Klimaneutrales Deutschland
In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein
Zwischenziel von -65 % im Jahr 2030 als Teil des EU-Green-Deals
STUDIE
IMPRESSUM
STUDIE
Klimaneutrales Deutschland: In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein Zwischenziel von -65 % im Jahr
2030 als Teil des EU-Green-Deals.
IM AUFTRAG VON
Agora Energiewende
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Agora Verkehrswende
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T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129
Stiftung Klimaneutralität
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Friedrichstr. 140 | 10117 Berlin | T +49 (0)30 62939 4639
ERSTELLT DURCH
Prognos AG
Goethestr. 85 | 10623 Berlin
Hans Dambeck, Florian Ess, Hanno Falkenberg,
Dr. Andreas Kemmler, Dr. Almut Kirchner, Sven
Kreidelmeyer, Sebastian Lübbers, Dr. Alexander Piégsa,
Sina Scheffer, Dr. Thorsten Spillmann, Nils Thamling,
Aurel Wünsch, Marco Wünsch, Inka Ziegenhagen
Öko-Institut e. V.
Borkumstraße 2 | 13189 Berlin
Dr. Wiebke Zimmer, Ruth Blanck, Dr. Hannes Böttcher,
Wolf K ristian Görz, Dr. Klaus Hennenberg, Dr. Felix Chr.
Matthes, M
argarethe Scheffler, Kirsten Wiegmann
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Döppersberg 19 | 42103 Wuppertal
Clemens Schneider, Dr. Georg Holtz, Mathieu Saurat,
Annika Tönjes, Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer
Prognos war in dieser Studie federführend für die übergreifende Ausgestaltung der Szenarien und die inhaltliche Gesamtprojektleitung. Darüber hinaus verantwortete Prognos
die Sektoren Gebäude und Energiewirtschaft.
Das Öko-Institut war zuständig für Verkehr, Landwirtschaft, Abfall und LULUCF und die Herleitung der Emissionsminderungsziele. Das Wuppertal Institut bearbeitete den Sektor Industrie.
Satz: Urs Karcher / UKEX, Melanie Wiener / GRAFIKBUERO,
Juliane Franz, Marica Gehlfuss / Agora Verkehrswende
Satzkoordination: Ada Rühring / Agora Energiewende
Titelbild: PPAMPicture/iStock
195/03-S-2020/DE | 48-2020-DE
Version 1.1, November 2020
PROJEKTLEITUNG
Alexandra Langenheld
alexandra.langenheld@agora-energiewende.de
Dr. Matthias Deutsch
matthias.deutsch@agora-energiewende.de
Marco Wünsch | marco.wuensch@prognos.com
Inka Ziegenhagen | inka.ziegenhagen@prognos.com
TECHNISCHER STEUERUNGSKREIS
Agora Energiewende
Dr. Patrick Graichen, Dr. Matthias Deutsch,
Alexandra Langenheld, Frank Peter, Philipp D. Hauser,
Fabian Hein, Mara Marthe Kleiner, T
horsten Lenck,
Christoph Podewils, Georg Thomaßen, Wido K. Witecka
Agora Verkehrswende
Dr. Carl-Friedrich Elmer, Christian Hochfeld,
Dr. Günter Hörmandinger, Dr. Urs Maier
Stiftung Klimaneutralität
Rainer Baake, Dr. Julia Metz, Martin Weiß
DANKSAGUNG
Erst das Engagement vieler weiterer Kolleginnen und
Kollegen hat diese Studie möglich gemacht. Für die tatkräftige Unterstützung bedanken möchten wir uns daher
bei Claudia Beckmeyer, Nikola Bock, Matthias Buck, Juliane
Franz, Marica Gehlfuss, Janne Görlach, Andreas Graf, Manuela
Henderkes, Shirin Langer, Steffi Niemzok, Dr. Philipp Prein,
Ada Rühring, Fritz Vorholz.
Die Verantwortung für die Ergebnisse in den Kapiteln
1 bis 5 liegt ausschließlich bei Prognos, Öko-Institut und
Wuppertal Institut und für Vorwort und Einleitung bei
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und
Stiftung Klimaneutralität.
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Publikation als PDF zum Download
zur Verfügung.
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englische Zusammenfassung als
PDF zum Download zur Verfügung.
Bitte zitieren als:
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2020): Klimaneutrales
Deutschland. Studie im Auftrag von Agora Energiewende, Agora
Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität
www.agora-energiewende.de
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
das dritte Dürrejahr in Folge in Deutschland, ver
heerende Waldbrände in Australien und Kalifornien,
Rekordtemperaturen am Nord- und Südpol – die
Warnungen der Wissenschaft werden Realität. Es ist
daher gut, dass sich trotz COVID-19-Pandemie beim
Klimaschutz zuletzt viel getan hat: Nicht nur die
Europäische Union, Großbritannien, Japan, Südkorea
und viele US-Bundestaaten haben Klimaneutralität
bis 2050 als Ziel formuliert, auch China bekennt sich
zur Klimaneutralität vor 2060.
Das Paradigma der Klimaneutralität erfordert neue
Zwischenziele für 2030, sowohl in Deutschland als
auch in Europa. Die EU-Kommission hat vorgeschla
gen, dass Europa sein 2030-Klimaschutzziel von 40
Prozent auf mindestens 55 Prozent weniger Emissio
nen erhöht, Dänemark will sogar minus 70 Prozent
erreichen.
Wie kann das funktionieren, ein Deutschland ohne
Kohle, Erdöl und Erdgas zu schaffen? Und was ist
dafür in den kommenden zehn Jahren nötig? Wir
haben Prognos, das Öko-Institut und das Wuppertal
Institut damit beauftragt, ein machbares Szenario für
ein klimaneutrales Deutschland zu entwickeln, mit
Wirtschaftlichkeit, Wahrung der Investitionszyklen
und Akzeptanz als Kernkriterien.
Das Ergebnis: Klimaneutralität 2050 und ein neues
deutsches Zwischenziel von minus 65 Prozent
Treibhausgase bis 2030 sind machbar, brauchen aber
eine komplett andere Gangart in der Klimapolitik.
Was das genau bedeutet, zeigt dieser Bericht.
Wir wünschen eine angenehme Lektüre!
Dr. Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende
Christian Hochfeld, Direktor Agora Verkehrswende
Rainer Baake, Direktor Stiftung Klimaneutralität
Ergebnisse auf einen Blick:
1
Ein klimaneutrales Deutschland 2050 ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen
Investitionszyklen in drei Schritten realisierbar. In einem ersten Schritt sinken die Emissionen bis
2030 um 65 Prozent. Der zweite Schritt nach 2030 ist der vollständige Umstieg auf klimaneutrale
Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden nicht
vermeidbare Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen.
2
Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, vergleichbar mit dem
Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren. Kernelemente sind eine Energiewirtschaft auf Basis
Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung, die smarte und effiziente Modernisierung
des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. Dies steigert
zugleich die Lebensqualität durch weniger Lärm und Luftschadstoffe.
3
Das als Teil des European Green Deal angepasste deutsche 2030-Klimaziel von minus 65 Prozent
Treibhausgase bedeutet eine deutliche Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende.
Dazu gehören bis 2030 der vollständige Kohleausstieg, ein Erneuerbaren-Anteil am Strom von etwa
70 Prozent, 14 Millionen Elektroautos, 6 Millionen Wärmepumpen, eine Erhöhung der Sanierungsrate
um mindestens 50 Prozent sowie die Nutzung von gut 60 TWh sauberen Wasserstoffs.
4
Die Weichen für Klimaneutralität 2050 und minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden in
der nächsten Legislaturperiode gestellt. Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl
2021 ist von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren Wirtschaft und
Gesellschaft Deutschlands in Richtung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute
Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er inklusiv ist und alle mitnimmt.
3
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
4
Inhalt
Einleitung
9
In drei Schritten zur Klimaneutralität 2050
1
9
Ein Investitions- und Modernisierungsprogramm für Deutschland
10
Das Zwischenziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030
12
Jetzt ist die Politik am Zug
13
Zusammenfassung
15
Der Weg zur Klimaneutralität 2050 ist zu einem Drittel beschritten
16
Was schon beschlossen ist: Klimaschutzprogramm und Klimaschutzgesetz
der Bundesregierung
18
Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 1 – 65 Prozent Minderung bis 2030
19
Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 2 – 95 Prozent Minderung der Emissionen
21
Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 3 – Kompensation der Restemissionen
mit CCS und Negativemissionen
22
Drei Säulen der Transformation: Säule 1 – Energieeffizienz und Senkung
des Energiebedarfs
24
Drei Säulen der Transformation: Säule 2 – erneuerbare Stromerzeugung
und Elektrifizierung
2
3
25
Drei Säulen der Transformation: Säule 3 – Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff
29
Szenario Klimaneutral 2050 im Überblick
31
Methodik und Rahmenannahmen
33
2.1
33
Zielsetzung der Studie
2.2 Treibhausgas-Emissionsminderungsziele
33
2.3
Methodik
38
2.4
Rahmendaten
42
Ergebnisse Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050)
45
3.1
Übersicht
45
3.2
Energiewirtschaft
49
3.2.1
Zielbild und Ausgangslage
49
3.2.2
Stromnachfrage
50
3.2.3
Stromerzeugung
51
3.2.4
Installierte Leistung und Flexibilität des Stromsystems
54
3.2.5
Fernwärmeerzeugung
58
3.2.6
Mineralölraffinerien
59
3.3
Industrie
60
3.3.1
Zielbild und Ausgangslage
60
3.3.2
Entwicklung der Produktionsmengen
60
3.3.3
Energieeinsatz und Treibhausgasemissionen
62
3.3.4
Einblicke in die Transformation der Industriebranchen
65
5
Inhalt
3.4
3.5
3.6
6
74
3.4.1
Zielbild und Ausgangslage
74
3.4.2
Entwicklung der Gebäudeflächen
76
3.4.3
Effizienzentwicklung Gebäudehülle: e
nergetische Sanierungen
77
3.4.4
Absatz Wärmeerzeuger und Heizungsstruktur
79
3.4.5
Endenergieverbrauch und THG-Emissionen
81
Verkehr
85
3.5.1
Zielbild und Ausgangslage
85
3.5.2
Verkehrsnachfrage
87
3.5.3
Neuzulassungen und Bestand
92
3.5.4
Endenergiebedarf und THG-Emissionen
95
3.5.5
Sensitivität Markthochlauf Elektrofahrzeuge
100
Landwirtschaft, Abfall und LULUCF
104
3.6.1
Landwirtschaft
104
3.6.2
Abfallsektor
112
3.6.3
LULUCF
112
3.7
Bioenergie
114
3.8
Negative Emissionen und CCS
117
3.8.1
CO₂-Abscheidung
118
3.8.2
CO₂-Infrastruktur
119
3.8.3
Dauerhafte CO₂-Speicherung
119
3.8.4
Negative Emissionen
122
3.9
4
Gebäude
Wasserstoff
124
3.9.1
Wasserstoffbedarf und -infrastruktur
124
3.9.2
Wasserstofferzeugung
126
3.9.3
Wasserstoffkosten
127
3.9.4
Synthetische Energieträger
128
Ergebnisse Klimaneutral Minimalvariante (KNmin)
131
4.1
Übersicht
131
4.2
Energiewirtschaft
135
4.2.1
Zielbild
135
4.2.2
Stromnachfrage
135
4.2.3
Installierte Leistung und Stromerzeugung
138
4.2.4
Fernwärmeerzeugung
138
4.2.5
Mineralölraffinerien
139
Inhalt
4.3
4.4
4.5
4.6
Industrie
139
4.3.1
Zielbild
139
4.3.2
Entwicklung der Produktionsmengen
140
4.3.3
Treibhausgasemissionen
140
4.3.4
Energieeinsatz
140
4.3.5
Zugrunde liegende Entwicklungen in den Industriebranchen
142
Gebäude
144
4.4.1
Zielbild
144
4.4.2
Effizienzentwicklung und Beheizungsstruktur
144
4.4.3
Endenergieverbrauch und THG-Emissionen
147
Verkehr
150
4.5.1
Zielbild
150
4.5.2
Verkehrsnachfrage
150
4.5.3
Neuzulassungen und Bestand
150
4.5.4
THG-Emissionen und Endenergie
151
Landwirtschaft, LULUCF, Abfall
154
4.6.1
Landwirtschaft
154
4.6.2
Abfallsektor
155
4.6.3
LULUCF
155
4.7
Negative Emissionen und CCS
156
4.8
Wasserstoff
156
5
Schlussfolgerung
159
6
Literatur
161
7
Anhang
167
7.1
Modelle
167
7.1.1
Strommarktmodell
167
7.1.2
Private-Haushalte-Modell
168
7.1.3
GHD-Modell
169
7.1.4
Verkehrsmodell TEMPS
169
7.1.5
Landwirtschaftsmodell LiSE
170
7.1.6
LULUCF-Modell FABio
172
7.1.7
Abfallmodell Wast_Mod
172
7.1.8
Industriemodell WISEE-EDM
173
7.2
Szenarienvergleich
175
7
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
8
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Einleitung
Das Jahr 2020 wird als das Jahr der COVID-19-Pan
demie in die Geschichtsbücher eingehen. Der bei
spiellose Kampf zur Rettung von Menschenleben in
allen Ländern der Welt, die massiven Einschränkun
gen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Lebens gab es so bis dato noch nicht. Schnelle Ent
scheidungen waren plötzlich an der Tagesordnung;
die Politik hat gezeigt, wozu sie in Krisensituationen
fähig ist.
Es ist gut möglich, dass das Jahr 2020 auch noch aus
einem weiteren Grund in die Geschichte eingeht: als
das Jahr der Trendwende bei den globalen CO₂-Emis
sionen. So verfolgen viele Länder eine mehr oder
weniger stark ausgeprägte Green-Recovery-Strate
gie. Aufbauhilfen für Industrien werden inzwischen
vor dem Paradigma der Klimaneutralität diskutiert,
schließlich sollen die Hilfen nicht als Fehlinvestitio
nen enden. Im Ergebnis ist es daher gut möglich, dass
2019 mit gut 33 Gigatonnen CO₂ das Peak-Jahr der
energiebedingten globalen CO₂-Emissionen war.
Von nun an beginnt der globale Wettlauf in Richtung
Klimaneutralität. Dabei geht es zum einen um einen
Wettlauf gegen die Dynamik des Klimawandels.
Schon heute beträgt die Erderwärmung 1,1 Grad
gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Um die
Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf
„deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen, wie es das
Pariser Klimaschutzabkommen vorsieht, müssen die
globalen Treibhausgasemissionen schnell und
deutlich sinken. Zum anderen geht es dabei aber auch
um einen wirtschaftlichen Wettlauf: Welche Länder
werden in der globalen Ökonomie die technologi
schen Vorreiter sein? Wo werden die zentralen
Produkte für eine klimaneutrale Weltwirtschaft
hergestellt? Die jüngsten strategischen Ankündigun
gen aus China und Kalifornien (etwa zum angestreb
ten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035)
zeigen, dass dieses Rennen bereits begonnen hat.
Ein klimapolitischer Aufbruch in Deutschland und
Europa liegt daher in der Luft. Klimaneutralität bis
2050 ist bereits beschlossen, höhere Zwischenziele
bis 2030 stehen vor der Entscheidung. Der European Green Deal bildet dabei den Rahmen, bis
Sommer 2021 wird ein umfangreiches Aktionspro
gramm vorliegen.
Die vorliegende Studie formuliert, was das für
Deutschland bedeutet, also wie Klimaneutralität 2050
und verstärkte Anstrengungen bis 2030 national
aussehen können.
In drei Schritten zur Klimaneutralität 2050
Ein klimaneutrales Deutschland 2050 ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen Investitionszyklen in drei Schritten
realisierbar. In einem ersten Schritt sinken die
Emissionen bis 2030 um 65 Prozent unter das
Niveau von 1990. Der zweite Schritt nach 2030
ist der vollständige Umstieg auf klimaneutrale
Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden
die nicht vermeidbaren Restemissionen durch
CO₂-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen.
Der Weg zur Klimaneutralität 2050, wie er in dieser
Studie beschrieben wird, stellt einen aus Kosten
sicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit
optimierten Weg dar. Hauptkriterien bei der Aus
wahl der Maßnahmen waren Wirtschaftlichkeit
und die Wahrung der Investitionszyklen. Das
Ergebnis sind drei Schritte für die Zukunft – wohl
wissend, dass ein Teil des Wegs durch die bereits
erzielten Minderungsschritte der Vergangenheit
und den bereits beschlossenen Maßnahmen schon
zurückgelegt wurde.
9
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Der erste Schritt setzt für die nächsten zehn Jahre auf
die bekannten und bewährten kostengünstigen
Strategien und beschleunigt diese, um bis 2030 die
Treibhausgasemissionen um 65 Prozent unter das
Niveau von 1990 zu senken. Die Minderung um
65 Prozent bis 2030 ergibt sich dabei aus drei
Handlungssträngen: Erstens ist die schnelle Dekar
bonisierung des Stromsektors durch Kohleausstieg
und Erneuerbare-Energien-Ausbau zentral für die
weiteren Schritte in den anderen Sektoren, da diese
CO₂-armen Strom für ihre Klimaschutzanstrengun
gen benötigen. Zweitens stehen in der Industrie
zwischen 2020 und 2030 erhebliche Reinvestitionen
an, die direkt in Richtung Klimaneutralität erfolgen
müssen, um Stranded Assets in den 2030er- und
2040er-Jahren zu vermeiden. Und drittens bedeutet
eine Erhöhung des EU-Klimaziels 2030 natürlich,
dass die Emissionen auch im größten EU-Mitglieds
staat Deutschland bis 2030 stärker sinken müssen als
bisher vorgesehen.
Im zweiten Schritt werden die Emissionen nach 2030
gegenüber dem Basisjahr 1990 um 95 Prozent auf ein
Minimum reduziert. Dabei werden in Energie,
Verkehr, Gebäude und Industrie nur noch klimaneut
rale Technologien eingesetzt, sodass schlussendlich
vollständig auf die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl
und Erdgas verzichtet wird. Entscheidend für diese
Phase der Transformation ist es, dass die Marktan
teile für viele traditionelle Technologien (wie Ver
brennungsmotoren, fossile Heizungssysteme,
erdgasbasierte Chemieanlagen) im Zeitraum 2020 bis
2030 konstant sinken und ihr Geschäftsmodell nach
2030 vollständig der Vergangenheit angehört. Sich
auf diese – globalen – Entwicklungstrends einzustel
len ist sowohl für die Industrie- und Wirtschaftspoli
tik als auch für die beteiligten Unternehmen eine der
zentralen Aufgaben in den 2020er-Jahren.
Der dritte Schritt neutralisiert die gar nicht zu
vermeidenden Restemissionen weitgehend durch
CO₂-Abscheidung und -Lagerung (englisch: Carbon
Capture and Storage, CCS). Die Restemissionen
stammen, bedingt durch die Tierhaltung, vor allem
10
aus der Landwirtschaft. Hintergrund ist hier, dass die
Studie keine drastischen Änderungen der Ernäh
rungsgewohnheiten voraussetzt, sondern lediglich
aktuelle gesellschaftliche Trends fortgeschrieben
wurden. Zudem sind in der Zementindustrie trotz des
Einsatzes neuer Technologien Restemissionen zu
erwarten. Der Ausgleich dieser verbleibenden etwa
60 Millionen Tonnen CO2e findet in Industrie und
Energiewirtschaft statt, die CO₂ aus Biomasseanlagen
und aus der Luft abscheiden. Die CO₂-Ablagerung
könnte dann in leeren Gasfeldern oder tiefen geologi
schen Formationen unter der Nordsee stattfinden.
In den nächsten Jahren muss daher eine offene und
ehrliche Diskussion über diesen letzten Schritt zur
Klimaneutralität stattfinden. Dies umfasst zum einen
die Konzeption einer umfassenden Biomassestrate
gie, um Landwirtschaft, Naturschutz und Erforder
nisse für die Klimaneutralität in Einklang zu bringen.
Zum anderen gehört hierzu auch die Formulierung
einer CCS-Strategie, die CO₂-Transportrouten
innerhalb Deutschlands und zu möglichen CO₂Lagerstätten vorbereitet.
Ein Investitions- und Modernisierungsprogramm für Deutschland
Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, v
ergleichbar mit
dem Wirtschaftswunder in den 1950er-/60er-
Jahren. Kernelemente sind dabei eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die
weitgehende Elektrifizierung von Verkehr- und
Wärme, eine smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau
einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie.
Dies steigert zugleich die Lebensqualität durch
weniger Lärm und Luftschadstoffe.
Der in dieser Studie vorgestellte Pfad in Richtung
Klimaneutralität baut explizit nicht auf Verzicht oder
Postwachstumsszenarien als notwendige Vorausset
zung für Klimaneutralität. Stattdessen wird ein
-12
Abfall
2030
-65 %
438
Reduktion Düngemittel und Tierbestände,
Wirtschaftsdüngervergärung, Energieeffizienz
Landwirtschaft
Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 6 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau
Gebäude
-111
-73
-207
Abfall
-95 %
62
-100 %
Abbildung ES
2050
BECCS, DACCS und grüne Polymere
kompensieren Restemissionen
Negative Emissionen
Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung
Landwirtschaft
90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut,
ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung
Gebäude
Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr,
weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr
Verkehr
100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen
durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung
Energiewirtschaft
H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl,
chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen
Industrie
H₂ = Wasserstoff
* inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
2018
-52
Einführung DRI, Kohleausstieg,
H2-Einsatz für Dampf
-5
858
-72
Industrie
-95
14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr
ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr
-89
Verkehr
-63
Kohleausstieg 2030, etwa 70 % EE-Stromerzeugung,
Dekarbonisierung Fernwärme, Einsatz H2
-14
Energiewirtschaft
-3
Maßnahmen im Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050)
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.)
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
11
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
durchschnittliches Wirtschaftswachstum von
1,3 Prozent pro Jahr bis 2050 unterstellt. Das Gutach
ten basiert auf dem Kerngedanken, Deutschland
durch öffentliche und private Investitionen zu
modernisieren. Der Investitionsstau der letzten Jahre
wird aufgelöst. Dabei werden Infrastrukturen wie das
Energie- und das Verkehrssystem grundlegend
erneuert und gleichzeitig langlebige Kapitalstöcke
wie Gebäude und Industrieanlagen auf den moderns
ten Stand gebracht.
Diese Studie hat kein Business-as-usual-Szenario
erarbeitet, gegenüber dem man die Mehrinvestitio
nen beziffern könnte, die durch die Entscheidung für
Klimaneutralität nötig werden – schließlich ist ein
„Weiter so“ angesichts des globalen Handlungsdrucks
beim Klima keine realistische Option mehr. Die
BDI-Studie Klimapfade für Deutschland, die von
Boston Consulting und Prognos 2018 veröffentlicht
wurde, hat dies noch getan und beziffert die Mehrin
vestitionen im 95-Prozent-Szenario auf 70 Milliar
den Euro pro Jahr bis 2050. Nimmt man diese Summe
an (auch wenn sie angesichts der konservativen
Annahmen zum technologischen Fortschritt tenden
ziell zu hoch geschätzt sein dürfte), entspricht sie
knapp 10 Prozent der aktuellen Bruttoinvestitions
summe Deutschlands – eine Investitionssteigerung,
die angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase
machbar erscheint.
Die Schlüsseltechnologien für Klimaneutralität sind
bekannt: Es geht um den Aufbau eines komplett auf
Erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems,
das 2050 mindestens 50 Prozent mehr Strom produ
ziert als heute. Beim Straßenverkehr und in der
Wärmeversorgung werden voraussichtlich stromba
sierte Lösungen, das heißt Elektromobilität und
Wärmepumpen, aufgrund ihrer hohen Effizienzvor
teile global die Leittechnologien. Die effiziente
Sanierung des Gebäudebestands und der Aufbau
einer Wasserstoffwirtschaft für Industrie, Energie
wirtschaft, Schiffs- und Flugverkehr sind weitere
Kernbestandteile einer solchen Strategie. Als Resultat
hat Deutschland 2050 eine erneuerte Strom- und
12
Verkehrsinfrastruktur, eine zukunftsfähige Wasser
stoffindustrie, einen modernen Gebäudebestand
sowie eine Industrie, die in den Zukunftstechnolo
gien im globalen Wettbewerb vorne mitspielt. Diese
Investitionen anzustoßen und durch Skaleneffekte
Größenvorteile zu erlangen ist Aufgabe der Politik der
nächsten Jahre.
Damit wird zugleich auch die Lebensqualität gestei
gert. Denn die Verkehrswende führt durch den
Umstieg auf Elektromobilität zu einer deutlichen
Reduktion der Luft- und Lärmbelastung, zudem
reduzieren smarte Mobilitätsdienstleistungen die
Zahl an Autostellflächen und schaffen Platz für Parks
und die Freizeitnutzung innerstädtischer Flächen.
Sanierte Wohngebäude, die mit Wärmepumpen oder
Wärmenetzen versorgt werden, liefern im Winter
behagliche Wärme und im Sommer angenehme
Kühlung. Gerade mit Blick auf die durch den Klima
wandel wärmer werdenden Städte sind diese Effekte
als Teil einer effizienten Klimaneutralitätsstrategie
ein wichtiger Bestandteil für lebenswertes Wohnen
und ein gutes Leben im Jahr 2050.
Das Zwischenziel von minus 65 Prozent
Treibhausgase bis 2030
Das als Teil des European Green Deal angepasste
deutsche 2030-Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bedeutet eine deutliche
Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und
Wärmewende. Dazu gehören bis 2030 der vollständige Kohleausstieg, ein Erneuerbaren-Anteil
am Strom von etwa 70 Prozent, 14 Millionen
Elektroautos, 6 Millionen Wärmepumpen, eine
Erhöhung der Sanierungsrate um mindestens
50 Prozent sowie die Nutzung von gut 60 TWh
sauberen Wasserstoffs.
Die erwartete Erhöhung des EU-2030-Klimaschutz
ziels von bisher minus 40 Prozent auf künftig minus
55 Prozent Treibhausgasemissionen wird auch für
Deutschland nicht ohne Folgen bleiben. Eine Erhö
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
hung des EU-Ziels um 15 Prozentpunkte lässt sich für
Deutschland in eine Erhöhung des bisherigen
nationalen 2030-Ziels um 10 Prozentpunkte über
setzen – von bisher minus 55 Prozent auf künftig
minus 65 Prozent im Vergleich zu 1990.
Die zusätzlichen Minderungen für ein nationales
Ziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030
werden vor allem in der Energiewirtschaft erbracht.
Bis 2030 werden in dem hier vorgelegten Szenario
gegenüber dem aktuellen Sektorziel des Klima
schutzgesetzes weitere 77 Millionen Tonnen CO₂
gemindert. Im Kern bedeutet dies, den Kohleausstieg
von 2038 auf 2030 vorzuziehen und die Erneuerba
ren Energien auf einen Anteil von etwa 70 Prozent
des – durch die Sektorkopplung gestiegenen –
Stromverbrauchs zu steigern. Der Kohleausstieg
dürfte weitgehend marktbasiert erfolgen, da die
EU-Kommission zur Umsetzung des höheren
EU-Klimaziels eine Verschärfung des EU-Emissi
onshandels vorschlagen wird und bei CO₂-Preisen
etwa ab 50 Euro pro Tonne auch Braunkohlekraft
werke unwirtschaftlich werden.
Neben der beschleunigten Energiewende können
durch einen beherzten Einstieg in die Wasserstoff
wirtschaft im Industriesektor weitere 17 Millionen
Tonnen CO₂ gegenüber dem aktuellen Sektorziel
eingespart werden. Da ohnehin etwa die Hälfte der
zentralen Industrieanlagen der deutschen Grund
stoffindustrie in den nächsten zehn Jahren zur
Reinvestition anstehen, gehen hier Klimaschutz und
Modernisierung Hand in Hand. Vorreiter könnte die
Stahlindustrie sein, in der ans Ende ihrer Lebenszeit
kommende Hochöfen durch Direktreduktionsanla
gen ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist eine
Politik, die den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft
strategisch vorantreibt.
Neben einer beschleunigten Energiewende und dem
Einstieg in die klimaneutrale Industrie gehören aber
auch eine schnellere Verkehrs- und Wärmewende
zum Schritt in Richtung minus 65 Prozent Treibhaus
gase – auch wenn die zusätzlichen Minderungen von
je 5 Millionen Tonnen gegenüber dem Minus-55-
Prozent-Szenario überschaubar sind. Die im Szenario
angenommene Zahl von 14 Millionen Elektroautos
(inkl. Plug-in-Hybrid-Pkw) ist konsistent mit der
Ankündigung der EU-Kommission, die CO₂-Flotten
grenzwerte weiter zu verschärfen. In Kombination
mit ergänzenden nationalen Politikinstrumenten
führt dies dazu, dass 2030 etwa 80 Prozent der
Neufahrzeuge Elektroautos (inkl. Plug-in-HybridPkw) sind. Angesichts der klaren Elektrostrategie in
den Konkurrenzmärkten Kalifornien und China ist
dies auch mit Blick auf die Sicherung der deutschen
Automobilindustrie der richtige Schritt.
Last, but not least, erfordert die Wärmewende den
Aufbau einer Effizienzindustrie, die energetische
Sanierung und die Fertigung von Wärmepumpen auf
eine industrielle Basis heben. Die Kostenreduktionsund Skalierungspotenziale durch serielle, automati
sierte Fertigungsanlagen in diesen Bereichen sind
noch lange nicht ausgeschöpft.
Um diese Beschleunigung von Energie-, Industrie-,
Verkehrs- und Wärmewende zu erreichen, ist ein
Instrumentenmix in der Politik erforderlich, der
marktbasierte Anreize, Förderung und Ordnungsrecht
intelligent kombiniert. Ein wesentlicher Bestandteil
davon ist sicherlich auch eine umfassende Reform
der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie, da
die aktuellen Preisstrukturen die Weiternutzung von
Erdöl und Erdgas eher fördern und der Nutzung von
erneuerbarem Strom in Wärme, Verkehr und
Industrie eher im Weg stehen.
Jetzt ist die Politik am Zug
Die Weichen für Klimaneutralität 2050 und
minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden in der nächsten Legislaturperiode gestellt.
Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist von zentraler Bedeutung. Kluge
Instrumente und Politiken modernisieren Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Rich-
13
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
tung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden
Strukturwandel so, dass er inklusiv ist und alle
mitnimmt.
Die Zeit der klimapolitischen Verzagtheit kommt an
ihr Ende. Nach den beherzten Strategien aus Brüssel,
China und Kalifornien ist es auch in Berlin an der
Zeit, eine schnellere Gangart einzulegen. Die par
teiübergreifende Unterstützung für den European
Green Deal muss jetzt auch in Deutschland in ent
sprechendem nationalem Handeln münden. In der
ersten Hälfte der 2020er-Jahre gilt es einerseits, ein
Paket kurzfristig wirkender Maßnahmen in Richtung
2030 zu beschließen und zugleich die Rahmenbedin
gungen zu schaffen, die die Klimaneutralität bis
spätestens 2050 erreichbar machen.
Nur eine Politik, die sich konsequent daran ausrich
tet, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad zu
begrenzen, schafft Investitionssicherheit, weil sie
vermeidet, unter dem Druck sich verschärfender
Klimafolgen immer wieder korrigiert werden zu müs
sen. Dies gilt auch für die Unternehmen: Es reicht
nicht mehr, konform mit den aktuellen Grenzwerten
und Vorschriften zu produzieren. So lange die eigene
Unternehmensstrategie sich nicht auf Klimaneutrali
tät vor 2050 ausrichtet und konsistent mit dem
Pariser Abkommen ist, wird das Geschäftsmodell
mittel- und langfristig nicht mehr tragfähig sein. Es
gilt, „vor die Welle“ zu kommen, da nur so der Zugang
zu den globalen Zukunftsmärkten gesichert wird.
Dieser Umstieg braucht vorausschauende Politik und
klare Regeln. Anstehende Investitionen in klimaneu
trale Industrieanlagen und -prozesse benötigen die
Sicherheit, dass klimaneutrale Produkte wettbe
werbsfähig sein können – auch beim Export. Wettbe
werbsnachteile für Unternehmen durch den Weg zur
Klimaneutralität und die Beschleunigung der Ener
giewende bis 2030 müssen vermieden oder ausgegli
chen werden.
14
Gleichzeitig gilt es, den anstehenden Strukturwandel
inklusiv und sozial ausgewogen zu gestalten. Viele
Studien zeigen: Der Weg in Richtung Klimaneutralität
schafft Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze – aber es
wird Verschiebungen zwischen Branchen und
Regionen geben. Es ist Aufgabe von Politik, Wirt
schaft und Gesellschaft, vor diesem Strukturwandel
nicht die Augen zu verschließen oder zu versuchen,
ihn zu verlangsamen. Vielmehr geht es darum, die
anstehenden wirtschaftlichen Veränderungen aktiv
anzugehen, in den betroffenen Regionen neue
Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze der Zukunft
anzusiedeln, und so allen Betroffenen neue Chancen
zu eröffnen.
Die Herausforderung, bis 2050 ein klimaneutrales
Deutschland in einem klimaneutralen Europa zu
schaffen, ist groß, aber machbar. Eine weitere
Legislaturperiode der klimapolitischen Leisetreterei
ist damit jedoch nicht vereinbar. Aufgabe des Regie
rungsprogramms 2021 wird es daher sein, die
zentralen Politiken und Instrumente in Richtung
Klimaneutralität zu formulieren und so mehr Klima
schutz, eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, eine
bessere Lebensqualität und eine inklusive Gestaltung
des anstehenden Wandels zu ermöglichen.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
1
Zusammenfassung
Diese Studie zeigt Wege auf, wie Deutschland bis zum
Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Klimaneutral
bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen in allen
Bereichen vollständig oder fast vollständig vermieden
und die Restemissionen durch negative Emissionen
ausgeglichen werden. Insbesondere in der Landwirt
schaft, aber auch in einzelnen industriellen Prozessen
verbleiben auch 2050 Restemissionen. Diese Emissi
onen werden nicht vermieden, sondern durch die
CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre und durch
Ablagerung – sogenannte negative Emissionen
mittels CCS-Technologie – ausgeglichen. Im Saldo
wird Deutschland so klimaneutral.
Die Studie stellt einen aus Kostensicht und unter
Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten
Weg zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 dar.
Als Zwischenschritt wird im Hauptszenario „Klima
neutral 2050“ eine THG-Emissionsminderung
Deutschlands von 65 Prozent bis zum Jahr 2030
erreicht. Eine Variante (Klimaneutral Minimalvari
ante (KNmin)) untersucht auch eine Minderung von
60 Prozent bis 2030.
Die Szenarien berücksichtigen nicht nur die ener
giebedingten Emissionen, sondern die Treibhausgas
emissionen sämtlicher Sektoren. Auch die oft
vernachlässigten Sektoren Landwirtschaft, Abfall
und Landnutzung werden detailliert betrachtet,
ebenso wie Methan- und Lachgasemissionen bei der
Nutzung von Biomasse sowie andere kleine Emissi
onsquellen. Senken, das heißt die Kohlenstoffauf
nahme durch Wälder und Böden, werden zwar
nachrichtlich ausgewiesen, aber nicht als Beitrag
zum Klimaschutz angerechnet. Datenlage und
Prognosen in diesem Bereich sind nach wie vor sehr
ungenau, zudem besteht aktuell eher die Gefahr, dass
aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahr
zehnten Wälder und Böden zu CO₂-Quellen statt
CO₂-Senken werden. Die Bilanzierung der Treib
hausgase erfolgt identisch zu der Bilanzierung in den
Nationalen Inventarberichten gemäß der Klimarah
menkonvention.
Zur Erreichung der Minderungspfade wurden
diverse Maßnahmen angenommen und deren
Effekte berechnet. Das Hauptkriterium bei der
Auswahl war die Wirtschaftlichkeit. Maßnahmen
mit geringeren CO₂-Vermeidungskosten wurden in
der Regel vorgezogen. Aufgrund der notwendigen
schnellen Transformation wurde auch immer die
Frage der technischen Umsetzbarkeit und des
möglichen Markthochlaufs mitbetrachtet. Der Fokus
liegt auf Technologien mit geringen technischen und
wirtschaftlichen Risiken. Der Einsatz von CCS
wurde soweit es geht reduziert, wo immer möglich
wurden alternative Technologien bevorzugt.
Die Studie setzt explizit nicht auf Verzicht als not
wendige Voraussetzung für Klimaneutralität: die
Pro-Kopf-Wohnfläche steigt weiter und die Mobilität
bleibt vollumfänglich erhalten. Bei der Ernährung
wurden aktuelle Trends fortgeschrieben, wie ein
moderat sinkender Milchkonsum, eine Verschiebung
des Fleischkonsums hin zu mehr Geflügel sowie ein
leichter Anstieg bei Biolebensmitteln. Der Indust
riestandort Deutschland erhält sein hohes Produkti
onsniveau. In der Studie wurde ein mittleres Wirt
schaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr
angenommen. Die ökonomischen Effekte der Klima
schutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht.
Studien (z.B. BDI 2018) zeigen jedoch, dass mit
internationaler Kooperation ambitionierter Klima
schutz ohne gesamtökonomische Einbußen umsetz
bar sind. Es wurde angenommen, dass temporäre
Wettbewerbsnachteile für Unternehmen beim
Übergang zu einer klimaneutralen Produktion
vermieden oder kompensiert werden.
Insgesamt stellt der hier untersuchte Pfad ein
realistisch-ambitioniertes Szenario dar, wie
Deutschland auf Basis einer aktiven Klimapolitik
15
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
klimaneutral wird und dabei Wohlstand gemehrt und
der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert
werden kann. Die Investitionen werden im Rahmen
der normalen Modernisierungszyklen getätigt.
Der Weg zur Klimaneutralität 2050 ist
zu einem Drittel beschritten
Energiepolitische Anstrengungen, den Energiever
brauch aus Gründen der Versorgungssicherheit,
Luftverschmutzung, knapper Ressourcen und
geopolitischer Abhängigkeit zu senken, gibt es bereits
sehr lange. Klimaschutzaspekte kamen erst später
dazu. Nachdem 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio de
Janeiro die UN-Klimarahmenkonvention beschlossen
wurde, fand drei Jahre später in Berlin die erste
UN-Klimakonferenz (COP-1) statt. Das dort verab
schiedete „Berliner Mandat“ bildete die Grundlage für
das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll, in dem
verbindliche Ziele zur Emissionsminderung festgelegt
wurden. Die EU-15 verpflichtete sich darin, die
Treibhausgasemissionen, ausgehend von 1990, bis
2012 um 8 Prozent zu mindern. Im Rahmen der
Lastenteilung innerhalb der EU verpflichtete sich
Deutschland erstmalig international zu einer konkre
ten Minderung von Treibhausgasemissionen.
Ausgehend von 1990 konnte Deutschland seine
Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2018 um etwa
31 Prozent senken (bis zum Jahr 2019 auf Basis
vorläufiger Zahlen um etwa 35 Prozent). Etwa ein
Drittel der notwendigen Minderung bis zur Errei
chung der Klimaneutralität ist also geschafft.
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands wurden die
größten Emissionseinsparungen bei der Energiewirtschaft erzielt. Insbesondere in den 1990er-
Jahren spielte die Umstellung und Erneuerung der
vorwiegend auf Braunkohle basierten Strom- und
Die Entwicklung von 1990 bis heute (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
1.251
Gebäude
-161
Verkehr
-93
-89
Energiewirtschaft
1990
UBA (2020)
16
Abbildung 1
Industrie
-29
Abfall
858
-20
-2
Landwirtschaft
2018
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Wärmeversorgung in Ostdeutschland eine größere
Rolle. Ab der Jahrtausendwende und der Einführung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) war der
Zubau von Erneuerbaren Energien zur Stromerzeu
gung der wesentliche Treiber für die Emissionssen
kung. Von einem Anteil von nur 6,5 Prozent am
Stromverbrauch im Jahr 2000 steigerte sich der
Anteil bis 2018 auf 37,8 Prozent (2019: 42,1 Prozent).
Die Stromerzeugung ist damit der Bereich, in dem
Erneuerbare Energien am schnellsten Fuß gefasst
haben und der die Basis für eine zunehmend emissi
onsfreie Energieversorgung der anderen Sektoren
geschaffen hat. Hauptsächlich durch die Einsparun
gen bei der Stromerzeugung sanken die Emissionen
im Sektor Energiewirtschaft bis 2018 um
161 Mio. t CO₂-Äq, trotz einer Steigerung der Brutto
stromerzeugung um 17 Prozent und einem Rückgang
des Kernenergieanteils am Strommix von 28 Prozent
auf 12 Prozent.
In der Industrie sanken insbesondere in den
1990er-Jahren die Treibhausgasemissionen vor allem
durch die Schrumpfung der ostdeutschen Industrie
und die Effizienzsteigerungen bei Produktionsprozes
sen, die Herstellung von ressourceneffizienteren
Produkten und die deutliche Senkung von industriellen
Prozessemissionen. Zusätzliche Einsparungen ergaben
sich durch den verstärkten Einsatz von strombasierten
Produktionsprozessen. Seit etwa dem Jahr 2000 sind
die Emissionen der Industrie kaum noch gesunken.
Das relativ starke Wirtschaftswachstum hat die
weiteren Einsparungen durch Effizienz und den
Einsatz CO₂-ärmerer Brennstoffe kompensiert.
Im Gebäudebereich sind die Emissionen seit 1990
deutlich und kontinuierlich zurückgegangen. Bis
2018 wurden die Emissionen um 44 Prozent gesenkt.
Die Haupttreiber dafür waren der Einsatz von
CO₂-ärmeren Brennstoffen, die Steigerung des
Einsatzes von Erneuerbaren Energien, effizientere
Heizungen (Einführung Brennwerttechnik), der
Ausbau der Fernwärmenetze sowie die Effizienz
gewinne durch die Gebäudesanierung und effizien
tere Neubauten. Dank der getroffenen Maßnahmen
sanken die THG-Emissionen bis 2018 deutlich – trotz
der deutlichen Steigerung der Wohnflächen um
39 Prozent.
Die vom Verkehr ausgehenden THG-Emissionen sind
von 2000 bis 2009 zwar zwischenzeitlich leicht
gesunken, liegen aber mittlerweile wieder auf dem
gleichen Niveau wie im Jahr 1990. Der Pkw-Verkehr
gemessen in Personenkilometern nahm von 1991 bis
2018 um etwa 31 Prozent zu. Die Verkehrsleistung
des Straßengüterverkehrs hat sich im selben Zeit
raum in etwa verdoppelt. Auch wenn Verkehrs
wachstum und Emissionen entkoppelt wurden, ist im
Ergebnis festzustellen, dass dieser Sektor bisher
keinen absoluten Beitrag zum Klimaschutz geleistet
hat. In den vergangenen Jahren waren auch keine
Minderungen bei den durchschnittlichen Emissionen
neu zugelassener Pkw im Realbetrieb mehr zu
verzeichnen. Ohne den steigenden Anteil an Bio
kraftstoffen wäre sogar ein deutlicher Anstieg der
THG-Emissionen des Verkehrssektors erfolgt.
In der Landwirtschaft sanken die Emissionen vor
allem in den 1990er-Jahren infolge des Rückgangs
der Milchkuh- und Rinderbestände. Angesichts
niedriger Milchpreise und knappen Grünfutters
(Dürrejahre) nimmt die Zahl der Wiederkäuer aktuell
weiter leicht ab. Die Stickstoffeinträge und damit die
Lachgasemissionen aus den landwirtschaftlichen
Böden sind seit den 1990er-Jahren auf hohem
Niveau, allerdings sind in der Zeit auch die Erträge
gestiegen und damit die Stickstoffeffizienz. Mit
Verschärfung der Düngeverordnung, aber auch durch
die Dürre in den letzten zwei Jahren, wurde weniger
gedüngt und daher sinken aktuell die Emissionen aus
den landwirtschaftlichen Böden.
Im Abfallbereich konnten die Emissionen zwischen
1990 und 2018 bereits um 75 Prozent verringert
werden. Dies lässt sich vor allem auf den Rückgang
der Methanemissionen aus der Deponierung durch
eine Reduktion der deponierten organischen Abfälle
zurückführen. Das im Jahr 2005 erlassene Ablage
rungsverbot für organische Abfälle führt seitdem zu
17
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
einem kontinuierlichen Rückgang der Methanemis
sionen aus der Deponierung. Mit der Reduktion der
deponierten Abfälle wird ein Großteil des Abfalls in
Abfallverbrennungsanlagen verwertet, welche im
Energiesektor bilanziert werden. Im Bereich der
Abwasserbehandlung erfolgten weitere Emissionsre
duktionen durch die Anschlusspflicht an die öffentli
che Kanalisation und die verbesserten Abwasserund Klärschlammbehandlungen.
Was schon beschlossen ist: Klimaschutz
programm und Klimaschutzgesetz der
Bundesregierung
Im November 2016 verabschiedete die Bundesregie
rung den Klimaschutzplan 2050. Deutschlands
Langfristziel laut Klimaschutzgesetz ist es, bis zum
Jahr 2050 treibhausgasneutral zu werden. Bis zum
Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen in
Deutschland um mindestens 55 Prozent gegenüber
dem Niveau von 1990 sinken. Die Bundesregierung
konkretisiert im Klimaschutzplan auch das Klimaziel
für 2030 in den einzelnen Sektoren. Mit dem im
Herbst 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramm
2030 wurden erste Pflöcke zur Erreichung des
Klimaziels 2030 eingeschlagen, zum Beispiel das
Klimaschutzgesetz, das Kohleausstiegsgesetz und das
Brennstoffemissionshandelsgesetz.
Was schon beschlossen ist: Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
Abbildung 2
Klimaschutzgesetz
858
Verkehr
Gebäude
Landwirtschaft
-130
-67
Energiewirtschaft
-55
-47
543*
-12
Industrie
-5
Abfall
-55 %
2018
* Sektorale Einsparvorgaben im Klimaschutzgesetz führen zu 56,5 % Einsparung gegenüber 1990.
Klimaschutzgesetz (2020)
18
2030
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Entsprechend dem aktuellen Projektionsbericht für
das BMU und den Energiewirtschaftlichen Projektio
nen zum Klimaschutzprogramm 2030 für das BMWi
reichen die aktuellen Politikmaßnahmen aber nicht
aus, um das 55-Prozent-Minderungsziel zu errei
chen. Es wird eine Ziellücke von drei bis vier Pro
zentpunkten erwartet.
Drei Schritte zur Klimaneutralität:
Schritt 1 – 65 Prozent Minderung
bis 2030
Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 ist ein
wichtiger Zwischenschritt eine Emissionsminderung
von 65 Prozent bis zum Jahr 2030. In den 2020er-
Jahren wird sich entscheiden, ob Klimaneutralität bis
zur Mitte des Jahrhunderts eine realistische Option
ist. Auch bei einer Anhebung des EU-Minderungs
ziels für 2030 von 40 auf 55 Prozent wird ein Beitrag
von Deutschland in der Größenordnung von 65 Pro
zent notwendig.
Das bestehende Klimaschutzgesetz bietet eine gute
Basis für zusätzliche Emissionseinsparungen. Das
zusätzliche Minderungspotenzial gegenüber den
bisherigen Zielen des Klimaschutzgesetzes ist in den
Sektoren unterschiedlich hoch und unterschiedlich
schwierig zu erschließen. Entsprechend den in dieser
Studie durchgeführten Analysen und Berechnungen
ist ein zusätzlicher Beitrag in den Bereichen Land
wirtschaft und Abfall kaum möglich. Im Verkehr und
Gebäudesektor sind durch zusätzliche Anstrengun
gen jeweils 5 Mio. t zusätzliche Minderung möglich.
Größere zusätzliche Einsparungen mit 17 Mio. t
beziehungsweise 77 Mio. t sind in der Industrie und
der Energiewirtschaft möglich.
In der Energiewirtschaft können bis zum Jahr 2030
die Emissionen um 207 Mio. t CO₂-Äq gesenkt
Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 1 – 65 Prozent Minderung bis 2030
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
Gebäude
Verkehr
14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren
zu 30 % elektrisch, mehr
ÖPNV sowie Rad-, Fußund Schienenverkehr
858
Abbildung 3
Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr,
6 Mio. Wärmepumpen,
starker Wärmenetzausbau
Landwirtschaft
Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung
-207
-73
-72
-52
438
-12
Energiewirtschaft
Kohleausstieg 2030, etwa
70 % EE-Stromerzeugung,
Dekarbonisierung
Fernwärme, Einsatz H2
2018
Industrie
Einführung DRI, Kohleausstieg,
H2-Einsatz für Dampf
-5
Abfall
Ausweitung
Deponiebelüftung
-65 %
2030
Hinweis: H2 = Wasserstoff
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
19
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
werden. Gegenüber dem Sektorziel des Klima
schutzgesetzes beträgt die zusätzliche Einsparung
77 Mio. t CO₂-Äq. Diese wird in erster Linie durch
einen beschleunigten Kohleausstieg im Jahr 2030
und den erhöhten Zubau der Erneuerbaren Energien
zur Stromerzeugung erreicht. Die ab Ende der
2020er Jahre beginnende Wasserstoffnutzung in
Kraftwerken und KWK-Anlagen trägt ebenfalls zum
Rückgang bei. Der Kohleausstieg bis 2030 wird im
Kontext mit einer Verschärfung des EU-Minde
rungsziels auf 55 Prozent und einer Anpassung des
EU ETS voraussichtlich weitgehend durch die dann
veränderten Marktbedingungen für die Kohlever
stromung erfolgen.
Der Stromverbrauch steigt bis 2030 durch die
zunehmende Elektrifizierung in allen Sektoren um
51 TWh beziehungsweise 9 Prozent im Vergleich zu
2018. Die Erneuerbaren Energien erreichen 2030
einen Anteil von etwa 70 Prozent am Bruttostrom
verbrauch. Dafür werden Offshore-Windkraft auf
25 GW, Onshore-Windkraft auf 80 GW und Photo
voltaik auf 150 GW ausgebaut.
Um die Klimaziele in der Industrie erreichen zu
können, werden in den zentralen Grundstoffindust
rien neue Prozesse etabliert. Technologisch wird
dies dadurch begünstigt, dass ohnehin etwa 50 Pro
zent der zentralen Industrieanlagen der deutschen
Grundstoffindustrie in den nächsten zehn Jahren
zur Reinvestition anstehen. Vorreiter könnte die
Stahlindustrie sein. Hier können ans Ende ihrer
Lebenszeit kommende Hochöfen durch Direktre
duktionsanlagen ersetzt werden, die vorwiegend mit
Wasserstoff und kleineren Anteilen Erdgas betrie
ben werden.
Aber auch in anderen Branchen muss in neu zu
entwickelnde Technologien auf der Basis von Strom
oder (vor allem erneuerbarem) Wasserstoff investiert
werden. Parallel dazu ist es aber auch erforderlich, die
benötigten Infrastrukturen vor allem für eine Versor
gung der Industrie mit Wasserstoff, aber auch
CCS-Infrastrukturen für die Zement- und Kalkin
20
dustrie aufzubauen. Ebenso ist es wichtig, sehr
schnell in eine stärkere Kreislaufführung und höhere
Anteile sekundärer Rohstoffe zu investieren, damit
diese Lösungen nach 2030 ihr volles Potenzial
ausspielen können. Erste CCS-Anlagen in der
Zementindustrie können schon 2030 in Betrieb sein.
Im Gebäudebereich werden die zusätzlichen Minde
rungen durch eine Veränderung der Heizungsstruk
tur, den Ausbau der Wärmenetze sowie um etwa
50 Prozent erhöhte energetische Sanierungsraten
erreicht. Beim Einbau von neuen Heizungen gewin
nen Wärmepumpen bis Mitte der 2020er-Jahre große
Marktanteile, insbesondere im Bereich der Ein- und
Zweifamilienhäuser werden sechs Millionen Wärme
pumpen erreicht. Grüne Fernwärme gewinnt in
urbanen Räumen eine stärkere Bedeutung. Nach
2025 werden nur noch in Ausnahmefällen neue
Heizungen auf Basis von Heizöl oder Erdgas in
Betrieb genommen.
Im Verkehr findet eine Trendwende statt. Die persön
liche Mobilität bleibt vollständig erhalten, aber sie
verändert sich. Die Menschen fahren deutlich mehr
mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie dem Rad und
gehen zu Fuß. Im Jahr 2030 werden bereits 14 Millio
nen Elektro-Pkw (inkl. Plug-in-Hybride) im Bestand
sein. Güter werden verstärkt auf der Schiene trans
portiert und es wird fast ein Drittel der Fahrleistung
im Straßengüterverkehr über elektrische Lkw mit
Batterien, Oberleitungen und Brennstoffzellen
erbracht.
In der Landwirtschaft werden bis zum Jahr 2030
verfügbare technische Minderungsmaßnahmen
umgesetzt, wie zum Beispiel die Vergärung von
Wirtschaftsdüngern und verbesserte Lagerung und
dem Einsatz von emissionsarmen Ausbringungstech
nologien für Mist und Gülle. Gleichzeitig werden
weitere Minderungen durch Änderungen der land
wirtschaftlichen Produktion erreicht. Dazu gehören
die Ausweitung des Ökolandbaus, eine Umstellung
auf Kulturarten mit geringerem Stickstoffbedarf und
die Reduktion der Tierbestände. Diese Änderungen
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
der Produktion spiegeln Veränderungen auf der
Nachfrageseite wider: Es werden – entsprechend
aktueller Trends – weniger tierische Produkte
konsumiert und bei der Nachfrage nach Bioenergie
wird es zu einer Verschiebung von gasförmigen zu
festen Biobrennstoffen kommen.
Im Abfallbereich sinken zwischen 2018 und 2030
die Methanemissionen aus der Deponierung weiter.
Durch eine Ausweitung der Maßnahmen zur
Deponiebelüftung wird die Reduktion der Methan
emissionen beschleunigt. In den anderen Bereichen
des Abfallsektors besteht bis 2030 nur geringes
Reduktionspotenzial.
Drei Schritte zur Klimaneutralität:
Schritt 2 – 95 Prozent Minderung
der Emissionen
Ausgehend von 1990 sind 2030 bereits zwei Drittel
der notwendigen THG-Einsparung bis zur Klimaneu
tralität geschafft. Das letzte Drittel wird bis 2050
eingespart beziehungsweise kompensiert.
Sektorübergreifend setzt sich in den zwei Dekaden bis
2050 der Trend der Elektrifizierung fort und Wasser
stoff gewinnt als Sekundärenergieträger und Rohstoff
eine zunehmende Bedeutung. Effizienzverbesserun
gen helfen ebenso in allen Bereichen bei der Reduktion
der Emissionen. Eine immer wichtigere Rolle spielt
auch die Biomasse. Der Anbau verlagert sich stärker in
Richtung feste Biomasse und der Einsatz konzentriert
sich auf Bereiche, in denen keine guten Alternativen
bereitstehen und die für CCS geeignet sind (vor allem
Chemie- und Stahlindustrie).
Schritt 2 - 95 Prozent Minderung ohne Negativemissionen
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
Gebäude
Energiewirtschaft
90 % der Fläche sind
2050 saniert oder
neugebaut, ausschließlich
klimaneutrale Wärmeerzeugung
100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz
von fossilen Brennstoffen durch H2,
CO2-freie Fernwärmeerzeugung
Industrie
H2 und Biomasse für
Hochtemperaturwärme,
H2 für Stahl, chemisches
Recycling, CCS für
Prozessemissionen
Abbildung 4
Verkehr
Elektrifizierung Pkw-Verkehr,
CO2-freier Güterverkehr,
weiterer Ausbau öffentlicher
Verkehr
Landwirtschaft
Reduktion Düngemittel,
Reduktion Tierbestände,
Wirtschaftsdüngervergärung
438
-65 %
-111
Abfall
-95
62
-89
-63
-14
-3
2030
2050
* inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
21
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Im Detail ergeben sich die folgenden Entwicklungen
bis hin zur Klimaneutralität in den Sektoren:
→ Im Bereich der Energiewirtschaft werden Erneu
erbare Energien weiterhin kontinuierlich ausge
baut. Der Stromverbrauch steigt von 2030 bis
2050 vor allem durch die weitere Elektrifizierung
sowie die steigende Herstellung von Wasserstoff
um 50 Prozent auf etwa 960 TWh. Der Fokus des
EE-Zubaus nach 2030 liegt weiter auf der Winde
nergie und Photovoltaik. Wasserstoff gewinnt
zunehmend an Bedeutung und löst nach 2040
Erdgas als wichtigsten Energieträger für die
Residualstromerzeugung ab. 2050 erfolgt die
Strom- und auch Fernwärmeerzeugung vollstän
dig CO₂-frei.
→ In der Industrie setzt sich der Trend hin zu Strom
und Wasserstoff sowie teilweise Biomasse als
Energieträger fort, sodass die Industrie bis 2045
weitestgehend klimaneutral ist. Auch die chemi
schen Rohstoffe (Feedstocks) werden schon ab
2030 sukzessive durch chemisches Recycling und
synthetische auf nicht fossilem CO₂ beruhende
Einsatzstoffe ersetzt. Die Zementindustrie wird bis
2050 fast flächendeckend an CO₂-Infrastrukturen
angeschlossen, sodass auch hier fast alle Emissio
nen aufgefangen werden können.
→ Im Gebäudebereich werden auch nach 2030
Sanierungen und der Neubau von verbrauchsar
men Gebäuden fortgesetzt. Im Jahr 2050 sind dann
90 Prozent der Gebäudefläche im Zeitverlauf seit
dem Jahr 2000 saniert oder effizient neugebaut.
Durch den fortschreitenden Einbau von Heizun
gen, die CO₂-frei betrieben werden (14 Millionen
Wärmepumpen) und den Anschluss von Gebäuden
an Wärmenetze können die CO₂-Emissionen der
Gebäude bis 2050 fast vollständig vermieden
werden.
→ Die Personenverkehrsleistung insgesamt ver
bleibt etwa auf dem heutigen Niveau. Durch die
gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen über
Pooling und den öffentlichen Verkehr steigt die
Auslastung und es werden weniger Fahrzeugkilo
meter zurückgelegt. Der verbleibende Straßenver
22
kehr wird mit einem Pkw-Bestand erbracht, der
nahezu vollständig aus batterieelektrischen Fahr
zeugen besteht. Der Güterverkehr auf der Straße
wird durch einen Mix aus batterieelektrischen
Lkw, Oberleitungs-Lkw und Brennstoffzel
len-Lkw auf den Weg zur Klimaneutralität
gebracht. Gleichzeitig werden immer mehr Güter
auf der Schiene transportiert. Der Luftverkehr
und die Seeschifffahrt basieren vollständig auf
dem Einsatz strombasierter Kraftstoffe.
→ In der Landwirtschaft werden bis 2050 weitere
Minderungen über den Umbau der Tierbestände
und die Vergärung hoher Wirtschaftsdüngeranteile
in Biogasanlagen erreicht. Im Bereich der land
wirtschaftlichen Böden ist wesentliches Redukti
onspotenzial bereits bis 2030 erschlossen. Infolge
des Rückgangs der Tierbestände und einer geän
derten Nachfrage nach Bioenergie bestehen hier
aber noch kleinere Potenziale durch den Anbau von
weniger stickstoffintensiven Kulturarten und der
angepassten Nutzung von Moorflächen.
→ Im Abfallbereich verbleiben im Jahr 2050 noch
Restemissionen aus der Deponierung, der biologi
schen Behandlung und der Abwasserbehandlung.
Aufgrund der biologischen Prozesse lassen sich die
Emissionen aus dem Abfallbereich nicht komplett
vermeiden. Minderungen werden bis 2050 in allen
Bereichen erzielt.
Drei Schritte zur Klimaneutralität:
Schritt 3 – Kompensation der Restemissionen mit CCS und Negativemissionen
Residuale THG-Emissionen sind die Restemissionen,
die sich nicht mehr durch Vermeidungsmaßnahmen
weiter reduzieren lassen. Diese kommen vor allem im
Landwirtschaftssektor durch biologische Prozesse in
Böden (Düngemittel) und bei der Tierhaltung zustande.
Auch bei industriellen Prozessen und in der Abfall
wirtschaft verbleiben restliche Emissionen.
Demgegenüber können die energiebedingten Treib
hausgasemissionen durch den Einsatz erneuerbarer
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Schritt 3 im Detail – residuale THG-Emissionen und deren Kompensation in 2050
Restemissionen nach 95 % Minderung
in Mio. t CO2-Äquivalente
Abfall
62
60
2
Abbildung 5
Kompensation durch negative Emissionen
in Mio. t CO2-Äquivalente
-64
-8
-60
grünes Naphtha
-50
50
Landwirtschaft
40
Gebäude
44
-34
20
10
Energiewirtschaft
(Abfallverbrennung)
0
Industrie
BECCS
-30
30
Industrie (Prozessemissionen, Abfall)
-40
-3
-20
-19
-10
BECCS
1
13
2
0
Energiewirtschaft
DACCS
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
Energieträger nahezu völlig vermieden werden.
Lediglich sehr geringe Mengen an Methan- und
Lachgasemissionen durch Lagerung, Transport und
Verbrennung von Biomasse und synthetischen
Brennstoffen verbleiben.
In Summe ergeben sich damit Restemissionen in
Höhe von 62 Mio. t CO₂-Äq – das entspricht fünf
Prozent der Emissionen des Jahres 1990. Diese
werden vorwiegend durch den Einsatz von Biomas
se-CCS, Direct Air Carbon Capture And Storage und
der stofflichen Bindung von CO₂ in grünen Polymeren
kompensiert. Entsprechend den Modellberechnungen
liegen die negativen Emissionen in dem Szenario
leicht über den Restemissionen, sodass die Emissio
nen in Summe sogar leicht negativ sind. Bei diesen
Technologien wird CO₂ aus der Atmosphäre direkt
oder indirekt entnommen und langfristig eingelagert.
→ Bioenergy with carbon capture and storage
(BECCS) ist die Abscheidung und geologische
Lagerung von CO₂, das bei der Verbrennung von
Biomasse entsteht. Da Biomasse bei nachhaltigem
Anbau und Nutzung als Reststoff weitgehend
CO₂-neutral ist, wird dadurch langfristig CO₂ aus
der Atmosphäre entnommen. Der Einsatz von
BECCS ist durch die Menge der nachhaltig ver
fügbaren Biomasse begrenzt.
→ Als Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS)
bezeichnet man die Abscheidung von CO₂ direkt
aus der Luft und seine anschließende Einlagerung
in geeigneten geologischen Formationen. Durch
Ventilatoren wird die Umgebungsluft eingesaugt
und durch ein Sorptionsmittel gebunden. Der
Energieaufwand und die Kosten für DACCS sind
deutlich höher als für BECCS.
→ Grünes Naphtha/Stoffliche Bindung von CO₂ in
grünen Polymeren: Mit aus der Luft über Direct Air
Capture entnommenem CO₂ oder Biomasse werden
mit aus Erneuerbaren Energien erzeugtem Wasser
stoff zum Beispiel mittels Fischer-Tropsch-Syn
these „grünes“ Naphtha oder andere Kohlenwas
serstoffe hergestellt. Diese werden zu Polymeren
und im Weiteren zu Kunststoffen verarbeitet.
Durch ein verbessertes Recyclingsystem werden
die Kunststoffe dauerhaft im Stoffkreislauf gehal
ten. Hierdurch und durch Verwendung von CCS bei
der Müllverbrennung kann eine Emission des
23
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
vorher aus der Atmosphäre gebundenen Kohlen
stoffs vermieden werden.
Beim Einsatz von BECCS spielt die Industrie eine
wichtige Rolle. Gerade die hohen kontinuierlichen
und räumlich konzentrierten Wärmebedarfe der
Stahl- und chemischen Industrie bieten hier die
Möglichkeit, Biomasse in großem Stil einzusetzen
und das entstehende CO₂ entsprechend abzutren
nen. Dieses wird dann über die für die Zementin
dustrie ohnehin erforderliche CO₂-Infrastruktur
gespeichert. Auch die fast vollständige Kreislauf
führung von Kunststoffen, vor allem über chemi
sches Recycling, ist ein wichtiger Beitrag der
Industrie zur Klimaneutralität.
Im Jahr 2050 wird mehr CO₂ aus der Atmosphäre
entnommen als eingetragen wird. Die verbleibenden
Emissionen sind vorwiegend Methan und Lachgas.
Neben diesen Technologien gibt es weitere Optionen
zur Erzeugung von negativen Emissionen, aus
Kosten- und Potenzialgründen wurden aber nur die
genannten Technologien genutzt.
In den Szenarien werden Maßnahmen im Bereich
Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirt
schaft (LULUCF), zum Beispiel die Wiedervernässung
von Mooren, unterstellt, die dafür sorgen, dass dieser
Sektor auch langfristig eine CO₂-Senke bleibt. Damit
wird durch die Maßnahmen im LULUCF-Sektor im
Jahr 2050 eine Senke von -10 Mio. t CO₂-Äq erreicht.
Allerdings kann das aktuelle Niveau der Senke von
-27 Mio. t CO₂-Äq nicht gehalten werden. Natürli
che Senken, also die Kohlenstoffaufnahme durch
Wälder und Böden, werden nachrichtlich ausgewie
sen, aber in dieser Studie nicht zur Erreichung der
Klimaziele angerechnet.
Drei Säulen der Transformation:
Säule 1 – Energieeffizienz und Senkung
des Energiebedarfs
Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert sich der Primä
renergieverbrauch, also der Energiegehalt aller in
Deutschland direkt oder zur Umwandlung in Sekun
därenergieträger genutzten Energieträger. Der
Primärenergieverbrauch geht von heute ungefähr
13.000 Petajoule (PJ) auf etwa 6.600 PJ zurück.
Der Verbrauch sinkt zum einen durch wesentlich
geringere Verluste bei der Energieumwandlung und
durch einen deutlichen Rückgang des Endenergie
verbrauchs.
Der Endenergieverbrauch sinkt im Zeitraum 2018
bis 2030 von etwa 9.000 PJ um 16 Prozent auf etwa
7.500 PJ. Bis 2050 sinkt der Endenergieverbrauch
im Vergleich zu 2018 um etwa 35 Prozent auf
5.800 PJ. Wesentliche Treiber für den Rückgang sind
Gebäudesanierungen, effizientere Beleuchtung,
verbrauchsarme Geräte und deutliche Effizienzge
winne im Verkehr durch die zunehmende Elektrifi
zierung. Der zunehmende Einsatz von Wärmepum
pen zur Erzeugung von Raumwärme und
Warmwasser senkt durch die Nutzung von Umwelt
wärme den Einsatz von Brennstoffen.
Im Umwandlungssektor ergeben sich im Zeitraum bis
2050 auch signifikante Primärenergieeinsparungen,
insbesondere bei der Stromerzeugung. Während 2018
noch knapp drei Viertel der Stromerzeugung aus
thermischen Kraftwerken mit entsprechend hohen
Umwandlungsverlusten erfolgte, reduziert sich die
brennstoffbasierte Stromerzeugung bis 2050 auf
etwa 7 Prozent. Der größte Teil der Stromerzeugung
erfolgt dann ohne Umwandlungsverluste aus Winde
nergie und Photovoltaik.
Neben der benötigen Menge an Primärenergie ändert
sich bis 2050 auch die Energieträgerstruktur deut
lich. Die Nutzung der fossilen Energieträger Kohle,
Erdgas und Mineralöl geht bis 2050 vollständig
24
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Primärenergieverbrauch
14.000
12.000
Abbildung 6
13.129
1.802
Primärenergieverbrauch [PJ]
214
10.000
9.897
1
3.099
2.388
8.578
163
8.000
248
6.000
356
222
4.000
2.000
2.613
2.950
2.909
0
829
2025
2018
6.795
6.573
863
1.035
3.593
4.286
166
2.212
4.848
5.308
146
1.354
2.108
1.405
7.208
511
3.061
2.855
4.452
7.821
349
1.298
132
817
6
136
533
352
130
2030
2035
2040
2045
2050
PtX
Strom
Erneuerbare Energien
nicht erneuerbare Abfälle
fossile Gase
Mineralöle
Kohlen
Kernenergie
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch.
zurück. Kernenergie wird bereits nach 2022 nicht
mehr verwendet.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär-
energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr
2018, auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf
81 Prozent bis 2050. Importe von synthetisch
erzeugten Energieträgern stellen 2050 etwa
16 Prozent der Primärenergie. Die restlichen
3 Prozent der Primärenergie entfallen 2050 auf
sonstige Energieträger wie Abfall und geringe
Mengen an importierten Strom.
Drei Säulen der Transformation:
Säule 2 – erneuerbare Stromerzeugung
und Elektrifizierung
Die Bedeutung von Strom nimmt auf dem Weg hin
zu einer klimaneutralen Gesellschaft kontinuierlich
zu. Strom kann bei vielen Endanwendungen sehr
effizient eingesetzt werden. Insbesondere im
Verkehr und Wärmemarkt ergeben sich deutliche
Vorteile im Vergleich zu Verbrennungsmotoren
und Heizkesseln.
Die steigende Elektrifizierung und die Produktion
von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff sind die
Haupttreiber für den Anstieg des Stromverbrauchs
bis 2050 auf etwa 960 TWh. Der Stromverbrauch im
Jahr 2050 liegt dann 370 TWh höher als heute. Von
dem Anstieg entfallen etwa 160 TWh auf den
25
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Verkehr, 130 TWh auf die Wasserstoffherstellung
und etwa 70 TWh auf die Industrie. Leicht rückläufig
entwickelt sich der Stromverbrauch im Gebäudesek
tor. Effizienzverbesserungen bei Elektrogeräten,
Beleuchtung und der Ersatz von Nachtspeicherhei
zungen und Elektroboiler sparen mehr ein, als die
Wärmepumpen brauchen.
Die Erzeugung erfolgt vollständig klimaneutral. Dafür
steigt die installierte Leistung von Onshore-Wind
energie auf 130 GW, die von Offshore-Windenergie
auf 70 GW und die Photovoltaikleistung auf 355 GW.
Das Stromsystem im Jahr 2050 basiert zu 100 Pro
zent auf Erneuerbaren Energien. Inklusive Wasser
kraft und Biomasse decken Erneuerbare Energien im
Jahr 2050 88 Prozent des Stromverbrauchs direkt ab,
7 Prozent entfallen auf Gaskraftwerke, die aus
Erneuerbaren Energien erzeugten Wasserstoff als
Brennstoff nutzen. Die restlichen 5 Prozent werden
durch zwischengespeicherten oder importierten
Strom gedeckt. Das Stromsystem wird deutlich
flexibler: durch mehr Batteriespeicher, durch den
flexiblen Einsatz von Wärmepumpen, Elektrolyseu
ren und der Elektromobilität sowie einem intensi
Bruttostromverbrauch
Abbildung 7
1.200
+319 TWh
1.000
H₂/CO₂
962
824
+49 TWh
738
595
574
0
2
127
123
124
120
117
168
169
269
290
304
133
129
123
130
137
145
12
31
226
216
214
236
2035
159
149
2030
200
130
133
2025
400
30
2050
600
60
44
2045
643
131
80
2040
800
2018
Bruttostromverbrauch [TWh]
882
128
74
0
2030
2050
Produktion 19 TWh H₂
84 TWh H₂,
19 Mio. t CO₂ DAC
6 Mio. Wärmepumpen, Effizienz
Elektrogeräte,
effiziente Beleuchtung,
Rückgang Direktstromheizungen
14 Mio. Wärmepumpen, Zunahme
bei Kühlen und Lüften,
Effizienz Wärmepumpen, Rückgang
Direktstromheizungen,
Effizienz Elektrogeräte
Wärmepumpen,
effiziente Beleuchtung
Wärmepumpen,
effiziente Beleuchtung
27 % der Fahrleistung im
Straßengüterverkehr
mit Batterien und Oberleitungen, 14 Mio. E-Pkw
78 % der Fahrleistung im
Straßengüterverkehr
mit Batterien und Oberleitungen, 30 Mio. E-Pkw
Elektrifizierung
Prozesswärme, strombasierte Dampfproduktion,
effiziente Querschnittstechnologien
Elektrifizierung Prozesswärme, CO₂-Abscheidung,
strombasierte Dampfproduktion in Elektrokesseln und Hochtemperaturwärmepumpen
Industrie
Verkehr
GHD
PHH
Fernwärmeerzeugung
sonstige Umwandlung
Elektrolyse (H₂)
DAC
Ladung Speicher
Netzverluste
KW-Eigenverbrauch
Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. DAC = Direct Air Capture. PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen.
Verbrauch von Speichern (brutto) beinhaltet Pumpspeicher und stationäre Batteriespeicher in der öffentlichen Versorgung.
Der Stromverbrauch von Heimbatterien in Kombination mit PV-System wird hier nicht ausgewiesen. Bilanzierung nach AGEB.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
26
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
veren Stromhandel mit dem Ausland. Erneuerbare
Stromerzeugung kann durch den damit möglichen
räumlichen und zeitlichen Ausgleich auch bei hohen
fluktuierenden Anteilen effizient genutzt werden.
kraftwerke in Skandinavien und den Alpen. Im
Vergleich zu heute können durch Stromexporte in
diese Länder die Speicherstände – insbesondere im
Sommer und Herbst – geschont werden und somit im
Winter mehr Strom zur Verfügung gestellt werden.
Der kurzfristige Ausgleich von Stromnachfrage und
-angebot erfolgt dabei vorwiegend durch Batterie
speicher, Lastmanagement und den Stromhandel. Der
saisonale Ausgleich erfolgt im Wesentlichen durch
die Erzeugung und Rückverstromung von Wasser
stoff sowie durch die Nutzung der großen Speicher
Nettostromerzeugung und Importsaldo
1.000
Abbildung 8
Zunahme der Erzeugung um 50 Prozent
934
900
863
801
Nettostromerzeugung [TWh]
800
711
700
600
614
611
541
500
216
400
6
79
300
28
848
675
546
3
200
102
135
4
8
25
37
134
72
69
20
2018
2025
100
0
435
306
75
771
11
3
2030
7
12
12
133
24
13
84
7
2035
2040
17
42
32
2
2045
Erneuerbare
Wasserstoff
Sonstige
Braunkohle
Speicher
Erdgas
Steinkohle
Kernkraft
24
61
1
2050
Importsaldo
50
0
-50
-49
14
17
18
16
16
26
Hinweis: Sonstige Erzeuger: Kuppelgase, Abfall, Mineralöl, Sonstige. Speicher: Erzeugung aus Batterie- und Pumpspeichern.
Prognos (2020)
27
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Erneuerbare Energien
Abbildung 9
Installierte Leistung in GW
Nettostromerzeugung in TWh
562
1
6
512
848
771
2
6
8
21
Wasserkraft
431
675
3
6
355
292
Photovoltaik
546
315
268
28
21
252
38
21
211
306
179
117
7
6
45
6
52
150
51
91
70
61
Wind Offshore
36
25
11
65
80
119
94
130
128
Wind Onshore
216
42
18
46
19
90
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Notwendiger mittlerer jährlicher Ausbau
Bruttozubau, bei 25 Jahren Lebensdauer
2018
196
254
223
187
139
44
21
135
86
90
37
151
118
Abgeregelt
2018
233
435
7
6
7
6
331
18
21
352
5
6
4
21
Bioenergie
2025
182
-4
-15
2030
2035
270
288
-44
-49
2045
2050
239
-23
2040
Anteil Erneuerbarer Energien
am Bruttostromverbrauch
2021–2030
10 GW Photovoltaik
17 %
38 %
69 %
100 %*
2010
2018
2030
2050
1,7 GW Wind Offshore
4,5 GW Wind Onshore
Ausbaustärkste Jahrgänge
der Vergangenheit:
Photovoltaik: 8 GW (2010, 2012)
Wind Offshore: 2 GW (2015)
Wind Onshore: 5 GW (2014, 2017)
Kumulierter Bruttozubau
zwischen 2021 und 2030:
Photovoltaik: 98 GW
Wind Offshore: 17 GW
Wind Onshore: 44 GW
* Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom
Prognos (2020)
28
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Drei Säulen der Transformation:
Säule 3 – Wasserstoff als Energieträger
und Rohstoff
Der Wasserstoffeinsatz von 40 TWh im Verkehr
erfolgt überwiegend im schweren Güterkehr. Lastund Sattelzüge nutzen den Wasserstoff in Brenn
stoffzellen als Energieträger. Zu kleineren Anteilen
fahren auch leichtere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff.
In einem klimaneutralen Energiesystem wird Was
serstoff neben Strom eine sehr große Rolle spielen. Die
Wasserstoffnachfrage im Jahr 2050 beträgt etwa
270 TWh. Davon werden 31 Prozent in Deutschland
herstellt. Der restliche Wasserstoff wird importiert.
Der größte Teil des Wasserstoffbedarfs entfällt auf die
Stromerzeugung. In Zeiten, in denen eine Residual
nachfrage besteht, wird Wasserstoff in Gaskraftwer
ken als Brennstoff genutzt. Zum Teil erfolgt dies in
Kraft-Wärme-Kopplung, sodass auch ein Teil der
Fernwärme auf Wasserstoff basiert. Im Bereich der
Objektbeheizung erfolgt aus Kostengründen kein
Einsatz von Wasserstoff.
Im Industriesektor dient Wasserstoff vorwiegend zur
Direktreduktion von Eisenerz für eine CO₂-freie
Stahlherstellung, als Rohstoff in der Grundstoffche
mie und zur Erzeugung von Prozessdampf.
CO₂-freie Wasserstofferzeugung und -nutzung in Deutschland
Abbildung 10
Wasserstoffnachfrage
Wasserstofferzeugung
117
63
0
Papier
restliche Metalle
Grundstoffchemie
Roheisen, Stahl
Straßengüterverkehr
Mineralölverarbeitung
1
0,2
3
90
2
44
19
28
38
Importe
5
4
134
100
50
58
174
51
84
1
0
2050
29
108
7
184
2045
2035
22
150
8
6
172
2040
2030
50
156
31
200
2035
24
1
63
15
15
4
20
29
2050
35
38
2040
117
100
40
2030
47
150
34
225
36
2025
172
2045
200
250
Heizwert [TWh]
42
2025
Heizwert [TWh]
225
268
[Millionen Tonnen]
268
33
250
0
9
300
300
Wasserelektrolyse (Inland)
Strom, Fernwärme
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff.
29
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Zusätzlich zum Wasserstoff werden auch weitere
synthetische Energieträger in dem Szenario einge
setzt. Im nationalen und internationalen Schiffs- und
Flugverkehr werden CO₂-neutrale PtL-Kraftstoffe
verwendet, in geringem Umfang auch noch im
Straßenverkehr für die im Bestand verbleibenden
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Zudem wird in
der Industrie für die stoffliche Nutzung, die nicht
durch die verstärkte Kreislaufwirtschaft abgedeckt
werden kann, grünes Naphtha importiert. Stromba
sierte Brennstoffe und grünes Naphtha werden nicht
in Deutschland hergestellt, sondern importiert, in
Summe etwa 120 TWh.
Insgesamt ergibt sich für 2050 ein Bedarf an Was
serstoff und sonstigen synthetischen Brennstoffen
und Feedstocks in Höhe von 432 TWh, von denen
348 TWh importiert werden.
30
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Szenario Klimaneutral 2050 im Überblick
Kernindikatoren des Szenarios Klimaneutral 2050
Abbildung 11
KN2050
2018
Treibhausgasemissionen*
(Mio. t CO2-Äq.)
2030
2040
2050
2018–
2030
p. a. netto
2030–
2050
p. a. netto
98
123
89
65
58
5
438
65
1
45
43
18
24
52
3
185
85
2
-19
-30
0
1
44
2
-2
100
-10
-17
-6
-6
-4
-1
0
-35
-6
-8
-4
-3
-1
0
-22
Minderung im Vergleich zu 1990 (%)
LULUCF (nachrichtlich)
305
195
162
117
70
10
858
31
-27
2
0
Primärenergieverbrauch (PJ), davon
Kohlen
Mineralöle
Fossile Gase
13.129
2.909
4.452
3.099
8.578
349
2.108
2.613
7.208
34
817
1.354
6.573
0
2
3
-379
-213
-195
-41
-100
-17
-105
-131
Bruttostromverbrauch (TWh)
EE-Anteil am Bruttostromverbrauch (%)
Wind Onshore (GW)
Wind Offshore (GW)
Photovoltaik (GW)
595
38
52
6
45
643
69
80
25
150
824
82
119
51
252
962
100**
130
70
355
4
16
2
2
9
3
2
10
Anzahl Elektro-Pkw (inkl. Plug-in-Hybride, Mio. Stück)
Güterverkehrsleistung Schiene (Mrd. tkm)
Anzahl Wärmepumpen (Mio. Stück)
Nutzenergiebedarf Wohngebäude (kWh/(m²∙a))
0
135
1
106
14
190
6
85
32
210
11
71
30
230
14
60
1
5
0,4
-2
1
2
0,4
-1
Elektrolyseure in Deutschland (GW)
Einsatz von Wasserstoff (TWh)
Herstellung von erneuerbar erzeugtem H2 in DE (TWh)
Import Wasserstoff (TWh)
Import sonstiger synth. Brennstoffe u. Feedstocks (TWh)
0
0
0
0
0
10
63
19
44
1
25
172
38
134
8
51
268
84
184
164
1
5
2
4
0
2
10
3
7
6
Carbon Capture and Storage (Brutto-Menge, Mio. t CO2)
Prozessemissionen und Abfall (Mio. t CO2)
Negativemissionen (Mio. t CO2)
Negativemissionen inkl. stofflicher Bindung (Mio. t CO2)
Biomasse-CCS (BECCS, Mio. t CO2)
Direct-Air-Capture-CCS (DACCS, Mio. t CO2)
Importierte grüne Polymere (Mio. t CO2)
0
0
0
0
0
0
0
-1
-1
0
0
0
0
0
-22
-5
-17
-17
-15
-2
0
-73
-18
-56
-64
-37
-19
-8
0
0
0
0
0
0
0
-4
-1
-3
-3
-1
-1
0
Bevölkerung in Deutschland (Mio.)
EU-ETS, EUR2019/t
83
16
83
52
81
70
79
90
0
3
0
2
Energiewirtschaft
Industrie
Verkehr
Gebäude
Landwirtschaft
Abfall und sonstige
Summe
* Negativemissionen direkt in den Sektoren berücksichtigt.
** inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
31
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren
Abfall
Landwirtschaft
Jährliche Emissionen
[CO2-Äquivalente]
Verkehr
Gebäude
1.251
38
90
164
210
Historische Reduktion pro Jahr:
17 Mt CO2-Äq*
1.045
29
75
181
Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr:
909
11
73
165
Industrie
167
284
125
208
Energiewirtschaft
466
1990
Negative Emissionen werden
direkt in den Sektoren
berücksichtigt.
191
25 Mio. t CO2-Äq
858
10
70
750*
162
7
63
117
195
385
2000
344
133
438
91
5
58
2016
2018
-35
-28
-27
89
65
123
305
195
2020
Nachrichtlich: LULUCF
-29
-65 %
649
159
* Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
32
Abbildung 12
-18
311
3
55
43
42
93
185
52
98
74
2025
2030
2035
43
45
2040
4
2
4
2
82
48
2045
-7
-2
44
2050
-10
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
2
Methodik und Rahmenannahmen
2.1 Zielsetzung der Studie
Diese Studie zeigt Wege auf, wie Deutschland bis zum
Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Klimaneutral
bedeutet dabei, dass die Treibhausgasemissionen in
allen Bereichen vollständig oder fast vollständig
vermieden werden und die Restemissionen durch
negative Emissionen ausgeglichen werden. Insbeson
dere in der Landwirtschaft, aber auch in einzelnen
industriellen Prozessen verbleiben auch 2050 noch
Restemissionen. Diese Emissionen werden nicht
vermieden, sondern durch die CO₂-Entnahme aus der
Atmosphäre und Ablagerung – sogenannte negative
Emissionen über die CCS-Technologie – ausgegli
chen. Im Saldo wird Deutschland so klimaneutral.
Die Studie stellt einen aus Kostensicht und unter
Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten
Weg zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 dar.
Als Zwischenschritt wird im Hauptszenario Klima
neutral 2050 (KN2050) eine THG-Emissionsminde
rung Deutschlands von 65 Prozent bis zum Jahr 2030
erreicht (zur Ableitung des Ziels vgl. Kapitel 2.2). Eine
Variante – Klimaneutral Minimalvariante (KNmin)
– untersucht auch eine Minderung von 60 Prozent
bis 2030.
2.2 Treibhausgas-Emissions
minderungsziele
Klima- und Energiepolitik in Deutschland basieren
seit Verabschiedung der ersten Emissionsminde
rungsverpflichtungen im Juni 1990 (für den damali
gen Geltungsbereich des Grundgesetzes) beziehungs
weise vom November 1990 (für das vereinigte
Deutschland) auf klaren quantitativen Zielen für die
Minderung der nationalen Treibhausgasemissionen
(Matthes et al. 2020). Diese zunächst auf das Jahr
2005 formulierten Vorgaben wurden im Zeitverlauf
immer wieder aktualisiert, mit Blick auf den zeitli
chen Horizont ausgeweitet sowie durch entspre
chende Ziele in den Bereichen Energieeffizienz und
Erneuerbare Energien sowie den Ausstieg aus der
Kernenergienutzung ergänzt. Die aktuellen Emissi
onsminderungsziele von 55 Prozent für das Jahr 2030
sowie 70 Prozent für das Jahr 2040 (jeweils gegen
über 1990) wurden im Kontext des Energiekonzepts
2010/11 entwickelt (BMU 2011; Prognos/EWI 2010,
2011). Sie wurden dabei primär aus dem damals
gesetzten Ziel einer Rückführung der Treibhausgase
missionen um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 abgelei
tet, die Variante einer Emissionsminderung um
95 Prozent wurde für diese Zwischenziele und die
entsprechenden Modellanalysen letztlich nicht
reflektiert. Das mit dem Klimaschutzprogramm 2030
(BMU 2019) neu formulierte Ziel von Treibhausgas
neutralität bis zum Jahr 2050 hat bisher nicht zu
einer Anpassung der Zwischenziele für 2030 und
2040 geführt. Um Deutschland auf einen Pfad in
Richtung Klimaneutralität bis 2050 zu führen, ist
somit eine deutliche Anhebung der bisherigen
Zwischenziele für 2030 und danach notwendig.
Die folgende Abbildung zeigt zunächst die Entwick
lung der Treibhausgasemissionen für Deutschland
seit 1990.
→ Bis zum Jahr 2018 – dem letzten Jahr, für das
robuste Treibhausgasinventare vorliegen – sanken
die gesamten Treibhausgasemissionen gegenüber
1990 um 31,3 Prozent. Die ersten und mit noch
erheblichen Unsicherheiten verbundenen
Abschätzungen für 2019 zeigen eine Emissions
minderung zwischen 35 und 36 Prozent. Das
Emissionsniveau für das durch die COVID-19Krise geprägte Jahr 2020 lässt sich derzeit nicht
robust abschätzen, es ist jedoch für die nächsten
ein bis zwei Jahre wieder mit einem Anstieg der
Emissionen zu rechnen.
→ Die Treibhausgasemissionen der Energiewirt
schaft sind von 1990 bis 2018 um 35 Prozent
33
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
gesunken, wobei die Periode von 2000 bis 2014
durch eine weitgehende Stagnation der Emissi
onsminderung geprägt war. Erst seit 2015 sinken
die Emissionen der Energiewirtschaft wieder sehr
deutlich. Für die Industrie (inklusive Industrie
kraftwerke und Prozessemissionen) wurde bis
2018 eine Emissionsminderung von 31 Prozent
erreicht, wobei hier die Emissionsminderung seit
der Jahrtausendwende (und mit Ausnahme des
Krisenjahrs 2009) weitgehend stagniert. Die
Emissionstrends des nationalen Verkehrs sind
durch drei verschiedene Phasen gekennzeichnet.
Erstens ein deutlicher Anstieg der verkehrsbe
dingten Emissionen um circa 11 Prozent in den
1990er-Jahren sowie zweitens dann bis zum Jahr
2009 ein Rückgang um 18 Prozentpunkte, das
heißt auf ein Niveau von 7 Prozent unter dem von
1990. Seit 2010 steigen die Emissionen wieder
deutlich und erreichten für 2018 nur einen Wert
von 1 Prozent unter dem Basisniveau von 1990.
Die Emissionen aus dem Gebäudesektor sind von
1990 bis 2018 in einem relativ stetigen Prozess um
44 Prozent gesunken, wobei die zwischenjährigen
Schwankungen vor allem durch die Wetter
schwankungen bedingt sind.
Mit Blick auf das neu gesetzte Ziel von Klimaneut
ralität für 2050 und den entsprechenden Zwi
schenschritt für 2030 können die folgenden
Ableitungen erfolgen:
→ Ein stetiger beziehungsweise linearer Trend
zwischen dem Emissionsniveau für 2018 und dem
Ziel der Klimaneutralität für 2050 führt für das
Jahr 2030 zu einer Emissionsminderung von etwa
60 Prozent gegenüber 1990.
→ Der lineare Trend berücksichtigt jedoch nicht die
Altersstrukturen der besonders emissionsintensi
ven Kapitalstöcke beziehungsweise den Aufwuchs
der jeweiligen Alternativoptionen. Vor allem
deswegen wurden in den Vorbereitungsarbeiten
zum Energiekonzept 2010/11 unterschiedliche
Etappenziele definiert. Mit dem Emissionsminde
rungsziel von 55 Prozent für 2030 sollte ein Anteil
Historische Treibhausgasemissionen und nationale Treibhausgas-Emissionsminderungsziele
Abbildung 13
[Millionen Tonnen CO2-Äquivalente]
1.500
1.000
-65 %
750
500
250
0
1990
Öko-Institut (2020)
34
gesamte THG-Emissionen
1.250
1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Energiewirtschaft
Industrie
Gebäude
Landwirtschaft
Abfall
Verkehr (ohne Luftverkehr)
Luftverkehr national
Luftverkehr international
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
von knapp 70 Prozent der bis 2050 angestrebten
Emissionsminderung von 80 Prozent erzielt werden,
bis 2040 betrug dieser Anteil 88 Prozent. Bei einer
Übertragung dieser Strukturen auf das Ziel einer
vollständigen Klimaneutralität bis 2050 wären die
genannten Ziele von 70 beziehungsweise 88 Prozent
jeweils die Zwischenziele für 2030 und 2040,
jeweils im Vergleich zum Ausgangsniveau von 1990.
Im Rahmen der hier vorgelegten Analyse kann und
soll keine detaillierte Analyse der Emissionsminde
rungspotenziale und -kosten für die verschiedenen
Kapitalstöcke geleistet werden. Angesichts der
diversen Unsicherheiten und auch der zwischenzeit
lich auf sektoraler Ebene sehr unterschiedlich
verlaufenden Emissionstrends wird das aus einer
rein nationalen Perspektive abgeleitete Emissions
minderungsziel für 2030 über einen pragmatischen
Ansatz ermittelt. Als Mittelwert zwischen dem
linearen Trend und dem zeitlichen Emissionsminde
rungsprofil des Energiekonzepts 2010/11 ergibt sich
für das Jahr 2030 ein Zielniveau für die deutschen
Treibhausgasemissionen von etwa 65 Prozent unter
dem Basiswert von 1990.
Eine rein nationale Ableitung ist jedoch im Kontext
der in der Europäischen Union geschaffenen Archi
tektur der Klimaschutzpolitik nicht mehr ohne
Weiteres möglich. Denn das Zielsystem der deutschen
Klima- und Energiepolitik ist in zentralen Bereichen
(Treibhausgasemissionen, Energieerzeugung auf
Basis erneuerbarer Energiequellen, Energieeffizienz
etc.) auch eingebettet in die entsprechenden Rah
mensetzungen der Europäischen Union (EU). Die
bisher gültigen nationalen Ziele für Deutschland sind
jedoch über längere Zeiträume und in unterschiedli
chen Prozessen entstanden, sodass sie bisher nicht in
allen Bereichen beziehungsweise in Gänze konsistent
zu den zwischenzeitlich geschaffenen europäischen
Rahmensetzungen sind. So stammt das aktuelle
deutsche Treibhausgas-Emissionsminderungsziel für
2030 (55 Prozent gegenüber 1990) aus dem Jahr 2010,
während die zentralen EU-Vorgaben in diesem
Bereich erst mit der EU-Klimaschutzverordnung
(Effort Sharing Regulation – ESR) und der Revision
des EU-Emissionshandelssystems (European Union
Emissions Trading System – EU ETS) im Jahr 2018 in
Kraft gesetzt wurden.1
Grundsätzlich ist das aktuelle nationale Minderungs
ziel für Deutschland von 55 Prozent gegenüber 1990
jedoch mit dem bisherigen EU-Zielsystem konsistent.
Mit der anstehenden Erhöhung des Ambitionsni
veaus für die Klimaschutzzusagen der EU im Rahmen
des Klimaschutzabkommens von Paris (Nationally
Determined Contributions – NDCs) wird auch die
Architektur der EU-Klimaschutzpolitik angepasst
werden müssen, daraus ergeben sich auch Konse
quenzen für die Treibhausgas-Emissionsminderun
gen, die in Deutschland erbracht werden müssen und
entsprechend auch Anpassungsbedarf für die
nationalen Ziele.
Für die relativ komplexe Klimaschutzarchitektur der
EU sind als internationale Verpflichtung zunächst die
NDCs relevant:
→ Die Treibhausgas-Emissionsminderungszusage
bezieht sich auf das Jahr 1990 und beträgt bisher
40 Prozent. Im Kontext des European Green Deals
hat die Europäische Kommission eine Erhöhung
dieser Verpflichtung auf 55 Prozent vorgeschlagen.
→ Einbezogen in diese Verpflichtung sind bisher alle
Treibhausgasemissionen aus dem Energieeinsatz
(einschließlich des gesamten nationalen und
internationalen Flugverkehrs), aus Industriepro
1
Verordnung (EU) 2018/842 des Europäisches Parlaments
und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung ver
bindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung
der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis
2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks
Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen
von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 525/2013 sowie Richtlinie (EU) 2018/410 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März
2018 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks
Unterstützung kosteneffizienter Emissionsreduktionen
und zur Förderung von Investitionen mit geringem CO₂Ausstoß und des Beschlusses (EU) 2015/1814
35
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
zessen und Produktverwendung, Landwirtschaft
sowie der Abfallwirtschaft. Eine Anrechnung von
Emissionen oder Kohlenstoffeinbindungen aus
Landnutzung, Landnutzungsänderungen und
Forstwirtschaft (land use, land use change and
forestry – LULUCF) sind für die NDCs bisher nur in
begrenztem Umfang möglich. Im Zuge des European Green Deals kann es jedoch für die neue
EU-Verpflichtung auch noch zu Veränderungen bei
den sektoralen Erfassungsbereichen kommen.
Die Umsetzung dieser Zusage innerhalb der EU bezie
hungsweise durch die Mitgliedstaaten auf Ebene der
Ziele erfolgt im Rahmen von zwei wesentlichen
rechtlichen Regelwerken (zu Details siehe Öko-Insti
tut; Agora Energiewende (2020)).
→ Die Richtlinie zum Europäischen Emissions
handelssystem für Treibhausgase (European Union
Emissions Trading System – EU ETS) reguliert die
Emissionen aus der Energiewirtschaft und
wesentlichen Teilen der Industrie sowie aus dem
innereuropäischen Luftverkehr auf Basis eines
EU-weiten Ansatzes. Die Einbeziehung von
Emissionen der in der EU ankommenden und aus
der EU abgehenden internationalen Flüge ist
prinzipiell vorgesehen, bleibt aber derzeit ausge
setzt, sodass dieses Segment, obwohl von den
NDCs erfasst, bis auf Weiteres unreguliert bleibt.
Das Emissionsziel des EU ETS wird über das Cap
definiert. Dieses wird auf Grundlage eines Start
niveaus und einer jährlichen Reduktion (über den
sogenannten linearen Reduktionsfaktor – LRF)
gesetzt.2 Aus Gründen der Vergleichbarkeit wird
2
36
Das Startniveau für die Ermittlung des Caps über den LRF
ist mit dem Durchschnittswert des Caps für den Zeit
raum 2008 bis 2012 vorgegeben, der LRF beträgt bis
her 1,74 Prozent für den Zeitraum bis 2020 und 2,2 Pro
zent ab 2021. Neben dem wie beschrieben ermittelten
Cap wird die Zahl der im Markt verfügbaren Emissions
berechtigungen auch noch durch weitere Regelungen
(die sogenannte Marktstabilitätsreserve – MSR, diverse
Löschungsoptionen für Emissionsberechtigungen etc.)
beeinflusst, die hier nicht weiter berücksichtigt werden.
der Zielwert für das Cap immer auch im Ver
gleich zum Basisniveau für das Jahr 2005 angege
ben, derzeit wird hier eine Minderung von
43 Prozent vorgegeben.
→ Die EU-Klimaschutzverordnung (Effort Sharing
Regulation – ESR) reguliert alle anderen Treibhaus
gas-Emissionsquellen sowie die Quellen und
Senken aus LULUCF. Hier werden die Emissions
ziele jedoch nicht nur auf Ebene der EU festgelegt,
sondern auf die einzelnen Mitgliedsstaaten
heruntergebrochen. Das zentrale Kriterium dafür
bildet das einwohnerspezifische Bruttoinlandspro
dukt. Als Basisniveau für die Zielbestimmung mit
Blick auf das Jahr 2030 dient auch hier das Jahr
2005. Die Mitgliedsstaaten können die Zielerrei
chung gemeinsam vorantreiben und (in sehr
begrenztem Umfang) eine Reihe anderer Flexibili
tätsmechanismen in Anspruch nehmen (Stilllegung
von Emissionsberechtigungen des EU ETS zur
Zielerfüllung im Rahmen der ESR). In begrenztem
Umfang und unter sehr spezifischen Bedingungen
können auch Netto-Emissionsminderungen aus
LULUCF auf die Zielerreichung angerechnet
werden. Für Deutschland beträgt die Minderungs
vorgabe im Rahmen der EU-Klimaschutzverord
nung derzeit 38 Prozent gegenüber 2005.
Unterstellt man für die durch den EU ETS regulierten
Wirtschaftsbereiche in Deutschland im Vergleich zur
EU-weiten Vorgabe eine proportionale Emissions
minderung, so resultiert eine gesamte Emissionsmin
derung von etwa 53 Prozent (ohne Berücksichtigung
des internationalen Flugverkehrs), hier nun gegen
über dem Basisjahr 1990. Dieser Wert liegt leicht
unter dem aktuellen deutschen Emissionsminde
rungsziel von 55 Prozent, für das jedoch auch noch
das im EU-Vergleich größere Potenzial kostengünsti
ger Emissionsminderungen vor allem in der Energie
wirtschaft in Betracht gezogen worden ist.
Mit Blick auf die Novellierung der NDCs der EU
liegen zwar Vorschläge für das übergeordnete
Emissionsminderungsziel der EU vor, es müssen
aber zur Ableitung der Konsequenzen für Deutsch
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
land noch weitere Annahmen für die Umsetzung im
Rahmen der oben genannten rechtlichen Regel
werke getroffen werden.3
→ In den Analysen zum neuen Klimaschutzziel der EU
herrscht breiter Konsens, dass die durch den EU
ETS regulierten Energiewirtschafts- und Indust
riesektoren den größeren Teil der Emissionsmin
derung erbringen werden müssen. Mit Blick auf die
Struktur der Kapitalstöcke, die Erneuerungszyklen
sowie die Kostensituation ist in der Analyse von
Öko-Institut und Agora Energiewende (Öko-Insti
tut; Agora Energiewende (2020)) für ein Gesamte
missionsminderungsziel von 55 Prozent gegenüber
1990 davon ausgegangen worden, dass ein robust
ermitteltes Cap des EU ETS für die stationären
Anlagen für 2030 auf einem Niveau von 61 Prozent
(und damit um 18 Prozentpunkte mehr als bisher)
unter dem Basiswert für 2005 liegen sollte. Darü
ber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in Deutsch
land mit einem vergleichsweise großen Anteil der
Kohleverstromung ein größeres Emissionsminde
rungspotenzial mit vergleichsweise günstigen
Vermeidungskosten im Bereich der Energiewirt
schaft über die CO₂-Bepreisung des EU ETS
erschließbar ist. Würde die CO₂-Last der fossilen
Stromerzeugung für Deutschland dem entspre
chenden Mittelwert der EU-27 entsprechen, so
ergibt sich unter Maßgabe der oben genannten
Reduktionsvorgabe für den EU ETS mit Blick auf
Deutschland ein Zielwert, der um circa 4 Prozent
punkte über dieser EU-weiten Minderungsvor
gabe, also 65 Prozent unter dem Startwert des
Jahres 2005 liegt. Als Variantenrechnung für den
Kontext eines übergeordneten Emissionsminde
rungsziels von 50 Prozent würde auf gleicher
methodischer Basis die Zielvorgabe für die vom EU
3
Den Analysen zur Folgenabschätzung für das neue
Klimaschutzziel liegen teilweise sehr unterschiedli
che Erfassungsbereiche für die Verpflichtung (LULUCF,
Einbeziehung der Emissionen aus der internationalen
Seeschifffahrt etc.) zugrunde, sodass eine unmittelbare
Vergleichbarkeit mit den im Folgenden genannten Daten
nicht gegeben ist.
ETS regulierten Emissionen 52 Prozent für die
EU-27 insgesamt beziehungsweise 55 Prozent für
Deutschland betragen.
→ Für die über den EU ETS regulierten Treibhausga
semissionen aus dem (innereuropäischen) Luftver
kehr ergeben sich auf Grundlage der derzeitigen
Regelungen des EU ETS entsprechende Emissions
ziele von 45 beziehungsweise 35 Prozent im
Vergleich zum Basisniveau von 2005.
→ Für den Regelungsbereich der ESR ergibt sich im
Kontext eines 55-Prozent-Minderungsziels der
EU-27 (im Vergleich zu 1990) sowie unter Maßgabe
einer Emissionsminderung im EU ETS von 61 Pro
zent für die stationären Anlagen eine EU-weite
Emissionsminderungsvorgabe für den Erfassungs
bereich der ESR von 47 Prozent (Öko-Institut,
Agora Energiewende (2020)). Für die Variante eines
übergeordneten 50-Prozent-Minderungsziels für
die gesamten Treibhausgasemissionen sowie der
oben genannten Beiträge des EU ETS würde für die
EU-27 insgesamt ein ESR-Minderungsziel von
45 Prozent entstehen. Mit Blick auf die zukünftige
Aufteilung der entsprechenden Minderungsver
pflichtungen auf die Mitgliedsstaaten muss
einerseits davon ausgegangen werden, dass
angesichts des deutlich größeren Ambitionsni
veaus die Bandbreite der berücksichtigten Indika
toren im Vergleich zu den heutigen Regelungen
deutlich steigen könnte (neben BIP gegebenenfalls
auch Emissionstrends, Pro-Kopf-Werte etc.).
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei relativ
großen Spreizungen der länderspezifischen
ESR-Verpflichtungen eine Inanspruchnahme der
Flexibilitätsoptionen (vor allem der Handel zwi
schen den Mitgliedsstaaten) wahrscheinlicher und
wohl auch notwendig wird. Vor diesem Hinter
grund sowie mit Blick auf die deutlich größere
Homogenität der ESR-Sektoren in der EU-27 wird
im Folgenden für Deutschland eine Minderung der
durch die ESR regulierten Treibhausgasemissionen
auf Basis der oben genannten Mittelwerte von
45 bis 47 Prozent unterstellt.
→ Insgesamt ergibt sich auf Grundlage dieser Annah
men ein nationales Emissionsminderungsziel für
37
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Historische Treibhausgasemissionen und aus der EU-Zielarchitektur
abgeleitete Treibhausgas-Emissionsminderungsziele
Abbildung 14
EU-Emissionshandel (EU ETS, stationäre Anlagen)
750
500
[Millionen Tonnen CO2-Äquivalente]
250
-55 %
-65 %
-45 %
-47 %
-60 %
-65 %
0
EU-Klimaschutzverordnung (ESD/ESR)
750
500
250
0
gesamte THG-Emissionen
1.250
1.000
750
500
250
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Energiewirtschaft
Industrie
Haushalte & GHD
Landwirtschaft
Abfall
Verkehr (ohne Luftverkehr)
Luftverkehr national
Luftverkehr international
Öko-Institut (2020)
2030 von 65 Prozent beziehungsweise von 60 Pro
zent für die Variante einer geringeren Emissions
minderungsvorgabe für die von ESR und ETS
regulierten Bereiche.
Der aus einer rein nationalen Perspektive abgeleitete
Zielwert für die Emissionsminderung bis 2030 in der
Größenordnung von 65 Prozent sowie die in Abbil
dung 14 zusammengestellten Zielwerte für die
einzelnen Regelungssegmente der EU-Klimaschutz
architektur bilden damit die Grundlage für das
KN2050-Szenario (minus 65 Prozent gegenüber 1990
im Jahr 2030) sowie die Variantenuntersuchung im
KNmin-Szenario (minus 60 Prozent gegenüber 1990
im Jahr 2030).
38
2.3 Methodik
In Zusammenarbeit von Öko-Institut, Wuppertal
Institut und Prognos wurden im Rahmen dieser
Studie zwei Szenarien modelliert. Ziel eines jeden
Szenarios war die Erreichung von Klimaneutralität
im Jahr 2050. Für das Zwischenjahr 2030 unter
scheiden sich die Szenarien durch die vorgegebene
Mindestminderung von 60 Prozent (KNmin) bezie
hungsweise 65 Prozent (KN2050).
Die Federführung der einzelnen Sektoren lag bei den
verschiedenen Partnern. Das Öko-Institut hat die
Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Abfall und
LULUCF federführend bearbeitet, das Wuppertal
Institut den Industriesektor und Prognos den Gebäu
desektor und die Energiewirtschaft. Die Gesamtpro
jektleitung wurde von Prognos übernommen.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Die Szenarien berücksichtigen nicht nur die energie
bedingten Emissionen, sondern die Treibhausgase
missionen sämtlicher Sektoren. Auch die oft ver
nachlässigten Sektoren Landwirtschaft, Abfall und
Landnutzung werden detailliert betrachtet, ebenso
wie Methan- und Lachgasemissionen bei der
Nutzung von Biomasse sowie andere kleine
Emissionsquellen. Senken, das heißt die Kohlenstoff
aufnahme durch Wälder und Böden, werden zwar
nachrichtlich ausgewiesen, aber nicht als Beitrag zum
Klimaschutz angerechnet. Datenlage und Prognosen
in diesem Bereich sind nach wie vor sehr ungenau.
Zudem besteht aktuell eher die Gefahr, dass aufgrund
des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten
Wälder und Böden zu CO₂-Quellen statt -Senken
werden. Die Bilanzierung der Treibhausgase erfolgt
auf Basis der Bestimmungen der Nationalen Inven
tarberichte gemäß der Klimarahmenkonvention
(UNFCCC). Dementsprechend wird für alle Treibhaus
gase das Treibhausgaspotenzial über einen Zeithori
zont von 100 Jahren (GWP100) aus dem vierten Sach
standsbericht (AR4) des IPCC zugrunde gelegt.
formation wurde auch immer die Frage der techni
schen Umsetzbarkeit und des möglichen Markthoch
laufs mit betrachtet. Um möglichst robuste Szenarien
zu erhalten, wurde ein Fokus auf Technologien mit
möglichst geringen technologischen und wirtschaft
lichen Risiken gesetzt. Der Einsatz von CCS wurde
weitestgehend reduziert, stattdessen wurden – wo
immer möglich – alternative Technologien bevorzugt.
Zur Erreichung der Minderungspfade der betrachte
ten Szenarien wurden in den einzelnen Sektoren
diverse Maßnahmen angenommen und deren Effekte
berechnet. Das Hauptkriterium bei der Auswahl war
die jeweilige Wirtschaftlichkeit. Maßnahmen mit
geringeren CO₂-Vermeidungskosten wurden in der
Regel teureren Maßnahmen vorgezogen. Aufgrund
der an vielen Stellen notwendigen schnellen Trans
Insgesamt stellen die hier untersuchten Pfade damit
realistisch-ambitionierte Szenarien dar, wie
Deutschland auf Basis einer aktiven Klimapolitik
klimaneutral wird und dabei gleichzeitig Wohl
stand gemehrt und der Wirtschaftsstandort
Deutschland gesichert werden kann. Die Investitio
nen werden im Rahmen der normalen Modernisie
rungszyklen getätigt.
Die hier vorgestellten Szenarien setzen explizit nicht
auf Verzicht als notwendige Voraussetzung für
Klimaneutralität. So geht die Studie von einem
durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum
von 1,3 Prozent pro Jahr aus, die Pro-Kopf-Wohn
fläche steigt weiter und auch die Mobilität bleibt
vollumfänglich erhalten. Im Bereich der Ernährung
wurden gesellschaftliche Trends fortgeschrieben, so
unter anderem ein moderater Rückgang des Milch
konsums und eine Verschiebung des Fleischkonsums
hin zu mehr Geflügel sowie eine leichte Steigerung
hin zu mehr Biolebensmitteln. Der Industriestandort
Deutschland erhält sein hohes Produktionsniveau.
39
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Sektorale Abgrenzung
Die Abgrenzung der Sektoren in dieser Studie basiert auf der Einteilung nach dem Klimaschutzgesetz.
Es werden sieben Sektoren unterschieden:
Energiewirtschaft
Der größte Bereich der Energiewirtschaft ist die öffentliche Stromversorgung inklusive der Einspeisung von
Wärme in das öffentliche Wärmenetz. Darüber hinaus werden hier auch die gesamten Emissionen der
Raffinerien (inklusive Kraftwerke), der Kraftwerke des Braunkohlebergbaus sowie die Emissionen der Abfall
verbrennungsanlagen bilanziert. Der Brennstoffeinsatz aus Pipelineverdichtern und flüchtige Emissionen
aus dem Kohlebergbau und Leckagen werden ebenso berücksichtigt. Hingegen nicht zur Energiewirtschaft
zählen die Kraftwerke des verarbeitenden Gewerbes. Diese werden der Industrie z ugerechnet.
Industrie
Im Sektor Industrie sind gemäß der Abgrenzung des Klimaschutzplanes der Bundesregierung die energie
bedingten Emissionen des Verarbeitenden Gewerbes und der Bauindustrie sowie die prozessbedingten
Emissionen der Industrie. Des Weiteren werden hier auch die Emissionen abgebildet, die sich aus der
Nutzung von Produkten ergeben. Raffinerien und eigenständige Kokereien gehören zwar zum Verarbeiten
den Gewerbe, sind hier jedoch ausgenommen und dem Sektor Energiewirtschaft zugerechnet.
Gebäude
Der Gebäudesektor umfasst hier den Energieverbrauch der Sektoren Private Haushalte und Gewerbe,
Handel, Dienstleistungen. Im Gegensatz zur deutschen Energiebilanz wird der Verbrauch des bauwirt
schaftlichen Verkehrs dem Industriesektor zugerechnet und der Energieverbrauch der Landwirtschaft wird
im Sektor Landwirtschaft ausgewiesen. In dieser Abgrenzung umfasst der Gebäudesektor nebst dem
Verbrauch für gebäudebezogene Anwendungen wie Raumwärme, Warmwasser, Haustechnik und Klima
kälte auch den Energieverbrauch von Elektrogeräten, Beleuchtung (inklusive Straßenbeleuchtung) und den
Verbrauch gewerblicher Prozesse.
Verkehr
Im Verkehrssektor werden entsprechend der Inventarlogik nur die Treibhausgasemissionen bilanziert, die
direkt durch die Fahrzeugnutzung erzeugt werden (Tank-to-Wheel). Andere indirekt dem Verkehr
zuzuordnende Emissionen wie der Energieaufwand für die Fahrzeugproduktion, Batterieherstellung,
Stromerzeugung für die Elektromobilität und den Schienenverkehr sowie die Emissionen bei der Herstel
lung von Kraftstoffen, beispielsweise von Biokraftstoffen, werden in anderen Sektoren bilanziert bezie
hungsweise fließen, falls die Herstellung im Ausland erfolgt, gar nicht in die nationalen Inventare ein.
Landwirtschaft
Im Landwirtschaftssektor werden nach der Inventarlogik die Treibhausgase der Landwirtschaft bilanziert,
die durch biologische Prozesse, wie zum Beispiel die Verdauung der Wiederkäuer und Stickstoffprozesse in
den Böden entstehen. Die CO₂-Emissionen, die aus der landwirtschaftlichen Nutzung von Mooren stam
men, werden im LULUCF-Sektor bilanziert. Zudem werden nach dem Klimaschutzplan der Bundesregie
rung auch die energiebedingten Emissionen des Landwirtschaftssektors hinzugezählt. Diese umfassen
40
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
sowohl den Wärmebedarf von Gewächshäusern, Stallungen, Trocknung und Gebäude als auch den Kraft
stoffeinsatz in der Landwirtschaft.
Abfall
Zum Abfallsektor zählen die nicht energetischen Treibhausgasemissionen der Abfallwirtschaft. Das sind
Methanemissionen aus der Deponierung von Abfällen, Methan- und Lachgasemissionen aus der biologi
schen Abfallbehandlung sowie aus mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlagen. Zudem werden
Methan- und Lachgasemissionen aus der Abwasserbehandlung berücksichtigt. Einige Aktivitäten im
Abfallbereich, wie der Betrieb von Müllverbrennungsanlagen oder Recyclingmaßnahmen, führen in der
Regel zu Emissionen oder Einsparungen in anderen Sektoren und werden daher in der Energiewirtschaft
oder in der Industrie berücksichtigt.
Nachrichtlich: Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Fortwirtschaft (LULUCF)
Unter LULUCF werden flächenbezogene Emissionen für die Kategorien Wald, Ackerland, Grünland, Feucht
gebiete und Siedlungen bilanziert. In sogenannten Senken kann CO₂ auf der Fläche gespeichert werden,
beispielsweise in Bäumen im Wald. Auf Flächen können aber auch Treibhausgase freigesetzt werden. Zu
solchen Quellen zählen zum Beispiel landwirtschaftlich genutzte Moorböden und zu Acker umgewandeltes
Grünland. Zudem wird der Holzproduktspeicher, der keinen Flächenbezug aufweist, zum LULUCF-Sektor
gezählt. In dieser Studie werden die Emissionen nur nachrichtlich ausgewiesen.
Abgrenzung der Sektoren erfolgt nach dem Klimaschutzplan
Sektor
Energiewirtschaft
Tabelle 1
CRF-Kategorie
1.A.1.a Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung,
1.A.1.b Mineralölraffinerien,
1.A.1.c Herstellung von festen Brennstoffen,
1.A.3.e Energieeinsatz zum Betrieb von Pipelines – Erdgasverdichter,
1.B. Diffuse Emissionen
Industrie
1.A.2 Industrie (energiebedingt),
2 Prozessemissionen
Gebäude
1.A.4.a-b GHD und private Haushalte,
1.A.5 andere stationäre Einrichtungen (z. B.: Militär)
Verkehr
Landwirtschaft
1.A.3.a-d zivile Luftfahrt, Straßenverkehr, Schienenverkehr, Schifffahrt
1.A.4.c Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (energiebedingt),
3 Landwirtschaft
LULUCF (nachrichtlich)
Abfall
4 Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft
5 Abfall
CRF: Common-Reporting-Format gemäß Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zur Klimaberichterstattung (UN-FCCC 2020)
41
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
2.4 Rahmendaten
Lebenserwartung sowie Zu- und Abwanderung. Die
Anzahl der Haushalte steigt bis 2050 auf 43 Millio
nen. Ein Grund für den Anstieg ist die weiterhin
sinkende durchschnittliche Haushaltsgröße. Die
Zahl der Erwerbstätigen sinkt kontinuierlich ab
2020 mit 45 Millionen, mittelfristig im Jahr 2030
auf 42 Millionen und 2050 auf 39 Millionen. Dies
liegt vor allem in der demografischen Entwicklung
begründet. Die Bevölkerung nimmt ab und wird
älter, sodass sich die Anzahl der Personen im
Erwerbsalter verringert.
Für die Entwicklung des Energieverbrauchs und der
Treibhausgasemissionen sind die zentralen Variablen
die Bevölkerung, die Zahl der Haushalte, das Brutto
inlandsprodukt (BIP), die Bruttowertschöpfung
(BWS), die Zahl der Erwerbstätigen, die Heiz- und
Kühlgradtage sowie die Energie- und CO₂-Preise.
Tabelle 2 fasst die zeitliche Entwicklung der wich
tigsten Annahmen bis 2050 zusammen.
Im Szenario verringert sich die Bevölkerung ab 2016
von 83 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner
um fünf Prozent auf 79 Millionen im Jahr 2050. Die
Annahmen basieren auf der 14. Bevölkerungsvor
ausberechnung und unterstellen jeweils eine
moderate Entwicklung bei der Geburtenhäufigkeit,
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt steigt die reale
Wirtschaftsleistung zwischen 2016 und 2050
durchschnittlich um rund 1 Prozent pro Jahr.
Insgesamt erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt
von 3.290 Milliarden Euro im Jahr 2020 über
Rahmendaten
Tabelle 2
2016
2020
2030
2040
2050
Bevölkerung
Mio.
83
83
83
81
79
Haushalte
Mio.
41
42
43
43
43
Erwerbstätige
Mio.
44
*
42
40
39
BIP
Mrd. EUR2019
3,29
*
4,03
4,548
5,2
Bruttowertschöpfung
Mrd. EUR2019
2,957
*
3,622
4,082
4,648
Energiepreise (Grenzübergang)
Rohöl
USD2019/Barrel
42
40
62
59
55
Erdgas
EUR2019/MWh (Hs)
15
12
20
21
22
Steinkohle
EUR2019/MWh (Hs)
8
7
8
8
8
2016
2020
2030
2040
2050
EU-ETS (KN2050)
EUR2019/t
5
25
52
70
90
EU-ETS (KNmin)
EUR2019/t
5
25
47
70
90
Heizgradtagszahl
3,407
3,375
3,343
3,223
3,104
Kühlgradtagszahl
165
168
177
186
193
* aufgrund der Corona-Effekte keine belastbare Schätzung für 2020.
Prognos, WEO 2019
42
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
4.030 Milliarden im Jahr 2030 auf 5.200 Milliarden
Euro im Jahr 2050.
Die angenommenen Energiepreise für Rohöl, Erdgas
und Steinkohle basieren auf dem Szenario Sustainable Development des World Energy Outlooks 2019
und wurden für die nächsten drei Jahre mit den
aktuellen Terminmarktpreisen fortgeschrieben.
auf 3.104 im Jahr 2050. Die Anzahl der Kühlgradtage
steigt hingegen von 165 im Jahr 2016 bis auf 193 im
2050 an. Grundlage für diese Abschätzung sind
Angaben der EU-Kommission (EU-COM, 2016).
Die Preisentwicklung für den EU ETS wurde im
Rahmen dieser Studie unter Annahmen zur notwen
digen Minderung des ETS-Sektors bei verschärften
Gesamtzielen mithilfe von Modellberechnungen der
europäischen Stromerzeugung berechnet. Im Zeit
raum bis 2035 ergibt sich der ETS-Preis dabei primär
durch die Verdrängung der Kohleverstromung durch
Erdgas. Langfristig orientiert sich der Preispfad am
EU-Reference-Szenario 2016 und steigt auf
90 Euro 2019 /t. Es wurde davon ausgegangen, dass ein
Teil der Minderungen im industriellen Teil des ETS,
wie zum Beispiel Einsatz von Wasserstoff bei der
Stahlproduktion, nicht durch den EU-ETS-Preis
allein, sondern durch flankierende Maßnahmen wie
Förderprogramme ausgelöst werden. Diese Minde
rungen entlasten den ETS und führen zu dem relativ
geringen Zertifikatepreis. Langfristig nach 2030
besteht eine größere Unsicherheit über den ETSPreis, da unklar ist, inwieweit zukünftige Minderun
gen der Industrie hauptsächlich über den EU ETS
angereizt werden oder nicht.
Über die Heiz- beziehungsweise Kühlgradtagszah
len kann der Einfluss der Jahreswitterung auf den
Wärme- beziehungsweise den Kühlbedarf eines
Gebäudes berechnet werden. In den Szenarien wird
eine Klimaerwärmung unterstellt, die Winter-, aber
auch die Sommermonate werden im Mittel der Jahre
wärmer. Dadurch verringert sich der Bedarf nach
Raumwärme im Winter, während der Bedarf nach
Klimakälte zur Kühlung der Gebäude im Sommer
ansteigt. Die unterstellte Entwicklung der Gradtags
zahlen wurde abgeleitet aus einer Studie im Auftrag
des UBA (2008). Die Gradtagszahlen sinken im
Zeitverlauf um zehn Prozent von 3.407 im Jahr 2016
43
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
44
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
3
Ergebnisse Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050)
3.1 Übersicht
Im Szenario KN2050 erreicht Deutschland im Jahr
2050 die Klimaneutralität. Im Zeitraum bis 2030
erfolgt dabei eine Reduktion der Treibhausgasemissi
onen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent. Sektoren
übergreifend setzt sich in den darauffolgenden zwei
Dekaden bis 2050 der Trend der Elektrifizierung fort
und Wasserstoff gewinnt als Sekundärenergieträger
und Rohstoff eine zunehmende Bedeutung. Effizi
enzverbesserungen helfen ebenso in allen Bereichen
bei der Reduktion der Emissionen. Eine immer
wichtigere Rolle spielt auch die Bioenergie. Der
Anbau verlagert sich von flüssiger beziehungsweise
gasförmiger Bioenergie stärker in Richtung fester
Biomasse. Der Einsatz konzentriert sich auf Bereiche
und Standorte, in denen keine guten Alternativen
bereitstehen und die – mit Blick auf die notwendigen
Negativ-Emissionen – für CCS geeignet sind.
Durch die angenommenen Maßnahmen können die
THG-Emissionen in allen Sektoren außer der Land
wirtschaft sehr stark gesenkt werden. In Summe
werden die Emissionen um 95 Prozent im Vergleich
zu 1990 gesenkt.
Es verbleiben Emissionen in Höhe von 62 Mio. t
CO₂-Äq, die sich durch Vermeidungsmaßnahmen
nicht reduzieren lassen – das entspricht 5 Prozent der
Emissionen des Jahres 1990. Diese kommen vor allem
im Landwirtschaftssektor durch biologische Prozesse
in Böden (Düngemittel) und bei der Tierhaltung
zustande. Auch bei industriellen Prozessen und in der
Abfallwirtschaft verbleiben restliche Emissionen.
Demgegenüber können die energiebedingten Treib
hausgasemissionen durch den Einsatz erneuerbarer
Energieträger nahezu völlig vermieden werden.
Lediglich sehr geringe Mengen an Methan- und
Lachgasemissionen durch Lagerung, Transport und
Verbrennung von Biomasse und synthetischen
Brennstoffen verbleiben.
Die Emissionen werden vorwiegend durch den
Einsatz von Biomasse-CCS, Direct Air Carbon Capture
and Storage und der stofflichen Bindung von CO₂ in
grünen Polymeren kompensiert. Bei diesen Technolo
gien wird CO₂ aus der Atmosphäre direkt oder
indirekt entnommen und langfristig abgelagert.
Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der
THG-Emissionen in den einzelnen Sektoren.
Mit dieser Entwicklung einher geht der Primärener
gieverbrauch. Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert
sich der Energiegehalt aller in Deutschland direkt
oder zur Umwandlung in Sekundärenergieträger
genutzten Energieträger. Der Primärenergiever
brauch geht von heute ungefähr 13.000 Petajoule (PJ)
auf etwa 6.600 PJ zurück.
Der Verbrauch sinkt durch wesentlich geringere
Verluste bei der Energieumwandlung und durch
einen deutlichen Rückgang des Endenergiever
brauchs.
Der Endenergieverbrauch sinkt im Zeitraum 2018 bis
2030 von etwa 9.000 PJ um 17 Prozent auf etwa
7.500 PJ. Bis 2050 sinkt der Endenergieverbrauch im
Vergleich zu 2018 um etwa 36 Prozent auf 5.700 PJ.
Wesentliche Treiber für den Rückgang sind Gebäu
desanierungen, effizientere Beleuchtung, verbrauchs
arme Geräte und deutliche Effizienzgewinne im
Verkehr durch die zunehmende Elektrifizierung. Der
zunehmende Einsatz von Wärmepumpen zur Erzeu
gung von Raumwärme und Warmwasser senkt durch
die Nutzung von Umweltwärme den Einsatz von
Brennstoffen. Nach Sektoren betrachtet geht der
Endenergiebrauch bis zum Jahr 2050 im Verkehr mit
57 Prozent am stärksten zurück. Im Bereich der
Privaten Haushalte und im Sektor Gewerbe, Handel
und Dienstleistungen sinkt der Verbrauch um etwa
35 Prozent. Im Industriesektor ist der Rückgang um
17 Prozent vergleichsweise gering.
45
-52
-12
Abfall
2030
-65 %
438
Reduktion Düngemittel und Tierbestände,
Wirtschaftsdüngervergärung, Energieeffizienz
Landwirtschaft
Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 6 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau
Gebäude
Einführung DRI, Kohleausstieg,
H2-Einsatz für Dampf
-111
-207
Abfall
-95 %
62
-100 %
Abbildung 15
2050
BECCS, DACCS und grüne Polymere
kompensieren Restemissionen
Negative Emissionen
Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung
Landwirtschaft
90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut,
ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung
Gebäude
Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr,
weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr
Verkehr
100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen
durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung
Energiewirtschaft
H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl,
chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen
Industrie
H₂ = Wasserstoff
* inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
2018
-73
Industrie
-5
858
-72
14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr
ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr
-95
Verkehr
-89
Kohleausstieg 2030, etwa 70 % EE-Stromerzeugung,
Dekarbonisierung Fernwärme, Einsatz H2
-63
Energiewirtschaft
-14
46
-3
Maßnahmen im Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050)
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.)
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren
Abfall
Landwirtschaft
Verkehr
Jährliche Emissionen
[CO2-Äquivalente]
Gebäude
1.251
38
90
164
210
Historische Reduktion pro Jahr:
17 Mt CO2-Äq*
1.045
29
75
Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr:
909
11
73
181
165
Industrie
167
284
125
208
Energiewirtschaft
466
1990
Negative Emissionen werden
direkt in den Sektoren
berücksichtigt.
Abbildung 16
191
25 Mio. t CO2-Äq
858
10
70
750*
162
-65 %
649
7
63
117
195
438
91
5
58
159
385
2000
344
2016
2018
-35
-28
-27
89
65
123
305
195
2020
311
3
55
43
42
93
185
52
98
74
2025
2030
2035
43
45
2040
4
2
4
2
Nachrichtlich: LULUCF
-29
133
82
48
2045
-7
-18
-2
44
2050
-10
* Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
Primärenergieverbrauch
14.000
Primärenergieverbrauch [PJ]
12.000
10.000
Abbildung 17
13.129
1.802
214
9.897
1
3.099
2.388
8.000
248
6.000
0
163
356
222
2.613
2.950
2.909
1.405
829
2018
2025
7.821
3.593
349
2030
6.795
6.573
863
1.035
4.848
5.308
136
533
352
2045
2050
4.286
166
2.212
2.108
7.208
511
3.061
2.855
4.452
4.000
2.000
8.578
1.298
132
2035
146
1.354
817
6
2040
130
PtX
Strom
Erneuerbare Energien
nicht erneuerbare Abfälle
fossile Gase
Mineralöle
Kohlen
Kernenergie
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch.
47
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Im Umwandlungssektor ergeben sich im Zeitraum bis
2050 auch signifikante Primärenergieeinsparungen,
insbesondere bei der Stromerzeugung. Während 2018
noch knapp drei Viertel der Stromerzeugung aus
thermischen Kraftwerken mit entsprechend hohen
Umwandlungsverlusten erfolgte, reduziert sich die
brennstoffbasierte Stromerzeugung bis 2050 auf
etwa 7 Prozent. Der größte Teil der Stromerzeugung
erfolgt dann ohne Umwandlungsverluste aus Wind
energie und Photovoltaik.
Neben der benötigen Menge an Primärenergie ändert
sich bis 2050 auch die Energieträgerstruktur deut
lich. Die Nutzung der fossilen Energieträger Kohle,
Erdgas und Mineralöl geht bis 2050 vollständig
zurück. Kernenergie wird bereits nach 2022 nicht
mehr verwendet.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär
energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr 2018
auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf 81 Pro
zent bis 2050. Importe von synthetischen Energie
trägern stellen 2050 etwa 16 Prozent der Primärener
gie. Die restlichen 3 Prozent der Primärenergie
entfallen 2050 auf sonstige Energieträger wie Abfall
und geringe Mengen an importierten Strom.
In den folgenden Kapiteln werden die Annahmen und
Ergebnisse der einzelnen Sektoren sowie die Themen
negative Emissionen, CCS und Wasserstoff detailliert
dargestellt. Im Anhang wird das Szenario KN2050
anhand ausgewählter Indikatoren in die Bandbreiten
bereits existierender Klimaschutzszenarien einge
ordnet.
Endenergieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren in PJ
10.000
10.000
2.547
1.115
101
2.000
3.351
1.973
1.000
446
330
189
114
2025
2030
2035
1.232
2018
0
1.114
2.727
488
2.460
99
1.526
758
2.569
1.357
6.000
1.299
6.246
1.818
1.244
5.000
4.000
1.707
1.149
1.057
2.743
974
3.000
1.604
5.696
1.511
900
836
1.421
1.271
1.185
2.186
2.145
2.125
2.164
2.480
2.055
5.899
2050
3.000
5.696
2045
1.911
599
524
2.256
1.032
5.899
6.721
1.946
2040
91
327
513
7.000
2035
4.000
1.997
6.246
7.416
2.095
1.659
2.000
115
652
1.571
795
233
307
1.766
1.000
2.601
2.433
2.266
2030
2.189
6.721
269
520
2.320
2025
1.855
660
76
8.000
2018
1.848
888
5.000
8.963
8.251
7.416
116
484
EEV nach Sektoren [PJ]
445
7.000
6.000
9.000
8.251
0
2050
394
2045
EEV nach Energieträgern [PJ]
8.000
8.963
2040
9.000
Abbildung 18
Kohlen
Erneuerbare Energien
Industrie
GHD
Mineralöle
Strom
Verkehr
Private Haushalte
fossile Gase
Fernwärme
nicht erneuerbare Abfälle
PtX
Industrie: inkl. bauwirtschaftlichem Verkehr, ohne Brennstoffeinsatz für die Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen, ohne stofflichen
Wasserstoff (NEV); Verkehr: inkl. internationalem Flugverkehr, ohne Seeverkehr (national und international); GHD: inkl. Landwirtschaft.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
48
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
3.2 Energiewirtschaft
Kraftwerken sowie auf die Herstellung von Kohleund Mineralölprodukten.
3.2.1 Zielbild und Ausgangslage
Die Energiewirtschaft ist der Sektor, der in Deutsch
land die meisten Treibhausgasemissionen verursacht.
Mit 305 von 858 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente
entfielen mehr als ein Drittel der gesamten Treib
hausgasemissionen des Jahres 2018 auf die Erzeu
gung von Strom und Fernwärme in öffentlichen
Durch die starke Reduktion des Einsatzes von Kohle
zur Strom- und Fernwärmeerzeugung kann die
Energiewirtschaft im Vergleich zu den anderen
Sektoren bis zum Jahr 2030 den größten Minde
rungsbeitrag leisten. Der Ersatz von Kohlestrom
erzeugung durch Erneuerbare Energien und temporär
Treibhausgasemissionen und Treiber in der Energiewirtschaft
Abbildung 19
Energiewirtschaft
Strom und Fernwärme(1):
305
-190 Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung
-7 Mineralölraffinerien
2030
-7 Herstellung von festen Brennstoffen
und sonstige Energieerzeuger
Kohleausstieg im Jahr 2030. Anteil Erneuerbarer
Energien steigt auf etwa 70 % am Bruttostromverbrauch. Erste Gaskraftwerke werden mit
Wasserstoff betrieben (2,5 GW). Dekarbonisierung
der Fernwärme
Raffinerien: Rückgang des Outputs der Raffinerien
Sonstige Erzeuger(2): Ende Braunkohleveredelung
-4 Diffuse Emissionen
Diffuse Emissionen und Pipelinetransporte:
Reduzierter Gaseinsatz in den Verbrauchssektoren, Ende Kohlebergbau
0 Pipelinetransport
-74 Öffentliche Elektrizitätsund Wärmeversorgung
-12 Mineralölraffinerien
Strom und Fernwärme(1):
98
-3 Herstellung von festen
Brennstoffen und sonstige
Energieerzeuger
-4 Diffuse Emissionen
2050
-1 Pipelinetransport
-3 BECCS
3
2018
2030
2050
-19 DACCS
Direkter Anteil Erneuerbarer Energien steigt auf
100 %* am Bruttostromverbrauch. Restliche
Stromerzeugung erfolgt mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und
importiertem erneuerbaren Strom. Vollständig
dekarbonisierte Fernwärme. Restemissionen
durch Abfallverbrennung. Negativemissionen
durch BECCS (-3 Mio. t CO2-Äq.) und
DACCS (-19 Mio. t CO2-Äq.)
Raffinerien, Sonstige Erzeuger(2), Diffuse
Emissionen und Pipelinetransporte:
Restemissionen nahe null.
-19
2050
(1) Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung
(2) Herstellung von festen Brennstoffen und sonstige Energieerzeuger
* Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom.
Prognos 2020. Treibhausgasemissionen in Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten
49
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
auch Erdgas ist gleichzeitig auch eine der kosten
günstigsten CO₂-Vermeidungsoptionen.
Mit der Beendigung der Kohleverstromung, einem
Ausbau Erneuerbarer Energien im Stromsektor und
in den Wärmenetzen sowie einem Einstieg in die
Wasserstoffnutzung in Gaskraftwerken können die
Emissionen bis zum Jahr 2030 von heute 305 auf
98 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gedrittelt
werden. Die zentralen Maßnahmen hierfür sind in
Abbildung 19 dargestellt. Nach 2030 werden die
Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut und die
Stromerzeugung aus fossilem Erdgas wird vollständig
durch Wasserstoff ersetzt. Zudem werden Batterie
speicher ausgebaut und andere Flexibilitätsoptionen
wie zum Beispiel intelligentes Laden von Elektro
fahrzeugen genutzt, um Stromnachfrage und -ange
bot zu jeder Zeit in Einklang zu bringen. Die Erbrin
gung von Systemdienstleistungen erfolgt langfristig
zu größeren Anteilen durch Erneuerbare Energien,
Speicher und die Stromverbraucher. Zudem stehen
auch langfristig – zunehmend mit Wasserstoff
gefeuerte – Gaskraftwerke zur Verfügung und
übernehmen einen Teil der Systemdienstleistungen.
Die Energiewirtschaft leistet auch einen Beitrag zur
Kompensation von nicht vermeidbaren Restemissio
nen anderer Sektoren. Diese werden in der Energie
wirtschaft einerseits durch die Abscheidung und
Speicherung der Emissionen aus den Abgasen der
Biomassefernheizwerke und Heizkraftwerke erreicht.
Zum anderen wird CO₂ aus der Luft gefiltert und
anschließend dauerhaft gespeichert (vgl. Kapitel 3.8,
Direct Air Capture and Storage – DACCS).
3.2.2 Stromnachfrage
Zentral für die Entwicklung der Maßnahmen ist die
Entwicklung des Stromverbrauchs. Der Bruttostrom
verbrauch in Deutschland schwankt in den letzten
Jahren weitgehend konstant um die Marke von
600TWh. Mit dem Ziel, Klimaneutralität zu errei
chen, wird der Stromverbrauch in Zukunft stark
steigen (vgl. Abbildung 20). Denn der Einsatz von
Strom ist in den Nachfragesektoren eine vergleichs
50
weise günstige Option, die Treibhausgase zu senken.
Dies gilt insbesondere für die Wärmeversorgung der
Gebäude (vgl. Kapitel 3.4 ).
Im Jahr 2030 werden in Deutschland in diesem
Szenario 6 Millionen Wärmepumpen zur Wärme
erzeugung eingesetzt. Bis zum Jahr 2050 verdoppelt
sich die Anzahl auf 14 Millionen. Gleichzeitig
werden Elektrogeräte und die Beleuchtung immer
effizienter. Trotz des vor zehn Jahren erlassenen
europaweiten Verbots von herkömmlichen Glühbir
nen sind viele Gebäude – insbesondere im
GHD-Sektor – noch mit ineffizienten Leuchtmitteln
ausgestattet. Eine konsequente Umstellung auf
sparsame LEDs führt zu deutlichen Einsparungen.
Zudem sind heute immer noch mehr als eine Million
ineffiziente Nachtspeicherheizungen im Einsatz.
Wärmepumpen benötigen – je nach Dämmung des
Hauses und Vorlauftemperatur – nur ein Drittel der
Strommenge für die gleiche Wärmebereitstellung.
Die beiden letztgenannten Effekte und die bessere
Dämmung von Häusern mit Wärmepumpe führt
dazu, dass sich der Strombedarf bei den Haushalten
kaum verändert und im GHD-Sektor sogar lang
fristig sinkt.
Auch im Verkehrssektor spielt Strom in Zukunft eine
zentrale Rolle. Im Jahr 2030 werden im Basisszenario
mehr als 14 Millionen Elektroautos (inkl. Plug-in-
Hybride) auf den Straßen fahren. Auch der Schwer
lastverkehr wird elektrifiziert – über Batteriesysteme
und Oberleitungen auf den Autobahnen. Im Basissze
nario macht die direkte Stromnutzung im Jahr 2050
dann rund drei Viertel des Endenergiebedarfs des
Verkehrssektors aus (vgl. Kapitel 3.5).
Im Industriesektor entstehen bis zum Jahr 2030 neue
Strombedarfe durch eine Elektrifizierung der Bereit
stellung von Prozesswärme und den Einstieg in die
strombasierte Dampfbereitstellung. Andererseits
können durch eine Effizienzsteigerung bei den
Querschnittstechnologien, wie Ventilatoren und
Pumpen, Einsparungen erzielt werden. Ab dem Jahr
2030 steigt der Strombedarf in der Industrie um fast
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Bruttostromverbrauch
Abbildung 20
1.200
+319 TWh
1.000
H₂/CO₂
962
824
+49 TWh
738
574
0
2
127
123
124
120
117
168
169
269
290
304
133
129
123
130
137
149
12
31
226
216
214
236
2035
159
145
2030
200
130
133
2025
400
30
44
2050
595
131
80
2045
643
600
60
2040
800
2018
Bruttostromverbrauch [TWh]
882
128
74
0
2030
2050
Produktion 19 TWh H₂
84 TWh H₂,
19 Mio. t CO₂ DAC
6 Mio. Wärmepumpen, Effizienz
Elektrogeräte,
effiziente Beleuchtung,
Rückgang Direktstromheizungen
14 Mio. Wärmepumpen, Zunahme
bei Kühlen und Lüften,
Effizienz Wärmepumpen, Rückgang
Direktstromheizungen,
Effizienz Elektrogeräte
Wärmepumpen,
effiziente Beleuchtung
Wärmepumpen,
effiziente Beleuchtung
27 % der Fahrleistung im
Straßengüterverkehr
mit Batterien und Oberleitungen, 14 Mio. E-Pkw
78 % der Fahrleistung im
Straßengüterverkehr
mit Batterien und Oberleitungen, 30 Mio. E-Pkw
Elektrifizierung
Prozesswärme, strombasierte Dampfproduktion,
effiziente Querschnittstechnologien
Elektrifizierung Prozesswärme, CO₂-Abscheidung,
strombasierte Dampfproduktion in Elektrokesseln und Hochtemperaturwärmepumpen
Industrie
Verkehr
GHD
PHH
Fernwärmeerzeugung
sonstige Umwandlung
Elektrolyse (H₂)
DAC
Ladung Speicher
Netzverluste
KW-Eigenverbrauch
Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. DAC = Direct Air Capture. PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen.
Verbrauch von Speichern (brutto) beinhaltet Pumpspeicher und stationäre Batteriespeicher in der öffentlichen Versorgung.
Der Stromverbrauch von Heimbatterien in Kombination mit PV-System wird hier nicht ausgewiesen. Bilanzierung nach AGEB.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
100 TWh an. Grund hierfür ist eine weitere Zunahme
der strombasierten Dampfproduktion in Elektro
kesseln sowie der Einsatz von Hochtemperatur
wärmepumpen. Darüber hinaus steigt die Produktion
von Sekundärstahl, was wiederum mit einem stei
genden Strombedarf einhergeht. Weitere Nachfrage
entsteht durch CO₂-Abscheidung und Gasifizierung
von Biomasse.
Auch im Umwandlungssektor wird in Zukunft mehr
Strom eingesetzt. Für die Bereitstellung von 19 TWh
erneuerbar erzeugtem Wasserstoff im Jahr 2030 und
84 TWh im Jahr 2050 werden 30 beziehungsweise
130 TWh zusätzlicher Strom benötigt. Zudem wird
langfristig ein Drittel der Fernwärme mithilfe von
Strom bereitgestellt. Für die Filterung von 19 Millio
nen Tonnen CO₂ aus der Luft (Direct Air Capture and
Storage) werden zusätzlich rund 20 TWh benötigt.
Damit steigt der Bruttostromverbrauch bis 2050 auf
etwa 960 TWh an.
3.2.3 Stromerzeugung
Das Stromsystem im Jahr 2050 basiert zu 100 Pro
zent auf Erneuerbaren Energien. Die erneuerbare
Stromerzeugung aus Windenergie, Photovoltaik,
Wasserkraft und Biomasse deckt im Jahr 2050
88 Prozent des Stromverbrauchs direkt ab, 7 Prozent
entfallen auf Gaskraftwerke, die aus Erneuerbaren
51
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Energien erzeugten Wasserstoff als Brennstoff
nutzen. Die restlichen 5 Prozent werden hälftig durch
zwischengespeicherten und importierten erneuerba
ren Strom gedeckt.
Photovoltaik wird mit Blick auf die Leistung die
wichtigste erneuerbare Energiequelle sein. Insgesamt
150 GW im Jahr 2030 und 355 GW im Jahr 2050
werden im Basisszenario benötigt. Davon wird knapp
die Hälfte als Dachanlagen auf Gebäuden direkt beim
Verbraucher stehen. Vier von fünf Dachanlagen
werden mit Batteriespeichern ausgestattet und
tragen dazu bei, dass der Strom aus den Photovoltaik
anlagen durch die Zwischenspeicherung möglichst
gut genutzt werden kann.
Die installierte Leistung der Onshore-Windenergie
steigt bis 2050 auf 130 GW. Offshore-Windenergie
erreicht 2050 etwa 70 GW Leistung. Im Jahr 2030
steigt die Leistung der Offshore-Windenergieanlagen
auf 25 GW – und damit um 5 GW mehr als im Klima
schutzprogramm vorgesehen. Die zusätzliche
Leistung wird zum Teil direkt für die Wasserstoff
erzeugung eingesetzt. Die Leistung von Onshore-
Windenergie steigt bis 2030 auf 80 GW.
Hierfür muss bis zum Jahr 2030 pro Jahr im Mittel
10 GW Photovoltaik, etwa 4,5 GW Onshore-Wind
energie und etwa 1,7 GW Offshore-Windenergie
zugebaut werden. In den nächsten zwei bis drei
Jahren werden die Zubaumengen niedriger liegen. Für
eine Zielerreichung ist daher ein stärkerer Ausbau ab
dem Jahr 2023 notwendig. Bei Offshore-Windenergie
ist der Ausbau bis zum Jahr 2026 durch den Flächen
entwicklungsplan bereits weitgehend determiniert.
Der zusätzliche Ausbau erfolgt daher hauptsächlich
ab dem Jahr 2027.
Aus der installierten Leistung und den unterstellten
Volllaststunden ergibt sich die Stromerzeugung des
Szenarios. Die in den Szenarien verwendeten Voll
laststunden berücksichtigen technische Entwicklun
gen bei der Windenergie, insbesondere die Größe und
Anlagenhöhe, die Standorte sowie ertragsmindernde
52
Effekte durch Verschattung, Redispatch und aus
anderen Gründen temporäre notwendige Abschal
tungen und Leistungsreduktionen. Im Vergleich zu
anderen Studien ergeben sich damit für 2050 ver
gleichsweise niedrige Volllaststunden von 2.200 bei
Onshore-Windenergie und 3.650 im Offshorebereich.
Letztere können auch nur mit einer relativ niedrigen
Bebauungsdichte erreicht werden, da auch OffshoreWindparks sich untereinander durch Effekte wie
Windverschattung und Wirbelbildung beeinflussen
können (Agora 2020). Aus diesem Grund müsste ein
Teil der 70 GW voraussichtlich außerhalb der deut
schen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)
installiert werden.
Die resultierende Nettostromerzeugung wird in
Abbildung 22 dargestellt. Für das Jahr 2030 wird mit
435 TWh erneuerbarer Stromerzeugung eine Ver
dopplung gegenüber dem Wert von 2018 erzielt. Bis
zum Jahr 2050 wird der Wert auf 848 TWh gesteigert,
nahezu das Vierfache der Erzeugung im Jahr 2018.
Kombiniert mit Lastmanagement, Speichertechnolo
gien und intereuropäischem Energiehandel kann der
Anteil Erneuerbarer Energien am steigenden Brutto
stromverbrauch von rund 38 Prozent im Jahr 2018
auf 69 Prozent im Jahr 2030 und 100 Prozent im Jahr
2050 gesteigert werden.
Ein Teil der Leistungsspitzen der volatilen Erzeugung
Erneuerbarer Energien kann trotz zunehmender
Flexibilität des Stromsystems nicht integriert
werden. Mit zunehmendem Ausbau steigt die
abgeregelte Strommenge auf 49 TWh im Jahr 2050 an,
dies entspricht rund 5 Prozent der Gesamterzeugung.
Für die Dekarbonisierung des Stromsektors ist ein
rasches Auslaufen der Kohleverstromung essenziell.
Im Szenario führt der steigende Preis für CO₂-Zertifi
kate in Kombination mit niedrigen Erdgaspreisen
dazu, dass die bis dahin verbliebenen Kohlekraft
werke Ende der 2020er-Jahre wirtschaftlich unter
Druck geraten und vom Netz gehen. Um die Strom
nachfrage zu bedienen, steigt im Basisszenario bis
zum Jahr 2030 die Stromerzeugung aus Erdgas von
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Erneuerbare Energien
Abbildung 21
Installierte Leistung in GW
Nettostromerzeugung in TWh
562
1
6
512
848
771
2
6
8
21
Wasserkraft
431
675
3
6
355
292
Photovoltaik
546
315
268
28
21
252
38
21
211
306
179
117
7
6
45
6
52
150
51
91
70
61
Wind Offshore
36
25
11
65
80
119
94
130
128
Wind Onshore
216
42
18
46
19
90
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Notwendiger mittlerer jährlicher Ausbau
Bruttozubau, bei 25 Jahren Lebensdauer
2018
196
254
223
187
139
44
21
135
86
90
37
151
118
Abgeregelt
2018
233
435
7
6
7
6
331
18
21
352
5
6
4
21
Bioenergie
2025
-4
-15
2030
2035
270
288
-44
-49
2045
2050
239
182
-23
2040
Anteil Erneuerbarer Energien
am Bruttostromverbrauch
2021–2030
10 GW Photovoltaik
17 %
38 %
69 %
100 %*
2010
2018
2030
2050
1,7 GW Wind Offshore
4,5 GW Wind Onshore
Ausbaustärkste Jahrgänge
der Vergangenheit:
Photovoltaik: 8 GW (2010, 2012)
Wind Offshore: 2 GW (2015)
Wind Onshore: 5 GW (2014, 2017)
Kumulierter Bruttozubau
zwischen 2021 und 2030:
Photovoltaik: 98 GW
Wind Offshore: 17 GW
Wind Onshore: 44 GW
* Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom
Prognos (2020)
53
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Nettostromerzeugung und Importsaldo
1.000
Abbildung 22
Zunahme der Erzeugung um 50 Prozent
934
900
863
801
Nettostromerzeugung [TWh]
800
711
700
600
614
611
541
500
216
400
6
79
300
28
848
675
546
435
306
3
75
200
102
135
4
8
25
37
134
72
69
20
2018
2025
100
0
771
11
3
2030
7
12
12
133
24
13
84
7
2035
2040
17
42
32
2
2045
Erneuerbare
Wasserstoff
Sonstige
Braunkohle
Speicher
Erdgas
Steinkohle
Kernkraft
24
61
1
2050
Importsaldo
50
0
-50
-49
14
17
18
16
16
26
Hinweis: Sonstige Erzeuger: Kuppelgase, Abfall, Mineralöl, Sonstige. Speicher: Erzeugung aus Batterie- und Pumpspeichern.
Prognos (2020)
heute rund 80 TWh auf etwa 130 TWh an. Zusätzlich
werden auch erste Gaskraftwerke mit Wasserstoff
betrieben. Für etwa 2,5 GW Kraftwerksleistung
werden rund 20 TWh Wasserstoff eingesetzt, um
damit Strom und Fernwärme zu produzieren. Nach
2030 geht die jährliche Erzeugung aus brennstoff
basierten Kraftwerken weiter zurück. Durch den
starken Ausbau von Erneuerbaren Energien, kombi
niert mit Speichernutzung und flexiblen Endverbrau
chern sinkt die Erzeugung aus brennstoffbasierten
Kraftwerken von heute rund 400 TWh (ohne Bio
54
energie) auf 61 TWh im Jahr 2050. Erdgas wird bis
dahin vollständig durch Wasserstoff ersetzt.
3.2.4 I nstallierte Leistung und Flexibilität
des Stromsystems
Für die Stabilität des Stromsystems ist es notwendig,
dass zu jeder Zeit Stromnachfrage und Stromangebot
im Einklang stehen. Mit zunehmender Einspeisung
aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien und dem
Rückgang konventioneller Kraftwerksleistung sind
neue Flexibilitätsoptionen gefragt. Im Szenario
KN2050 wird zum einen das Lastmanagement in der
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Flexibilitäten zur Leistungsabsicherung
Abbildung 23
1 | Regelbare Kraftwerksleistung
2 | Speicher und Demand-Side-Management
Nettoleistung in GW
Nettoleistung in GW*
7
6
24
6
7
6
20
27
5
6
7
6
43
25
55
6
3
6
6
61
67
10
10
2025
2030
16
3
2
1
1
3
7
2035
2040
2045
2050
2018
4
Bioenergie
Wasserkraft
Gase/Wasserstoff
Braunkohle
Steinkohle
Kernkraft
50
28
73
14
2018
Batteriespeicher
Demand-Side-Management
Pumpspeicher
4
7
2
4
7
6
4
7
7
7
7
2025
2030
2035
2040
2045
2050
5
7
6
Sonstige
Darüber hinaus stehen indirekt eine Vielzahl weiterer
Flexibilitätsoptionen zur Verfügung.
PV-Dachanlagen mit Batteriespeicher:
2050 sind 80 % der Anlagen mit einem Batteriespeicher
kombiniert (in Summe 134 GW mit einer Stunde Kapazität).
Langfristig bleiben rund 80 GW regelbare Leistung zur
Leistungsabsicherung (davon rund 70 GW aus Gasen/
Wasserstoff) im System.
E-Fahrzeuge haben lange Standphasen und können ihr
Ladeverhalten auf die Situation im Stromsystem anpassen.
Im Jahr 2050 fahren 30 Mio. E-Fahrzeuge auf den Straßen
mit einer durchschnittlichen Speichergröße von 80 kWh.
3 | Importkapazitäten
Maximale Kapazitäten in GW. Die tatsächliche Verfügbarkeit ist
abhängig vom Lastabfall.
1
3
3
3
3
1
4
5
2
3
3
3
3
1
5
5
2
4
4
3
3
1
5
5
2
4
4
3
3
1
5
5
2
4
4
3
3
1
5
5
7
7
7
7
7
2
4
4
3
3
3
1
4
4
5
6
6
8
8
8
8
8
2018
2025
2030
2035
2040
2045
2050
SE
NO
DK
CZ
PL
BE
NL
FR
CH
AT
4 | Erneuerbare Energien
Irgendwo weht immer der Wind. Deshalb können erneuerbare
Energien auch einen Beitrag zur Leistungsabsicherung liefern.
Im Jahr 2050 beträgt die Grundlastlieferung von erneuerbaren
Energien rund 5 GW.
Grenzüberschreitende Ausgleichseffekte mit elektrischen
Nachbarländern bei der Einspeisung von Erneuerbaren Energien
und bei der Stromnachfrage.
Hinweis: Kohlekapazitäten im Jahr 2030: 3 GW Braunkohlekapazitäten stehen Winter 2029/2030 zur Verfügung und speisen ins Netz ein.
Die Steinkohlekapazitäten in Höhe von 3 GW stehen 2030 das ganze Jahr zur Verfügung (Sommerpause). Die Kohlekraftwerkskapazitäten
können danach bei Bedarf zur Leistungsabsicherung genutzt werden.
* Mittlere Speicherkapazität: Batteriespeicher 1 Stunde, Pumpspeicher 8 Stunden. Demand-Side-Management (DSM = kurzfristiges Lastverschiebungspotenzial in der Industrie)
Prognos (2020)
Industrie weiter ausgebaut, um den Stromverbrauch
zeitlich zu verlagern, um einerseits kurzzeitige
Lastspitzen zu mindern und andererseits, um Erzeu
gungsspitzen Erneuerbarer Energien besser zu
nutzen.
55
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Flexibilität des Stromsystems 2050
Abbildung 24
Erzeugung Sommerwoche
250
250
200
200
PV ohne Batterie
Import
Wasserstoff
Wind Offshore
PV-Dach mit Batterie
PSW/Batteriespeicher
250
200
200
Nachfrage Inflexibel
E-Mobilität (inflex)
Wärmepumpen
BECCS/DACCS
E-Mobilität (flex)
Abgeregelt
Ladung PSW/Batteriespeicher
Elektrolyse
Export
10.06.
09.06.
08.06.
0
07.06.
0
12.02.
50
11.02.
50
10.02.
100
09.02.
100
06.06.
150
05.06.
150
04.06.
[GWh/h]
250
08.02.
Biogen
Nachfrage Sommerwoche
300
07.02.
10.06.
09.06.
08.06.
11.02.
Wind Onshore
300
06.02.
Summe Verbrauch
Wasserkraft
Nachfrage Winterwoche
[GWh/h]
07.06.
0
12.02.
0
10.02.
50
09.02.
50
08.02.
100
07.02.
100
06.06.
150
05.06.
150
04.06.
[GWh/h]
300
06.02.
[GWh/h]
Erzeugung Winterwoche
300
Summe Verbrauch
Prognos (2020)
Zum anderen nimmt bis 2050 die Leistung an
Speichern deutlich zu. Dazu gehören zentrale
Batteriespeicher, Heimspeicher in Kombination mit
PV-Anlagen in Haushalten und Strommarktsignalen
folgende Anteile der E-Fahrzeuge und Haushalte,
beispielsweise Autos oder Wärmepumpen, die
56
flexibel abhängig vom Strompreis und damit vom
Stromangebot sowie abhängig vom Netzzustand
ihren Strom- beziehungsweise Wärmespeicher laden
oder aufheizen. Diese Speicher tragen mit ihrem
Potenzial zum Lastmanagement entscheidend zur
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Integration der erneuerbaren Stromproduktion und
auch zur Reduktion der Residuallastspitzen bei.
Eine weitere Säule der Absicherung des gesamt
europäischen Stromsystems bildet der Ausbau der
Austauschkapazitäten zwischen den Ländern,
wodurch der überregionale Stromaustausch und auch
die Nutzung von Pumpspeicherkapazitäten in
Nachbarländern zum Lastausgleich beitragen können.
Für den längerfristigen Ausgleich sind regelbare
Kraftwerkskapazitäten notwendig.
In dem Szenario wird angenommen, dass das europä
ische Ausland aufgrund nationaler oder EU-weiter
Ziele ebenfalls Klimaneutralität bis 2050 anstrebt und
dementsprechend seine Stromerzeugung klima
neutral gestaltet. Dadurch kommt es zu keiner
Verlagerung von THG-Emissionen durch Stromim
porte. Der Stromaustausch zwischen den einzelnen
europäischen Ländern wurde mit einer stündlichen
Auflösung modellendogen simuliert.
Durch den Rückgang der Kohleverstromung sinkt bis
2030 die regelbare Kraftwerksleistung von heute
rund 97 GW auf rund 66 GW. Um die Deckung der
Residuallast und Leistungsabsicherung des
Stromsystems zu gewährleisten, muss die Leistung
regelbarer Gaskraftwerke mittelfristig deutlich
ausgebaut werden, bis 2030 um rund 20 GW und bis
2050 um weitere 30 GW. Die wegfallenden Kapazitä
ten aus Kernkraft und Kohle können so ersetzt
werden. Ab 2030 wird der Sekundärenergieträger
Wasserstoff in 2,5 GW der Gaskraftwerke mit
steigenden Anteilen eingesetzt, so dass Erdgas zur
Verstromung 2050 vollständig durch Wasserstoff
abgelöst ist. Dabei kommen entsprechend den
Modellergebnissen Gasmotoren-, Gasturbinen- und
GuD-Kraftwerke zum Einsatz. Aus Kostengründen
werden keine Brennstoffzellenkraftwerke verwendet.
Abbildung 24 zeigt den modellierten stündlichen
Einsatz der Stromerzeugung und der Stromnachfrage
in Deutschland am Beispiel einer Winter- und
Sommerwoche des Jahres 2050.
Bei der Leistungsabsicherung mit Gaskraftwerken ist
zu beachten, dass die Vorhaltung der Leistung als
Back-up des Stromsystems vergleichsweise günstig
ist. Kostenintensiv ist bei der Nutzung von Wasser
Kosten von Leistungsvorhaltung und Stromerzeugung aus Wasserstoff
Leistung kostet vergleichsweise wenig
Kosten Leistungsvorhaltung mit Powerpeakern
1
GW
Leistung
Kosten pro kW
Leistung pro Jahr:
59 EUR*
59 Mio.
EUR
Kosten
pro Jahr
Abbildung 25
Arbeit kostet vergleichsweise viel
Kosten Stromerzeugung mit Wasserstoff
Annahme:
Gasturbine läuft
1.000 h im Jahr
(12 % des Jahres)
1
TWh
Stromerzeugung
Kosten pro kWh
eingesetzen H2:
15 Cent**
333 Mio.
EUR
Kosten
pro Jahr
Hinweis: Hier beispielhafte Darstellung der Vorhaltungskosten für 1 GW Leistung sowie die Kosten für die Stromerzeugung
* Berechnung: Investitionskosten 500 EUR/kW, OPEX 20 EUR/kW/Jahr, Zinssatz (WACC) 6 %, Amortisationszeitraum 25 Jahre.
** Annahmen für H2-Kosten von 15 Cent/kWh (Heizwert): 400 EUR/kW(el) Elektrolyse, Zinssatz (WACC) 6 %, 4000 VLH, 5,5 Cent/kWh(el) Stromkosten der Elektrolyse, 75 % Wirkungsgrad Elektrolyse (Brennwert), 2 Cent/kWh Transportkosten, 2 Cent/kWh Leistungsaufschlag.
Prognos (2020)
57
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
stoff oder synthetischen Energieträgern hingegen der
Einsatz der Kraftwerke.
Dieses wird in Abbildung 25 beispielhaft für 1 GW
Leistung dargestellt: Die Kosten der Leistungsvorhal
tung von 1 GW durch Powerpeaker beläuft sich auf
rund 60 Millionen Euro jährlich. Bei rund 70 GW
Leistungsabsicherung würden damit Kosten von
insgesamt 4 Milliarden Euro anfallen. Das entspricht
etwa 6 Prozent der Kosten des heutigen Strom
systems und ist vergleichsweise günstig. Deutlich
höhere Kosten fallen jedoch an, wenn Kraftwerke
viele Stunden laufen müssen, weil nicht ausreichend
Flexibilitäten zur Verfügung stehen oder der Ausbau
der Erneuerbaren Energien nicht ausreichend erfolgt.
Würden 1 GW Powerpeaker 1.000 Stunden im Jahr
laufen, würden sich die daraus resultierende Strom
erzeugungskosten allein für den Brennstoffeinsatz
auf 333 Millionen Euro belaufen – also das Sechs
fache der Kosten für die Leistungsvorhaltung.
3.2.5 Fernwärmeerzeugung
Die Dekarbonisierung betrifft nicht nur die Strom
erzeugung, sondern auch die Erzeugung von Fern
wärme. In urbanen Räumen werden Wärmenetze
stark ausgebaut. Damit steigt die notwendige Fern
wärmeerzeugung bis in die Mitte der 2030er-Jahre
kontinuierlich. Neuanschlüsse überkompensieren in
diesem Zeitraum den sanierungsbedingten Rückgang
des Wärmebedarfs der einzelnen versorgten Gebäude.
Die Struktur der Fernwärmeerzeugung ändert sich im
Zeitverlauf deutlich. Mit dem Ausstieg aus der
Fernwärmeerzeugung
Abbildung 26
180
160
160
149
139
Fernwärmeerzeugung [TWh]
140
125
2
120
13
5
10
6
3
9
5
14
24
5
100
51
7
73
80
60
10
12
2
9
20
29
161
10
13
16
18
12
13
5
33
6
150
13
18
13
7
39
44
61
30
10
41
13
13
1
4
11
15
2025
2030
23
11
13
10
2
4
0
2018
158
14
66
10
40
16
37
12
6
11
2
11
4
3
11
3
3
2035
2040
2045
2050
industrielle Abwärme
Elektrokessel
Wasserstoff
Bioenergie
Abfall – fossil
Braunkohle
Geothermie
Wärmepumpe
(inkl. Umweltwärme)
Erdgas
Abfall – biogen
sonstige
Energieträger
Steinkohle
Solarthermie
Prognos (2020)
58
7
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Kohleverstromung bis 2030 geht auch die ausgekop
pelte Fernwärmeerzeugung zurück. Mit der höheren
Stromerzeugung der Erdgaskraftwerke steigt mittel
fristig auch die Fernwärmeerzeugung aus Erd
gas-KWK-Anlagen. Nach 2035 geht der Einsatz von
Erdgas deutlich zurück, auch durch den Einsatz von
Wasserstoff. Dieser beginnt ab 2030 durch die
Inbetriebnahme der ersten wasserstoffgefeuerten
KWK-Anlagen. Im Jahr 2050 decken Heizwerke und
Heizkraftwerke mit Wasserstoffeinsatz etwa ein
Viertel der Fernwärmeerzeugung. Diese Erzeugung
fällt überwiegend in kalten Perioden mit geringer
Windstromeinspeisung an.
Der Markthochlauf bei neuen Wärmeerzeugern wie
der tiefen Geothermie, Solarthermie, Elektrokesseln
und Großwärmepumpen kommt nach 2020 ins
Rollen. Von heute etwa einem Prozent steigert sich
bis 2030 der Erzeugungsanteil dieser Technologien
auf 22 Prozent. Langfristig bis 2050 steigt der Anteil
auf über 60 Prozent. Die Nutzung von Abwärme
steigt ebenfalls.
Der Beitrag der Bioenergie bleibt im Zeitverlauf
konstant. Die genutzten Biomassen ändern sich aber.
Der sinkende Anteil von Biogas wird durch höhere
Holzmengen ausgeglichen.
3.2.6 Mineralölraffinerien
Im Jahr 2018 stellten Mineralölraffinerien rund
80 Prozent ihrer Produkte zur energetischen Ver
wendung her. Dies sind vor allem flüssige Kraftstoffe
im Verkehrssektor wie Diesel und Benzin, aber auch
Brennstoffe zur Wärmebereitstellung wie Heizöl.
Außerdem wird ein Teil der Raffinerieprodukte auch
stofflich verwendet. Hier ist vor allem Naphtha zu
nennen, welches einen wichtigen Rohstoff in der
chemischen Industrie darstellt und heute über zehn
Prozent der deutschen Nachfrage nach Mineralölpro
dukten ausmacht. Weitere Mineralölprodukte fallen
als Nebenprodukt in der Verarbeitung der Raffinerien
an und werden ebenfalls stofflich in vielfältiger Weise
genutzt. Diese Produkte spielen aus heutiger Sicht
eine eher untergeordnete Rolle in der Nachfrage. Zu
nennen sind hier insbesondere Bitumen, welches
größtenteils zum Straßenbau genutzt wird und rund
2 Prozent der Mineralölnachfrage ausmacht. Weitere
Produkte werden als Schmierstoffe genutzt (1 Prozent
der Mineralölnachfrage) oder sie finden wie Petrol
koks (0,2 Prozent) Verwendung in der Aluminium
produktion.
Bis 2030 geht die Nachfrage nach Mineralölproduk
ten auf rund 56 Prozent des Wertes von 2018 zurück.
Da die Raffinerien auf diesen Nachfragerückgang
reagieren, sinkt die Produktion analog.
Bis 2050 kommt die Mineralölverarbeitung vollstän
dig zum Erliegen. Der Grund hierfür ist der vollstän
dige Rückgang der Nachfrage nach Mineralölproduk
ten sowohl bei der energetischen Verwendung als
auch bei der Nachfrage der chemischen Industrie
nach Naphtha. Ab 2045 kommt in der chemischen
Industrie nur noch importiertes strombasiertes
Naphtha zum Einsatz, welches aus erneuerbarem
Strom und Kohlendioxid aus der Luft gewonnen wird.
Bei der Produktion dieses „grünen“ Naphthas per
Fischer-Tropsch-Synthese fallen jedoch Produkte
mit längeren Kohlenstoffketten wie Bitumen oder
Petrolkoks nicht an.
Da diese Produkte heute nur als Nebenproduktion in
der Koppelproduktion der Raffinerien anfallen, ist es
unwahrscheinlich, dass hierfür eigene Produktions
anlagen bestehen bleiben, die ausschließlich diese
Produkte bereitstellen. Im Szenario wurden keine
expliziten Annahmen hinsichtlich der Bereitstellung
dieser Produkte getroffen. Die Bereitstellung von
Petrolkoks für die Anoden könnte jedoch auch über
biogene Rohstoffe erfolgen. Die Nachfrage nach
Schmierstoffen wird aufgrund des Rückgangs an
Verbrennungsmotoren bis 2050 einerseits stark
abnehmen, andererseits lassen sich Schmierstoffe
sowohl biogen als auch per Fischer-Tropsch-
Synthese herstellen.
Die Herstellung von Bitumen ist aus heutiger Sicht
nicht über Fischer-Tropsch-Synthese möglich. Es
59
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
kann allerdings davon ausgegangen werden, dass
langfristig die Nachfrage nach Bitumen zurückgeht,
da durch Recycling, den Bau haltbarerer Straßen und
die Möglichkeit zur Beimischung von Zuschlags
stoffen der Bedarf reduziert wird. Dennoch wird aus
heutiger Sicht auch langfristig ein Bedarf an Bitumen
bestehen bleiben. Als Möglichkeiten bietet sich hier
zum einen der Abbau von Naturbitumen an. Denkbar
wäre auch eine Produktion in Spezialraffinerien, die
schweres bitumenhaltiges Rohöl einsetzen und zur
Produktion dieser Produkte optimiert werden. In
diesem Fall dürften die anfallenden Leicht- und
Mitteldestillate jedoch nur treibhausgasneutral
verwendet werden. Hierfür ist beispielsweise der
Einsatz von CCS bei der Verbrennung denkbar.
3.3 Industrie
3.3.1 Zielbild und Ausgangslage
Die Industrie trug im Jahr 2018 insgesamt 23 Prozent
zu den deutschen Treibhausgasemissionen bei, wobei
70 Prozent der industriellen Treibhausgasemissionen
in den Grundstoffindustrien anfiel (Agora Energie
wende und Wuppertal Institut 2019). Die Grundstoff
industrien stehen zudem mit Blick auf eine Reduk
tion von Treibhausgasemissionen aufgrund der für
die Umwandlung von Rohstoffen nötigen energie
intensiven Hochtemperaturprozesse sowie dem
Auftreten von prozessbedingten Emissionen in
einigen Produktionsprozessen vor besonders großen
Herausforderungen. Bei der Erstellung des Szenarios
wurden daher die emissionsintensiven Branchen
(Stahl, Grundstoffchemie, Zement, Kalk, Nichteisen
metalle, Glas, Gießereien sowie Zellstoff, Papier und
Pappe) sehr detailliert untersucht.
Im Szenario ist Deutschland auch zukünftig ein
bedeutender Standort für Grundstoffe wie Stahl,
Grundstoffchemikalien und Zement und meistert die
Transformation der Grundstoffindustrien hin zur
Klimaneutralität. Klimaneutralität wird in der
Industrie durch Effizienzmaßnahmen, einen weitge
henden Umstieg auf erneuerbare Energieträger
60
(Strom, Wasserstoff, biogene Energieträger), innova
tive Produktionsrouten wie die Herstellung von
Roheisen in Direktreduktionsanlagen und chemi
sches Recycling sowie den Einsatz von CO₂-Abschei
dung und -Speicherung (CCS) erreicht.
Langfristig, nach 2045, erreicht die Industrie durch
den gezielten Einsatz von biogenen Energieträgern in
Kombination mit CCS sogar negative Emissionen.
Hierfür sind aufgrund ihrer räumlich hoch konzent
rierten Energiebedarfe insbesondere die Standorte
der chemischen Industrie und der Stahlindustrie
geeignet.
3.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen
Die deutsche Industrie kann sich im KN2050-Szena
rio auf eine für die meisten Grundstoffe auch
zukünftig leicht steigende Nachfrage innerhalb
Europas stützen. Die Nachfrage nach Pkw als einem
wichtigen Endprodukt geht in Europa selbst im
Szenario zwar zurück, die exportorientierte deutsche
Automobilindustrie kann dies aber durch Marktan
teile an einer wachsenden Nachfrage nach emissi
onsfreien Pkw in anderen Weltregionen kompensie
ren. Die Bautätigkeit, als weiterer starker Treiber der
Nachfrage nach Grundstoffen, steigt im Szenario
zukünftig weiter an. Kunststoffverpackungen werden
auch 2050 eine wichtige Rolle spielen, sowohl im
Bereich Business-to-Business als auch im Hinblick
auf den Handel mit Endkunden. Trotz deutlich
höherer Anteile von mechanisch recyceltem Kunst
stoff am gesamten Kunststoffverbrauch steigt die
Nachfrage nach Primärkunststoffen innerhalb
Europas weiter an.
Die relative Entwicklung einzelner Produktionsmen
gen in Deutschland zeigt die folgende Abbildung.
Wir gehen davon aus, dass sich die Rohstahlproduk
tion insgesamt auf dem Niveau vor der Coronakrise
(2019) stabilisiert. Die bestehenden Anlagen zur
Sekundärmetallurgie und zum Walzen von Rohstahl
sowie das Know-how für Spezialstähle und die
räumliche Nähe zu den Abnehmern sind dabei
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Produktionsmengenentwicklung für treibhausgasintensive Produkte
Abbildung 27
Index physische
Produktion (2016 = 100)
130
120
110
100
90
80
70
60
50
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
Rohstahl
NE-Metalle
High-value chemicals (HVC)
Polymere (Auswahl)
Ammoniak
Zement
Zementklinker
Kalk
Papier
Zellstoff
Glas und Steinwolle
2050
Wuppertal Institut (2020)
wichtige Standortvorteile, ebenso die vorhandene
Logistik für den Umschlag von Massengütern wie
Eisenerz.
Die chemische Industrie in Deutschland ist weit
stärker in globale Wertschöpfungsketten eingebun
den als die Stahlindustrie. Gleichzeitig liegen die
wichtigen deutschen Standorte alle im Binnenland
und stehen bereits heute unter starkem wirtschaftli
chem Druck. Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen
im Bereich der Plattformchemikalien finden deshalb
schon heute außerhalb Deutschlands statt. Da dies
mit grundlegenden Wettbewerbsfaktoren (wie dem
günstigen Zugang zum Weltmarkt der Hafenstand
orte) zusammenhängt, geht das Szenario KN2050
– gestützt durch Simulationsrechnungen1 – davon
aus, dass sich dieser Trend mittelfristig sogar noch
etwas verstärken wird, denn die deutschen Standorte
werden mit anstehenden Raffinerieschließungen
1
Die Simulationsrechnungen bilden Europa (EU-28
plus Norwegen und Schweiz) ab. Die Ergebnisse zur
Investition in neue Anlagen und zur Produktion an
den verschiedenen Zeitpunkten wurden durch ein
Optimierungsmodell bestimmt (vgl. zum Modellansatz
Schneider und Saurat 2020).
einen Teil ihrer regionalen Rohstoffbasis verlieren.
Die Simulationsrechnungen zeigen, dass die deut
schen Standorte bei der Grundproduktion von
Plattformchemikalien mittelfristig Anteile an die
europäischen Küstenstandorte (vor allem Antwerpen
und Rotterdam) abgeben werden, denn diese lassen
sich leichter auf die mittelfristig attraktiveren
Feedstocks Ethan und Propan umstellen.2 Die vorhan
dene Pipeline-Infrastruktur für Feedstocks in
Nordwesteuropa und bereits bestehende grenzüber
schreitende Lieferketten innerhalb der Unternehmen
(BASF, INEOS, Shell, Covestro, LANXESS) erleichtern
eine solche Restrukturierung und sichern anderer
2
Die ökonomische Attraktivität von Ethan ist vor allem
auf seinen günstigen Marktpreis als Kuppelprodukt
der Schiefergas-Förderung in den USA zurückzufüh
ren. Auch im Hinblick auf die Emissionsintensität der
Produktion ist Ethan vorteilhaft und gewinnt somit
bei steigendem CO₂-Zertifikatspreis zusätzlich an
Attraktivität. Langfristig werden bei der Produktion
von Fischer-Tropsch-Kraftstoffen Ethan und LPG als
Begleitgase anfallen. Aufgrund der im Vergleich zu flüssi
gem Naphtha höheren Transportkosten geht das Szenario
jedoch nicht davon aus, dass diese Kuppelprodukte auch
langfristig (2050) den europäischen Markt dominieren
werden.
61
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
seits mittelfristig die Feedstock-Basis für die deut
schen Standorte im Binnenland. Damit können diese
„Verbundstandorte“ auch zukünftig ihren Wert
erhalten und die Produktion von Polymeren bleibt in
Deutschland auf einem stabilen Niveau.
Im Zuge der im Szenario angenommenen Veränderun
gen in der Landwirtschaft geht der Markt für Dünge
mittel in Europa zurück. Im Szenario sinkt daher auch
die Produktion der entsprechenden Grundstoffe
(Ammoniak, Salpetersäure). Die Nachfrage wird jedoch
nicht komplett durch Importe gedeckt.
Zement bleibt im Szenario ein überwiegend regional
gehandeltes Produkt und die Annahme einer in
Deutschland weiter steigenden Bautätigkeit stützt
den Absatz deutscher Zementwerke. Allerdings
werden Zement, Zementklinker und Beton zukünftig
effizienter eingesetzt. Bauteile können bei gleicher
Leistungsfähigkeit mit weniger Beton hergestellt und
die Betonzusammensetzung und die Wahl der
Zementart besser auf den Einsatzzweck abgestimmt
werden. Im Szenario geht die Tonnage daher beim
Zementabsatz nach 2030 zurück, trotz steigender
Wertschöpfung im Betonbau.
Andere emissionsintensive Industrien wie Zellstoff
und Papier, Aluminium oder Glas wachsen im
Szenario zukünftig noch leicht (sowohl in Bezug auf
Bruttowertschöpfung als auch in Bezug auf die
Tonnage), während der Absatz in der Kalkindustrie
aufgrund der sinkenden Nachfrage aus dem Kraft
werkssektor und der Stahlindustrie (aufgrund
niedrigerer Primärstahlanteile) rückläufig ist. Die
weniger treibhausgasintensiven Industrien, die teils
stark exportorientiert sind, gewinnen in Bezug auf
die Bruttowertschöpfung an Bedeutung und wachsen
mit 1,3 Prozent pro Jahr stärker als die Grundstoffin
dustrien (0,4 Prozent).
Somit behält die Industrie in Deutschland ihre
wichtige ökonomische Bedeutung und trägt 2050
22 Prozent zur Wertschöpfung bei (gegenüber
24 Prozent im Jahr 2018).
62
3.3.3 E
nergieeinsatz und
Treibhausgasemissionen
Die Treibhausgasemissionen der Industrie sinken bis
2030 um 36 Prozent auf 123 Mio. t CO₂-Äq. Das im
Klimaschutzgesetz gesetzte Ziel (Reduktion auf
140 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2030) wird somit deutlich
übererfüllt. Die absolut größten Minderungsbeiträge
erbringen die Stahlindustrie sowie die chemische
Industrie. Erstere erbringt mit 47 Prozent auch einen
sehr großen relativen Minderungsbeitrag bezogen auf
ihre heutige Emissionsmenge. Dagegen bleibt der
Minderungsbeitrag der Zementindustrie noch klein
(siehe Näheres zu den Gründen im Brancheneinblick
unten). Die anderen Mineralstoffindustrien erreichen
ein Minderungsvolumen von vier Millionen und die
Papierindustrie von knapp zwei Millionen, was
jeweils etwa 24 Prozent Minderung gegenüber 2016
entspricht. In den weniger emissionsintensiven
„sonstigen Industriebranchen“ werden bis 2030
bedeutende Effizienzfortschritte erreicht. Gemein
sam mit dem Energieträgerwechsel hin zu Strom
erbringt das neun Millionen Tonnen Minderung. In
den sonstigen Bereichen, zu denen auch der bauwirt
schaftliche Verkehr sowie die „Produktverwendung“
zählen, werden bis 2030 neun Millionen Tonnen
(48 Prozent) Minderung erreicht.
Während der beiden Dekaden zwischen 2030 und
2050 mindert die Stahlindustrie ihre Emissionen
noch einmal um 42 Millionen Tonnen CO₂-Äquiva
lente, während die chemische Industrie um 47 Millio
nen Tonnen mindert. Sowohl die Stahlindustrie
(minus 13 Mio. t CO₂-Äq) als auch die Chemieindust
rie (minus 26 Mio. t CO₂-Äq) werden damit 2050 in
ihrer Treibhausgas-Emissionsbilanz netto-negativ.
Die Zementindustrie erreicht eine annähernd
ausgeglichene Treibhausgasbilanz, während bei den
übrigen mineralischen Industrien (Glas, Kalk) noch
Treibhausgasemissionen in Höhe von fünf Millionen
Tonnen CO₂-Äquivalenten zu Buche schlagen.
Prozessemissionen entstehen auch durch den Einsatz
von fluorierten Treibhausgasen (F-Gasen), die für
spezielle Anwendungen hergestellt werden. Beispiele
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Industrie (Mio. t CO₂-Äq.)
Industrie
Abbildung 28
-26 Eisen und Stahl: Erhöhter Anteil Sekundärstahl, DRI-Anlagen/Wasserstoff
-15 Chemie*: CO2 armer Wasserstoff, Effizienz
-2 Zement: Brennstoffwechsel, Einstieg CCS
191
-4 Andere Minerale: Energieträgerwechsel
-2 Zellstoff/Papier: Energieeffizienz
Sonstiges**
-10 Sonstige Industrie: Energieeffizienz,
Energieträgerwechsel
sonstige Industrie
-11 Sonstiges**
123
Zellstoff/Papier
-42 Eisen und Stahl: erhöhter Anteil Sekundärstahl,
DRI-Anlagen/Wasserstoff
andere Mineralien
-47 Chemie*: BECCS, Elektrifizierung,
erneuerbare Feedstocks
Zement
-16 Zement: Materialeffizienz,
Neue Zemente, CCS
-8 Andere Minerale:
Energieträgerwechsel
Chemie*
-5 Zellstoff/Papier:
Energieträgerwechsel
-8 Sonstiges**
Eisen und Stahl
-30
2016
2030
-27 Sonstige Industrie:
Energieeffizienz,
Energieträgerwechsel
2050
* Chemie enthält hier die Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in
„Sonstige Industrie“ enthalten.
** Sonstiges enthält die Bereiche Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie,
Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen
Wuppertal Institut (2020)
sind: Kältemittel, Schutzgas, Isoliergas oder Löschgas.
Im Jahr 2016 betrugen die F-Gas-Emissionen knapp
15 Mio. t CO₂-Äq. Durch die F-Gas-Verordnung von
2014 ist eine Minderung auf etwa 4 Mio. t CO₂-Äq bis
2030 zu erwarten. Da für fast alle Anwendungszwe
cke Alternativen mit keiner oder viel geringerer
Treibhausgaswirkung zur Verfügung stehen, wird bis
zum Jahr 2050 eine Reduktion bis auf etwa 1 Mio. t
CO₂-Äq angenommen. Die Reduktion der Prozesse
missionen aus dem Einsatz von F-Gasen ist im
Bereich „Sonstiges“ miterfasst.
Der Sektor des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt
wird in Deutschland damit nach 2045 klimaneutral
und verbucht im Jahr 2050 Negativ-Emissionen in
Höhe von knapp 30 Mio. t CO₂-Äq.
Auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität sinkt der
Endenergiebedarf infolge von Produktionsmengen
veränderungen und steigender Effizienz bis 2030 um
13 Prozent (gegenüber 2016) und zwischen 2030 und
2050 noch einmal um 5 Prozent. Zudem gibt es einen
zügigen Energieträgerwechsel: Kohle wird bis 2040
63
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
weitgehend 3 und Öl bis 2045 vollständig ersetzt. Der
Erdgasbedarf sinkt bis 2030 vergleichsweise moderat
um 14 Prozent, wird jedoch bis zum Ende des
Betrachtungszeitraums ebenfalls verdrängt. Strom ist
2050 der dominante Energieträger und baut seinen
Anteil auf etwa 50 Prozent aus. Letztendlich bleibt die
zusätzliche Anwendung von Strom jedoch aufgrund
der absoluten Knappheit beschränkt. Seine zusätzli
chen Anwendungsfelder liegen vor allem dort, wo er
deutliche Effizienzvorteile gegenüber anderen
3
Energieträgern hat, also in erster Linie bei Wärme
pumpen zur Bereitstellung von Wärme unter
100 Grad Celsius. Auch in Industrieöfen wird Strom
aufgrund klarer Effizienzvorteile gegenüber Wasser
stoff vermehrt eingesetzt, allerdings vorwiegend in
mittelständischen Unternehmen, in denen Strom
bereits heute eine wichtige Rolle einnimmt. Wasser
stoff, feste Biomasse, Biogas sowie Abfälle sind die
weiteren relevanten Energieträger im klimaneutralen
Zielsystem 2050.
CO₂-Abscheidung und -Speicherung nimmt im
Szenario eine wichtige Rolle ein: Bereits 2030
werden 1,2 Millionen Tonnen CO₂ an günstig gelege
nen Standorten der Zementindustrie abgeschieden,
abtransportiert und in geeigneten CO₂-Lagerstätten
Kleine Mengen Kohle verbleiben im Jahr 2040 noch für
metallurgische Zwecke (1 TWh) sowie in der minera
lischen Industrie (2 TWh). Diese werden jedoch in der
Dekade nach 2040 aus biogenen Stoffen bereitgestellt
beziehungsweise durch biogene Energieträger ersetzt.
Treibhausgasemissionen und Endenergieverbrauch in der Industrie
191
50
55
28
18
5
13
16
31
21
44
29
0
93
8
21
12
13
14
19
43
15
10
12
-4
4
4
-10
-30
-13
-26
-50
2050
2045
2040
2035
2030
2025
228
400
300
200
100
607
48
596
37
590
33
601
24
238
272
294
310
50
43
7
95
217
500
0
2016
49
216
28
24
41
16
229
45
27
10
224
197
4
36
14
4
33
111
80
154
52
141
186
4
32
49
4
32
95
4
35
52
32
3
33
47
31 3
2050
36
6
14
630
2045
18
600
2040
100
51
123
10
32
675
2035
7
17
49
2030
38
722
700
159
14
2025
150
800
2016***
Treibhausgasemissionen [Mio. t CO2]
21
Endenergieverbrauch [TWh]
200
Abbildung 29
Eisen und Stahl
Chemie*
Steinkohle
Braunkohle
Ölprodukte/Abfall
Zement
Andere Minerale
Kraftstoffe
Erdgas
Sonstige fossile Gase
Zellstoff und Papier
Sonstige Industrie
Wasserstoff
Biomasse
Strom
Sonstiges
**
Fernwärme
* Chemie inkl. Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in
„Sonstige Industrie“ enthalten.
** Sonstiges: enthält Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie,
Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen
*** Für 2016 gibt es eine Abweichung von den AG-Energiebilanz-Daten aufgrund der Modellierung der energieintensiven Industrien auf
Prozessebene sowie des Einbezugs des bauwirtschaftlichen Verkehrs in den Endenergiebedarf. Die Modellierung auf Prozessebene führt
auch zu einer Abweichung der THG-Emissionen von der Statistik von 0,1 Prozent.
Wuppertal Institut (2020)
64
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
im europäischen Ausland (zum Beispiel: Niederlande,
Norwegen) gespeichert. Ab 2035 werden Standorte
der Primärstahlerzeugung sowie die großen Chemie
parks Schritt für Schritt an ein zukünftiges CO₂-Netz
angeschlossen. Dort wird CO₂-Abscheidung gezielt
mit dem Einsatz biogener Energieträger kombiniert
(BECCS), um negative Emissionen zu erzielen, sodass
2040 bereits 20 Millionen Tonnen CO₂ eingespeichert
werden. Mit dem sehr konzentrierten Einsatz von
BECCS ab 2040 und einer weiter wachsenden Zahl
von Netzanschlüssen steigen die jährlich eingelager
ten CO₂-Mengen aus industriellen Quellen bis 2050
auf 49 Millionen Tonnen an, wovon 34 Millionen
Tonnen biogenes CO₂ sind.
3.3.4 E
inblicke in die Transformation
der Industriebranchen
Stahlindustrie
Die deutsche Stahlindustrie steht vor der Herausfor
derung, die emissionsintensive Hochofenroute zu
verlassen. Während innerhalb der EU in anderen
Ländern auch alternative Wege beschrieben werden,
konzentrieren sich die in Deutschland produzieren
den Standorte inzwischen auf Direktreduktionsan
lagen als neuen Weg zur Reduktion von Eisenoxid zu
Roheisen (hier: Direct Reduced Iron, DRI). Im ersten
Schritt können Direktreduktionsanlagen mit Erdgas
betrieben werden, was bereits eine CO₂-Minderung
von rund 66 Prozent gegenüber der Hochofenroute
ermöglicht. Mittelfristig können dann ohne signifi
kante Umrüstung steigende Anteile an Wasserstoff
beigemischt werden – so kann fossiles Erdgas
sukzessive ersetzt werden.
Die voraussichtlichen Produktionskosten für DRIStahl auf Basis von erneuerbarem Wasserstoff liegen
auch 2050 mit knapp 600 Euro pro Tonne deutlich über
den heutigen Produktionskosten in der Hochofenroute
(knapp 400 Euro/t). Insofern wird der Einsatz von
Schrott zukünftig deutlich attraktiver werden. Durch
verbessertes Produktdesign und eine bessere Sortie
rung (Digitalisierung) wird es möglich, mehr Schrott
mit klar definierter Qualität für die Erzeugung von
Qualitätsstählen einzusetzen. Dadurch kann der Anteil
von Sekundärstahl an der gesamten Stahlerzeugung
im Szenario in Deutschland von 28 Prozent im Jahr
2016 auf 50 Prozent im Jahr 2050 steigen. Der
heutige Nettoexport von Schrott mit nachfolgendem
Downcycling geht entsprechend zurück.
In Zukunft sind verschiedene Primärstahlrouten auf
der Basis von DRI denkbar:
→ Elektrolichtbogenöfen (Electric Arc Furnace, EAF),
wie sie heute schon im Rahmen des Schrottrecy
clings eingesetzt werden, ermöglichen das Auf
schmelzen und die Verarbeitung von Schrott sowie
DRI zu Rohstahl in einem Prozessschritt (DRI-EAF).
→ Die großen deutschen Primärstahlhersteller sind
heute auf Stähle im Linz-Donawitz-Verfahren
(Konverterverfahren) spezialisiert. Auch hier kann
DRI nach vorherigem Einschmelzen eingesetzt
werden, beispielsweise in einem Einschmelzer
(Submerged Arc Furnace, SAF). Hieraus ergibt sich
die DRI-SAF-Konverter-Route.
Aus heutiger Sicht ist unklar, welche Rolle die EAFund die SAF-Konverter-Route bis 2050 jeweils
spielen können, eine Festlegung erfolgt deshalb in den
Szenarien nicht.4 Die Route über SAF benötigt
weniger Strom und ermöglicht eine Weiternutzung
der sehr langlebigen Konverter, während die EAFRoute weniger komplex in Bezug auf das Manage
ment von Kohlenstoffströmen und sehr flexibel in
Bezug auf den Einsatz von Schrott ist.
Im Szenario werden keine Hochöfen mehr neu in
Betrieb genommen, sondern stattdessen ab Mitte der
2020er-Jahre alle zur Reinvestition anstehenden
Hochöfen durch DRI-Anlagen ersetzt. Bis 2030
kommen in diesem Zuge 11 Millionen Tonnen
DRI-EAF-Kapazität mit einem Investitionsvolumen
4
Bei unseren Berechnungen zum Energiebedarf haben wir
konservativ Werte zum DRI-Verfahren angenommen,
da hierzu spezifische Werte aus der Literatur vorliegen
(siehe Schneider et al. 2019 für einen Überblick).
65
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
20
15
10
152
140
18
23
125
21
23
120
100
80
40
Sekundärstahl
24
24
23
36
57
2016
2050
2045
2040
2035
2030
2025
0
2020
20
2015
5
DRI
62
15
60
0
Hochofen
80
45
111
27
92
9
24
29
29
20
29
15
Erdgas
Biomasse
Koks
Strom
Kohle
Wasserstoff
93
92
25
34
23
34
10
23
36
2050
25
24
2045
30
160
2030
35
179
2025
40
Abbildung 30
2040
180
2035
200
45
Energieträgereinsatz [TWh]
50
2010
Produktionsmengen Rohstahl [Mio. t]
Rohstahlproduktion nach Routen und Energieträgereinsatz 5 in der Eisen- und Stahlindustrie
Wuppertal Institut (2020)
5
von 8,5 Milliarden Euro in den Anlagenbestand.6 Um
mit diesen Anlagen weitgehend „grünen Stahl“
produzieren zu können und um die Investition auch
gegenüber institutionellen Investoren klar als
nachhaltig zu kennzeichnen, wird von Anfang an
weitgehend (zu 80 Prozent, bezogen auf den Energie
gehalt) Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt.
Fossiles Erdgas im Umfang von 20 Prozent spielt
dabei die Rolle des Kohlenstofflieferanten im Reduk
5
6
66
Der Energieträgereinsatz wurde hier nicht gemäß den
Konventionen zur Bilanzierung des Endenergiebedarfs
in der deutschen Energiebilanz bilanziert. Abweichend
hiervon wurde das Kuppelgasaufkommen nicht mit
dem Einsatz von Koks verrechnet. Der Einsatz von
Kuppelgasen in den Öfen der Stahlindustrie und in den
Hüttengaskraftwerken ist deshalb auch nicht als zusätz
licher Energiebedarf angegeben. Die Stromerzeugung
aus Hüttengasen ist in den Ausweisungen des
Umwandlungssektors berücksichtigt. Eine entspre
chende Strom-Gutschrift wäre hier insofern möglich,
erfolgte jedoch nicht.
Hier wurde davon ausgegangen, dass in eine wasser
stoffbasierte DRI-EAF-Route investiert wird.
tionsmittel7 beziehungsweise dient als Back-up bei
Ausfall der Wasserstoffversorgung.8
Stahlunternehmen sind bereits heute sehr erfahren
im effizienten Umgang mit Hüttengasen in wech
selnder Zusammensetzung. Diese Kompetenz und die
Flexibilität von DRI-Anlagen in Bezug auf die
Zusammensetzung des Reduktionsmittels ermöglicht
es der Stahlindustrie, auch die langfristigen (metal
lurgischen) Herausforderungen zu bewältigen und bis
2050 sogar zur Kohlenstoffsenke zu werden. Neben
Wasserstoff kommt im Szenario langfristig der
Biomasse eine besondere Bedeutung zu. Als Hack
schnitzel angeliefert wird sie in den Werken zu
Synthesegas umgesetzt (gasifiziert). Diese Gas
mischung aus Kohlenmonoxid, Wasserstoff und
Kohlenstoffdioxid kann zum einen als biogener
7
Der Kohlenstoff wird hier nicht zum Zweck der
Reduktion selbst benötigt, sondern aus metallurgischen
Gründen, zum Beispiel zur Schlackenbildung.
8
Im Szenario sind alle Standorte, an denen DRI produziert
wird, 2030 bereits mit einer Wasserstoffpipeline ver
bunden.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Kohlenstofflieferant für die metallurgischen Prozesse
dienen. Zum anderen kann sie auch die benötigte
Wärmeenergie zum Vorheizen von DRI und Schrott
sowie zum Wiedererwärmen des Rohstahls im Zuge
des Warmwalzens liefern. Bei Verbrennung des
Synthesegases in einem Oxyfuel-Ofen werden hohe
CO₂-Konzentrationen im Abgas erreicht, sodass eine
effiziente Abscheidung und Abgabe an ein CO₂-Netz
mit anschließender geologischer Speicherung als
Biomasse-CCS (BECCS) möglich ist. Das CO₂-Netz
verbindet Deutschland über die Seehäfen mit geeig
neten Offshore-Lagerstätten im europäischen
Ausland.
Chemische Grundstoffe
Ein Großteil der Emissionen in der chemischen
Industrie sind auf drei Bereiche zurückzuführen:
→ die Spaltung von Kohlenwasserstoffen und
Erzeugung sogenannter Plattformchemikalien im
Steamcracker,
→ die Wasserstofferzeugung, in erster Linie zur
Produktion von Ammoniak, sowie
→ die Bereitstellung von Dampf (und Strom) durch
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) und
Dampfkessel.
Die Steamcracker bilden neben der Chlor- und
Ammoniakproduktion einen zentralen Ausgangs
punkt für die Wertschöpfungsketten der chemischen
Industrie. Ihre Hauptprodukte (Olefine und Aroma
ten) werden als High Value Chemicals (HVC) subsu
miert und finden als sogenannte „Plattformchemika
lien“ Eingang in verschiedene ein- oder mehrstufige
Produktionsrouten hin zu den Polymeren. Die bisher
in Europa vorherrschende Produktionsstruktur ist
eine Einbettung der Steamcracker in Raffinerie
komplexe und die Verwendung des von den Raffine
rien destillierten Rohbenzins (Naphtha) als Feedstock
für die Steamcracker. Im Zuge des Rückgangs der
Produktionsmenge von Mineralölraffinerien ist
absehbar eine Anpassung der Produktionsroute hin
zu den Plattformchemikalien vonnöten.
Die in den vergangenen Jahren in Europa installierten
neuen Produktionskapazitäten (allesamt an den
europäischen Küstenstandorten) verwenden als
Eingangsstoffe Nebenprodukte der Schiefergasförde
rung – in erster Linie Ethan und Propan – und
produzieren dezidiert nur ein bestimmtes Haupt
produkt wie Ethylen oder Propylen. Sie können somit
sehr gut in spezialisierte Kunststoffproduktions
standorte mit Polyethylen- oder Polypropylen-
Produktion (PE beziehungsweise PP) eingebunden
werden und sind in diesem Produktspektrum
wettbewerbsfähiger als Standorte im Binnenland.
Als alternative Route zum Steamcracker steht für die
Produktion von Olefinen zudem das Methanol-to-Olefins-Verfahren (MtO-Verfahren) zur
Verfügung, das bereits heute im industriellen Maß
stab verwendet wird, um Ethylen und Propylen zu
erzeugen. Methanol-to-Aromatics-Verfahren (MtA)
sind dagegen bisher nicht etabliert, ihre Produktaus
beuten in Bezug auf die Einsatzmenge Methanol sind
deutlich ungünstiger und die Anwendung des
Verfahrens ist deshalb auch langfristig mit hohen
Kosten verbunden (vgl. Agora Energiewende/
Wuppertal Institut 2019).
In Deutschland machen die Cluster an Rhein und
Ruhr sowie der Standort Ludwigshafen heute zusam
men etwa 80 Prozent der Steamcracker-Kapazitäten
aus. Dort sind die regionalen Wertschöpfungsketten
besonders komplex und in besonderer Weise auf die
effiziente Nutzung der gesamten Palette der
Naphtha-Cracker-Produkte 9 abgestimmt. Insofern
sind diese Standorte in besonderer Weise auch auf
Steamcracker-Produkte wie Butadien und Aromaten
angewiesen, die mit heute verfügbarer Technologie
nur relativ ineffizient in alternativen Routen (siehe
oben zu Methanol-to-Aromatics) hergestellt werden
können.
9
Die Palette der High Value Chemicals umfasst beim
Naphtha-Cracking die Olefine Ethylen, Propylen und
Butadien sowie als Aromaten Benzol, Toluol und Xylol.
67
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
12
2
18
16
10
9
8
2
6
1
1
10
8
8
2
2
2
4
3
5
2
4
16
14
14
12
7
3
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5
4
2
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8
1
6
4
1
1
8
1
2
3
3
Methanol-to-olefins
Cracking von fossilem Ethan
2016
2050
2040
2030
2016
Raffinerie-Co-Produkte
Cracking von Pyrolyseprodukten
Cracking von Naphtha
(o. Naphtha aus Pyrolyse)
2030
0
0
14
4
6
6
1
1
2050
13
2040
14
Abbildung 31
Feedstock Input [Mio. t]
HVC Output [Mio. t.]
HVC-Produktion nach Routen und Feedstock-Einsatz
Naphtha Import (fossil)
Ethan Import
Naphtha Import ("grün")
Naphtha (aus Pyrolyse)
Gasöl (aus Pyrolyse)
Ethan (aus Pyrolyse)
Methanol aus
Gasifizierung Abfälle
Propylen aus FCC
Naphtha aus Raffinerien
in DE
Wuppertal Institut (2020)
An deutschen Standorten gibt es neben der Produk
tion der Standardpolymere wie Polyethylen, Polypro
pylen und Polyethylenterephthalat (PET) auch stark
spezialisierte Anlagen wie zum Beispiel zur Produk
tion des Polyurethan-Vorprodukts Toluylen
diisocyanat (TDI), von denen es weltweit nur wenige
gibt. Dies schafft eine starke Ausgangsposition dafür,
dass Anlagen der chemischen Industrie, die die
Plattformprodukte weiterverarbeiten, langfristig in
Deutschland weiterbetrieben werden. Daher bleibt
dieser bedeutende Teil der Wertschöpfung im Szena
rio Klimaneutral 2050 in Deutschland erhalten.
Im Zuge des Rückgangs der Produktionsmenge von
Mineralölraffinerien und mit Blick auf eine Reduk
tion von Treibhausgasemissionen stellen sich die
deutschen Standorte der Chemieindustrie im Szena
rio auf neue Feedstocks um. Die Abbildung oben zeigt
die Produktion von HVC nach verschiedenen Routen
über die Zeit (wozu heute auch die Co-Produkte aus
den Raffinerien gehören) sowie den Einsatz von
68
Feedstock in den Crackern und MtO-Anlagen. Im Jahr
2050 werden 41 Prozent der Plattformchemikalien
(HVC) durch das Cracking von Pyrolyseprodukten
hergestellt, 32 Prozent durch das Cracking von
(importiertem grünem) Naphtha und 28 Prozent über
die MtO-Route.10
Wie die Abbildung zeigt, kommt der Pyrolyse von (gut
sortierten) Kunststoffabfällen im Szenario KN2050
bereits 2030 eine wichtige Rolle zu. Sie ermöglicht
den Einsatz von 1,3 Millionen Tonnen Feedstock in
den bestehenden (aber umzurüstenden) Steam
10
Im Vergleich zu den anderen hier dargestellten
Feedstocks hat Methanol einen hohen Sauerstoffanteil,
der erheblich zu dessen Gewicht beiträgt. Da der im
Methanol gebundene Sauerstoff während der HVCProduktion abgetrennt und nicht in die HVC eingebun
den wird, deckt Methanol 2050 zwar 42 Prozent des
Feedstock-Bedarfs ab, die methanolbasierte HVCProduktion macht aber nur 28 Prozent der gesamten
HVC-Produktion in Deutschland aus.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
crackern (siehe auch Agora Energiewende/Wuppertal
Institut 2019, Material Economics 2019, VCI 2019,
Schneider et al. 2020).11 Daneben wird 2030 über den
Rhein fossiles Ethan importiert. Eine Gasifizierung
von stark gemischten Abfällen mit anschließender
Methanol-Synthese eröffnet langfristig den Weg zur
Anwendung des MtO-Verfahrens. Die dem Szenario
zugrunde liegenden Rechnungen zeigen, dass MtO in
Deutschland eine ergänzende Rolle spielen kann, aber
dass die Steamcracker insbesondere an den deut
schen Standorten auch zukünftig einen zentralen
Beitrag zur Versorgung mit Plattformchemikalien
leisten werden. Damit sie im europäischen Verbund
weiter produzieren können, müssen sie im Rahmen
ihres ohnehin anstehenden Reinvestitionszyklus im
Hinblick auf den eingesetzten Feedstock flexibilisiert
werden. Nur so können sie bereits mittelfristig
Pyrolyseprodukte und Import-Ethan, langfristig
(2050) auch „grünes“ Naphtha (aus Power-to-LiquidVerfahren) verwenden. Im Jahr 2050 kommen etwa
3,4 Millionen Tonnen hiervon über die bereits
vorhandenen Feedstock-Pipelines ins Land. Analog
zu den Annahmen im Hinblick auf die Versorgung
mit Kraftstoffen geht das Szenario davon aus, dass ein
solcher synthetisch hergestellter Feedstock (grünes
Naphtha) im Jahr 2050 auf den Weltmärkten gehan
delt werden wird und über die Seehäfen und beste
henden Pipelines zu sehr niedrigen Transportkosten
importiert werden kann.
Eine Produktion von Plattformchemikalien auf Basis
von importiertem grünem Methanol ist langfristig in
Europa ebenfalls möglich und könnte unter sehr
günstigen Bedingungen zu CO₂-Vermeidungskosten
11
In den Simulationsrechnungen wird Europa insgesamt
betrachtet, und die dort ermittelten Abfallmengen zum
Einsatz in Pyrolyse sind über Europa insgesamt verfüg
bar. Die für Deutschland ermittelte Einsatzmenge von
1,3 Millionen Tonnen lässt sich jedoch nicht allein aus in
Deutschland abfallenden Mengen erzeugen. Wir gehen
davon aus, dass ein Teil der Pyrolyse-Produkte über
die Seehäfen nach Deutschland kommt. Rotterdam und
Antwerpen könnten ihre heute schon bestehende HubFunktion für Kunststoffabfälle weiter ausbauen.
in Höhe von unter 100 Euro pro Tonne CO₂ erfolgen
(vgl. Agora Energiewende/Wuppertal Institut 2019).
Gegenüber der Naphtha-Route ist diese Route für
Küstenstandorte mit ausschließlichem Ethylen- oder
Propylen-Bedarf wirtschaftlich vorteilhaft. In den
durchgeführten Simulationsrechnungen werden die
entsprechenden Anlagen auch aufgrund einer
fehlenden Pipelineinfrastruktur jedoch nicht an
Standorten des Binnenlandes errichtet.12 Die
HVC-Produktion aus importiertem grünem Methanol
spielt daher im Szenario KN2050 für Deutschland
keine Rolle.
Die Ammoniakproduktion bildet den zweiten emissi
onsintensiven Ausgangspunkt für Wertschöpfungs
ketten. Auch Ammoniak geht in einige Polymer-
Produktionsketten ein, wird jedoch ganz
überwiegend in der Düngemittelherstellung verwen
det. Im Haber-Bosch-Verfahren werden Wasserstoff
und Stickstoff zu Ammoniak synthetisiert. Die
heutigen Emissionen sind in allererster Linie auf die
Wasserstoffbereitstellung zurückzuführen. Eine
klimaneutrale Ammoniakproduktion baut also
langfristig auf erneuerbar erzeugtem Wasserstoff auf.
Im Szenario Klimaneutral 2050 setzt die Industrie
mittelfristig auch fossilen Wasserstoff mit Kohlen
stoffabscheidung in ihren bestehenden
Haber-Bosch-Anlagen ein. Der Wasserstoff wird
jedoch nicht an den Standorten selbst produziert,
sondern über Pipelines bezogen. Gerade bei Ammo
niak stellt sich langfristig aber auch die Frage, ob er
überhaupt noch in Mitteleuropa erzeugt werden wird.
Durch seine gute Transportfähigkeit könnte er
ähnlich wie grünes Naphtha (und günstiger als
Wasserstoff) importiert werden (vgl. IEA 2019).
Den größten Block an den heutigen Emissionen der
chemischen Industrie stellen die Kraft-Wärme-
Kopplungs-Anlagen. In der chemischen Industrie
12
Ein Umstand, der sich langfristig ändern könnte, falls
zum Beispiel Rohölpipelines umgenutzt werden. Die
Hafenstandorte haben in Bezug auf die Nutzung von
importiertem Methanol jedoch einen Startvorteil.
69
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
werden diese überwiegend wärmegeführt betrieben.
Sie liefern – neben konventionellen mit Erdgas
betriebenen Dampfkesseln – den benötigten Prozess
dampf, der überwiegend in kontinuierlich betriebe
nen Prozessen benötigt wird. Der Dampf wird in der
chemischen Industrie einerseits als Wärmeträger,
anderseits auch stofflich als Lösungsmittel bezie
hungsweise Wasserstofflieferant eingesetzt. Entspre
chend des Szenarios zur Stromerzeugung läuft die
Dampfbereitstellung aus KWK-Anlagen langfristig
(bis zum Jahr 2050) aus. Die Dampfversorgung wird
in diesem Zuge auf einen Mix aus Erzeugungstech
nologien umgestellt: Elektrodenkessel und Hochtem
peraturwärmepumpen können aufgrund der Knapp
heit von erneuerbarem Strom nur ein Teil der Lösung
sein und insbesondere bis 2030 trotz teilweise
niedriger CO₂-Vermeidungskosten (vgl. Agora
Energiewende/Wuppertal Institut 2019) nur geringe
Beiträge zur Vermeidung von Treibhausgasen leisten.
Aufgrund der starken räumlichen Konzentration von
Dampfsenken in Chemieparks und des damit verbun
denen hohen Energiebedarfs der Dampfbereitstellung
bietet sich bereits mittelfristig Wasserstoff als
Energieträger an, da er in großen Mengen kosteneffi
zient über Pipelines angeliefert werden kann.
Langfristig sieht das Szenario insbesondere die
Verwendung von Biomasse vor, um über die Kombi
nation mit CCS Negativ-Emissionen zu erreichen.
Auch hier ist die starke Konzentration der Dampfsen
ken der entscheidende Grund. Die Dampfversorgung
muss also innerhalb von etwa 20 Jahren zweimal
umgestellt werden. Diese Herausforderung bewältigt
die Industrie im Szenario, indem sie im Rahmen von
Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen nur noch in
Kessel investiert, die mit „Flex-Brennstoff“ betrieben
werden können. Diese werden dann zunächst mit
Wasserstoff (und gegebenenfalls noch Erdgas) und
später mit Synthesegas (bestehend aus Wasserstoff,
Kohlenmonoxid und Kohlendioxid) betrieben. Die für
den ersten Umstieg benötigte Wasserstoffinfrastruk
tur wird von den Unternehmen nach der Umstellung
auf Biomasse (wenn auch in geringerem Umfang) für
die stoffliche Nutzung von Wasserstoff eingesetzt.
Darüber hinaus können die mit Wasserstoff versorg
70
ten Industrieparks auch Standorte für die Wasser
stoffrückverstromung werden, insofern sie sich
innerhalb von regionalen Schwerpunkten der
Stromnachfrage befinden.
Aus diesen Entwicklungen ergibt sich im Szenario
Klimaneutral 2050 der Energieverbrauch der Grund
stoffchemie13. Der Endenergieverbrauch bleibt
langfristig in etwa auf dem heutigen Niveau. Strom
wird durch den zusätzlichen Bedarf für die Dampfbe
reitstellung zum wichtigsten Energieträger. Feste
Biomasse wird zum Dampfbereitstellung Hauptener
gieträger und nimmt – aufgrund der zentralen Rolle
der Dampfbereitstellung für den gesamten Energie
bedarf der Grundstoffchemie – ab 2040 eine zentrale
Rolle ein. Der Wasserstoffbedarf ist durch verschie
dene Entwicklungen geprägt. Während eine sinkende
Ammoniakproduktion die Nachfrage nach stofflich
verwendetem Wasserstoff bis 2030 sinken lässt,14
entsteht im Zeitraum 2030 bis 2045 ein Bedarf für
eine energetische Nutzung von Wasserstoff in der
Dampfbereitstellung. Darüber hinaus wird Wasser
stoff zunehmend auch für die Bereitstellung von
13
Die Gründe für diesen im Vergleich zu Szenarien
in anderen Studien (zum Beispiel Szenario
„Treibhausgasneutralität“ des VCI 2019 und Szenario
„EL95“ der dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende“)
im Jahr 2050 niedrigen Endenergieverbrauch sind
vielschichtig: 1) im Szenario KN2050 wird eine im
Vergleich geringere inländische Nachfrage nach Naphtha
unterstellt. Hintergrund ist ein Rückgang der inlän
dischen HVC-Produktion infolge einer Verlagerung
der Produktion an Küstenstandorte im außereuro
päischen Ausland durch Marktkräfte. 2) Eine wei
tere Reduktion des Naphtha-Bedarfs entsteht durch
einen höheren Anteil an Kunststoffrecycling. 3) Zudem
wird (grünes) Naphtha in einem Umfang importiert,
für dessen inländische Produktion mittels FischerTropsch-Synthese 117 TWh Strom benötigt würden.
4) Auf elektrische Steamcracker wird aus Gründen der
Wirtschaftlichkeit verzichtet. 5) Es wird ein Rückgang
der Ammoniakproduktion in Übereinstimmung mit dem
Szenario zur Landwirtschaft unterstellt.
14
Nicht in der Abbildung zum Endenergieverbrauch
e nthalten. Die stofflich genutzte Menge H₂ ist 20 TWh in
2016 und 13 TWh in 2030.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Grundstoffchemie: Endenergieverbrauch und Primärenergieverbrauch im Jahr 2050
160
23
21
40
118
119
21
20
43
10
51
20
43
51
12
5
19
5
53
37
136
[TWh]
49
9
117
39
68
37
64
36
26
68
feste Biomasse (energetische Nutzung)
49
Restchemikalien (energetische Nutzung)
5
20
23
9
5
9
9
9
2035
2030
2025
127
8
16
27
0
2016*
10
60
46
80
60
133
124
2050
100
138
2045
120
1
PEV 2050 gesamt***: 372 TWh
davon inländisch:
181 TWh
2040
Endenergieverbrauch [TWh]
140
Abbildung 32
17
Kunststoffabfälle (inländisch, stoffliche Nutzung)
Kunststoffabfälle (Import Ausland, stoffl. Nutzung)
EE-Strom (sonstiger Bedarf)
EE-Strom für H₂-Elektrolyse (inländisch)
Heizöl
Wasserstoff**
Fernwärme
Braunkohle
Restchemikalien
Strom
EE-Strom für importiertes grünes Naphtha
Steinkohle
Erdgas
Feste Biomasse
EE-Strom für Pyrolyse (im Ausland)
EE-Strom für H₂-Elektrolyse (importiertes H₂)
* 2016: statistische Werte (Quelle: AG Energiebilanzen), restliche Jahre: Modellergebnisse
** ohne stoffliche Verwendung von Wasserstoff
*** Nicht berücksichtigt sind Leitungs- und Speicherverluste im Stromsystem sowie Energieaufwände für den Transport der importierten
Energieträger und Stoffe. Kunststoffabfälle, feste Biomasse sowie Restchemikalien werden gemäß ihrem Heizwert eingerechnet.
Wuppertal Institut (2020)
Hochtemperaturwärme als Ersatz von Erdgas energe
tisch sowie in der MtO-Route stofflich genutzt. Die
Menge an „Restchemikalien“, die in den Steam
crackern anfallen und energetisch verwertet werden,
nimmt durch einen erhöhten Anteil an abfallbasierten
Feedstocks im Zeitraum ab 2035 zu.
Im Jahr 2050 werden 68 TWh erneuerbarer Strom
aus heimischer Produktion direkt genutzt, sowie
16 TWh Strom für die Erzeugung von 10 TWh grünem
Wasserstoff aufgewendet. Darüber hinaus werden
23 TWh Wasserstoff importiert, für dessen Herstel
lung mittels Elektrolyse 36 TWh erneuerbaren Stroms
aufgewendet werden. Für die Herstellung des impor
tierten grünen Naphthas (41 TWh) werden weitere
117 TWh erneuerbarer Strom benötigt. Auch die
Pyrolyse der importierten Pyrolyseprodukte erfordert
erneuerbaren Strom (1 TWh). Insgesamt benötigt die
Chemieindustrie somit im Jahr 2050 239 TWh Strom
aus erneuerbaren Quellen (im In- und Ausland).
Zementindustrie
Für eine Transformation zu einer (nahezu) klimaneut
ralen Zementproduktion sind im Szenario zwei Strate
gien zentral: der effiziente Einsatz von Zementklinker 15
sowie CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS).
Der effiziente Einsatz von Zementklinker umfasst die
gesamte Wertschöpfungskette Betonbau und bein
haltet:
→ eine Reduktion des Zementklinkeranteils in
Zementen durch den Einsatz innovativer Hauptbe
15
Zementklinker ist der zentrale Bestandteil von Zement,
der in verschiedenen Zementarten zu unterschiedlichen
Anteilen durch weitere Hauptbestandteile (zum Beispiel
Hüttensand, gemahlener Kalkstein) ergänzt wird. Die
Herstellung von Zementklinker ist ein energieintensiver
Hochtemperaturprozess, bei dem durch die Entsäuerung
von Kalkstein auch prozessbedingte CO₂-Emissionen
entstehen.
71
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
standteile (zum Beispiel Betonbrechsande, kalzi
nierte Tone),
→ die Reduktion des Zementanteils in Beton, unter
anderem durch optimierte Korngrößenverteilung
der Betonaggregate und verbesserte Betonzusatz
mittel, sowie
→ den mengenoptimierten Einsatz von Beton in
Betonbauteilen zum Beispiel durch Carbon-Beton
und eine intelligente Geometrie von Bauteilen.16
16
Im Szenario wird zudem eine moderate Fortsetzung
des in den vergangenen Jahren zu beobachtenden
Anstiegs des Holzbauanteils im Wohnungsbau von
16 Prozent im Jahr 2016 auf 24 Prozent im Jahr 2050
sowie ein ebenfalls moderater Anstieg im Nicht
wohnungsbau von 19 Prozent im Jahr 2016 auf
22 Prozent im Jahr 2050 angenommen.17 Der Einsatz
neuer Bindemittel, die konventionelle Zemente in
bestimmten Anwendungen substituieren können,
steigt im Szenario ab 2030 bis auf einen Marktanteil
von fünf Prozent im Jahr 2050. Diese neuen Binde
mittel erlauben im Mittel eine Reduktion der
spezifischen CO₂-Emissionen um 30 Prozent
gegenüber dem Durchschnitt konventioneller
Zemente im Basisjahr. Durch diese Maßnahmen
ergibt sich in Summe bis 2050 – trotz steigender
Bautätigkeit – ein leichter Rückgang in der Zement
Die sich aus dem Szenario zur Stahlindustrie erge
benden, insbesondere nach 2025 stark rückläufigen
Hüttensandmengen wurden berücksichtigt und können
im Szenario durch Fortschritte beim Einsatz innova
tiver Zementhauptbestandteile kompensiert werden.
Der Klinkerfaktor bleibt im Szenario bis circa 2040
nahezu konstant (~0,73) und kann bis 2050 auf 0,68
abgesenkt werden. Der sich aus dem Szenario für die
Stromproduktion ergebende Wegfall von Flugasche
wird durch Fortschritte in der Betontechnik kompen
siert. Im Zeitraum 2030 bis 2050 kann im Szenario der
Zementanteil in Beton darüber hinaus um 10 Prozent
gesenkt werden.
17
Prozentangaben bezogen auf die Anzahl genehmigter
Gebäude
Minderungsbeiträge einzelner Strategien in der Zementindustrie (Mio. t. CO₂-Äq.)
Abbildung 33
Holzbau
18
-1
Effizienzsteigerung Öfen
2
CCS
-4
-0,3
-0,7
12,5
-0,4
-1,3
Steigende Bautätigkeit
Effizienter Einsatz
von Zement und
Beton
Absenkung
Klinkerfaktor
Brennstoffmix
Neue Bindemittel
0,5
2016
Wuppertal Institut (2020)
72
2050
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
produktion sowie ein etwas stärkerer Rückgang bei
der Produktion von Zementklinker.
Zementklinker bleibt im Szenario jedoch ein bis zum
Jahr 2050 unverzichtbarer Werkstoff. Da seine
Produktion mit prozessbedingten Emissionen
verbunden ist, erscheint der Einsatz von CCS aus
heutiger Sicht unumgänglich, um in der Zementin
dustrie (nahezu) Klimaneutralität zu erreichen. Es
wird für das Szenario angenommen, dass die
Oxyfuel-Technologie zur CO₂-Abscheidung an
Zementöfen im industriellen Maßstab zwischen
2025 und 2030 verfügbar sein wird und damit eine
CO₂-Abscheiderate von 90 Prozent (ab 2040 sogar
95 Prozent) erreicht werden kann. Reinvestitionen
in Zementöfen erfolgen ab circa 2030 nur noch in
Öfen mit Oxyfuel-Technologie. Öfen, die vorher
reinvestiert werden, werden als Carbon Capture
Ready angenommen. Eine Nachrüstung mit der
Oxyfuel-Technologie erfolgt an solchen Anlagen
nach 20 Betriebsjahren. An Standorten, die pers
pektivisch nicht an eine CO₂-Infrastruktur ange
bunden werden können, werden Öfen am Ende ihrer
angenommenen technischen Lebensdauer (60 Jahre)
nicht reinvestiert.
Ein weiterer wichtiger Baustein zur Reduktion der
CO₂-Emissionen der Zementindustrie ist eine
(weitere) Umstellung des Brennstoffmix. Wir führen
im Szenario den historischen Trend zum verstärkten
Einsatz von Alternativbrennstoffen aus Abfällen fort
– dieser erreicht im Jahr 2050 circa 90 Prozent. Der
biogene Anteil des in den Alternativbrennstoffen
enthaltenen Kohlenstoffs verbleibt dabei auf dem
heutigen Niveau (34 Prozent).18 In Ergänzung werden
18
Wir bezeichnen als Alternativbrennstoffe sämtliche
abfallbasierten Brennstoffe. Biogener Kohlenstoff ist
enthalten in Klärschlamm, Tiermehl, Altholz, Zellstoff,
Papier, Pappe, in Autoreifen (biogene Kautschukanteile)
und weiteren als Brennstoff verwendeten Abfällen wie
organischen Destillationsrückständen. Speziell für die
energetische Verwendung angebaute Energiepflanzen
sowie Biogas und Biomethan subsumieren wir nicht unter
Alternativbrennstoffe, sondern weisen diese gesondert aus.
zunehmend biogene Brennstoffe aus Energie
pflanzenanbau als Ersatz für die verbleibenden
10 Prozent fossiler Brennstoffe eingesetzt: feste
Biomasse als Holzhackschnitzel sowie Biomethan
beziehungsweise am Standort aufbereitetes Biogas.
Der anteilige Einsatz biogener Brennstoffe in Kombi
nation mit CCS ermöglicht den Entzug von CO₂ aus
der Atmosphäre (negative Emissionen). An vielen
Standorten können im Jahr 2050 durch den hohen
Anteil biogener Brennstoffe (43 Prozent bezogen auf
den Energieeintrag) in Kombination mit effektivem
CCS (Abscheiderate: 95 Prozent) die verbleibenden,
unvollständig abgeschiedenen prozessbedingten und
fossilen Emissionen überkompensiert werden, sodass
diese Standorte in ihrer Bilanz Netto-Negativ-Emis
sionen erreichen. Verbleibende Restemissionen der
Zementindustrie an Standorten ohne CCS können
hierdurch mit Blick auf die gesamte deutsche
Zementindustrie im Jahr 2050 nahezu kompensiert
werden.
Trotz fortgesetzter Effizienzsteigerungen kann die
Zementindustrie spürbare absolute CO₂-Minderun
gen erst im Zeitraum nach 2030 vorweisen.
Steigende Bautätigkeit sowie der Wegfall von Hüt
tensand und Flugaschen als wichtige Rohstoffe der
Zement- und Betonindustrie müssen zunächst
kompensiert werden, während innovative Zemente
und neue Bindemittel noch Zeit für Entwicklung und
Normierungsverfahren benötigen. Die CCS-Techno
logien sind neben weiterer Technologieentwicklung
vor allem auf den Aufbau einer entsprechenden
CO₂-Infrastruktur angewiesen, welcher ebenfalls vor
2030 schwerlich realisiert werden kann.
Abbildung 33 fasst die Auswirkungen der verschie
denen Minderungshebel in der Zementindustrie
zusammen.
Weitere Industrien
Signifikante CO₂-Emissionen entstehen auch bei der
Herstellung von Glas, Kalk, Nichteisenmetallen und
Papier. Des Weiteren spielen in vielen Industriebe
73
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
reichen genutzte Querschnittstechnologien, insbe
sondere für die Bereitstellung von Prozesswärme,
eine bedeutende Rolle.
Die heute verwendeten fossilen Brennstoffe werden
soweit technisch möglich durch Elektrifizierung
vermieden und die restlichen fossilen Brennstoffe
durch klimafreundliche ersetzt. Dies beinhaltet eine
Ausweitung des strombasierten Anteils der Wärme
bereitstellung in der Behälterglasherstellung auf
(maximal) 36 Prozent sowie bei Flachglas auf (maxi
mal) 16 Prozent bezogen auf den Endenergiebedarf
und – an geeigneten Standorten – eine Beimischung
von Wasserstoff in die in der Glasindustrie verwen
deten Brenngase von 50 Prozent (bezogen auf das
Volumen).19 Verbleibende Erdgasmengen werden
durch Biogas beziehungsweise -methan ersetzt.
Bezüglich der Herstellung von Nichteisenmetallen
unterstellen wir, dass der heute in Kupolöfen einge
setzte Koks nach 2040 durch biogenen Kohlenstoff
sowie Erdgas überwiegend durch Wasserstoff und
teilweise durch eine Elektrifizierung der Wärmebe
reitstellung ersetzt wird.
Wärmebereitstellung stärker auf strombasierte
(circa 20 Prozent) beziehungsweise mit Biomasse
befeuerte (circa 30 Prozent) Heizkessel. Zudem kann
ein Teil der Prozesswärme durch Hochtemperatur
wärmepumpen (circa 30 Prozent) bereitgestellt
werden. Fernwärme (circa 20 Prozent) spielt auch im
Jahr 2050 eine große Rolle.20
Prozessbedingte CO₂-Emissionen entstehen in der
Glasindustrie (Zersetzung der im Gemenge befindli
chen Karbonate, zum Beispiel Soda), der Kalkindustrie
(Entsäuerung von Kalkstein) sowie bei der Herstel
lung von Aluminium (Abbrand von aus Petrolkoks
und Steinkohlenteerpech hergestellten Anoden). Um
ein Entlassen dieser prozessbedingten Emissionen in
die Atmosphäre möglichst weitgehend zu vermeiden,
erfolgt im Szenario an Produktionsstandorten dieser
Industrien, die im Einzugsbereich der angenomme
nen CO₂-Infrastruktur liegen, eine Abscheidung der
dort anfallenden prozessbedingten und brennstoffbe
dingten CO₂-Mengen mit einer Abscheiderate von
90 Prozent unter Einsatz einer Aminwäsche.
3.4 Gebäude
In der Kalkindustrie wird der Einsatz von Alterna
tivbrennstoffen auf (bis zu) 100 Prozent erhöht.
Verbleibende Erdgasmengen werden je nach ange
nommener Verfügbarkeit am Standort durch
Wasserstoff, Biomethan oder am Standort aufgerei
nigtes Biogas ersetzt.
In der Papierindustrie spielt die Wärmebereitstel
lung über Dampf aus KWK-Anlagen oder Heizkes
seln heute die zentrale Rolle für die CO₂-Emissionen.
Da KWK-Anlagen mit ihrer geringen Flexibilität bei
der Stromproduktion im modellierten Stromsystem
2050 keine Rolle mehr spielen, verlagert sich die
19
74
Im Jahr 2050 erreicht im Szenario ein Drittel
der Glasschmelzwannen den maximalen
Elektrifizierungsgrad. Beimischung von H₂ ins
Brenngas erfolgt im Szenario an Standorten, die an eine
H₂-Infrastruktur angeschlossen sind.
3.4.1 Zielbild und Ausgangslage
Die THG-Emissionen des Gebäudesektors ver
ringerten sich zwischen 1990 und 2016 von
210 Mio. t CO₂-Äq auf rund 125 Mio. t CO₂-Äq (minus
40 Prozent). Wichtige Ursachen für die Reduktion
waren die Substitution weg von der Kohle, und ab
dem Jahr 2000 auch weg vom Heizöl. Die verbesser
ten Nutzungsgrade der Wärmeerzeuger (Brennwert
technologie), die gesteigerte Gebäudeeffizienz durch
Sanierungen und das Aufkommen von Erneuerbaren
Energien zur Wärmeerzeugung waren weitere
wichtige Faktoren zur Emissionsreduktion.
Gemäß dem aktuellen Klimaschutzgesetz (KSG) sollen
bis zum Jahr 2030 die THG-Emissionen im Gebäu
20
Die Prozentangaben sind jeweils bezogen auf die über
Dampf bereitgestellte Energiemenge.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
desektor auf maximal 70 Mio. t CO₂-Äq gesenkt
werden. Mit den im Herbst 2019 verabschiedeten
Maßnahmen des Klimaschutzprogramms werden
die Emissionen bis 2030 voraussichtlich auf
78 Mio. t CO₂-Äq (Prognos et al.) bis 87 Mio. t CO₂-Äq
(Öko-Institut et al.) reduziert. Die bisher verabschie
deten Maßnahmen sind noch nicht ausreichend.
Ohne zusätzliche Maßnahmen ist mit einer deutli
chen Verfehlung der Reduktionsziele zu rechnen.
Im Szenario KN2050 wird das Reduktionsziel des
KSG für das Jahr 2030 unterschritten, die
THG-Emissionen des Gebäudesektors werden auf
65 Mio. t CO₂-Äq reduziert. Nach 2030 werden die
THG-Emissionen im Hauptszenario KN2050 weiter
vermindert, bis 2050 sollen keine nennenswerten
Mengen an Treibhausgasen emittiert werden.
Die Reduktion der THG-Emissionen im Gebäudesek
tor ist anspruchsvoll, aber erreichbar. Eine große
Herausforderung ist die lange Lebensdauer der
Reduktion der Treibhausgasemissionen bei den Gebäuden (Mio. t CO₂-Äq.)
Abbildung 34
Gebäude
-39 Raumwärme PHH
-13 Raumwärme GHD
-5,6 Warmwasser PHH
-1,4 Warmwasser GHD
125
-0,5 Übrige Anwendungen PHH
-1,5 Übrige Anwendungen GHD
-39 Raumwärme PHH
-17 Raumwärme GHD
65
-4,7 Warmwasser PHH
-0,5 Warmwasser GHD
Energetische Sanierungen, Umbau der
Wärmeversorgung:
Wärmenetze und
Wärmepumpen
-0,5 Übrige
Anwendungen
PHH
Anlageneffizienz,
Elektrowärme
-2,5 Übrige
Anwendungen
GHD
1,3
2016
2030
Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung:
Wärmenetze und Wärmepumpen
Hinweis: PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen
2050
Anlageneffizienz,
Elektrowärme
Prognos (2020)
75
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Wärmeerzeuger und der Bauteile der Gebäudehüllen.
Dadurch wird jedes Jahr nur ein geringer Anteil des
Gebäude- und Anlagenbestands ersetzt oder moder
nisiert. Die damit verbundene Trägheit erschwert die
rasche Reduktion der Emissionen. Entsprechend
wichtig ist es, die anfallenden Ersatzzyklen zu nutzen
und dabei die notwendigen Effizienz- beziehungs
weise Dekarbonisierungsmaßnahmen umzusetzen.
Zentrale Maßnahmen zur Erreichung des Redukti
onsziels im Szenario KN2050 sind die Umstellung der
Wärmeversorgung sowie die Verbesserung der
Effizienz bei Gebäudehüllen und Anlagen.
Bei der Wärmeversorgung gewinnen die elektrische
Wärmepumpe und Wärmenetze stark an Bedeutung.
Hingegen werden ab 2025 keine neuen Wärmeerzeu
ger auf Basis von Heizöl oder Gas installiert. Der
Weiterbetrieb bestehender Anlagen bis ans Ende der
Lebensdauer (maximal 30 Jahre) bleibt erlaubt. Der
Einsatz von Biomasse wird durch die verfügbaren
Potenziale begrenzt.
Der durch Effizienzsteigerungen bei Elektrogeräten
niedrigere Strombedarf führt zu einer Emissionsmin
derung im Sektor der Energiewirtschaft.
3.4.2 Entwicklung der Gebäudeflächen
Dominiert wird der Energieverbrauch des Gebäude
sektors durch den Verwendungszweck Raumwärme.
Die Höhe des Raumwärmeverbrauchs steht in engem
Zusammenhang mit der beheizten Gebäudefläche. Die
Entwicklung der Gebäudefläche ist an die Bevölke
rung geknüpft. In der Regel belegt jeder Haushalt eine
Wohnung. Die Zahl der Haushalte ist dadurch ein
wichtiger Treiber für die Entwicklung der Gesamt
wohnfläche. Die Bevölkerung wächst bis zum Jahr
2025 und nimmt dann kontinuierlich ab (Kapitel 2.4).
Aufgrund der rückläufigen mittleren Haushaltsgröße
(Ein- und Zweipersonenhaushalte gewinnen im
Zeitverlauf an Bedeutung) steigt jedoch die Zahl der
Haushalte bis zum Jahr 2040 weiter an. Danach
überwiegt der Einfluss der abnehmenden Bevölkerung
und die Zahl der Haushalte wird rückläufig. Aufgrund
der abnehmenden mittleren Haushaltsgröße und von
Wohlstandseffekten steigt die Pro-Kopf-Wohnfläche
Entwicklung der Gebäudefläche nach Gebäudetyp*
7.000
6.000
[Mio. m²]
5.000
Abbildung 35
6.205
6.359
6.319
6.281
6.252
522
6.198
501
6.141
553
480
460
440
420
1.765
1.685
1.613
1.555
1.497
1.450
1.667
1.687
1.713
1.743
1.765
1.785
2.282
2.404
2.446
2.476
2.494
2.495
2.486
2018
2025
2030
2035
2040
2045
2050
1.767
4.000
3.000
1.603
2.000
1.000
0
EZFH
MFH
NWG beheizt
Hinweis: EZFH: Ein- und Zweifamilienhäuser; MFH: Mehrfamilienhäuser; NWG: Nichtwohngebäude
*in Mio. m², ohne Flächen des Industriesektors
Prognos (2020)
76
NWG unbeheizt
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
von 45 m² im Jahr 2018 auf 52 m² im Jahr 2050. Die
Gesamtwohnfläche steigt von 3.885 Mio. m² im Jahr
2018 über 4.132 Mio. m² im Jahr 2030 auf 4.271 Mio.
m² im Jahr 2050 (Abbildung 35).
Die Gebäudeflächen der Nichtwohngebäude (NWG)
des GHD-Sektors werden in der Modellierung
anhand der Zahl der Erwerbstätigen nach Branchen
sowie der branchenspezifischen Fläche je Erwerbstä
tigen hergeleitet. Die Zahl der Erwerbstätigen geht
mittel- und längerfristig deutlich zurück. Ursachen
sind die rückläufige Bevölkerung und der abneh
mende Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter
(aufgrund der älter werdenden Bevölkerung). Die
Gesamtfläche der NWG im GHD-Sektor nimmt ab
von 2.319 Mio. m² im Jahr 2018 über 2.187 Mio. m² im
Jahr 2030 auf 1.870 Mio. m² im Jahr 2050. Dies
entspricht einem Rückgang von annähernd 20 Pro
zent. Rund 20 bis 25 Prozent der NWG-Fläche wird
nicht beheizt, dieser Teil der Fläche hat keinen
Einfluss auf den Raumwärmebedarf.
3.4.3 E
ffizienzentwicklung Gebäudehülle:
energetische Sanierungen
Energetische Sanierungen der Gebäudehülle sind eine
zentrale Effizienzmaßnahme zur Reduktion des
Raumwärmebedarfs und der damit verbundenen
THG-Emissionen. Hierbei spielen sowohl die Sanie
rungsrate, als Maß für die Häufigkeit getätigter
Sanierungsmaßnahmen (Wie viele Bauteile werden im
Gebäudebestand modernisiert?), als auch die Qualität
beziehungsweise Sanierungstiefe der durchgeführten
Sanierungsmaßnahmen eine Rolle (Welche Dämm
stärke wird gewählt? Wird eine Zwei- oder Dreifach
verglasung eingesetzt?). Bei energetischen Sanierun
gen können entweder einzelnen Bauteile modernisiert
werden, zum Beispiel die Fenster oder das Dach, oder
es wird die gesamte Außenhülle modernisiert.
Entsprechend wird unterschieden zwischen Teilsa
nierungen und Gesamt- beziehungsweise Vollsanie
rungen. Bei der Modellierung werden Teilsanierungen
als Vereinfachung zu Gesamt- beziehungsweise
Vollsanierungen zusammengefasst und in Vollsanie
rungsäquivalenten ausgedrückt. Die im Folgenden
genannten Sanierungsraten beziehen sich ebenfalls
auf Vollsanierungsäquivalente. Dabei gilt: Je geringer
der Energieverbrauch nach einer Vollsanierung
ausfällt, desto höher ist die Sanierungstiefe der
gewählten Sanierungsmaßnahmen.
Gemäß einer aktuellen Erhebung des Institut Wohnen
und Umwelt (IWU) zur Sanierungstätigkeit wurden
bei Ein- und Zweifamilienhäusern (EZFH) im Zeit
raum 2010 bis 2016 jährlich rund 1,4 Prozent der
Altbauten energetisch saniert, bei Mehrfamilienhäu
sern (MFH) rund 1,6 Prozent (IWU 2018).21 Umge
rechnet auf den gesamten Gebäudebestand, also
inklusive der Gebäude mit Baujahr jünger als 1978,
ergeben sich jährliche Sanierungsraten von rund
1 Prozent bei den EZFH und annähernd 1,4 Prozent
bei den MFH. Die einzelnen Bauteile zeigen deutliche
Unterschiede bei der Sanierungshäufigkeit. Ver
gleichsweise hoch sind im Altbau die jährlichen
Modernisierungsraten bei den Bauteilen Fenster
(circa 2,5 Prozent) und Dach-/Obergeschoss (2,3 Pro
zent). Bei Fassaden beträgt der Anteil hingegen nur
1,1 Prozent, bei den Böden sogar weniger als 1 Pro
zent. Aufgrund der geringen jährlichen Modernisie
rungsraten verbessern die Sanierungsmaßnahmen
nur langsam die energetische Qualität des Gebäude
bestands und der Raumwärmeverbrauch nimmt nur
langsam ab.
Im Hauptszenario wird die Sanierungsaktivität
deutlich angehoben. Die jährlichen Sanierungsraten
steigen bei EZFH auf rund 1,5 Prozent, bei MFH und
NWG auf 1,7 Prozent, jeweils bezogen auf den
Gesamtbestand. Damit einher geht eine Zunahme der
jährlich energetisch sanierten Wohnfläche um rund
50 Prozent gegenüber 2018. Bei den NWG fällt die
absolute Zunahme der jährlich sanierten Fläche
21
Die Ersatzraten der Bauteile Fenster, Außenwände,
Dächer und Böden wurden anhand bauteilspezifischer
Gewichtungsfaktoren zu Vollsanierungsraten umge
rechnet. Der Altbau bezieht sich in der IWU-Studie auf
Gebäude mit Baujahr bis 1978.
77
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
geringer aus, was auf die abnehmende Fläche im
Sektor GHD zurückzuführen ist.
Die Sanierungstiefe lässt sich aus den erzielten
Einsparungen ersehen: Aktuell liegt der mittlere
flächenspezifische Heizwärmebedarf nach Gesamt
sanierungen im EZFH-Segment bei schätzungsweise
80 bis 85 kWh/m² Wohnfläche, im Bereich der MFH
bei rund 60 bis 65 kWh/m². Im Hauptszenario
reduziert sich dieser mittlere spezifische Heizwär
mebedarf bei Gesamtsanierungen bei EZFH auf etwa
60 kWh/m² (dies entspricht in etwa dem KfW-Effi
zienzhausstandard 70 oder besser), bei MFH auf
40 bis 45 kWh/m² (dies entspricht in etwa dem
KfW-Effizienzhausstandard 55; spezifische Ver
brauchswerte bezogen auf die Nutzenergie für
Raumwärme, ohne Warmwasser).
Die gesteigerte Sanierungsrate und die Sanierungs
tiefe sind teilweise auf die autonome Technik
entwicklung zurückzuführen, dieser Effekt ist aber
nicht ausreichend. Es bedarf einer starken zusätzli
chen Instrumentierung, die außer der Förderung auch
wirtschaftliche Anreize (zum Beispiel über Preis
signale) und/oder verschärftes Ordnungsrecht ent
halten kann. Serielle Sanierungen können zudem die
Kosten für energetische Sanierungen reduzieren, was
die Wirtschaftlichkeit von Sanierungen verbessert.
Der Energieverbrauch für Raumwärme ist bei Neu
bauten in der Regel deutlich geringer als in Bestands
gebäuden. Bei Neubauten wird der maximale Ener
gieverbrauch durch die Energieeinsparverordnung
(EnEV) vorgegeben. Bei neuen EZFH liegt der Ver
brauch für Raumwärme 2018 bei rund 50 kWh/m²,
bei MFH bei 40 kWh/m². Im Hauptszenario sinkt der
Heizwärmebedarf sowohl bei EZFH als auch beim
MFH bei Neubauten langfristig auf rund 25 kWh/m²,
was im Mittel in etwa einem KfW-Effizienzhaus
standard 40 oder besser entspricht. Im Hauptszenario
ist jedoch ab Mitte der 2020er-Jahre auch die Zahl
der jährlich neugebauten Wohnungen rückläufig.
Ursache ist die demografische Entwicklung. Auch bei
den NWG des GHD-Sektors geht die Neubauaktivität
zurück, was ebenfalls auf die demografische Ent
Entwicklung der Gebäudefläche nach Baustandard (energetische Qualität)*
7.000
6.205
6.359
6.319
6.281
Abbildung 36
6.252
6.198
1.644
1.108
6.000
[Mio. m²]
5.000
4.000
3.396
2.816
2.218
6.141
614
4.081
2.872
3.000
1.988
3.290
3.684
2.436
1.565
2.000
1.060
1.000
1.063
0
2018
1.398
1.514
1.627
1.735
1.800
1.843
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Neubau ab 2000
*in Mio. m², ohne Flächen des Industriesektors
Prognos (2020)
78
saniert ab 2000
unsaniert
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
wicklung und den damit verbundenen Rückgang der
Erwerbstätigen zurückzuführen ist.
Die Entwicklung der Gebäudeflächen nach Baustan
dard ist in Abbildung 36 beschrieben. Die Neubauten
ab 2000 entsprechen näherungsweise einem Baus
tandard nach EnEV 2002 oder besser. Aufgrund der
abnehmenden Neubauaktivität nach 2020 wächst die
Fläche des Neubaus nach 2020 nur noch langsam an.
Von der Gesamtgebäudefläche entfallen im Jahr 2050
rund 30 Prozent auf die Kategorie Neubau (Baujahr
2000 oder jünger). Aufgrund energetischer Sanie
rungen verringert sich der unsanierte Anteil der
Gebäudefläche, während der sanierte Anteil
zunimmt. Bis zum Jahr 2050 steigt der Anteil der seit
2000 sanierten Fläche auf circa 60 Prozent. Die
restlichen rund 10 Prozent wurden entweder vor dem
Jahr 2000 saniert oder bleiben unsaniert. Auch diese
Zahl ist als Vollsanierungsäquivalent zu interpretie
ren. In der Realität wären demnach nicht 10 Prozent
der Gebäudeflächen vollständig unsaniert, sondern es
handelt sich dabei um die aggregierten, im Rahmen
von Teilsanierungen nicht modernisierten Gebäudebeziehungsweise Bauteilflächen. Ein vollständiger
Ersatz aller Bauteile ist für das Erreichen des
THG-Reduktionszieles nicht notwendig.
3.4.4 A
bsatz Wärmeerzeuger
und Heizungsstruktur
Eine weitere zentrale Maßnahme zur Erreichung der
THG-Ziele ist im Hauptszenario die tief greifende
Umstellung der Wärmeversorgung: Nach 2025
werden keine neuen Wärmeerzeuger auf Basis von
Heizöl oder Gas installiert. Zudem werden konventio
nelle Stromheizungen wie zum Beispiel Nachtstrom
speicherheizungen ersetzt. Eingebaut werden
stattdessen elektrische Wärmepumpen, und die
Wärmenetze werden stark ausgebaut. Die Absatz
struktur der Wärmeerzeuger im Hauptszenario
KN2050 ist in Abbildung 37 für das Segment Wohn
gebäude dargestellt. Gasheizungen, welche bis 2020
die Absatzstruktur mit einem Anteil von über
50 Prozent dominieren, gehen im Zeitraum 2020 bis
2025 stark zurück, nach 2025 werden keine Gashei
Absatzstruktur Wärmeerzeuger (Raumwärme)
100
90
9
2
80
16
70
9
[%]
12
13
13
13
3
4
4
4
71
73
73
11
10
10
2026–2030
2031–2040
2041–2050
46
60
50
40
52
11
30
20
10
0
Abbildung 37
28
12
0,5
2016–2020
2021–2025
Heizöl
Kohle
Strom (direkt)
Solarthermie
Gas
Biomasse
Wärmepumpe
Fernwärme
Hinweis: Anteil der Anlagen in Prozent, Segment Wohngebäude
Prognos (2020)
79
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
zungen mehr abgesetzt. Der Anteil der Ölheizungen
war bereits seit dem Jahr 2000 rückläufig. Nach 2025
werden keine Ölheizungen mehr eingebaut. Dem
Rückgang fossiler Wärmeerzeuger steht ein starker
Anstieg der elektrischen Wärmepumpen gegenüber.
Die Anteile der Wärmepumpen sind insbesondere in
kleinen Gebäuden (EZFH) von hoher Bedeutung. Bei
großen Wohngebäuden weisen auch die Wärmenetze
hohe Anteile auf. Der starke Ausbau der Wärmepum
pen und die Verbesserung der Effizienz im Hauptsze
nario KN2050 decken sich gut mit den Ergebnissen
einer Studie des ifeu et al. (2018) im Auftrag von
Agora Energiewende, welche ein Klimaschutzszena
rio mit mittlerer Gebäudeeffizienz (mit einer Sanie
rungsrate von rund 1,7 Prozent) und hohen Wärme
pumpenanteilen (knapp 6 Millionen Wärmepumpen
bis 2030) als das volkswirtschaftlich vorteilhafteste
Szenario beschreibt.
Jährlich werden rund 3 bis 4 Prozent der Wärmeer
zeuger ausgetauscht. Dabei diffundieren die neu
abgesetzten Wärmeerzeuger zusehends in den
Anlagenbestand und verändern die Bestandsstruktur.
Durch die hohen Anteile der Wärmepumpen bei den
Anlagenabsätzen steigt im Zeitverlauf auch deren
Anteil an der Beheizungsstruktur des Gebäudebe
stands. Bis zum Jahr 2050 erhöht sich der Anteil auf
rund 60 Prozent (2030: 24 Prozent; Abbildung 38).
Die Zahl der betriebenen Wärmepumpen erhöht sich
von 1,2 Millionen Anlagen im Jahr 2018 über 5,8 Mil
lionen Anlagen im Jahr 2030 auf über 14 Millionen
Anlagen im Jahr 2050. Die eingebauten Wärmepum
pen werden im Zeitverlauf aufgrund von technischen
Weiterentwicklungen und Optimierungen zusehends
effizienter. Die mittlere Jahresarbeitszahl (JAZ) im
Segment Wohngebäude steigt von rund 3 im Jahr
2018 auf 3,9 im Jahr 2050. Bei Neubauten liegen dann
die JAZ im Mittel bei annähernd 5,5. Ein zunehmen
der Anteil der elektrischen Wärmepumpen wird
flexibel gesteuert und der Betrieb dem Angebot an
fluktuierender Stromerzeugung aus Windenergie und
Photovoltaik angepasst. Als Speicher dienen dabei
einerseits Warmwasserspeicher wie zum Beispiel
Pufferspeicher, andererseits wird auch die Masse der
Beheizungsstruktur Wohnfläche
Abbildung 38
100
90
80
11
5
13
1
5
13
70
16
2
6
[%]
51
28
20
60
9
18
18
2025
4
45
37
2018
3
8
30
0
25
54
47
24
3
23
35
7
40
10
2
21
24
60
50
18
9
12
8
4
9
1
2030
2035
2040
2045
Heizöl
Kohle
Strom (direkt)
Solarthermie
Gas
Biomasse
Wärmepumpe
Fernwärme
10
2
2050
Hinweis: Anteil der beheizten Wohnfläche in Prozent, Segment Wohngebäude. Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan
Prognos (2020)
80
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Beheizungsstruktur Gebäudefläche im GHD-Sektor
100
90
4
4
3
10
14
25
13
7
70
[%]
19
9
80
60
Abbildung 39
11
67
18
5
23
28
58
40
40
21
20
10
0
27
22
16
2025
2018
5
30
17
49
30
33
4
14
50
31
13
23
11
7
5
3
8,9
2030
2035
2040
2045
2050
Heizöl
Kohle
Wärmepumpe
Gas
Biomasse
Solarthermie
Fernwärme
Hinweis: Anteil der beheizten Nutzfläche in Prozent, Segment NWG, Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan
Prognos (2020)
Gebäudehüllen als thermischer Speicher genutzt.
Diese Speicher dienen nur dem kurzzeitigen Aus
gleich. Aufgrund der hohen Anzahl an Wärme
pumpenanlagen ergibt sich dennoch ein erhebliches
Lastverschiebungspotenzial.
Im Idealfall werden Wärmepumpen in sanierte
Gebäude eingebaut. Dies ermöglicht einen Betrieb mit
tiefen Vorlauftemperaturen und hohen Wärmenut
zungsgraden. Aufgrund des geringen Wärmebedarfs
können zudem Anlagen mit geringer Wärmeleistung
eingebaut und Kosten eingespart werden. Durch den
schnellen Markthochlauf werden im Hauptszenario
jedoch teilweise auch Wärmepumpen in nur gering
sanierte Altbauten eingebaut. In Bezug auf die Höhe
des spezifischen Wärmeverbrauchs gibt es keine
technischen Restriktionen, in vielen Fällen können
die Wärmepumpen auch in nur teilsanierten Gebäu
den wirtschaftlich betrieben werden.22 Wie oben
22
Eine Studie von Beuth und ifeu (2017) sah bereits im
Jahr 2017 die Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen
bei einem Nutzwärmebedarf von bis zu 90 kWh/m² als
erwähnt werden die Wärmepumpen aufgrund der
technischen Weiterentwicklung im Zeitverlauf
zusehends effizienter, sodass mittel- und längerfris
tig auch bei Vorlauftemperaturen von 50 bis 55 Grad
Celsius Jahresarbeitszahlen von 3,5 oder sogar höher
erzielt werden können, wenn die Anlagen fachgerecht
eingebaut werden (NTB 2019).23 Da der Anteil der
Erneuerbaren Energien des in Deutschland erzeugten
Stroms im Szenario zudem schnell und stark
zunimmt, entstehen auch nur wenige indirekte Emis
sionen.
gegeben. In günstigen Fällen lag diese Grenze sogar bei
120 kWh/m². Zudem werden die Vergleichssysteme GasBrennwert aufgrund von CO₂-Abgaben oder notwendi
gen Beimischungen von Biomethan oder PtG zunehmend
teurer, während die Wärmepumpe effizienter und billiger
wird.
23
Bereits heute werden im unsanierten Altbau mit SoleWärmepumpen Jahresarbeitszahlen von bis zu 4 erreicht
(NTB 2019). Bei den stärker verbreiteten Luft-WasserWärmepumpen liegen die Jahresarbeitszahlen in der
Regel aber noch unter 3.
81
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Wärmenetze sind besonders geeignet in dicht
bebauten Gebieten und deshalb primär relevant für
MFH und NWG. Der mit Wärmenetzen beheizte
Anteil der Wohnfläche steigt bis zum Jahr 2050 auf
25 Prozent. Dieser Anteil ist höher, als der Anteil an
den Anlagenabsätzen suggeriert. Dies ist darauf
zurückzuführen, dass mit Wärmenetzen überwiegend
großflächige MFH-Gebäude angeschlossen werden
(mit vergleichsweise großer Fläche je Anlage/Gebäu
deanschluss).
Auch die Anteile der mit fester Biomasse und solar
thermisch beheizter Wohnfläche nehmen im Zeit
verlauf zu.24 Aufgrund des begrenzten Biomasse
potenzials und der zunehmenden Verlagerung der
Biomasseverwendung in den Industriesektor, fällt der
Anstieg im Segment der Wohngebäude vergleichs
weise gering aus. Da nach 2025 keine Gas- und
Ölheizungen eingebaut werden, sind die Anteile der
24
Solarthermische Anlagen werden bei der Modellierung
als Vereinfachung zu Vollversorgungsäquivalenten
zusammengefasst.
mit Öl oder Gas beheizten Wohnfläche stark rückläu
fig. Die im Jahr 2050 verbleibenden Gasheizungen
werden mit Biomethan betrieben.
Die Entwicklung der Beheizungsstruktur der NWG ist
vergleichbar mit derjenigen der großen Wohngebäude
(MFH). Langfristig wird je rund ein Drittel der Fläche
mit Fernwärme und Wärmepumpen beheizt (Abbil
dung 39). Die Bedeutung fester Biomasse nimmt
etwas stärker zu als bei den Wohngebäuden. Die feste
Biomasse kommt insbesondere bei Altbauten zum
Einsatz, bei denen keine Anschlussmöglichkeit an ein
Wärmenetz vorhanden ist und der Einbau von
Wärmepumpen schwierig ist (zum Beispiel aufgrund
baulicher Restriktionen). Auch bei den NWG werden
die im Jahr 2050 noch vorhandenen Restbestände an
Gasheizungen mit Biomethan betrieben.
3.4.5 Endenergieverbrauch und THG-Emissionen
Der Endenergieverbrauch des Gebäudesektors
verringert sich im Hauptszenario bis zum Jahr 2050
gegenüber 2018 um 34 Prozent auf 625 TWh (Abbil
Gebäudesektor: Endenergieverbrauch nach Energieträgern
1.000
900
13
945
56
888
9
37
14
73
800
[TWh]
700
600
500
269
67
19
85
260
80
6
0
93
23
96
98
4
105
2
353
284
210
119
2025
2018
117
667
28
135
105
31
112
247
110
1
142
159
713
255
200
100
765
259
400
300
823
Abbildung 40
77
45
2030
2035
240
145
32
111
231
111
81
23
2040
108
31
9
2045
Heizöl
Kohle
Strom
Solarthermie
Erdgas
Biomasse
Fernwärme
Umweltwärme
Hinweis: Biomasse = feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3)
Prognos (2020)
82
625
105
2050
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
dung 40). Ursachen für den Rückgang sind haupt
sächlich die effizienteren Gebäude, Anlagen und
Elektrogeräte. Im Sektor GHD spielen auch zwei
andere Einflussfaktoren eine Rolle: Die Zahl an
Erwerbstätigen und die Gebäudeflächen nehmen im
Szenarienzeitraum ab. Der Raumwärmeverbrauch
wird zudem durch die Klimaerwärmung beeinflusst,
da das wärmer werdende Klima den Bedarf nach
Raumwärme verringert.
Bedingt durch die oben beschriebene Veränderung
der Beheizungsstruktur nimmt der Anteil der fossilen
Energieträger am Endenergieverbrauch stark ab und
sinkt von 55 Prozent im Jahr 2018 auf 35 Prozent im
Jahr 2030. Bis zum Jahr 2050 fällt der fossile Energie
verbrauch auf nahezu null.
Ebenfalls rückläufig ist der Stromverbrauch. Im
Zeitraum 2018 bis 2050 verringert er sich um rund
14 Prozent auf 231 TWh (2030: 259 TWh). Der
Stromverbrauch für Wärmepumpen steigt zwar stark
an und liegt im Jahr 2050 bei 52 TWh (2030:
30 TWh). Effizienzsteigerungen bei Beleuchtung,
IKT-Geräten und Haushaltsgeräten sowie der
Rückgang des Stromverbrauchs konventioneller
Elektroheizungen überwiegen jedoch den Mehrver
brauch durch Wärmepumpen und führen zu einer
Reduktion des Stromverbrauchs (Abbildung 41).
Beispielsweise kann durch die starke Durchdringung
mit LED der Verbrauch für die Beleuchtung bis zum
Jahr 2050 um fast 40 TWh verringert werden. LED
sind nicht nur effizienter als herkömmliche Leucht
mittel, sie lassen sich auch besser steuern und regeln,
wodurch zusätzliche Energieeinsparungen erzielt
werden können. Der Stromverbrauch für Haushalts
geräte und gewerbliche Prozesse (mechanische
Energie) verringert sich bis 2050 um 19 TWh, der
Verbrauch für IKT-Geräte nimmt um 12 TWh ab.
Der Fernwärmeverbrauch steigt hingegen sehr stark
an und erhöht sich bis 2030 um annähernd 50 Pro
zent auf 85 TWh. Im Jahr 2050 liegt der Verbrauch bei
111 TWh, was einer Verdoppelung gegenüber dem
Jahr 2018 entspricht. Diese Zunahme ist auf die
steigende Bedeutung bei der Erzeugung der Raum
wärme und des Warmwassers zurückzuführen. Im
Gebäudesektor: Stromverbrauch nach Verwendungszwecken
300
[TWh]
250
269
18
12
260
259
18
12
18
12
255
17
12
200
77
68
63
61
150
6
39
10
17
30
39
36
13
34
16
60
30
18
52
47
40
45
43
41
38
2018
2025
2030
2035
100
50
0
Abbildung 41
247
17
11
59
47
240
19
12
58
231
19
11
58
51
52
33
17
22
27
10
24
23
36
34
33
2040
2045
2050
23
20
Prozesswärme
mechanische Energie
RW und WW konv.
Beleuchtung
Prozesskälte
Wärmepumpe
Kühlen und Lüften
IKT
Hinweis:„Wärmepumpe“ beinhaltet den Stromverbrauch für den Betrieb der Wärmepumpe, „RW und WW konventionell“ beinhaltet den
Stromverbrauch von konventionellen Stromdirektheizungen. „Mechanische Energie“ umfasst den Stromverbrauch gewerblicher Prozesse,
aber auch den Stromverbrauch von Haushaltsgeräten, also Kühlschränken, Waschmaschinen, Geschirrspülern, Staubsaugern etc.
Prognos (2020)
83
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Jahr 2030 werden 27 Prozent der Gebäudeflächen mit
Wärmenetzen versorgt (2018: circa 8 Prozent).
Parallel zum Ausbau der Wärmenetze wird auch die
Erzeugungsstruktur umgebaut, sodass die Wärme bis
zum Jahr 2050 THG-frei erzeugt wird (Kapitel 3.5).
Der Verbrauch und die Bedeutung der Erneuerbaren
Energien nehmen im Zeitraum 2018 bis 2050
ebenfalls deutlich zu. Der Anteil der Energieträger
Biomasse, Umweltwärme und Solarthermie am
Sektorverbrauch erhöht sich von 11 Prozent im Jahr
2018 auf 45 Prozent im Jahr 2050.
→ Der jährliche Verbrauch an Biomasse steigt bis zum
Jahr 2030 an und liegt ab dann bei rund 105 TWh.
Begrenzt wird ein weiterer Anstieg durch das
verfügbare Potenzial. Prioritär ist der Einsatz in der
Industrie, wo weniger kostengünstige Alternativen
zur Erzeugung der hohen Prozesstemperaturen zur
Verfügung stehen. Bei der im Gebäudesektor
eingesetzten Biomasse handelt es sich überwie
gend um feste Biomasse (Holz). Der Anteil des
Biomethans am Biomasseverbrauch liegt bei 10 bis
15 Prozent.
→ Der Verbrauch an Umeltwärme ist auf den Einsatz
der ektrischen Wärmepumpen zurückzuführen.
Der Verbrauch steigt bis zum Jahr 2050 gegenüber
2018 um mehr als den Faktor 10 auf 145 TWh.
→ Der Verbrauch an Solarthermie steigt auf 32 TWh
im Jahr 2050 und erreicht einen Anteil von rund
5 Prozent am Sektorverbrauch.
Strombasierte Energieträger wie erneuerbar erzeug
ter Wasserstoff oder synthetisches Gas werden im
Hauptszenario KN2050 nicht im Gebäudesektor
eingesetzt. Dies ist auf die hohen Kosten für diese
Energieträger zurückzuführen. Emissionsfreie
Wärme kann kostengünstiger über Wärmepumpen,
Wärmenetze oder Biomasse bereitgestellt werden.
Der Verbrauch für die Verwendungszwecke Raum
wärme und Warmwasser ist von zentraler Bedeutung
für den Energieverbrauch des Gebäudesektors.
Insgesamt verringert sich dieser Verbrauch im
Gebäudesektor: Endenergieverbrauch für Wärme nach Energieträgern
800
700
600
[TWh]
500
698
662
13
9
55
46
37
14
71
78
53
96
400
300
339
0
610
67
19
83
564
93
94
28
103
69
104
107
70
108
133
114
2025
2018
483
117
23
200
152
522
63
273
200
100
Abbildung 42
73
43
74
21
2030
2035
2040
134
31
109
68
104
27
2045
Heizöl
Kohle
Strom
Solarthermie
Erdgas
Biomasse
Fernwärme
Umweltwärme
447
145
32
108
62
99
2050
Hinweis: Raumwärme und Warmwasser, Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft
(vgl. Kapitel 2.3)
Prognos (2020)
84
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nach Verwendungszwecken
140
125
4
12
120
91
100
[Mio. t CO₂-Äq.]
Abbildung 43
8
80
65
60
5
108
42
80
40
3
56
20
37
24
2
10
20
0
2016
sonstige
2025
2030
mechanische Energie
2035
2040
Prozesswärme
9
2045
Warmwasser
1
2050
Raumwärme
Prognos (2020)
Zeitraum 2018 bis 2050 um knapp 36 Prozent
(Abbildung 42). Der Rückgang bei der Raumwärme ist
mit 37 Prozent höher als beim Warmwasser (-29 Pro
zent). Dabei verringert sich der spezifische Raum
wärmeverbrauch von rund 116 kWh/m² Wohnbeziehungsweise Nutzfläche auf unter 70 kWh/m²
(minus 40 Prozent). Die Entwicklung der Energie
trägerstruktur spiegelt die beschriebene Entwicklung
der Struktur der Wärmeerzeuger wider.
Die mit dem Energieverbrauch direkt verbundenen
THG-Emissionen des Gebäudesektors verringern
sich von 125 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2016 auf 65 Mio.
t CO₂-Äq im Jahr 2030 – die angestrebte Zielvorgabe
wird erreicht (Abbildung 43). Die Reduktion auf
65 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2030 entspricht einer mitt
leren jährlichen Reduktion um 5,4 Prozent. Der
Großteil der Emissionen entsteht bei der Erzeugung
von Raumwärme, der Anteil der Raumwärme an den
Sektoremissionen lag 2016 bei 86 Prozent. Die
Erzeugung von Warmwasser verursachte 11 Prozent
der Emissionen, knapp 5 Mio. t CO₂-Äq der
THG-Emissionen entfielen auf Prozesse und
Antriebe. Entsprechend entfällt der Großteil der
THG-Reduktion auf den Bereich Raumwärme.
64 Prozent der Einsparung entfällt auf die Raum
wärme in Wohngebäuden (PHH), weitere 22 Prozent
auf die Raumwärme in NWG (GHD; Abbildung 34).
Bis zum Jahr 2050 sinken die THG-Emissionen auf
nahezu null. Auch im Zeitraum 2030 bis 2050 entfällt
ein Großteil der Reduktion auf die Raumwärme. Die
verbleibenden Emissionen im Umfang von rund
1 Mio. t CO₂-Äq sind auf die Biomasse zurückzufüh
ren. Bei deren Verbrennung werden neben CO₂,
welches als THG-neutral betrachtet wird, auch
geringe Mengen an CH₄ und N₂O emittiert. Die
Emissionen dieser Gase werden in der THG-Bilanz
und bei den Zielvorgaben berücksichtigt.
3.5 Verkehr
3.5.1 Zielbild und Ausgangslage
Ziel ist die Gestaltung einer zukünftigen Verkehrs
welt, die Mobilität für alle gewährleistet und mit dem
Übergang auf vollständige Klimaneutralität bis 2050
kompatibel ist. Dies impliziert gleichzeitig einen
deutlichen Rückgang der THG-Emissionen bis zum
Jahr 2030. Leistet der Verkehrssektor einen größeren
85
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Minderungsbeitrag als mit 42 Prozent im Klima
schutzgesetz festgelegt wurde, kann im Zusammen
spiel mit den Minderungspotenzialen der anderen
Sektoren eine sektorenübergreifende Emissionsmin
derung von 65 Prozent erreicht werden (siehe Kapitel
2.2 und Agora 2020). Vor dem Hintergrund, dass die
THG-Emissionen im Verkehr mit 163 Mio. t CO2-Äq
im Jahr 2019 nach wie vor etwa auf dem gleichen
Niveau liegen wie 1990 und 93 Prozent des Endener
giebedarfs auf fossilen Energien beruht, ist dies eine
besondere Herausforderung. Dafür muss eine
ambitionierte technologische Entwicklung hin zu
emissionsfreien Antrieben, eine Verlagerung vom
motorisierten Individualverkehr (MIV) zum öffentli
chen Verkehr (ÖV) und zur aktiven Mobilität, eine
erhöhte Auslastung der Pkw durch Pooling-Konzepte
und eine Verlagerung des Gütertransports auf die
Schiene erfolgen. Langfristig werden insbesondere im
Luft- und Seeverkehr strombasierte Kraftstoffe
eingesetzt, um bis 2050 null Emissionen im Ver
kehrssektor zu erreichen.
Für das Szenario KN2050 wurden folgende Annah
men getroffen:
→ Die Personenverkehrsnachfrage verbleibt insge
samt etwa auf dem heutigen Niveau von
1.200 Mrd. Personenkilometern (Pkm). Durch die
geteilte Nutzung von Fahrzeugen steigt die Auslas
tung und dadurch werden weniger Fahrzeugkilo
meter zurückgelegt.
→ Hinsichtlich des Güterverkehrs wird eine weitere
Zunahme von Handelsströmen und Transporten
entsprechend der BIP-Entwicklung angenommen.
Die Güterverkehrsleistung steigt weiter an und
erreicht ausgehend von rund 660 Mrd. Tonnenki
lometer (tkm) im Jahr 2016 900 Mrd. tkm im Jahr
2050. Gleichzeitig nimmt der Schienenverkehr
bis 2030 stärker zu als der Straßengüterverkehr
und erreicht 190 Mrd. tkm bis 2030 und 230 Mrd.
tkm bis 2050.
→ Die motorisierten Verkehre, die auch 2050 noch
einen großen Teil des Verkehrsaufkommens
ausmachen, müssen dann klimaneutral betrieben
86
werden und bereits 2030 einen deutlichen Beitrag
zur Zielerreichung leisten. Entsprechend wird eine
zügige Umwälzung des Pkw-Bestands dadurch
erreicht, dass ab 2035 keine verbrennungsmotori
schen Antriebe mehr zugelassen werden. Das gilt
auch für Plug-in-Hybride. Der Hochlauf der
Neuzulassungen von Elektro-Pkw zwischen 2020
und 2035 erfolgt nahezu linear.
→ Im Straßengüterverkehr ist die technologische
Entwicklung derzeit weniger absehbar als bei den
Pkw, bei denen der Trend eindeutig Richtung
batterieelektrischer Fahrzeuge geht. Für das
Lkw-Segment stehen ebenfalls batterieelektrische
Fahrzeuge zur Diskussion, aber auch die direkte
Elektrifizierung durch Oberleitungen, insbesondere
bei den Last- und Sattelzügen. Gleichzeitig wird
der Brennstoffzellen-Lkw als Option gesehen, um
lange Strecken ohne Unterbrechungen durch
notwendige Ladevorgänge zu absolvieren. Entspre
chend dem derzeitigen Stand der Diskussion und
vor dem Hintergrund unterschiedlicher Anforde
rungen an die Reichweiten und Flexibilität wird im
Szenario daher langfristig ein Technologiemix
angenommen, bei dem rund zwei Drittel der
Fahrleistung durch elektrische Lkw – mit Oberlei
tungen beziehungsweise batterieelektrisch – und
ein Drittel durch Brennstoffzellenfahrzeuge
erbracht werden. Aufgrund der technologischen
Entwicklungsreife kommen die batterieelektri
schen Lkw und Oberleitungs-Lkw früher in den
Markt als die Brennstoffzellenfahrzeuge und
bereits 2030 sind über die Hälfte der Neuzulassun
gen bei den Lkw elektrisch.
→ Zusätzlich sind CO2-freie Kraftstoffe im Verkehrs
sektor notwendig, um diesen langfristig klimaneu
tral zu gestalten. Aufgrund der Nutzungskonkur
renz vor allem zum Sektor Industrie, bei dem die
Biomasse über die gesamte Prozesskette hinweg
effizienter eingesetzt werden kann, werden
Biokraftstoffe im Verkehr bis 2050 nicht mehr
eingesetzt. Um Lock-in-Effekte zu vermeiden,
wird der Biokraftstoffeinsatz im Verkehr daher
auch bis 2030 nicht über das heutige Niveau
hinaus erhöht. Strombasierte Flüssigkraftstoffe
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
werden als Dekarbonisierungsoption für den
Luft- und Seeverkehr eingesetzt, bis 2040
zunächst im nationalen Luftverkehr. Da im Jahr
2050 noch geringe Restbestände an Pkw und Lkw
mit verbrennungsmotorischen Antrieben (unter
anderem Hybride) im Bestand sind, werden auch
diese mit strombasierten Flüssigkraftstoffen
versorgt. Hinzu kommt der Bedarf an Wasserstoff
für die Brennstoffzellen-Lkw.
3.5.2 Verkehrsnachfrage
Personenverkehr
Bis zum Jahr 2050 ist im Szenario KN2050 eine
grundlegende Mobilitätswende erfolgt, ohne jedoch
das Gesamtaufkommen des Personenverkehrs zu
verringern. Das Verkehrsangebot wird erweitert und
multimodales Verkehrsverhalten erleichtert. Die
Mobilitätswende führt dabei nicht zu weniger
Mobilität, sondern zu einer anderen Qualität von
Mobilität. Das bedeutet, dass die Verkehrsnachfrage
je Einwohner in etwa konstant bleibt, aber Wege auf
umweltverträgliche Verkehrsmittel verlagert und
gebündelt werden. So verringern sich die Verkehrs
aufwände mit dem privaten Pkw und Mobilität wird
mit den Erfordernissen des Klimaschutzes in Ein
klang gebracht.
Es wurden keine expliziten Annahmen über struktu
relle Verschiebungen im motorisierten Individualver
kehr durch autonome Fahrzeuge getroffen, denn
entscheidend für die Entwicklung des autonomen
Fahrens werden neben der gesellschaftlichen Akzep
tanz der Fahrzeuge und den Adaptionsraten vor allem
auch die politischen Rahmenbedingungen sein.
Voraussetzung für das Szenario KN2050 ist, dass
autonome Fahrzeuge den öffentlichen Verkehr und
Zuordnung der Raumtypen
RegioStar7
Metropolen
Tabelle 3
Zuordnung
Verkehrsleistung
Bevölkerung
Beispiel Stadt/
KN2050
in Mrd. Pkm
in Mio.
Region
Stadt
203,7
14,9
Berlin, Dresden,
Dortmund
Regiopolen und
Stadt
158,4
11,6
Stadtregion
Großstädte
Stadt: Mittelstädte,
Kaiserslautern
Halbstadt
299,4
20,8
städtischer Raum
Stadt:
Kiel, Magdeburg,
Nauheim, Schwalbach,
Brieselang
Land
80,9
5,0
kleinstädtischer,
Breitenfelde, Trittau,
Mellingen
dörflicher Raum
Zentrale Städte
Halbstadt
63,4
5,0
Aschaffenburg, Marburg,
Ländliche
Region
Konstanz
Mittelstädte,
Land
159,6
12,5
städtischer Raum
kleinstädtischer,
dörflicher Raum
Butzbach, Biberach an
der Riß, Memmelsdorf
Land
207,7
13,3
Kusel-Altenglan,
Leiblfing, Röbel-Müritz
MiD (2017)
87
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
das Pooling fördern, anstatt die Bedingungen für den
privaten Pkw zu verbessern.
Da das Mobilitätsverhalten im Status quo und auch
perspektivisch unter anderem aufgrund der verfüg
baren Optionen zwischen Stadt und Land sehr
unterschiedlich ist, wird zwischen verschiedenen
Raumkategorien differenziert. Mit der Studie Agora
(2019) liegen plausibel abgeleitete Annahmen für eine
umweltgerechte Entwicklung des Modal-Splits
(Aufteilung der Verkehrsleistung auf Verkehrsmittel)
im Personenverkehr vor, die für das Szenario
KN2050 zum größten Teil übertragen werden
konnten. Da diese noch auf den Daten der MiD
(Mobilität in Deutschland) 2008 basieren, wurde in
einem ersten Schritt der Modal-Split basierend auf
der MiD 2017 für sieben Regionstypen (RegioStaR7)
ausgewertet. Diese wurden dann in Anlehnung an die
in Abbildung 4, Seite 29 in Agora (2019) verwendeten
BBSR-Regionstypen – Stadt, Halbstadt, Land – ent
sprechend ihrer Verkehrsleistung zusammengefasst.
In einem nächsten Schritt wurden in Anlehnung an
die Studie Agora (2019) Annahmen für die
Modal-Split-Verteilung für die einzelnen Räume für
2030 und 2050 getroffen:
→ Es werden die Annahmen aus Agora (2019) zur
Entwicklung im Bereich Carsharing (gemein
schaftliche Nutzung von Fahrzeugen), Ridesharing
(Teilen einer Autofahrt zum Beispiel über Mitfahr
gelegenheiten oder Taxifahrten) und Ridepooling
(gemeinsame Nutzung eines Fahrzeuges durch
mehrere Personen zur selben Zeit) für die einzelnen
Räume übernommen.
→ Der öffentliche Verkehr (ÖV) verdoppelt sich
nahezu bis 2035 im Mittel über alle Regionen und
nimmt danach weiter zu, wobei eine Verlagerung
vom motorisierten Individualverkehr (MIV)
stattfindet. In der Stadt und auf dem Land ist das
Verlagerungspotenzial geringer als in der Halbstadt,
bei allgemeiner Orientierung an (Agora 2019).
→ Der Radverkehr wächst bis zum Jahr 2050
insgesamt um 80 Prozent, wobei das Wachstum in
Modal-Split nach Raumtypen 2017 und 2050
Abbildung 44
100
90
80
70
46
5
4
1
3
3
36
[%]
50
10
5
40
10
67
3
3
35
6
4
7
3
86
11
79
48
35
33
20
10
2017
2050
Stadt
2017
2050
2017
Halbstadt
2050
2017
Land
MIV
Car-Sharing
Ride-Sharing und Taxis
Ride-Pooling
Fuß
Fahrrad
Datenauswertung der MiD 2017 und eigene Berechnungen Öko-Institut (2020)
88
15
16
5
5
20
0
81
25
4
3
3
2
6
4
7
3
10
60
30
9
2
2
13
24
2050
gesamt
ÖV
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
der Stadt über- und auf dem Land unterdurch
schnittlich ausfällt.
→ Der Fußverkehr wächst bis zur Mitte des Jahrhun
derts um insgesamt 28 Prozent.
kehrs, des Rad- und Fußverkehrs sowie des öffentli
chen Straßenverkehrs ab. Bis 2050 beträgt der
Rückgang 30 Prozent gegenüber 2016. Durch die Ver
lagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger
und eine höhere Auslastung unter anderem durch
Pooling-Fahrzeuge liegen die Minderungen bezogen
auf die Fahrleistung der Fahrzeuge dann bei 13 Pro
zent und bis 2050 sogar bei fast 40 Prozent
Die Abbildung 44 zeigt den Status quo zum Zeit
punkt der Auswertung basierend auf der MiD
(2017) sowie das Szenario KN2050 für das Jahr
2050 nach den unterschiedlichen Räumen sowie
den daraus resultierenden Modal-Split für
Deutschland insgesamt.
Verglichen mit der Entwicklung der letzten Jahre (die
Pkw-Fahrleistung ist zwischen 2014 und 2017 um
rund ein Prozent pro Jahr gestiegen (KBA 2019) und
ist seitdem auf ähnlichem Niveau) ist eine deutliche
Trendumkehr notwendig. Voraussetzung dafür ist
eine Neuorientierung der politischen Rahmenset
zung. So müssen die infrastrukturellen Kapazitäten
für eine Verdopplung des öffentlichen Verkehrs bis
2035 geschaffen und dessen Attraktivität unter
anderem über die Reduktion der Reisezeiten zum
Beispiel durch eine höhere Taktdichte weiter geför
dert werden. Derzeit sind durch Digitalisierung und
Vernetzung Veränderungen im Verkehrssystem zu
beobachten, die sich zukünftig noch deutlich verstär
Die Abbildung 45 zeigt noch einmal, dass die insge
samt zurückgelegten Personenkilometer bis 2050 auf
ähnlich hohem Niveau bleiben wie heute. Es kommt
allerdings zu einer deutlichen Veränderung beim
Anteil der Verkehrsmittel. Carsharing, Ridesharing
und Ridepooling sind dabei zusammen mit dem
motorisierten Individualverkehr als Verkehrsmittel
„Pkw“ dargestellt.
Die Verkehrsnachfrage im Pkw-Segment nimmt bis
2030 um 11 Prozent zugunsten des Schienenver
Personenverkehrsnachfrage und Einordnung zu weiteren Studien
1.400
73
64
111
84
77
155
91
92
191
800
104
115
245
282
600
886
833
737
651
200
1.000
175
800
600
400
256 286
210
115
931
812
764
960 919
833
200
0
238
283
271
111
867 874
588
410
356
484
651
Öffentlicher Straßenverkehr
2016
2030
KN 2050
Pkw
dena TM 95
Flugverkehr
BDI 95
Schienenverkehr
UBA GreenSupreme
Fuß/Fahrrad
UBA GreenMe
2050
KN 2050
2040
dena TM 95
2030
BDI 95
2025
UBA GreenSupreme
0
2016
UBA GreenMe
400
931
1.200
117
129
heute
[Mrd. Pkm]
1.000
1.400
[Mrd. Pkm]
1.200
Abbildung 45
2050
ÖV
Pkw
Öko-Institut und (UBA 2019a), (DENA 2018), (BDI 2018)
89
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Schiene
Binnenschiff
Straße
69
480
406 375
90
590 544
503
71
202
627 598 591
357
311
2050
2030
Straße
70
210
165
2016
Öko-Institut und (UBA 2019a), (DENA 2018), (BDI 2018)
63
169 190
75
KN 2050
Luftfracht
2050
171
166
UBA GreenSupreme
2040
70
86
220 239 230
UBA GreenMe
2030
591
54
128
KN 2050
2025
503
547
230
59
dena TM 95
501
210
BDI 95
2016
63
190
98
82
UBA GreenSupreme
480
60
167
1.000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
UBA GreenMe
54
128
69
75
Abbildung 46
heute
1.000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
[Mrd. tkm]
[Mrd. tkm]
Güterverkehrsnachfrage und Einordnung zu weiteren Studien
dena TM 95
Eine entsprechende Verlagerungsstrategie wird
beispielsweise in den Szenarien BDI (2018) und
DENA (2018) weniger verfolgt. Der Rückgang des
Pkw-Verkehrs fällt im Szenario KN2050 dagegen
geringer aus als beispielsweise in den Szenarien
GreenMe und GreenSupreme des Umweltbundesam
tes (UBA 2019a), in denen auch die Gesamtverkehrs
leistung deutlich zurückgeht.
Güterverkehr
Die Entwicklung der Verkehrsnachfrage im Güter
verkehr wurde aus der Entwicklung des BIP abgelei
tet, wobei zunächst von einem Korrelationsfaktor
von 225 tkm/Mio. Euro BIP in Anlehnung an
Zimmer et al. (2016) ausgegangen wird. Das Güter
verkehrsaufkommen wächst also mit steigendem
BIP proportional weiter. In einem nächsten Schritt
wurden die Transportleistungen für die Gütergrup
pen reduziert, welche in einer klimaneutralen Welt
weniger transportiert werden. So reduziert sich das
Aufkommen in den Gütergruppen Steinkohle,
Braunkohle, Rohöl, Koks um bis zu 100 Prozent im
Jahr 2050. Aber auch der Transport in den Güter
gruppen Düngemittel, Stahl und Eisen sowie Fahr
zeuge und Fahrzeugteile geht jeweils um rund ein
Drittel gegenüber einer Referenzentwicklung ohne
deutliche Klimaschutzmaßnahmen zurück. Grund
lage für die Ableitung der Güterverkehrsleistung
nach Gütergruppen bildete das Projekt Renewbility
(Zimmer et al. 2016), da in diesem die Transportleis
tungen je Gütergruppe bis 2050 in einer Referenz
entwicklung zur Verfügung stehen.
BDI 95
ken werden. Digitale Plattformen mit Echtzeitinfor
mationen und mobilen Buchungs- und Bezahlsyste
men machen den öffentlichen Verkehr aufgrund
größerer Transparenz und Flexibilität wie auch eines
einfacheren Zugangs spürbar attraktiver und neue
Sharing- und Pooling-Modelle wurden durch die
Digitalisierung populärer. Car- und Ridesharing
werden als wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmo
delle in ein nachhaltiges Gesamtsystem für Stadt und
Land integriert. Die Wahl energieeffizienterer
Verkehrsmittel wird durch eine Kombination aus
fordernden und fördernden Instrumenten auf
kommunaler, Länder- und Bundesebene unterstützt.
Schiene
Binnenschiff
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Zusätzlich wird die Fahrzeugauslastung erhöht, bis
2040 um 15 Prozent bei den Lkw und um 7 Prozent
bei den leichten Nutzfahrzeugen.
Eine Verdopplung des Schienengüterverkehrs sollte
angestrebt werden, scheint aber bis 2030 auch
hinsichtlich der langen Zeiträume für den Ausbau
von Schieneninfrastrukturen nur schwer realisierbar.
Im Rahmen der Bewertung der Maßnahmen des
Klimaschutzprogramms 2030 (Stand Januar 2020)
wird davon ausgegangen, dass bis 2030 182 Mrd. tkm
auf der Schiene transportiert werden können (KSPr
2030). Daher wird im Szenario KN2050 eine knappe
Verdopplung des Schienengüterverkehrs bis 2050 auf
230 Mrd. tkm angenommen. Bis zum Jahr 2030
werden davon 190 Mrd. tkm realisiert. Notwendig
dafür ist eine enge Verzahnung von Deutschlandtakt
und dem Ausbau der Infrastrukturkapazitäten.
Insgesamt ergibt sich dann das folgende Bild hinsicht
lich der Verkehrsleistung im Güterverkehr (Abbildung
46): Eine weiter deutlich steigende Güterverkehrs
nachfrage – um 14 Prozent bis 2030 und um 35 Pro
zent bis 2050 gegenüber 2016 – bei gleichzeitiger
Verschiebung des Modal-Splits zu 66 Prozent Straße,
26 Prozent Schiene und 8,5 Prozent Binnenschifffahrt
im Jahr 2050. Im Vergleich mit weiteren Studien zeigt
sich: Die Gesamtgüterverkehrsnachfrage wird wie in
BDI 2018 und DENA 2018 nicht deutlich gedämpft, es
findet jedoch ähnlich wie in anderen Klimaschutzsze
narien eine signifikante Verlagerung auf den Schie
nenverkehr statt.
Luft- und Seeverkehr
Der internationale Luft- und Seeverkehr hat in den
letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten
verzeichnet und stellt eine besondere Herausforde
rung für den Klimaschutz dar. Die Verantwortung
zur Minderung der Emissionen liegt nicht bei den
Nationalstaaten, sondern bei internationalen
Gremien. Grundsätzlich werden die Emissionen des
internationalen Luft- und Seeverkehrs nicht dem
nationalen Treibhausgasinventar zugerechnet,
sondern nur (basierend auf dem Kerosinabsatz in
Deutschland) nachrichtlich mitgeteilt.
Für den Personenluftverkehr wird ein weiterer
Anstieg von durchschnittlich 1 Prozent pro
anno (p. a.) im Zeitraum 2017 bis 2040 hinterlegt.
Das ist weniger als die historischen Trends (2010 bis
2018: 3 Prozent p. a.), da angenommen wird, dass die
Anzahl der Berufsreisen durch eine zunehmende
Anzahl von digitalen Treffen und Konferenzen
abnimmt (Rutkowsky 2020). Ab 2040 werden zur
Dekarbonisierung im Luftverkehr verstärkt strom
basierte Kraftstoffe eingesetzt, welche gegenüber
fossilem Kerosin fast viermal so teurer sind und
daher zu einer Erhöhung der Preise um fast 50 Pro
zent zwischen 2040 und 2050 führen. Im Zeitraum
2040 bis 2050 geht vor diesem Hintergrund der
Personenluftverkehr um 2 Prozent p. a. zurück.
Der Luftfrachtverkehr ist in der Vergangenheit im
Verhältnis zum BIP stets überproportional angestie
gen und wird entsprechend dieses Trends für die
Zukunft mit rund 3,5 Prozent Wachstum p. a. fortge
schrieben. Die Effizienzverbesserung im Luftverkehr
(Auslastung und Energieverbrauch) wird mit 1,5
Prozent p. a. fortgeschrieben.
Für den Seeverkehr wird die Entwicklung bis 2050
über Wachstumsraten-Prognosen der IMO (2014), der
BIP-Entwicklung in Deutschland sowie güterklas
senspezifische Regressionsanalysen aus Zimmer et
al. (2016) mit rund 2,6 Prozent Wachstum p. a.
abgeleitet. Wie auch im bodengebundenen Güterver
kehr werden Transporte von Gütern, deren Nachfrage
sich in einer am Klimaschutz orientierenden Welt
reduziert, durch eine Reduktion der Güterverkehrs
nachfrage gesenkt. Die Effizienzsteigerung im
Seeverkehr liegt bei knapp zwei Prozent p. a. bis 2050,
was eher der „konservativen“ Annahme der IMO
(2014) entspricht.
91
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
3.5.3 Neuzulassungen und Bestand
Pkw
Trotz eines deutlichen Rückgangs des Pkw-Verkehrs
wird im vorliegenden Szenario auch bis 2050 ein
großer Anteil der Verkehrsleistung (55 Prozent der
Personenkilometer) mit dem Pkw bewältigt (ein
schließlich Carsharing, Ridesharing und Ridepooling).
Die Pkw sollten entsprechend mit CO2-freien Ener
gieträgern betrieben werden und wegen der begrenz
ten Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien
möglichst effizient sein. Von den potenziellen
Technologien sind batterieelektrische Pkw besonders
vorteilhaft, da sie erneuerbaren Strom ohne
Umwandlungsverluste direkt nutzen können. Soll der
Verkehr bis 2050 klimaneutral werden, so ist es
aufgrund der durchschnittlichen Lebensdauer von
Pkw von rund 14 Jahren zielführend, ab dem Jahr
2035 nur noch Pkw neu zuzulassen, die rein elekt
risch betrieben werden. Daher wird im Szenario
KN2050 für neu zugelassene Pkw ein Auslaufen der
Verbrennertechnologie inklusive der Plug-in-Hyb
ride (PHEV) bis 2035 angenommen.
Der Anteil der Elektrofahrzeuge an den Neuzulassun
gen steigt im Szenario KN2050 näherungsweise
linear an und erreicht im Jahr 2030 bereits 78 Pro
zent. Der Anteil der Plug-in-Hybride erreicht um das
Jahr 2030 einen Höchstwert von knapp 30 Prozent
und nimmt danach stetig ab. Ab dem Jahr 2035
werden keine Plug-in-Hybride mehr verkauft. So
kann sichergestellt werden, dass im Jahr 2050 fast
ausschließlich direkt elektrifizierte Pkw im Bestand
sind und die Mengen an synthetischen Kraftstoffen
im Straßenverkehr geringgehalten werden. Denn
deren Einsatz ist weniger effizient als die direkte
Stromnutzung im Fahrzeug. Ein ähnliches Vorgehen
für ein Phase-out für Verbrenner plant die Kommis
sion im Rahmen ihres 2030 Climate Target Plan. Dort
wird die Frage gestellt, wie lange sich Pkw im Fahr
zeugbestand befinden und wann keine verbren
nungsmotorischen Pkw mehr zugelassen werden
dürfen, damit der Bestand im Jahr 2050 möglichst
vollständig elektrifiziert ist.
Einhergehend mit steigenden Fahrzeugzahlen von
reinen Elektrofahrzeugen (Battery Electric Vehicle,
BEV) und Hybridfahrzeugen (Plug-in-Hybrid
Neuzulassungen und Bestand Pkw
26
50
60
50
52
29
40
30
6
3
1
17
30
24
26
20
10
14
Diesel
15
14
12
7
30
Benzin
BEV
PHEV
FCEV
29
3
31
0
2016
2025
2020
0
2016
30
30
7
2045
27
8
Öko-Institut (2020)
9
40
2040
28
10
5
15
44
2035
20
92
100
1
4
2035
60
30
Anzahl [Mio.]
70
55
2030
Anteil an NZL [%]
80
2030
90
60
14
1 0
2050
2
9
2025
100
Abbildung 47
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Electric Vehicle, PHEV) im Bestand findet ein
Ausbau der öffentlichen und privaten Ladeinfra
struktur statt.
Die konventionellen Antriebe werden bis 2030
ebenfalls effizienter: bis 2025 um rund 14 Prozent
und bis 2030 um rund 28 Prozent gegenüber 2021.
Diese angenommene Entwicklung ist ambitioniert
– insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuell
die durchschnittlichen Emissionen der Verbrenner
durch höhere Motorisierung/Gewicht/SUV-Trend
weiter zunehmen.
Das aktuelle Ziel der Flottengrenzwerte der EU sieht
vor, dass die durchschnittlichen CO2-Emissionen der
Pkw-Neuzulassungen in der EU im Jahr 2030 um
37,5 Prozent gegenüber 2021 reduziert werden. Im
Szenario KN2050 wird dieser Wert für Deutschland
durch den hohen Anteil an Elektrofahrzeugen und die
weitere Effizienzsteigerung verbrennungsmotori
scher Pkw mit einer Minderung von rund 75 Prozent
deutlich übertroffen.
Die Neuzulassungen ab dem Jahr 2035 bestehen
nahezu ausschließlich aus rein batterieelektrischen
Pkw (BEV). Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV)
kommen in diesem Szenario nur zu sehr geringen
Anteilen auf den Pkw-Markt, denn sie sind wegen
der auch in Zukunft vergleichsweise deutlich
höheren Technologiekosten im Pkw-Bereich nicht
konkurrenzfähig.
Die schnelle Entwicklung der Neuzulassungen hin zu
Elektrofahrzeugen ist nicht rein kostengetrieben und
wird durch die bisher geltenden Flottenstandards
auch nicht ausreichend angereizt. Sie muss durch
einen entsprechenden Instrumentenmix ermöglicht
werden.
Infolge der teils langen Haltedauern von Pkw zeigt
der schnelle Markthochlauf von Elektrofahrzeugen in
der Bestandsentwicklung erst mit Verzögerung eine
substanzielle Wirkung. Im Jahr 2030 werden rund
14 Mio. Elektrofahrzeuge im Bestand gezählt, was
einem Anteil von 28 Prozent entspricht und das Ziel
aus dem Klimaschutzprogramm 2030 in Höhe von 7
bis 10 Mio. Elektrofahrzeuge deutlich übertrifft. Es
verbleibt ein stetig sinkender Anteil an Verbrennern
im Bestand, bis der Pkw-Bestand im Jahr 2050 dann
nahezu vollständig aus rund 30 Mio. BEV besteht.
Der Rückgang des Pkw-Bestands ist zum einen eine
Folge der sinkenden Gesamtverkehrsleistung, die
mit Pkw erbracht wird. Zum anderen werden gerade
in Innenstädten weniger Fahrzeuge angeschafft, da
– neben einer stärkeren Nutzung des Umweltver
bunds – Fahrzeuge immer mehr auf Basis von
Sharing- und Pooling-Modellen genutzt werden,
was zu einer steigenden Pkw-Auslastung führt. Die
durchschnittliche Fahrleistung pro Pkw geht leicht
zurück von heute rund 13.500 Kilometer je Pkw auf
rund 12.500 Kilometer je Pkw im Jahr 2050.
Last- und Sattelzüge
Im Klimaschutzprogramm hat sich die Bundesregie
rung das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2030 ein Drittel der
Lkw-Fahrleistung elektrisch erfolgt. Dabei muss
berücksichtigt werden, dass fast 70 Prozent der
Fahrleistung im Straßengüterverkehr (ohne leichte
Nutzfahrzeuge) von Last- und Sattelzügen erbracht
wird. Die verbleibenden Fahrzeugkilometer verteilen
sich dann jeweils etwa hälftig auf Lkw kleiner 7,5 t
und größer 7,5 t zulässiges Gesamtgewicht. Um das
Ziel der Elektrifizierung zu erreichen, erfolgt ab 2025
eine starke Zunahme von alternativen Antrieben,
sodass 2030 bereits über 50 Prozent elektrisch
betriebene Fahrzeuge sowie rund 15 Prozent Brenn
stoffzellenfahrzeuge bei den Last- und Sattelzügen
zugelassen werden. Ab 2040 kommen dann nahezu
keine konventionellen Lkw mehr in den Markt und
die Neuzulassungen verteilen sich zu einem Drittel
auf Brennstoffzellenfahrzeuge und zwei Drittel auf
elektrische Fahrzeuge.
Die rein elektrischen Fahrzeuge können batterieelek
trische Lkw, Oberleitungs-Lkw (O-Lkw), oder eine
Kombination aus beiden Technologien (batteriehy
brid) sein. Die Zusammensetzung ist abhängig von:
93
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
den politischen Rahmenbedingungen, dem Ausbau
eines flächendeckenden Ladesystems in Depots,
Umschlagpunkten und von Ladepunkten an Auto
bahnen sowie dem Ausbau einer Oberleitungsinfra
struktur entlang der Autobahnen. Werden alle
Technologien gleichwertig adressiert, kommt es zu
einem parallelen Aufbau von drei unterschiedlichen
Energieversorgungsinfrastrukturen: Wasserstoff
tankstellen, Schnellladeinfrastruktur und Oberlei
tungssystem. Dieser parallele Aufbau ist einerseits
mit höheren Kosten verbunden, andererseits ermög
licht er Nutzern eine gewisse Flexibilität bei der
Fahrzeugwahl. Tatsächlich können auch Synergien
entstehen: die O-Lkw können beispielsweise die
Ladeinfrastruktur der BEV nutzen, um die Reichweite
abseits der elektrifizierten Streckenabschnitte zu
erhöhen. Mittelfristig sind auch Kombinationen, wie
zum Beispiel von Brennstoffzellen und Oberleitung
denkbar. Perspektivisch, das zeigen die Berechnun
gen von Hacker et al. (2020), können auf einem rund
4.000 Kilometer langen Oberleitungsnetz im Jahr
2050 unter geeigneten Rahmenbedingungen rund
100.000 O-Lkw betrieben und damit eine elektrische
Fahrleistung von über 20 Mrd. Fahrzeugkilometer
erbracht werden. Dies entspricht rund 40 Prozent der
Fahrleistung der Last- und Sattelzüge im Szenario
KNDE2050.
Grundsätzlich ist der Energieverbrauch von O-Lkw
und BEV ähnlich. Vorteil des O-Lkw ist, dass mit
heutigen – ohne signifikante Nutzlastverluste – rea
lisierten Batteriekapazitäten auch ein Einsatz im
Fernverkehr möglich wäre; die Batterie wäre dabei je
nach Konfiguration des O-Lkw nur rund ein Viertel
bis halb so groß wie bei einem reinen BEV (Hall,
Lutsey 2019). Neben der größeren Nutzlast gegenüber
einem reinem BEV beziehungsweise einem geringe
ren Fahrzeuggewicht lassen sich damit auch bei der
Ressourceninanspruchnahme für die Fahrzeugbatte
rien Einsparungen erzielen. O-Lkw können während
der Fahrt geladen werden, BEV dagegen müssen
stationär zum Beispiel in den Fahrerpausen geladen
werden. Dadurch führt der Einsatz von O-Lkw zu
einer zeitlich und räumlich weniger konzentrierten
Stromnachfrage. Während O-Lkw in Bezug auf die
Pausenzeiten eine größere Flexibilität aufweisen,
sind sie in Hinblick auf die möglichen Einsatzstre
cken weniger flexibel.
Neuzulassungen und Bestand Last- und Sattelzüge
31
65
40
68
30
69
69
elektrisch
66
72
155
164
13
5
103
185
138
204
167
81
2016
2050
2045
2030
2025
2016
53
0
Diesel
Öko-Institut (2020)
100
34
36
11
0
150
50
30
10
6
38
FCEV
2025
93
Anzahl [Tsd.]
100
2040
50
54
20
94
3
200
2050
31
70
60
2035
Anteil an NZL [%]
29
2045
24
80
2040
90
250
16
2035
7
2030
100
Abbildung 48
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Neuzulassungen und Bestand Lkw
10
10
0,8
10
0,7
55
60
100
40
90
90
90
90
30
0,5
0,6
0,7
0,4
0,2
0,1
10
0,1
Diesel
BEV
2035
2030
2016
2050
2045
0
2040
2030
2025
2016
2035
5
0
0,6
0,6
0,2
45
20
0,4
0,4
0,3
0,06
0,3
0,5
2025
50
90
2040
70
0,04
0,1
0,6
Anzahl [Mio.]
Anteil an NZL [%]
80
0,06
2050
5
10
90
2045
100
Abbildung 49
FCEV
Öko-Institut (2020)
Lkw
Wie bei Last- und Sattelzügen erfolgt bei den restli
chen Lkw eine starke Elektrifizierung ab etwa 2025,
sodass im Jahr 2030 bereits über die Hälfte der
Neuzulassungen Elektrofahrzeuge sind. Bereits 2035
werden nahezu keine Verbrenner mehr zugelassen.
Brennstoffzellenfahrzeuge gelangen erst ab etwa
2035 in den Markt, da bei leichteren Fahrzeugen
batterieelektrische Konzepte konkurrenzfähiger sind:
Durch die kleinere Batterie ist der Kostenvorteil von
BEV gegenüber Brennstoffzellenfahrzeugen bei
kleineren Lkw größer als bei Last- und Sattelzügen.
Prozent der Neuzulassungen aus. Grund für den
früheren Hochlauf ist die technologische Nähe zu
Pkw und damit eine durch Skaleneffekte früherer
Wirtschaftlichkeit. Ab 2035 werden ebenfalls keine
nennenswerten Mengen an Verbrennern mehr neu
zugelassen.
Im Jahr 2030 befinden sich rund 100.000 BEV-Lkw
im Bestand, der Großteil besteht dann noch aus
Dieselfahrzeugen. Bis 2050 befinden sich dann rund
600.000 BEV-Lkw im Bestand und dazu rund
60.000 Brennstoffzellen-Lkw. Es gibt einen geringen
Restbestand an Diesel-Lkw, welcher dann mit
synthetischen Kraftstoffen betrieben wird.
3.5.4 Endenergiebedarf und THG-Emissionen
Nationaler Verkehr
Durch die oben beschriebenen Veränderungen im
Verkehrssektor – sowohl technologisch als auch
durch Nachfrageveränderungen – sinkt der Endener
giebedarf für den nationalen Verkehr stetig von rund
655 TWh im Jahr 2016 bis auf 228 TWh im Jahr 2050.
Gleichzeitig reduziert sich der Anteil fossiler Ener
gieträger. Macht dieser im Jahr 2016 noch fast den
gesamten Energiebedarf aus, werden im Jahr 2050
keine fossilen Energieträger mehr im Verkehrssektor
eingesetzt.
Leichte Nutzfahrzeuge
Der Hochlauf der batterieelektrischen leichten
Nutzfahrzeuge findet etwas schneller statt als bei
Lkw und im Jahr 2030 machen BEV bereits 65
Im Jahr 2030 sind 0,7 Mio. BEV-Fahrzeuge im
Bestand. Bis zum Jahr 2050 steigt die Anzahl auf
knapp 3 Mio. sowie 300.000 Brennstoffzellenfahr
zeuge. Der Bestand an Verbrennern beträgt dann noch
rund 5 Prozent.
95
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Neuzulassungen und Bestand der leichten Nutzfahrzeuge
5
10
3,5
10
3,0
35
Anzahl [Mio.]
60
90
40
90
90
90
65
30
20
Diesel
2016
2050
2045
0,0
2040
2035
0,8
0,4
5
2030
2,7
2,1
0,5
10
2025
2,3
2,4
2,6
1,4
35
2016
1,5
1,0
0
2,1
Benzin
BEV
0,2
2050
100
0,3
1,4
2,0
2045
50
0,2
0,7
2,5
65
2035
70
0,1
2030
80
Anteil an NZL [%]
10
2040
0
90
2025
100
Abbildung 50
FCEV
Öko-Institut (2020)
Bedingt durch die weitgehende Elektrifizierung des
Fahrzeugbestands werden die fossilen Kraftstoffe
zum Großteil durch direkte Stromnutzung (170 TWh
in 2050) ersetzt. Die Brennstoffzellenfahrzeuge und
der Restbestand an verbrennungsmotorischen
Fahrzeugen im nationalen Verkehr werden im Jahr
2050 mit strombasierten Kraftstoffen (rund 40 TWh
Wasserstoff und 19 TWh Flüssigkraftstoffe) versorgt.
Bis zum Jahr 2030 benötigen die Brennstoffzellen
fahrzeuge (Last- und Sattelzüge) 4 TWh an Wasser
stoff. Erste Produktionsanlagen für strombasierte
Kohlenwasserstoffe fokussieren von Beginn an auf
die Produktion von synthetischem Kerosin. Damit
wird frühzeitig ein Anlagendesign sichergestellt,
welches ohne weitere Anpassungen auf die langfris
tigen Bedarfe eines klimagerechten Verkehrssystems
ausgerichtet ist. Im Jahr 2030 kommen im nationalen
Luftverkehr bereits knapp 1,5 TWh an strombasier
tem Kerosin zum Einsatz. Der Anteil im nationalen
Luftverkehr steigt bis 2035 auf 100 Prozent. Hinzu
kommt der Bedarf an strombasiertem Kerosin für den
internationalen Luftverkehr ab 2040, der im Jahr
2050 100 Prozent erreicht. Mögliche Koppelprodukte
der nachhaltigen Kerosinproduktion (zum Beispiel
96
Benzin und Diesel) werden für die Restbestände an
verbrennungsmotorischen Fahrzeugen benötigt.
Aufgrund der Vorgaben der Erneuerbare-Energi
en-Richtlinie RED II ist davon auszugehen, dass bis
2030 die konventionellen Biokraftstoffe auf etwa
heutigem Niveau verbleiben und 1,75 Prozent fort
schrittliche Biokraftstoffe zusätzlich eingesetzt
werden. Das verfügbare Biomassepotenzial wird
danach bis 2050 sukzessive in den Sektoren einge
setzt, in denen es effizienter genutzt werden kann,
beziehungsweise in denen keine Alternativen zur
Verfügung stehen (insbesondere Industrie). Zudem
wird die Biomasse zentral in großen Anlagen benö
tigt, damit die CO2-Ströme der Biomasse später für
Bio-Energy with Carbon Capture and Storage (BECCS)
zur Verfügung zu stehen.
Der deutliche Rückgang des Einsatzes fossiler Kraft
stoffe führt zu einem ebenso deutlichen Rückgang der
THG-Emissionen auf 89 Mio. t CO2-Äq im Jahr 2030.
Damit wird das Ziel des Klimaschutzgesetzes der
Bundesregierung in Höhe von 95 Mio. t CO2-Äq im
Jahr 2030 übertroffen. Das derzeitige Zwischenziel für
das Jahr 2025 wird mit 133 Mio. t CO2-Äq verfehlt.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen national nach Verkehrsträgern
159
160
7
67
fossil
bio
2035
2030
2025
2016
0
elektrisch
PtL
168
40
19
169
15
60
35
107
40
43
76
49
20
15
18
25
6
10
0
H₂
Pkw
Straßengüterverkehr
Binnenschiff
Schienengüterverkehr
ÖV
Luft
4
2050
100
17
38
19
89
80
2040
329
31
8
50
100
2035
200
128
120
2030
492
133
2025
613
22
9
51
2016
300
36
140
2050
400
166
160
2045
1 4
74
Treibhausgasemissionen [Mio. t CO₂-Äq.]
31
41
500
2045
Endenergiebedarf [TWh]
600
180
13
30
2040
700
Abbildung 51
Öko-Institut (2020)
Nach 2030 setzt sich der Trend fort, sodass im Jahr
2050 der gesamte Verkehrssektor als klimaneutral
gilt. Die kumulierten Emissionen zwischen 2021 und
2050 betragen 1.757 Mio. t CO2-Äq. Es treten durch
die Elektrifizierung Mehremissionen im Stromsektor
auf, die hier nicht mit dargestellt sind und im Strom
sektor bilanziert werden.
Die verschiedenen CO2-Vermeidungsstrategien
tragen im Szenario KN2050 unterschiedlich stark zur
Treibhausgasminderung im Verkehrssektor bei. Die
Minderung zwischen 2016 und 2030 beträgt insge
samt 77 Mio. t CO2-Äq. 22 Prozent davon werden über
eine frühzeitige Mobilitätswende im Personenver
kehr erbracht. Auch die Verlagerung von Gütern auf
die Schiene trägt mit rund 7 Prozent zu einer Minde
rung bei. 55 Prozent der Minderung werden durch die
schnelle Elektrifizierung (und Effizienzverbesserung)
des Pkw-Bestandes erreicht. Ein Drittel elektrischer
Fahrleistung von Lkw bringt dann weitere 16 Prozent.
Das Bild setzt sich von 2030 bis zum Jahr 2050 fort.
Knapp 40 Prozent der notwendigen Treibhausgas
minderung hin zur Klimaneutralität des Verkehrs
sektors im Jahr 2050 trägt in diesem Zeitraum die
Elektrifizierung des Pkw-Bestandes bei; für einen
geringen Restbestand an verbrennungsmotorisch
betriebenen Pkw werden synthetische Kraftstoffe
genutzt. Durch eine weitere Verlagerung auf umwelt
freundlichere Verkehrsträger im Personenverkehr,
aber auch durch eine Steigerung der Auslastung von
Fahrzeugen – etwa durch Pooling-Angebote – kön
nen weitere 18 Mio. t (20 Prozent) reduziert werden.
Der Beitrag einer weiteren Verlagerung auf den
Schienengüterverkehr liegt bei 7 Mio. t CO2-Äq und
somit 8 Prozent. Ein Drittel der notwendigen
THG-Minderung auf dem Weg zur Klimaneutralität
erbringt die vollständige Elektrifizierung des
Lkw-Bestandes über Oberleitungen, Batterien oder
Brennstoffzellen.
Internationaler Verkehr
Da sowohl der Luftverkehr als auch der Transport von
Gütern per Seeschifffahrt bis 2050 trotz einer
leichten Dämpfung aufgrund steigender Energie
preise insgesamt stark zunimmt, führen Effizienz
steigerungen bis 2040 lediglich zu einem konstanten
97
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr (Mio. t CO₂-Äq.)
Abbildung 52
Verkehr
Mobilitätsverhalten
Änderung im Mobilitätsverhalten,
mehr ÖV, Rad, Fuß.
Mobilitätsverhalten
Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV,
Rad, Fuß und die gleichzeitige Nutzung
von Fahrzeugen über Pooling-Angebote.
Verlagerung auf Schienengüterverkehr
Deutliche Verlagerung auf den
Schienengüterverkehr.
166
Technologien Pkw
Nahezu vollständige Elektrifizierung
des Pkw-Bestandes, Rest an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen wird
mit synthetischen Kraftstoffen
betrieben.
Technologien Lkw
30 % der Fahrleistung von
Lkw wird elektrisch erbracht.
-17
-42
89
-5
Technologien Lkw
Lkw werden über Batterien,
Oberleitungen oder
Brennstoffzellen vollständig
elektrisch betrieben.
-12
-18
Technologien Pkw
Schnelle Marktdurchdringung E-Pkw,
4/5 der neu zugelassenen Pkw in 2030
sind elektrisch.
-35
-7
0
2016
2030
-29
2050
Verlagerung auf Schienengüterverkehr
Weitere Verlagerung auf den Schienengüterverkehr und Abnahme
von Gütertransporten in einer klimaneutralen Welt.
Öko-Institut (2020)
Energiebedarf. Erst ab 2040 wird ein Rückgang des
Energiebedarfs und damit auch der Treibhausgase
missionen erreicht.
Es werden ab 2040 zunehmend strombasierte
Kraftstoffe eingesetzt. Es wird davon ausgegangen,
dass erst ab diesem Zeitpunkt die relevanten Mengen
auf dem internationalen Markt vergleichsweise
kostengünstig angeboten werden können. 2045
machen strombasierte Kraftstoffe dann bereits die
Hälfte der eingesetzten Energiemenge aus und im
98
Jahr 2050 wird der Einsatz fossiler Kraftstoffe dann
vollständig vermieden.
Die CO2-Emissionen gehen durch den Einsatz
strombasierter Kraftstoffe bis zum Jahr 2050 auf null.
Es verbleiben jedoch auch bei dem Einsatz CO2-freier
Kraftstoffe die Nicht-CO2-Effekte (Abbildung 53). Im
Rahmen eines zukünftigen, umfassenderen interna
tionalen Klimaschutzregimes müsste Deutschland
weitere negative Emissionen erreichen, um die
Nicht-CO2-Effekte seines internationalen Luftver
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Klimawirksamkeit Luftverkehr
Beim Luftverkehr gibt es hinsichtlich der Klimaschutzanstrengungen eine Besonderheit: die sogenannten
Nicht-CO2-Effekte. Über die Treibhausgasemissionen und ihre Klimawirkung hinaus gibt es noch weitere
Effekte, die in großer Flughöhe wirksam werden und das Klima negativ belasten. Dazu zählen die Emissio
nen von Stickoxiden, Rußpartikeln und Wasserdampf ebenso wie die teilweise damit verbundene ver
stärkte Zirruswolken- und Kondensstreifenbildung. Die Klimawirkung hängt von vielen Faktoren ab, etwa
die Hintergrundkonzentration, die Temperatur in Flughöhe, geografische Länge und Breite. Die Berech
nung der Klimawirkung des Luftverkehrs beziehungsweise die Festlegung auf pauschale Faktoren stellt
damit eine besondere Herausforderung dar. Die wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema ist noch
nicht abgeschlossen, und der Strahlungsantriebsindex (Radiative Forcing Index, RFI), mit dem die Klima
wirksamkeit dargestellt werden kann und der die aus dem Flug-verkehr entstehenden CO2- und NichtCO2-Effekte aus der Verbrennung der Kraftstoffe in großer Höhe gegenüber dem CO2-Effekt am Boden
gewichtet, liegt zwischen 1,9 und 4,7 (IPCC 2007). Grewe (2019) geht davon aus, dass die Nicht-CO2-Aus
wirkungen mindestens 50 Prozent der gesamten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs ausmachen, sodass
die gesamten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs mindestens zweimal größer wären als seine CO2-Aus
wirkungen. Gemäß dem Vorsorgeprinzip sollten diese Emissionen – trotz verbleibender Unsicherheiten –
nicht ignoriert werden. Mehrere Organisationen haben daher einen Multiplikator von 3 für die Berück
sichtigung der Nicht-CO2-Wirkungen des Luftverkehrs festgelegt oder empfohlen (atmosfair 2020; UBA
2019b). 25 Hervorzuheben ist, dass auch wenn CO2-freie Kraftstoffe eingesetzt werden, dieser Klimaeffekt
bestehen bleibt. Für vollständige Klimaneutralität müssen diese Nicht-CO2-Effekte entsprechend über
Senken ausgeglichen werden.
Entwicklung Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen inklusive der
Nicht-CO2-Effekte, internationaler Verkehr
450
455
450
442
103
92
92
87
82
450
400
100
460
Energiebedarf [PJ]
350
162
250
150
364
38
72
300
200
400
358
357
363
363
360
38
292
100
162
50
0
Treihausgasemissionen [Mio. t CO2-Äq]
500
90
80
70
60
2025
2030
2035
2040
2045
2050
fossil Luft
fossil Seeschiff
strombasiert Luft
strombasiert Seeschiff
52
52
53
53
53
50
40
47
30
20
10
0
2016
Abbildung 53
26
26
27
27
26
8
7
7
6
6
2016
2025
2030
2035
2040
43
12
3
2045
2050
Nicht CO2 Luftverkehr (nachrichtlich, RFI 3)
Luftverkehr
Seeschiff
Öko-Institut (2020)
99
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
kehrs auszugleichen. Bei einem RFI von 3 wären das
43 Mio. t.25
3.5.5 Sensitivität Markthochlauf Elektrofahrzeuge
Ziel der Sensitivität war es, ein alternatives Szenario
aufzuzeigen, in dem sich das Mobilitätsverhalten
etwas langsamer anpasst und gleichzeitig der Markt
hochlauf von Elektrofahrzeugen etwas schneller
stattfindet. In der Sensitivität wird die Dynamik beim
Hochlauf der Elektrofahrzeuge verstärkt und bereits
im Jahr 2030 werden keine rein verbrennungsmoto
rischen Pkw mehr zugelassen. Der Ausstieg aus den
PHEV erfolgt im Jahr 2035, der Anteil der PHEV an
den Neuzulassungen sinkt bereits zwischen 2030
und 2035 deutlich.
Werden mehr Elektrofahrzeuge zugelassen als im
Szenario KN2050, können an anderer Stelle die
Veränderungen etwas langsamer von statten gehen bei gleicher sektorübergreifenden Treibhausgasmin
derung. Da es sich gerade bei der Änderung des
Mobilitätsverhaltens mit einem Rückgang der
Pkw-Fahrleistung um 13 Prozent innerhalb von
14 Jahren um einen ambitionierten Pfad handelt,
wurde für die Sensitivität eine geringere Reduktion
der Pkw-Fahrleistung um 11 Prozent bis 2030
gegenüber 2016 angenommen. Die Verkehrsnach
frage Pkw liegt im Jahr 2030 bei 853 Mrd. Pkm, statt
bei 833 Mrd. Pkm.
Pkw-Neuzulassungen und Bestand
Das 2030er-Ziel der EU-Pkw-Flottengrenzwerte
(minus 37,5 Prozent gegenüber 2021) wird bereits im
KN2050 mit 75 Prozent deutlich übertroffen. In der
Sensitivität wird sogar eine Emissionsminderung um
93 Prozent erreicht, da keine rein verbrennungsmo
torisch betriebenen Pkw mehr zugelassen werden.
Der frühere Ausstieg aus konventionellen Pkw führt
entsprechend zu einer schnelleren Zunahme des
25
100
Weder im Übereinkommen von Paris noch im Rahmen
der EU-Klimapolitik werden die Nicht-CO₂-Effekte
bereits im Rahmen von Regulierungen berücksichtig.
Bestands an Elektrofahrzeugen. Im Szenario KN2050
werden im Jahr 2030 rund 14 Millionen Elektrofahr
zeuge erreicht, in der Sensitivität sind zu diesem
Zeitpunkt bereits rund 17 Millionen Elektrofahrzeuge
im Bestand.
Um einen solchen Bestand im Jahr 2030 zu erreichen,
ist ein gleichmäßiger Markthochlauf elektrischer Pkw
notwendig. Eine Schwäche der EU-Flottengrenzwerte
– unabhängig von ihrer Höhe – in dieser Hinsicht ist,
dass sie nur für die Stützjahre 2025 und 2030 festge
legt wurden. Die Entwicklung der vergangenen Jahre
hat gezeigt, dass die Emissionsziele in den Stützjahren
erreicht werden, der Verlauf in den Zwischenjahren
jedoch nicht linear ist, sondern die Emissionswerte
tendenziell sprunghaft zu den Stützjahren abnehmen.
Aufgrund der Pkw-Haltedauern hat der Markthoch
lauf in den Zwischenjahren einen sehr großen
Einfluss auf die Bestandszahlen im Jahr 2030. Durch
einen angepassten Instrumentenmix wird in den
Szenarien daher ein linearer Hochlauf der Elektro
fahrzeug-Zulassungen bis 2030 gewährleistet. Dies
kann beispielsweise durch flankierende fiskalische
Instrumente auf nationaler Ebene oder aber durch
verschärfte Pkw-Grenzwerte bzw. eine Quotenrege
lung bewirkt werden, die jeweils auch Vorgaben für
die Zwischenjahre machen.
Klimavorteil durch Elektrifizierung im Verkehr
versus Mehremissionen im Stromsektor
Ziel des Szenarios KN2050 ist, sektorenübergreifend
bis 2030 eine Minderung der THG-Emissionen um
65 Prozent zu erreichen. Werden zur THG-Minde
rung im Verkehrssektor Technologien eingesetzt, die
als Energieträger Strom benötigen, so müssen die
Wechselwirkung mit dem Stromsektor und mögliche
zusätzliche Emissionen durch einen höheren Strom
bedarf mitgedacht werden.
Der „Netto-Klimavorteil“ elektrischer Fahrzeuge
hängt also nur zu einem Teil von der Effizienz der
Antriebsalternativen ab, denn zusätzlich spielt die Art
der Stromerzeugung eine wesentliche Rolle. Je
nachdem, ob der zusätzlich benötigte Strom durch
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
8
14
21
20
26
28
30
12
15
22
27
18
30
25
Diesel
Anzahl [Mio.]
100
92
80
79
74
58
64
20
15
Benzin
BEV
0
2035
2033
PHEV
2034
2032
2031
2030
2029
2028 8
5
15
22
11
10
2027
2026
29
25
2025
2024
31
34
2022
0
2023
10
2020
28
20
31
16
30
86
39
47
24
40
33
42
50
38
60
57
36
70
60
2021
Anteil an NZL [%]
80
Abbildung 54
35
27
6
9
9
90
22
100
9
Entwicklung Antriebstechnologien Neuzulassungen (NZL) und
Bestand Pkw in der Sensitivität
2020
FCEV
2025
2030
2035
2040
2045
KN2050 BEV
KN2050 PHEV
Sensitivität BEV
Sensitivität PHEV
2050
Öko-Institut (2020)
Erneuerbare Energien, Gaskraftwerke oder durch
CO2-intensive Kohlekraftwerke bereitgestellt wird,
verändert sich der Emissionsfaktor für den einge
setzten Strom und damit die tatsächliche Einsparung
über alle Sektoren hinweg. In der hier betrachteten
Sensitivität wird davon ausgegangen, dass keine
zusätzlichen Erneuerbaren Energien ausgebaut
werden, weil das Ambitionsniveau bereits hoch ist.
Kohlekraftwerke kommen nicht zum Einsatz, weil sie
über den EU-ETS-Preis aus dem Markt gedrängt
Entwicklung durchschnittliche CO2-Emissionen neu zugelassenen Pkw
im Szenario KN2050 und in der Sensitivität
Abbildung 55
180
160
[g CO2/km (WLTP)]
140
120
100
80
-15 %
-37,5 %
60
40
-
20
-75 % ggü. 2021
-93 % ggü. 2021
0
2018
2020
2022
2024
Sensitivität
2026
KN 2050
2028
2030
2032
2034
EU-Standards
Öko-Institut (2020)
101
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
werden. Importe werden hier ebenso nicht betrachtet,
weil sie das Problem der zusätzlichen Emissionen
lediglich ins Ausland verlagern und damit keinen
echten Vergleich der Treibhausgaswirksamkeit
beider Antriebstechniken erlauben. Der Strom wird
in der Vergleichsanalyse hier deshalb über Erdgas
erzeugt. Je nachdem, ob man hier eine effiziente GuD
mit einem Wirkungsgrad von mehr als 55 Prozent
oder eine Gasturbine von heute 42 Prozent Wir
kungsgrad ansetzt, variiert der Strom-Emissionsfak
tor zwischen rund 450 und 367 g CO2 /kWhel. In der
hier betrachteten Sensitivität wird davon ausgegan
gen, dass die Strombereitstellung über GuDs erfolgt.
Gasturbinen sind in der Regel nur für wenige
Peak-Stunden mit hohem Strombedarf ausgelegt.
Aufgrund der vorhandenen Flexibilität beim Laden,
werden solche Stunden tendenziell eher vermieden.
Vergleicht man den Emissionsfaktor von 367 g/kWhel
mit dem Emissionsfaktor für Diesel in Höhe von
266 g CO2 /kWh), so liegt dieser deutlich darüber. Das
wird jedoch dadurch überkompensiert, dass Elektro
motoren wesentlich effizienter sind als Dieselmoto
ren. Bereits wenn der Energieverbrauch des elektri
schen Fahrzeugs um ein Drittel niedriger liegt als der
Verbrauch des Dieselfahrzeugs, ergibt sich ein
Klimavorteil (im Betrieb).
Der Stromverbrauch eines elektrischen Last- und
Sattelzuges ist etwa halb so hoch wie der Energiever
brauch eines vergleichbaren Dieselfahrzeugs. Im
Szenario sind daher die CO2-Emissionen des ElektroLkw bei Berücksichtigung des Stromsektors im Jahr
2030 etwa 20 Prozent niedriger als beim Diesel.
Elektro-Pkw verbrauchen hingegen nur ein Drittel
der Endenergie ihres Diesel-Pendants. Daher sparen
sie sektorenübergreifend 50 Prozent CO2-Emissionen
ein. Die zwei Beispiele zeigen, dass das sektorenüber
greifende Minderungspotenzial von der Effizienz der
eingesetzten Technologien in beiden Sektoren
abhängt. Durch die Elektrifizierung der Pkw kann
eine höhere prozentuale Minderung der CO2-Emissi
onen je Kilometer erzielt werden als durch die Elektri
fizierung der Lkw, da Pkw den Strom im Antriebsver
gleich effizienter einsetzen. Steigt der Anteil
Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion
weiter, so nimmt der Klimavorteil im Betrieb sowohl
von Elektro-Pkw als auch von Elektro-Lkw zu.
Endenergiebedarf und THG-Emissionen
Im Verkehrssektor selbst resultieren die zusätzlichen
Elektrofahrzeuge trotz leicht erhöhter Fahrleistung,
die teilweise auch noch durch Verbrenner erbracht
wird, in einer weiteren Minderung der THG-Emissi
onen um 2 Mio. t. Sie liegen 2030 bei 87 Mio. t statt
Vergleich der CO2-Emissionen von elektrischen Fahrzeugen und Dieselfahrzeugen
bei Stromerzeugung aus GuD (367 g CO2/kWhel)
160
140
120
100
80
60
40
20
0
636
600
479
500
400
62
53
300
200
17
239
131
100
0
Energieverbrauch
[kWh/100 km]
Diesel-Pkw
Öko-Institut (2020)
102
700
138
Abbildung 56
CO2-Emissionen
[g/km]
E-Pkw
Energieverbrauch
[kWh/100 km]
Diesel-Lkw
CO2-Emissionen
[g/km]
E-Lkw
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
wie im KN2050 bei 89 Mio. t. Diese zusätzliche
Minderung setzt sich entsprechend der Bestands
entwicklung Pkw auch in den Jahren 2035 und 2040
fort. Im Jahr 2045 nähern sich die CO2-Emissionen
innerhalb der Sektorenabgrenzung Verkehr nahezu
an. Die höhere Anzahl an Elektrofahrzeugen führt
zwar zu sinkenden THG-Emissionen im Verkehrs
sektor und zu leicht sinkenden Emissionen in den
Mineralölraffinerien, aber ebenfalls zu einem
erhöhten Strombedarf und damit zu Mehremissionen
im Stromsektor. Insgesamt gleichen sich die Effekte
in der Sensitivitätsbetrachtung nahezu aus. In der
Detailbetrachtung des Jahres 2030 zeigen sich
leichte Minderemissionen von 0,1 Mio. t CO2-Äq (vgl.
Abbildung 57).
Entwicklung der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors und
sektorenübergreifend in der Sensitivität
Abbildung 57
1) Sektorübergreifende Treibhausgasemissionen bei identischer und höherer Verkehrsleistung
Identische Verkehrsleistung
Höhere Verkehrsleistung – Sensitivität
Emissionen [Mio. t CO2-Äq]
0
Gesamteinsparung
-0,1 Mio. t
-0,5
-1,0
Gesamteinsparung
-1,2 Mio. t
-1,5
-2,0
-2,5
-3,0
-3,5
E-Fahrzeuge
-3,0 Mio. t
Raffinerien
-0,1 Mio. t
Gaskraftwerke*
+2,0 Mio. t
höhere Pkm
+1,1 Mio. t
Emissionen [Mio. t CO2-Äq]
2) Treibhausgasemissionen Verkehr in der Sensitivität
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
166
51
134
50
107
2016
Pkw
87
35
77
2025
Straßengüterverkehr
40
46
15
21
2030
2035
Binnenschiff
16
5
7
2040
Schienengüterverkehr
4
2045
ÖV
Luft
* Deckung der zusätzlichen Stromnachfrage in Höhe von 5,6 TWh durch den Einsatz von Gaskraftwerken. Annahme Wirkungsgrad GuD 55 %.
Dies entspricht einem Stromemissionsfaktor des Stroms von 367 g CO2/kWhel
Öko-Institut, Prognos (2020)
103
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
3.6 Landwirtschaft, Abfall und LULUCF
3.6.1 Landwirtschaft
Zielbild und Ausgangslage
Im Jahr 2018 lagen die Emissionen aus dem Land
wirtschaftssektor inklusive der energiebedingten
Emissionen bei 69,8 Mio. t CO₂-Äq. Die Hälfte der
Emissionen entsteht durch die Verdauung der
Wiederkäuer und die Lagerung des anfallenden
Wirtschaftsdüngers. Etwas mehr als ein Drittel der
Emissionen entsteht durch den Stickstoffeintrag in
die Böden für den Anbau von Tierfutter, Markt
früchten und Energiepflanzen. Die restlichen 15
Prozent der Emissionen lassen sich auf die Ver
gärung von Energiepflanzen, sonstige Düngeran
wendung (zum Beispiel Kalkung) und den Energie
einsatz (Erdgas, Mineralöleinsatz etc.) der
Landwirtschaft zurückf ühren.26
Bis zum Jahr 2030 sollen die Emissionen nach dem
aktuellen Klimaschutzgesetzt auf 58 Mio. t CO₂-Äq
sinken. Im Landwirtschaftssektor überwiegen die
Methan- und Lachgasemissionen, welche durch
biologische Prozesse in den Böden und in der Tierhal
tung entstehen. Technische Optionen zur Reduktion
der Treibhausgase sind in diesem Sektor daher
begrenzt und eine vollständige Klimaneutralität der
Landwirtschaft ist letztlich nicht möglich. Den men
genmäßig wichtigsten Emissionsminderungshebel
bildet die Entwicklung der Nutztierbestände.
In Verbindung mit einer Reduktion des Konsums
tierischer Produkte ist dieser bis zum Jahr 2050 für die
Emissionsentwicklung des Sektors entscheidend. Im
Rahmen des KN2050-Szenarios werden gesellschaft
liche Trends im Bereich der Ernährung fortgeschrie
ben, so unter anderem ein moderater Rückgang des
Milchkonsums und eine Verschiebung des Fleisch
26
104
Nach dem Sektorenziel des Klimaschutzgesetzes
fallen die Emissionen aus dem Wärmeverbrauch
in Gewächshäusern, Stallungen, und Trocknungen
unter den Landwirtschaftssektor. Ebenso werden die
Emissionen aus dem Kraftstoffeinsatz in landwirtschaft
lichen Nutzmaschinen für Ernte etc. bilanziert.
konsums hin zu mehr Geflügel.27 Um bis 2050 dennoch
Klimaneutralität für Deutschland zu erreichen, müssen
die verbliebenen Restemissionen mit vergleichsweise
kostenintensiven Negativ-Emissionen ausgeglichen
werden. Daher sind Änderungen in der landwirt
schaftlichen Produktion und Produktionsweise aus
heutiger Sicht sowohl aus Klimaschutz- wie auch aus
volkswirtschaftlichen Gründen unvermeidbar.
Die Reduktion der Treibhausgasemissionen aus der
Landwirtschaft lassen sich in drei Minderungsme
chanismen einteilen:
1. Optimierung: Hierzu gehören technische Vermei
dungsoptionen wie Effizienzverbesserungen und
der Einsatz von technischen Emissionsminde
rungstechnologien. Die Strukturen in der land
wirtschaftlichen Produktion bleiben davon
zunächst unberührt.
2. Minimierung von Emissionen: Hierzu zählen die
Veränderungen durch die Extensivierung der
landwirtschaftlichen Produktion sowie struktu
relle Veränderungen der Produktionsweise. Diese
Maßnahmen verändern die landwirtschaftlichen
Produktionsstrukturen (Produkte und Erträge)
und die entsprechenden Emissionen.
3. Eliminierung von Emissionen: Zu diesem Emissi
onsminderungshebel zählen alle Maßnahmen, die
auf eine Rückführung der Produktion und die
damit verbundenen Emissionsvermeidungen
abzielen.28
Im Kontext des Klimaneutralitätsziels für die gesamte
Volkswirtschaft sind bis zum Jahr 2050 Maßnahmen
27
Durch eine Ernährung, in der weniger tierische
Produkten verzehrt werden, können die Emissionen aus
dem Landwirtschaftssektor zusätzlich verringert werden.
28
Eine strikte Trennung zwischen den beiden letztge
nannten Hebeln der Minimierung und der Eliminierung
ist dabei nicht immer möglich beziehungsweise nötig.
Hierbei handelt es sich vor allem um solche Maßnahmen,
die vorrangig aus Klimaschutzgründen umgesetzt werden.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
aus allen genannten Minderungsoptionen für die
Landwirtschaft notwendig. Nur so können die
Emissionen des Sektors deutlich beziehungsweise im
notwendigen Umfang reduziert werden.
Szenarioannahmen
Die Treiber im Landwirtschaftssektor bilden die
Entwicklung der Tierbestände, die Flächenentwick
lung von Grünland und Ackerland in Rückkopplung
mit der Landnutzung, die angebauten Kulturarten als
Rückschluss auf die Nachfrage nach Tierfutter,
Bioenergie und Marktfrüchten sowie die Deckung
des Stickstoffbedarfs der angebauten Kulturen.
Im Bereich der Emissionen aus der Tierhaltung bildet
die Nachfrageentwicklung des Konsums den Start
punkt. Das Szenario schreibt aktuelle Konsumtrends
für den Verzehr von Schweinefleisch, Geflügelfleisch
sowie Milch, Käse und Butter bis ins Jahr 2050 fort.
Aufgrund der eng verzahnten Produktionssysteme
von Milchwirtschaft und Rindfleischproduktion wird
die Produktion von Rindfleisch an die Entwicklung
der Milchproduktion gekoppelt. Auf diese Weise
nimmt im Szenario auch die Produktion von Rind
fleisch ab.29 Die Selbstversorgungsgrade Deutsch
lands für die entsprechenden Produkte bleiben über
den gesamten Szenariozeitraum konstant.30 In
Kombination mit der Leistungsentwicklung (zum
Beispiel Milchleistung) werden die Tierzahlen
berechnet.
29
Die Entwicklung des Rinderbestandes ist damit nicht
an die aktuelle Konsumentwicklung für Rindfleisch
geknüpft. Die aktuelle Konsumentwicklung für
Rindfleisch wird vor allem durch den starken Rückgang
während der BSE-Krise im Jahr 2001 beeinflusst und
eignet sich nur bedingt zur Fortschreibung. Damit zeigt
sich aber auch, dass Verbraucher auch kurzfristig durch
eine Verschiebung des Fleischkonsums zwischen den
Tierarten reagieren können.
30
Das heißt, sie entwickeln sich wegen der engen
Verschränkung der unterschiedlichen Produktbereiche
(unterschiedliche Fleisch- und Milchprodukte etc.) im
selben Verhältnis wie der Konsum. Nimmt der einheimi
sche Konsum ab, sinken auch die Exporte entsprechend.
Im Bereich der Pflanzenproduktion wird zunächst
ausgehend vom Nutztierbestand der Futterbedarf
ermittelt. Den zweiten Nachfragestrom bildet die
Nachfrage der Sektoren nach Bioenergie: Die danach
verbleibende Fläche kann anschließend dem Markt
fruchtanbau zugeordnet werden oder auch für
Extensivierungen zur Schaffung ökologischer
Vorrangflächen oder der Ausweitung extensiver
Grünlandflächen verwendet werden. Durch die
rückläufige Fläche infolge von Infrastrukturmaßnah
men und die angepasste Nutzung von Moorstandor
ten (Paludikulturen) nimmt auch die Marktfrucht
fläche ab. In Kombination mit den Annahmen zur
Ertragsentwicklung wird schließlich für alle Anbauf
lächen der Stickstoffbedarf für die Düngung ermittelt.
105
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Die nachfolgende Tabelle 4 beschreibt die detaillierten
Szenarioannahmen und ordnet sie den drei oben
genannten Emissionsminderungshebeln zu: 31
Beschreibung der Annahmen für die Landwirtschaft
Minderungsmechanismus
Optimierung
(technische
Vermeidungsoptionen)
Tabelle 4
Szenarioannahmen
→ Strengere Umweltanforderungen führen zu verbesserter Lagerung und
Ausbringungstechnik von Gülle und Gärresten und die Stickstoffausbringung
verringert sich. Insgesamt erhöht sich die Effizienz der Stickstoffnutzung.
→ Steigerung der Wirtschaftsdüngervergärung von heute circa 20 Prozent auf
50 Prozent im Jahr 2030 und 70 Prozent beziehungsweise 90 Prozent
(je nach Tierart) bis 2050
→ gasdichte Lagerung der anfallenden Wirtschaftsdünger und Gärreste
→ Erhöhung der Energieeffizienz in der Landwirtschaft und im Gartenbau
Minimierung
(Reduktion
von Betriebsmitteln)
→ Ausweitung des Ökolandbaus auf 20 Prozent der Fläche 2030 und
25 Prozent der Fläche 2050
→ Ausweitung des Anbaus von Kulturarten mit geringerem beziehungsweise
keinem Stickstoffbedarf:
• Ausweitung des Anbaus stickstoffbindender Pflanzen (Leguminosen)
• Verschiebung zu Kurzumtriebsplantagen statt Mais bei Energiepflanzen
• Nutzung wiedervernässter Moorflächen für Paludikulturen 31
→ stickstoffoptimierte Fütterung in der Rinder-, Schweine und Geflügelhaltung
→ Umstieg auf Erneuerbare Energien in der Landwirtschaft und im Gartenbau
Eliminierung
(Reduktion des
Produktionsniveaus)
→ Wiedervernässung der organischen Böden (Moore) unter Acker- und
Grün-land, Ausweitung der unproduktiven Flächen (Brachen)
→ Umbau der Tierbestände (auf der Basis fortgeschriebener Konsumtrends) –
wobei auf den Ackerfutterflächen weiterhin eine pflanzenbauliche Nutzung
unterstellt wird.
→ Zusätzlich wirkt der Ausbau von Flächen für Infrastruktur und Siedlungen.
Hierdurch nimmt die landwirtschaftlich genutzte und damit auch die
gedüngte Fläche ab.
Öko-Institut (2020)
31
106
Paludikultur bezeichnet die land- und forstwirtschaftli
che Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore, dabei wer
den neue Produkte wie Röhrichte oder Schilfe geerntet,
die für die Stoff- oder Energienutzung verwendet wer
den können.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Weitere Annahmen werden in der folgenden
Abbildung dargestellt.
Wesentliche Treiber in der Landwirtschaft
Abbildung 58
Wirtschaftsdüngervergärung
Anteil des vergorenen Wirtschaftsdüngers am gesamten Wirtschaftsdüngeraufkommen.
0%
50 %
Milchkühe
100 %
21 %
heute
50 %
2030
Sonstige
Rinder
heute
10 %
50 %
2030
70 %
2050
heute
Schweine
15 %
50 %
2030
90 %
2050
heute
Geflügel
Heute entweichen aus Mist und
Gülle 9,3 Mio. t Treibhausgase in
die Atmosphäre. Über Vergärung
und gasdichte Abdeckung der
Lager können ein großer Teil der
Emissionen vermieden werden.
75 %
2050
13 %
50 %
2030
90 %
2050
Ökolandbau
Anteil des Ökolandbaus an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche.
7,5 %
2016
9%
2018
20 %
2030
25 %
Ökolandbau verzichtet auf Mineraldünger und
setzt daher weniger Stickstoff pro Hektar ein.
Damit reduzieren sich die Lachgasemissionen
aus den Böden und die Emissionen aus der
Mineraldüngerherstellung in der Industrie.
2050
Entwicklung der Weizenerträge
Entwicklung der Milchleistung
Dezitonnen pro Hektar
Liter pro Kuh und Jahr
78,5
80,0
86,8
Mittel
2013:2018
2030
2050
8.200
8.727
8.791
2018
2030
2050
BMEL 2020 a, Haehnel et. al. 2020, Öko-Institut (2020)
107
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Die Ausweitung des Ökolandbaus erfolgt durch die
Umstellung bestehender konventioneller Betriebe
beziehungsweise Flächen. Sie orientiert sich an den
politischen Zielstellungen des Klimaschutzplans und
des European Green Deals. Die damit einhergehende
Reduktion der Produktionsmengen kann durch eine
Änderung der Nachfrage nach Marktfrüchten und
eine Reduktion der Lebensmittelabfälle ausgegli
chen werden.
Ergebnisse
Ein Großteil der Minderungsoptionen führt zu einem
wachsenden Flächenbedarf. Dies gilt sowohl für die
Erhöhung der Ökolandbaufläche als auch für die
Wiedervernässung der Moore. Gleichzeitig sinkt die
verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche durch eine
Ausweitung der Flächen für Infrastrukturmaßnah
men, wie den Bau von Straßen und Bahntrassen und
die Ausweitung von Siedlungen. Ohne eine geänderte
Nachfrage nach Futterflächen, Marktfrüchten und
Bioenergie steigt damit der Flächendruck zukünftig
stark an. Durch den nur moderaten Rückgang der
Tierbestände und die damit freiwerdende Futterflä
che entsteht in diesem Szenario lediglich ein mini
maler Spielraum für neue Flächennutzungen. Dieser
wird mit der Ausweitung der Infrastrukturmaßnah
men und der Wiedervernässung der landwirtschaft
lich genutzten Moore bereits aufgezehrt.
Abbildung 59 zeigt die Entwicklung der landwirt
schaftlichen Nutzfläche bis zum Jahr 2050. Durch
Infrastrukturmaßnahmen und eine Wiedervernässung
der organischen Böden sinkt bis dahin die reine
Acker- und Grünlandfläche um 7 Prozent (circa
1,2 Mio. Hektar) im Vergleich zum Jahr 2016. Ein Teil
der wiedervernässten Böden wird aber weiterhin als
Paludikultur zum Anbau von Energiepflanzen (Schilf,
Erle) genutzt. Ohne Einbezug der Paludikulturen sinkt
die Anbaufläche für Energiepflanzen um 0,1 Mio. Hek
Entwicklung der gesamten Flächen und Entwicklung der Futterflächen*
Gesamtflächen
Futterflächen
18
10
6
8,8
8,7
3
7,6
0
4
1,2
6,9
1,1
0
2016
2030
2050
Moore und
Paludikulturen
Vorrangflächen +
Leguminosen
Grünland
Ackerland Markfrucht,
Futterbau
Energiepflanzen
6,1
5,0
2
0,2
0,6
0,6
2016
0,1
1,3
0,2
0,5
0,5
2030
Rinder
Schweine
*Die Berechnungen basieren auf ausgewählten Standardfutterplänen, Abweichungen zur Statistik sind möglich.
BMEL (2020 a), FNR (2019), Öko-Institut (2020)
108
0,2
0,2
1,7
0,3
0,5
0,4
2050
Geflügel
Import
1,4
bio
2,3
konv
1,2
Import
0,8
bio
9
1,3
1,4
6
konv
2,4
12
1,3
1,5
Import
2,4
8
4,2
bio
4,5
konv
[Millionen Hektar]
4,8
1,1
0,7
[Millionen Hektar]
0,2
15
Abbildung 59
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
tar gegenüber 2016. Die Fläche der wiedervernässten
Moore inklusive der genutzten Paludikulturen steigt
bis zum Jahr 2050 auf 0,7 Mio. Hektar an (etwa
4 Prozent der heutigen landwirtschaftlichen Nutz
fläche). Gleichzeitig findet eine Ausweitung der
ökologischen Vorrangflächen und eine Ausweitung des
Leguminosenanbaus statt.
Im Bereich der Lachgasemissionen aus landwirt
schaftlichen Böden lassen sich wesentliche Minde
rungen über eine Reduktion der Stickstoffeinträge aus
Wirtschaftsdünger und Mineraldünger erreichen.32
Abbildung 60 zeigt die Entwicklung der Stickstoff
einträge in den Boden, differenziert in Mineral- und
Wirtschaftsdünger. Links ist der Stickstoffeintrag aus
Wirtschaftsdüngern und Mineraldüngern in Kilo
gramm pro Hektar dargestellt, rechts die Summe über
die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche. Mineral
dünger kommt nur in der konventionellen Landwirt
schaft zum Einsatz, da der ökologische Landbau diese
Düngemittel nicht verwenden darf.
32
Weitere Stickstoffeinträge gelangen über Erntereste,
Weidegang und den Anbau von Leguminosen in die
Böden.
Bis zum Jahr 2050 lassen sich gegenüber 2016 etwa
36 Prozent des Stickstoffeintrages aus Mineraldün
ger und Wirtschaftsdünger reduzieren. Die Minde
rungen gehen auf den effizienteren Wirtschaftsdün
gereinsatz und die Ausweitung der Kulturen mit
geringerem Stickstoffbedarf zurück. Pro Hektar fällt
die Minderung des Stickstoffeintrages auf der
konventionellen Fläche mit circa 21 Prozent geringer
aus. Dies ist vor allem mit der Ertragsdifferenz
zwischen beiden Anbauformen zu erklären. Bis zum
Jahr 2050 sinken die Stickstoffüberschüsse von
93 Kilogramm Stickstoff (Mittel der Jahre 2016 bis
2018) auf 48 Kilogramm Stickstoffüberschuss pro
Hektar (siehe Abbildung 62). Dies ist das Ergebnis
einer verbesserten Stickstoffnutzung (reduzierter
Düngemitteleintrag bei gleichzeitig moderater
Steigerung der Erträge).
Die Entwicklung des Tierbestandes folgt der Trend
fortschreibung für den Konsum der tierischen
Produkte bis ins Jahr 2050 (siehe Abbildung 62).
Schon in den Jahren 2017 bis 2019 ergab sich als Folge
der Dürre, gestiegener Umweltanforderungen und
geringerer Marktpreise ein Rückgang bei den
Beständen von Milchkühen, Rindern und Schweinen,
Stickstoffeinträge in die Böden in kg N/ha konventioneller Fläche und kt N gesamt
Stickstoffeinsatz gesamt
Stickstoffeinsatz auf konventionellen Flächen pro Hektar
2.800
160
-13 %
61
120
64
100
-17 %
71
-19 %
70
68
80
60
40
111
85
20
72
69
66
0
2016
2025
2030
Wirtschaftsdüngereinsatz
2040
2.400
-21 %
2050
Mineraldüngereinsatz
[kt Stickstoff]
[kg Stickstoff pro Hektar]
180
140
Abbildung 60
2.000
986
-20 %
1.600
1.200
800
-30 %
-33 %
-36 %
972
945
916
924
867
810
2030
2040
2050
970
1711
1181
400
0
2016
2025
Wirtschaftsdüngereinsatz
(konventionell und öko)
Mineraldüngereinsatz
(konventionell)
UBA (2020), Öko-Institut (2020)
109
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
während der Geflügelbestand seit Jahren kontinuier
lich ansteigt. Vor allem die geringere Zahl der Milch
kühe und Rinder führt zu einer Emissionsreduktion.
Dies liegt daran, dass Rinder als Wiederkäuer bei der
Pansenverdauung das Treibhausgas Methan in großer
Menge ausstoßen.
system gekoppelte Produkte sind (eine Kuh gibt nur
Milch, wenn ein Kalb geboren wird).
Die Anpassung des Rindfleischkonsums an die
konsumierte Milchmenge führt zu einer Reduktion
der Treibhausgase aus der Tierhaltung, da keine
zusätzlichen Fleischrinder in Mutterkuhhaltung
gehalten werden müssen. Der Rückgang der Milch
kuhbestände erfolgt durch den Rückgang des
Konsums von Milchprodukten33, in Verbindung mit
Aus diesem Grund sind vor allem die produzierten
Mengen an Milch und Rindfleisch für die Treibhaus
gasemissionen in der Landwirtschaft eine maßgebli
che Größe. Der Austausch von Rindfleisch durch
Schweine- oder Geflügelfleisch wäre als Klima
schutzmaßnahme jedoch zu kurz gegriffen, da
Rindfleisch und Milch im heutigen Produktions
33
Hier wirkt sich besonders ein geringerer Verzehr von
Butter, Käse und Sahne aus, da für die Herstellung eines
Kilogramms dieser Produkte besonders viele Liter gemol
kener Milch notwendig sind.
Emissionen aus der Landwirtschaft (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
Abbildung 61
Landwirtschaft
landwirtschaftliche Böden
Verringerung Stickstoffdüngung durch Ausbau
Ökolandbau, effiziente Güllenutzung
energiebedingte Emissionen
Energieeffizienz, Erneuerbare Energien
landwirtschaftliche Böden
Verringerung Stickstoffdüngung
durch Ausbau Ökolandbau,
effiziente Güllenutzung
energiebedingte Emissionen
Energieeffizienz, Erneuerbare
Energien
70
Sonstiges
-4
-3
-1
-1
58
-1
-5
Wirtschaftsdüngermanagement
Rückgang Tierbestände und
Güllevergärung
Öko-Institut (2020)
110
-3
-2
44
-1
Wirtschaftsdüngermanagement
Rückgang Tierbestände
und Güllevergärung
Verdauung Wiederkäuer
Rückgang Tierbestände
2018
Sonstiges
-3
Verdauung Wiederkäuer
Rückgang Tierbestände
2030
2050
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Wesentliche Effekte des Szenarios auf den Landwirtschaftssektor
Abbildung 62
1 | Tierbestände
2 | Flächenspielräume
in Großvieheinheiten (GVE*). Fortführung des
aktuellen Ernährungstrends: Zunahme des
Verzehrs von Geflügelfleisch
aus dem Rückgang der Tierbestände und aus
dem sinkenden Flächenbedarf für Futteranbau,
in 1.000 Hektar
Acker
-16 %
Grünland
4.000
-16 %
3.000
-9 %
268
518
281
in 2030 in 2050
2.000
+28 %
1.000
710
in 2030 in 2050
THG-Reduktion durch Einsatz der Flächen für Wiedervernässung
von Mooren und Extensivierung
2016
2018
2030
2050
2016
2018
2030
2050
2016
2018
2030
2050
0
2016
2018
2030
2050
3 | Reduktion der Stickstoffüberschüsse
Milchkühe
sonstige
Rinder
Schweine
Geflügel
Durch einen effizienteren Düngemitteleinsatz
sinkt der Stickstoffüberschuss und damit sinken die
Lachgasemissionen aus den Böden.
Kilogramm Stickstoff pro Hektar
93
Mittel
2016:2018
THG-Reduktion durch sinkende Methanemissionen aus der
Verdauung der Wiederkäuer und geringeren Gülleanfall
59
48
2030
2050
THG-Reduktion durch Ausweitung des Ökolandbaus, Anbau von
Kulturarten mit geringem Stickstoffbedarf, effizientere Wirtschaftsdüngernutzung
* 1 GVE entspricht 1 Milchkuh oder 2 Rindern oder 9 Schweinen oder 250 Geflügel
eigene Berechnungen Öko-Institut auf Basis des Modells LiSE (2020)
einer Milchleistungssteigerung. In der Folge redu
zieren sich auch die sonstigen Rinderbestände, da
weniger Kälber geboren werden, die zu Kühen
aufgezogen beziehungsweise zu Schlachtrindern
ausgemästet werden.
Bis zum Jahr 2050 sinken in diesem Szenario die
Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor inklusive
der energiebedingten Emissionen gegenüber 2018
um 25,8 Mio. t CO₂-Äq (siehe Abbildung 61). Die
größten Minderungen gegenüber 2018 ergeben sich
im Bereich der landwirtschaftlichen Böden durch
eine Reduktion der Stickstoffeinträge (rund 8 Mio. t
CO₂-Äq). Ein ähnlicher Minderungseffekt lässt sich
durch eine Reduktion der energiebedingten Emissio
nen durch die Steigerung der Energieeffizienz und
den Brennstoffwechsel und im Bereich des Wirt
schaftsdüngermanagements infolge einer verbesser
ten Lagerung und Ausweitung der Vergärung erzielen
(jeweils 6 Mio. t CO₂-Äq). Der Umbau der Tierbe
stände (Rückgang der Rinder- und Schweine
bestände, Ausweitung der Geflügelbestände) führt
gegenüber 2018 zu einer Minderung von knapp
4 Mio. t CO₂-Äq.
111
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
3.6.2 Abfallsektor
Zielbild und Ausgangslage
Im Jahr 2018 lagen die Emissionen des Abfallsek
tors bei 9,7 Mio. t CO₂-Äq. Die Emissionen des
Abfallsektors werden von den Methanemissionen
aus der Deponierung dominiert (78 Prozent). Auch
bei der biologischen Abfallbehandlung und bei der
Abwasserbehandlung dominieren die Methane
missionen, allerdings treten bei diesen Prozessen
auch Lachgasemissionen auf. CO₂-Emissionen bei
der Abfallbehandlung stammen hauptsächlich aus
dem organischen Abfall und werden daher als
biogene CO₂-Emissionen im Inventar nicht
berücksichtigt.
Nach dem Klimaschutzgesetz sollen die Emissionen
des Abfallsektors bis zum Jahr 2030 auf 5 Mio. t
CO₂-Äq reduziert werden. Für die Erreichung der
Klimaziele des Klimaschutzgesetzes und des
Klimaschutzplans 2050 sind auch im Abfallsektor
weitere Treibhausgasminderungen notwendig, die
bereits im Maßnahmenprogramm 2030 angelegt
sind. Vor allem durch die Ausweitung der Deponie
belüftung kann weiteres Minderungspotenzial in
diesem Sektor erschlossen werden. 34 Für die
biologische Abfallbehandlung wird neben steigen
den Abfallmengen pro Person durch die Auswei
tung der getrennten Erfassung auch technisches
Potenzial zur Reduktion der Emissionen berück
sichtigt. Dazu zählen unter anderem die Reduktion
von CH₄-Leckage-Raten, aber auch die aktive
Belüftung bei der Kompostierung. Bis zum Jahr
2050 reduzieren sich die getrennt erfassten
biologischen Abfälle pro Person infolge einer
Reduktion der Lebensmittelabfälle. Im Abwasser
bereich gibt es noch ein geringes Minderungs
potenzial durch den Anschluss an die öffentliche
34
112
Die Berechnung der Minderungswirkung der
Deponiebelüftung erfolgt nach einer derzeit ermittelten
Methodik der Ingenieurgruppe RUK GmbH für das UBA
zur Berechnung der aeroben In-Situ-Stabilisierung von
Deponien.
Kanalisation und eine Optimierung der Kläranla
gen und der Faulschlammbehandlung.
Ergebnisse
Bis zum Jahr 2050 sinken die Emissionen aus dem
Abfallsektor von 9,7 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2018 auf
2,0 Mio. t CO₂-Äq (siehe Abbildung 63). Der Großteil
der Minderungen entfällt auf den Bereich der
Deponierung. Durch das Deponierungsverbot für
organische Abfälle seit dem Jahr 2005 sinken die
Emissionen aus der Deponierung seit Jahren. Zudem
führt die Ausweitung der Deponiebelüftung zu einer
schnelleren Reduktion der Methanemissionen.
Insgesamt sinken die Emissionen aus der Deponie
rung zwischen 2018 und 2050 um 6,9 Mio. t
CO₂-Äq. Im Bereich der biologischen Abfallbehand
lung führen der Bevölkerungsrückgang, die Reduk
tion der Lebensmittelabfälle und eine Verbesserung
der Biogas- und Kompostierungsanlagen zu einer
Reduktion der Emissionen gegenüber 2018 von
0,4 Mio. t CO₂-Äq. Im Bereich der Abwasserbehand
lung führen der Bevölkerungsrückgang und die
Optimierung des Abwassermanagements ebenfalls
zu einem Emissionsrückgang.
3.6.3 LULUCF
Zielbild und Ausgangslage
Im Sektor „Landnutzung, Landnutzungsänderung
und Forstwirtschaft“ (LULUCF) werden flächenbe
zogene Emissionen für die Kategorien Wald,
Ackerland, Grünland, Feuchtgebiete und Siedlun
gen bilanziert. Wird auf einer Fläche CO₂ eingela
gert, so spricht man von einer Senke. Im Jahr 2018
wurden große Mengen an CO₂ in Wäldern gespei
chert, da der Zuwachs der Bäume höher war als die
Holzernte (Abbildung 64). Auch in Holzprodukten
wurde mehr CO₂ gespeichert als emittiert. Auf
Flächen können aber auch Treibhausgase freige
setzt werden. Als wichtige Quelle sind landwirt
schaftlich genutzte Flächen auf Moorböden 35 zu
35
In diesem Bericht werden Moorböden synonym zu
organischen Böden (Moore, Moorfolgeböden, Anmoore)
verwendet.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Entwicklung der Emissionen des Abfallsektors (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq)
Abbildung 63
Abfall
Deponierung
Ablagerungsverbot organische
Abfälle, Deponierbelüftung
Biologische Abfallbehandlung
Reduktion Lebensmittelabfälle,
Verbesserung Biogasanlagen
9,7
Deponierung
Ablagerungsverbot organische
Abfälle, Deponierbelüftung
Abwasserbehandlung
Optimierung
-4,6
-0,3
Abwasserbehandlung
Optimierung
Biol. Abfallbehandlung
Reduktion Lebensmittelabfälle, Verbesserung
Biogasanlagen
4,8
-0,1
-2,3
2018
2030
-0,4
2,0
-0,1
2050
UBA (2020), Öko-Institut (2020)
nennen, auf denen Torf im Boden zersetzt wird und
so heute etwa zwei Drittel der Emissionen im
LULUCF-Sektor entstehen. Auch durch Torfabbau
wird CO₂ freigesetzt. Emissionen auf Siedlungsflä
chen entstehen vor allem durch die Bebauung von
Wald und Grünland. Der Saldo aus Quellen und
Senken im LULUCF-Sektor betrug in 2018 minus
27 Mio. t CO₂-Äq (Abbildung 64) und entsprach der
Größenordnung von 1990 (minus 29 Mio. t CO₂-Äq).
Nach dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregie
rung soll der LULUCF-Sektor auch langfristig eine
Senke bleiben.
In Deutschland werden gut 1,3 Mio. ha an Moorbö
den landwirtschaftlich genutzt. Hinzu kommen
18.000 ha Torfabbauflächen. Bis 2030 werden
knapp 20 Prozent und bis 2050 knapp 50 Prozent
dieser Flächen wiedervernässt. Sie werden einer
torfschonenden Nutzung zugeführt oder aus der
Nutzung genommen. Die Waldbewirtschaftung
wird verstärkt an naturschutzfachlichen Anforde
rungen ausgerichtet. So wird gegenüber der aktuell
üblichen Waldbewirtschaftung weniger stark
geerntet und durchforstet, um alte Bäume und
Totholz als Lebensraum zu fördern. Zudem wird der
Anbau von Laubbäumen stärker gefördert. Die
113
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Flächeninanspruchnahme für Siedlungsflächen
wird bis zum Jahr 2030 auf 30 ha/Tag und bis zum
Jahr 2050 auf 20 ha/Tag reduziert. 36
36
Organische Böden: Ackerland und Grünland bis 2030
20 Prozent und bis 2050 50 Prozent wiedervernässt,
verbliebenes Ackerland bis 2050 als Grünland genutzt;
Torfabbau: bis 2030 eingestellt und Flächen wiederver
nässt; Nutzung vernässter Flächen: 2030 40 Prozent
extensive Weide/Mahd, 30 Prozent Paludikultur
und 30 Prozent nicht genutzt, 2050 50 Prozent
Paludikultur und 50 Prozent nicht genutzt; Erhalt von
Dauergrünland fortgeschrieben; Waldbewirtschaftung
und Holzprodukte: Ergebnisse aus dem WEHAMNaturschutzpräferenzszenario (Oehmichen et al.
2018); Flächeninanspruchnahme für Siedlungsflächen:
Abnahme bis 2030 auf 30 ha/Tag und bis Jahr 2050 auf
20 ha/Tag.
Ergebnisse
Die Emissionen im LULUCF-Sektor werden stark
durch die Senkenleistung der Waldfläche beeinflusst.
Die Senkenleistung der Waldfläche nimmt nach
WEHAM-Naturschutzpräferenzszenario in den
2020er-Jahren deutlich ab, vor allem aufgrund der
Altersstruktur der Wälder. Im Jahr 2050 werden
minus 35 Mio. t CO₂-Äq auf der Waldfläche gespei
chert (Abbildung 64). Deutliche THG-Minderungen
werden auf Acker- und Grünlandflächen auf Moor
böden durch Wiedervernässung hin zu Feuchtgebie
ten erzielt. Als Saldo aus Quellen und Senken wird der
LULUCF-Sektor unter Maßgabe der modellierten
Maßnahmen bis 2040 zu einer geringen Quelle und
erreicht in 2050 eine Senkenleistung von minus
10 Mio. t CO₂-Äq (Abbildung 64).
3.7 Bioenergie
Emissionen im LULUCF-Sektor
Abbildung 64
Darstellung des Saldos der Emissionen auf Flächen, die
Treibhausgase emittieren (Quellen) oder CO2 speichern
(Senken)
Hohe Emissionen durch Ackerund Grünland auf Moorböden
und durch Torfabbau
Wiedervernässung von
Moorböden
Quelle
2018
2025
2030
2035
2040
4
2
4
2
2045
2050
40
Der Biomasseeinsatz trägt entscheidend zur Treib
hausgasneutralität im Jahr 2050 bei: Um im Jahr
2050 negative Emissionen zur Kompensation der
nicht vermeidbaren Treibhausgase zu generieren,
wird auch der Einsatz von Biomasse über BECCS 37
genutzt. Hierfür wird die Biomasse als Brennstoff vor
allem in der Industrie in zentralen Anlagen genutzt.
Auf diese Weise kann der CO₂-reiche Abgasstrom
aufgefangen werden und bildet die Basis für dessen
Speicherung.
[Mio. t CO2-Äq]
20
0
-7
-20
-40
-10
-27
CO2-Speicherung im Wald wird
durch extensivere Bewirtschaftung erhalten
-60
Senke
Wald
Ackerland
Grünland
Feuchtgebiete
Siedlungen
Holzprodukte
Summe LULUCF (Quelle minus Senke)
UBA (2020), Oehmichen et al. (2018, Naturschutzpräferenzszenario),
Öko-Institut (2020)
114
Das nachhaltig zur Verfügung stehende Biomasse
angebot ist ohne zusätzliche Importe sehr deutlich
begrenzt. Die Szenarioannahmen in den Sektoren
Landwirtschaft, LULUCF und Abfall bilden den
Rahmen für die modellgestützte Analyse des nach
haltigen Biomassepotenzial. Dieses umfasst Abfallund Reststoffe, den Energiepflanzenanbau und die
Forstwirtschaft. Für die Modellierung wurde ein
mehrstufiger Abgleich mit der Nachfrageseite
durchgeführt. Dabei wurde die Nachfrage der
37
für das englische Bio-Energy with Carbon Capture and
Storage, abgekürzt BECCS
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Sektoren nach fester, flüssiger und gasförmiger
Bioenergie gegenübergestellt, und es wurden Alter
nativen zur Biomasse geprüft, um am Ende die
begrenzte, aber begehrte Ressource möglichst optimal
zu verteilen. Für die Nachfrageentwicklung der
Biomasse spielten folgende Vorüberlegungen eine
Rolle:
→ Die Bedeutung der dezentralen Biogasanlagen
nimmt für die Stromerzeugung zukünftig ab.
Stattdessen wird Biogas zukünftig in einzelnen
Regionen zentral zur Deckung der Nachfrage der
Industrie für Hochtemperaturwärme und ansons
ten dezentral für die Wärmeversorgung der
Landwirtschaft und für kleine Nahwärmenetzte
benötigt. Eine Netzeinspeisung findet nicht mehr
statt, da die infrastrukturellen Voraussetzungen
dafür zunehmend fehlen werden (rapider Abbau
der Erdgasnutzungen).
→ Für den Einsatz von Biomasse für BECCS muss die
verfügbare Biomasse zentral zur Verfügung stehen.
Dazu eignet sich überwiegend feste Biomasse, da
hier die Transportwürdigkeit höher ist. Bei Bedarf
kann für punktuelle, größere Nachfrageströme
nach gasförmiger Biomasse auch eine Feststoffver
gasung erfolgen (ergänzend zur Vergärung aus dem
vorherigen Punkt).
→ Infolge der verstärkten Nachfrage nach fester
Biomasse sinkt die Anbaufläche von Bio
gas-Ko-Substraten (wie zum Beispiel Mais). Diese
Flächen werden für die Deckung des Bedarfs an
fester Biomasse durch die Umstellung auf Agro
forstsysteme, Hecken- beziehungsweis Kurzum
triebsplantagen verwendet. Dadurch entsteht keine
zusätzliche Gefährdung der Waldsenke und auch
aus Sicht der Landwirtschaft hat die Umstellung
von Mais auf holzig Anbaubiomasse aus Klimasicht
Vorteile. Hier sind insbesondere die Reduktion des
Inländisches Biomasseangebot für die energetische Nutzung in TWh
gasförmig
Abbildung 65
flüssig
fest
284
Bioenergieangebot [TWh]
300
43
250
221
200
166
150
100
50
65
41
84
76
13
5
21
14
41
13
2030
2050
2016
2030
65
13
9
62
46
2050
2016
2030
Abfall-, Klär-, Deponiegas
Biokraftstoffe 2. Generation
Gülle
Biokraftstoffe 1. Generation
Nawaro
64
102
20
0
2016
64
50
16
21
13
66
65
42
2050
Sonstiges
Industrie, Altholz
Wald
KUP (Kurzumtriebsplantagen)
Moore
FNR (2019), Öko-Institut (2020)
115
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Düngemitteleinsatzes, ein zusätzlicher Humusauf
bau und eine bessere Anpassungsfähigkeit an den
Klimawandel als Vorteile zu nennen.
Biokraftstoffimporten bleibt weiterhin bestehen. Im
Jahr 2050 kann die Biokraftstoffnachfrage, die zum
großen Teil aus den schweren landwirtschaftlichen
Nutzfahrzeugen stammt, aus Reststoffen (vor allem
Stroh) gedeckt werden.
Angebot
Die getroffenen Vorüberlegungen spiegeln sich in der
Verfügbarkeit des inländischen Biomasseangebotes
wider. Während sich das Angebot an gasförmiger
Biomasse bis zum Jahr 2050 gegenüber 2016 in etwa
halbiert, steigt der Anteil der festen Biomasse
kontinuierlich an. Bis zum Jahr 2050 wird Biogas
überwiegend aus Reststoffen wie Gülle, vergorene
Bioabfälle und nur noch zu einem kleinen Anteil aus
Energiepflanzen zur Verfügung gestellt. Im Bereich
der festen Biomasse trägt vor allem der Anbau von
fester Biomasse in Agroforstsystemen, Heckenbeziehungsweise Kurzumtriebsplantagen zur
Ausweitung des inländischen Angebots bei. Bis zum
Jahr 2050 wird zusätzlich ein weiterer Anteil an
fester Biomasse aus Paludikulturen auf den wieder
vernässten Mooren gewonnen. Im Bereich der
Biokraftstoffe übersteigt die Nachfrage im Jahr 2030
noch das inländische Angebot und ein Anteil an
Nachfrage
Im Jahr 2016 betrug die energetische Biomassenut
zung 296 TWh. Bis zum Jahr 2050 steigt die Nach
frage nach Biomasse an. Gegenüber 2016 werden im
Jahr 2030 40 TWh (plus 13 Prozent) mehr Biomasse
für die energetische Nutzung nachgefragt, während
es im Jahr 2050 47 TWh (plus 16 Prozent) mehr sind.
Aufgrund der Nutzungskonkurrenz zwischen den
Sektoren und den unterschiedlichen Möglichkeiten
von alternativen Nutzungen verschiebt sich die
Biomassenachfrage der Sektoren. Während im Jahr
2016 gut die Hälfte der Biomassenachfrage aus dem
Energiesektor kam, reduziert sich die Nachfrage des
Energiesektors im Jahr 2050 auf 9 Prozent der
gesamten Bioenergie. Mit dem Ausbau der Erneuer
baren Energien stehen dem Energiesektor geeignete
Energetischer Biomasseeinsatz in den einzelnen Sektoren in TWh
350
Bioenergienachfrage [TWh]
300
335
343
296
250
200
175
221
100
187
284
139
150
50
32
89
61
39
76
1
9
50
77
134
173
76
58
33
33
20
13
33
70
49
49
14
29
36
29
36
68
79
74
69
63
2016 2030 2050
2016 2030 2050
2016 2030 2050
2016 2030 2050
2
5
5
2016 2030 2050
Gesamt
Energie
Industrie
Verkehr
PHH
0
fest
flüssig
Industrie: inkl. Brennstoffeinsatz für Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
116
Abbildung 66
gasförmig
55
38
28
25
22
9
13
18
13
11
2016 2030 2050
GHD
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Alternativen zur Verfügung. Dagegen steigt vor allem
die Nachfrage nach Bioenergie aus dem Industrie
sektor, in dem für einige Anwendungen keine
adäquaten Alternativen zur Verfügung stehen. Von
11 Prozent im Jahr 2016 steigt die Nachfrage auf über
50 Prozent des gesamten Bioenergieangebots. Im
Gebäudesektor bleibt die Nachfrage nach Bioenergie
gegenüber 2016 konstant, während für die Erfüllung
der Sektorenziele im Jahr 2030 etwas mehr Biomasse
benötigt wird. Der GHD-Sektor verdoppelt bis ins
Jahr 2050 seinen Biomasseeinsatz, vor allem bedingt
durch die Ausweitung der Bioenergienachfrage des
Landwirtschaftssektors, der bis ins Jahr 2050 auf
hofeigene Lösungen setzt und beispielsweise Biogas
aus Gülle zur Deckung des eigenen Wärmebedarfs
nutzt. Im Verkehrssektor sinkt die Nachfrage nach
Bioenergie bis zum Jahr 2050 auf null, da hier
geeignete Alternativen zur Verfügung stehen. Bis zum
Jahr 2030 kommt es weiterhin zu Importen von
Biokraftstoffen, die aber in den Jahren nach 2030
aufgrund der Nachfragerückgänge aus dem Ver
kehrssektor auf null reduziert werden können.
3.8 Negative Emissionen und CCS
Im Jahr 2050 verbleiben im Szenario KN2050 62
Mio. t CO₂-Äq als residuale, nicht anderweitig
vermeidbare Emissionen, die mit negativen Emissio
nen aus dem Einsatz von Methoden zur CO₂-Ent
nahme aus der Atmosphäre kompensiert werden (vgl.
Abbildung 67). Durch Abscheidung und geologische
Speicherung von biogenem CO₂ aus der Nutzung
biogener Energieträger (BECCS) werden negative
Emissionen im Umfang von 37 Mio. t CO₂-Äq
erreicht. Hiervon entfallen 34 Mio. t CO₂-Äq auf den
Industrie- und 3 Mio. t CO₂-Äq auf den Energiesek
tor. Durch Abscheidung von CO₂ direkt aus der
Umgebungsluft und dessen permanenter geologi
scher Speicherung (DACCS) werden 19 Mio. t CO₂-Äq
aus der Atmosphäre entfernt. Zudem werden durch
die Bindung von zuvor aus der Atmosphäre entnom
menem Kohlenstoff in Kunststoffen („grüne Poly
mere“) negative Emissionen in Höhe von 8 Mio. t
CO₂-Äq erzielt.
Residuale Treibhausgasemissionen und deren Kompensation im Jahr 2050
Restemissionen nach 95 % Minderung
in Mio. t CO2-Äquivalente
Abfall
62
60
2
Abbildung 67
Kompensation durch negative Emissionen
in Mio. t CO2-Äquivalente
-64
-8
-60
grünes Naphtha
-50
50
Landwirtschaft
40
Gebäude
44
-34
20
10
Energiewirtschaft
(Abfallverbrennung)
0
Industrie
BECCS
-30
30
Industrie (Prozessemissionen, Abfall)
-40
-3
-20
-19
-10
BECCS
1
13
2
0
Energiewirtschaft
DACCS
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
117
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Von den genannten CO₂-Mengen werden 56 Mio. t
CO₂-Äq geologisch gespeichert. Zusätzlich werden
im Szenario 18 Mio. t CO₂-Äq aus prozessbedingten
Emissionen, bei der thermischen Verwertung von
Abfällen (ohne biogene Anteile) und Restchemika
lien sowie an den Steamcrackern der chemischen
Industrie abgeschieden und geologisch gespeichert.
Insgesamt werden somit im Jahr 2050 73 Mio. t
CO₂-Äq abgeschieden und einer geologischen
Einspeicherung zugeführt.
3.8.1 CO₂-Abscheidung
CO₂-Abscheidung aus Punktquellen
Kohlendioxid kann aus energiewirtschaftlichen
oder industriellen Punktquellen (zum Beispiel
Kraftwerksrauchgas) mithilfe verschiedener
Technologien wie Absorption, Adsorption, chemi
schem Looping, Membran-Gastrennung oder mittels
Gashydrat-Technologien abgeschieden werden. Eine
Übersicht über verschiedene CO₂-Abscheideverfah
ren bietet IEAGHG (2019) oder der Spezialbericht des
IPCC (2005). Die bisher erprobten Technologien
lassen sich in drei prinzipiell unterschiedliche
Prozesswege unterteilen.
→ Post-Combustion: CO₂-Abtrennung erfolgt aus dem
Rauchgas nach der Verbrennung beziehungsweise
nach dem Industrieprozess. Deshalb kann diese
Technologie prinzipiell an bestehenden Anlagen
nachgerüstet werden.
→ Pre-Combustion: Im Vorfeld der Verbrennung wird
aus dem kohlenstoffhaltigen Brennstoff durch
Vergasung und Abtrennung von CO₂ ein kohlen
stoffarmes beziehungsweise -freies Synthesegas
erzeugt, welches dann für den Verbrennungs
prozess eingesetzt wird. Mit dem Verfahren können
keine prozessbedingten Emissionen abgeschieden
werden, zudem sind Auswirkungen der veränder
ten Brenngaseigenschaften zu berücksichtigen.
→ Oxyfuel-Verfahren: Der Verbrennungsprozess
erfolgt statt mit Luft mit reinem Sauerstoff (sowie
gegebenenfalls in den Prozess zurückgeführtem
CO₂), der über eine Luftzerlegungsanlage gewon
nen wird. Aufgrund des im Vergleich zur Ver
118
brennung mit Luft erhöhten CO₂-Gehalts im
Rauchgas kann das CO₂ einfacher aus dem Rauch
gas abgetrennt werden.
Die Kosten für die CO₂-Abscheidung können je nach
Größe, Art und Standort der damit ausgestatteten
Anlage erheblich variieren. Generell gilt jedoch, dass
die Kosten am niedrigsten bei Prozessen oder Anla
gen sind, die Gasströme mit relativ hoher CO₂-Kon
zentration und hohen CO₂-Emissionsraten aufweisen
und die mit hohen Auslastungsfaktoren arbeiten. Von
daher liegt im KN2050-Szenario der Fokus bei der
CO₂-Abscheidung auf Punktquellen mit möglichst
reinen CO₂-Strömen sowie hohen CO₂-Emissions
mengen pro Jahr.
Im Szenario KN2050 wird einerseits das Post-
Combustion-Verfahren (Aminwäsche) aufgrund
seiner breiten Anwendbarkeit angenommen und zum
anderen für die Zementindustrie und die Biomasse
fernheizwerke aus dem Energiesektor auf das
energieeffiziente Oxyfuel-Verfahren gesetzt. Beide
Verfahren erlauben hohe Abscheideraten von
(mindestens) 90 Prozent.
CO₂-Abscheidung direkt aus der Umgebungsluft
CO₂ kann auch direkt aus der Umgebungsluft abge
schieden werden. Mithilfe des sogenannten Direct Air
Carbon Capture (DAC) wird zunächst mittels großer
Ventilatoren die Umgebungsluft eingesaugt. Die
darauffolgende CO₂-Bindung erfolgt dann über zwei
mögliche Verfahren: CO₂-Bindung mittels absorbie
rendem oder adsorbierendem Sorptionsmittel:
Beim absorptionsbasiertem DAC mit Hochtempera
turen von 850 bis 1.000 Grad Celsius reagiert ein
chemisches Sorptionsmittel mit dem CO₂ der
angesaugten Luft. Beim adsorptionsbasiertem DAC
mit Temperaturen von rund 100 Grad Celsius, das auf
einem wiederholenden Zyklus von Adsorption und
Regeneration basiert, wird als Sorptionsmittel in der
Regel feststoffgestütztes Aminmaterial verwendet. Im
dritten Schritt wird das CO₂ über den Einsatz von
Strom und Wärme abgeschieden.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Im Szenario KN2050 wird mittels adsorptionsba
sierter DAC-Anlagen CO₂ aus der Atmosphäre
entfernt. Dieses Verfahren hat zum Vorteil, dass ein
geringeres Temperaturniveau benötigt wird und
somit ein geringerer Strom- und Wärmebedarf
notwendig ist. Außerdem entsteht Wasser als
Nebenprodukt und muss nicht wie beim absorpti
onsbasierten Verfahren kontinuierlich dem Prozess
hinzugefügt werden.
3.8.2 CO₂-Infrastruktur
Prinzipiell kann CO₂ per Lkw, Güterzug, Schiff oder
Pipeline transportiert werden. Der Transport per Lkw
oder Bahn wird für die an den oben genannten
Punktquellen anfallenden CO₂-Mengen sowie die bis
zu den Speicherorten in der Nordsee (siehe unten) zu
überwindenden Entfernungen als zu teuer betrachtet.
Für den Transport kleiner Mengen im niedrigen
einstelligen Millionen-Tonnen-Bereich bietet sich in
der Frühphase der Errichtung einer CO₂-Infrastruk
tur für Punktquellen in der Nähe von Wasserstraßen
der Transport per Binnenschiff an. Langfristig und für
die gesamten oben genannten Mengen ist jedoch die
Errichtung einer europäischen CO₂-Pipeline-Infra
struktur unumgänglich.
Mit Blick auf die im Szenario anvisierten geologi
schen Speicherstätten in der Nordsee könnte es eine
Ausrichtung der zu errichtenden CO₂-Pipeline-
Infrastruktur in Richtung Antwerpen, Rotterdam und
Amsterdam sowie Hamburg als zentrale Seehäfen für
eine Offshore-CO₂-Infrastruktur geben. Die im
Szenario hinterlegte CO₂-Pipeline-Infrastruktur
stellt dabei eine effiziente Verbindung von großen
CO₂-Punktquellen mit den Speicherstätten bezie
hungsweise CO₂-offshore-Hubs her. Unter Berück
sichtigung der mit der Errichtung einer CO₂-Pipeline
zu erwartenden Kosten sowie möglicher Akzeptanz
probleme erstreckt sich die CO₂-Infrastruktur dabei
jedoch nicht auf von den Speicherstätten weit
entfernte, nur vereinzelt auftretende, große Punkt
quellen im Süden Deutschlands.
Eine Einschränkung der Infrastruktur und CO₂-
Abscheidung auf eine kleinere Auswahl von
CO₂-Punktquellen wäre auch denkbar. Die dann nicht
abgeschiedenen CO₂-Mengen aus industriellen und
energiewirtschaftlichen CO₂-Quellen müssten jedoch
für das Erreichen der Klimaneutralität über einen
verstärkten Einsatz von DAC mit anschließender
dauerhafter Speicherung des CO₂ kompensiert
werden. Hierbei gilt es zwischen den mit einem
Pipelinebau verbundenen Kosten und Herausforde
rungen einerseits sowie dem Energiebedarf und
Flächenverbrauch von DAC-Anlagen andererseits
abzuwägen.
3.8.3 Dauerhafte CO₂-Speicherung
Um eine Emission der abgeschiedenen CO₂-Mengen
in die Atmosphäre auch langfristig zu vermeiden,
müssen die abgeschiedenen CO₂-Mengen dauerhaft
gebunden beziehungsweise gespeichert werden.
Hierfür gibt es prinzipiell die Möglichkeit, CO₂ in
geeigneten geologischen Formationen zu speichern.
Zudem kann CO₂ langfristig auch in langlebigen
industriellen Produkten gebunden werden.
Geologische Speicherung
Eine geologische Speicherung von CO₂ ist prinzipiell
in salinen Aquiferen (tiefe, salzwasserführende
Grundwasserleiter), entleerten Erdöl- und Erdgas
lagerstätten, Kohleflözen sowie Basalten möglich. In
Deutschland kommen aufgrund der geologischen
Gegebenheiten insbesondere entleerte Erdgaslager
stätten und saline Aquifere als CO₂-Speicher
infrage. Aus europäischer Perspektive sind insbe
sondere große Speicher in Form von salinen Aquife
ren und entleerten Erdgas- und Erdölfeldern unter
halb der Nordsee und der norwegischen See mit
einer Gesamtspeicherkapazität von circa 200
Gigatonnen CO₂ von Interesse (GCCSI, 2019). Sowohl
die N
iederlande (Port of Rotterdam) als auch Norwe
gen (Northern Lights) unterstützen Vorhaben zur
Erschließung dieser Speicher für die Verbringung
von CO₂.
119
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
CO₂-Mineralisierung im Betonbau
Bei der CO₂-Mineralisierung (oder auch CO₂-Karbo
natisierung) reagiert CO₂ mit Mineralien und bildet
Karbonate, die CO₂ dauerhaft speichern. Im Betonbau
gibt es basierend auf diesem prinzipiellen chemi
schen Vorgang verschiedene Ansätze zur dauerhaften
Speicherung von CO₂ durch dessen Bindung im Beton.
Dies umfasst zum einen die CO₂-Bindung in Trans
portbeton und spezielle Verfahren zur Herstellung
von Beton-Fertigbauteilen, die eine Aushärtung der
Fertigbauteile unter CO₂-Atmosphäre beinhalten.
Zum anderen können die verschiedenen Fraktionen
(Grobfraktion, Feinfraktion) von recycliertem Beton
in einer CO₂-reichen Atmosphäre rekarbonatisiert
und dann in verschiedenen Stufen der Zementbeziehungsweis Betonherstellung als Grundstoff
eingesetzt werden. Die Verfahren befinden sich
jedoch zu großen Teilen noch in der Entwicklung und
das Marktpotenzial aller Verfahren sowie ihre
mögliche Einbettung in (regionale) CO₂-Kreisläufe
sind noch weitgehend unklar. Aufgrund dieser
Unsicherheiten werden im Szenario die möglichen
Potenziale der CO₂-Mineralisierung als CO₂-Senke
nicht quantifiziert.
Mineralisierung von Beton ist zudem ein Vorgang, der
natürlicherweise an den Oberflächen bestehender
Betonbauten erfolgt. Seine CO₂-Speicherwirkung im
Jahr 2050 werden basierend auf Stripple et al. (2018)
auf etwa 2 Mio. t CO₂ pro Jahr geschätzt. Diese
Speicherung wird von der bestehenden Systematik
des Treibhausgasinventars jedoch nicht berücksich
tigt und fließt daher zur Berechnung für das Errei
chen der Klimaneutralität nicht mit ein.
Stoffliche Nutzung von Holz
Durch eine Entnahme von Holz aus dem Wald und
dessen Schutz vor Zersetzung während einer
stofflichen Nutzung wird der im Holz gespeicherte
Kohlenstoff in der Nutzungsphase der Holzprodukte
aus der Atmosphäre ferngehalten. Prinzipiell lassen
sich so große Mengen von Kohlenstoff speichern
(Churkina et al., 2020). Für eine umfassende Bewer
tung der Klimawirkung und der Nachhaltigkeit
120
einer (erhöhten) stofflichen Nutzung von Holz ist
jedoch auch die Auswirkung auf den Wald und
dessen Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung zu
berücksichtigen. Für den Fall einer stofflichen
Nutzung von Holz in langlebigen Produkten, durch
die gleichzeitig CO₂-intensive Stoffe wie zum
Beispiel Stahl und Zement substituiert werden
können, ist der wissenschaftliche Konsens in Bezug
auf die Klimafreundlichkeit sehr groß (Oliver et al.
2014). Dies ist insbesondere beim Holzbau der Fall.
Der deutsche Wald birgt noch Potenzial für eine
Ausweitung des Holzbaus (Wissenschaftlicher Beirat
Waldpolitik 2018). Von daher wird im Szenario
KN2050 eine moderate Steigerung der Holzbauquote
im Wohnungs- und Nichtwohnungsbau angenom
men. Aufgrund der teilweise komplexen Substitu
tionseffekte von Baumaterialien bei verschiedenen
Gebäudekonstruktionen sowie der oben erwähnten
möglichen Rückwirkungen auf die Kohlenstoffspei
cherung des Waldes wird die in zusätzlich verwende
tem Bauholz gespeicherte CO-Menge jedoch nicht
quantifiziert. Jedoch wurden die Auswirkungen des
verstärkten Holzbaus auf die Zementproduktion
abgeschätzt (vgl. 3.2 Industrie).
Bindung von CO₂ in Produkten der
chemischen Industrie
Im Szenario KN2050 verwendet die chemische
Industrie im Jahr 2050 in Deutschland 14 Millionen
Tonnen Kohlenwasserstoffe, die als Feedstock in
verschiedene Prozesse zur Weiterverarbeitung
eingehen. Abbildung 68 zeigt, dass es sich hierbei
zum einen um importiertes „grünes“ Naphtha” und
importierte Pyrolyseprodukte handelt. Zum anderen
sind es Produkte aus der inländischen Pyrolyse von
Kunststoffabfällen (Naphtha, Ethan und Gasöl) sowie
Methanol, die der Gasifizierung von Kunststoffab
fällen entstammen und in den Methanol-to-Olefine
(MtO)-Prozess eingehen. Insgesamt gelangen so rund
9 Mio. t Kohlenstoff in die Produktion.
Sowohl die Pyrolyseprodukte als auch das Methanol
werden aus Kunststoffabfällen gewonnen, die im
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Kohlenstoffkreislauf 38 bei Produktion, Speicherung und Recycling von Polymeren in Mio. t*
Abbildung 68
Atmosphäre
2,8
0,5 Mio. t Abfall
Ausland
Grünes Naphtha
0,7
2,8
Steam Cracker
2,0
Pyrolyse-Produkte
2,2
2,2
5,1
2,1
Polymerisation
Pyrolyse
6,9 Mio. t
Produktspeicher
1,9
Kunststoff-Abfall
4,8 Mio. t Abfall
0,3
Dampferzeugung
0,7
2,2
Gasifizierung
MtO
9,1 Mio. t Abfall
Abfallbehandlung
0,9
0,4
Nutzung
CCS
* Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Mengenangaben auf den Kohlenstoffgehalt in den Produkten in Mio. t Kohlenstoff
Wuppertal Institut (2020)
zenario im Jahr 2050 zu großen Teilen (4,8 Mio. t
S
Kunststoffabfälle) ins chemische Recycling gehen.
Der verbleibende Teil (4,3 Mio. t) der Kunststoffabfälle
wird auch zukünftig mechanisch recycelt bezie
hungsweise thermisch verwertet. Das „grüne“
Naphtha wird über Power-to-Liquid-Verfahren
gewonnen und im Umfang von 3 Mio. t importiert.
Während es sich beim chemischen Recycling von
Kunststoffabfällen um ein Recycling von Kohlenstoff
handelt, gelangt durch die Verwendung von „grünem“
Naphtha auch Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre
(in reduzierter Form als Kohlenstoff) in die Produkte
der chemischen Industrie. Der in die Produkte
übergegangene Kohlenstoff bleibt je nach Produkt
lebensdauer unterschiedlich lange in den Produkten
(zwischen-)gespeichert. Dies wird im Szenario als
Brutto-Negativ-Emission verbucht (siehe unten).
ergeben, dass eine Elektrifizierung der Cracker zur
Erzeugung der benötigten Prozesswärme selbst unter
der Nebenbedingung der Treibhausgasneutralität
unwirtschaftlich ist, weshalb im Szenario keine
Elektrifizierung von Steamcrackern angenommen
wird. Daher entstehen im Szenario auch zukünftig
CO₂-Emissionen aus der Verbrennung der Nebenpro
dukte des Crackers im Cracker selbst. Die Cracker
bleiben daher als CO₂-Punktquellen erhalten. Bis auf
einen Cracker in Bayern werden jedoch alle im
Szenario KN2050 im Jahr 2050 verbleibenden
Cracker mit Carbon Capture (Aminwäsche) ausgerüs
tet und an das CO₂-Netz angeschlossen. 38
Dieser Speicherung von Kohlenstoff in Produkten
stehen Kohlenstoffverluste im System gegenüber,
zum Beispiel an den Steamcrackern. Die dem Szenario
zugrunde liegenden Simulationsrechnungen haben
38
Ein Teil der Abfälle wird auch 2050 noch ohne CCS in
Müllverbrennungsanlagen verbrannt, ein anderer Teil
Der dargestellte Kohlenstoffkreislauf ist insofern unvoll
ständig, als dass die Abfallverwertung nicht vollständig
mit ihren Emissionen beziehungsweise CCS-Mengen
dargestellt ist. Diese sind jedoch in der GesamtTreibhausgasbilanz berücksichtigt.
121
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
geht in Müllverbrennungsanlagen mit CCS oder als
Alternativbrennstoffe in die Zementindustrie, wo
ebenfalls überwiegend CCS angewendet wird.
Die Emissionen aus Abfall werden stets wie Emissio
nen aus fossilen Brennstoffen bewertet (selbst falls
der Kunststoff aus einem „grünen“ Feedstock herge
stellt wurde). Daher findet keine Doppelbilanzierung
mit der zuvor angenommenen Anrechnung der
Speicherung von Kohlenstoff in Kunststoffprodukten
als negative Emission statt. Netto-Negativ-Emissio
nen ergeben sich gegebenenfalls durch eine Zufuhr
von Kunststoffen in den Bestand die aus „grünem“
Feedstock hergestellt wurden (negative Emission) in
Kombination mit CCS bei der Verbrennung von
Kunststoffabfällen (Null-Emission).
3.8.4 Negative Emissionen
Um die für das Erreichen der Klimaneutralität
erforderlichen negativen Emissionen zu erzielen,
wird auf geeignete Weise die Abscheidung von CO₂
mit dessen dauerhafter Speicherung kombiniert.
BECCS: Abscheidung und Speicherung
von b
iogenem CO₂
Pflanzen entziehen der Atmosphäre bei ihrem
Wachstum CO₂. Wird dieses biogene CO₂ bei einer
energetischen Nutzung der Pflanzen nicht wieder in
die Atmosphäre entlassen, sondern dauerhaft gespei
chert, können negative Emissionen erzielt werden. Im
Szenario werden verschiedene biogene Brennstoffe
– Biomethan, Biogas sowie feste Biomasse in Form
von Holzhackschnitzeln – je nach ihrer Eignung in
den verschiedenen energiewirtschaftlichen und
industriellen Anlagen sowie je nach ihrer regionalen
Verfügbarkeit an den industriellen Standorten
verwendet (siehe Kapitel 3.7 Bioenergie). Teilweise
werden die Brennstoffe wie in Kapitel 3.3 beschrie
ben an den industriellen Standorten noch aufbereitet
(Aufreinigung von Biogas, Gasifizierung von fester
Biomasse). Die an mit CO₂-Abscheidetechnologie
ausgestatteten Standorten abgeschiedenen (biogenen)
CO₂-Mengen werden anschließend einer geologi
schen Speicherung zugeführt.
122
Zentrale Pfeiler für die Erzielung von negativen
Emissionen sind der Einsatz fester Biomasse und
CO₂-Abscheidung an Heizkesseln für die Bereitstel
lung von Hochtemperaturwärme in der Stahlindus
trie (minus 13 Mio. t CO₂ im Jahr 2050) sowie für die
Dampfbereitstellung in der chemischen Industrie
(minus 19 Mio. t CO₂ im Jahr 2050). Durch Einsatz von
biogenen Brennstoffen und Alternativbrennstoffen
mit biogenen Kohlenstoffanteilen in mit CO₂-Ab
scheidetechnologien ausgestatten Anlagen der
Zement-, Kalk- und Glasindustrie werden weitere
negative Emissionen (minus 2 Mio. t CO₂ im Jahr
2050) erzielt. Zusätzlich werden in Biomassefern
heizwerken zur Wärmeproduktion weitere 3 Mio. t
negative CO₂-Emissionen erzeugt.
DACCS: Abscheidung und Speicherung
von CO₂ aus der Umgebungsluft
Durch den Einsatz von adsorptionsbasierten
DAC-Anlagen werden im Szenario KN2050 im Jahr
2050 19 Mio. t CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und
der permanenten geologischen Speicherung zuge
führt. Für die CO₂-Abscheidung aus der Umgebungs
luft im Jahr 2050 wird ein Energiebedarf von rund
0,4 TWh elektrischer und 1,6 TWh thermischer
Energie pro abgeschiedene Mio. t CO₂ angenommen.
Daraus ergibt sich für 2050 ein Gesamtenergiebedarf
für DAC von 38 TWh, wobei der Energiebedarf für
den CO₂-Transport und für die CO₂-Speicherung
noch nicht miteinberechnet wurde. Der thermische
Energiebedarf für die CO₂-Abscheidung wird durch
den Einsatz von Hochtemperaturwärmepumpen
gedeckt, die die benötigten Temperaturen für den
Abscheidungsprozess von 100 Grad Celsius errei
chen. Um den hohen Strombedarf zu decken, bieten
sich für die Errichtung von DAC-Anlagen küstennahe
Standorte an, an denen einerseits große Mengen an
erneuerbarem Strom vorhanden sind und anderer
seits die Nähe zu den geologischen Speicherstätten in
der Nordsee gegeben ist.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Überblick CO2-Entnahme-Methoden zur Erzeugung von negativen Emissionen
Tabelle 5
Bioenergienutzung mit CO2-Abscheidung und
Direkte CO2-Abscheidung aus der Umgebungsluft
Speicherung (BECCS)
(DACCS)
Pflanzen entziehen der Atmosphäre durch Photosyn-
CO2 wird direkt aus der Umgebungsluft mittels
these CO2. Das bei energetischer Nutzung enste-
chemischer Prozesse abgeschieden und dauerhaft
hende biogene CO2 wird abgefangen und dauerhaft
gespeichert.
gespeichert.
+ Erzeugung von Strom und Wärme als Zusatznutzen
– Hoher Bedarf an Landfläche und Wasser
+ Variabel in Standortwahl – Potenzial theoretisch
nur beschränkt durch Flächenverfügbarkeit und
Zugang zu CO2-Speichermöglichkeiten
– Hohe Kosten und hoher Energiebedarf
Aufforstung und Wiederaufforstung
Kohlenstoffspeicherung in langlebigen Produkten
Bäume entziehen der Atmosphäre durch Photo-
CO2 wird der Atmosphäre durch Pflanzenwachstum
synthese CO2. Dieses kann in Bäumen, Böden und
oder Direktabscheidung aus der Umgebungsluft ent-
langlebigen Holzprodukten (siehe rechts) gespeichert
zogen und in langlebigen Holzprodukten oder “grü-
werden.
nen” Polymeren (Naphtha) (zwischen-)gespeichert.
+ Geringe Kosten und sofort umsetzbar
– CO2-Senke beeinflussbar durch Umwelteinflüsse
+ Substitution von fossilen Rohstoffen (Rohbenzin)
(Waldbrände)
bzw. CO2-intensiven Materialien (Zement, Stahl)
+ Holzprodukte: Geringe Kosten und sofort
umsetzbar
– Führt nur dauerhaft zu negativen Emissionen
insofern Emissionen, die am Ende des Produkt
lebenszyklus entstehen, abgeschieden und dauerhaft gespeichert werden
Pflanzenkohle
Bodenmanagement
Herstellung von Pflanzenkohle durch sauerstoffarme
Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung im Boden durch
Verbrennung. Diese wird auf landwirtschaftlichen Flä-
Veränderung der Bodenbewirtschaftung (z. B. Organi-
chen verteilt oder in den Boden eingebracht und ab-
sche Düngung, minimale Bodenbearbeitung).
sorbiert zusätzlich CO2.
+ Erhöhte Widerstandsfähigkeit des Bodens und ver-
+ Steigerung der Bodenfruchtbarkeit
– Hoher Bedarf an Landfläche und Wasser >
Nutzungskonflikt des nachhaltigen Biomassepoten-
besserte Bodenqualität
– Möglicher Anstieg der N2O-Emissionen und der
N- und P-Verluste im Wasser
zials (keine energetische Nutzung der Bioenergie)
Beschleunigte Verwitterung
Ozeandüngung
Zerkleinerte Mineralien wie Basalt werden auf Böden
Der Ozean wird mit Eisen, Phosphat oder Stickstoff
und Ozeanen verteilt, um CO2 chemisch zu binden.
„gedüngt“, um die CO2-Aufnahme durch Algenwachs-
+ Höhere Ernteerträge bei Verteilung auf Landflächen
+ Entgegenwirken der Versauerung der Meere bei
Verteilung auf Ozeanen
– Hoher Energie- und Wasserbedarf für den Abbau,
die Zerkleinerung und den Transport von Gesteinen
tum zu erhöhen.
– Störung von Meeresökosystemen
– Rückgang der Biomasseproduktion in nachge
lagerten Gebieten
– Gefahr der Versauerung der Ozeane
Fuss et al. (2018); EASAC (2018); IPCC (2018). Verfahren aus den roten Textfeldern wurden im Szenario nicht berücksichtigt
123
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Grüne Polymere: Bindung von CO₂ in Produkten
der chemischen Industrie
In der chemischen Industrie werden im Jahr 2050
noch etwa 3,4 Mio. t Naphtha über Pipelines impor
tiert (vgl. 3.2.6). Dieser Feedstock wird im Jahr 2050
synthetisch hergestellt. Der darin enthaltene Kohlen
stoff (2,8 Mio. t) stammt aus biogenen Quellen oder
aus einer CO₂-Abscheidung aus der Umgebungsluft
(DAC). Bei Weiterverarbeitung dieses „grünen“
Naphthas zu Kunststoffen in Deutschland wird der
darin gebundene Kohlenstoff je nach Verwendungs
zweck der Kunststoffe über einen Zeitraum von
wenigen Wochen (bei Verpackungen) bis zu mehreren
Jahrzehnten (im Baubereich) gespeichert (Abbildung
68). Für eine dauerhafte Entnahme des in den
Kunststoffen gebundenen Kohlenstoffs aus der
Atmosphäre ist sein Verbleib nach der Nutzungs
phase (inklusive einer möglichen Wiederverwertung
durch mechanisches oder chemisches Recycling)
entscheidend. Bei einer thermischen Verwertung in
mit CO₂-Abscheideanlagen ausgestatteten energie
wirtschaftlichen oder industriellen Feuerungsanlagen
mit anschließender geologischer Speicherung des bei
der Verbrennung dieser Kunststoffe anfallenden CO₂
wird dieses der Atmosphäre dauerhaft entzogen.
Durch den Einsatz von „grünem“ Naphtha und dessen
Bindung in Kunststoffen werden im Szenario nega
tive Emissionen in Höhe von 8 Mio. t CO₂ erzielt.
Weitere Optionen für negative Emissionen
Ein Teil der residualen Emissionen von 62 Mio. t CO₂-Äq
könnte auch durch weitere CO₂-EntnahmeMethoden kompensiert werden, die aber in dieser
Studie keine weitere Berücksichtigung finden. Dazu
zählen die Verteilung von Pflanzenkohle auf und in
Böden, die beschleunigte Verwitterung oder das
„Düngen“ des Ozeans. Tabelle 5 gibt einen Überblick
über die Funktionsweise und die Vor- und Nachteile
der CO₂-Entnahme-Methoden – neben den im
Szenario verwendeten (blauer Hintergrund) auch die
im Szenario nicht verwendeten (roter Hintergrund) –,
die negative CO₂-Emissionen generieren.
124
3.9 Wasserstoff
Wasserstoff aus heute noch überwiegend fossilen
Quellen wird bisher vor allem in Raffinerien und zur
Herstellung von Ammoniak und Methanol eingesetzt.
Zukünftig wird Wasserstoff auch in anderen Berei
chen vielseitig eingesetzt werden. Gleichzeitig wird
die Wasserstofferzeugung zukünftig treibhausgasfrei
beziehungsweise treibhausgasarm erfolgen.
3.9.1 Wasserstoffbedarf und -infrastruktur
Der Verwendung von treibhausgasfrei (oder mittel
fristig auch treibhausarm) erzeugtem Wasserstoff
kommt im Szenario eine sehr zentrale Rolle zu. Um
eine THG-Minderung um 65 Prozent gegenüber 1990
zu erreichen, wird Wasserstoff bereits 2030 in den
drei Endverbrauchssektoren Verkehr, Industrie und
Raffinerien eingesetzt.
Eine Substitution der endenergetischen Verwendung
von Erdgas durch erneuerbar erzeugten Wasserstoff
wie auch der Ersatz von fossil erzeugtem durch
erneuerbaren Wasserstoff in der stofflichen Nutzung
sind vergleichsweise teure Klimaschutzmaßnahmen.
2030 kommt Wasserstoff deshalb in solchen Anwen
dungen zum Einsatz, wo er einen deutlichen Effizi
enzvorteil bietet.
Im Straßengüterverkehr ist die technologische
Entwicklung derzeit weniger absehbar als bei den
Pkw, bei denen der Trend eindeutig Richtung batte
rieelektrischer Fahrzeuge geht. Der Antrieb über
Brennstoffzellen steht neben der direkten Nutzung
von Strom über Batterien oder Oberleitungen vor
allem bei den Last- und Sattelzügen zur Diskussion.
Er wird als Option gesehen, lange Strecken ohne
Unterbrechungen durch notwendige Ladevorgänge zu
absolvieren. Entsprechend dem derzeitigen Stand der
Diskussion wird im Szenario daher langfristig ein
Technologiemix angenommen, bei dem rund ein
Drittel der Fahrleistung durch Brennstoffzellenfahr
zeuge erbracht wird.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Werden im Straßengüterverkehr alle Technologien
gleichwertig adressiert, kommt es zu einem parallelen
Aufbau von drei unterschiedlichen Energieversor
gungsinfrastrukturen: Wasserstofftankstellen,
Schnellladeinfrastruktur und Oberleitungssystem.
Dieser parallele Aufbau ist einerseits mit höheren
Kosten verbunden, andererseits ermöglicht er
Nutzern eine gewisse Flexibilität bei der Fahrzeug
wahl. Tatsächlich können auch Synergien entstehen:
Mittelfristig sind beispielsweise auch Kombinationen
von Brennstoffzellen und Oberleitung denkbar.
Dagegen gehen wir nicht davon aus, dass bis 2030
bereits ein CO₂-Netz aufgebaut wird, das die beste
henden Steam Reformer im Binnenland erschließt.
Entsprechend der derzeit geplanten Aktivitäten an
den Hafenstandorten nehmen wir an, dass fossil
erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung
(wie auch erneuerbar erzeugter Wasserstoff) zwi
schen 2025 und 2040 an Küstenstandorten (oder an
geeigneten Schnittstellen zwischen Strom- und
Gasnetz im Binnenland) produziert wird und der
Wasserstoff per Pipeline in das Binnenland gelangt.
Fossil erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabschei
dung oder (soweit verfügbar) auch erneuerbar
erzeugter Wasserstoff verdrängt aber bereits 2030
auch Erdgas, zum Beispiel im Bereich der Dampfkes
sel und im Bereich der DRI-Anlagen der Stahlindus
trie. Daneben wird ein Teil des stofflich benötigten
Wasserstoffs in der chemischen Industrie und den
Raffinerien durch fossil erzeugten Wasserstoff mit
Kohlenstoffabscheidung und erneuerbar erzeugtem
Wasserstoff bereitgestellt und ersetzt damit den heute
verwendeten Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen
(ohne Kohlenstoffabscheidung).
Der Einsatz von fossil erzeugtem Wasserstoff mit
Kohlenstoffabscheidung und erneuerbar erzeugtem
Wasserstoff in der chemischen Industrie und den
Raffinerien ist insoweit techno-ökonomisch im
Szenario von zwei Seiten begrenzt: vom Stand des
Wasserstoffnetzausbaus und auch von den Lebenszy
klen der bestehenden Steam Reformer im Binnenland.
Die infrastrukturseitige Versorgung dieser industri
ellen Anlagen ist weniger aufwändig und kann
weitgehend als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen
realisiert werden. Heute wird Wasserstoff bei den
industriellen Großverbrauchern in der Regel vor Ort
produziert. Die bestehenden regionalen Wasserstoff
netze zum Austausch zwischen Industriestandorten
haben nur geringe Leitungsquerschnitte und können
nicht als Rumpfnetze für ein leistungsfähiges Was
serstofftransportnetz angesehen werden. Die derzei
tige Planung der Ferngasnetzbetreiber sieht den
Aufbau eines ersten Transportnetzes bis 2030 vor.
Dabei sollen heute beziehungsweise perspektivisch
redundante Erdgastransportleitungen (zum Beispiel
solche, die durch die Umstellung von L-Gas auf
H-Gas freiwerden) in Wasserstoffleitungen umge
widmet werden. Eine flächendeckende Wasserstoff
versorgung von Großverbrauchern in Deutschland ist
hiermit noch nicht möglich.
In der Stahlindustrie wird Wasserstoff heute nur in
sehr geringen Mengen eingesetzt. Hier gelten für
2030 andere Randbedingungen für einen groß
skaligen Wasserstoffeinsatz. Taktgeber sind hier die
Lebenszyklen der Hochöfen, die zunächst durch
DRI-Anlagen ersetzt werden müssen, um einen
Erdgas- oder Wasserstoffeinsatz zu ermöglichen
(und damit Kohle zu verdrängen). Des Weiteren
gehen wir mit heutigem Kenntnisstand für 2030
und gegebenenfalls auch langfristig davon aus, dass
bestimmte Kohlenstoffanteile auch aus metallurgi
schen Gründen benötigt werden (siehe Kapitel 3.2),
Wasserstoff also nicht den kompletten Reduktions
mittelbedarf stellen kann.
Bis 2050 dringt das Wasserstoffnetz weiter nach
Süden und in die Fläche vor. Dadurch wird dieses
Netz auch zur Versorgung des Verkehrs wertvoll,
dessen Bedarf für den Straßengüterverkehr bis auf
40 TWh ansteigt. Die Netto-Wasserstoffabnahme der
Industrie steigt bis 2040 auf 77 TWh an, und sinkt bis
2050 wieder auf 72 TWh. Um die Wasserstoffcluster
der energieintensiven Industrie herum werden im
Einzelfall Gasverteilnetze auf Wasserstoff umgestellt,
125
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
sodass auch die mittelständische energieintensive
Industrie (wie etwa Gießereien oder Glashütten) auf
diesen Energieträger umstellen können. Wir gehen
jedoch davon aus, dass dies ein regionales Phänomen
bleibt und, dass Wasserstoff nicht bis in die Ebene der
Gebäudeversorgung vordringen wird.
Während das Wasserstoffnetz also wächst und neue
Verbraucher hinzukommen, fallen zwischen 2040
und 2050 einzelne Verbraucher aus der Versorgung
wieder heraus: Dies sind in erster Linie die Raffine
rien. An den Standorten der chemischen Industrie
wird die 2030 teilweise auf Wasserstoff umgestellte
Dampferzeugung bis 2050 sehr weitgehend auf
Biomasse umgestellt. Die entsprechenden Netzan
schlüsse müssen sich also in relativ kurzer Zeit amor
tisieren beziehungsweise umgenutzt werden. So wird
ein Teil des Wegfalls des Wasserstoffeinsatzes für die
Dampfbereitstellung (15 TWh in der Spitze im Jahr
2035) teilweise kompensiert durch einen Anstieg des
stofflichen Bedarfs für Wasserstoff im Rahmen des
chemischen Recyclings von Kunststoffabfällen.
Weitere neue Wasserstoffbedarfe in Höhe von
156 TWh entstehen bis 2050 für die Strom- und
Fernwärmeerzeugung.
3.9.2 Wasserstofferzeugung
Abbildung 69 stellt die Wasserstoffnachfrage der
Erzeugung gegenüber. Im Jahr 2030 liegt die Nach
frage nach treibhausgasfreiem Wasserstoff in Summe
bei 63 TWh Heizwert (1,9 Mio. t). Bis 2050 wird sie
auf 268 TWh (8 Mio. t) gesteigert. Es wird angenom
men, dass 31 Prozent dieser Menge im Inland aus
erneuerbarem Strom mittels Wasserelektrolyse
erzeugt werden kann.
Der Wasserstoff wird zu Stunden mit günstigen
Strompreisen produziert und in ein zukünftiges
Wasserstoffleitungsnetz eingespeist. Für die Produk
tion bieten sich voraussichtlich norddeutsche Stand
orte an, die an Netzknoten beziehungsweise Einspei
sepunkten ohne ausreichende Weiterleitungskapazität
großer Mengen an Offshore-Windstrom zur netzseiti
gen Entlastung beitragen können. Es ist auch denkbar,
126
dass Windenergieanlagen ausschließlich mit Elekt
rolysekapazitäten verbunden werden und somit auf
eine stromnetzseitige Anbindung verzichten. Stattdes
sen könnten diese Anlagen ihre Produktion indirekt in
Form von Wasserstoff einspeisen.
Projekte und Machbarkeitsstudien in Nachbarlän
dern wie den Niederlanden und Dänemark lassen
eine gewisse Menge an Importen aus dem EU-
Ausland, beispielsweise über umgewidmete
L-Gas-Leitungen wie es der Vorschlag eines Wasser
stoff-Backbone-Netzes der deutschen Gas-Fernlei
tungsnetzbetreiber vorsieht, erwarten. Ein weiterer
Teil der Importe müsste über Pipelines oder die
Schifffahrtswege aus Weltregionen mit günstigen
Voraussetzungen für die Produktion von erneuerbar
erzeugtem Wasserstoff beziehungsweise fossil
erzeugtem Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung
eingeführt werden.
Als treibhausgasarme Optionen zur Wasserstoff
erzeugung (vgl. Abbildung 70) kommen aus heutiger
Sicht zwei Optionen infrage: Wasserelektrolyse mit
erneuerbar erzeugtem Strom und Wasserstoff aus
fossilem Erdgas, bei dem die entstehenden Emissio
nen abgeschieden und dauerhaft endgelagert werden.
Aufgrund begrenzter CO₂-Abscheideraten und der
Vorkettenemissionen von Erdgas wird der mit
Dampfreformierung und CCS erzeugte Wasserstoff im
Gegensatz zu erneuerbar erzeugtem Wasserstoff
nicht 100 Prozent treibhausgasneutral sein können.
Für eine Übergangszeit, bis die entsprechenden
Kapazitäten erneuerbarer Stromerzeugung und
flexibler Elektrolysekapazitäten vorhanden sind,
könnte der fossil erzeugte Wasserstoff mit Kohlen
stoffabscheidung, etwa aus Norwegen, eine entschei
dende Rolle spielen. Eine inländische Produktion
solchen Wasserstoffs setzt zum einen Standorte mit
entsprechender Anbindung an Schifffahrtswege zum
CO₂-Abtransport voraus. Zum anderen stellt sich die
Frage, welche der bestehenden Dampfreformer mit
CCS-Technologie nachgerüstet werden können und
ob angesichts der hohen Anlagenalter der Dampfre
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
former in Deutschland eine derartige Investitions
option gegenüber der Neuerrichtung optimierter
Produktionsanlagen für fossilen Wasserstoff mit
Kohlenstoffabscheidung in günstiger Lage zu
CO₂-Endlagern gewinnt.
eine Nutzung wiederum zu Treibhausgasemissionen
führt. Vielmehr muss der abgeschiedene Kohlenstoff
dauerhaft endgelagert werden, beispielsweise in
Bergwerken. Der Vorteil liegt darin, dass fester
Kohlenstoff viel leichter zu deponieren ist als
abgeschiedenes CO₂.
Die Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) in seine
molekularen Bestandteile Wasserstoff und Kohlen
stoff ist eine weitere Option zur Wasserstoffgewin
nung aus fossilem Erdgas, jedoch technisch noch
nicht ausgereift und weder großskalig noch für den
Einsatz mit Erdgas verfügbar. Es ist aufgrund der
Abspaltung von elementarem (festem) Kohlenstoff
(Industrieruß, Carbon Black) interessant. Nach
bisherigen Überlegungen werden diese Verfahren
vor allem dann wirtschaftlich, wenn Carbon Black
als wertvoller Werkstoff verkauft werden kann. Für
treibhausgasarme Wasserstofferzeugung ist die
Nutzung des Kohlenstoffes aber keine Option, wenn
3.9.3 Wasserstoffkosten
Die Kosten für erneuerbar erzeugten Wasserstoff sind
entscheidend abhängig von den Energiekosten für die
Elektrolyse. Möglichst niedrige Kosten des Strombe
zuges und gleichzeitig hohe Vollbenutzungsstunden
der Elektrolyse sind jedoch zwei gegenläufige
Parameter. Die Investitionsausgaben für Elektrolyse
anlagen, Wirkungsgrad und Lebensdauer sind
weitere entscheidende Kostenfaktoren. Je nach
Erzeugungsregion kommen auch noch relevante
Kostenanteile für den Transport hinzu.
CO₂-freie Wasserstofferzeugung und -nutzung in Deutschland
Abbildung 69
Wasserstoffnachfrage
Wasserstofferzeugung
100
63
0
Papier
restliche Metalle
Grundstoffchemie
Roheisen, Stahl
Straßengüterverkehr
Mineralölverarbeitung
4
134
50
58
174
117
1
0,2
3
90
2
44
19
28
38
Importe
5
51
84
1
0
2050
29
108
7
184
2045
22
156
31
150
8
6
172
2040
2035
50
38
29
200
2035
24
1
63
15
15
4
20
2030
100
40
2050
35
2040
117
36
2030
47
150
34
225
2025
172
2045
200
250
Heizwert [TWh]
42
2025
Heizwert [TWh]
225
268
[Millionen Tonnen]
268
33
250
0
9
300
300
Wasserelektrolyse (Inland)
Strom, Fernwärme
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff.
127
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Abbildung 71 stellt Kostenannahmen für die Kosten
entwicklung von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff
dar: Entsprechend der Annahmen liegen die Bereit
stellungskosten beim Endverbraucher (ohne Steuern/
Marge) im Jahr 2020 bei rund 17,0 Cent/kWh Brenn
wert (6,6 Euro/kg) und können im Verlauf bis 2050
auf 11,0 Cent/kWh (4,3 Euro/kg). In diesem Beispiel
wird eine Kostenreduktion der Elektrolyse ausgehend
von 800 Euro/kW (elektrisch) für 2020 um 50 Pro
zent bis 2050 angenommen. Einzelne Veröffentli
chungen zu möglichen zukünftigen Kostenentwick
lungen bei Elektrolyseuren liegen heute bereits
darunter. Der Kostenreduktion (erreichbar durch
technische Lernraten, Skaleneffekte und automati
sierte Fertigung) wirken jedoch kostenerhöhende
Anforderungen an Elektrolyseure (für den Einsatz mit
fluktuierender erneuerbarer Stromerzeugung)
entgegen: verbessertes Teil- und Überlastverhalten,
höhere Wirkungsgrade, reduzierte Leistungsdegra
dation über eine höhere Lebensdauer.
3.9.4 Synthetische Energieträger
Zusätzlich zum Wasserstoff werden weitere auf
erneuerbarem Strom basierende Energieträger in dem
Szenario eingesetzt. Im nationalen und internationa
len Schiffs- und Flugverkehr werden hinsichtlich der
Herstellung und Verbrennung CO₂-neutrale flüssige
Kraftstoffe (PtL) verwendet. Wie in Kapitel 3.5.4
erläutert ist der Einsatz dieser Brennstoffe im
Flugverkehr durch Nicht-CO₂-Effekte (RFI) trotzdem
mit einer Klimawirkung verbunden.
Treibhausgasfreie und -arme Verfahren zur Gewinnung von Wasserstoff
Abbildung 70
Erneuerbar erzeugter
Wasserstoff
Fossil erzeugter Wasserstoff mit
Kohlenstoffabscheidung
(CCS)
Fossil erzeugter Wasserstoff mit
Kohlenstoffabscheidung
(Feststoff)
Strom aus Erneuerbaren Energien
Erdgas*
Erdgas*
Wasserelektrolyse
Dampfrefomierung
Pyrolyse/Plasmalyse**
O₂
H₂
Die Wasserelektrolyse ist seit über
100 Jahren in technischer Anwendung.
Verschiedene technologische Varianten
sind verfügbar bzw. in der Entwicklung.
• alkalische Elektrolyse (AEL)
• Polymer-Austauschmembran-Elektrolyse
(PEMEL)
• Anionen-Austauschmembran-Elektrolyse
(AEM)
• Hochtemperaturelektrolyse (HTEL)
CO₂
H₂
CO2-Abscheidung
und dauerhafte
Speicherung
CO₂
Restemission
Rund 90 Prozent der Emissionen des
Erdgases können abgeschieden werden.
Dieses entspricht 9 Tonnen CO2 pro Tonne
H2, die dauerhaft endgelagert werden
müssen. Es verbleiben Restemissionen
von rund 1 Tonne CO2 pro Tonne H2. Durch
die CCS-Technologie erhöhen sich die
Kosten um 30 bis 70 Prozent gegenüber
fossil erzeugtem Wasserstoff.
C
H₂
Elementarer
Kohlenstoff
Die Verfahren sind noch im Forschungsstadium (TRL 3 bis 4) und damit noch nicht
ausgereift. Herausforderungen sind:
Kontinuierlicher Betrieb, Umsetzungsraten
erhöhen, Verfahren auch für Erdgas
betreiben (bisher reines Methan). BASF
plant eine Pilotanlage 2025.
* Alle Erdgasbasierten Wasserstoffrouten haben direkte Restemissionen und indirekte Emissionen durch die Vorkettenemissionen des
Erdgases.
** Spaltung des CH4-Moleküls thermisch (Pyrolyse) oder elektromagnetisch (Plasmalyse).
Hinweis: Der auf diesen drei unterschiedlichen Wegen erzeugte Wasserstoff wird zum Teil auch als – von links nach rechts – „grüner“, „blauer“
und „türkiser“ Wasserstoff bezeichnet.
TRL: Technologiereifegrad (engl.: Technology Readiness Level)
Prognos (2020)
128
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Kosten von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff
Abbildung 71
Wasserstoff Bereitstellungskosten beim Endverbraucher
(EUR2019 Cent/kWh Brennwert)
17
2
1
2030
2050
Stromkosten (EUR/MWh)
62
55
Investition (EUR/kWel)
500
400
Zinssatz WACC (%)
6
6
Wirkungsgrad Elektrolyse (%)
72
75
Volllaststunden Elektrolyse
3.500
4.000
Lebensdauer in Jahren*
25
25
14
2
1
2
3
11
11
2
1
1
9
2020
2030
7
2050
Transport/Verteilung
Investitionsausgaben
Betriebskosten
Strom
Kostenerhöhung durch
• Erhöhte Lebensdauer
• Reduzierte Degradation
• Verbessertes Teillast- und
Überlastverhalten
• Höhere Verfügbarkeit
• Höherer Wirkungsgrad
Kostenreduktion durch
• Technische Lernraten
• Skaleneffekte
• Automatisierte Fertigung
• Geringeren Materialeinsatz
* Stackwechsel nach der Hälfte der Lebensdauer zu 35 % des Elektrolyseur-Invest.
Hinweis: el = elektrisch, WACC = mittlere gewichtete Kapitalkosten | Transport = 500 km Pipeline
Prognos (2020)
Zudem wird in der Industrie für die stoffliche Nut
zung, die nicht durch die verstärkte Kreislaufwirt
schaft abgedeckt werden kann, grünes Naphtha
eingesetzt. Diese strombasierten Brennstoffe und
grünes Naphtha werden nicht in Deutschland herge
stellt, sondern importiert, in Summe etwa 120 TWh.
Insgesamt ergibt sich für 2050 ein Bedarf an Wasser
stoff und sonstigen erneuerbar erzeugten Brenn
stoffen in Höhe von 391 TWh, von denen 307 TWh
importiert werden.
Die folgende Abbildung zeigt im Überblick die
Produktionsverfahren für strombasierte Energieträ
ger sowie deren Merkmale.
129
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Exkurs Power-to-X
Abbildung 72
Power-to-X (PtX) steht für verschiedene Produktionsverfahren für strombasierte Brenn-, Kraft- und
(chemische) Grundstoffe. Der elektrische Strom sollte aus erneuerbaren Quellen stammen, um nahezu
Treibhausgasneutrale Produkte zu erzeugen. Grundsätzlich können drei PtX-Kategorien unterschieden
werden wie die Abbildung verdeutlicht: Wasserstoff (mittig), Kohlenwasserstoffe (links) und Ammoniak
(rechts). Als Energiequelle sind zusätzliche EE-Parks mit möglichst hohen Volllaststunden erforderlich.
Kohlenwasserstoff
Erneuerbare Elektrizität
Luft
nachhaltige
Biomasse
Luft
CO2Abscheidung
Biomassevergasung
Luftzerlegung
Kohlenstoff C/CO/
C02
Stickstoff
Wasserelektrolyse
02
H2
+
-
NH3 Ammoniak
Wasserstoff
CH3OH Methanol
CxHy Kraftstoffe/Chemikalien
Synthese
H2
CH4 Methan
Kompression
N2
Wasser H2O
Synthese
Verflüssigung
Hydrierung
(LOHC)
PtX-Kohlenwasserstoffe
benötigen eine treibhausgas-neutrale Kohlenstoffquelle,
denn Kohlenstoff ist mit rund
85 Massenprozent Hauptbestandteil. Unter Einsatz von
Wasserstoff kann eine große
Bandbreite an Kohlenwasserstoffen synthetisiert werden,
Methan, Methanol, Kraftstoffe:
Benzin, Diesel, Kerosin, Wachse,
Naphtha für die Chemieindustrie.
Die Wasserelektrolyse ist der
zentrale Schritt von Strom zum
chemischen Energieträger. Wasserstoff kann direkt als Energieträger
oder Chemiebaustein zum Einsatz
kommen. Für Transport und
Speicherung von Wasserstoff ist
allerdings stets ein zusätzlicher
Prozess zur Erhöhung der geringen
volumenbezogenen Energiedichte
notwendig (Verdichtung, Verflüssigung oder Hydrierung von
Speicherflüssigkeiten, LOHC).
Für Ammoniak wird
Stickstoff benötigt, der sehr
viel leichter aus der Luft zu
extrahieren ist als Kohlenstoff. Dieser wird mit
Wasserstoff zu Ammoniak
synthetisiert, einem
Grundstoff der Düngemittelproduktion. Ammoniak
ist bereits bei sehr geringen Drücken flüssig und
wird bereits heute als
Produkt verschifft.
++ Lager- und Transportfähigkeit
+ Anschlussfähigkeit heutige
Infrastruktur
-- Lange Prozesskette
-- Nicht ausgereifte Prozesse
(Direct-Air-Capture von CO2,
Synthesen auf CO2-Basis)
-- Kohlenstoffbeschaffung aus
Luft aufwendig, biogen
begrenzt
-- Hohe Verluste
-- Teuer
++ Lokal emissionsfreie Nutzung
als Energieträger möglich
+ im Vergleich niedrigere Kosten
als bei Kohlenwasserstoffen
+ Zentraler Stoff zur Dekarbonisierung in Industrie
- Infrastruktur nur teilweise
vorhanden
- Geringe volumetrische Energiedichte
-- Erhöhter Aufwand für Transport
++ Lager- und Transportfähigkeit
+ Bewährte Prozesse
(Luftzerlegung, HaberBosch-Verfahren)
+ Stickstoffbeschaffung
weniger aufwendig
+ günstig im Vergleich zu
Kohlenwasserstoffen
- Einsatz als Energieträger
im Forschungsstadium
Prognos (2020)
130
Ammoniak
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
4 Ergebnisse Klimaneutral Minimalvariante
(KNmin)
4.1 Übersicht
Auch im Szenario KNmin erreicht Deutschland im
Jahr 2050 die Klimaneutralität. Bis zum Jahr 2030
erfolgt im Vergleich zu 1990 allerdings nur eine
Reduktion der Treibhausgasemissionen um 61 Pro
zent, statt von 65 Prozent wie im Szenario KN2050.
Außer in der Landwirtschaft und dem Abfallbereich
ergeben sich in allen Sektoren geringere THG-Ein
sparungen als im KN2050-Szenario. Im Jahr 2030
liegen die Emissionen insbesondere in der Energie
wirtschaft (25 Mio. t CO2-Äq) und im Industriesektor
(13 Mio. t CO2-Äq) höher als im Szenario KN2050. Im
Verkehr und bei Gebäuden liegen die Emissionen
jeweils um 5 Mio. t CO2-Äq höher.
Bis 2030 spielt treibhausgasneutraler Wasserstoff
im Szenario KNmin eine kleinere Rolle (vgl. Abbil
dung 96): Die Nachfrage von 18 TWh ist um rund
45 TWh geringer als im Szenario KN2050. Dement
sprechend läuft auch die inländische Wasserstoff
produktion deutlich langsamer an und liegt bis
2030 mit 11 TWh bei der halben Menge des
KN2050-Szenarios.
Um Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu errei
chen, wird die Transformationsgeschwindigkeit im
KNmin-Szenario nach 2030 im Vergleich zum
KN2050-Szenario erhöht. Es werden keine anderen
Technologien und Strategien als im Szenario
KN2050 angewendet, sodass sich die Szenarien im
Zielbild 2050 nur marginal unterscheiden.
liegt der Primärenergieverbrauch im Szenario KNmin
2030 um etwa 3 Prozent höher als im Szenario
KN2050. Durch die höhere Kohleverstromung und
den geringeren Einsatz von Wasserstoff (minus
knapp 80 Prozent) insbesondere in der Stahlindustrie
liegt der Einsatz von Kohle 2030 etwa 80 Prozent
höher. Der Einsatz von Erdgas (plus 4 Prozent) und
Erneuerbaren Energien (minus 5 Prozent) unter
scheidet sich nur leicht.
Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert sich der Primär
energieverbrauch. Er geht von heute ungefähr
13.000 PJ auf etwa 6.650 PJ zurück. Der Endenergie
verbrauch sinkt im Zeitraum 2018 bis 2030 von etwa
9.000 PJ um 17 Prozent auf etwa 7.500 PJ. Bis 2050
sinkt der Endenergieverbrauch im Vergleich zu 2018
um etwa 36 Prozent auf 5.700 PJ.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär
energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr 2018
auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf 80 Pro
zent bis 2050. Importe von synthetischen Energie
trägern stellen 2050 etwa 17 Prozent der Primärener
gie. Die restlichen 3 Prozent der Primärenergie
entfallen 2050 auf sonstige Energieträger wie Abfall
und geringe Mengen an importierten Strom.
In den folgenden Kapiteln werden die Annahmen und
Ergebnisse der einzelnen Sektoren detailliert darge
stellt. Im Anhang wird das Szenario KNmin anhand
ausgewählter Indikatoren in die Bandbreiten bereits
existierender Klimaschutzszenarien eingeordnet.
Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der
THG-Emissionen in den einzelnen Sektoren.
Langfristig betrachtet entwickeln sich der Endener
gie- und Primärenergieverbrauch im Szenario
KNmin sehr ähnlich wie im Szenario KN2050.
Mittelfristig gibt es aber deutliche Unterschiede. So
131
Einführung DRI, Kohleausstieg,
H2-Einsatz für Dampf
Abfall
Ökolandbau,
weniger Dünger
Landwirtschaft
2030
-60 %
486
-124
-69
-182
Abfall
62
-95 %
2050
-100 %
Abbildung 73
BECCS, DACCS und grüne Polymere
kompensieren Restemissionen
Negative Emissionen
Ökolandbau, Reduktion Viehbestände,
Reduktion Düngemittel
Landwirtschaft
90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut,
ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung
Gebäude
Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr,
weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr
Verkehr
100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen
durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung
Energiewirtschaft
H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl,
Chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen
Industrie
* inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
2018
-52
Industrie
-12
Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 5 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau
Gebäude
-5
858
-59
11 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr
ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr
-121
Verkehr
-94
Kohleausstieg vor 2035, 68 % EE-Stromerzeugung, Dekarbonisierung Fernwärme
-68
Energiewirtschaft
-14
132
-3
Maßnahmen im Szenario Klimaneutral Minimalvariante 2050 (KNmin)
(Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.)
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren im Szenario KNmin
Abfall
Landwirtschaft
Jährliche Emissionen
[CO2-Äquivalente]
Verkehr
Gebäude
1.251
38
90
164
210
Historische Reduktion pro Jahr:
17 Mt CO2-Äq*
1.045
29
75
181
Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr:
909
11
73
165
Industrie
167
284
125
208
Energiewirtschaft
466
1990
Negative Emissionen werden
direkt in den Sektoren
berücksichtigt.
385
2000
191
344
2016
25 Mio. t CO2-Äq
858
10
70
750*
162
117
134
195
-35
-28
-27
486
5
58
92
94
160
70
136
305
2018
-61 %
650
7
63
194
2020
Nachrichtlich: LULUCF
-29
Abbildung 74
-18
333
3
55
49
48
103
194
52
2025
2030
2035
44
43
2040
4
2
4
2
123
74
87
48
2045
-7
-1
44
2050
-10
* Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
133
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Primärenergieverbrauch im Szenario KNmin
14.000
12.000
Abbildung 75
13.129
1.802
Primärenergieverbrauch [PJ]
214
10.000
9.981
3.099
8.804
8.000
6.000
2.356
37
248
2.906
4.452
2.874
3.476
2.725
166
6.889
2.276
1.401
829
2025
2030
1.128
4.813
5.307
147
1.406
1.490
626
6.652
4.242
2.358
2.909
2018
132
2035
978
568
433
2040
2045
2050
PtX
Strom
Erneuerbare Energien
nicht erneuerbare Abfälle
fossile Gase
Mineralöle
Kohlen
Kernenergie
Prognos, Wuppertal Institut, Öko-Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch.
134
7.326
487
223
3.051
0
291
901
4.000
2.000
7.960
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Endenergieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren in PJ im Szenario KNmin
10.000
10.000
2.000
3.351
2.506
1.069
102
1.259
2.742
2.052
1.000
446
330
189
114
2025
2030
2035
1.339
2018
0
2.412
99
1.687
3.000
489
2.542
1.321
1.299
6.297
1.231
5.000
1.717
1.129
1.033
4.000
5.920
1.826
2.743
2.493
3.000
2.108
946
1.615
5.701
1.524
869
803
1.474
1.307
1.210
2.199
2.160
2.129
2.164
2050
1.935
513
2.178
991
785
6.000
2045
4.000
91
616
5.701
6.789
1.950
2040
2.189
5.920
7.000
2035
1.938
7.471
2.094
1.732
2.000
115
738
1.545
878
274
346
1.000
1.769
0
2.601
2.434
2.283
2030
660
76
6.297
314
491
2.320
2025
1.840
6.789
231
497
2018
1.848
8.000
875
5.000
8.963
8.253
7.471
49
465
EEV nach Sektoren [PJ]
439
7.000
6.000
9.000
8.253
2050
394
2045
EEV nach Energieträgern [PJ]
8.000
8.963
2040
9.000
Abbildung 76
Kohlen
Erneuerbare Energien
Industrie
GHD
Mineralöle
Strom
Verkehr
Private Haushalte
fossile Gase
Fernwärme
nicht erneuerbare Abfälle
PtX
Industrie: inkl. bauwirtschaftlichem Verkehr, ohne Brennstoffeinsatz für die Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen, ohne stofflichen
Wasserstoff (NEV); Verkehr: inkl. internationalem Flugverkehr, ohne Seeverkehr (national und international); GHD: inkl. Landwirtschaft.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
4.2 Energiewirtschaft
4.2.1 Zielbild
In der Minimalvariante wird das langfristige Ziel
einer Dekarbonisierung bis 2050 beibehalten. Im
Jahr 2030 ergeben sich größere Unterschiede zum
Szenario KN2050, zum einen durch die niedrigeren
Preise im EU ETS (siehe Rahmendaten) und den
angenommenen langsameren Ausbau der Erneuer
baren Energien zur Stromerzeugung. Insbesondere
durch die höhere verbleibende Kohleverstromung im
Jahr 2030 ergeben sich höhere THG-Emissionen.
4.2.2 Stromnachfrage
Im Szenario KNmin steigt der Bruttostromverbrauch
bis 2030 auf 613 TWh an (vgl. Abbildung 77) und
liegt damit 30 TWh unter dem Wert des Hauptsze
narios. Der Anstieg bis 2030 ist maßgeblich durch
die Zunahme der Stromnutzung im Verkehrssektor
(70 TWh im Jahr 2030) und den Beginn der Wasser
stoffproduktion durch Elektrolyse (15 TWh im Jahr
2030) begründet, die beide jeweils niedriger ausfal
len als im Hauptszenario.
Die Sektoren Industrie, Private Haushalte und GHD
sowie die Fernwärmeerzeugung weisen bis 2030
einen leichten Rückgang des Stromverbrauchs auf,
der im Wesentlichen durch effizientere Endver
brauchergeräte und einen effizienzbedingt gerin
geren Nutzenergiebedarf (zum Beispiel durch
fortschreitende Gebäudesanierung) bedingt ist.
Insgesamt fällt die Elektrifizierung gegenüber dem
135
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Bruttostromverbrauch im Szenario KNmin
Abbildung 77
1.000
958
876
815
Bruttostromverbrauch [TWh]
800
717
600
613
595
569
44
127
122
149
124
112
109
156
167
168
269
290
304
2040
2045
2050
129
116
124
133
143
130
80
127
129
125
400
200
15
60
122
70
12
3
226
215
210
230
2018
2025
2030
2035
0
Industrie
Elektrolyse (H₂)
Verkehr
DAC
GHD
Ladung Speicher
PHH
Netzverluste
Fernwärmeerzeugung
KW-Eigenverbrauch
sonstige Umwandlung
Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. Bilanzierung nach AGEB.
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)
KN2050-Szenario im KNmin-Szenario etwas
geringer aus, jeder Sektor hat 2030 dadurch etwa
4 TWh weniger Stromverbrauch.
Bis 2050 nimmt der Strombedarf insgesamt um
60 Prozent gegenüber 2018 zu und steigt auf
958 TWh an. Treiber für diese Entwicklung sind,
wie im KN2050-Szenario, der zunehmende elektri
sche Endenergieeinsatz in den Sektoren Verkehr
und Industrie sowie die Herstellung von stromba
siertem Wasserstoff.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird auch im
KNmin-Szenario deutlich gesteigert, in den Jahren
bis 2030 jedoch weniger stark als im KN2050-Sze
nario. Im Jahr 2030 stehen mit 250 GW installierter
Leistung Erneuerbarer Energien 18 GW weniger zur
Verfügung als im KN2050-Szenario (vgl. Abbil
dung 78). Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren
136
Energien beträgt dadurch 408 TWh im Jahr 2030,
27 TWh weniger als im KN2050-Szenario.
Da bis 2050 wie im KN2050-Szenario eine Leistung
von 562 GW Erneuerbare Energien erreicht wird,
muss der Zubau in den Jahren 2030 bis 2035 gegen
über dem KN2050-Szenario beschleunigt werden.
Im Jahr 2050 erzeugen 562 GW Erneuerbare Energien
(130 GW Onshore-Windenergie, 70 GW OffshoreWindenergie, 355 GW Photovoltaik, 6 GW Wasser
kraft und 1 GW Bioenergie) in Summe 844 TWh
elektrische Energie.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Installierte Leistung und Nettostromerzeugung Erneuerbare Energien im Szenario KNmin
Installierte Leistung in GW
Abbildung 78
Nettostromerzeugung in TWh
562
844
4
Bioenergie
512
769
8
Wasserkraft
674
18
Photovoltaik
431
292
355
342
331
531
28
315
233
252
408
38
250
206
175
117
45
6
52
140
90
11
62
23
75
51
61
70
34
91
119
128
130
Wind Offshore
Wind Onshore
216
42
2025
2030
2035
2040
2045
2050
131
85
83
254
129
46
19
37
90
114
2018
223
187
301
44
Abgeregelt
2018
192
2025
141
175
238
-4
-14
-23
2030
2035
2040
270
288
-45
-53
2045
2050
Prognos (2020)
137
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Installierte regelbare Leistung und Nettostromerzeugung im Szenario KNmin
90
1.000
97
6
7
80
70
60
24
6
70
6
69
6
7
7
69
6
5
72
6
3
76
6
2
81
6
1
50
40
20
20
10
0
27
39
30
25
933
900
55
5
14
61
73
67
4
5
10
10
8
2018
2025
2030
3
2
1
1
2035
2040
2045
2050
Nettostromerzeugung gesamt [TWh]
Regelbare Kraftwerksleistung Nettoleistung [GW]
100
Abbildung 79
864
800
800
695
700
600
500
400
611
596
536
216
301
300
6
79
28
200
135
3
101
100
75
72
25
68
37
5
119
20
15
30
2018
2025
2030
0
408
531
9
133
13
2035
844
674
769
16
23
81
7
2040
22
41
31
27
60
2045
2050
Wasserkraft
Gase/Wasserstoff
Braunkohle
Erneuerbare
Wasserstoff
Braunkohle
Bioenergie
Sonstige
Steinkohle
Speicher
Erdgas
Steinkohle
Sonstige
Kernkraft
Kernkraft
Importsaldo
50
-50
-49
2018
15
3
13
9
9
22
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Prognos (2020)
4.2.3 Installierte Leistung und Stromerzeugung
Die Entwicklung der regelbaren Kraftwerksleistung
unterscheidet sich im KNmin-Szenario bis 2030 in
einem langsameren Rückgang der Kohlekapazitäten.
Mit 14 GW Leistung aus Braun- und Steinkohle
werden im Jahr 2030 45 TWh aus Kohle erzeugt
(32 TWh mehr als im KN2050-Szenario). Die Erzeu
gung aus Erdgas fällt um 15 TWh geringer aus, die
Stromhandelsbilanz ist ausgeglichen und es kommt
noch nicht zum Einsatz von Wasserstoff in der
Stromerzeugung. Durch den, verglichen mit dem
KN2050-Szenario, späteren Kohleausstieg erfolgt der
Zubau neuer Gaskraftwerke etwas verzögert: Im Jahr
2030 sind 4 GW weniger Leistung an Gaskraftwer
ken nötig, bis 2035 gleicht sich die Leistung jedoch
dem KN2050-Szenario an.
138
4.2.4 Fernwärmeerzeugung
Die Fernwärmeerzeugung entwickelt sich langfristig
ähnlich wie im KN2050-Szenario, jedoch erfolgt der
Energieträgerwechsel von Erdgas auf Wasserstoff mit
deutlicher Verzögerung und im Jahr 2035 wird im
KNmin-Szenario mit dem Einsatz von 5 TWh
Wasserstoff erst das 2030er-Niveau vom
KN2050-Szenario erreicht. Ebenso erfolgt der
Ausbau der Geothermie und Solarthermie zunächst
langsamer, erreicht in den 2040er-Jahren aber in
etwa die gleiche Erzeugung wie im KN2050-Szena
rio. Im Jahr 2050 wird auch im Szenario KNmin der
Fernwärmebedarf komplett durch Erneuerbare
Energieträger gedeckt.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Fernwärmeerzeugung im Szenario KNmin
Abbildung 80
180
160
137
140
Fernwärmeerzeugung [TWh]
125
1
120
3
153
144
6
2
8
4
3
11
1
2
3
12
9
5
20
100
51
151
10
158
13
13
16
18
12
13
5
6
18
33
39
72
80
44
10
60
10
12
40
9
20
29
62
29
36
13
11
13
13
22
12
38
12
16
15
10
2
6
6
11
3
11
4
3
10
3
3
2025
2030
2035
2040
2045
2050
0
2018
12
10
4
13
7
5
71
150
industrielle Abwärme
Elektrokessel
Wasserstoff
Bioenergie
Abfall – fossil
Braunkohle
Geothermie
Wärmepumpe
(inkl. Umweltwärme)
Erdgas
Abfall – biogen
sonstige
Energieträger
Steinkohle
Solarthermie
Prognos (2020)
4.2.5 Mineralölraffinerien
Bis 2030 geht die Nachfrage nach Mineralölpro
dukten auf rund 59 Prozent des Wertes von 2018
zurück. Da die Raffinerien auf diesen Nachfrage
rückgang reagieren, sinkt die Produktion analog.
Bis 2050 kommt die Mineralölverarbeitung analog
zum KN2050-Szenario vollständig zum Erliegen.
Der Grund hierfür ist der vollständige Rückgang der
Nachfrage nach Mineralölprodukten sowohl bei der
energetischen Verwendung als auch bei der Nach
frage der chemischen Industrie nach Naphtha. Ab
2045 kommt in der chemischen Industrie nur noch
importiertes strombasiertes Naphtha zum Einsatz,
welches aus erneuerbarem Strom und Kohlendioxid
aus der Luft gewonnen wird. Bei der Produktion
dieses „grünen“ Naphthas über Fischer-Tropsch-
Synthese fallen jedoch längere Produkte wie
Bitumen oder Petrolkoks nicht an.
4.3 Industrie
4.3.1 Zielbild
Das Zielbild der Minimalvariante entspricht für den
Industriesektor demjenigen des Hauptszenarios
Klimaneutral 2050. Klimaneutralität wird durch
Effizienzmaßnahmen, einen weitgehenden Umstieg
auf erneuerbare Energieträger, innovative Produk
tionsrouten sowie den Einsatz von CO2-Abscheidung
und -Speicherung (CCS) erreicht. Langfristig, nach
2045, erreicht die Industrie durch den gezielten
Einsatz von biogenen Energieträgern in Kombination
mit CCS sogar negative Emissionen.
139
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Ein Unterschied zum Hauptszenario Klimaneutral
2050 besteht in einem etwas langsameren Hochlauf
des Wasserstoffeinsatzes sowie dem Einsatz von
Power-to-Heat.
4.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen
Auch in der Minimalvariante bleibt Deutschland ein
bedeutender Standort für Grundstoffe wie Stahl,
Grundstoffchemikalien und Zement. Die Entwick
lung der Produktionsmengen sowie die zugrunde
liegenden Treiber haben wir im Industriekapitel des
Hauptszenarios Klimaneutral 2050 beschrieben und
übernehmen diese für die Minimalvariante. Die
Annahmen beinhalten eine auf dem Niveau von 2019
(vor der Corona-Krise) stabilisierte Rohstahlproduk
tion sowie eine langfristig stabile Produktionsmenge
von Polymeren. Bezüglich der Plattformchemikalien
(Olefine und Aromaten) verlieren die deutschen
Chemie-Standorte jedoch bis 2030 Marktanteile an
die europäischen Küstenstandorte, sodass die
Produktion in Deutschland um 39 Prozent im
Vergleich zum Basisjahr (2016) sinkt. Auch die
Produktion von Ammoniak geht im Zuge der im
Szenario angenommenen Veränderungen in der
Landwirtschaft deutlich zurück und erreicht im Jahr
2050 noch circa 55 Prozent des Basisjahrs. Die
Produktionsmenge von Zementklinker verringert
sich im Szenario nach 2030 aufgrund von Effizienz
gewinnen beim Materialeinsatz im Betonbau bis zum
Jahr 2050 auf circa 78 Prozent des Werts im Basis
jahr. Die Produktion von Zellstoff und Papier,
Aluminium und Glas steigen im Szenario zukünftig
an, während der Absatz in der Kalkindustrie auf
grund der sinkenden Nachfrage aus dem Kraft
werks- und dem Stahlsektor rückläufig ist.
4.3.3 Treibhausgasemissionen
Die Treibhausgasemissionen der Industrie sinken in
der Minimalvariante bis 2030 um 29 Prozent gegen
über dem Basisjahr 2016 auf 136 Mio. t CO2-Äq (siehe
Abbildung 80). Das Sektorziel des Klimaschutzgeset
zes (140 Mio. t CO2-Äq) wird also auch in der Mini
malvariante übererfüllt. Zentral hierfür sind der
Einstieg in den Prozessroutenwechsel in der Stahlin
140
dustrie sowie Effizienzsteigerungen, strombasierte
Bereitstellung von Prozesswärme und der Einsatz von
Biomasse in den weniger energieintensiven („sonsti
gen“) Industrien. Zudem vermindert der Produktions
rückgang in den Steamcrackern der chemischen
Industrie die CO2-Emissionen. Der Minderungsbei
trag der emissionsintensiven Zementindustrie ist bis
2030 hingegen noch gering.
Im Zeitraum von 2030 bis 2050 können die
CO2-Emissionen aus dem Einsatz von fossilen
Energieträgern nahezu vollständig vermieden
werden, sodass in allen Sektoren deutliche Minde
rungen zu verzeichnen sind. Es verbleiben noch
Restmengen aus dem Einsatz von Alternativbrenn
stoffen (Abfällen) (4 Mio. t CO2), insbesondere in der
Zement- und Kalkindustrie sowie aus der Verwer
tung von Restchemikalien und Kunststoffabfällen in
der chemischen Industrie (7 Mio. t CO2). Durch den
Abschluss des Prozessroutenwechsels in der Stahlin
dustrie erfolgt die Stahlproduktion im Jahr 2050
(nahezu) ohne CO2-Emissionen. Die mineralische
Industrie (Zement, Kalk, Glas) sowie die chemische
Industrie setzen CCS ein, um die prozessbedingten
Emissionen dieser Industrien um 10 Mio. t CO2 zu
mindern. In diesem Zuge wird auch ein Teil
(7 Mio. t CO2) der oben genannten verbleibenden
fossilen Emissionen abgeschieden und gespeichert.
Es verbleiben jedoch noch prozessbedingte
CO2-Emissionen im Umfang von 6 Mio. t, die nicht
abgeschieden werden. Durch den Einsatz von BECCS
in den Heizkesseln der chemischen Industrie (minus
20 Mio. t CO2) sowie der Stahlindustrie (minus
13 Mio. t CO2) und dem Einsatz von „grünem“ Naphtha
in der Polymerproduktion (minus 8 Mio. t CO2)
können die verbleibenden Treibhausgasemissionen
der Industrie im Jahr 2050 jedoch deutlich überkom
pensiert werden, sodass der gesamte Sektor negative
Emissionen im Umfang von 30 Mio. t CO2 aufweist.
4.3.4 Energieeinsatz
Auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität sinkt der
Endenergiebedarf der Industrie (inklusive bauwirt
schaftlicher Verkehr) infolge von Produktionsmen
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasminderungen in der Industrie nach Branchen im Szenario KNmin
zwischen 2016 und 2030 sowie zwischen 2030 und 2050 (Mio. t CO₂-Äq.)
Industrie
Abbildung 81
-17,1 Eisen und Stahl: Erhöhter Anteil Sekundärstahl, DRI-Anlagen/Wasserstoff
-12,1 Chemie*: CO₂-freie Dampfbereitstellung, Effizienz
-0,7 Zement: Brennstoffwechsel
191
-3,9 Andere Minerale: Energieträgerwechsel
-1,4 Zellstoff/Papier: Energieeffizienz
Sonstiges**
-9,3 Sonstige Industrie: Energieeffizienz, -trägerwechsel
-10,7 Sonstiges**
-50 Eisen und Stahl: DRI, BECCS
136
sonstige Industrie
Zellstoff/Papier
andere Mineralien
-49,3 Chemie*: BECCS, Elektrifizierung,
erneuerb. Feedstocks
-17,3 Zement: Materialeffizienz,
Neue Zemente, CCS
Zement
-8,1 Andere Minerale:
Energieträgerwechsel
Chemie*
-5,6 Zellstoff/Papier:
Energieträgerwechsel
-7,8 Sonstiges**
Eisen und Stahl
-30
2016
2030
-27,5 Sonstige Industrie:
Energieeffizienz,
-trägerwechsel
2050
* Chemie enthält hier die Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in
„Sonstige Industrie“ enthalten.
** Sonstiges enthält die Bereiche Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie,
Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen
Wuppertal Institut (2020)
genveränderungen und Effizienzgewinnen bis 2030
um 12 Prozent. Anschließend sinkt er nur noch leicht
um 5 Prozent. Der Mix der Energieträger verändert
sich jedoch im Zeitverlauf deutlich. Bis zum Jahr
2030 erfolgt der Ausstieg aus der Nutzung der
Braunkohle und der Einsatz von Steinkohle reduziert
sich um etwa 60 Prozent (im Vergleich zum Basisjahr
2016). Die eingesetzte Menge Erdgas bleibt ebenso
wie der Stromeinsatz bis zum Jahr 2030 auf gleichem
Niveau, sodass sich der jeweilige Anteil dieser
Energieträger im Energieträgermix aufgrund des
sinkenden Gesamtenergiebedarfs (zunächst) etwas
erhöht. Nach dem Jahr 2030 verändert sich der
Energieträgermix schneller und tiefgreifender. Der
Ausstieg aus der Steinkohle wird vollzogen und der
Erdgaseinsatz in den DRI-Anlagen der Stahlindustrie
geht zugunsten von Wasserstoff rasch zurück. Zudem
wird Erdgas als Lieferant von Wärme bis 100 Grad
Celsius sowie als Energieträger für die Dampferzeu
gung insbesondere durch strombasierte Verfahren
und den Einsatz von fester Biomasse ersetzt. Biome
than und Biogas ersetzen Erdgas für die Bereitstel
141
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasemissionen und Endenergiebedarf der Industrie im Szenario KNmin
36
50
55
19
31
45
51
136
11
28
6
13
18
24
103
8
22
12
15
16
38
26
0
44
15
10
13
-4
5
4
-30
-10
-13
-26
-50
600
2050
2045
2040
2035
2030
2025
216
400
28
24
300
229
200
100
634
611
49
48
228
500
0
2016
676
41
16
226
4
36
14
4
33
111
80
212
232
45
8
10
600
37
591
33
601
24
273
294
310
50
31
7
98
175
46
4
32
49
4
32
101
4
35
51
3
33
47
3
31
2050
18
6
14
49
2045
100
32
722
2040
7
17
14
700
2035
38
160
2025
150
800
2016***
Treibhausgasemissionen [Mio. t CO2]
21
2030
191
Endenergieverbrauch [TWh]
200
Abbildung 82
227
142
186
Eisen und Stahl
Chemie*
Steinkohle
Braunkohle
Ölprodukte/Abfall
Zement
Andere Minerale
Kraftstoffe
Erdgas
Sonstige fossile Gase
Zellstoff und Papier
Sonstige Industrie
Wasserstoff
Biomasse
Strom
Sonstiges**
Fernwärme
* Chemie umfasst Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in
„Sonstige Industrie“ enthalten.
** Sonstiges: enthält Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie,
Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen
*** Für 2016 gibt es eine geringfügige Abweichung von den AG-Energiebilanz-Daten aufgrund der Modellierung der energieintensiven
Industrien auf Prozessebene sowie des Einbezugs des bauwirtschaftlichen Verkehrs.
Wuppertal Institut (2020)
lung von Prozesswärme bis zum Jahr 2050 dort, wo
sie regional verfügbar sind. Die größten Mengen
Biogas (10 TWh) werden im Jahr 2050 in der Glasin
dustrie eingesetzt, weil aus heutiger Sicht dort
gasförmige kohlenstoffhaltige Energieträger weiter
hin (anteilig) benötigt werden.
Im Jahr 2050 sind Strom, feste Biomasse und Wasser
stoff die zentralen Energieträger in der Industrie.
Abfälle werden auch zukünftig und in verstärktem
Maß in der Zement- und Kalkindustrie eingesetzt. Für
spezielle Anwendungen und an Standorten mit
regionaler Verfügbarkeit spielen Biogas und Biomethan
eine Rolle. Der Einsatz von Fernwärme erfolgt auch
langfristig in der Papierindustrie sowie in den „sonsti
gen Industrien“. Diese Fernwärme wird jedoch anders
142
als heute nicht mehr durch Kraft-Wärme-Kopplung,
sondern durch Heizwerke bereitgestellt.
4.3.5 Z
ugrunde liegende Entwicklungen in den
Industriebranchen
Die beschriebenen Veränderungen beim Energieein
satz und bei den Treibhausgasemissionen basieren
auf Simulationsrechnungen, welche die oben be
schriebene Produktionsmengenentwicklung, eine im
Szenario unterstellte Entwicklung des industriellen
Anlagenparks sowie die technischen Möglichkeiten
für Energieträgerwechsel einbeziehen. Bei der
Weiterentwicklung des Anlagenparks wurden
Reinvestitionszyklen, technologische Entwicklungen
sowie angenommene (zukünftige) Anschlüsse der
Standorte an Wasserstoff- und CO2-Infrastrukturen
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Die Zementindustrie nimmt in diesem Szenario vor
2030 noch keine Investitionen in Carbon Capture vor.
Entsprechend spielt CCS vor 2030 noch keine Rolle.
Anstehende Reinvestitionen in Drehrohröfen werden
stattdessen als Carbon Capture Ready ausgeführt.
Eine Nachrüstung der CO2-Abscheidung erfolgt an
diesen Öfen dann erst nach 20 Betriebsjahren.
Investitionen in Carbon Capture erfolgen in der
Minimalvariante erst im Zuge eines Anschlusses der
Standorte an ein CO2-Pipeline-Netz. Ein Einsatz von
Binnenschiffen für den Abtransport des CO2 ist somit
im frühen Stadium des CO2-Infrastrukturaufbaus
nicht vorgesehen.
Aufgrund der identischen Annahmen zu Produk
tionsmengenentwicklungen und den geringfügigen
Abweichungen der Szenarien beim industriellen
Anlagenpark ist der Energieträgereinsatz in der
20
15
10
24
140
18
120
100
40
2050
2045
2040
2035
2030
2025
2020
0
2015
0
Sekundärstahl
129
23
4
62
40
60
20
DRI
23
23
80
80
5
Hochofen
153
36
57
45
27
2030
25
160
2025
35
30
179
2016
40
Abbildung 83
115
24
15
42
20
15
96
12
24
24
35
94
92
26
34
23
32
12
2040
180
2035
200
45
Energieträgereinsatz [TWh]
50
2010
Produktionsmengen Rohstahl [Mio. t]
Rohstahlproduktion nach Routen und Energieträgereinsatz in der Eisen- und Stahlindustrie
im Szenario KNmin
23
36
2050
Die Entwicklung des Anlagenparks im Szenario ist im
Industriekapitel zum Hauptszenario Klimaneutral
2050 ausführlich dargestellt und begründet. Zentrale
Eckpfeiler für die dort beschriebene Entwicklung des
industriellen Anlagenparks sind die Reinvestitions
zyklen der industriellen Prozessanlagen sowie die
Ausrichtung auf das langfristige Ziel der Klimaneu
tralität. Da diese Faktoren unverändert auch für die
hier beschriebene Minimalvariante ihre Gültigkeit
behalten, übernehmen wir die Entwicklung des
industriellen Anlagenparks grundsätzlich aus dem
Hauptszenario Klimaneutral 2050. Entsprechend
setzen wir auch in der Minimalvariante in der
Stahlindustrie auf einen konsequenten Ausstieg aus
der Hochofenroute ohne Neuzustellungen von
Hochöfen. Wir unterstellen jedoch im Unterschied
zum Hauptszenario Klimaneutral 2050, dass die
Industrie die Hochöfen am Ende ihrer Lebensdauer
„auf Verschleiß“ nutzt und damit noch einmal eine
Lebenszeitverlängerung der heute bestehenden
Hochöfen um 25 Prozent realisieren kann. Hierdurch
kann sie die Geschwindigkeit des Prozessrouten
wechsels etwas reduzieren.
2045
berücksichtigt. Bei der Wahl der eingesetzten Ener
gieträger spielt zudem auch die lokale Verfügbarkeit
von biogenen Energieträgern eine Rolle.
Kohle
Koks
Erdgas
Wasserstoff
Strom
Biomasse
Wuppertal Institut (2020). Die Berechnung des Energieträgereinsatzes erfolgt analog zu Abbildung 30 in Kapitel 3.3.4.
143
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Industrie in beiden Szenarien ähnlich, sodass auch
hier für die Beschreibung und Begründung im
Wesentlichen auf das Kapitel zum Hauptszenario
Klimaneutral 2050 verwiesen sei. In der Minimalva
riante findet jedoch ein langsamerer Hochlauf des
Wasserstoffeinsatzes (2030: 4 TWh) in den Anlagen
zur DRI-Produktion in der Stahlindustrie statt.
Zudem verringert sich in der chemischen Industrie
der Einsatz von Wasserstoff in den Kesseln zur
Dampfproduktion und umfasst im Zeitraum von circa
2035 bis 2045 je 7 TWh pro Jahr. Dadurch dass in der
Minimalvariante bis zum Jahr 2030 in den Dampf
kesseln kein Wasserstoff eingesetzt wird, verkürzt
sich der Nutzungszeitraum für Wasserstoff in
Dampfkesseln auf nur noch zehn Jahre. Insgesamt ist
der Wasserstoffeinsatz in der Industrie im Szenario
KNmin mit 8 TWh im Jahr 2030 deutlich niedriger als
im Szenario KN2050 mit 27 TWh im Jahr 2030. Auch
der Hochlauf der Dampfbereitstellung durch Elektro
kessel in der Chemie- und Papierindustrie ab 2030
erfolgt in der Minimalvariante langsamer. Der so
veränderte Einstieg in die Nutzung von Wasserstoff
und Power-to-Heat impliziert eine im Vergleich zum
Hauptszenario Klimaneutral 2050 verzögerte
Reduktion des Erdgasbedarfs der Industrie. Um das
Jahr 2030 steigt der Bedarf nach Erdgas aufgrund
seines Einsatzes in den DRI-Anlagen der Stahlindus
trie zeitweise sogar etwas an.
4.4 Gebäude
4.4.1 Zielbild
Die langfristige THG-Reduktionsvorgabe für den
Gebäudesektor ist in beiden Szenarien identisch: Die
THG-Emissionen sollen bis zum Jahr 2050 auf
nahezu null verringert werden. Die Entwicklung bis
zum Jahr 2030 verläuft in der Minimalvariante
jedoch etwas weniger ambitioniert, bis dahin werden
die THG-Emissionen auf maximal 70 Mio. t CO2-Äq
gesenkt (Szenario KN2050: 65 Mio. t CO2-Äq). Die
zentralen Maßnahmen sind wie im Hauptszenario die
Umstellung der Wärmeversorgung sowie die Verbes
serung der Effizienz bei Gebäudehüllen und Anlagen.
144
Der durch Effizienzsteigerungen bei Elektrogeräten
niedrigere Strombedarf führt zu einer Emissionsmin
derung im Sektor der Energiewirtschaft.
Die beiden Szenarien basieren auf identischen
Rahmenvorgaben bezüglich Bevölkerung, Zahl der
Erwerbstätigen, Gebäudefläche und unterstellter
Klimaerwärmung. Die Effizienzentwicklung von
Anlagen, Geräten und Gebäuden verläuft ebenfalls in
beiden Szenarien identisch. Entsprechend wird auch
in der Minimalvariante die Effizienz stark forciert
und erhöht. Dass in der Minimalvariante die
THG-Emissionen im Jahr 2030 um 5 Mio. t CO2-Äq
höher ausfallen als im Szenario KN2050, ist auf die
langsamere Veränderung der Beheizungsstruktur
zurückzuführen. Im Szenario KNmin nimmt der
Einbau fossiler Wärmeerzeuger ab 2021 kontinuier
lich ab, nach 2030 werden keine fossilen Heizungen
mehr eingebaut. Im Szenario KN2050 verläuft der
Wandel schneller, hier werden im Jahr 2025 die
letzten fossilen Wärmeerzeuger eingebaut. Beste
hende Anlagen dürfen in beiden Szenarien weiter
betrieben werden.
4.4.2 E
ffizienzentwicklung und
Beheizungsstruktur
Die Effizienzentwicklung ist grundsätzlich in beiden
Szenarien identisch. Auch in der Minimalvariante
wird die Sanierungsrate deutlich angehoben. Die
jährlichen Sanierungsraten steigen bei Ein- und
Zweifamilienhäusern (EZFH) auf rund 1,5 Prozent, bei
Mehrfamilienhäusern (MFH) und Nichtwohngebäu
den (NWG) auf 1,7 Prozent, jeweils bezogen auf den
Gesamtbestand. Damit einher geht eine Zunahme der
jährlich energetisch sanierten Wohnfläche um rund
50 Prozent gegenüber 2018.
Der mittlere spezifische Heizwärmebedarf sinkt bei
Gesamtsanierungen bei EZFH auf etwa 60 kWh/m2
(dies entspricht in etwa dem KfW-Effizienzhaus
standard 70 oder besser), bei MFH auf 40 bis
45 kWh/ m2 (dies entspricht in etwa dem KfW-Effizi
enzhausstandard 55). Bei Neubauten verringert sich
der Heizwärmebedarf sowohl bei EZFH als auch beim
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
MFH langfristig auf rund 25 kWh/m2 (was im Mittel
in etwa einem KfW-Effizienzhausstandard 40 oder
besser entspricht).
im Szenario KN2050 (Abbildung 85). Der Anteil der
Wärmepumpen ist hingegen um rund 4 Prozent
punkte kleiner. Bei den NWG ist im Jahr 2030 der
Anteil der fossilen Systeme an der Beheizungsstruk
tur ebenfalls rund 4 Prozentpunkte höher als im
Szenario KN2050. Demgegenüber stehen geringere
Anteile bei Wärmepumpen, Biomasse und Fern
wärme (Abbildung 86). Bis zum Jahr 2050 gleichen
sich die Beheizungsstrukturen der beiden Szenarien
an und es zeigen sich nur noch kleine Unterschiede.
So sind die noch verbleibenden (fossilen) Restbe
Da die Absätze fossiler Wärmeerzeuger weniger
schnell rückläufig sind als im Szenario KN2050,
verändert sich auch die Beheizungsstruktur im
Gebäudebestand langsamer. Bei den Wohngebäuden
ist im Jahr 2030 der Anteil der Gasheizungen an der
beheizten Wohnfläche rund 4 Prozentpunkte und
derjenigen der Ölheizungen 1 Prozentpunkt höher als
Reduktion der Treibhausgasemissionen bei den Gebäuden (Mio. t CO₂-Äq.) im Szenario KNmin
Abbildung 84
Gebäude
-35 Raumwärme PHH
-12 Raumwärme GHD
-5,2 Warmwasser PHH
125
-1,4 Warmwasser GHD
-0,5 Übrige Anwendungen PHH
-1,7 Übrige Anwendungen GHD
-42 Raumwärme PHH
-18 Raumwärme GHD
70
-5,1 Warmwasser PHH
-0,5 Warmwasser GHD
Energetische Sanierungen,
Umbau der Wärmeversorgung:
Wärmenetze und Wärmepumpen
-0,5 Übrige
Anwendungen
PHH
Anlageneffizienz,
Elektrowärme
-2,3 Übrige
Anwendungen
GHD
1,5
2016
2030
Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung:
Wärmenetze und Wärmepumpen
2050
Anlageneffizienz,
Elektrowärme
Hinweis: PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen
Prognos (2020)
145
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Beheizungsstruktur Wohnfläche im Szenario KNmin
Abbildung 85
100
90
80
11
5
13
1
5
12
70
15
2
[%]
2
7
28
18
2025
2018
4
60
20
0
3
50
41
24
25
41
8
48
30
10
22
35
51
40
20
3
20
6
60
50
17
8
22
9
10
1,7
2050
13
8
6
12
3
2030
2035
2040
2045
Heizöl
Kohle
Strom (direkt)
Solarthermie
Gas
Biomasse
Wärmepumpe
Fernwärme
Hinweis: Anteil der beheizten Wohnfläche in Prozent, Segment Wohngebäude. Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan
Prognos (2020)
Beheizungsstruktur Gebäudefläche im GHD-Sektor im Szenario KNmin
100
90
4
4
3
80
9
12
8
2
6
12
70
[%]
60
50
9
16
16
59
21
4
5
27
30
20
44
32
20
22
2018
23
16
16
12
8
6
4
9
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Heizöl
Kohle
Wärmepumpe
Gas
Biomasse
Solarthermie
Fernwärme
Hinweis: Anteil der beheizten Nutzfläche in Prozent, Segment NWG, Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan
Prognos (2020)
146
33
53
30
0
29
3
16
40
10
22
2
12
67
Abbildung 86
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Gebäudesektor: Endenergieverbrauch nach Energieträgern im Szenario KNmin
1.000
900
13
945
56
885
9
35
14
71
800
[TWh]
700
600
500
58
18
80
269
257
80
6
0
83
22
89
101
2
353
288
228
2018
107
661
619
129
27
99
146
31
32
109
112
236
106
1
161
159
708
244
200
100
760
250
96
4
400
300
819
Abbildung 87
120
82
53
2025
2030
2035
230
223
107
99
31
2040
106
41
1
2045
Heizöl
Kohle
Strom
Solarthermie
Erdgas
Biomasse
Fernwärme
Unweltwärme
105
2050
Hinweis: Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3)
Prognos (2020)
stände an Öl- und Gasheizungen in der Minimalva
riante geringfügig höher.
Die Zahl der betriebenen elektrischen Wärmepum
pen steigt in der Minimalvariante bis zum Jahr
2030 auf annähernd 5 Millionen Anlagen (Szenario
KN2050: 5,8 Millionen). Im Jahr 2050 sind in
beiden Szenarien rund 14 Millionen Wärmepumpen
in Betrieb.
4.4.3 E
ndenergieverbrauch und THG-Emissionen
Aufgrund der weitgehend identischen Annahmen zur
Effizienz unterscheidet sich die Entwicklung des
Endenergieverbrauchs zwischen den beiden Szena
rien nicht wesentlich. In der Minimalvariante verrin
gert sich der Endenergieverbrauch des Gebäudesek
tors bis zum Jahr 2050 um 34 Prozent auf 619 TWh
(Abbildung 87). Treiber für den Rückgang sind auch in
der Minimalvariante die effizienteren Gebäude,
Anlagen und Elektrogeräte sowie im Sektor GHD der
Rückgang an Erwerbstätigen.
Getrieben durch die Veränderung der Beheizungs
struktur nimmt der Anteil der fossilen Energieträger
am Endenergieverbrauch von 55 Prozent im Jahr
2018 auf 38 Prozent im Jahr 2030 ab (Szenario
KN2050: 35 Prozent). Wie im Szenario KN2050 sinkt
der fossile Energieverbrauch bis zum Jahr 2050 auf
nahezu null.
Der Stromverbrauch verringert sich im Zeitraum
2018 bis 2030 um annähernd 20 TWh (minus
7 Prozent). Berücksichtigt ist dabei der Anstieg des
Stromverbrauchs für Wärmepumpen. Dieser steigt
von 6 TWh im Jahr 2018 über 25 TWh im Jahr 2030
(Hauptvariante: 30 TWh) auf 53 TWh im Jahr 2050
(Abbildung 88). Wie im Szenario KN2050 überwiegen
jedoch die Effizienzsteigerungen bei Beleuchtung,
IKT-Geräten und Haushaltsgeräten sowie der
Rückgang des Stromverbrauchs konventioneller
Elektroheizungen den Mehrverbrauch durch die
Wärmepumpen. Insgesamt verringert sich der
Stromverbrauch bis zum Jahr 2050 um rund 15 Pro
zent gegenüber 2018.
147
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Gebäudesektor: Stromverbrauch nach Verwendungszwecken im Szenario KNmin
300
269
[TWh]
257
18
12
250
18
12
250
17
11
244
200
77
68
62
59
150
6
39
10
16
25
37
13
34
34
15
51
45
45
43
41
2018
2025
100
60
50
0
2030
236
17
11
17
10
57
42
30
17
23
19
38
31
Abbildung 88
230
223
18
10
18
10
56
55
48
53
17
21
25
10
23
21
38
36
34
33
2035
2040
2045
2050
Prozesswärme
mechanische Energie
RW und WW konv.
Beleuchtung
Prozesskälte
Wärmepumpe
Kühlen und Lüften
IKT
Hinweis:„Wärmepumpe“ beinhaltet den Stromverbrauch für den Betrieb der Wärmepumpe, „RW und WW konventionell“ beinhaltet den
Stromverbrauch von konventionellen Stromdirektheizungen. „Mechanische Energie“ umfasst den Stromverbrauch gewerblicher Prozesse,
aber auch den Stromverbrauch von Haushaltsgeräten, also Kühlschränken, Waschmaschinen, Geschirrspülern, Staubsaugern etc.
Prognos (2020)
Gebäudesektor: Endenergieverbrauch für Wärme nach Energieträgern im Szenario KNmin
Abbildung 89
800
700
600
[TWh]
500
698
13
55
46
662
9
35
14
70
78
400
300
611
58
18
78
566
52
94
59
88
27
128
100
64
98
31
104
66
106
105
65
339
277
200
100
0
83
22
218
525
107
153
152
115
2025
2018
92
485
103
78
50
30
37
2030
2035
2040
2045
Heizöl
Kohle
Strom
Solarthermie
Erdgas
Biomasse
Fernwärme
Umweltwärme
450
145
32
109
62
100
2050
Hinweis: Raumwärme und Warmwasser, Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft
(vgl. Kapitel 2.3)
Prognos (2020)
148
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nach Verwendungszwecken im Szenario KNmin
140
125
4
12
120
92
100
[Mio. t CO₂-Äq.]
Abbildung 90
8
80
70
6
60
48
108
81
40
3
61
20
30
42
2
14
26
0
2016
sonstige
2025
2030
mechanische Energie
2035
Prozesswärme
2040
12
2
2045
2050
Warmwasser
Raumwärme
Prognos (2020)
Der Endenergieverbrauch an Fernwärme, Biomasse,
Solarthermie und Umweltwärme nimmt im Szenari
enzeitraum 2018 bis 2050 zu. Die Zunahmen verlau
fen bis zum Jahr 2030 etwas langsamer als im
Szenario KN2050. Nach 2030 konvergieren die
Verbrauchsentwicklungen, sodass sich im Jahr 2050
nur noch geringe Unterschiede bei der Höhe des
Verbrauchs zeigen. Dies ist auf die dann annähernd
identischen Beheizungsstrukturen zurückzuführen.
Bei der Solarthermie zeigt sich eine sehr starke
prozentuale Zunahme des Verbrauchs, in absoluten
Werten bleibt der Verbrauch jedoch begrenzt. Die
Solarthermie wird in Kombianlagen zur Erzeugung
von Warmwasser genutzt; größere Anlagen dienen
zudem der Heizungsunterstützung. Auch zur Regene
ration von Erdwärmesonden können Solarthermiean
lagen eingesetzt werden. Der Verbrauch an Umwelt
wärme ist auf den Einsatz der elektrischen
Wärmepumpen zurückzuführen. Bei der im Gebäu
desektor eingesetzten Biomasse handelt es sich
überwiegend um feste Biomasse (Holz). Der Anteil des
Biomethans am Biomasseverbrauch liegt bei 13 Pro
zent bis 15 Prozent. Das Biomethan wird in den noch
verbleibenden Gasheizungen eingesetzt. Längerfristig,
mit dem fortschreitenden Ersatz der Restbestände,
nimmt auch die Nachfrage nach Biomethan ab.
Der Fernwärmeverbrauch steigt wie im Szenario
KN2050 deutlich an, von über 80 TWh im Jahr 2030
auf 112 TWh im Jahr 2050. Strombasierte Energieträ
ger werden in der Minimalvariante nicht im Gebäu
desektor eingesetzt.
Aufgrund der grundsätzlich identischen Annahmen
zur Entwicklung der Gebäudeeffizienz unterscheidet
sich der Rückgang des Energieverbrauchs für Raum
wärme und Warmwasser in der Minimalvariante
nicht wesentlich vom Hauptszenario. Insgesamt
verringert sich der Wärmeverbrauch im Zeitraum
2018 bis 2050 um 36 Prozent (Abbildung 89). Der
Rückgang bei der Raumwärme ist mit 37 Prozent
höher als beim Warmwasser (minus 30 Prozent). Die
Entwicklung der Energieträgerstruktur spiegelt die
beschriebene Entwicklung der Struktur der Wär
meerzeuger wider. Mittelfristig (2030) ist der Ver
brauch an Erdgas und Heizöl in der Minimalvariante
etwas höher als im Szenario KN2050, der Verbrauch
an Umwelt- und Fernwärme, Strom sowie Biomasse
hingegen geringer. Bis zum Jahr 2050 gleichen sich
149
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
die Verbrauchsstrukturen an, es zeigen sich nur noch
geringe Unterschiede.
In der Minimalvariante wird die Zielvorgabe
erreicht, die THG-Emissionen des Gebäudesektors
verringern sich bis zum Jahr 2030 auf 70 Mio. t
CO2-Äq (Abbildung 90). Dies entspricht einer
mittleren jährlichen Reduktion um 4,8 Prozent
(Szenario KN2050: minus 5,4 Prozent). Im Jahr 2016
entfielen rund 70 Prozent der Emissionen des
Gebäudesektors auf den Sektor Private Haushalte
(Wohngebäude), der Rest auf den GHD-Sektor. Von
den bis 2030 erzielten Reduktionen entfallen etwas
über 70 Prozent auf die Privaten Haushalte, der
Großteil davon im Bereich Raumwärme.
Bis zum Jahr 2050 werden die THG-Emissionen auf
nahezu null reduziert. Auch in der Minimalvariante
sind die Restemissionen hauptsächlich auf den
Einsatz der Biomasse und den damit verbundenen
Emissionen an CH4 und N2O zurückzuführen.
Die über den gesamten Zeitraum 2020 bis 2050
kumulierten THG-Emissionen sind im Hauptszena
rio aufgrund des steileren Absenkpfads rund 7 Pro
zent geringer als im Szenario KNmin.
4.5 Verkehr
4.5.1 Zielbild
In der Minimalvariante wird das langfristige Ziel
einer Dekarbonisierung bis 2050 beibehalten. Im Jahr
2030 stützt sie sich im Verkehrssektor auf das Ziel
des Klimaschutzgesetzes mit Emissionen in Höhe von
95 Mio. t CO2-Äq. Die Veränderungen in der Szena
rioausgestaltung gegenüber dem Szenario KN2050
liegen beim motorisierten Individualverkehr, der in
diesem Szenario etwas weniger zurückgeht und
etwas langsamer elektrifiziert wird.
Die Neuzulassungen von Pkw werden über die
Fortschreibung der EU-Flottengrenzwerte bezie
hungsweise über flankierende nationale Instru
150
mente so gesteuert, dass auch im Jahr 2030 und im
Jahr 2035 - bei durchschnittlichen CO2-Emissionen
von 65 und 10 g/km (WLTP) - noch ein geringer
Anteil an verbrennungsmotorischen Antrieben
zugelassen wird. Dies führt zu einem etwas ver
langsamten Hochlauf bei den Elektrofahrzeugen.
Um das im Klimaschutzprogramm verankerte Ziel
von einem Drittel elektrischer Fahrleistung der Lkw
zu erreichen, unterscheiden sich die Zielbilder der
Szenarien KN2050 und KNmin im Güterverkehr
nicht voneinander.
4.5.2 Verkehrsnachfrage
Die Abbildung 91 zeigt, dass sich insgesamt die
Personenverkehrsnachfrage kaum verändert. Die
Pkw-Fahrleistung nimmt jedoch durch eine Ver
lagerung auf den Schienenverkehr, den öffentlichen
Straßenverkehr und den Rad- und Fußverkehr
sowie eine deutlich höhere Auslastung der Fahr
zeuge unter anderem durch Pooling-Angebote bis
2030 um 11 Prozent und bis 2050 um 37 Prozent ab.
Auch im Szenario KNmin ist damit eine deutliche
Trendumkehr notwendig. Die Pkw-Fahrleistung
liegt in 2030 rund zwei Prozent höher als im
Szenario KN2050.
Die Güterverkehrsnachfrage ist in allen Szenarien
identisch. Wie im Szenario KN2050 steigt diese bis
2050 auf 896 Mio. t. Bis zum Jahr 2030 werden
190 Mrd. tkm auf der Schiene transportiert, im Jahr
2050 beträgt die Schienentransportleistung
230 Mrd. tkm.
4.5.3 Neuzulassungen und Bestand
Die Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen steigen
etwas langsamer als im Szenario KN2050. Im Jahr
2030 besteht dennoch über die Hälfte der Neuzulas
sungen bereits aus elektrischen Pkw und auch in die
sem Szenario werden die Ziele der derzeitig gültigen
EU-Flottengrenzwerte im Jahr 2025 mit 34 Prozent
und 2030 mit 52 Prozent spezifischer Emissionsmin
derung übertroffen. Im Bestand werden so im Jahr
2030 rund 11 Millionen Elektrofahrzeuge erreicht. Im
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Personen- und Güterverkehrsnachfrage im Szenario KNmin
1.400
[Mrd. Pkm]
73
64
111
84
77
155
91
92
191
800
104
115
117
129
245
282
600
400
931
897
853
2025
2030
764
675
2040
2050
200
0
2016
[Mrd. tkm]
1.200
1.000
Abbildung 91
1.000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
69
75
54
128
60
63
167
190
480
501
503
547
591
2016
2025
2030
2040
2050
210
Fuß/Fahrrad
Schienenverkehr
Luftfracht
Schiene
Flugverkehr
Pkw
Binnenschiff
Straße
230
Öffentlicher Straßenverkehr
Öko-Institut (2020)
Umkehrschluss bedeutet das, dass zusätzlich zu den
derzeit gültigen EU-Flottengrenzwerten auch im
Szenario KNmin weitere Maßnahmen ergriffen
werden müssen, um das derzeitige Sektorziel Verkehr
zu erreichen.
Nach 2035 werden nur noch minimale Mengen an
Verbrennern in Nischenanwendungen zugelassen.
Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge (PHEV) verbleiben
zunächst auf einem niedrigen Niveau in den Neuzu
lassungen. Im Jahr 2050 befinden sich noch rund
2 Millionen konventionelle Pkw und rund 4 Millionen
PHEV im Bestand.
Eine Herausforderung bei Plug-in-Hybriden ist, dass
deren elektrischer Fahranteil und damit auch das
CO2-Einsparpotenzial sehr stark abhängt von der
Reichweite der Batterie, dem Ladeverhalten und dem
Fahrprofil des Nutzers. Bei der Bestimmung der
offiziellen CO2-Werte nach WLTP werden hohe
elektrische Fahranteile von rund 60 Prozent (bei
30 km Reichweite) bis 85 Prozent (bei 80 km Reich
weite) angenommen, um die mittleren CO2-Emissio
nen der Fahrzeuge zu berechnen. Datenauswertungen
auf Basis unter anderem von Spritmonitor-Daten
zeigen jedoch, dass der tatsächliche elektrische
Fahranteil derzeit bei 45 bis 50 Prozent für private
Pkw und 7 bis 17 Prozent für Dienstwagen liegt (Plötz
et al. 2020). Bei täglicher Ladung des Fahrzeugs
ergeben sich auf Basis der Fahrprofile aus dem
Mobilitätspanel bei heutigen Batteriekapazitäten
elektrische Fahranteile von gut 70 Prozent für private
Pkw und 50 Prozent für Dienstwagen. Im Szenario
wird davon ausgegangen, dass Maßnahmen umge
setzt werden, die – bei steigender Batteriekapazität
und dem Aufbau einer Schnellladeinfrastruktur –
zukünftig einen elektrischen Fahranteil von 75 Pro
zent gewährleisten. Kann dieser elektrische Fahran
teil nicht erreicht werden, muss der Anteil rein
elektrischer Pkw ansteigen, damit die Gesamtemissi
onen im Verkehr nicht ansteigen.
4.5.4 THG-Emissionen und Endenergie
Durch die Veränderung der Verkehrsnachfrage und
den Einsatz alternativer Antriebstechnologien sinkt
der nationale Endenergiebedarf von rund 655 TWh
im Jahr 2016 auf rund 235 TWh im Jahr 2050, er liegt
damit aber um 7 TWh höher als im Szenario KN2050.
Das hängt damit zusammen, dass zum einen die
Pkw-Verkehrsnachfrage leicht höher liegt und zum
anderen der Restbestand an Verbrenner-Pkw im Jahr
2050 aufgrund des verzögerten Umstiegs auf voll
elektrische Pkw höher ist. Dadurch werden im Jahr
2050 für den nationalen Verkehr 8 TWh mehr
151
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Neuzulassungen und Bestand Pkw im Szenario KNmin
60
45
50
85
34
90
Anzahl [Mio.]
32
100
74
40
31
30
44
30
30
Diesel
0
Benzin
46
42
7
7
7
12
30
4
24
19
15
14
12
8
2016
52
4
0
PHEV
32
20
20
BEV
37
8
26
2050
0
2045
2030
2025
2016
0
3
2
2040
15
4
40
10
29
10
49
1
3
2040
55
49
25
2 1
2050
50
2045
0
25
60
20
21
2035
Anteil an NZL [%]
70
22
10
2035
90
80
14
2030
13
2025
100
Abbildung 92
FCEV
Öko-Institut (2020)
Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen national nach Verkehrsträgern
im Szenario KNmin
182
100
fossil
bio
Öko-Institut (2020)
152
2035
2030
2025
2016
0
elektrisch
156
8
62
PtL
167
168
20
94
80
60
35
49
107
40
76
20
15
53
6
14
5
0
H₂
22
31
2045
19
40
27
50
100
2040
346
38
26
120
2035
200
31
10
133
2030
122
492
51
2025
613
140
2016
300
22
11
166
160
2050
1 4
74
38
400
Treibhausgasemissionen [Mio. t CO₂-Äq.]
31
41
500
2045
Endenergiebedarf [TWh]
600
180
13
30
2040
700
Abbildung 93
Pkw
Straßengüterverkehr
Binnenschiff
Schienengüterverkehr
ÖV
Luft
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
strombasierte Kraftstoffe benötigt, um diesen
klimaneutral zu gestalten. Im Gegenzug liegen die
Strommengen, die für die direkte Elektrifizierung des
Straßenpersonenverkehrs benötigt werden, in 2030
um 4 TWh und in 2050 um 1 TWh niedriger.
95 Mio. t im Jahr 2030 wird mit 94 Mio. t CO2-Äq
knapp übererfüllt. Wie im Szenario KN2050 ist der
Verkehr bis 2050 klimaneutral.
Die verschiedenen CO2-Vermeidungsstrategien
tragen im Szenario KNmin unterschiedlich stark zur
Treibhausgasminderung im Verkehrssektor bei. So
liegt der Anteil der Mobilitätswende an den 72 Mio. t
Minderung zwischen 2016 und 2030 bei 23 Prozent,
der Beitrag durch eine Verlagerung auf den Schie
Der deutliche Rückgang des Einsatzes fossiler
Kraftstoffe führt zu einem ebenso deutlichen Rück
gang der THG-Emissionen bis 2030. Das Sektorenziel
des Klimaschutzgesetzes für den Verkehr von
Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr im Szeanrio KNmin (Mio. t. CO₂-Äq.)
Abbildung 94
Verkehr
Mobilitätsverhalten
Änderung im Mobilitätsverhalten,
mehr ÖV, Rad, Fuß.
Mobilitätsverhalten
Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV,
Rad, Fuß und die gleichzeitige Nutzung
von Fahrzeugen über Pooling-Angebote.
Verlagerung auf Schienengüterverkehr
Deutliche Verlagerung auf den
Schienengüterverkehr.
166
Technologien Pkw
Nahezu vollständige Elektrifizierung
des Pkw-Bestandes, Rest an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen wird
mit synthetischen Kraftstoffen
betrieben.
Technologien Lkw
30 % der Fahrleistung von Lkw
wird elektrisch erbracht.
-16
-39
94
-5
-12
Technologien Lkw
Lkw werden über Batterien,
Oberleitungen oder
Brennstoffzellen vollständig
elektrisch betrieben.
-19
Technologien Pkw
Schnelle Marktdurchdringung E-Pkw,
gut die Hälfte der neu zugelassenen
Pkw in 2030 sind elektrisch.
-38
-7
0
2016
2030
-29
2050
Verlagerung auf Schienengüterverkehr
Weitere Verlagerung auf den Schienengüterverkehr und Abnahme
von Gütertransporten in einer klimaneutralen Welt.
Öko-Institut (2020)
153
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
nengüterverkehr bei 7 Prozent. Den größten Anteil
hat die Elektrifizierung von Pkw mit 54 Prozent,
gefolgt von der Elektrifizierung des Straßengüterver
kehrs mit rund 17 Prozent. Das Bild setzt sich zwi
schen 2030 und 2050 fort. Rund 40 Prozent
(38 Mio. t CO2-Äq) der Treibhausgasminderung hin
zur Klimaneutralität des Verkehrssektors trägt die
Elektrifizierung des Pkw-Bestandes bei, kombiniert
mit sehr geringen Mengen synthetischer Kraftstoffe
für den Restbestand an Pkw mit Verbrennungsmoto
ren. Durch eine weitere Verlagerung auf umwelt
freundlichere Verkehrsträger im Personenverkehr,
aber auch durch eine Steigerung der Auslastung von
Fahrzeugen unter anderem durch Pooling-Angebote
können weitere 19 Mio. t CO2-Äq reduziert werden.
Der Beitrag des Güterverkehrs setzt sich zusammen
aus 7 Mio. t CO2-Äq durch eine weitere Verlagerung
auf die Schiene und 29 Mio. t CO2-Äq durch die
vollständige Elektrifizierung von Lkw über Oberlei
tungen, Batterien oder Brennstoffzellen.
4.6 Landwirtschaft, LULUCF, Abfall
4.6.1 Landwirtschaft
Zielbild und Annahmen
Bis zum Jahr 2030 muss der Landwirtschaftssektor
die Ziele des Klimaschutzgesetztes erfüllen. Das
entspricht einer Minderung gegenüber 2018 von
12 Mio. t CO2-Äq. Im Landwirtschaftssektor sind
die technischen Minderungspotenziale begrenzt,
weitreichende Minderungen sind nur infolge von
strukturellen Änderungen der landwirtschaftli
chen Produktion zu erreichen (Ausweitung Öko
landbau, Umstellung auf Kulturarten mit geringe
rem Stickstoffbedarf, Reduktion der Tierbestände).
Daher entspricht die Minimalvariante dem
KN2050-Szenario und es wurde kein weiteres
Szenario gerechnet.
Treibhausgasemissionen
Bis zum Jahr 2030 sinken in diesem Szenario die
Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor inklusive
der energiebedingten Emissionen gegenüber 2018
um 11,7 Mio. t CO2-Äq (siehe Abbildung 95). Die
größten Minderungen gegenüber 2018 ergeben sich
Emissionen aus der Landwirtschaft im Szenario KNmin
80
72,9
70
6,4
4,4
[Mio. t CO₂-Äq.]
60
50
27
69,7
6,2
4,5
62,9
5,5
4,0
25
22
40
20
9,6
Abbildung 95
9,3
58,0
4,8
3,6
54,8
3,8
3,3
0
48,1
44,0
1,5
2,8
0,1 2,2
18
17
19
18
7,2
5,9
5,3
4,8
4,2
3,3
26
25
24
24
23
23
22
22
2016
2018
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Verdauung Wiederkäuer
Landwirtschaftliche Böden
Wirtschaftsdüngermanagement
Sonstige
UBA, Öko-Institut (2020)
154
2,9
3,0
20
20
20
51,7
Energiebedingte Emissionen
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
im Bereich der landwirtschaftlichen Böden durch
eine Reduktion der Stickstoffeinträge (rund
4,4 Mio. t CO2-Äq). Weitere Minderungseffekte lassen
sich im Bereich des Wirtschaftsdüngermanagements
infolge einer verbesserten Lagerung und Ausweitung
der Vergärung erzielen (jeweils 3,4 Mio. t CO2-Äq).
Der Umbau der Tierbestände (Rückgang der Rinderund Schweinebestände, Ausweitung der Geflügelbe
stände) führt gegenüber 2018 zu einer Minderung
von 1,5 Mio. t CO2-Äq.
4.6.2 Abfallsektor
Zielbild und Annahmen
Im Abfallsektor entspricht die Minimalvariante
dem KN2050-Szenario. Damit werden die Ziele des
Klimaschutzgesetztes bis zum Jahr 2030 erfüllt. Ein
weiteres Szenario wurde im Abfallsektor nicht
berücksichtigt.
Ergebnisse
Bis zum Jahr 2030 sinken die Emissionen aus dem
Abfallsektor von 9,7 Mio. t im Jahr 2018 auf
4,8 Mio. t CO2-Äq. Die wesentlichsten Minderungen
entfallen auf den Bereich der Deponierung. Durch das
Deponierungsverbot für organische Abfälle seit dem
Jahr 2005 sinken die Emissionen aus der Deponie
rung seit Jahren. Zudem führt die Ausweitung der
Deponiebelüftung zu einer schnelleren Reduktion der
Methanemissionen. Insgesamt sinken die Emissionen
aus der Deponierung zwischen 2018 und 2030 um
4,6 Mio. t CO2-Äq. Im Bereich der biologischen
Abfallbehandlung führen der Bevölkerungsrückgang,
die Reduktion der Lebensmittelabfälle und eine
Verbesserung der Biogas- und Kompostierungsanla
gen zu einer Reduktion der Emissionen gegenüber
2018 von minus 0,3 Mio. t CO2-Äq. Im Bereich der
Abwasserbehandlung führen der Bevölkerungsrück
gang und die Optimierung des Abwassermanage
ments ebenfalls zu einem Emissionsrückgang.
4.6.3 LULUCF
Zielbild und Annahmen
Im LULUCF-Sektor lassen sich Änderungen in der
Waldsenke und die Wiedervernässung der organi
schen Böden nur langfristig erreichen. Daher wurde
für den LULUCF-Sektor kein KNmin-Szenario
gerechnet, sondern die Ergebnisse des Szenarios
KN2050 wurden übernommen.
Ergebnisse
Wie in Kapitel 3.6.3 dargestellt wird der
LULUCF-Sektor unter Maßgabe der modellierten
Emissionen aus dem Abfallsektor im Szenario KNmin
[Mio. t CO₂-Äq.]
12
10
10,7
1
1,0
8
9,7
1
1,0
6
4
9
6,6
1
0,9
4,8
1
0,8
8
5
2
0
3
2016
Abbildung 96
2018
Abfalldeponierung
2025
2030
Biologische Abfallbehandlung
3,5
0,9
0,8
1,8
2035
2,9
0,8
0,7
2,3
1,3
0,7
0,7
0,9
2040
2045
Abwasserbehandlung
2,0
0,6
0,7
0,6
2050
Sonstige
UBA, Öko-Institut (2020)
155
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Maßnahmen bis 2040 eine leichte Quelle. Danach
überwiegt die CO2-Fixierung in Wäldern gegenüber
Emissionen auf Acker- und Grünland, Feuchtgebie
ten und Siedlungen, sodass im LULUCF-Sektor eine
Senkenleistung von minus 10 Mio. CO2-Äq in 2050
erreicht wird (Abbildung 64).
4.7 Negative Emissionen und CCS
Im Jahr 2050 entstehen im Szenario KNmin (ebenso
wie im KN2050-Szenario) Restemissionen in Höhe
von 62 Mio. t CO2-Äq, die zur Erreichung des NettoNull-Ziels durch negative Emissionen kompensiert
werden müssen (vgl. Abbildung 67).
Die prinzipiellen Möglichkeiten für CO2-Abschei
dung und -Speicherung sowie für negative Emissio
nen wurden im Kapitel 3.8 Negative Emissionen und
CCS für das KN2050-Szenario beschrieben. Im
KNmin-Szenario werden dieselben Strategien für
negative Emissionen wie im KN2050-Szenario
angewendet und erreichen dadurch im Jahr 2050
folgende Mengen:
→ BECCS: Durch Abscheidung und geologische
Speicherung von biogenem CO2 werden negative
Emissionen im Umfang von 34 Mio. t CO2 erzeugt.
Hiervon entfallen 20 Mio. t CO2 auf die Dampfbe
reitstellung in der chemischen Industrie,
13 Mio. t CO2 auf die Bereitstellung von Hochtem
peraturwärme in der Stahlindustrie und
2 Mio. t CO2 auf Anlagen der Zement-, Kalk- und
Glasindustrie.
→ DACCS: Durch Abscheidung und Speicherung von
CO2 direkt aus der Umgebungsluft werden
19 Mio. t CO2 aus der Atmosphäre entfernt und der
permanenten geologischen Speicherung zugeführt.
→ Grüne Polymere: Durch die Bindung von zuvor aus
der Atmosphäre entnommenen Kohlenstoffs in
Kunststoffen werden negative Emissionen in Höhe
von 8 Mio. t CO2 erzielt.
156
Von den genannten CO2-Mengen werden 56 Mio. t
CO2 geologisch gespeichert. Zusätzlich werden
18 Mio. t CO2 aus prozessbedingten Emissionen, aus
der therm ischen Verwertung von Abfällen (ohne
biogene Anteile) und Restchemikalien sowie an den
Steamcrackern der chemischen Industrie abge
schieden und geologisch gespeichert. Insgesamt
werden somit im Jahr 2050 73 Mio. t CO2 geologisch
gespeichert.
Im Zielbild sind beide Szenarien identisch. Auf dem
Pfad zur Klimaneutralität wurden jedoch zwischen
den Szenarien leichte Unterschiede beim Zeitpunkt
der Markteinführung von CO2-Abscheidung in der
Zementindustrie angenommen. Die Zementindus
trie nimmt im KNmin-Szenario vor 2030 noch
keine Investitionen in CO2-Abscheidung vor,
entsprechend spielt CCS vor 2030 in diesem Szena
rio auch insgesamt noch keine Rolle. Die Nachrüs
tung von CO2-Abscheidetechnologien erfolgt an
einigen Zementklinkeröfen unter Berücksichtigung
der Reinvestitionszyklen im KNmin-Szenario erst
20 Jahre später als im KN2050-Szenario (vgl. Kapitel
4.3 Industrie), sodass für den Zeitraum 2030 bis
2045 um circa 1 Mio. t CO2 pro Jahr verringerte
CCS-Mengen resultieren.
In dem KNmin-Szenario erfolgen Investitionen in
CO2-Abscheidung an allen Industriestandorten erst
im Zuge eines Anschlusses der Standorte an ein
CO2-Pipeline-Netz. Ein Einsatz von Binnenschiffen
für den Abtransport des CO2 im frühen Stadium des
CO2-Infrastrukturaufbaus ist somit nicht vorgesehen.
4.8 Wasserstoff
Bis 2030 spielt treibhausgasneutraler Wasserstoff im
Szenario KNmin zunächst eine kleinere Rolle (vgl.
Abbildung 97): Die Nachfrage von 18 TWh ist um
rund 45 TWh geringer als im Szenario KN2050. Es
werden 20 TWh weniger in Kraft- und Heizwerken,
13 TWh weniger bei Stahl, 7 TWh weniger zur
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasfreie Wasserstofferzeugung und Nutzung in Deutschland im Szenario KNmin
Wasserstoffnachfrage
150
104
98
100
Strom, Fernwärme
Mineralölverarbeitung
Straßengüterverkehr
Roheisen, Stahl
Grundstoffchemie
Papier
18
9 9
28
2035
0
1
Importe
5
4
126
3
2
70
50
53
183
168
154
2050
23
1
2025
31
38
2045
18
32
15
22
2035
50
24
2040
100
98
6
164
2030
47
7
[Millionen Tonnen]
32
150
200
8
38
51
83
1
0
2050
40
2045
42
219
36
2025
164
250
Heizwert [TWh]
200
2030
Heizwert [TWh]
266
33
219
9
300
266
250
0
Wasserstofferzeugung
2040
300
Abbildung 97
Wasserelektrolyse (Inland)
restliche Metalle
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff.
Dampferzeugung und 5 TWh weniger in sonstigen
Prozessen eingesetzt.
Dementsprechend läuft auch die inländische Wasser
stoffproduktion deutlich langsamer an und liegt bis
2030 mit 9 TWh Heizwert bei etwa der halben Menge
des KN2050-Szenarios. Auch der Importbedarf nach
treibhausgasneutralem Wasserstoff fällt mit 9 TWh
deutlich geringer aus (44 TWh im Szenario KN2050).
Zusammen mit dem importierten Naphtha ergibt sich
für 2050 insgesamt ein Bedarf an Wasserstoff und
sonstigen erneuerbar erzeugten Brennstoffen und
Feedstocks in Höhe von 438 TWh, von denen
355 TWh importiert werden.
Der Zuwachs in den Jahren nach 2030 fällt im
KNmin-Szenario umso steiler aus, weil die Umstel
lung der Prozesse ebenso wie im KN2050-Szenario
umgesetzt wird, nur einige Jahre später. Im Zieljahr
2050 liegt der Wasserstoffbedarf mit 266 TWh fast
gleichauf mit dem Bedarf im KN2050-Szenario mit
83 TWh (31 Prozent) inländischer Deckung und
183 TWh (69 Prozent) Importbedarf.
157
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
158
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
5
Schlussfolgerung
Die untersuchten Szenarien zeigen, dass Deutschland
bis 2050 durch die konsequente Anwendung von zum
größten Teil heute schon verfügbaren oder weit
entwickelten Technologien klimaneutral werden kann.
Im zusammenfassenden Überblick ergibt sich aus den
Analysen für das Szenario Klimaneutralität 2050
(KN2050) sowie die Minimalvariante KNmin mit
Blick auf die Entwicklung der Treibhausgasemissio
nen im Zeitverlauf eine Reihe hervorhebenswerter
struktureller Aspekte. Die Entwicklung kann in
folgende drei Schritte eingeteilt werden:
→ Die Periode 2018 bis 2030 ist vor allem durch sehr
große relative und absolute Minderungsbeiträge im
Bereich der Energiewirtschaft geprägt. Deutliche
Rückgänge gibt es auch bei der Industrie, im
Verkehr und im Gebäudesektor, während in der
Landwirtschaft nur relativ geringe Einsparungen
zu verzeichnen sind. In Summe sinken die Treib
hausgasemissionen in den betrachteten Szenarien
im Vergleich zu 1990 um 61 beziehungsweise
65 Prozent.
→ In der Periode 2031 bis 2050 werden die energiebe
dingten Treibhausgasemissionen in allen Sektoren
nahezu völlig vermieden werden. Es verbleiben
Restemissionen in der Größenordnung von 5 Pro
zent bezogen auf den Ausgangswert von 1990.
Diese kommen vor allem im Landwirtschaftssektor
durch biologische Prozesse in Böden (Düngemittel),
bei der Tierhaltung sowie auch bei industriellen
Prozessen und in der Abfallwirtschaft zustande.
→ Die restlichen Emissionen werden vorwiegend
durch den Einsatz von Biomasse-CCS, Direct Air
Carbon Capture and Storage und der stofflichen
Bindung von CO₂ in grünen Polymeren kompen
siert, sodass Deutschland im Saldo der Emissionen
2050 klimaneutral ist.
Im Vergleich zwischen dem Szenario KN2050 und
der Minimalvariante KNmin wird deutlich, dass die
einzelnen Sektoren in der Minimalvariante zwar in
der kommenden Dekade etwas geringere Emissions
minderungen erbringen müssen, die Reduktionsan
forderungen nach 2030 dann aber deutlich schärfer
ausfallen. Insbesondere die Industrie und die Ener
giewirtschaft müssen in der Minimalvariante nach
2030 deutlich stärkere Emissionsminderungen als im
KN2050-Szenario erbringen. Das KN2050-Szenario
mit seinem größeren Reduktionsschritt bis 2030
bildet so die langfristig robustere Variante.
In Hinblick auf die Energienachfrage und -bereit
stellung lassen sich drei zentrale Handlungsfelder
identifizieren:
→ Eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz in
allen Anwendungsbereichen und für alle Energie
träger bildet die erste Säule der Transformation.
Bis zum Jahr 2050 sinkt durch die gewählten
Maßnahmen der Endenergieverbrauch um
35 Prozent und es ergibt sich eine Halbierung des
Primärenergieverbrauchs.
→ Die Umstellung der Stromerzeugung auf regenera
tive Energien, insbesondere auf Basis von Wind
kraft und Photovoltaik, bei einer gleichzeitig
deutlich ausgeweiteten Elektrifizierung des
Energiesystems bildet die zweite Säule der Klima
neutralität. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren
Energien an sich, ist die Flexibilisierung des
Stromsystems und der Ausbau der Leitungsinfra
struktur notwendig und muss maßgeblich in der
kommenden Dekade initiiert werden.
→ Die dritte Säule bildet schließlich die Einführung
von Wasserstoff und wasserstoffbasierten synthe
tischen Kraftstoffen. Hier können erste signifi
kante Marktsegmente bereits bis zum Jahr 2030
entwickelt werden, die wesentliche Wachstums
dynamik wird sich hier jedoch erst in der Periode
nach 2030 entfalten. Neben den notwendigen
Infrastrukturvorleistungen sowie der Ausgestal
tung eines entsprechenden Marktes entsteht hier
zusätzlicher strategischer Handlungsbedarf mit
159
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Blick auf das Durchlaufen der Lernkurve zur
Erzielung von Kostensenkungen sowie die
Schaffung technischer und regulativer Strukturen
für den Import von klimaneutral und nachhaltig
bereitgestelltem Wasserstoff und synthetischen
Kraftstoffen.
Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch darauf, dass die
Markt- beziehungsweise Wertschöpfungsanteile der
deutschen Industrie an transformativen Technologiebeziehungsweise Emissionsminderungsoptionen
maßgeblich davon abhängen, ob der Hochlauf dieser
Optionen insbesondere in der Industrie sehr ambitio
niert (KN2050) oder deutlich verzögert (KNmin)
geschieht, beziehungsweise wie schnell die dafür
notwendigen Voraussetzungen (Niveau der regenera
tiven Stromerzeugung, Lernkurven, Infrastrukturen
etc.) geschaffen werden.
Neben diesen drei zentralen Säulen der Systemtrans
formation bilden vor allem drei querliegende Themen
Handlungsfelder von herausragender Bedeutung:
→ Das Aufkommen, die Umwandlung und die Ver
wendung von Biomasse betrifft erstens die Landund Forstwirtschaft und die dort erzielbaren
Klimaentlastungen und Nachhaltigkeitsfragen.
Zweitens müssen die Nutzungsstrukturen für die
Biomasse mit Blick auf zukünftige Strom- und
Wasserstoffanwendungen, aber auch mit Blick auf
die Schaffung von technischen Senken über die
Nutzung von Biomasse in zentralen Erzeugungs
anlagen mit angeschlossener CCS-Stufe aus einer
strategischen Perspektive adressiert werden.
Drittens bildet die Nutzung von Biomasse als
Rohstoff für die Industrie ein wesentliches Feld für
die Defossilisierung der Volkswirtschaft. Eine
Zusammenführung dieser Anforderungen und
Möglichkeiten in einer konsistenten Biomasse
strategie ist unerlässlich
→ Kreislaufprozesse sind sowohl für Kohlenstoff als
auch für eine Vielzahl von anderen Stoffen mit Blick
auf die vollständige Vermeidung von Treibhausgas
emissionen beziehungsweise zur Erzielung einer
160
Netto-Null-Emissionsbilanz für die deutsche
Volkswirtschaft von herausragender Bedeutung.
Dies betrifft vor allem eine Vielzahl von Industrie
prozessen, aber auch die Energieversorgung. Die
Schaffung solcher branchenübergreifender Kreis
laufprozesse und von entsprechenden regulativen
Marktarrangements bedarf ebenfalls einer über
greifenden strategischen Steuerung.
→ CCS wird zur Erreichung von Klimaneutralität im
Sinne von Netto-Null-Emissionen für Treibhaus
gase eine begrenzte, aber gleichwohl kaum ver
zichtbare Rolle spielen müssen. Hier sind Infra
strukturen, aber auch räumliche Fragen von
erheblicher Bedeutung. Die Verfügbarkeit von
CO₂-Infrastrukturen und entsprechender Ablage
rungsstätten bildet zukünftig eine zentrale Stand
ortbedingung für eine Reihe von Industriebran
chen wie auch die Bereitstellung von Biomasse. In
diesem Kontext bildet auch die Erzielung massiver
Lernkurveneffekte für die Technologie der
CO₂-Abscheidung aus der Atmosphäre eine
wichtige Erfolgsbedingung für die Erzielung von
Klimaneutralität.
Nicht zuletzt ist auf die zentrale Bedeutung der
Landwirtschaft und des LULUCF-Bereichs hinzu
weisen, denen vor allem gegen Ende des Szenario
zeitraums eine strategische Bedeutung zukommt.
Dies gilt einerseits mit Blick auf die verbleibenden
Treibhausgasemissionen, andererseits aber auch mit
Blick auf die Rolle dieser Sektoren im Bereich der
strategischen Ressource Biomasse sowie auf die
signifikante Rolle von Emissionssenken in einer
klimaneutralen Volkswirtschaft.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
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166
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
7
7.1
Anhang
Modelle
7.1.1 Strommarktmodell
Die Entwicklung des Stromsystems wurde mit dem
Strommarktmodell von Prognos modelliert. Das
Modell optimiert bis zum Jahr 2050 stundenscharf
den Einsatz der einzelnen Kraftwerksblöcke in
Europa.
Im Modell erfolgt der Kraftwerkseinsatz realitätsnah
entsprechend der jeweiligen Lastnachfrage nach der
Grenzkostenlogik (Merit Order). Das Kraftwerk mit
den niedrigsten Grenzkosten wird zuerst eingesetzt,
alle weiteren Kraftwerke sortieren sich gemäß ihren
Grenzkosten ein, bis die Last für jede einzelne Stunde
des Betrachtungszeitraumes gedeckt ist. Dabei
bestimmt das jeweils zuletzt eingesetzte Kraftwerk
mit den höchsten Grenzkosten den Preis. Pump
speicher, Speicherwasserkraftwerke und Batterie
speicher nutzen Spreads in den Strompreisen, um
ihren Ertrag zu maximieren.
Der Stromaustausch zwischen den einzelnen Ländern
wird auf Basis der modellierten stündlichen Groß
handelspreise und der vorhandenen Übertragungs
kapazitäten in einem iterativen Verfahren abgebildet.
Wie am realen Strommarkt glätten Im- und Exporte
im Modell die Preise in den einzelnen Ländern,
einseitige Preisausschläge werden im Rahmen der
Strommarktkopplung reduziert.
Die Stilllegung von thermischen beziehungsweise
regelbaren Kraftwerken erfolgt in der Regel am Ende
der technischen Lebensdauer. Anhand von techni
schen und wirtschaftlichen Kriterien wird be
stimmt, ob lebensverlängernde Retrofitmaßnahmen
oder auch vorzeitige Stilllegungen aus wirtschaftli
chen Gründen vorgenommen werden. Der Zubau für
Kraftwerke erfolgt entweder anhand technischer
Notwendigkeiten (zum Beispiel Deckung der Nach
frage) oder anhand von Wirtschaftlichkeitskrite
rien. Für neu in den Kraftwerkspark kommende
Kapazitäten wird dabei zunächst ihre Position in der
Merit Order ermittelt. Davon ausgehend wird die
Erlös- und Kostensituation berechnet.
Erneuerbare Energien können entweder nach
exogenen Vorgaben unter Berücksichtigung der
bestehenden Potenziale oder anhand der sich
ergebenden Wirtschaftlichkeit zugebaut werden. Für
alle Technologien werden Kosten, Lebensdauer, zu
erwartender Ertrag und weitere Parameter geprüft.
Die Stromproduktion wird anhand von meteorologi
schen Reanalyse-Wetterdaten stündlich simuliert
und für vergangene Jahre mit empirischen Einspei
sezeitreihen verifiziert. Die Simulation erfolgt für
unterschiedliche Wetterjahre. Weiterhin ist die
technologische Entwicklung der Anlagen, wie
beispielsweise die Veränderung der Leistungskenn
linien und der Modulwirkungsgrade, in den simu
lierten Einspeisezeitreihen mit einbezogen.
Ein besonderer Fokus liegt auch auf der Modellierung
der Stromnachfrage. Der jährliche Strombedarf wird
in Nachfragesektoren nach Anwendungen und
Branchen modelliert. Die jährliche Stromnachfrage
wird dann in stündliche Lastprofile überführt.
Hierbei ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden:
Inflexible Verbraucher können nicht auf Strom
marktsignale reagieren, deren Verbrauchsprofil ist
somit vorgegeben. Flexible Verbraucher können
hingegen auf Strommarktsignale reagieren (unter
Berücksichtigung der wesentlichen Anlagenparame
ter), den Verbrauch verschieben und somit Flexibilität
für das Stromsystem zur Verfügung stellen. Die
Modellierung der flexiblen Verbraucher erfolgt unter
Annahme des möglichen Lastverschiebungspoten
zials, insbesondere von Wärmepumpenheizungen,
Elektrofahrzeugen und Elektrolyseuren.
Als Ergebnis der stündlichen Modellierung liefert das
Strommarktmodell Stromerzeugung, THG-Emissio
167
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
nen, Brennstoffeinsatz, Großhandelsstrompreise
sowie die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der
einzelnen Kraftwerksblöcke.
7.1.2 Private-Haushalte-Modell
Im Modell Private Haushalte der Prognos wird die
Energienachfrage im Sektor Private Haushalte
differenziert nach Energieträgern und Verwendungs
zwecken analysiert und in die Zukunft fortgeschrie
ben. Das Modell wird sowohl für Ex-post-Analysen
des Energieverbrauchs als auch für in die Zukunft
reichende Prognosen und Szenarien eingesetzt und
stetig weiterentwickelt.
Als übergeordnete Verwendungszwecke werden
Raumwärme, Warmwasser, Kochen sowie der
Strombedarf für Haushaltsgeräte, Haustechnik und
Beleuchtung unterschieden. Rund 80 Prozent des
Energieverbrauchs im Sektor Private Haushalte wird
für Raumwärme und Warmwasser aufgewendet.
Entsprechend erhält dieser gebäudebezogene Ener
gieverbrauch auch bei der Modellierung eine hohe
Bedeutung. Beim Wohngebäudemodell handelt es sich
um ein Bottom-up-basiertes Kohortenmodell mit
einer historischen Fortschreibung von Wohnungen
und Wohnflächen. Dabei werden die Wohnflächen
differenziert berechnet nach:
→ Gebäudetypen (Ein- und Zweifamilienhäuser,
Mehrfamilienhäuser, Nichtwohngebäude mit
Wohnungen),
→ Gebäudealtersklassen (Baualter) und
→ Beheizungsstrukturen nach Energieträgern.
Bei den Heizsystemen werden Einzelheizsysteme mit
den Energieträgern Elektrizität, Heizöl, Erdgas, Holz
und Kohle, Zentralheizungen mit den Energieträgern
Elektrizität, Heizöl, Erdgas, Holz, Kohle sowie elektri
sche Wärmepumpen und Nah- und Fernwärme
betrachtet. Zusätzlich wird berücksichtigt, dass
gleichzeitig mehrere Energieträger genutzt werden
können. Für die Modellierung werden diese
bivalenten Anlagen als Vereinfachung als Vollver
sorgungsäquivalente abgebildet.
168
Für die rekursive Bestandsfortschreibung gehen in
das Modell spezifische Annahmen über Wohnungsund Wohnflächenzugänge und ihre Beheizungs
strukturen sowie über Wohnflächenabgänge (Vertei
lung nach Gebäudetypen und -altersklassen) ein.
Zentrale Leitvariable für die Fortschreibung der
Wohnungen und Wohnflächen ist die Bevölkerung,
insbesondere die Zahl der Haushalte. Die energeti
sche Qualität der Wohnflächen wird durch gebäudeund baualtersklassenspezifische Heizwärmebedarfe
abgebildet. Diese verändern sich im Zeitablauf
aufgrund von Wohnungsabgängen und -zugängen
sowie durch energetische Sanierungen. In einer
Substitutionsmatrix werden zusätzliche Annahmen
zum Ersatz eines Heizsystems durch ein anderes
gemacht. Der Energieverbrauch für Warmwasser
wird pro Kopf und Wassersystem berechnet. Bei
zentralen Heizungssystemen wird angenommen,
dass das Heizsystem in einem Teil der Fälle auch für
die Warmwasseraufbereitung verwendet wird. Als
Ergebnis liefert das Wohngebäudemodell den
Nutz- und Endenergieverbrauch für Raumwärme
und Warmwasser nach Energieträgern und
Gebäudetypen sowie den Hilfsenergieverbrauch für
den Betrieb der Wärmeerzeuger und Lüftungsanla
gen. Die Ergebnisse werden jährlich mit verfügbaren
Statistiken und Erhebungen abgeglichen. Damit
bietet das Modell eine verlässliche Grundlage
bezüglich der absoluten Höhe des spezifischen
Energieverbrauchs pro Wohnfläche in den einzelnen
Gebäudeklassen wie auch bezüglich der Geschwin
digkeit ihrer Veränderung.
Elektrogeräte und Beleuchtung: Bei den Elektrogerä
ten wird nach Haushaltsgroßgeräten (Weiße Ware),
Geräten der Unterhaltungselektronik, Geräten der
Informations- und Kommunikationstechnologie,
Haustechnikanlagen, Kochherden, Beleuchtung sowie
sonstige elektrische Verbraucher differenziert. Die
verbrauchsrelevantesten Geräte werden in Kohorten
modellen einzeln abgebildet, teilweise kommen
zusätzlich Annahmen über die Nutzungsdauer zum
Tragen. Im Ergebnis resultieren als Effizienzgrößen
mittlere Jahresverbräuche je Gerät oder Haushalt. Die
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Verbräuche der Vielzahl der kleinen (oder wenig
genutzten) Elektrogeräte werden in Form eines
Aggregats erfasst. Es wird unterstellt, dass dieses
Verbrauchssegment überdurchschnittlich wächst,
weil auch zukünftig neue stromverbrauchende Geräte
und Anlagen auf den Markt kommen werden.
7.1.3 GHD-Modell
Bei dem GHD-Modell handelt es sich um ein
Simulationsmodell für die Entwicklung des
Endenergieverbrauchs in den Sektoren Gewerbe,
Handel und Dienstleistungen. Wie auch die übrigen
Nachfragemodelle des Energieverbrauchs orientiert
sich die Abgrenzung des Models stark an jener der
Energiebilanz.
Es handelt sich um ein Bottom-up-Modell, in dem die
Entwicklung der anwendungsspezifischen Energie
trägerverbräuche der jeweiligen Branchen der
modellierten Sektoren auf Basis verschiedener
Einflussgrößen fortgeschrieben wird.
Die Verteilung der Energieträgerverbräuche auf die
Sektorenbranchen ist aufgrund der begrenzten Daten
lage mit großen Unsicherheiten behaftet. Für ver
schiedene Jahre wurden die Verbräuche ex post
anhand von Befragungen und Stichprobenmessungen
im Rahmen verschiedener Studien hochgerechnet
und fortgeschrieben (Fh-ISI et al. 2009, 2013, 2015;
Prognos et al. 2016). Im GHD-Modell wurde der Sektor
in Anlehnung an diese Erhebungen in 16 Branchen
aufgeteilt. Diese wurden jeweils Wirtschaftszweigen
zugeordnet, anhand derer die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen fortgeschrieben wurden.
Das Modell bestimmt die Veränderungen des Ener
gieverbrauchs gegenüber dem Vorjahr unter Berück
sichtigung der Veränderung der klimatischen
Bedingungen sowie der technologischen und wirt
schaftlichen Entwicklungen. Die Klimaerwärmung
wird durch die Entwicklung der Heiz- und Kühl
gradtage quantifiziert, welche im Modell zur Bestim
mung des Gebäudeenergiebedarfs herangezogen
werden. Der technologische Fortschritt wirkt sich
auf Anlagenwirkungsgrade sowie Gebäudever
brauchskennzahlen aus. Durch die Wirkung der
politischen Maßnahmen wird dieser verstärkt
beziehungsweise der flächendeckende Einsatz von
Effizienztechnologien forciert. Die wirtschaftliche
Entwicklung der Sektorenbranchen wird anhand der
Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen und der
Bruttowertschöpfung quantifiziert. Erstere ist
maßgeblich für die Entwicklung der beheizten
Flächen. Aufgrund der großen Bedeutung der
Gebäudeenergieversorgung am Gesamtenergiever
brauch des Sektors ist die Entwicklung der Erwerbs
tätigenzahlen eine bedeutende Einflussgröße.
Die Entwicklung der beheizten Flächen wird anhand
eines Kohortenmodells für den Gebäudebestand
fortgeschrieben. Hierbei werden die Gebäude nach
Altersklasse und Sanierungsstand aggregiert, wobei
Sanierungsraten und -tiefen in den Szenarien
abhängig von der Wirkung der unterstellten Maß
nahmensets variieren.
Auf Grundlage der modellierten Energieverbräuche
werden die verbrennungsbedingten Emissionen
berechnet.
7.1.4 Verkehrsmodell TEMPS
Das am Öko-Institut entwickelte Modell TEMPS 1
ermöglicht es, den Endenergiebedarf und die Treib
hausgasemissionen des Verkehrs für unterschiedliche
Szenarien zu quantifizieren und dabei Veränderungen
der Verkehrsnachfrage, im Fahrzeugbestand und beim
Kraftstoffeinsatz abzubilden. Das Modell besteht aus
den drei Komponenten Verkehrsnachfrage, Fahrzeug
bestand, Energie- und Treibhausgasbilanz.
Im Modul Verkehrsnachfrage wird nach den Berei
chen Güterverkehr, Personenverkehr, Luftverkehr und
Seeverkehr unterschieden. Szenarien zur Verkehrs
nachfrage im Personen- und Güterverkehr werden in
TEMPS parametergestützt auf Basis der Entwicklung
zentraler Mobilitätskenngrößen ermittelt.
1
Transport Emissions and Policy Scenarios.
169
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
Übersicht über das Modell TEMPS
Verkehrsnachfrage
Abbildung 98
Fahrzeugbestand
Güterverkehr
Straßenverkehr
übrige
Verkehrsträger
Personenverkehr
Bestandsmodul
Strukturmodul
Luftverkehr
Neuzulassungsmodul
Seeschiffverkehr
Energie- & THG-Bilanz
Kraftstoffmodul
Emissionsmodul
Technologiedatenbasis
Öko-Institut (2020)
Die Technologiedatenbasis bildet die Grundlage für
die Simulation der zukünftigen Entwicklung an
Fahrzeugtechnologien. Sie dokumentiert mögliche
technische Entwicklungen des jeweiligen Verkehrs
trägers bis zum Jahr 2050 differenziert nach Größen
klasse und Antriebsart und ist im Straßenverkehr mit
Kostenannahmen versehen. Die künftige Effizienz
entwicklung im Straßenverkehr wird über das
Neuzulassungsmodell und Bestandsmodell berechnet.
Im Neuzulassungsmodul wird in Abhängigkeit von
Inputgrößen wie zum Beispiel ökonomische Rahmen
bedingungen, politische Rahmenbedingungen und
Nutzeranforderungen an die Fahrzeuge (Jahresfahr
leistungen, Reichweiten) die Zusammensetzung der
Neuzulassungen ermittelt. Das Bestandsmodul
berechnet mittels spezifischer Überlebensraten der
Fahrzeuge und durchschnittlichen Fahrleistungen den
Bestand – differenziert nach Größenklasse, Antriebs
art und Haltergruppe. Im Gegensatz zum Straßenver
kehr setzen zum Beispiel beim Schienenverkehr
170
Effizienzmaßnahmen nicht nur beim einzelnen
Fahrzeug, sondern auch auf Systemebene an. Daher
wird für die übrigen Verkehrsträger kein Bestand
berechnet, sondern die Entwicklung der Technologien
und Verbräuche auf Systemebene ermittelt.
Die Entwicklung des Endenergiebedarfs des Verkehrs
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Modellierung von Verkehrsnachfrage und Fahrzeug
bestand und wird in dem Modul Bottom-up ermittelt.
Dazu werden die Daten zu Verkehrsnachfrage und
Fahrzeugbestand mit den Annahmen zum Energie
mix (Anteil von Biokraftstoffen, strombasierten
Kraftstoffen und fossilen Kraftstoffen) und den spezi
fischen Emissionsfaktoren der Kraftstoffe verknüpft.
7.1.5 Landwirtschaftsmodell LiSE
Das Landwirtschaftsmodell LiSE (LiSE steht für
Lifestock, Soil and Energy Emissions) ist ein
Excel-basiertes Modell des Öko-Instituts, das die
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung und der
Nutzung landwirtschaftlicher Böden in Deutschland
sowie die energiebedingten Emissionen aus Landund Gartenbau kalkuliert. Das Modell LiSE beinhaltet
alle relevanten Quellkategorien, Unterquellgruppen
und Gase, die nach den IPCC Guidelines zur Berech
nung der landwirtschaftlichen Emissionen erforder
lich sind. Das Modell setzt auf den Bestands- und
Strukturdaten der nationalen Treibhausgasinventare
auf und produziert Bottom-up-Emissionen für die
entsprechenden Quellgruppen. Als Eingangsdaten für
das Modell stehen externe Annahmen zu
Produktionsumfängen, dazu gehören insbesondere
Nutztierbestände, verschiedene Landbau- und
Tierhaltungsformen und deren Ertragsentwicklun
gen, Düngemittelanwendungen sowie Bioenergie
nutzungen und ökologische Vorrangflächen. Diese
Größen werden in Abgleich mit der Statistik, Fach
literatur und politischen Vorgaben extern vorgegeben
oder aus anderen Modellen des Öko-Institut-inter
nen Modellverbundes zur Landnutzung ermittelt.
Für die Berechnung der Emissionen aus dem Land
wirtschaftssektor sind vor allem die Annahmen aus
dem LULUCF-Modell FABio-Land in Bezug auf die
Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutzfläche
(zum Beispiel Verluste wegen Versiegelung oder
Moorwiedervernässung) und die unterschiedlichen
Nutzungsformen entscheidend. Aber auch innerhalb
des LiSE-Modells werden Informationen zur Flä
chenbelegung durch die Landwirtschaft generiert.
Dazu gehört zum Beispiel die Ausweisung des
Futterflächenbedarfs aus der Tierhaltung. Ferner
können Vorgaben zum Flächenanteil des ökologi
schen Landbaus gemacht werden sowie zum Anteil
ungedüngter Flächen (ökologischer Vorrangflächen,
Strukturelemente etc.). Über die Flächennutzung
wird der Stickstoffdüngereinsatz ermittelt. Dazu
wird der Düngebedarf der einzelnen Kulturen
hinterlegt. Je nach Stickstoffbedarf und verfügbaren
organischen Düngemitteln (Wirtschafsdünger,
Gärreste etc.) und verwendeten Anrechnungsregeln
für organische Stickstoffdünger wird der verblei
bende Bedarf mit mineralischem Stickstoff gedeckt.
Auf Ebene der Stickstoffflüsse kann die Gesamtbi
lanz als zentraler Umweltindikator in der Landwirt
schaft ausgewiesen werden.
Das Modul zur Nutztierhaltung umfasst alle relevan
ten Nutztierklassen und deren Methan-, sowie
direkte und indirekte Lachgasemissionen. Wichtigste
Aktivitätsgröße sind zunächst die Tierbestände
selbst. Hier gibt es eine Schnittstelle zu einem
einfachen Konsummodell, mit dem Verhaltensände
rungen und Selbstversorgungsgrade im Bereich des
Milch- und Fleischverzehrs quantifiziert und in das
Tiermodell zur Bestandsanpassung einfließen
können. Weitere wichtige Kenngrößen charakterisie
ren die Stallungen (stroh- beziehungsweise gülle
basiert, Anbindehaltung oder Freilaufsysteme) und
die Wirtschaftsdüngerlagerung. Bei letzterer wird
spezifiziert, welcher Anteil anaerob vergoren wird
und in welchem Umfang die Gärrestelagerung
gasdicht erfolgt. Über den gesamten Szenariozeit
raum können außerdem Leistungsparameter
(Milchleistung) und eine stickstoffoptimierte Fütte
rung berücksichtigt werden.
Das Modul für die energiebezogenen Emissionen
umfasst die mobile (Binnen- und Außenwirtschaft)
und die stationäre Energienutzung. Hier werden für
die Szenarien Annahmen zur Effizienz- und Energie
einsparung und der Wechsel auf regenerative
Energieträger für die Landwirtschaft kombiniert.
Mithilfe der im Inventar verwendeten Emissionsfak
toren werden aus dem resultierenden neuen Energie
mix die Treibhausgasemissionen ermittelt.
In einem zusätzlichen Modellmodul wird außerdem
das Bioenergiepotenzial der Landwirtschaft gemäß
den getroffenen Szenarioannahmen hochgerechnet.
Dabei werden Reststoffpotenziale (Gülle, Erntereste/
Stroh) ebenso wie mögliche Flächennutzungen
betrachtet (KUP, annuelle Kulturen als Kosubstrate
auf Ackerland, Paludikulturen auf Moorstandorten).
Zusätzlich werden in diesem Teilmodul auch die
Bioenergiepotenziale der Forstwirtschaft und der
Abfallwirtschaft (aus Waste_Mod, siehe Kapitel 7.1.7)
171
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
zusammengefasst, sodass das gesamte Bioenergie
potenzial aus Reststoffen, Forst- und Anbaubiomasse
eines Szenarios zentral für feste und flüssige Bio
energie sowie Biogas ausgewiesen werden kann.
7.1.6 LULUCF-Modell FABio
Die Flächenentwicklungen im LULUCF-Sektor
sowie Emissionsquellen und -senken werden mit
dem LULUCF-Modell FABio-Land2 des Öko-Instituts
modelliert. In FABio-Land sind alle Landnutzungs
kategorien abgebildet, die in der deutschen Bericht
erstattung berücksichtigt sind: Wald, Ackerland,
Grünland, Gehölze (Hecken etc.), terrestrische
Feuchtgebiete, Gewässer, Torfabbau, Siedlung und
sonstige Flächen. Die Flächen werden nach minera
lischen und organischen Böden3, sowie neuen
Flächen (Übergangszeit 20 Jahre) und bestehenden
Flächen (älter als 20 Jahre) differenziert. Zudem ist
in FABio-Land die Flächenkategorie „wiederver
nässte Moorstandorte“ aufgenommen. Hier können
für Acker- und Grünland auf organischen Böden
und für Torfabbauflächen unterschiedliche Vernäs
sungsintensitäten über Wasserstufen (mäßig
feuchtes Moorgrünland/Wasserstufe 2+ bis nasses
Moorgrünland/Wasserstufe 5+) sowie eine Nut
zungsform (zum Beispiel Paludikultur) eingestellt
werden. Als weitere Kategorie werden langlebige
Holzprodukte ausgewiesen.
Als Ausgangspunkt wird die historische Entwicklung
der Flächennutzung (Flächenänderungskoeffizienten)
und der zugehörigen Emissionen je Flächenkategorie
(Emissionsfaktoren) in Deutschland fortgeschrieben
(Mittelwert der letzten fünf Jahre). Berechnungen im
Modell FABio-Land erfolgen mit einer zeitlichen Auf
lösung von einem Jahr und reichen bis zum Jahr 2050.
Um die Auswirkung von Maßnahmen in Szenarien zu
modellieren, können auf dieser Basis durch ein
Steuerungsmodul die Flächenänderungen einzelner
2
FABio = Forestry and Agriculture Biomass Model
3
Im LULUCF-Sektor wird unterschieden zwischen orga
nischen Böden (Moore, Moorfolgeböden, Anmoore) und
mineralischen Böden.
172
Flächenkategorien angesteuert werden (zum Beispiel
Umbruchverbot für Grünland, anteilige Wiederver
nässung von Ackerland auf organischen Böden).
Zudem besteht die Möglichkeit, Emissionsfaktoren
über die Zeitachse zu verändern. Emissionsfaktoren
für die Waldfläche und für langlebige Produkte
werden nicht direkt in FABio-Land modelliert,
sondern können über eine Schnittstelle als Ergebnisse
aus externen Modellen eingelesen werden. Aktuell
werden so Ergebnisse aus den WEHAM-Szenarien
des Thünen-Instituts und aus dem Modell FABio-
Forest in die LULUCF-Modellierung integriert und
können für Szenarien ausgewählt werden. Eine
zweite Schnittstelle übergibt Daten zur Flächenent
wicklung von Ackerland, Grünland und vernässten
Flächen an das Agrarmodell LiSE (siehe Kapitel 7.1.5),
um so eine Konsistenz zwischen den beiden Modellen
zu gewährleisten.
Als wichtigste Ausgabeparameter des Modells FABio-
Land sind zu nennen: Flächenkulisse und Flächenän
derungen (ha je Flächenkategorie), THG-Emissionen
(Mio. t CO₂-Äq je Flächenkategorie) und die Abschät
zung der Kosten für Maßnahmen zur Wiedervernäs
sung von Mooren, Extensivierung der Waldbewirt
schaftung und der Reduktion des Torfabbaus.
7.1.7 Abfallmodell Wast_Mod
„Waste_Mod“ ist ein modulares Abfallmodell, welches
auf Basis von drei Modulen die Emissionen aus der
CRF-Kategorie 5 (nicht energiebedingte Emissionen
des Abfallsektors) abbildet. Die drei Module des
Modells bilden die relevanten Quellkategorien der
Abfall- und der Abwasserbehandlung ab.
→ Das erste Modul berechnet die Emissionen aus der
Deponierung basierend auf dem vom IPCC entwi
ckelten und vom Öko-Institut erweiterten Mul
ti-Phasen-Abfallmodell (Emissionen der Deponie
rung, Quellgruppe 5.A). Es werden die statistischen
Daten der aktuellen Emissionsberichterstattung als
Rahmendaten eingesetzt und die Treibhausgas
emissionen aus den Deponien berechnet. Darin
wird die aktuelle Situation der Altdeponien auf der
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
Basis der in der Vergangenheit erfolgten Ablage
rungen von Abfällen, deren Zusammensetzung und
Potenzial zur Bildung von Treibhausgasemissionen
ebenso berücksichtigt wie der Stand der Umset
zung der Abfälle und die bisher bereits erfolgten
Emissionen. Neben den Altdeponien werden die
Emissionen aus der Deponierung von Rückständen
aus mechanisch-biologischen Abfallbehandlungs
anlagen (MBA) im oben genannten Modell einbezo
gen. Zusätzlich können die Minderungswirkungen
der Maßnahmen zur Deponiebelüftung berück
sichtigt werden.
→ Im zweiten Modul werden die Emissionen aus der
biologischen Abfallbehandlung berechnet. Die
Daten zu Emissionen aus Bioabfallbehandlungsan
lagen und mechanisch biologischen Abfallbehand
lungsanlagen werden in Bezug zum Anlagen
durchsatz berechnet. Hierzu sind die während der
Bearbeitung vorliegenden aktuellen Daten zur
Abfallstatistik von Destatis und aktuelle Studien
zur Anlagentechnik auszuwerten. Die Entwick
lung des Anlagendurchsatzes erfolgt in Abhängig
keit von umgesetzten oder geplanten Maßnahmen
zur getrennten Erfassung und Verwertung von
Abfällen im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsge
setzes, wird aber auch beeinflusst von Maßnah
men des Klimaschutzplans zur Reduktion von
Lebensmittelabfällen.
→ Im dritten Modul werden für die Unterquellgrup
pen kommunale und industrielle Abwasserbe
handlung (5.D) und andere (5.E) die einwohnerspe
zifischen Rahmendaten eingesetzt und die
Emissionsfaktoren aus dem aktuellen Inventarbe
richt entsprechend der Annahmen zur Entwick
lung der Stickstoffgehalte im Abwasser und dem
Anschlussgrad an die öffentliche Kanalisation
fortgeschrieben.
7.1.8 Industriemodell WISEE-EDM
Das im Szenario für die Industrie verwendete
Industriemodul des WISEE-EDM 4 des Wuppertal
4
Wuppertal Institute System Model Architecture for
Energy and Emission Scenarios – Energy Demand Model
Instituts simuliert die Entwicklung des industriellen
Anlagenparks sowie die industriellen Energiebedarfe
und CO₂-Emissionen im zeitlichen Verlauf unter
Berücksichtigung von Produktionsmengen,
Reinvestitionszyklen, technologischer Entwicklung
sowie (standortspezifischer) Verfügbarkeit von
Energieträgern.
Die Datenbasis des Modells umfasst derzeit (Stand
2020) die folgenden Branchen: 5
→ für EU 27 + 3: Eisen und Stahl, Grundstoffchemie,
Raffinerien6
→ für Deutschland zusätzlich: Zellstoff und Papier,
Nichteisenmetalle, Zement, Kalk, Glas und
Gießereien
Energiebedarf und CO₂-Emissionen der industriellen
Produktion werden für die oben genannten Sektoren
auf der Grundlage der (angenommenen) physischen
Produktion von Gütern berechnet. Aggregierte Werte
– wie zum Beispiel die CO₂-Emissionen der deut
schen Stahlindustrie – werden im Modell dabei aus
den Eigenschaften und dem Betrieb der einzelnen,
im Modell erfassten, industriellen Anlagen errech
net. Die den Berechnungen zugrunde liegende
Datenbank umfasst:
→ circa 800 Produktionsstandorte in Europa. Die
Datenbank enthält auch die Verbindung zwischen
Standorten der chemischen Industrie und Raffine
rien durch Pipelines. Darüber hinaus können die
(zukünftigen) Anbindungen von Standorten an eine
CO₂- oder Wasserstoffinfrastruktur standortscharf
in Szenarien festgelegt werden.
→ circa 200 Technologien (zum Beispiel Hochofen,
Steamcracker, Drehrohrofen) mit ihrem jeweiligen
spezifischen Energiebedarf (differenziert nach
5
Die Entwicklung der Energienachfrage und der CO₂Emissionen in anderen Sektoren wird mittels ökono
metrischer Methoden berechnet.
6
Raffinerien wurden nicht mit dem WISEE-EDM sondern
als Teil des Umwandlungssektors berechnet.
173
Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland
25 Energieträgern), prozessbedingten Emissionen,
ausgewählten Stoffeinträgen und typischen
technischen Laufzeiten. Einbezogen sind Techno
logien auf dem europäischen Durchschnitts
standard der Jahre 2000 bis 2005 sowie die derzeit
beste verfügbare Technik (BVT) und angenommene
zukünftige Verfahren (zum Beispiel Reduktion von
Eisenerz mittels Wasserstoff).
→ mehr als 2.600 industrielle Produktionsanlagen.
Die Produktionsanlagen werden hinsichtlich der
verwendeten Technologie (siehe oben) und ihrer
Produktionskapazität spezifiziert. Bei besonders
energieintensiven Anlagen ist auch das Baujahr
hinterlegt, wodurch sich Reinvesitionszyklen
abschätzen lassen. Alle Produktionsanlagen sind
den jeweiligen Standorten zugeordnet.
Weitere Besonderheiten des Modells sind die Berück
sichtigung von Nebenprodukten der industriellen
Produktion (Dampf, Hüttengase und Wasserstoff) und
deren Einberechnung in den (verbleibenden) indus
triellen Energiebedarf an den durch entsprechende
Netzwerke verbundenen Standorten. Für die Produk
tion von Stahl und Grundchemikalien werden zudem
Bilanzen für ausgewählte Stoffmengen (Edukte und
174
Produkte) erstellt. Beim für die Chemieindustrie
verwendeten Investitionsmodul werden komplexe
Produktionsketten in Verbindung mit Transportmög
lichkeiten und Kosten von Zwischenprodukten in die
Berechnung einbezogen.
Die zukünftige Entwicklung der Produktionsmengen
zentraler energieintensiver Produkte wird abge
schätzt über heutige Verwendungszwecke, histori
sche Trends sowie angenommene Entwicklungen in
übergeordneten Treibern wie der soziodemografi
schen Entwicklung, dem Wachstum des Brutto
inlandsprodukts und der Veränderung von Konsum
mustern. Dabei wurden die in den anderen Sektoren
getroffenen Annahmen und die Einbettung der
industriellen Branchen in die europäischen und
globalen Märkte berücksichtigt.
Bezüglich der zukünftigen Entwicklung des industri
ellen Anlagenparks wurden nur Anlagentechnologien,
deren Funktionalität bereits heute in Pilot- und
Demonstrationsanlagen unter Beweis gestellt wurde
und die von Branchenexperten und Industrieanla
genherstellern als vielversprechend eingestuft
werden, berücksichtigt.
STUDIE | Klimaneutrales Deutschland
7.2 Szenarienvergleich
Einordnung der KN2050- und KNmin-Ergebnisse in die Bandbreiten existierender
Szenarien (95 Prozent THG-Emissionsminderung bis 2050 gegenüber 1990)
2015
2030
2050
Szenarien-
Szenarien-
bandbreite
bandbreite
(-95 % 2050)
Primärenergie-
Tabelle 6
Min
Max
KN2050
KNmin
(-95 % 2050)
Min
Max
KN2050
KNmin
EJ
14
8
10
8,6
8,8
6
9
6,6
6,7
Strombedarf
TWh
590
483
849
643*
613*
715
1.447
962*
958*
Anzahl
Mio.
0,5
2
7
6
5
5
17
14
14
Mio.
0
6
15
14
11
12
42
30
29
TWh
0
–
–
63
18
300
904
432
438
Mio. t
0
–
–
1
0
16
93
73
73
verbrauch
Wärmepumpen
Anzahl Batterie-elek. PKW
PtG/PtL-Einsatz
CCS
CO2
* Bruttostromverbrauch
Hinweis: Dieser Vergleich beinhaltet auch einige Szenarien mit einer geringeren THG-Emissionsminderung als um 95 Prozent gegenüber
1990, z. B. um 85 Prozent (Acatech et al. (2017) oder um 87,5 Prozent (ifeu et al. (2018)).
Acatech et al. (2017), BDI (2018), DENA (2018), ifeu et al. (2018), FZJ (2019), UBA (2019a), Fh-ISE (2020)
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Publikationen von Agora Energiewende
AUF DEUTSCH
Klimaneutrales Deutschland (Zusammenfassung)
In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein Zwischenziel von -65% im Jahr 2030
als Teil des EU-Green-Deals
Wie passen Mieterschutz und Klimaschutz unter einen Hut?
Wie weiter nach der EEG-Förderung?
Solaranlagen zwischen Eigenverbrauch und Volleinspeisung
Akzeptanz und lokale Teilhabe in der Energiewende
Handlungsempfehlungen für eine umfassende Akzeptanzpolitik
Zwischen Rekordhoch und Abschaffung: Die EEG-Umlage 2021 in Zeiten
der Corona-Krise
Der Doppelte Booster
Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Wachstums- und Investitionsprogramm
Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Eine Abschätzung der Emissionen 2020
Die Ökostromlücke, ihre Strommarkteffekte und wie die Lücke gestopft werden kann
Effekte der Windkraftkrise auf Strompreise und CO2-Emissionen sowie Optionen, um das 65-Prozent-Erneu
erbare-Ziel 2030 noch zu erreichen
Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2019
Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2020
Klimaneutrale Industrie
Schlüsseltechnologien und Politikoptionen für Stahl, Chemie und Zement
Charta für eine Energiewende- Industriepolitik
Ein Diskussionsvorschlag von Agora Energiewende und Roland Berger
Dialog „Energiewende und Industriepolitik“
Abschlussbericht
Flex-Efficiency
Ein Konzept zur Integration von Effizienz und Flexibilität bei industriellen Verbrauchern
Aktionsplan Lastmanagement
Endbericht einer Studie von Connect Energy Economics
Publikationen von Agora Energiewende
AUF ENGLISH
#1 COVID-19 China Energy Impact Tracker
How is the pandemic reshaping China’s energy sector?
How to Raise Europe’s Climate Ambitions for 2030
Implementing a -55% Target in EU Policy Architecture
Recovering Better!
Climate Safeguards for the proposed EU’s Proposed 1.85 trillion Euro 85-Trillion-Euro Budget
EU-China Dialogue on Green Stimulus Packages
Summary of a High-Level Discussion on 23 June 2020
Dual-Benefit Stimulus for Germany
A Proposal for a Targeted 100 Billion Euro Growth and Investment Initiative
Making the Most of Offshore Wind
Re-Evaluating the Potential of Offshore Wind in the German North Sea
Supporting the Energy Transition in the Western Balkans
The German Power Market: State of Affairs in 2019
State of Affairs in 2019
The Liberalisation of Electricity Markets in Germany
History, Development and Current Status
A Word on Low Cost Renewables
The Renewables Breakthrough: How to Secure Low Cost Renewables
Building sector Efficiency: A crucial Component of the Energy Transition
Final report on a study conducted by Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu),
Fraunhofer IEE and Consentec
Climate-neutral industry (Executive Summary)
Key technologies and policy options for steel, chemicals and cement
Distribution grid planning for a successful energy transition – focus on electromobility
Conclusions of a study commissioned by Agora Verkehrswende, Agora Energiewende and
Regulatory Assistance Project (RAP)
Alle Publikationen finden Sie auf unserer Internetseite: www.agora-energiewende.de
Publikationen von Agora Verkehrswende
AUF DEUTSCH
Ein anderer Stadtverkehr ist möglich
Neue Chancen für eine krisenfeste und klimagerechte Mobilität
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen
Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität
Weiter denken, schneller laden
Welche Ladeinfrastruktur es für den Erfolg der Elektromobilität in Städten braucht
Liefern ohne Lasten
Wie Kommunen und Logistikwirtschaft den städtischen Güterverkehr zukunftsfähig gestalten können
Städte in Bewegung
Zahlen, Daten, Fakten zur Mobilität in 35 deutschen Städten
Der Doppelte Booster
Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Wachstums- und Investitionsprogramm
Abgefahren!
Die Infografische Novelle zur Verkehrswende
Technologieneutralität im Kontext der Verkehrswende
Kritische Beleuchtung eines Postulats
Klimabilanz von strombasierten Antrieben und K
raftstoffen
Ausgeliefert – wie die Waren zu den Menschen kommen
Zahlen und Fakten zum städtischen Güterverkehr
E-Tretroller im Stadtverkehr
Handlungsempfehlungen für deutsche Städte und Gemeinden zum Umgang mit stationslosen Verleihsystemen
Studie: Verteilnetzausbau für die Energiewende
Elektromobilität im Fokus
15 Eckpunkte für das Klimaschutzgesetz
Klimabilanz von Elektroautos
Einflussfaktoren und Verbesserungspotenzial
Neue Wege in die Verkehrswende
Impulse für Kommunikationskampagnen zum Behaviour Change
Publikationen von Agora Verkehrswende
AUF ENGLISCH
Technology Neutrality for Sustainable Transport
Critical Assessment of a Postulate – Summary
Bike Sharing in a State of Transition
Action recommendations for German cities and municipalities in dealing with dockless systems
En route to Paris?
Implications of the Paris Agreement for the German transport sector
Distribution grid planning for a successful energy transition – focus on electromobility
Conclusions of a study commissioned by Agora Verkehrswende, Agora Energiewende and
Regulatory Assistance Project (RAP)
Shared E-Scooters: Paving the Road Ahead
Policy Recommendations for Local Government
Entering the home stretch
The German car makers facing the European CO2 limits for 2021
New Roads to Sustainable Travel
Communication Strategies for Behaviour Change
Supporting a U-Turn in Parking Policy
Facts and Figures
Towards Decarbonising Transport | 2018
A 2018 Stocktake on Sectoral Ambition in the G20
The new EU regulation on CO2 emissions from cars and
how it impacts carbon targets in Germany’s transport sector
The Future Cost of Electricity-Based Synthetic Fuels
Ensuring a Sustainable Supply of Raw Materials for Electric Vehicles
A Synthesis Paper on Raw Material Needs for Batteries and Fuel Cells
Transforming Transport to Ensure Tomorrow’s Mobility
12 Insights into the Verkehrswende
Alle Publikationen finden Sie auf unserer Internetseite: www.agora-verkehrswende.de
195/03-S-2020/DE
48-2020-DE
Wie gelingt uns die Energiewende? Welche
konkreten Gesetze, Vorgaben und Maßnahmen sind notwendig, um die Energiewende
zum Erfolg zu führen? Agora Energiewende
und Agora Verkehrswende wollen den Boden bereiten, damit Deutschland in den kommenden Jahren die Weichen richtig stellt. Wir
verstehen uns als Denk- und Politiklabore, in
deren Mittelpunkt der Dialog mit den relevanten energiepolitischen Akteuren steht.
Die Stiftung Klimaneutralität wurde gegründet, um in enger Kooperation mit anderen
Denkfabriken sektorübergreifende Strategien
für ein klimagerechtes Deutschland zu entwickeln. Auf der Basis von guter Forschung
will die Stiftung informieren und beraten –
jenseits von Einzelinteressen.
Unter diesem QR-Code steht
diese Publikation als PDF zum
Download zur Verfügung.
Agora Energiewende
Anna-Louisa-Karsch-Strasse 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-energiewende.de
info@agora-energiewende.de
Agora Verkehrswende
Anna-Louisa-Karsch-Strasse 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-verkehrswende.de
info@agora-verkehrswende.de
Stiftung Klimaneutralität
Friedrichstr. 140 | 10117 Berlin
T +49 (0)30 62939 4639
www.stiftung-klima.de
info@stiftung-klima.de
Agora Energiewende und Agora Verkehrswende sind gemeinsame Initiativen der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.