
voneinander profitierten. Stark gemacht in der
Kommunikation würde daher auch, dass trotz
gemeinsamer Interessen, Themen und Wohnorte, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten
aufeinanderträfen.
VERENA THUN, Community Managerin bei
Rock Your Life! Deutschland (RYL), stellt daran
anknüpfend das Social Franchise-Modell von
RYL! vor, das in Deutschland derzeit 38 aktive
Vereine zählt. Das Konzept sähe vor, dass freiwillig engagierte Student*innen benachteiligte
Schüler*innen in den letzten beiden Jahren vor
ihrem Abschluss begleiteten. Thun erläuterte einige Instrumente, die im Rahmen der Begleitung zum Einsatz kämen. Grundlegend für
den Beziehungsaufbau sei der gemeinsame
Auftakt beim ersten Training. Dieses diene der
Vorbereitung der Mentor*innen und solle vor
allem das Kennenlernen und den Beziehungsaufbau der Tandems unterstützen. Als Element
der Begleitung wurde kürzlich auch eine OnlineGruppensupervision getestet, die nun verstetigt
werden solle, um sich als regelmäßiges Angebot bewähren zu können. Im Rahmen des dritten Trainings wird der Übergang am Ende der
Pat*innenschaft thematisiert und gemeinsam
darüber entschieden, ob und wie der Kontakt
gehalten wird. Bei einem Abschlussfest erhiel-
In der folgenden Plenumsdiskussion wurde zusammengefasst, dass Reflexion in Form von
Supervision und kollegialer Beratung ein wichtiger Faktor sei, um die biographischen Aspekte
der Passung verstehen und nutzen zu können.
Als Grundlage einer stabilen Beziehung sollte dem Matchingprozess viel Zeit eingeräumt
werden. Im Sinne einer stabilen Beziehung sei
es wichtig, die Bedarfe und Hintergründe beider Seiten durch eine professionelle Begleitung
aufzugreifen und sichtbar zu machen. Diese
sollten das Hauptziel der Pat*innenschaft unterstützen, den/die Mentee in der jeweiligen Lebensphase zu unterstützen.
Interesse an Weiterbildung und Qualifikation
ließe sich fördern, wenn die Mentor*innen sich
bilateral oder als Gruppe, z.B. in geselliger Form
eines Stammtisches oder Pat*innencafés austauschten. Außerdem werde empfohlen, beratende Formate wie Supervisionen nicht defizitorientiert, sondern als regelmäßiges Angebot
zu etablieren.
56 | TEXT
PANEL IV
Schlüssel für Teilhabe und Integration? –
Chancen und Grenzen ehrenamtlicher Sprachförderung
Impulse: AYTEN KILIÇARSLAN, Sozialdienst muslimischer Frauen e.V.,
DR. TATIANA MATTHIESEN mit Mentorin ANNA KAMER und Mentee
WALAA ZEINELABCHI, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius,
PROF. DR. HANS-JOACHIM ROTH, Mercator-Institut für Sprachförderung
und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln
Moderation: DR. TATIANA MATTHIESEN, ZEIT-Stiftung Ebelin und
Gerd Bucerius
AYTEN KILIÇARSLAN, Geschäftsführerin des
Sozialdienstes muslimischer Frauen, erläutert
die verschiedenen Angebote zur Sprachförderung innerhalb ihres Pat*innenschaftskonzeptes: Das MuKids-Konzept für Sprachförderung
für 3 bis 6-Jährige zielt darauf ab, Kinder mit
Migrations- oder Fluchthintergrund bei ihrem
Spracherwerb und der Persönlichkeits- und
Wertebildung zu unterstützen. Durch den Einsatz von Gruppenleiter*innen mit ähnlicher kultureller Herkunft soll eventuellen Widerständen
seitens der Eltern von vornherein entgegengewirkt werden. MuKids ist für eine Wochenstunde angelegt und beinhaltet darüber hinaus
auch Erziehungsseminare für Eltern. Auf die
Dreiecks-Konstellation aus Eltern, Gruppenleiter*innen und Betreuungsinstitutionen wird
hierbei großen Wert gelegt.
Vorlesepat*innenschaften bilden den zweiten
Ansatz in der Arbeit mit Kindern. Auch hier hat
die Mehrheit der Ehrenamtlichen selbst einen
Migrationshintergrund. Die Pat*innenschaften
beschränken sich nicht nur auf das Vorlesen
von Büchern. Durch Aktivitäten und MutterKind Gruppen werden die dahingehend ausgewählten Bücher in Alltagssituationen kontextualisiert – in den Büchern benutzte Begriffe
finden so in lebensweltlichen Situationen Anund Verwendung.
Weiterhin arbeitet der Sozialdienst erfolgreich
in Erwachsenengruppen. Auch hier hat die Kontextualisierung des Spracherwerbs einen hohen Stellenwert. In Gesprächskreisen von und
für Frauen werden alltägliche Themen und Situationen besprochen, die innerhalb der Gruppe
von Bedeutung sind. Auch werden unter Einbeziehung von Referent*innen verschiedene
andere Themen und Impulse eingebracht, beispielsweise feministische Themen oder potentielle Berufsfelder besprochen. Es gilt, die Frauen untereinander zu vernetzen. So entstand
auf Grund einer Bedarfslage in Neu-Münster
eine Hausaufgabenhilfe für Erwachsene. Frauen, die einen Deutschkurs an der Volkshochschule belegten, wollten über den Kurs hinaus
Unterstützung bei den Übungen und auch beim
Sprachgebrauch erhalten. Dieses Format hat
sich mittlerweile über die Region hinaus als
Sprachförderungsprogramm in nicht-schulischer Atmosphäre etabliert.
Auch wenn diese Angebote nicht unbedingt
nach direkter Sprachförderung aussähen, so
Kiliçarslan, seien sie doch Sprachvermittlung
auf niedrigschwelliger Basis. In erster Linie
gehe es darum, den Zugang zur Sprache zu
finden – für die Vermittler*innen und Mentees
gleichermaßen. Kommunikation beinhalte
nicht allein das Beherrschen des Vokabulars
57 | PANEL IV
und der Grammatik, sondern auch das Beherrschen von Körpersprache.
gewinnbringenden Austausch auf Augenhöhe
ermöglichen.
Zu einem direkten Praxisbeispiel leitete DR. TATIANA MATTHIESEN der ZEIT-Stiftung Ebelin
über. Mentorin ANNA KAMER und Mentee WALAA ZEINELABDIN sind ein Tandem des Stiftungsprogramms WEICHENSTELLUNG. 2015
gegründet und seit 2016 im Programm von
„Menschen stärken Menschen“, ist WEICHENSTELLUNG ein Mentoringprogramm, in dem
Zuwandererkinder und –jugendliche von (Lehramts-)Studierenden begleitet und unterstützt
werden. Mit den Chancenpat*innenschaften
wurde das Programm 2019 auf junge Menschen in Ausbildung und Beruf erweitert.
PROF. DR. HANS-JOACHIM ROTH leitet das
Mercator Institut für Sprachförderung und
Deutsch als Zweitsprache an der Universität zu
Köln und arbeitet aktuell an einer ergänzenden
Ausbildung für zugewanderte Lehrer*innen.
Walaa berichtet über ihre Tandempartnerschaft
mit Anna, dass sie selbstbewusster geworden
sei und sie ihr Deutsch deutlich verbessern
konnte. Gemeinsam machen sie Deutschunterricht, der parallel zum Deutschunterricht
in Walaas Ausbildung zur Pflegerin stattfindet.
Sie sehen sich vier Stunden pro Woche, wovon
zwei Stunden für kulturelles Programm mit anderen Mentees genutzt wird.
Anna führt ihrerseits aus, dass sie viel von
ihrer Ausbildung zur Lehrerin in die Deutschstunden mit Walaa überführen kann. Didaktisch und methodisch könne sie das Gelernte
direkt in die Praxis umsetzen. Die Bildungspat*innenschaften sollen ein beidseitiges Lernen und einen für beide Seiten gleichermaßen
Eingangs machte Roth den Teilnehmenden anhand mehrerer Gesprächsbeispiele deutlich,
wie unterschiedlich Spracherwerb verlaufen
kann. Besonders hob er hervor, dass gerade
an vermeintlichen Fehlern sehr gut abgeleitet werden könne, welche Sprachkompetenzen bereits vorhanden seien und welche noch
Unterstützung benötigten. Er appellierte dafür,
weniger defizitorientiert auf den Spracherwerb
zu schauen: Hinter jedem Fehler stecke auch
eine Kompetenz – z.B. speisen sich grammatikalische oder phonetische Fehler im Deutschen aus der Kompetenz der Muttersprache.
Gleiches gilt seiner Auffassung nach für die ehrenamtlichen Sprachhelfer*innen – welche Erfahrungen und Fähigkeiten bringen sie für den
Spracherwerb mit und wie können sie dafür eingesetzt werden?
Er verwies außerdem auf eine wichtige wissenschaftliche Erkenntnis: Ein Zweitspracherwerb nach der Adoleszenz erreicht fast nie
das Niveau der Muttersprache. Dafür erläutert
Roth eine einfache Begründung: Das Erlernen
einer Sprache sei ökonomisch - behalten wird
58 | PANEL IV
nur das, was im Alltag benötigt wird. Vor diesem Hintergrund sollte die Nicht-Kompetenz
der deutschen Sprache auch nicht grundsätzlich verurteilt werden. Roth erläuterte weitere
Grundannahmen aus der Forschung, die er für
die Didaktik für bedeutsam hält: So seien die
Lernenden häufig resistent gegenüber starren
Grammatikregeln. Besonders Kinder verlassen
sich mehr auf das Gehörte als auf korrigierende
Erklärungen. Es sei besonders wichtig, sich zu
verdeutlichen, welche Lernziele der/die Lernende und der/die Lehrende gemeinsam verfolgen.
Für die ehrenamtliche Förderung des Spracherwerbs sei es generell wichtig, dass sie parallel
zum institutionellen Lernen in Kita, Schule oder
Sprachkurs erfolge. Es ist außerdem erforderlich, dass die Engagierten über Grundwissen
beim Spracherwerb, zur Sprachverarbeitung
und zu Methoden der Differenzierung und Individualisierung sprachlicher Bildung verfügen.
Gleichwohl stehe gerade bei den freiwillig Engagierten im Vordergrund, dass sie ihre eigenen
Kompetenzen mit einbringen. Weiterhin empfahl Roth, von kleinteiligen, grammatischen
Übungen ohne Kontextbezug abzusehen. Besser eigne sich ein Unterricht, der Kommunikation und Sprechen über alltagsrelevante Themen
mit methodischer Abwechslung ermögliche.
Eine Offenheit für Mehrsprachigkeit und kreative Lösungen, eine hohe Fehlertoleranz und
eine Reflexion des eigenen Sprechens solle
die Haltung der Lehrenden prägen. Ehrenamt-
liche Spracharbeit sollte die Kompetenzen und
Stärken zum Vorteil aller Beteiligten nutzen
und auf Augenhöhe geschehen. Es gilt einen
kreativen, abwechslungsreichen Ort für den
Spracherwerb zu schaffen, der den Austausch
über lebensnahe Themen ermöglicht. Auch das
Smartphone als Hilfsmittel einzubeziehen und
andere Lernorte zu nutzen macht die Sprachförderung alltagsrelevant. Um darüber hinaus
auf den Erfolg im Bildungssystem hinzuwirken
ist es auch hier hilfreich, wenn berufliche Perspektiven thematisiert werden und Ehrenamtliche als Gatekeeper*innen fungieren.
Abschließend führt Dr. Tatiana Matthiesen die
wesentlichen Punkte der Chancen und Grenzen ehrenamtlicher Sprachförderung nochmals zusammen: Mentor*in und Mentee lernen
gleichermaßen voneinander. Es handelt sich
nicht um eine einseitige Beziehung, in der Lehrende*r auf Lernende*n trifft. Vielmehr ist eine
Begegnung auf Augenhöhe grundlegend. Langfristigkeit muss gegeben sein, um Beziehungen
und Vertrauen aufbauen zu können. Weiterhin
muss ehrenamtliche Sprachförderung bei den
Lebenswelten und alltäglichen Situationen ansetzen, um Teilhabe und Selbstverwirklichung
zu fördern. Auf niedrigschwelliger Basis soll
Kommunikation ermöglicht werden, die nicht
fehlerfokussiert, sondern Kompetenzen orientiert und methodisch abwechslungsreich Brücken baut und dadurch perspektivisch Türen
öffnet.
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
60 | HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
•
Netzwerke zwischen Bildungseinrichtungen und Zivilgesellschaft aufbauen:
Im Rahmen von Chancenpat*innenschaften rücken vermehrt institutionalisierte Bildungseinrichtungen in den Fokus. Diese bieten indes noch nicht ausreichend Anknüpfungspunkte für
Pat*innen im Speziellen und Engagement im Allgemeinen. Ein erster Schritt hierfür sollte es
sein, die Vernetzung von institutionalisierten Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen
Organisationen zu forcieren. Hierdurch können auch die Transparenz und Offenheit zwischen
zivilgesellschaftlichen Organisationen und institutionalisierten Bildungseinrichtungen gesteigert werden.
•
Bildungseinrichtung für Pat*innenschaften öffnen: Um das volle Potenzial von
Mentoring und Pat*innenschaften in Wert zu setzen, müssen sie zu einem Bestandteil der
Kultur-, Bildungs- und Sportarbeit mit Kindern und Jugendlichen werden. Dazu gehört nicht
nur die finanzielle Absicherung, sondern die Verankerung von Mentoring in pädagogischen
und schulischen Rahmen. Nur hierdurch können Chancenpat*innenschaften eine gesamtgesellschaftliche Wirkung erzielen. Hierfür ist zugleich die Integration von Engagement in die
Currical der institutionalisierten Bildungseinrichtung als auch der Ausbildung der Lehrkräfte
notwendig. Gleichwohl gilt es zu beachten, dass eine Chancenpat*innenschaft eine professionelle Betreuung nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen kann.
•
Wirkung von und Erwartung an Erweiterung des Programms anpassen: Das
Programm „Menschen stärken Menschen“ war mit Blick auf die Unterstützung und Integration von Geflüchteten ein Erfolg. Mit der Erweiterung des Programms auf andere Bevölkerungsgruppen sollen diese Erfolge auch diesen zugutekommen. Hier gilt es indes zu beachten:
Chancenpat*innenschaften sind äußerst komplex, weil sie beispielsweise im Kontext institutionalisierter Bildungseinrichtungen und Erziehungsberechtigter verortet sind. Daher müssen
für Chancenpat*innenschaften andere Erfolgskriterien herangezogen werden und zugleich
die Erwartungen an die Wirkung des Programms angepasst werden.
•
Fortbildungen für Pat*innen anbieten: Bedarfe von Mentees im Rahmen von Chancenpat*innenschaften sind hochgradig divers. Sie umfassen beispielsweise Unterstützungsbedarfe im elterlichen, schulischen, pädagogischen, fachlichen oder gar psychosozialen
Bereich. Das Tandem bedarf daher der regelmäßigen Reflexion über Ziele, Haltungen und
Vorgehen im Zuge der Pat*innenschaft . Aus diesen lassen sich in einem zweiten Schritt Fortbildungsbedarfe auf Seiten der Pat*innen identifizieren. Grundsätzlich gewinnen Fortbildungen für Pat*innen im Zuge von Chancenpat*innenschaften auf Grund der vielfältigen Bedarfe enorm an Bedeutung. Die erworbenen Fähigkeiten verbessern nicht nur die Qualität der
Pat*innenschaft, sondern stellen ebenso eine Form der Anerkennung für die Pat*innen dar.
•
Digitale Tools anders denken, Digitalisierung als Organisationsentwicklung
sehen: Oftmals wird ernüchternd festgestellt, dass die Verwendung digitaler Tools nicht zu
einem besseren Informationsfluss zwischen Bundes- und lokaler Ebene bei den Trägern führt.
Um einen besseren Informationsfluss zu ermöglichen, gilt es jedoch umzudenken: Koordinator*innen sollten mit digitalen Tools Resonanzräume für die Tandems schaffen, um inhaltlich,
aber auch politisch-strategisch wichtige Aspekte aus der alltäglichen Arbeit der Tandems einem
größeren Kreis interessierter Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Um die Sichtbarkeit zu gewährleisten sollten nicht neue Kanäle implementiert, sondern auf bestehende und bereits genutzte
zurückgegriffen werden, wie beispielsweise ein bestehender Social-Media-Account oder der
Firmenblog. Hierdurch wird der Austausch zwischen der Bundes- und lokalen Ebene gleichsam
gestärkt. Es ist folglich erfolgsversprechender mit digitalen Tools Räume für die Gegenseite zu
schaffen, als mit ihnen das primäre Ziel zu verfolgen, an Informationen zu gelangen.
61 | HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
•
Chancenpat*innenschaften mehrjährig fördern: In Tandems mit Kindern und Ju-
gendlichen nehmen Pat*innen oftmals die Rolle einer Identifikationsfigur oder Bezugsperson
ein. Chancenpat*innenschaften müssen daher längerfristig gedacht werden. Eine projektbasierte Finanzierung kann hiernach gar negative Folgen haben, wenn das Projekt und damit die
Pat*innenschaften nicht mehr weiterverfolgt werden kann. Insbesondere Projekte zu Chancenpat*innenschaften sollten daher mehrjährig gefördert werden, ebenso wie die Strukturen
zur Umsetzung und Begleitung dieser Pat*innenschaften.
•
Öffentliche Kommunikation des Programms forcieren: Die Öffnung des Pro-
gramms für eine größere Zielgruppe erhöht den Bedarf an Engagierten. Um diesem nachzukommen sollten sowohl die Projektträger als auch der Förderer verstärkt auf eine öffentliche
Kommunikation über das Programm abzielen.
•
Hauptamt und Strukturen fördern: Pat*innenschaften, die insbesondere auf eine Ver-
besserung der Chancen in institutionalisierten Bildungseinrichtungen hinwirken sollen, sind
anspruchsvoll. Es stellen sich beispielsweise pädagogische ebenso wie bürokratische Fragestellungen im Rahmen des Bildungssystems. Um diese vergrößerte Palette an Anforderungen
zu bewältigen, bedürfen Chancenpat*innenschaften vermehrt und verstärkt Rückhalt durch
ein hauptamtliches Freiwilligenmanagement. Dieser Bedarf hat sich zudem vor dem Hintergrund der Öffnung des Programms Richtung Chancenpat*innenschaften noch verstärkt, da
sowohl die Zielgruppe gewachsen ist, als auch die inhaltliche Breite der Pat*innenschaften
zugenommen hat. Eine gut ausgebildete und hauptamtliche Koordination, ebenso wie strukturgeförderte Programmträger und Infrastruktur vor Ort sind daher für den Erfolg des Programms mit erweiterter Perspektive von großer Bedeutung.
LESUNG
63 | LESUNG
LESUNG
Astrid Ruppert
Autorin von TEE MIT AYMAN: IM DIALOG MIT GEFLÜCHTETEN, tredition, Hamburg, 2017
Vor gut vier Jahren habe ich angefangen als ehrenamtliche Flüchtlingsbegleiterin im Vogelsberg
tätig zu werden. Weil mich das alles so sehr beschäftigt und bewegt hat, und ich als Schriftstellerin vieles schreibend verarbeite, habe ich schon bald begonnen, meine Erfahrungen festzuhalten.
Diese wurden dann ein Jahr lang wöchentlich in einer Kolumne in der Alsfelder Zeitung veröffentlicht und ich bilde mir ein, damals in der Region etwas bewirkt zu haben. Inzwischen habe ich oft
mit dem Gedanken gespielt, nochmal aufzuzeichnen, wie es eigentlich heute aussieht, wie es
denen geht, die hierhergekommen sind, wie es den ehrenamtlichen Helfer*innen geht und was
inzwischen alles passiert ist. Ich komme nur irgendwie nicht so recht dazu…. Den Kongress habe
ich allerdings zum Anlass genommen, einen kurzen Text über das Heute zu verfassen. Hier ist er:
Und wie sieht das alles heute aus? Wie geht es uns hier im Vogelsberg, in unserem Homberg Ohm
2019, vier Jahre nachdem die ersten Geflüchteten zu uns gekommen sind? Wie geht es mir mit
dem Ehrenamt, wie geht es Ayman heute?
Als erstes: ich finde noch immer, die Entscheidung, 2015 die Grenzen zu öffnen, war richtig. Ich bin
noch immer froh, dass so vielen Menschen geholfen werden kann, und dass wir ein Grundgesetz
haben, das das Recht auf Asyl gewährt.
Aber! Es gibt inzwischen einige Abers: Aber ich fühle mich alleine gelassen. Das „Wir schaffen
das!“, für das ich Frau Merkel vor vier Jahren wirklich bewundert habe, belastet mich. Denn wer
es schaffen muss, das sind wir, die ehrenamtlichen Begleiter. Wir bekommen zwar warme Worte,
aber wir bekommen hier nicht die Unterstützung, die wir bräuchten, um gut helfen zu können. Und
wir rackern am Limit, das muss man ehrlicherweise so sagen, um das „Wir schaffen das“ nicht der
höhnischen Schadenfreude der AfD zu überlassen, die diese vielleicht naive, aber menschlich und
moralisch integre Phrase gerne in den Dreck zieht. Ich will, dass wir es schaffen. Gerade deshalb
will ich unbedingt, dass wir es schaffen. Aber mir sinkt oft der Mut.
Lassen Sie mich erzählen, warum: Fast zwei Drittel der Geflüchteten, die hier bei uns angekommen
sind, sind hiergeblieben und empfinden das kleine Homberg als ihre neue Heimat. Sie haben Anschluss gefunden, spielen Fußball im Sportverein, gehören mit zur Feuerwehr, machen Praktika,
Ausbildungen, haben Stellen gefunden, oder versuchen es noch immer, Stellen zu finden, sie haben
ihre Familien nachgeholt und haben Kinder bekommen. Manche haben den Führerschein gemacht,
und stolz eine erste Klapperkiste gekauft, und wir hoffen heimlich und inständig, dass sie damit
immer heile ans Ziel kommen. Inshallah. (In Syrien fährt man halt doch anders Auto…). Der Bäcker,
der seit Jahren niemanden gefunden hat, der morgens um vier in seiner Backstube arbeiten will,
hat drei Afghanen angestellt. Die Grundschule hat zum ersten Mal eine Vorklasse vollbekommen,
wovon ja auch die deutschen Kinder profitiert haben, die sonst gleich ins erste Schuljahr hätten
gehen müssen, oder eben noch ein Jahr im Kindergarten herumgehangen hätten.
Hier auf dem Land tut es gut, wenn Menschen dazukommen, um der Landflucht etwas entgegenzusetzen. Hier funktioniert es. Es funktioniert aber nur, weil alle ihre ehrenamtlichen Helfer*innen
haben, die diese seltsame fremde Welt erklären und sich damit abmühen, diese seltsamen fremden Menschen zu verstehen und Brücken zu bauen. Integration funktioniert nur über Brücken,
über gegenseitiges Verständnis, über Respekt und über Betreuung. Wer hier nicht betreut wird, ist
64 | LESUNG
der/die ehrenamtliche Helfer*in selbst. 30 oder 50 km entfernt gäbe es Angebote für Fortbildungen und Beratungen. Aber weil man sowieso schon mehr herumfährt als einem lieb ist, weil Geflüchtete oft Begleitung brauchen zu den 30 oder 50 km entfernten Ämtern, den 90 km entfernten
Anwälten für Asylrecht etc… hat eigentlich niemand mehr die Nerven oder die Zeit, noch einen
freien Samstag oder noch einen freien Abend zu investieren. Die runden Tische, die Supervisionen,
die Fortbildungen, die es irgendwo gäbe, kann man sich zeitlich einfach nicht mehr leisten, weil
selbst die Betreuung eines einzigen Mentees teilweise so zeitintensiv ist, dass man oft genug
auch sagen muss: Ich kann nicht mehr!
Ich bin der Überzeugung, dass man Integration neu denken muss, und dass ländliche Regionen
dabei eine Rolle spielen müssen. Sobald das Fremde nicht mehr fremd ist, kann man gewinnen.
Hier gibt es Leerstände, hier gibt es Platz, hier gibt es Stellen. Und die 20 Fremden, die gekommen
sind, sind hier nicht mehr fremd. Aus den Städten höre ich immer mehr Skepsis, Stimmen, die inzwischen der Meinung sind, dass das alles keine gute Idee war. In den Städten ist jeder Geflüchtete selbständiger, aber die Ghettoisierung dafür viel stärker. Da bleiben die Fremden Fremde, bilden
Inseln, machen Angst, und es ist wichtig, dagegen zu arbeiten. Man muss grundlegend darüber
nachdenken, wohin man streut, wen man stützt. Was wo nötig ist.
Da kommt gleich das nächste ABER: Es wird Geld ausgegeben, aber wird es an den richtigen Stellen ausgegeben? Schauen wir wieder zu Ayman. Der Elektro-Ingenieur hat trotz gutem Deutsch
und trotz proklamierten Fachkräftemangel keine Stelle gefunden. Aber in Maßnahmen wurde er
geschickt! Er hat zusammen mit anderen Langzeitarbeitslosen zehn Wochen lang gelernt, wie
man Computer an- und ausschaltet und sich ein E-Mail-Konto einrichtet. Dafür ist er 30 Kilometer
weit gefahren, war täglich drei Stunden unterwegs, die Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel
von circa 800 Euro wurden ihm erstattet. Gelernt hat er nicht viel. Er hat sich aber gedemütigt gefühlt, mit seinem Einser-Uni Abschluss, und nur weil wir ihm mit Engelszungen zugeredet haben,
das bitte, bitte durchzuhalten, danach würde alles besser werden… hat er das durchgezogen.
Es wurde aber nicht besser. Das berufsspezifische Bewerbungstraining und die Weiterbildung für
Ingenieure, über die wir irgendwann auf anderem Weg erfahren haben, wurde ihm dann verweigert, er hat ja schon eine Maßnahme bezahlt bekommen. Als er dann eine erste Stelle hatte, raten
65 | LESUNG
Sie mal, wer ihm die vermittelt hat, war diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln überhaupt nicht zu
erreichen. Also: Führerschein und Auto waren die einzige Lösung. Und raten Sie auch mal, wer mit
ihm Verkehrsregeln gelernt hat, wer mit ihm auf den Übungsplatz gefahren ist, damit er die Kosten
für die Fahrstunden reduzieren kann, und wer ihm das überhaupt alles finanziert hat? (Er hat alles
zurückgezahlt, übrigens, aber er hatte einfach Glück, dass ich gerade ein Drehbuch gut verkauft
hatte und unsere Kinder inzwischen finanziell unabhängig waren, so dass ich ihm 3000 Euro leihen konnte, ohne die er die Stelle nicht hätte annehmen können.) Es hat sich gelohnt: inzwischen
finanziert er sich komplett selbst, ist gestärkt, ist nicht mehr abhängig, hat das Gefühl, vielleicht
doch ein Leben haben zu können.
Ein anderer Fall: Mohammad und seine Frau, die mit einem Kind herkamen, haben inzwischen drei
Kinder, weil sie gemerkt haben, dass sie dadurch genug Geld haben, um hier ganz okay in einer
gar nicht so kleinen Wohnung zu leben. Sie können sogar noch etwas nach Hause schicken zu
ihren Eltern. Warum Deutsch lernen, warum arbeiten, hier bekommt man doch alles geschenkt?
Mohammad und Ayman waren mal Freunde. Jetzt reden sie nicht mehr miteinander, weil Ayman
sich total darüber aufregt, dass seine Steuern, die er bezahlen muss, dieses Verhalten finanzieren.
Was ich mir gewünscht hätte im Rahmen meiner Ausbildung zum Flüchtlingsbegleiter, die sowieso jeder hätte bekommen sollen, der in diesem Bereich initiativ ist: ein interkulturelles Coaching.
Verstehen, woher der Mensch kommt, dem ich begegne. Und genauso bräuchte jeder Fremde, der
hier ankommt, ein kulturelles und gesellschaftliches Coaching. Gleich zu Beginn. In seiner Landessprache. Nicht erst beim Integrationskurs nach fast zwei Jahren, in dem man dann lernt, dass die
Deutschen Ostereier bemalen, und ihre Frauen nicht schlagen dürfen, und wer die Nationalhymne
verfasst hat. Das ist zu spät! Und nicht jeder Helfer fühlt sich in der Lage, das zu vermitteln.
Ich glaube, dass man ganz stark überdenken sollte, welche Programme sinnvoll sind, und welche
nicht, wieviel Bürokratie überhaupt nötig ist, oder ob dieser Moloch Verwaltung nicht viel zu viel
kostet? Dass man vielmehr auf die Menschen hören sollte, die im direkten Kontakt sind mit den
Geflüchteten, und anderen Randgruppen und die nicht selten verzweifeln, weil das Helfen oft so
schwergemacht wird. ABER ich wünsche mir Unterstützung. Für alle ehrenamtlichen Helfer*innen
da draußen, für alle Pat*innen, für alle Mentor*innen, die daran arbeiten, dass das „Wir schaffen
das!“ geschafft wird.
Die Gesellschaft klafft immer weiter auseinander. Die Risse werden zu Spalten werden zu Gräben.
Ich hatte vor Jahren eine Friseurin, die hat mir als sie auf Jobsuche war, erzählt, dass es bald nur
noch die Billigfriseure geben wird, oder die total teuren Edelläden. Und alle Läden dazwischen,
stellen sie nicht ein, weil sie zu viel Angst haben, dass sie nicht überleben. Meine Friseurin war
ein Gesellschaftsorakel. Tiefe Gräben und dazwischen die Angst. Und gerade an den Stellen, an
denen der Kitt angerührt wird, der die Gesellschaft zusammenhalten könnte, die Stellen an denen
Empathie und Menschlichkeit an der Tagesordnung sind, wo Bürger sich füreinander engagieren,
da werden Gelder abgezogen? Im Ernst? Der Etat von einem Programm wie „Menschen stärken
Menschen“ wird halbiert? Er gehört verdammt nochmal multipliziert!
Menschen, die am Rand stehen, müssen in die Mitte geholt werden. Egal woher sie kommen, und
egal, warum sie am Rand stehen. Sonst werden auch die Wahlergebnisse immer randlastiger.
Wenn man der AfD den roten Teppich ausrollen will, dann streicht man genau dort. Wenn man
Zusammenhalt den roten Teppich ausrollen will, dann streicht man genau dort nicht. Dann legt
man noch eine Schippe drauf!
Unveröffentlichter, urhebergeschützter Text, geplant als Fortsetzung der
Kolumnensammlung von Astrid Ruppert
MITWIRKENDE
67 | MITWIRKENDE
MITWIRKENDE
GRUSSWORTE
SABINE SÜß, Netzwerk Stiftungen und Bildung
JULIANE SEIFERT, Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie Senioren, Frauen
und Jugend
WIEBKE WOLTERS, Landeskoordinierungsstelle Netzwerk Gesunde Kinder
DR. THOMAS RÖBKE, Vorsitzender des BBESprecher*innenrats, Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V.
FISHBOWL DISCUSSION: Welche
Rahmenbedingungen brauchen Pat*innenschafts- und Mentoringprogramme
mit Kindern und Jugendlichen?
KEYNOTE
Impulse:
PROF. DR. H.C. KLAUS HURRELMANN,
Hertie School of Governance
MARIANNE BALLÉ MOUDOUMBOU, Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für
Bildung & Teilhabe
PODIEN
STEFANIE COROGIL, Stiftung Unionshilfswerk
Berlin
MICHAEL BERGMANN, BBE-Sprecher*innenrat, Deutscher Caritasverband e.V.
DR. KARAMBA DIABY, MdB SPD-Fraktion
SUSANNE HUTH, INBAS Sozialforschung
GmbH
OLAF EBERT, Stiftung Bürger für Bürger
FRANZISKA NAGY, Stiftung Lernen durch
Engagement
ELISABETH KANEZA, Kaneza Foundation for
Dialogue & Empowerment e.V.
LISA PAETZ, Stiftung Bildung
MARTIN PATZELT, MdB CDU-Fraktion
CAROLA SCHAAF-DERICHS, BBE-Sprecher*innenrat, Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V.
DR. CHRISTOPH STEEGMANS, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend
MICHAEL TETZLAFF, Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
FACHAUSTAUSCH
WORLD-CAFÉ: Kommunikation und
Vernetzung – Wie erreicht man seine
Zielgruppen?
Impulse:
AXEL HALLING, Bundesverband Deutscher
Stiftungen e.V.
PETER KUSTERER, BBE-Themenpate Kommunikation, IBM Deutschland GmbH
DR. LILIAN SCHWALB, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
MEET THE EXPERT: Welche Chancen
und Herausforderungen birgt die Digitalisierung im Kontext von Pat*innenschaften?
Impulse:
JAKOB FILZEN, Start with a Friend e.V.
HANNES JÄHNERT, DRK Generalsekretariat e.V.
KATARINA PERANIC, Stiftung Bürgermut
DR. KARIN REICHEL, FrauenComputerZentrumBerlin e.V.
WORKSHOP: Welches Potenzial
haben Sozialräume für Pat*innenschaften und Mentoring?
Impulse:
CHRISTIANE GRABE, Diakonisches Werk
Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.
JOHANNES GRÜNECKER, AWO Bundesverband e.V.
68 | MITWIRKENDE
WISSENSCHAFT TRIFFT PRAXIS
PANEL I: Helfen in allen Lebenslagen? – Pat*innen und Mentor*innen
als pädagogische Laien
Moderation:
RAINER HUB, Diakonie Deutschland
Impuls:
ANNIKA JÄHNKE, BürgerStiftung Hamburg
BETTINA JANTZEN, Ehlerding Stiftung
BIRGIT JOHANNSSEN, Seniorpartner in
School e.V.
JUN.-PROF. DR. MARIAN KRATZ, Universität
Koblenz-Landau
PANEL II: Wann kommen wir an? –
Der lange Weg in die Arbeitswelt
Moderation:
PROF. DR. REINER LEHBERGER, ZEIT-Stiftung
Ebelin und Gerd Bucerius
PANEL IV: Schlüssel für Teilhabe und
Integration? – Chancen und Grenzen
ehrenamtlicher Sprachförderung
Moderation:
DR. TATIANA MATTHIESEN, ZEIT-Stiftung
Ebelin und Gerd Bucerius
Impulse:
AYTEN KILIÇARSLAN, Sozialdienst muslimischer Frauen e.V.
DR. TATIANA MATTHIESEN mit Mentorin anna
kamer und Mentee walaa Zeinelabdbi, ZEITStiftung Ebelin und Gerd Bucerius
PROF. DR. HANS-JOACHIM ROTH, MercatorInstitut für Sprachförderung und Deutsch als
Zweitsprache der Universität zu Köln
LESUNG
Tee mit Ayman: Im Dialog mit
Geflüchteten,
von ASTRID RUPPERT
TRAUDI SCHLITT für Astrid Rupert (erkrankt)
Impulse:
HAMIDOU BOUBA, Verband für interkulturelle
Wohlfahrtspflege, Empowerment und Diversity
FREDERICK SIXTUS, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Kongressleitung
DR. LILIAN SCHWALB, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
CHRISTOPH ZECKRA, Generali Deutschland
Holding AG
Kongressmoderation
HARALD KÜHL, die regionauten
PANEL III: Verbunden über
Generationen? – Beziehungsarbeit
in Pat*innenschafts- und Mentoringprogrammen
Kongresskonzeption und -management
Moderation:
CAROLA SCHAAF-DERICHS, BBE-Sprecher*innenrat, Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V.
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement:
DR. LILIAN SCHWALB
WIEBKE KUNSTREICH
MADLEEN BERNHARDT
Impulse:
PROF. DR. GISELA JAKOB, Hochschule
Darmstadt
ERIK RAHN, Bundesarbeitsgemeinschaft
Seniorenbüros e.V.
VERENA THUN, Rock Your Life! gGmbh
Tagungsort
Kalkscheune Berlin-Mitte
69 | MITWIRKENDE
PROGRAMMTRÄGER „MENSCHEN STÄRKEN MENSCHEN“
IM FÖRDERZEITRAUM 2019
Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V.
www.awo.de
Balu und Du e.V.
www.balu-und-du.de
Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freiwilligenagenturen e.V.
www.bagfa.de
Bundesarbeitsgemeinschaft
Seniorenbüros e.V.
www.seniorenbueros.org
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement
www.b-b-e.de
Bundesverband Deutscher Stiftungen
www.stiftungen.org
Bundesvereinigung Kultureller Kinderund Jugendbildung e.V.
www.bkj.de
Bürger-helfen-Bürgern e.V. Hamburg
www.buerger-helfen-buergern.com
BürgerStiftung Hamburg
www.buergerstiftung-hamburg.de
Der Paritätische Gesamtverband
www.der-paritaetische.de
Deutsche Jugend in Europa
www.djo.de
Deutscher Caritasverband e.V.
www.caritas.de
Deutsches Rotes Kreuz e.V.
www.drk.de
Diakonie Deutschland
www.diakonie.de
RYL! - Rock your Life gGmbH
www.rockyourlife.de
Seniorpartner in School –
Bundesverband e.V.
www.seniorpartnerinschool.de
Sozialdienst muslimischer Frauen e.V.
www.smf-verband.de
Start with a Friend e.V.
www.start-with-a-friend.de
Stiftung Bildung
www.stiftungbildung.com
Stiftung Bürgermut
www.opentransfer.de
Stiftung Lernen durch Engagement Service-Learning in Deutschland SLIDE
gGmbH
www.lernen-durch-engagement.de
Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.
www.tgd.de
Verband für Interkulturelle Wohlfahrtspflege,
Empowerment und Diversity e.V.
www.viw-bund.de
Verband kinderreicher Familien
Deutschland e.V.
www.kinderreichefamilien.de
Wohlfahrtsstelle Malikitische Gemeinde
Deutschland e.V.
www.wohlfahrt-mg.de
ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius
www.zeit-stiftung.de
Zentralrat der Muslime in Deutschland
www.wirsindpaten.de
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in
Deutschland e.V.
www.zwst.org
ZUM WEITERLESEN
71 | ZUM WEITERLESEN
ZUM WEITERLESEN
Dokumentation des 3. BBE-Fachkongresses am 15. und 16. November 2018 in Berlin
»Pat*innen, Mentor*innen, Lots*innen: Engagement fördern, gesellschaftliche Integration
unterstützen«
Dokumentation des 2. BBE-Fachkongresses am 9. und 10. November 2017 in Berlin
»PatInnen, MentorInnen und LotsInnen in der Unterstützung und Integration von geflüchteten
Menschen: Wissenstransfer, fachlicher Austausch und Vernetzung«
Dokumentation des 1. Fachkongresses am 29. und 30. September 2016 in Berlin
»PatInnen, LotsInnen und MentorInnen in der Unterstützung und Integration von geflüchteten
Menschen: Verbreitung, Unterstützungsbedarf, Perspektiven«
Bericht der Prognos AG im Auftrag des BMFSFJ (2017) über die Wirkungsanalyse des Patenschaftsprogramms im Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“
Weiterführende Literatur:
https://www.b-b-e.de/publikationen/