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Full text: Klimaneutrales Deutschland (Rights reserved)

Klimaneutrales Deutschland In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein Zwischenziel von -65 % im Jahr 2030 als Teil des EU-Green-Deals STUDIE IMPRESSUM STUDIE Klimaneutrales Deutschland: In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein Zwischenziel von -65 % im Jahr 2030 als Teil des EU-Green-Deals. IM AUFTRAG VON Agora Energiewende www.agora-energiewende.de info@agora-energiewende.de Agora Verkehrswende www.agora-verkehrswende.de info@agora-verkehrswende.de Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129 Stiftung Klimaneutralität www.stiftung-klima.de | info@stiftung-klima.de Friedrichstr. 140 | 10117 Berlin | T +49 (0)30 62939 4639 ERSTELLT DURCH Prognos AG Goethestr. 85 | 10623 Berlin Hans Dambeck, Florian Ess, Hanno Falkenberg, ­ Dr. Andreas Kemmler, Dr. Almut Kirchner, Sven Kreidelmeyer, Sebastian Lübbers, Dr. Alexander Piégsa, Sina Scheffer, Dr. Thorsten Spillmann, Nils Thamling, Aurel Wünsch, Marco Wünsch, Inka Ziegenhagen Öko-Institut e. V. Borkumstraße 2 | 13189 Berlin Dr. Wiebke Zimmer, Ruth Blanck, Dr. Hannes Böttcher, Wolf ­K ristian Görz, Dr. Klaus Hennenberg, Dr. Felix Chr. Matthes, M ­ argarethe Scheffler, Kirsten Wiegmann Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH Döppersberg 19 | 42103 Wuppertal Clemens Schneider, Dr. Georg Holtz, Mathieu Saurat, Annika Tönjes, Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer Prognos war in dieser Studie federführend für die übergreifende Ausgestaltung der Szenarien und die inhaltliche Gesamtprojektleitung. Darüber hinaus verantwortete Prognos die Sektoren Gebäude und Energiewirtschaft. Das Öko-­Institut war zuständig für Verkehr, Landwirtschaft, Abfall und LULUCF und die Herleitung der Emissionsminderungsziele. Das Wuppertal Institut bearbeitete den Sektor Industrie. Satz: Urs Karcher / UKEX, Melanie Wiener / GRAFIK­BUERO, ­Juliane Franz, Marica Gehlfuss / Agora Verkehrswende Satzkoordination: Ada Rühring / Agora Energiewende Titelbild: PPAMPicture/iStock 195/03-S-2020/DE | 48-2020-DE Version 1.1, November 2020 PROJEKTLEITUNG Alexandra Langenheld alexandra.langenheld@agora-energiewende.de Dr. Matthias Deutsch matthias.deutsch@agora-energiewende.de Marco Wünsch | marco.wuensch@prognos.com Inka Ziegenhagen | inka.ziegenhagen@prognos.com TECHNISCHER STEUERUNGSKREIS Agora Energiewende Dr. Patrick Graichen, Dr. Matthias Deutsch, ­Alexandra Langenheld, Frank Peter, Philipp D. Hauser, Fabian Hein, Mara Marthe Kleiner, T ­ horsten Lenck, Christoph Podewils, Georg ­Thomaßen, Wido K. Witecka Agora Verkehrswende Dr. Carl-Friedrich Elmer, Christian Hochfeld, Dr. Günter Hörmandinger, Dr. Urs Maier Stiftung Klimaneutralität Rainer Baake, Dr. Julia Metz, Martin Weiß DANKSAGUNG Erst das Engagement vieler weiterer Kolleginnen und ­Kollegen hat diese Studie möglich gemacht. Für die tatkräftige Unterstützung bedanken möchten wir uns daher bei Claudia Beckmeyer, Nikola Bock, Matthias Buck, Juliane Franz, Marica Gehlfuss, Janne Görlach, Andreas Graf, ­Manuela ­Henderkes, Shirin Langer, Steffi Niemzok, Dr. Philipp Prein, Ada Rühring, Fritz Vorholz. Die Verantwortung für die Ergebnisse in den Kapiteln 1 bis 5 liegt ausschließlich bei Prognos, Öko-Institut und Wuppertal Institut und für Vorwort und Einleitung bei Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität. Unter diesem QR-Code steht diese Publikation als PDF zum Download zur Verfügung. Unter diesem QR-Code steht die englische Zusammenfassung als PDF zum Download zur Verfügung. Bitte zitieren als: Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2020): Klimaneutrales Deutschland. Studie im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität www.agora-energiewende.de Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, das dritte Dürrejahr in Folge in Deutschland, ver­ heerende Waldbrände in Australien und Kalifornien, Rekordtemperaturen am Nord- und Südpol – die Warnungen der Wissenschaft werden Realität. Es ist daher gut, dass sich trotz COVID-19-Pandemie beim Klimaschutz zuletzt viel getan hat: Nicht nur die Europäische Union, Großbritannien, Japan, Südkorea und viele US-Bundestaaten haben Klimaneutralität bis 2050 als Ziel formuliert, auch China bekennt sich zur Klimaneutralität vor 2060. Das Paradigma der Klimaneutralität erfordert neue Zwischenziele für 2030, sowohl in Deutschland als auch in Europa. Die EU-­Kommission hat vorgeschla­ gen, dass Europa sein 2030-Klimaschutzziel von 40 Prozent auf mindestens 55 Prozent weniger Emissio­ nen erhöht, Dänemark will sogar minus 70 Prozent erreichen. Wie kann das funktionieren, ein Deutschland ohne Kohle, Erdöl und Erdgas zu schaffen? Und was ist dafür in den kommenden zehn Jahren nötig? Wir haben Prognos, das Öko-Institut und das Wuppertal Institut damit beauftragt, ein machbares Szenario für ein klimaneutrales Deutschland zu entwickeln, mit Wirtschaftlichkeit, Wahrung der Investitionszyklen und Akzeptanz als Kernkriterien. Das Ergebnis: Klimaneutralität 2050 und ein neues deutsches Zwischenziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 sind machbar, brauchen aber eine komplett andere Gangart in der Klimapolitik. Was das genau bedeutet, zeigt dieser Bericht. Wir wünschen eine angenehme Lektüre! Dr. Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende Christian Hochfeld, Direktor Agora Verkehrswende Rainer Baake, Direktor Stiftung Klimaneutralität Ergebnisse auf einen Blick: 1 Ein klimaneutrales Deutschland 2050 ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen Investitionszyklen in drei Schritten realisierbar. In einem ersten Schritt sinken die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent. Der zweite Schritt nach 2030 ist der vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden nicht vermeidbare Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen. 2 Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren. Kernelemente sind eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung, die smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. Dies steigert zugleich die Lebensqualität durch weniger Lärm und Luftschadstoffe. 3 Das als Teil des European Green Deal angepasste deutsche 2030-Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bedeutet eine deutliche Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende. Dazu gehören bis 2030 der vollständige Kohleausstieg, ein Erneuerbaren-Anteil am Strom von etwa 70 Prozent, 14 Millionen Elektroautos, 6 Millionen Wärmepumpen, eine Erhöhung der Sanierungsrate um mindestens 50 Prozent sowie die Nutzung von gut 60 TWh sauberen Wasserstoffs. 4 Die Weichen für Klimaneutralität 2050 und minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden in der nächsten Legislaturperiode gestellt. Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Richtung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er inklusiv ist und alle mitnimmt. 3 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 4 Inhalt Einleitung 9 In drei Schritten zur Klimaneutralität 2050 1 9 Ein Investitions- und Modernisierungsprogramm für Deutschland 10 Das Zwischenziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 12 Jetzt ist die Politik am Zug 13 Zusammenfassung 15 Der Weg zur Klimaneutralität 2050 ist zu einem Drittel beschritten 16 Was schon beschlossen ist: Klima­schutz­programm und Klimaschutzgesetz der Bundesregierung 18 Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 1 – 65 Prozent Minderung bis 2030 19 Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 2 – 95 Prozent Minderung der Emissionen 21 Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 3 – Kompensation der Restemissionen mit CCS und Negativemissionen 22 Drei Säulen der Transformation: Säule 1 – Energieeffizienz und Senkung des Energiebedarfs  24 Drei Säulen der Transformation: Säule 2 – erneuerbare Stromerzeugung und Elektrifizierung 2 3 25 Drei Säulen der Transformation: Säule 3 – Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff 29 Szenario Klimaneutral 2050 im Überblick 31 Methodik und Rahmenannahmen  33 2.1 33 Zielsetzung der Studie 2.2 Treibhausgas-Emissions­minderungsziele 33 2.3 Methodik 38 2.4 Rahmendaten 42 Ergebnisse Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050)  45 3.1 Übersicht 45 3.2 Energiewirtschaft  49 3.2.1 Zielbild und Ausgangslage  49 3.2.2 Stromnachfrage 50 3.2.3 Stromerzeugung  51 3.2.4 Installierte Leistung und Flexibilität des Stromsystems 54 3.2.5 Fernwärmeerzeugung 58 3.2.6 Mineralölraffinerien 59 3.3 Industrie 60 3.3.1 Zielbild und Ausgangslage 60 3.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen 60 3.3.3 Energieeinsatz und Treibhausgas­emissionen 62 3.3.4 Einblicke in die Transformation der I­ndustriebranchen 65 5 Inhalt 3.4 3.5 3.6 6 74 3.4.1 Zielbild und Ausgangslage  74 3.4.2 Entwicklung der Gebäudeflächen  76 3.4.3 Effizienzentwicklung Gebäudehülle: e ­ nergetische Sanierungen 77 3.4.4 Absatz Wärmeerzeuger und Heizungsstruktur  79 3.4.5 Endenergieverbrauch und THG-Emissionen  81 Verkehr 85 3.5.1 Zielbild und Ausgangslage 85 3.5.2 Verkehrsnachfrage 87 3.5.3 Neuzulassungen und Bestand 92 3.5.4 Endenergiebedarf und THG-Emissionen 95 3.5.5 Sensitivität Markthochlauf Elektro­fahrzeuge 100 Landwirtschaft, Abfall und LULUCF 104 3.6.1 Landwirtschaft 104 3.6.2 Abfallsektor 112 3.6.3 LULUCF 112 3.7 Bioenergie 114 3.8 Negative Emissionen und CCS  117 3.8.1 CO₂-Abscheidung 118 3.8.2 CO₂-Infrastruktur 119 3.8.3 Dauerhafte CO₂-Speicherung 119 3.8.4 Negative Emissionen  122 3.9 4 Gebäude  Wasserstoff 124 3.9.1 Wasserstoffbedarf und -infrastruktur 124 3.9.2 Wasserstofferzeugung 126 3.9.3 Wasserstoffkosten 127 3.9.4 Synthetische Energieträger  128 Ergebnisse Klimaneutral Minimalvariante (KNmin)  131 4.1 Übersicht 131 4.2 Energiewirtschaft 135 4.2.1 Zielbild 135 4.2.2 Stromnachfrage 135 4.2.3 Installierte Leistung und Stromerzeugung 138 4.2.4 Fernwärmeerzeugung 138 4.2.5 Mineralölraffinerien 139 Inhalt 4.3 4.4 4.5 4.6 Industrie 139 4.3.1 Zielbild 139 4.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen 140 4.3.3 Treibhausgasemissionen 140 4.3.4 Energieeinsatz 140 4.3.5 Zugrunde liegende Entwicklungen in den Industriebranchen 142 Gebäude 144 4.4.1 Zielbild 144 4.4.2 Effizienzentwicklung und Beheizungsstruktur  144 4.4.3 Endenergieverbrauch und THG-Emissionen  147 Verkehr 150 4.5.1 Zielbild  150 4.5.2 Verkehrsnachfrage 150 4.5.3 Neuzulassungen und Bestand 150 4.5.4 THG-Emissionen und Endenergie 151 Landwirtschaft, LULUCF, Abfall 154 4.6.1 Landwirtschaft 154 4.6.2 Abfallsektor 155 4.6.3 LULUCF 155 4.7 Negative Emissionen und CCS 156 4.8 Wasserstoff 156 5 Schlussfolgerung  159 6 Literatur 161 7 Anhang 167 7.1 Modelle 167 7.1.1 Strommarktmodell 167 7.1.2 Private-Haushalte-Modell 168 7.1.3 GHD-Modell 169 7.1.4 Verkehrsmodell TEMPS 169 7.1.5 Landwirtschaftsmodell LiSE  170 7.1.6 LULUCF-Modell FABio 172 7.1.7 Abfallmodell Wast_Mod  172 7.1.8 Industriemodell WISEE-EDM 173 7.2 Szenarienvergleich 175 7 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 8 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Einleitung Das Jahr 2020 wird als das Jahr der COVID-19-Pan­ demie in die Geschichtsbücher eingehen. Der bei­ spiellose Kampf zur Rettung von Menschenleben in allen Ländern der Welt, die massiven Einschränkun­ gen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gab es so bis dato noch nicht. Schnelle Ent­ scheidungen waren plötzlich an der Tagesordnung; die Politik hat gezeigt, wozu sie in Krisensituationen fähig ist. Es ist gut möglich, dass das Jahr 2020 auch noch aus einem weiteren Grund in die Geschichte eingeht: als das Jahr der Trendwende bei den globalen CO₂-Emis­ sionen. So verfolgen viele Länder eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Green-Recovery-Strate­ gie. Aufbauhilfen für Industrien werden inzwischen vor dem Paradigma der Klimaneutralität diskutiert, schließlich sollen die Hilfen nicht als Fehlinvestitio­ nen enden. Im Ergebnis ist es daher gut möglich, dass 2019 mit gut 33 Gigatonnen CO₂ das Peak-Jahr der energiebedingten globalen CO₂-Emissionen war. Von nun an beginnt der globale Wettlauf in Richtung Klimaneutralität. Dabei geht es zum einen um einen Wettlauf gegen die Dynamik des Klimawandels. Schon heute beträgt die Erderwärmung 1,1 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Um die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf „deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaschutzabkommen vorsieht, müssen die globalen Treibhausgasemissionen schnell und deutlich sinken. Zum anderen geht es dabei aber auch um einen wirtschaftlichen Wettlauf: Welche Länder werden in der globalen Ökonomie die technologi­ schen Vorreiter sein? Wo werden die zentralen Produkte für eine klimaneutrale Weltwirtschaft hergestellt? Die jüngsten strategischen Ankündigun­ gen aus China und Kalifornien (etwa zum angestreb­ ten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035) zeigen, dass dieses Rennen bereits begonnen hat. Ein klimapolitischer Aufbruch in Deutschland und Europa liegt daher in der Luft. Klimaneutralität bis 2050 ist bereits beschlossen, höhere Zwischenziele bis 2030 stehen vor der Entscheidung. Der European Green Deal bildet dabei den Rahmen, bis Sommer 2021 wird ein umfangreiches Aktionspro­ gramm vorliegen. Die vorliegende Studie formuliert, was das für Deutschland bedeutet, also wie Klimaneutralität 2050 und verstärkte Anstrengungen bis 2030 national aussehen können. In drei Schritten zur Klimaneutralität 2050 Ein klimaneutrales Deutschland 2050 ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen Investitionszyklen in drei Schritten realisier­bar. In einem ersten Schritt sinken die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent unter das Niveau von 1990. Der zweite Schritt nach 2030 ist der vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden die nicht vermeidbaren Restemissionen durch CO₂-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen. Der Weg zur Klimaneutralität 2050, wie er in dieser Studie beschrieben wird, stellt einen aus Kosten­ sicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg dar. Hauptkriterien bei der Aus­ wahl der Maßnahmen waren Wirtschaftlichkeit und die Wahrung der Investitionszyklen. Das Ergebnis sind drei Schritte für die Zukunft – wohl­ wissend, dass ein Teil des Wegs durch die bereits erzielten Minderungsschritte der Vergangenheit und den bereits beschlossenen Maßnahmen schon zurückgelegt wurde. 9 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Der erste Schritt setzt für die nächsten zehn Jahre auf die bekannten und bewährten kostengünstigen Strategien und beschleunigt diese, um bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Die Minderung um 65 Prozent bis 2030 ergibt sich dabei aus drei Handlungssträngen: Erstens ist die schnelle Dekar­ bonisierung des Stromsektors durch Kohleausstieg und Erneuerbare-Energien-Ausbau zentral für die weiteren Schritte in den anderen Sektoren, da diese CO₂-armen Strom für ihre Klimaschutzanstrengun­ gen benötigen. Zweitens stehen in der Industrie zwischen 2020 und 2030 erhebliche Reinvestitionen an, die direkt in Richtung Klimaneutralität erfolgen müssen, um Stranded Assets in den 2030er- und 2040er-Jahren zu vermeiden. Und drittens bedeutet eine Erhöhung des EU-Klimaziels 2030 natürlich, dass die Emissionen auch im größten EU-Mitglieds­ staat Deutschland bis 2030 stärker sinken müssen als bisher vorgesehen. Im zweiten Schritt werden die Emissionen nach 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 95 Prozent auf ein Minimum reduziert. Dabei werden in Energie, Verkehr, Gebäude und Industrie nur noch klimaneut­ rale Technologien eingesetzt, sodass schlussendlich vollständig auf die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas verzichtet wird. Entscheidend für diese Phase der Transformation ist es, dass die Marktan­ teile für viele traditionelle Technologien (wie Ver­ brennungsmotoren, fossile Heizungssysteme, erdgasbasierte Chemieanlagen) im Zeitraum 2020 bis 2030 konstant sinken und ihr Geschäftsmodell nach 2030 vollständig der Vergangenheit angehört. Sich auf diese – globalen – Entwicklungstrends einzustel­ len ist sowohl für die Industrie- und Wirtschaftspoli­ tik als auch für die beteiligten Unternehmen eine der zentralen Aufgaben in den 2020er-Jahren. Der dritte Schritt neutralisiert die gar nicht zu vermeidenden Restemissionen weitgehend durch CO₂-Abscheidung und -Lagerung (englisch: Carbon Capture and Storage, CCS). Die Restemissionen stammen, bedingt durch die Tierhaltung, vor allem 10 aus der Landwirtschaft. Hintergrund ist hier, dass die Studie keine drastischen Änderungen der Ernäh­ rungsgewohnheiten voraussetzt, sondern lediglich aktuelle gesellschaftliche Trends fortgeschrieben wurden. Zudem sind in der Zementindustrie trotz des Einsatzes neuer Technologien Restemissionen zu erwarten. Der Ausgleich dieser verbleibenden etwa 60 Millionen Tonnen CO2e findet in Industrie und Energiewirtschaft statt, die CO₂ aus Biomasseanlagen und aus der Luft abscheiden. Die CO₂-Ablagerung könnte dann in leeren Gasfeldern oder tiefen geologi­ schen Formationen unter der Nordsee stattfinden. In den nächsten Jahren muss daher eine offene und ehrliche Diskussion über diesen letzten Schritt zur Klimaneutralität stattfinden. Dies umfasst zum einen die Konzeption einer umfassenden Biomassestrate­ gie, um Landwirtschaft, Naturschutz und Erforder­ nisse für die Klimaneutralität in Einklang zu bringen. Zum anderen gehört hierzu auch die Formulierung einer CCS-Strategie, die CO₂-Transportrouten innerhalb Deutschlands und zu möglichen CO₂Lager­stätten vorbereitet. Ein Investitions- und Modernisierungsprogramm für Deutschland Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, v ­ ergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er-/60er-­ Jahren. Kernelemente sind dabei eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr- und Wärme, eine smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. Dies steigert zugleich die Lebensqualität durch weniger Lärm und Luftschadstoffe. Der in dieser Studie vorgestellte Pfad in Richtung Klimaneutralität baut explizit nicht auf Verzicht oder Postwachstumsszenarien als notwendige Vorausset­ zung für Klimaneutralität. Stattdessen wird ein -12 Abfall 2030 -65 % 438 Reduktion Düngemittel und Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung, Energieeffizienz Landwirtschaft Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 6 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau Gebäude -111 -73 -207 Abfall -95 % 62 -100 % Abbildung ES 2050 BECCS, DACCS und grüne Polymere kompensieren Restemissionen Negative Emissionen Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung Landwirtschaft 90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut, ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung Gebäude Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr, weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr Verkehr 100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung Energiewirtschaft H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl, chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen Industrie H₂ = Wasserstoff * inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 2018 -52 Einführung DRI, Kohleausstieg, H2-Einsatz für Dampf -5 858 -72 Industrie -95 14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr -89 Verkehr -63 Kohleausstieg 2030, etwa 70 % EE-Stromerzeugung, Dekarbonisierung Fernwärme, Einsatz H2 -14 Energiewirtschaft -3 Maßnahmen im Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050) (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.) STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 11 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr bis 2050 unterstellt. Das Gutach­ ten basiert auf dem Kerngedanken, Deutschland durch öffentliche und private Investitionen zu modernisieren. Der Investitionsstau der letzten Jahre wird aufgelöst. Dabei werden Infrastrukturen wie das Energie- und das Verkehrssystem grundlegend erneuert und gleichzeitig langlebige Kapitalstöcke wie Gebäude und Industrieanlagen auf den moderns­ ten Stand gebracht. Diese Studie hat kein Business-as-usual-Szenario erarbeitet, gegenüber dem man die Mehrinvestitio­ nen beziffern könnte, die durch die Entscheidung für Klimaneutralität nötig werden – schließlich ist ein „Weiter so“ angesichts des globalen Handlungsdrucks beim Klima keine realistische Option mehr. Die BDI-Studie Klimapfade für Deutschland, die von Boston Consulting und Prognos 2018 veröffentlicht wurde, hat dies noch getan und beziffert die Mehrin­ vestitionen im 95-Prozent-Szenario auf 70 Milliar­ den Euro pro Jahr bis 2050. Nimmt man diese Summe an (auch wenn sie angesichts der konservativen Annahmen zum technologischen Fortschritt tenden­ ziell zu hoch geschätzt sein dürfte), entspricht sie knapp 10 Prozent der aktuellen Bruttoinvestitions­ summe Deutschlands – eine Investitionssteigerung, die angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase machbar erscheint. Die Schlüsseltechnologien für Klimaneutralität sind bekannt: Es geht um den Aufbau eines komplett auf Erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems, das 2050 mindestens 50 Prozent mehr Strom produ­ ziert als heute. Beim Straßenverkehr und in der Wärmeversorgung werden voraussichtlich stromba­ sierte Lösungen, das heißt Elektromobilität und Wärmepumpen, aufgrund ihrer hohen Effizienzvor­ teile global die Leittechnologien. Die effiziente Sanierung des Gebäudebestands und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für Industrie, Energie­ wirtschaft, Schiffs- und Flugverkehr sind weitere Kernbestandteile einer solchen Strategie. Als Resultat hat Deutschland 2050 eine erneuerte Strom- und 12 Verkehrsinfrastruktur, eine zukunftsfähige Wasser­ stoffindustrie, einen modernen Gebäudebestand sowie eine Industrie, die in den Zukunftstechnolo­ gien im globalen Wettbewerb vorne mitspielt. Diese Investitionen anzustoßen und durch Skaleneffekte Größenvorteile zu erlangen ist Aufgabe der Politik der nächsten Jahre. Damit wird zugleich auch die Lebensqualität gestei­ gert. Denn die Verkehrswende führt durch den Umstieg auf Elektromobilität zu einer deutlichen Reduktion der Luft- und Lärmbelastung, zudem reduzieren smarte Mobilitätsdienstleistungen die Zahl an Autostellflächen und schaffen Platz für Parks und die Freizeitnutzung innerstädtischer Flächen. Sanierte Wohngebäude, die mit Wärmepumpen oder Wärmenetzen versorgt werden, liefern im Winter behagliche Wärme und im Sommer angenehme Kühlung. Gerade mit Blick auf die durch den Klima­ wandel wärmer werdenden Städte sind diese Effekte als Teil einer effizienten Klimaneutralitätsstrategie ein wichtiger Bestandteil für lebenswertes Wohnen und ein gutes Leben im Jahr 2050. Das Zwischenziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 Das als Teil des European Green Deal angepasste deutsche 2030-Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bedeutet eine deutliche Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende. Dazu gehören bis 2030 der vollständige Kohleausstieg, ein Erneuerbaren-­Anteil am Strom von etwa 70 Prozent, 14 Millionen Elektroautos, 6 Millionen Wärmepumpen, eine Erhöhung der Sanierungsrate um mindestens 50 Prozent sowie die Nutzung von gut 60 TWh sauberen Wasserstoffs. Die erwartete Erhöhung des EU-2030-Klimaschutz­ ziels von bisher minus 40 Prozent auf künftig minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen wird auch für Deutschland nicht ohne Folgen bleiben. Eine Erhö­ STUDIE | Klimaneutrales Deutschland hung des EU-Ziels um 15 Prozentpunkte lässt sich für Deutschland in eine Erhöhung des bisherigen nationalen 2030-Ziels um 10 Prozentpunkte über­ setzen – von bisher minus 55 Prozent auf künftig minus 65 Prozent im Vergleich zu 1990. Die zusätzlichen Minderungen für ein nationales Ziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden vor allem in der Energiewirtschaft erbracht. Bis 2030 werden in dem hier vorgelegten Szenario gegenüber dem aktuellen Sektorziel des Klima­ schutzgesetzes weitere 77 Millionen Tonnen CO₂ gemindert. Im Kern bedeutet dies, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen und die Erneuerba­ ren Energien auf einen Anteil von etwa 70 Prozent des – durch die Sektorkopplung gestiegenen – Stromverbrauchs zu steigern. Der Kohleausstieg dürfte weitgehend marktbasiert erfolgen, da die EU-Kommission zur Umsetzung des höheren EU-Klimaziels eine Verschärfung des EU-Emissi­ onshandels vorschlagen wird und bei CO₂-Preisen etwa ab 50 Euro pro Tonne auch Braunkohlekraft­ werke unwirtschaftlich werden. Neben der beschleunigten Energiewende können durch einen beherzten Einstieg in die Wasserstoff­ wirtschaft im Industriesektor weitere 17 Millionen Tonnen CO₂ gegenüber dem aktuellen Sektorziel eingespart werden. Da ohnehin etwa die Hälfte der zentralen Industrieanlagen der deutschen Grund­ stoff­industrie in den nächsten zehn Jahren zur Reinvestition anstehen, gehen hier Klimaschutz und Modernisierung Hand in Hand. Vorreiter könnte die Stahlindustrie sein, in der ans Ende ihrer Lebenszeit kommende Hochöfen durch Direktreduktionsanla­ gen ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist eine Politik, die den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft strategisch vorantreibt. Neben einer beschleunigten Energiewende und dem Einstieg in die klimaneutrale Industrie gehören aber auch eine schnellere Verkehrs- und Wärmewende zum Schritt in Richtung minus 65 Prozent Treibhaus­ gase – auch wenn die zusätzlichen Minderungen von je 5 Millionen Tonnen gegenüber dem Minus-55-­ Pro­zent-Szenario überschaubar sind. Die im Szenario angenommene Zahl von 14 Millionen Elektroautos (inkl. Plug-in-Hybrid-Pkw) ist konsistent mit der Ankündigung der EU-Kommission, die CO₂-Flotten­ grenzwerte weiter zu verschärfen. In Kombination mit ergänzenden nationalen Politikinstrumenten führt dies dazu, dass 2030 etwa 80 Prozent der Neufahrzeuge Elektroautos (inkl. Plug-in-HybridPkw) sind. Angesichts der klaren Elektrostrategie in den Konkurrenzmärkten Kalifornien und China ist dies auch mit Blick auf die Sicherung der deutschen Automobilindustrie der richtige Schritt. Last, but not least, erfordert die Wärmewende den Aufbau einer Effizienzindustrie, die energetische Sanierung und die Fertigung von Wärmepumpen auf eine industrielle Basis heben. Die Kostenreduktionsund Skalierungspotenziale durch serielle, automati­ sierte Fertigungsanlagen in diesen Bereichen sind noch lange nicht ausgeschöpft. Um diese Beschleunigung von Energie-, Industrie-, Verkehrs- und Wärmewende zu erreichen, ist ein Instrumentenmix in der Politik erforderlich, der marktbasierte Anreize, Förderung und Ordnungsrecht intelligent kombiniert. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist sicherlich auch eine umfassende Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie, da die aktuellen Preisstrukturen die Weiternutzung von Erdöl und Erdgas eher fördern und der Nutzung von erneuerbarem Strom in Wärme, Verkehr und ­Industrie eher im Weg stehen. Jetzt ist die Politik am Zug Die Weichen für Klimaneutralität 2050 und minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden in der nächsten Legislaturperiode gestellt. Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Rich- 13 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland tung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er inklusiv ist und alle mitnimmt. Die Zeit der klimapolitischen Verzagtheit kommt an ihr Ende. Nach den beherzten Strategien aus Brüssel, China und Kalifornien ist es auch in Berlin an der Zeit, eine schnellere Gangart einzulegen. Die par­ teiübergreifende Unterstützung für den European Green Deal muss jetzt auch in Deutschland in ent­ sprechendem nationalem Handeln münden. In der ersten Hälfte der 2020er-Jahre gilt es einerseits, ein Paket kurzfristig wirkender Maßnahmen in Richtung 2030 zu beschließen und zugleich die Rahmenbedin­ gungen zu schaffen, die die Klimaneutralität bis spätestens 2050 erreichbar machen. Nur eine Politik, die sich konsequent daran ausrich­ tet, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, schafft Investitionssicherheit, weil sie vermeidet, unter dem Druck sich verschärfender Klimafolgen immer wieder korrigiert werden zu müs­ sen. Dies gilt auch für die Unternehmen: Es reicht nicht mehr, konform mit den aktuellen Grenzwerten und Vorschriften zu produzieren. So lange die eigene Unternehmensstrategie sich nicht auf Klimaneutrali­ tät vor 2050 ausrichtet und konsistent mit dem Pariser Abkommen ist, wird das Geschäftsmodell mittel- und langfristig nicht mehr tragfähig sein. Es gilt, „vor die Welle“ zu kommen, da nur so der Zugang zu den globalen Zukunftsmärkten gesichert wird. Dieser Umstieg braucht vorausschauende Politik und klare Regeln. Anstehende Investitionen in klimaneu­ trale Industrieanlagen und -prozesse benötigen die Sicherheit, dass klimaneutrale Produkte wettbe­ werbsfähig sein können – auch beim Export. Wettbe­ werbsnachteile für Unternehmen durch den Weg zur Klimaneutralität und die Beschleunigung der Ener­ giewende bis 2030 müssen vermieden oder ausgegli­ chen werden. 14 Gleichzeitig gilt es, den anstehenden Strukturwandel inklusiv und sozial ausgewogen zu gestalten. Viele Studien zeigen: Der Weg in Richtung Klimaneutralität schafft Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze – aber es wird Verschiebungen zwischen Branchen und Regionen geben. Es ist Aufgabe von Politik, Wirt­ schaft und Gesellschaft, vor diesem Strukturwandel nicht die Augen zu verschließen oder zu versuchen, ihn zu verlangsamen. Vielmehr geht es darum, die anstehenden wirtschaftlichen Veränderungen aktiv anzugehen, in den betroffenen Regionen neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze der Zukunft anzusiedeln, und so allen Betroffenen neue Chancen zu eröffnen. Die Herausforderung, bis 2050 ein klimaneutrales Deutschland in einem klimaneutralen Europa zu schaffen, ist groß, aber machbar. Eine weitere Legislaturperiode der klimapolitischen Leisetreterei ist damit jedoch nicht vereinbar. Aufgabe des Regie­ rungsprogramms 2021 wird es daher sein, die zentralen Politiken und Instrumente in Richtung Klimaneutralität zu formulieren und so mehr Klima­ schutz, eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, eine bessere Lebensqualität und eine inklusive Gestaltung des anstehenden Wandels zu ermöglichen. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 1 Zusammenfassung Diese Studie zeigt Wege auf, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Klimaneutral bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen in allen Bereichen vollständig oder fast vollständig vermieden und die Restemissionen durch negative Emissionen ausgeglichen werden. Insbesondere in der Landwirt­ schaft, aber auch in einzelnen industriellen Prozessen verbleiben auch 2050 Restemissionen. Diese Emissi­ onen werden nicht vermieden, sondern durch die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre und durch Ablagerung – sogenannte negative Emissionen mittels CCS-Technologie – ­ausgeglichen. Im Saldo wird Deutschland so klima­neutral. Die Studie stellt einen aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 dar. Als Zwischenschritt wird im Hauptszenario „Klima­ neutral 2050“ eine THG-Emissionsminderung Deutschlands von 65 Prozent bis zum Jahr 2030 erreicht. Eine Variante (Klimaneutral Minimalvari­ ante (KNmin)) untersucht auch eine Minderung von 60 Prozent bis 2030. Die Szenarien berücksichtigen nicht nur die ener­ giebedingten Emissionen, sondern die Treibhausgas­ emissionen sämtlicher Sektoren. Auch die oft vernachlässigten Sektoren Landwirtschaft, Abfall und Landnutzung werden detailliert betrachtet, ebenso wie Methan- und Lachgasemissionen bei der Nutzung von Biomasse sowie andere kleine Emissi­ onsquellen. Senken, das heißt die Kohlenstoffauf­ nahme durch Wälder und Böden, werden zwar nachrichtlich ausgewiesen, aber nicht als Beitrag zum Klimaschutz angerechnet. Datenlage und Prognosen in diesem Bereich sind nach wie vor sehr ungenau, zudem besteht aktuell eher die Gefahr, dass aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahr­ zehnten Wälder und Böden zu CO₂-Quellen statt CO₂-Senken werden. Die Bilanzierung der Treib­ hausgase erfolgt identisch zu der Bilanzierung in den Nationalen Inventar­berichten gemäß der Klimarah­ menkonvention. Zur Erreichung der Minderungspfade wurden diverse Maßnahmen angenommen und deren Effekte berechnet. Das Hauptkriterium bei der Auswahl war die Wirtschaftlichkeit. Maßnahmen mit geringeren CO₂-Vermeidungskosten wurden in der Regel vorgezogen. Aufgrund der notwendigen schnellen Transformation wurde auch immer die Frage der technischen Umsetzbarkeit und des möglichen Markthochlaufs mitbetrachtet. Der Fokus liegt auf Technologien mit geringen technischen und wirtschaftlichen Risiken. Der Einsatz von CCS wurde soweit es geht reduziert, wo immer möglich wurden alternative Technologien bevorzugt. Die Studie setzt explizit nicht auf Verzicht als not­ wendige Voraussetzung für Klimaneutralität: die Pro-Kopf-Wohnfläche steigt weiter und die Mobilität bleibt vollumfänglich erhalten. Bei der Ernährung wurden aktuelle Trends fortgeschrieben, wie ein moderat sinkender Milchkonsum, eine Verschiebung des Fleischkonsums hin zu mehr Geflügel sowie ein leichter Anstieg bei Biolebensmitteln. Der Indust­ riestandort Deutschland erhält sein hohes Produkti­ onsniveau. In der Studie wurde ein mittleres Wirt­ schaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr angenommen. Die ökonomischen Effekte der Klima­ schutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht. Studien (z.B. BDI 2018) zeigen jedoch, dass mit internationaler Kooperation ambitionierter Klima­ schutz ohne gesamtökonomische Einbußen umsetz­ bar sind. Es wurde angenommen, dass temporäre Wettbewerbsnachteile für Unternehmen beim Übergang zu einer klimaneutralen Produktion vermieden oder kompensiert werden. Insgesamt stellt der hier untersuchte Pfad ein realistisch-ambitioniertes Szenario dar, wie Deutschland auf Basis einer aktiven Klimapolitik 15 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland klimaneutral wird und dabei Wohlstand gemehrt und der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werden kann. Die Investitionen werden im Rahmen der normalen Modernisierungszyklen getätigt. Der Weg zur Klimaneutralität 2050 ist zu einem Drittel beschritten Energiepolitische Anstrengungen, den Energiever­ brauch aus Gründen der Versorgungssicherheit, Luftverschmutzung, knapper Ressourcen und geopolitischer Abhängigkeit zu senken, gibt es bereits sehr lange. Klimaschutzaspekte kamen erst später dazu. Nachdem 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro die UN-Klimarahmenkonvention beschlossen wurde, fand drei Jahre später in Berlin die erste UN-Klimakonferenz (COP-1) statt. Das dort verab­ schiedete „Berliner Mandat“ bildete die Grundlage für das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll, in dem verbindliche Ziele zur Emissionsminderung festgelegt wurden. Die EU-15 verpflichtete sich darin, die Treibhausgasemissionen, ausgehend von 1990, bis 2012 um 8 Prozent zu mindern. Im Rahmen der Lastenteilung innerhalb der EU verpflichtete sich Deutschland erstmalig international zu einer konkre­ ten Minderung von Treibhausgasemissionen. Ausgehend von 1990 konnte Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2018 um etwa 31 Prozent senken (bis zum Jahr 2019 auf Basis vorläufiger Zahlen um etwa 35 Prozent). Etwa ein Drittel der notwendigen Minderung bis zur Errei­ chung der Klimaneutralität ist also geschafft. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands wurden die größten Emissionseinsparungen bei der Energiewirtschaft erzielt. Insbesondere in den 1990er-­ Jahren spielte die Umstellung und Erneuerung der vorwiegend auf Braunkohle basierten Strom- und Die Entwicklung von 1990 bis heute (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) 1.251 Gebäude -161 Verkehr -93 -89 Energiewirtschaft 1990 UBA (2020) 16 Abbildung 1 Industrie -29 Abfall 858 -20 -2 Landwirtschaft 2018 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Wärmeversorgung in Ostdeutschland eine größere Rolle. Ab der Jahrtausendwende und der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) war der Zubau von Erneuerbaren Energien zur Stromerzeu­ gung der wesentliche Treiber für die Emissionssen­ kung. Von einem Anteil von nur 6,5 Prozent am Stromverbrauch im Jahr 2000 steigerte sich der Anteil bis 2018 auf 37,8 Prozent (2019: 42,1 Prozent). Die Stromerzeugung ist damit der Bereich, in dem Erneuerbare Energien am schnellsten Fuß gefasst haben und der die Basis für eine zunehmend emissi­ onsfreie Energieversorgung der anderen Sektoren geschaffen hat. Hauptsächlich durch die Einsparun­ gen bei der Stromerzeugung sanken die Emissionen im Sektor Energiewirtschaft bis 2018 um 161 Mio. t CO₂-Äq, trotz einer Steigerung der Brutto­ stromerzeugung um 17 Prozent und einem Rückgang des Kernenergieanteils am Strommix von 28 Prozent auf 12 Prozent. In der Industrie sanken insbesondere in den 1990er-Jahren die Treibhausgasemissionen vor allem durch die Schrumpfung der ostdeutschen Industrie und die Effizienzsteigerungen bei Produktionsprozes­ sen, die Herstellung von ressourceneffizienteren Produkten und die deutliche Senkung von industriellen Prozessemissionen. Zusätzliche Einsparungen ergaben sich durch den verstärkten Einsatz von strombasierten Produktionsprozessen. Seit etwa dem Jahr 2000 sind die Emissionen der Industrie kaum noch gesunken. Das relativ starke Wirtschaftswachstum hat die weiteren Einsparungen durch Effizienz und den Einsatz CO₂-ärmerer Brennstoffe kompensiert. Im Gebäudebereich sind die Emissionen seit 1990 deutlich und kontinuierlich zurückgegangen. Bis 2018 wurden die Emissionen um 44 Prozent gesenkt. Die Haupttreiber dafür waren der Einsatz von CO₂-ärmeren Brennstoffen, die Steigerung des Einsatzes von Erneuerbaren Energien, effizientere Heizungen (Einführung Brennwerttechnik), der Ausbau der Fernwärmenetze sowie die Effizienz­ gewinne durch die Gebäudesanierung und effizien­ tere Neubauten. Dank der getroffenen Maßnahmen sanken die THG-Emissionen bis 2018 deutlich – trotz der deutlichen Steigerung der Wohnflächen um 39 Prozent. Die vom Verkehr ausgehenden THG-Emissionen sind von 2000 bis 2009 zwar zwischenzeitlich leicht gesunken, liegen aber mittlerweile wieder auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 1990. Der Pkw-Verkehr gemessen in Personenkilometern nahm von 1991 bis 2018 um etwa 31 Prozent zu. Die Verkehrsleistung des Straßengüterverkehrs hat sich im selben Zeit­ raum in etwa verdoppelt. Auch wenn Verkehrs­ wachstum und Emissionen entkoppelt wurden, ist im Ergebnis festzustellen, dass dieser Sektor bisher keinen absoluten Beitrag zum Klimaschutz geleistet hat. In den vergangenen Jahren waren auch keine Minderungen bei den durchschnittlichen Emissionen neu zugelassener Pkw im Realbetrieb mehr zu verzeichnen. Ohne den steigenden Anteil an Bio­ kraftstoffen wäre sogar ein deutlicher Anstieg der THG-Emissionen des Verkehrssektors erfolgt. In der Landwirtschaft sanken die Emissionen vor allem in den 1990er-Jahren infolge des Rückgangs der Milchkuh- und Rinderbestände. Angesichts niedriger Milchpreise und knappen Grünfutters (Dürrejahre) nimmt die Zahl der Wiederkäuer aktuell weiter leicht ab. Die Stickstoffeinträge und damit die Lachgasemissionen aus den landwirtschaftlichen Böden sind seit den 1990er-Jahren auf hohem Niveau, allerdings sind in der Zeit auch die Erträge gestiegen und damit die Stickstoffeffizienz. Mit Verschärfung der Düngeverordnung, aber auch durch die Dürre in den letzten zwei Jahren, wurde weniger gedüngt und daher sinken aktuell die Emissionen aus den landwirtschaftlichen Böden. Im Abfallbereich konnten die Emissionen zwischen 1990 und 2018 bereits um 75 Prozent verringert werden. Dies lässt sich vor allem auf den Rückgang der Methanemissionen aus der Deponierung durch eine Reduktion der deponierten organischen Abfälle zurückführen. Das im Jahr 2005 erlassene Ablage­ rungsverbot für organische Abfälle führt seitdem zu 17 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland einem kontinuierlichen Rückgang der Methanemis­ sionen aus der Deponierung. Mit der Reduktion der deponierten Abfälle wird ein Großteil des Abfalls in Abfallverbrennungsanlagen verwertet, welche im Energiesektor bilanziert werden. Im Bereich der Abwasserbehandlung erfolgten weitere Emissionsre­ duktionen durch die Anschlusspflicht an die öffentli­ che Kanalisation und die verbesserten Abwasserund Klärschlammbehandlungen. Was schon beschlossen ist: Klima­schutz­ programm und Klimaschutzgesetz der Bundesregierung Im November 2016 verabschiedete die Bundesregie­ rung den Klimaschutzplan 2050. Deutschlands Langfristziel laut Klimaschutzgesetz ist es, bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu werden. Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 sinken. Die Bundesregierung konkretisiert im Klimaschutzplan auch das Klimaziel für 2030 in den einzelnen Sektoren. Mit dem im Herbst 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramm 2030 wurden erste Pflöcke zur Erreichung des Klimaziels 2030 eingeschlagen, zum Beispiel das Klimaschutzgesetz, das Kohleausstiegsgesetz und das Brennstoffemissionshandelsgesetz. Was schon beschlossen ist: Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) Abbildung 2 Klimaschutzgesetz 858 Verkehr Gebäude Landwirtschaft -130 -67 Energiewirtschaft -55 -47 543* -12 Industrie -5 Abfall -55 % 2018 * Sektorale Einsparvorgaben im Klimaschutzgesetz führen zu 56,5 % Einsparung gegenüber 1990. Klimaschutzgesetz (2020) 18 2030 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Entsprechend dem aktuellen Projektionsbericht für das BMU und den Energiewirtschaftlichen Projektio­ nen zum Klimaschutzprogramm 2030 für das BMWi reichen die aktuellen Politikmaßnahmen aber nicht aus, um das 55-Prozent-Minderungsziel zu errei­ chen. Es wird eine Ziellücke von drei bis vier Pro­ zentpunkten erwartet. Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 1 – 65 Prozent Minderung bis 2030 Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 ist ein wichtiger Zwischenschritt eine Emissionsminderung von 65 Prozent bis zum Jahr 2030. In den 2020er-­ Jahren wird sich entscheiden, ob Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts eine realistische Option ist. Auch bei einer Anhebung des EU-Minderungs­ ziels für 2030 von 40 auf 55 Prozent wird ein Beitrag von Deutschland in der Größenordnung von 65 Pro­ zent notwendig. Das bestehende Klimaschutzgesetz bietet eine gute Basis für zusätzliche Emissionseinsparungen. Das zusätzliche Minderungspotenzial gegenüber den bisherigen Zielen des Klimaschutzgesetzes ist in den Sektoren unterschiedlich hoch und unterschiedlich schwierig zu erschließen. Entsprechend den in dieser Studie durchgeführten Analysen und Berechnungen ist ein zusätzlicher Beitrag in den Bereichen Land­ wirtschaft und Abfall kaum möglich. Im Verkehr und Gebäudesektor sind durch zusätzliche Anstrengun­ gen jeweils 5 Mio. t zusätzliche Minderung möglich. Größere zusätzliche Einsparungen mit 17 Mio. t beziehungsweise 77 Mio. t sind in der Industrie und der Energiewirtschaft möglich. In der Energiewirtschaft können bis zum Jahr 2030 die Emissionen um 207 Mio. t CO₂-Äq gesenkt Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 1 – 65 Prozent Minderung bis 2030 (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) Gebäude Verkehr 14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr ÖPNV sowie Rad-, Fußund Schienenverkehr 858 Abbildung 3 Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 6 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau Landwirtschaft Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung -207 -73 -72 -52 438 -12 Energiewirtschaft Kohleausstieg 2030, etwa 70 % EE-Stromerzeugung, Dekarbonisierung Fernwärme, Einsatz H2 2018 Industrie Einführung DRI, Kohleausstieg, H2-Einsatz für Dampf -5 Abfall Ausweitung Deponiebelüftung -65 % 2030 Hinweis: H2 = Wasserstoff Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 19 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland werden. Gegenüber dem Sektorziel des Klima­ schutzgesetzes beträgt die zusätzliche Einsparung 77 Mio. t CO₂-Äq. Diese wird in erster Linie durch einen beschleunigten Kohleausstieg im Jahr 2030 und den erhöhten Zubau der Erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung erreicht. Die ab Ende der 2020er Jahre beginnende Wasserstoffnutzung in Kraftwerken und KWK-Anlagen trägt ebenfalls zum Rückgang bei. Der Kohleausstieg bis 2030 wird im Kontext mit einer Verschärfung des EU-Minde­ rungsziels auf 55 Prozent und einer Anpassung des EU ETS voraussichtlich weitgehend durch die dann veränderten Marktbedingungen für die Kohlever­ stromung erfolgen. Der Stromverbrauch steigt bis 2030 durch die zunehmende Elektrifizierung in allen Sektoren um 51 TWh beziehungsweise 9 Prozent im Vergleich zu 2018. Die Erneuerbaren Energien erreichen 2030 einen Anteil von etwa 70 Prozent am Bruttostrom­ verbrauch. Dafür werden Offshore-Windkraft auf 25 GW, Onshore-Windkraft auf 80 GW und Photo­ voltaik auf 150 GW ausgebaut. Um die Klimaziele in der Industrie erreichen zu können, werden in den zentralen Grundstoffindust­ rien neue Prozesse etabliert. Technologisch wird dies dadurch begünstigt, dass ohnehin etwa 50 Pro­ zent der zentralen Industrieanlagen der deutschen Grundstoffindustrie in den nächsten zehn Jahren zur Reinvestition anstehen. Vorreiter könnte die Stahlindustrie sein. Hier können ans Ende ihrer Lebenszeit kommende Hochöfen durch Direktre­ duktionsanlagen ersetzt werden, die vorwiegend mit Wasserstoff und kleineren Anteilen Erdgas betrie­ ben werden. Aber auch in anderen Branchen muss in neu zu entwickelnde Technologien auf der Basis von Strom oder (vor allem erneuerbarem) Wasserstoff investiert werden. Parallel dazu ist es aber auch erforderlich, die benötigten Infrastrukturen vor allem für eine Versor­ gung der Industrie mit Wasserstoff, aber auch CCS-Infrastrukturen für die Zement- und Kalkin­ 20 dustrie aufzubauen. Ebenso ist es wichtig, sehr schnell in eine stärkere Kreislaufführung und höhere Anteile sekundärer Rohstoffe zu investieren, damit diese Lösungen nach 2030 ihr volles Potenzial ausspielen können. Erste CCS-Anlagen in der Zementindustrie können schon 2030 in Betrieb sein. Im Gebäudebereich werden die zusätzlichen Minde­ rungen durch eine Veränderung der Heizungsstruk­ tur, den Ausbau der Wärmenetze sowie um etwa 50 Prozent erhöhte energetische Sanierungsraten erreicht. Beim Einbau von neuen Heizungen gewin­ nen Wärmepumpen bis Mitte der 2020er-Jahre große Marktanteile, insbesondere im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser werden sechs Millionen Wärme­ pumpen erreicht. Grüne Fernwärme gewinnt in urbanen Räumen eine stärkere Bedeutung. Nach 2025 werden nur noch in Ausnahmefällen neue Heizungen auf Basis von Heizöl oder Erdgas in Betrieb genommen. Im Verkehr findet eine Trendwende statt. Die persön­ liche Mobilität bleibt vollständig erhalten, aber sie verändert sich. Die Menschen fahren deutlich mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie dem Rad und gehen zu Fuß. Im Jahr 2030 werden bereits 14 Millio­ nen Elektro-Pkw (inkl. Plug-in-Hybride) im Bestand sein. Güter werden verstärkt auf der Schiene trans­ portiert und es wird fast ein Drittel der Fahrleistung im Straßengüterverkehr über elektrische Lkw mit Batterien, Oberleitungen und Brennstoffzellen erbracht. In der Landwirtschaft werden bis zum Jahr 2030 verfügbare technische Minderungsmaßnahmen umgesetzt, wie zum Beispiel die Vergärung von Wirtschaftsdüngern und verbesserte Lagerung und dem Einsatz von emissionsarmen Ausbringungstech­ nologien für Mist und Gülle. Gleichzeitig werden weitere Minderungen durch Änderungen der land­ wirtschaftlichen Produktion erreicht. Dazu gehören die Ausweitung des Ökolandbaus, eine Umstellung auf Kulturarten mit geringerem Stickstoffbedarf und die Reduktion der Tierbestände. Diese Änderungen STUDIE | Klimaneutrales Deutschland der Produktion spiegeln Veränderungen auf der Nachfrageseite wider: Es werden – entsprechend aktueller Trends – weniger tierische Produkte konsumiert und bei der Nachfrage nach Bioenergie wird es zu einer Verschiebung von gasförmigen zu festen Biobrennstoffen kommen. Im Abfallbereich sinken zwischen 2018 und 2030 die Methanemissionen aus der Deponierung weiter. Durch eine Ausweitung der Maßnahmen zur Deponiebelüftung wird die Reduktion der Methan­ emissionen beschleunigt. In den anderen Bereichen des Abfallsektors besteht bis 2030 nur geringes Reduktionspotenzial. Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 2 – 95 Prozent Minderung der Emissionen Ausgehend von 1990 sind 2030 bereits zwei Drittel der notwendigen THG-Einsparung bis zur Klimaneu­ tralität geschafft. Das letzte Drittel wird bis 2050 eingespart beziehungsweise kompensiert. Sektorübergreifend setzt sich in den zwei Dekaden bis 2050 der Trend der Elektrifizierung fort und Wasser­ stoff gewinnt als Sekundärenergieträger und Rohstoff eine zunehmende Bedeutung. Effizienzverbesserun­ gen helfen ebenso in allen Bereichen bei der Reduktion der Emissionen. Eine immer wichtigere Rolle spielt auch die Biomasse. Der Anbau verlagert sich stärker in Richtung feste Biomasse und der Einsatz konzentriert sich auf Bereiche, in denen keine guten Alternativen bereitstehen und die für CCS geeignet sind (vor allem Chemie- und Stahlindustrie). Schritt 2 - 95 Prozent Minderung ohne Negativemissionen (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) Gebäude Energiewirtschaft 90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut, ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung 100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung Industrie H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl, chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen Abbildung 4 Verkehr Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr, weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr Landwirtschaft Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung 438 -65 % -111 Abfall -95 62 -89 -63 -14 -3 2030 2050 * inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 21 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Im Detail ergeben sich die folgenden Entwicklungen bis hin zur Klimaneutralität in den Sektoren: → Im Bereich der Energiewirtschaft werden Erneu­ erbare Energien weiterhin kontinuierlich ausge­ baut. Der Stromverbrauch steigt von 2030 bis 2050 vor allem durch die weitere Elektrifizierung sowie die steigende Herstellung von Wasserstoff um 50 Prozent auf etwa 960 TWh. Der Fokus des EE-Zubaus nach 2030 liegt weiter auf der Winde­ nergie und Photovoltaik. Wasserstoff gewinnt zunehmend an Bedeutung und löst nach 2040 Erdgas als wichtigsten Energieträger für die Residualstromerzeugung ab. 2050 erfolgt die Strom- und auch Fernwärmeerzeugung vollstän­ dig CO₂-frei. → In der Industrie setzt sich der Trend hin zu Strom und Wasserstoff sowie teilweise Biomasse als Energieträger fort, sodass die Industrie bis 2045 weitestgehend klimaneutral ist. Auch die chemi­ schen Rohstoffe (Feedstocks) werden schon ab 2030 sukzessive durch chemisches Recycling und synthetische auf nicht fossilem CO₂ beruhende Einsatzstoffe ersetzt. Die Zementindustrie wird bis 2050 fast flächendeckend an CO₂-Infrastrukturen angeschlossen, sodass auch hier fast alle Emissio­ nen aufgefangen werden können. → Im Gebäudebereich werden auch nach 2030 Sanierungen und der Neubau von verbrauchsar­ men Gebäuden fortgesetzt. Im Jahr 2050 sind dann 90 Prozent der Gebäudefläche im Zeitverlauf seit dem Jahr 2000 saniert oder effizient neugebaut. Durch den fortschreitenden Einbau von Heizun­ gen, die CO₂-frei betrieben werden (14 Millionen Wärmepumpen) und den Anschluss von Gebäuden an Wärmenetze können die CO₂-Emissionen der Gebäude bis 2050 fast vollständig vermieden werden. → Die Personenverkehrsleistung insgesamt ver­ bleibt etwa auf dem heutigen Niveau. Durch die gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen über Pooling und den öffentlichen Verkehr steigt die Auslastung und es werden weniger Fahrzeugkilo­ meter zurückgelegt. Der verbleibende Straßenver­ 22 kehr wird mit einem Pkw-Bestand erbracht, der nahezu vollständig aus batterieelektrischen Fahr­ zeugen besteht. Der Güterverkehr auf der Straße wird durch einen Mix aus batterieelektrischen Lkw, Oberleitungs-­Lkw und Brennstoffzel­ len-Lkw auf den Weg zur Klimaneutralität gebracht. Gleichzeitig werden immer mehr Güter auf der Schiene transportiert. Der Luftverkehr und die Seeschifffahrt basieren vollständig auf dem Einsatz strombasierter Kraftstoffe. → In der Landwirtschaft werden bis 2050 weitere Minderungen über den Umbau der Tierbestände und die Vergärung hoher Wirtschaftsdüngeranteile in Biogasanlagen erreicht. Im Bereich der land­ wirtschaftlichen Böden ist wesentliches Redukti­ onspotenzial bereits bis 2030 erschlossen. Infolge des Rückgangs der Tierbestände und einer geän­ derten Nachfrage nach Bioenergie bestehen hier aber noch kleinere Potenziale durch den Anbau von weniger stickstoffintensiven Kulturarten und der angepassten Nutzung von Moorflächen. → Im Abfallbereich verbleiben im Jahr 2050 noch Restemissionen aus der Deponierung, der biologi­ schen Behandlung und der Abwasserbehandlung. Aufgrund der biologischen Prozesse lassen sich die Emissionen aus dem Abfallbereich nicht komplett vermeiden. Minderungen werden bis 2050 in allen Bereichen erzielt. Drei Schritte zur Klimaneutralität: Schritt 3 – Kompensation der Restemissionen mit CCS und Negativemissionen Residuale THG-Emissionen sind die Restemissionen, die sich nicht mehr durch Vermeidungsmaßnahmen weiter reduzieren lassen. Diese kommen vor allem im Landwirtschaftssektor durch biologische Prozesse in Böden (Düngemittel) und bei der Tierhaltung zu­stande. Auch bei industriellen Prozessen und in der Abfall­ wirtschaft verbleiben restliche Emissionen. Demgegenüber können die energiebedingten Treib­ hausgasemissionen durch den Einsatz erneuerbarer STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Schritt 3 im Detail – residuale THG-Emissionen und deren Kompensation in 2050 Restemissionen nach 95 % Minderung in Mio. t CO2-Äquivalente Abfall 62 60 2 Abbildung 5 Kompensation durch negative Emissionen in Mio. t CO2-Äquivalente -64 -8 -60 grünes Naphtha -50 50 Landwirtschaft 40 Gebäude 44 -34 20 10 Energiewirtschaft (Abfallverbrennung) 0 Industrie BECCS -30 30 Industrie (Prozessemissionen, Abfall) -40 -3 -20 -19 -10 BECCS 1 13 2 0 Energiewirtschaft DACCS Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) Energieträger nahezu völlig vermieden werden. Lediglich sehr geringe Mengen an Methan- und Lachgasemissionen durch Lagerung, Transport und Verbrennung von Biomasse und synthetischen Brennstoffen verbleiben. In Summe ergeben sich damit Restemissionen in Höhe von 62 Mio. t CO₂-Äq – das entspricht fünf Prozent der Emissionen des Jahres 1990. Diese werden vorwiegend durch den Einsatz von Biomas­ se-CCS, Direct Air Carbon Capture And Storage und der stofflichen Bindung von CO₂ in grünen Polymeren kompensiert. Entsprechend den Modellberechnungen liegen die negativen Emissionen in dem Szenario leicht über den Restemissionen, sodass die Emissio­ nen in Summe sogar leicht negativ sind. Bei diesen Technologien wird CO₂ aus der Atmosphäre direkt oder indirekt entnommen und langfristig eingelagert. → Bioenergy with carbon capture and storage (BECCS) ist die Abscheidung und geologische Lagerung von CO₂, das bei der Verbrennung von Biomasse entsteht. Da Biomasse bei nachhaltigem Anbau und Nutzung als Reststoff weitgehend CO₂-neutral ist, wird dadurch langfristig CO₂ aus der Atmosphäre entnommen. Der Einsatz von BECCS ist durch die Menge der nachhaltig ver­ fügbaren Biomasse begrenzt. → Als Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) bezeichnet man die Abscheidung von CO₂ direkt aus der Luft und seine anschließende Einlagerung in geeigneten geologischen Formationen. Durch Ventilatoren wird die Umgebungsluft eingesaugt und durch ein Sorptionsmittel gebunden. Der Energieaufwand und die Kosten für DACCS sind deutlich höher als für BECCS. → Grünes Naphtha/Stoffliche Bindung von CO₂ in grünen Polymeren: Mit aus der Luft über Direct Air Capture entnommenem CO₂ oder Biomasse werden mit aus Erneuerbaren Energien erzeugtem Wasser­ stoff zum Beispiel mittels Fischer-Tropsch-Syn­ these „grünes“ Naphtha oder andere Kohlenwas­ serstoffe hergestellt. Diese werden zu Polymeren und im Weiteren zu Kunststoffen verarbeitet. Durch ein verbessertes Recyclingsystem werden die Kunststoffe dauerhaft im Stoffkreislauf gehal­ ten. Hierdurch und durch Verwendung von CCS bei der Müllverbrennung kann eine Emission des 23 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland vorher aus der Atmosphäre gebundenen Kohlen­ stoffs vermieden werden. Beim Einsatz von BECCS spielt die Industrie eine wichtige Rolle. Gerade die hohen kontinuierlichen und räumlich konzentrierten Wärmebedarfe der Stahl- und chemischen Industrie bieten hier die Möglichkeit, Biomasse in großem Stil einzusetzen und das entstehende CO₂ entsprechend abzutren­ nen. Dieses wird dann über die für die Zementin­ dustrie ohnehin erforderliche CO₂-Infrastruktur gespeichert. Auch die fast vollständige Kreislauf­ führung von Kunststoffen, vor allem über chemi­ sches Recycling, ist ein wichtiger Beitrag der Industrie zur Klimaneutralität. Im Jahr 2050 wird mehr CO₂ aus der Atmosphäre entnommen als eingetragen wird. Die verbleibenden Emissionen sind vorwiegend Methan und Lachgas. Neben diesen Technologien gibt es weitere Optionen zur Erzeugung von negativen Emissionen, aus Kosten- und Potenzialgründen wurden aber nur die genannten Technologien genutzt. In den Szenarien werden Maßnahmen im Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirt­ schaft (LULUCF), zum Beispiel die Wiedervernässung von Mooren, unterstellt, die dafür sorgen, dass dieser Sektor auch langfristig eine CO₂-Senke bleibt. Damit wird durch die Maßnahmen im LULUCF-Sektor im Jahr 2050 eine Senke von -10 Mio. t CO₂-Äq erreicht. Allerdings kann das aktuelle Niveau der Senke von -27 Mio. t CO₂-Äq nicht gehalten werden. Natürli­ che Senken, also die Kohlenstoffaufnahme durch Wälder und Böden, werden nachrichtlich ausgewie­ sen, aber in dieser Studie nicht zur Erreichung der Klimaziele angerechnet. Drei Säulen der Transformation: Säule 1 – Energieeffizienz und Senkung des Energiebedarfs Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert sich der Primä­ renergieverbrauch, also der Energiegehalt aller in Deutschland direkt oder zur Umwandlung in Sekun­ därenergieträger genutzten Energieträger. Der Primärenergieverbrauch geht von heute ungefähr 13.000 Petajoule (PJ) auf etwa 6.600 PJ zurück. Der Verbrauch sinkt zum einen durch wesentlich geringere Verluste bei der Energieumwandlung und durch einen deutlichen Rückgang des Endenergie­ verbrauchs. Der Endenergieverbrauch sinkt im Zeitraum 2018 bis 2030 von etwa 9.000 PJ um 16 Prozent auf etwa 7.500 PJ. Bis 2050 sinkt der Endenergieverbrauch im Vergleich zu 2018 um etwa 35 Prozent auf 5.800 PJ. Wesentliche Treiber für den Rückgang sind Gebäudesanierungen, effizientere Beleuchtung, verbrauchsarme Geräte und deutliche Effizienzge­ winne im Verkehr durch die zunehmende Elektrifi­ zierung. Der zunehmende Einsatz von Wärmepum­ pen zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser senkt durch die Nutzung von Umwelt­ wärme den Einsatz von Brennstoffen. Im Umwandlungssektor ergeben sich im Zeitraum bis 2050 auch signifikante Primärenergieeinsparungen, insbesondere bei der Stromerzeugung. Während 2018 noch knapp drei Viertel der Stromerzeugung aus thermischen Kraftwerken mit entsprechend hohen Umwandlungsverlusten erfolgte, reduziert sich die brennstoffbasierte Stromerzeugung bis 2050 auf etwa 7 Prozent. Der größte Teil der Stromerzeugung erfolgt dann ohne Umwandlungsverluste aus Winde­ nergie und Photovoltaik. Neben der benötigen Menge an Primärenergie ändert sich bis 2050 auch die Energieträgerstruktur deut­ lich. Die Nutzung der fossilen Energieträger Kohle, Erdgas und Mineralöl geht bis 2050 vollständig 24 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Primärenergieverbrauch 14.000 12.000 Abbildung 6 13.129 1.802 Primärenergieverbrauch [PJ] 214 10.000 9.897 1 3.099 2.388 8.578 163 8.000 248 6.000 356 222 4.000 2.000 2.613 2.950 2.909 0 829 2025 2018 6.795 6.573 863 1.035 3.593 4.286 166 2.212 4.848 5.308 146 1.354 2.108 1.405 7.208 511 3.061 2.855 4.452 7.821 349 1.298 132 817 6 136 533 352 130 2030 2035 2040 2045 2050 PtX Strom Erneuerbare Energien nicht erneuerbare Abfälle fossile Gase Mineralöle Kohlen Kernenergie Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch. zurück. Kernenergie wird bereits nach 2022 nicht mehr verwendet. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär-​ energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr 2018, auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf 81 Prozent bis 2050. Importe von synthetisch erzeugten Energieträgern stellen 2050 etwa 16 Prozent der Primärenergie. Die restlichen 3 Prozent der Primärenergie entfallen 2050 auf sonstige Energieträger wie Abfall und geringe Mengen an importierten Strom. Drei Säulen der Transformation: Säule 2 – erneuerbare Stromerzeugung und Elektrifizierung Die Bedeutung von Strom nimmt auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft kontinuierlich zu. Strom kann bei vielen Endanwendungen sehr effizient eingesetzt werden. Insbesondere im Verkehr und Wärmemarkt ergeben sich deutliche Vorteile im Vergleich zu Verbrennungsmotoren und Heizkesseln. Die steigende Elektrifizierung und die Produktion von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff sind die Haupttreiber für den Anstieg des Stromverbrauchs bis 2050 auf etwa 960 TWh. Der Stromverbrauch im Jahr 2050 liegt dann 370 TWh höher als heute. Von dem Anstieg entfallen etwa 160 TWh auf den 25 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Verkehr, 130 TWh auf die Wasserstoffherstellung und etwa 70 TWh auf die Industrie. Leicht rückläufig entwickelt sich der Stromverbrauch im Gebäudesek­ tor. Effizienzverbesserungen bei Elektrogeräten, Beleuchtung und der Ersatz von Nachtspeicherhei­ zungen und Elektroboiler sparen mehr ein, als die Wärmepumpen brauchen. Die Erzeugung erfolgt vollständig klimaneutral. Dafür steigt die installierte Leistung von Onshore-Wind­ energie auf 130 GW, die von Offshore-Windenergie auf 70 GW und die Photovoltaikleistung auf 355 GW. Das Stromsystem im Jahr 2050 basiert zu 100 Pro­ zent auf Erneuerbaren Energien. Inklusive Wasser­ kraft und Biomasse decken Erneuerbare Energien im Jahr 2050 88 Prozent des Stromverbrauchs direkt ab, 7 Prozent entfallen auf Gaskraftwerke, die aus Erneuerbaren Energien erzeugten Wasserstoff als Brennstoff nutzen. Die restlichen 5 Prozent werden durch zwischengespeicherten oder importierten Strom gedeckt. Das Stromsystem wird deutlich flexibler: durch mehr Batteriespeicher, durch den flexiblen Einsatz von Wärmepumpen, Elektrolyseu­ ren und der Elektromobilität sowie einem intensi­ Bruttostromverbrauch Abbildung 7 1.200 +319 TWh 1.000 H₂/CO₂ 962 824 +49 TWh 738 595 574 0 2 127 123 124 120 117 168 169 269 290 304 133 129 123 130 137 145 12 31 226 216 214 236 2035 159 149 2030 200 130 133 2025 400 30 2050 600 60 44 2045 643 131 80 2040 800 2018 Bruttostromverbrauch [TWh] 882 128 74 0 2030 2050 Produktion 19 TWh H₂ 84 TWh H₂, 19 Mio. t CO₂ DAC 6 Mio. Wärmepumpen, Effizienz Elektrogeräte, effiziente Beleuchtung, Rückgang Direktstromheizungen 14 Mio. Wärmepumpen, Zunahme bei Kühlen und Lüften, Effizienz Wärmepumpen, Rückgang Direktstromheizungen, Effizienz Elektrogeräte Wärmepumpen, effiziente Beleuchtung Wärmepumpen, effiziente Beleuchtung 27 % der Fahrleistung im Straßengüterverkehr mit Batterien und Oberleitungen, 14 Mio. E-Pkw 78 % der Fahrleistung im Straßengüterverkehr mit Batterien und Oberleitungen, 30 Mio. E-Pkw Elektrifizierung Prozesswärme, strombasierte Dampfproduktion, effiziente Querschnittstechnologien Elektrifizierung Prozesswärme, CO₂-Abscheidung, strombasierte Dampfproduktion in Elektrokesseln und Hochtemperaturwärmepumpen Industrie Verkehr GHD PHH Fernwärmeerzeugung sonstige Umwandlung Elektrolyse (H₂) DAC Ladung Speicher Netzverluste KW-Eigenverbrauch Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. DAC = Direct Air Capture. PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Verbrauch von Speichern (brutto) beinhaltet Pumpspeicher und stationäre Batteriespeicher in der öffentlichen Versorgung. Der Stromverbrauch von Heimbatterien in Kombination mit PV-System wird hier nicht ausgewiesen. Bilanzierung nach AGEB. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 26 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland veren Stromhandel mit dem Ausland. Erneuerbare Stromerzeugung kann durch den damit möglichen räumlichen und zeitlichen Ausgleich auch bei hohen fluktuierenden Anteilen effizient genutzt werden. kraftwerke in Skandinavien und den Alpen. Im Vergleich zu heute können durch Stromexporte in diese Länder die Speicherstände – insbesondere im Sommer und Herbst – geschont werden und somit im Winter mehr Strom zur Verfügung gestellt werden. Der kurzfristige Ausgleich von Stromnachfrage und -angebot erfolgt dabei vorwiegend durch Batterie­ speicher, Lastmanagement und den Stromhandel. Der saisonale Ausgleich erfolgt im Wesentlichen durch die Erzeugung und Rückverstromung von Wasser­ stoff sowie durch die Nutzung der großen Speicher­ Nettostromerzeugung und Importsaldo 1.000 Abbildung 8 Zunahme der Erzeugung um 50 Prozent 934 900 863 801 Nettostromerzeugung [TWh] 800 711 700 600 614 611 541 500 216 400 6 79 300 28 848 675 546 3 200 102 135 4 8 25 37 134 72 69 20 2018 2025 100 0 435 306 75 771 11 3 2030 7 12 12 133 24 13 84 7 2035 2040 17 42 32 2 2045 Erneuerbare Wasserstoff Sonstige Braunkohle Speicher Erdgas Steinkohle Kernkraft 24 61 1 2050 Importsaldo 50 0 -50 -49 14 17 18 16 16 26 Hinweis: Sonstige Erzeuger: Kuppelgase, Abfall, Mineralöl, Sonstige. Speicher: Erzeugung aus Batterie- und Pumpspeichern. Prognos (2020) 27 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Erneuerbare Energien Abbildung 9 Installierte Leistung in GW Nettostromerzeugung in TWh 562 1 6 512 848 771 2 6 8 21 Wasserkraft 431 675 3 6 355 292 Photovoltaik 546 315 268 28 21 252 38 21 211 306 179 117 7 6 45 6 52 150 51 91 70 61 Wind Offshore 36 25 11 65 80 119 94 130 128 Wind Onshore 216 42 18 46 19 90 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Notwendiger mittlerer jährlicher Ausbau Bruttozubau, bei 25 Jahren Lebensdauer 2018 196 254 223 187 139 44 21 135 86 90 37 151 118 Abgeregelt 2018 233 435 7 6 7 6 331 18 21 352 5 6 4 21 Bioenergie 2025 182 -4 -15 2030 2035 270 288 -44 -49 2045 2050 239 -23 2040 Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch 2021–2030 10 GW Photovoltaik 17 % 38 % 69 % 100 %* 2010 2018 2030 2050 1,7 GW Wind Offshore 4,5 GW Wind Onshore Ausbaustärkste Jahrgänge der Vergangenheit: Photovoltaik: 8 GW (2010, 2012) Wind Offshore: 2 GW (2015) Wind Onshore: 5 GW (2014, 2017) Kumulierter Bruttozubau zwischen 2021 und 2030: Photovoltaik: 98 GW Wind Offshore: 17 GW Wind Onshore: 44 GW * Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom Prognos (2020) 28 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Drei Säulen der Transformation: Säule 3 – Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff Der Wasserstoffeinsatz von 40 TWh im Verkehr erfolgt überwiegend im schweren Güterkehr. Lastund Sattelzüge nutzen den Wasserstoff in Brenn­ stoffzellen als Energieträger. Zu kleineren Anteilen fahren auch leichtere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff. In einem klimaneutralen Energiesystem wird Was­ serstoff neben Strom eine sehr große Rolle spielen. Die Wasserstoffnachfrage im Jahr 2050 beträgt etwa 270 TWh. Davon werden 31 Prozent in Deutschland herstellt. Der restliche Wasserstoff wird importiert. Der größte Teil des Wasserstoffbedarfs entfällt auf die Stromerzeugung. In Zeiten, in denen eine Residual­ nachfrage besteht, wird Wasserstoff in Gaskraftwer­ ken als Brennstoff genutzt. Zum Teil erfolgt dies in Kraft-Wärme-Kopplung, sodass auch ein Teil der Fernwärme auf Wasserstoff basiert. Im Bereich der Objektbeheizung erfolgt aus Kostengründen kein Einsatz von Wasserstoff. Im Industriesektor dient Wasserstoff vorwiegend zur Direktreduktion von Eisenerz für eine CO₂-freie Stahlherstellung, als Rohstoff in der Grundstoffche­ mie und zur Erzeugung von Prozessdampf. CO₂-freie Wasserstofferzeugung und -nutzung in Deutschland Abbildung 10 Wasserstoffnachfrage Wasserstofferzeugung 117 63 0 Papier restliche Metalle Grundstoffchemie Roheisen, Stahl Straßengüterverkehr Mineralölverarbeitung 1 0,2 3 90 2 44 19 28 38 Importe 5 4 134 100 50 58 174 51 84 1 0 2050 29 108 7 184 2045 2035 22 150 8 6 172 2040 2030 50 156 31 200 2035 24 1 63 15 15 4 20 29 2050 35 38 2040 117 100 40 2030 47 150 34 225 36 2025 172 2045 200 250 Heizwert [TWh] 42 2025 Heizwert [TWh] 225 268 [Millionen Tonnen] 268 33 250 0 9 300 300 Wasserelektrolyse (Inland) Strom, Fernwärme Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff. 29 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Zusätzlich zum Wasserstoff werden auch weitere synthetische Energieträger in dem Szenario einge­ setzt. Im nationalen und internationalen Schiffs- und Flugverkehr werden CO₂-neutrale PtL-Kraftstoffe verwendet, in geringem Umfang auch noch im Straßenverkehr für die im Bestand verbleibenden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Zudem wird in der Industrie für die stoffliche Nutzung, die nicht durch die verstärkte Kreislaufwirtschaft abgedeckt werden kann, grünes Naphtha importiert. Stromba­ sierte Brennstoffe und grünes Naphtha werden nicht in Deutschland hergestellt, sondern importiert, in Summe etwa 120 TWh. Insgesamt ergibt sich für 2050 ein Bedarf an Was­ serstoff und sonstigen synthetischen Brennstoffen und Feedstocks in Höhe von 432 TWh, von denen 348 TWh importiert werden. 30 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Szenario Klimaneutral 2050 im Überblick Kernindikatoren des Szenarios Klimaneutral 2050 Abbildung 11 KN2050 2018 Treibhausgasemissionen* (Mio. t CO2-Äq.) 2030 2040 2050 2018– 2030 p. a. netto 2030– 2050 p. a. netto 98 123 89 65 58 5 438 65 1 45 43 18 24 52 3 185 85 2 -19 -30 0 1 44 2 -2 100 -10 -17 -6 -6 -4 -1 0 -35 -6 -8 -4 -3 -1 0 -22 Minderung im Vergleich zu 1990 (%) LULUCF (nachrichtlich) 305 195 162 117 70 10 858 31 -27 2 0 Primärenergieverbrauch (PJ), davon Kohlen Mineralöle Fossile Gase 13.129 2.909 4.452 3.099 8.578 349 2.108 2.613 7.208 34 817 1.354 6.573 0 2 3 -379 -213 -195 -41 -100 -17 -105 -131 Bruttostromverbrauch (TWh) EE-Anteil am Bruttostromverbrauch (%) Wind Onshore (GW) Wind Offshore (GW) Photovoltaik (GW) 595 38 52 6 45 643 69 80 25 150 824 82 119 51 252 962 100** 130 70 355 4 16 2 2 9 3 2 10 Anzahl Elektro-Pkw (inkl. Plug-in-Hybride, Mio. Stück) Güterverkehrsleistung Schiene (Mrd. tkm) Anzahl Wärmepumpen (Mio. Stück) Nutzenergiebedarf Wohngebäude (kWh/(m²∙a)) 0 135 1 106 14 190 6 85 32 210 11 71 30 230 14 60 1 5 0,4 -2 1 2 0,4 -1 Elektrolyseure in Deutschland (GW) Einsatz von Wasserstoff (TWh) Herstellung von erneuerbar erzeugtem H2 in DE (TWh) Import Wasserstoff (TWh) Import sonstiger synth. Brennstoffe u. Feedstocks (TWh) 0 0 0 0 0 10 63 19 44 1 25 172 38 134 8 51 268 84 184 164 1 5 2 4 0 2 10 3 7 6 Carbon Capture and Storage (Brutto-Menge, Mio. t CO2) Prozessemissionen und Abfall (Mio. t CO2) Negativemissionen (Mio. t CO2) Negativemissionen inkl. stofflicher Bindung (Mio. t CO2) Biomasse-CCS (BECCS, Mio. t CO2) Direct-Air-Capture-CCS (DACCS, Mio. t CO2) Importierte grüne Polymere (Mio. t CO2) 0 0 0 0 0 0 0 -1 -1 0 0 0 0 0 -22 -5 -17 -17 -15 -2 0 -73 -18 -56 -64 -37 -19 -8 0 0 0 0 0 0 0 -4 -1 -3 -3 -1 -1 0 Bevölkerung in Deutschland (Mio.) EU-ETS, EUR2019/t 83 16 83 52 81 70 79 90 0 3 0 2 Energiewirtschaft Industrie Verkehr Gebäude Landwirtschaft Abfall und sonstige Summe * Negativemissionen direkt in den Sektoren berücksichtigt. ** inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 31 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren Abfall Landwirtschaft Jährliche Emissionen [CO2-Äquivalente] Verkehr Gebäude 1.251 38 90 164 210 Historische Reduktion pro Jahr: 17 Mt CO2-Äq* 1.045 29 75 181 Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr: 909 11 73 165 Industrie 167 284 125 208 Energiewirtschaft 466 1990 Negative Emissionen werden direkt in den Sektoren berücksichtigt. 191 25 Mio. t CO2-Äq 858 10 70 750* 162 7 63 117 195 385 2000 344 133 438 91 5 58 2016 2018 -35 -28 -27 89 65 123 305 195 2020 Nachrichtlich: LULUCF -29 -65 % 649 159 * Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 32 Abbildung 12 -18 311 3 55 43 42 93 185 52 98 74 2025 2030 2035 43 45 2040 4 2 4 2 82 48 2045 -7 -2 44 2050 -10 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 2 Methodik und Rahmenannahmen 2.1 Zielsetzung der Studie Diese Studie zeigt Wege auf, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Klimaneutral bedeutet dabei, dass die Treibhausgasemissionen in allen Bereichen vollständig oder fast vollständig vermieden werden und die Restemissionen durch negative Emissionen ausgeglichen werden. Insbeson­ dere in der Landwirtschaft, aber auch in einzelnen industriellen Prozessen verbleiben auch 2050 noch Restemissionen. Diese Emissionen werden nicht vermieden, sondern durch die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre und Ablagerung – sogenannte negative Emissionen über die CCS-Technologie – ausgegli­ chen. Im Saldo wird Deutschland so klimaneutral. Die Studie stellt einen aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 dar. Als Zwischenschritt wird im Hauptszenario Klima­ neutral 2050 (KN2050) eine THG-Emissionsminde­ rung Deutschlands von 65 Prozent bis zum Jahr 2030 erreicht (zur Ableitung des Ziels vgl. Kapitel 2.2). Eine Variante – Klimaneutral Minimalvariante (KNmin) – untersucht auch eine Minderung von 60 Prozent bis 2030. 2.2 Treibhausgas-Emissions­ minderungsziele Klima- und Energiepolitik in Deutschland basieren seit Verabschiedung der ersten Emissionsminde­ rungsverpflichtungen im Juni 1990 (für den damali­ gen Geltungsbereich des Grundgesetzes) beziehungs­ weise vom November 1990 (für das vereinigte Deutschland) auf klaren quantitativen Zielen für die Minderung der nationalen Treibhausgasemissionen (Matthes et al. 2020). Diese zunächst auf das Jahr 2005 formulierten Vorgaben wurden im Zeitverlauf immer wieder aktualisiert, mit Blick auf den zeitli­ chen Horizont ausgeweitet sowie durch entspre­ chende Ziele in den Bereichen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sowie den Ausstieg aus der Kernenergienutzung ergänzt. Die aktuellen Emissi­ onsminderungsziele von 55 Prozent für das Jahr 2030 sowie 70 Prozent für das Jahr 2040 (jeweils gegen­ über 1990) wurden im Kontext des Energiekonzepts 2010/11 entwickelt (BMU 2011; Prognos/EWI 2010, 2011). Sie wurden dabei primär aus dem damals gesetzten Ziel einer Rückführung der Treibhausgase­ missionen um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 abgelei­ tet, die Variante einer Emissionsminderung um 95 Prozent wurde für diese Zwischenziele und die entsprechenden Modellanalysen letztlich nicht reflektiert. Das mit dem Klimaschutzprogramm 2030 (BMU 2019) neu formulierte Ziel von Treibhausgas­ neutralität bis zum Jahr 2050 hat bisher nicht zu einer Anpassung der Zwischenziele für 2030 und 2040 geführt. Um Deutschland auf einen Pfad in Richtung Klimaneutralität bis 2050 zu führen, ist somit eine deutliche Anhebung der bisherigen Zwischenziele für 2030 und danach notwendig. Die folgende Abbildung zeigt zunächst die Entwick­ lung der Treibhausgasemissionen für Deutschland seit 1990. → Bis zum Jahr 2018 – dem letzten Jahr, für das robuste Treibhausgasinventare vorliegen – sanken die gesamten Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 31,3 Prozent. Die ersten und mit noch erheblichen Unsicherheiten verbundenen Abschätzungen für 2019 zeigen eine Emissions­ minderung zwischen 35 und 36 Prozent. Das Emissionsniveau für das durch die COVID-19Krise geprägte Jahr 2020 lässt sich derzeit nicht robust abschätzen, es ist jedoch für die nächsten ein bis zwei Jahre wieder mit einem Anstieg der Emissionen zu rechnen. → Die Treibhausgasemissionen der Energiewirt­ schaft sind von 1990 bis 2018 um 35 Prozent 33 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland gesunken, wobei die Periode von 2000 bis 2014 durch eine weitgehende Stagnation der Emissi­ onsminderung geprägt war. Erst seit 2015 sinken die Emissionen der Energiewirtschaft wieder sehr deutlich. Für die Industrie (inklusive Industrie­ kraftwerke und Prozessemissionen) wurde bis 2018 eine Emissionsminderung von 31 Prozent erreicht, wobei hier die Emissionsminderung seit der Jahrtausendwende (und mit Ausnahme des Krisenjahrs 2009) weitgehend stagniert. Die Emissionstrends des nationalen Verkehrs sind durch drei verschiedene Phasen gekennzeichnet. Erstens ein deutlicher Anstieg der verkehrsbe­ dingten Emissionen um circa 11 Prozent in den 1990er-Jahren sowie zweitens dann bis zum Jahr 2009 ein Rückgang um 18 Prozentpunkte, das heißt auf ein Niveau von 7 Prozent unter dem von 1990. Seit 2010 steigen die Emissionen wieder deutlich und erreichten für 2018 nur einen Wert von 1 Prozent unter dem Basisniveau von 1990. Die Emissionen aus dem Gebäudesektor sind von 1990 bis 2018 in einem relativ stetigen Prozess um 44 Prozent gesunken, wobei die zwischenjährigen Schwankungen vor allem durch die Wetter­ schwankungen bedingt sind. Mit Blick auf das neu gesetzte Ziel von Klimaneut­ ralität für 2050 und den entsprechenden Zwi­ schenschritt für 2030 können die folgenden Ableitungen erfolgen: → Ein stetiger beziehungsweise linearer Trend zwischen dem Emissionsniveau für 2018 und dem Ziel der Klimaneutralität für 2050 führt für das Jahr 2030 zu einer Emissionsminderung von etwa 60 Prozent gegenüber 1990. → Der lineare Trend berücksichtigt jedoch nicht die Altersstrukturen der besonders emissionsintensi­ ven Kapitalstöcke beziehungsweise den Aufwuchs der jeweiligen Alternativoptionen. Vor allem deswegen wurden in den Vorbereitungsarbeiten zum Energiekonzept 2010/11 unterschiedliche Etappenziele definiert. Mit dem Emissionsminde­ rungsziel von 55 Prozent für 2030 sollte ein Anteil Historische Treibhausgasemissionen und nationale Treibhausgas-Emissionsminderungsziele Abbildung 13 [Millionen Tonnen CO2-Äquivalente] 1.500 1.000 -65 % 750 500 250 0 1990 Öko-Institut (2020) 34 gesamte THG-Emissionen 1.250 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Energiewirtschaft Industrie Gebäude Landwirtschaft Abfall Verkehr (ohne Luftverkehr) Luftverkehr national Luftverkehr international STUDIE | Klimaneutrales Deutschland von knapp 70 Prozent der bis 2050 angestrebten Emissionsminderung von 80 Prozent erzielt werden, bis 2040 betrug dieser Anteil 88 Prozent. Bei einer Übertragung dieser Strukturen auf das Ziel einer vollständigen Klimaneutralität bis 2050 wären die genannten Ziele von 70 beziehungsweise 88 Prozent jeweils die Zwischenziele für 2030 und 2040, jeweils im Vergleich zum Ausgangsniveau von 1990. Im Rahmen der hier vorgelegten Analyse kann und soll keine detaillierte Analyse der Emissionsminde­ rungspotenziale und -kosten für die verschiedenen Kapitalstöcke geleistet werden. Angesichts der diversen Unsicherheiten und auch der zwischenzeit­ lich auf sektoraler Ebene sehr unterschiedlich verlaufenden Emissionstrends wird das aus einer rein nationalen Perspektive abgeleitete Emissions­ minderungsziel für 2030 über einen pragmatischen Ansatz ermittelt. Als Mittelwert zwischen dem linearen Trend und dem zeitlichen Emissionsminde­ rungsprofil des Energiekonzepts 2010/11 ergibt sich für das Jahr 2030 ein Zielniveau für die deutschen Treibhausgasemissionen von etwa 65 Prozent unter dem Basiswert von 1990. Eine rein nationale Ableitung ist jedoch im Kontext der in der Europäischen Union geschaffenen Archi­ tektur der Klimaschutzpolitik nicht mehr ohne Weiteres möglich. Denn das Zielsystem der deutschen Klima- und Energiepolitik ist in zentralen Bereichen (Treibhausgasemissionen, Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energiequellen, Energieeffizienz etc.) auch eingebettet in die entsprechenden Rah­ mensetzungen der Europäischen Union (EU). Die bisher gültigen nationalen Ziele für Deutschland sind jedoch über längere Zeiträume und in unterschiedli­ chen Prozessen entstanden, sodass sie bisher nicht in allen Bereichen beziehungsweise in Gänze konsistent zu den zwischenzeitlich geschaffenen europäischen Rahmensetzungen sind. So stammt das aktuelle deutsche Treibhausgas-Emissionsminderungsziel für 2030 (55 Prozent gegenüber 1990) aus dem Jahr 2010, während die zentralen EU-Vorgaben in diesem Bereich erst mit der EU-Klimaschutzverordnung (Effort Sharing Regulation – ESR) und der Revision des EU-Emissionshandelssystems (European Union Emissions Trading System – EU ETS) im Jahr 2018 in Kraft gesetzt wurden.1 Grundsätzlich ist das aktuelle nationale Minderungs­ ziel für Deutschland von 55 Prozent gegenüber 1990 jedoch mit dem bisherigen EU-Zielsystem konsistent. Mit der anstehenden Erhöhung des Ambitionsni­ veaus für die Klimaschutzzusagen der EU im Rahmen des Klimaschutzabkommens von Paris (Nationally Determined Contributions – NDCs) wird auch die Architektur der EU-Klimaschutzpolitik angepasst werden müssen, daraus ergeben sich auch Konse­ quenzen für die Treibhausgas-Emissionsminderun­ gen, die in Deutschland erbracht werden müssen und entsprechend auch Anpassungsbedarf für die nationalen Ziele. Für die relativ komplexe Klimaschutzarchitektur der EU sind als internationale Verpflichtung zunächst die NDCs relevant: → Die Treibhausgas-Emissionsminderungszusage bezieht sich auf das Jahr 1990 und beträgt bisher 40 Prozent. Im Kontext des European Green Deals hat die Europäische Kommission eine Erhöhung dieser Verpflichtung auf 55 Prozent vorgeschlagen. → Einbezogen in diese Verpflichtung sind bisher alle Treibhausgasemissionen aus dem Energieeinsatz (einschließlich des gesamten nationalen und internationalen Flugverkehrs), aus Industriepro­ 1 Verordnung (EU) 2018/842 des Europäisches Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung ver­ bindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013 sowie Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2018 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Unterstützung kosteneffizienter Emissionsreduktionen und zur Förderung von Investitionen mit geringem CO₂Ausstoß und des Beschlusses (EU) 2015/1814 35 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland zessen und Produktverwendung, Landwirtschaft sowie der Abfallwirtschaft. Eine Anrechnung von Emissionen oder Kohlenstoffeinbindungen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (land use, land use change and forestry – LULUCF) sind für die NDCs bisher nur in begrenztem Umfang möglich. Im Zuge des European Green Deals kann es jedoch für die neue EU-Verpflichtung auch noch zu Veränderungen bei den sektoralen Erfassungsbereichen kommen. Die Umsetzung dieser Zusage innerhalb der EU bezie­ hungsweise durch die Mitgliedstaaten auf Ebene der Ziele erfolgt im Rahmen von zwei wesentlichen rechtlichen Regelwerken (zu Details siehe Öko-Insti­ tut; Agora Energiewende (2020)). → Die Richtlinie zum Europäischen Emissions­ handelssystem für Treibhausgase (European Union Emissions Trading System – EU ETS) reguliert die Emissionen aus der Energiewirtschaft und wesentlichen Teilen der Industrie sowie aus dem innereuropäischen Luftverkehr auf Basis eines EU-weiten Ansatzes. Die Einbeziehung von Emissionen der in der EU ankommenden und aus der EU abgehenden internationalen Flüge ist prinzipiell vorgesehen, bleibt aber derzeit ausge­ setzt, sodass dieses Segment, obwohl von den NDCs erfasst, bis auf Weiteres unreguliert bleibt. Das Emissionsziel des EU ETS wird über das Cap definiert. Dieses wird auf Grundlage eines Start­ niveaus und einer jährlichen Reduktion (über den sogenannten linearen Reduktionsfaktor – LRF) gesetzt.2 Aus Gründen der Vergleichbarkeit wird 2 36 Das Startniveau für die Ermittlung des Caps über den LRF ist mit dem Durchschnittswert des Caps für den Zeit­ raum 2008 bis 2012 vorgegeben, der LRF beträgt bis­ her 1,74 Prozent für den Zeitraum bis 2020 und 2,2 Pro­ zent ab 2021. Neben dem wie beschrieben ermittelten Cap wird die Zahl der im Markt verfüg­baren Emissions­ berechtigungen auch noch durch weitere Regelungen (die sogenannte Marktstabilitätsreserve – MSR, diverse Löschungsoptionen für Emissionsberechtigungen etc.) beeinflusst, die hier nicht weiter berücksichtigt werden. der Zielwert für das Cap immer auch im Ver­ gleich zum Basisniveau für das Jahr 2005 angege­ ben, derzeit wird hier eine Minderung von 43 Prozent vorgegeben. → Die EU-Klimaschutzverordnung (Effort Sharing Regulation – ESR) reguliert alle anderen Treibhaus­ gas-Emissionsquellen sowie die Quellen und Senken aus LULUCF. Hier werden die Emissions­ ziele jedoch nicht nur auf Ebene der EU festgelegt, sondern auf die einzelnen Mitgliedsstaaten heruntergebrochen. Das zentrale Kriterium dafür bildet das einwohnerspezifische Bruttoinlandspro­ dukt. Als Basisniveau für die Zielbestimmung mit Blick auf das Jahr 2030 dient auch hier das Jahr 2005. Die Mitgliedsstaaten können die Zielerrei­ chung gemeinsam vorantreiben und (in sehr begrenztem Umfang) eine Reihe anderer Flexibili­ tätsmechanismen in Anspruch nehmen (Stilllegung von Emissionsberechtigungen des EU ETS zur Zielerfüllung im Rahmen der ESR). In begrenztem Umfang und unter sehr spezifischen Bedingungen können auch Netto-Emissionsminderungen aus LULUCF auf die Zielerreichung angerechnet werden. Für Deutschland beträgt die Minderungs­ vorgabe im Rahmen der EU-Klimaschutzverord­ nung derzeit 38 Prozent gegenüber 2005. Unterstellt man für die durch den EU ETS regulierten Wirtschaftsbereiche in Deutschland im Vergleich zur EU-weiten Vorgabe eine proportionale Emissions­ minderung, so resultiert eine gesamte Emissionsmin­ derung von etwa 53 Prozent (ohne Berücksichtigung des internationalen Flugverkehrs), hier nun gegen­ über dem Basisjahr 1990. Dieser Wert liegt leicht unter dem aktuellen deutschen Emissionsminde­ rungsziel von 55 Prozent, für das jedoch auch noch das im EU-Vergleich größere Potenzial kostengünsti­ ger Emissionsminderungen vor allem in der Energie­ wirtschaft in Betracht gezogen worden ist. Mit Blick auf die Novellierung der NDCs der EU liegen zwar Vorschläge für das übergeordnete Emissionsminderungsziel der EU vor, es müssen aber zur Ableitung der Konsequenzen für Deutsch­ STUDIE | Klimaneutrales Deutschland land noch weitere Annahmen für die Umsetzung im Rahmen der oben genannten rechtlichen Regel­ werke getroffen werden.3 → In den Analysen zum neuen Klimaschutzziel der EU herrscht breiter Konsens, dass die durch den EU ETS regulierten Energiewirtschafts- und Indust­ riesektoren den größeren Teil der Emissionsmin­ derung erbringen werden müssen. Mit Blick auf die Struktur der Kapitalstöcke, die Erneuerungszyklen sowie die Kostensituation ist in der Analyse von Öko-Institut und Agora Energiewende (Öko-Insti­ tut; Agora Energiewende (2020)) für ein Gesamte­ missionsminderungsziel von 55 Prozent gegenüber 1990 davon ausgegangen worden, dass ein robust ermitteltes Cap des EU ETS für die stationären Anlagen für 2030 auf einem Niveau von 61 Prozent (und damit um 18 Prozentpunkte mehr als bisher) unter dem Basiswert für 2005 liegen sollte. Darü­ ber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in Deutsch­ land mit einem vergleichsweise großen Anteil der Kohleverstromung ein größeres Emissionsminde­ rungspotenzial mit vergleichsweise günstigen Vermeidungskosten im Bereich der Energiewirt­ schaft über die CO₂-Bepreisung des EU ETS erschließbar ist. Würde die CO₂-Last der fossilen Stromerzeugung für Deutschland dem entspre­ chenden Mittelwert der EU-27 entsprechen, so ergibt sich unter Maßgabe der oben genannten Reduktionsvorgabe für den EU ETS mit Blick auf Deutschland ein Zielwert, der um circa 4 Prozent­ punkte über dieser EU-weiten Minderungsvor­ gabe, also 65 Prozent unter dem Startwert des Jahres 2005 liegt. Als Variantenrechnung für den Kontext eines übergeordneten Emissionsminde­ rungsziels von 50 Prozent würde auf gleicher methodischer Basis die Zielvorgabe für die vom EU 3 Den Analysen zur Folgenabschätzung für das neue Klimaschutzziel liegen teilweise sehr unterschiedli­ che Erfassungsbereiche für die Verpflichtung (LULUCF, Einbeziehung der Emissionen aus der internationalen Seeschifffahrt etc.) zugrunde, sodass eine unmittelbare Vergleichbarkeit mit den im Folgenden genannten Daten nicht gegeben ist. ETS regulierten Emissionen 52 Prozent für die EU-27 insgesamt beziehungsweise 55 Prozent für Deutschland betragen. → Für die über den EU ETS regulierten Treibhausga­ semissionen aus dem (innereuropäischen) Luftver­ kehr ergeben sich auf Grundlage der derzeitigen Regelungen des EU ETS entsprechende Emissions­ ziele von 45 beziehungsweise 35 Prozent im Vergleich zum Basisniveau von 2005. → Für den Regelungsbereich der ESR ergibt sich im Kontext eines 55-Prozent-Minderungsziels der EU-27 (im Vergleich zu 1990) sowie unter Maßgabe einer Emissionsminderung im EU ETS von 61 Pro­ zent für die stationären Anlagen eine EU-weite Emissionsminderungsvorgabe für den Erfassungs­ bereich der ESR von 47 Prozent (Öko-Institut, Agora Energiewende (2020)). Für die Variante eines übergeordneten 50-Prozent-Minderungsziels für die gesamten Treibhausgasemissionen sowie der oben genannten Beiträge des EU ETS würde für die EU-27 insgesamt ein ESR-Minderungsziel von 45 Prozent entstehen. Mit Blick auf die zukünftige Aufteilung der entsprechenden Minderungsver­ pflichtungen auf die Mitgliedsstaaten muss einerseits davon ausgegangen werden, dass angesichts des deutlich größeren Ambitionsni­ veaus die Bandbreite der berücksichtigten Indika­ toren im Vergleich zu den heutigen Regelungen deutlich steigen könnte (neben BIP gegebenenfalls auch Emissionstrends, Pro-Kopf-Werte etc.). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei relativ großen Spreizungen der länderspezifischen ESR-Verpflichtungen eine Inanspruchnahme der Flexibilitätsoptionen (vor allem der Handel zwi­ schen den Mitgliedsstaaten) wahrscheinlicher und wohl auch notwendig wird. Vor diesem Hinter­ grund sowie mit Blick auf die deutlich größere Homogenität der ESR-Sektoren in der EU-27 wird im Folgenden für Deutschland eine Minderung der durch die ESR regulierten Treibhausgasemissionen auf Basis der oben genannten Mittelwerte von 45 bis 47 Prozent unterstellt. → Insgesamt ergibt sich auf Grundlage dieser Annah­ men ein nationales Emissionsminderungsziel für 37 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Historische Treibhausgasemissionen und aus der EU-Zielarchitektur abgeleitete Treibhausgas-Emissionsminderungsziele Abbildung 14 EU-Emissionshandel (EU ETS, stationäre Anlagen) 750 500 [Millionen Tonnen CO2-Äquivalente] 250 -55 % -65 % -45 % -47 % -60 % -65 % 0 EU-Klimaschutzverordnung (ESD/ESR) 750 500 250 0 gesamte THG-Emissionen 1.250 1.000 750 500 250 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Energiewirtschaft Industrie Haushalte & GHD Landwirtschaft Abfall Verkehr (ohne Luftverkehr) Luftverkehr national Luftverkehr international Öko-Institut (2020) 2030 von 65 Prozent beziehungsweise von 60 Pro­ zent für die Variante einer geringeren Emissions­ minderungsvorgabe für die von ESR und ETS regulierten Bereiche. Der aus einer rein nationalen Perspektive abgeleitete Zielwert für die Emissionsminderung bis 2030 in der Größenordnung von 65 Prozent sowie die in Abbil­ dung 14 zusammengestellten Zielwerte für die einzelnen Regelungssegmente der EU-Klimaschutz­ architektur bilden damit die Grundlage für das KN2050-Szenario (minus 65 Prozent gegenüber 1990 im Jahr 2030) sowie die Variantenuntersuchung im KNmin-Szenario (minus 60 Prozent gegenüber 1990 im Jahr 2030). 38 2.3 Methodik In Zusammenarbeit von Öko-Institut, Wuppertal Institut und Prognos wurden im Rahmen dieser Studie zwei Szenarien modelliert. Ziel eines jeden Szenarios war die Erreichung von Klimaneutralität im Jahr 2050. Für das Zwischenjahr 2030 unter­ scheiden sich die Szenarien durch die vorgegebene Mindestminderung von 60 Prozent (KNmin) bezie­ hungsweise 65 Prozent (KN2050). Die Federführung der einzelnen Sektoren lag bei den verschiedenen Partnern. Das Öko-Institut hat die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Abfall und LULUCF federführend bearbeitet, das Wuppertal Institut den Industriesektor und Prognos den Gebäu­ desektor und die Energiewirtschaft. Die Gesamtpro­ jektleitung wurde von Prognos übernommen. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Die Szenarien berücksichtigen nicht nur die energie­ bedingten Emissionen, sondern die Treibhausgase­ missionen sämtlicher Sektoren. Auch die oft ver­ nachlässigten Sektoren Landwirtschaft, Abfall und Landnutzung werden detailliert betrachtet, ebenso wie Methan- und Lachgasemissionen bei der ­Nutzung von Biomasse sowie andere kleine Emissions­quellen. Senken, das heißt die Kohlenstoff­ aufnahme durch Wälder und Böden, werden zwar nachrichtlich ausgewiesen, aber nicht als Beitrag zum Klimaschutz angerechnet. Datenlage und Prognosen in diesem Bereich sind nach wie vor sehr ungenau. Zudem besteht aktuell eher die Gefahr, dass aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten Wälder und Böden zu CO₂-Quellen statt -Senken werden. Die Bilanzierung der Treibhausgase erfolgt auf Basis der Bestimmungen der Nationalen Inven­ tarberichte gemäß der Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Dementsprechend wird für alle Treibhaus­ gase das Treibhausgaspotenzial über einen Zeithori­ zont von 100 Jahren (GWP100) aus dem vierten Sach­ standsbericht (AR4) des IPCC zugrunde gelegt. formation wurde auch immer die Frage der techni­ schen Umsetzbarkeit und des möglichen Markthoch­ laufs mit betrachtet. Um möglichst robuste Szenarien zu erhalten, wurde ein Fokus auf Technologien mit möglichst geringen technologischen und wirtschaft­ lichen Risiken gesetzt. Der Einsatz von CCS wurde weitestgehend reduziert, stattdessen wurden – wo immer möglich – alternative Technologien bevorzugt. Zur Erreichung der Minderungspfade der betrachte­ ten Szenarien wurden in den einzelnen Sektoren diverse Maßnahmen angenommen und deren Effekte berechnet. Das Hauptkriterium bei der Auswahl war die jeweilige Wirtschaftlichkeit. Maßnahmen mit geringeren CO₂-Vermeidungskosten wurden in der Regel teureren Maßnahmen vorgezogen. Aufgrund der an vielen Stellen notwendigen schnellen Trans­ Insgesamt stellen die hier untersuchten Pfade damit realistisch-ambitionierte Szenarien dar, wie Deutschland auf Basis einer aktiven Klimapolitik klimaneutral wird und dabei gleichzeitig Wohl­ stand gemehrt und der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werden kann. Die Investitio­ nen werden im Rahmen der normalen Modernisie­ rungszyklen getätigt. Die hier vorgestellten Szenarien setzen explizit nicht auf Verzicht als notwendige Voraussetzung für Klimaneutralität. So geht die Studie von einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr aus, die Pro-Kopf-Wohn­ fläche steigt weiter und auch die Mobilität bleibt vollumfänglich erhalten. Im Bereich der Ernährung wurden gesellschaftliche Trends fortgeschrieben, so unter anderem ein moderater Rückgang des Milch­ konsums und eine Verschiebung des Fleischkonsums hin zu mehr Geflügel sowie eine leichte Steigerung hin zu mehr Biolebensmitteln. Der Industriestandort Deutschland erhält sein hohes Produktionsniveau. 39 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Sektorale Abgrenzung Die Abgrenzung der Sektoren in dieser Studie basiert auf der Einteilung nach dem Klimaschutzgesetz. Es werden sieben Sektoren unterschieden: Energiewirtschaft Der größte Bereich der Energiewirtschaft ist die öffentliche Stromversorgung inklusive der Einspeisung von Wärme in das öffentliche Wärmenetz. Darüber hinaus werden hier auch die gesamten Emissionen der Raffinerien (inklusive Kraftwerke), der Kraftwerke des Braunkohlebergbaus sowie die Emissionen der Abfall­ verbrennungsanlagen bilanziert. Der Brennstoffeinsatz aus Pipelineverdichtern und flüchtige Emissionen aus dem Kohlebergbau und Leckagen werden ebenso berücksichtigt. Hingegen nicht zur Energiewirtschaft zählen die Kraftwerke des verarbeitenden Gewerbes. Diese werden der Industrie z­ ugerechnet. Industrie Im Sektor Industrie sind gemäß der Abgrenzung des Klimaschutzplanes der Bundesregierung die energie­ bedingten Emissionen des Verarbeitenden Gewerbes und der Bauindustrie sowie die prozessbedingten Emissionen der Industrie. Des Weiteren werden hier auch die Emissionen abgebildet, die sich aus der Nutzung von Produkten ergeben. Raffinerien und eigenständige Kokereien gehören zwar zum Verarbeiten­ den Gewerbe, sind hier jedoch ausgenommen und dem Sektor Energiewirtschaft zugerechnet. Gebäude Der Gebäudesektor umfasst hier den Energieverbrauch der Sektoren Private Haushalte und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Im Gegensatz zur deutschen Energiebilanz wird der Verbrauch des bauwirt­ schaftlichen Verkehrs dem Industriesektor zugerechnet und der Energieverbrauch der Landwirtschaft wird im Sektor Landwirtschaft ausgewiesen. In dieser Abgrenzung umfasst der Gebäudesektor nebst dem Verbrauch für gebäudebezogene Anwendungen wie Raumwärme, Warmwasser, Haustechnik und Klima­ kälte auch den Energieverbrauch von Elektrogeräten, Beleuchtung (inklusive Straßenbeleuchtung) und den Verbrauch gewerblicher Prozesse. Verkehr Im Verkehrssektor werden entsprechend der Inventarlogik nur die Treibhausgasemissionen bilanziert, die direkt durch die Fahrzeugnutzung erzeugt werden (Tank-to-Wheel). Andere indirekt dem Verkehr ­zu­zuordnende Emissionen wie der Energieaufwand für die Fahrzeugproduktion, Batterieherstellung, Stromerzeugung für die Elektromobilität und den Schienenverkehr sowie die Emissionen bei der Herstel­ lung von Kraftstoffen, beispielsweise von Biokraftstoffen, werden in anderen Sektoren bilanziert bezie­ hungsweise fließen, falls die Herstellung im Ausland erfolgt, gar nicht in die nationalen Inventare ein. Landwirtschaft Im Landwirtschaftssektor werden nach der Inventarlogik die Treibhausgase der Landwirtschaft bilanziert, die durch biologische Prozesse, wie zum Beispiel die Verdauung der Wiederkäuer und Stickstoffprozesse in den Böden entstehen. Die CO₂-Emissionen, die aus der landwirtschaftlichen Nutzung von Mooren stam­ men, werden im LULUCF-Sektor bilanziert. Zudem werden nach dem Klimaschutzplan der Bundesregie­ rung auch die energiebedingten Emissionen des Landwirtschaftssektors hinzugezählt. Diese umfassen 40 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland sowohl den Wärmebedarf von Gewächshäusern, Stallungen, Trocknung und Gebäude als auch den Kraft­ stoffeinsatz in der Landwirtschaft. Abfall Zum Abfallsektor zählen die nicht energetischen Treibhausgasemissionen der Abfallwirtschaft. Das sind Methanemissionen aus der Deponierung von Abfällen, Methan- und Lachgasemissionen aus der biologi­ schen Abfallbehandlung sowie aus mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlagen. Zudem werden Methan- und Lachgasemissionen aus der Abwasserbehandlung berücksichtigt. Einige Aktivitäten im Abfallbereich, wie der Betrieb von Müllverbrennungsanlagen oder Recyclingmaßnahmen, führen in der Regel zu Emissionen oder Einsparungen in anderen Sektoren und werden daher in der Energiewirtschaft oder in der Industrie berücksichtigt. Nachrichtlich: Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Fortwirtschaft (LULUCF) Unter LULUCF werden flächenbezogene Emissionen für die Kategorien Wald, Ackerland, Grünland, Feucht­ gebiete und Siedlungen bilanziert. In sogenannten Senken kann CO₂ auf der Fläche gespeichert werden, beispielsweise in Bäumen im Wald. Auf Flächen können aber auch Treibhausgase freigesetzt werden. Zu solchen Quellen zählen zum Beispiel landwirtschaftlich genutzte Moorböden und zu Acker umgewandeltes Grünland. Zudem wird der Holzproduktspeicher, der keinen Flächenbezug aufweist, zum LULUCF-Sektor gezählt. In dieser Studie werden die Emissionen nur nachrichtlich ausgewiesen. Abgrenzung der Sektoren erfolgt nach dem Klimaschutzplan Sektor Energiewirtschaft Tabelle 1 CRF-Kategorie 1.A.1.a Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung, 1.A.1.b Mineralölraffinerien, 1.A.1.c Herstellung von festen Brennstoffen, 1.A.3.e Energieeinsatz zum Betrieb von Pipelines – Erdgasverdichter, 1.B. Diffuse Emissionen Industrie 1.A.2 Industrie (energiebedingt), 2 Prozessemissionen Gebäude 1.A.4.a-b GHD und private Haushalte, 1.A.5 andere stationäre Einrichtungen (z. B.: Militär) Verkehr Landwirtschaft 1.A.3.a-d zivile Luftfahrt, Straßenverkehr, Schienenverkehr, Schifffahrt 1.A.4.c Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (energiebedingt), 3 Landwirtschaft LULUCF (nachrichtlich) Abfall 4 Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft 5 Abfall CRF: Common-Reporting-Format gemäß Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zur Klimaberichterstattung (UN-FCCC 2020) 41 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 2.4 Rahmendaten Lebenserwartung sowie Zu- und Abwanderung. Die Anzahl der Haushalte steigt bis 2050 auf 43 Millio­ nen. Ein Grund für den Anstieg ist die weiterhin sinkende durchschnittliche Haushaltsgröße. Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt kontinuierlich ab 2020 mit 45 Millionen, mittelfristig im Jahr 2030 auf 42 Millionen und 2050 auf 39 Millionen. Dies liegt vor allem in der demografischen Entwicklung begründet. Die Bevölkerung nimmt ab und wird älter, sodass sich die Anzahl der Personen im Erwerbsalter verringert. Für die Entwicklung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen sind die zentralen Variablen die Bevölkerung, die Zahl der Haushalte, das Brutto­ inlandsprodukt (BIP), die Bruttowertschöpfung (BWS), die Zahl der Erwerbstätigen, die Heiz- und Kühlgradtage sowie die Energie- und CO₂-Preise. Tabelle 2 fasst die zeitliche Entwicklung der wich­ tigsten Annahmen bis 2050 zusammen. Im Szenario verringert sich die Bevölkerung ab 2016 von 83 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner um fünf Prozent auf 79 Millionen im Jahr 2050. Die Annahmen basieren auf der 14. Bevölkerungsvor­ ausberechnung und unterstellen jeweils eine moderate Entwicklung bei der Geburtenhäufigkeit, Gemessen am Bruttoinlandsprodukt steigt die reale Wirtschaftsleistung zwischen 2016 und 2050 durchschnittlich um rund 1 Prozent pro Jahr. Insgesamt erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt von 3.290 Milliarden Euro im Jahr 2020 über Rahmendaten Tabelle 2 2016 2020 2030 2040 2050 Bevölkerung Mio. 83 83 83 81 79 Haushalte Mio. 41 42 43 43 43 Erwerbstätige Mio. 44 * 42 40 39 BIP Mrd. EUR2019 3,29 * 4,03 4,548 5,2 Bruttowertschöpfung Mrd. EUR2019 2,957 * 3,622 4,082 4,648 Energiepreise (Grenzübergang) Rohöl USD2019/­Barrel 42 40 62 59 55 Erdgas EUR2019/MWh (Hs) 15 12 20 21 22 Steinkohle EUR2019/MWh (Hs) 8 7 8 8 8 2016 2020 2030 2040 2050 EU-ETS (KN2050) EUR2019/t 5 25 52 70 90 EU-ETS (KNmin) EUR2019/t 5 25 47 70 90 Heizgradtagszahl 3,407 3,375 3,343 3,223 3,104 Kühlgradtagszahl 165 168 177 186 193 * aufgrund der Corona-Effekte keine belastbare Schätzung für 2020. Prognos, WEO 2019 42 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 4.030 Milliarden im Jahr 2030 auf 5.200 Milliarden Euro im Jahr 2050. Die angenommenen Energiepreise für Rohöl, Erdgas und Steinkohle basieren auf dem Szenario Sustainable Development des World Energy Outlooks 2019 und wurden für die nächsten drei Jahre mit den aktuellen Terminmarktpreisen fortgeschrieben. auf 3.104 im Jahr 2050. Die Anzahl der Kühlgradtage steigt hingegen von 165 im Jahr 2016 bis auf 193 im 2050 an. Grundlage für diese Abschätzung sind Angaben der EU-Kommission (EU-COM, 2016). Die Preisentwicklung für den EU ETS wurde im Rahmen dieser Studie unter Annahmen zur notwen­ digen Minderung des ETS-Sektors bei verschärften Gesamtzielen mithilfe von Modellberechnungen der europäischen Stromerzeugung berechnet. Im Zeit­ raum bis 2035 ergibt sich der ETS-Preis dabei primär durch die Verdrängung der Kohleverstromung durch Erdgas. Langfristig orientiert sich der Preispfad am EU-Reference-Szenario 2016 und steigt auf 90 Euro 2019 /t. Es wurde davon ausgegangen, dass ein Teil der Minderungen im industriellen Teil des ETS, wie zum Beispiel Einsatz von Wasserstoff bei der Stahlproduktion, nicht durch den EU-ETS-Preis allein, sondern durch flankierende Maßnahmen wie Förderprogramme ausgelöst werden. Diese Minde­ rungen entlasten den ETS und führen zu dem relativ geringen Zertifikatepreis. Langfristig nach 2030 besteht eine größere Unsicherheit über den ETSPreis, da unklar ist, inwieweit zukünftige Minderun­ gen der Industrie hauptsächlich über den EU ETS angereizt werden oder nicht. Über die Heiz- beziehungsweise Kühlgradtagszah­ len kann der Einfluss der Jahreswitterung auf den Wärme- beziehungsweise den Kühlbedarf eines Gebäudes berechnet werden. In den Szenarien wird eine Klimaerwärmung unterstellt, die Winter-, aber auch die Sommermonate werden im Mittel der Jahre wärmer. Dadurch verringert sich der Bedarf nach Raumwärme im Winter, während der Bedarf nach Klimakälte zur Kühlung der Gebäude im Sommer ansteigt. Die unterstellte Entwicklung der Gradtags­ zahlen wurde abgeleitet aus einer Studie im Auftrag des UBA (2008). Die Gradtagszahlen sinken im Zeitverlauf um zehn Prozent von 3.407 im Jahr 2016 43 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 44 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 3 Ergebnisse Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050) 3.1 Übersicht Im Szenario KN2050 erreicht Deutschland im Jahr 2050 die Klimaneutralität. Im Zeitraum bis 2030 erfolgt dabei eine Reduktion der Treibhausgasemissi­ onen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent. Sektoren­ übergreifend setzt sich in den darauffolgenden zwei Dekaden bis 2050 der Trend der Elektrifizierung fort und Wasserstoff gewinnt als Sekundärenergieträger und Rohstoff eine zunehmende Bedeutung. Effizi­ enzverbesserungen helfen ebenso in allen Bereichen bei der Reduktion der Emissionen. Eine immer wichtigere Rolle spielt auch die Bioenergie. Der Anbau verlagert sich von flüssiger beziehungsweise gasförmiger Bioenergie stärker in Richtung fester Biomasse. Der Einsatz konzentriert sich auf Bereiche und Standorte, in denen keine guten Alternativen bereitstehen und die – mit Blick auf die notwendigen Negativ-Emissionen – für CCS geeignet sind. Durch die angenommenen Maßnahmen können die THG-Emissionen in allen Sektoren außer der Land­ wirtschaft sehr stark gesenkt werden. In Summe werden die Emissionen um 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt. Es verbleiben Emissionen in Höhe von 62 Mio. t CO₂-Äq, die sich durch Vermeidungsmaßnahmen nicht reduzieren lassen – das entspricht 5 Prozent der Emissionen des Jahres 1990. Diese kommen vor allem im Landwirtschaftssektor durch biologische Prozesse in Böden (Düngemittel) und bei der Tierhaltung zustande. Auch bei industriellen Prozessen und in der Abfallwirtschaft verbleiben restliche Emissionen. Demgegenüber können die energiebedingten Treib­ hausgasemissionen durch den Einsatz erneuerbarer Energieträger nahezu völlig vermieden werden. Lediglich sehr geringe Mengen an Methan- und Lachgasemissionen durch Lagerung, Transport und Verbrennung von Biomasse und synthetischen Brennstoffen verbleiben. Die Emissionen werden vorwiegend durch den Einsatz von Biomasse-CCS, Direct Air Carbon Capture and Storage und der stofflichen Bindung von CO₂ in grünen Polymeren kompensiert. Bei diesen Technolo­ gien wird CO₂ aus der Atmosphäre direkt oder indirekt entnommen und langfristig abgelagert. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der THG-Emissionen in den einzelnen Sektoren. Mit dieser Entwicklung einher geht der Primärener­ gieverbrauch. Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert sich der Energiegehalt aller in Deutschland direkt oder zur Umwandlung in Sekundärenergieträger genutzten Energieträger. Der Primärenergiever­ brauch geht von heute ungefähr 13.000 Petajoule (PJ) auf etwa 6.600 PJ zurück. Der Verbrauch sinkt durch wesentlich geringere Verluste bei der Energieumwandlung und durch einen deutlichen Rückgang des Endenergiever­ brauchs. Der Endenergieverbrauch sinkt im Zeitraum 2018 bis 2030 von etwa 9.000 PJ um 17 Prozent auf etwa 7.500 PJ. Bis 2050 sinkt der Endenergieverbrauch im Vergleich zu 2018 um etwa 36 Prozent auf 5.700 PJ. Wesentliche Treiber für den Rückgang sind Gebäu­ desanierungen, effizientere Beleuchtung, verbrauchs­ arme Geräte und deutliche Effizienzgewinne im Verkehr durch die zunehmende Elektrifizierung. Der zunehmende Einsatz von Wärmepumpen zur Erzeu­ gung von Raumwärme und Warmwasser senkt durch die Nutzung von Umweltwärme den Einsatz von Brennstoffen. Nach Sektoren betrachtet geht der Endenergiebrauch bis zum Jahr 2050 im Verkehr mit 57 Prozent am stärksten zurück. Im Bereich der Privaten Haushalte und im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sinkt der Verbrauch um etwa 35 Prozent. Im Industriesektor ist der Rückgang um 17 Prozent vergleichsweise gering. 45 -52 -12 Abfall 2030 -65 % 438 Reduktion Düngemittel und Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung, Energieeffizienz Landwirtschaft Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 6 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau Gebäude Einführung DRI, Kohleausstieg, H2-Einsatz für Dampf -111 -207 Abfall -95 % 62 -100 % Abbildung 15 2050 BECCS, DACCS und grüne Polymere kompensieren Restemissionen Negative Emissionen Reduktion Düngemittel, Reduktion Tierbestände, Wirtschaftsdüngervergärung Landwirtschaft 90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut, ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung Gebäude Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr, weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr Verkehr 100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung Energiewirtschaft H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl, chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen Industrie H₂ = Wasserstoff * inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 2018 -73 Industrie -5 858 -72 14 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr -95 Verkehr -89 Kohleausstieg 2030, etwa 70 % EE-Stromerzeugung, Dekarbonisierung Fernwärme, Einsatz H2 -63 Energiewirtschaft -14 46 -3 Maßnahmen im Szenario Klimaneutral 2050 (KN2050) (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.) Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren Abfall Landwirtschaft Verkehr Jährliche Emissionen [CO2-Äquivalente] Gebäude 1.251 38 90 164 210 Historische Reduktion pro Jahr: 17 Mt CO2-Äq* 1.045 29 75 Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr: 909 11 73 181 165 Industrie 167 284 125 208 Energiewirtschaft 466 1990 Negative Emissionen werden direkt in den Sektoren berücksichtigt. Abbildung 16 191 25 Mio. t CO2-Äq 858 10 70 750* 162 -65 % 649 7 63 117 195 438 91 5 58 159 385 2000 344 2016 2018 -35 -28 -27 89 65 123 305 195 2020 311 3 55 43 42 93 185 52 98 74 2025 2030 2035 43 45 2040 4 2 4 2 Nachrichtlich: LULUCF -29 133 82 48 2045 -7 -18 -2 44 2050 -10 * Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) Primärenergieverbrauch 14.000 Primärenergieverbrauch [PJ] 12.000 10.000 Abbildung 17 13.129 1.802 214 9.897 1 3.099 2.388 8.000 248 6.000 0 163 356 222 2.613 2.950 2.909 1.405 829 2018 2025 7.821 3.593 349 2030 6.795 6.573 863 1.035 4.848 5.308 136 533 352 2045 2050 4.286 166 2.212 2.108 7.208 511 3.061 2.855 4.452 4.000 2.000 8.578 1.298 132 2035 146 1.354 817 6 2040 130 PtX Strom Erneuerbare Energien nicht erneuerbare Abfälle fossile Gase Mineralöle Kohlen Kernenergie Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch. 47 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Im Umwandlungssektor ergeben sich im Zeitraum bis 2050 auch signifikante Primärenergieeinsparungen, insbesondere bei der Stromerzeugung. Während 2018 noch knapp drei Viertel der Stromerzeugung aus thermischen Kraftwerken mit entsprechend hohen Umwandlungsverlusten erfolgte, reduziert sich die brennstoffbasierte Stromerzeugung bis 2050 auf etwa 7 Prozent. Der größte Teil der Stromerzeugung erfolgt dann ohne Umwandlungsverluste aus Wind­ energie und Photovoltaik. Neben der benötigen Menge an Primärenergie ändert sich bis 2050 auch die Energieträgerstruktur deut­ lich. Die Nutzung der fossilen Energieträger Kohle, Erdgas und Mineralöl geht bis 2050 vollständig zurück. Kernenergie wird bereits nach 2022 nicht mehr verwendet. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär­ energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr 2018 auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf 81 Pro­ zent bis 2050. Importe von synthetischen Energie­ trägern stellen 2050 etwa 16 Prozent der Primärener­ gie. Die restlichen 3 Prozent der Primärenergie entfallen 2050 auf sonstige Energieträger wie Abfall und geringe Mengen an importierten Strom. In den folgenden Kapiteln werden die Annahmen und Ergebnisse der einzelnen Sektoren sowie die Themen negative Emissionen, CCS und Wasserstoff detailliert dargestellt. Im Anhang wird das Szenario KN2050 anhand ausgewählter Indikatoren in die Bandbreiten bereits existierender Klimaschutzszenarien einge­ ordnet. Endenergieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren in PJ 10.000 10.000 2.547 1.115 101 2.000 3.351 1.973 1.000 446 330 189 114 2025 2030 2035 1.232 2018 0 1.114 2.727 488 2.460 99 1.526 758 2.569 1.357 6.000 1.299 6.246 1.818 1.244 5.000 4.000 1.707 1.149 1.057 2.743 974 3.000 1.604 5.696 1.511 900 836 1.421 1.271 1.185 2.186 2.145 2.125 2.164 2.480 2.055 5.899 2050 3.000 5.696 2045 1.911 599 524 2.256 1.032 5.899 6.721 1.946 2040 91 327 513 7.000 2035 4.000 1.997 6.246 7.416 2.095 1.659 2.000 115 652 1.571 795 233 307 1.766 1.000 2.601 2.433 2.266 2030 2.189 6.721 269 520 2.320 2025 1.855 660 76 8.000 2018 1.848 888 5.000 8.963 8.251 7.416 116 484 EEV nach Sektoren [PJ] 445 7.000 6.000 9.000 8.251 0 2050 394 2045 EEV nach Energieträgern [PJ] 8.000 8.963 2040 9.000 Abbildung 18 Kohlen Erneuerbare Energien Industrie GHD Mineralöle Strom Verkehr Private Haushalte fossile Gase Fernwärme nicht erneuerbare Abfälle PtX Industrie: inkl. bauwirtschaftlichem Verkehr, ohne Brennstoffeinsatz für die Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen, ohne stofflichen Wasserstoff (NEV); Verkehr: inkl. internationalem Flugverkehr, ohne Seeverkehr (national und international); GHD: inkl. Landwirtschaft. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 48 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 3.2 Energiewirtschaft Kraftwerken sowie auf die Herstellung von Kohleund Mineralölprodukten. 3.2.1 Zielbild und Ausgangslage Die Energiewirtschaft ist der Sektor, der in Deutsch­ land die meisten Treibhausgasemissionen verursacht. Mit 305 von 858 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente entfielen mehr als ein Drittel der gesamten Treib­ hausgasemissionen des Jahres 2018 auf die Erzeu­ gung von Strom und Fernwärme in öffentlichen Durch die starke Reduktion des Einsatzes von Kohle zur Strom- und Fernwärmeerzeugung kann die Energiewirtschaft im Vergleich zu den anderen Sektoren bis zum Jahr 2030 den größten Minde­ rungsbeitrag leisten. Der Ersatz von Kohlestrom­ erzeugung durch Erneuerbare Energien und temporär Treibhausgasemissionen und Treiber in der Energiewirtschaft Abbildung 19 Energiewirtschaft Strom und Fernwärme(1): 305 -190 Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung -7 Mineralölraffinerien 2030 -7 Herstellung von festen Brennstoffen und sonstige Energieerzeuger Kohleausstieg im Jahr 2030. Anteil Erneuerbarer Energien steigt auf etwa 70 % am Bruttostromverbrauch. Erste Gaskraftwerke werden mit Wasserstoff betrieben (2,5 GW). Dekarbonisierung der Fernwärme Raffinerien: Rückgang des Outputs der Raffinerien Sonstige Erzeuger(2): Ende Braunkohleveredelung -4 Diffuse Emissionen Diffuse Emissionen und Pipelinetransporte: Reduzierter Gaseinsatz in den Verbrauchssektoren, Ende Kohlebergbau 0 Pipelinetransport -74 Öffentliche Elektrizitätsund Wärmeversorgung -12 Mineralölraffinerien Strom und Fernwärme(1): 98 -3 Herstellung von festen Brennstoffen und sonstige Energieerzeuger -4 Diffuse Emissionen 2050 -1 Pipelinetransport -3 BECCS 3 2018 2030 2050 -19 DACCS Direkter Anteil Erneuerbarer Energien steigt auf 100 %* am Bruttostromverbrauch. Restliche Stromerzeugung erfolgt mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Vollständig dekarbonisierte Fernwärme. Restemissionen durch Abfallverbrennung. Negativemissionen durch BECCS (-3 Mio. t CO2-Äq.) und DACCS (-19 Mio. t CO2-Äq.) Raffinerien, Sonstige Erzeuger(2), Diffuse Emissionen und Pipelinetransporte: Restemissionen nahe null. -19 2050 (1) Öffentliche Elektrizitäts- und Wärmeversorgung (2) Herstellung von festen Brennstoffen und sonstige Energieerzeuger * Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Prognos 2020. Treibhausgasemissionen in Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten 49 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland auch Erdgas ist gleichzeitig auch eine der kosten­ günstigsten CO₂-Vermeidungsoptionen. Mit der Beendigung der Kohleverstromung, einem Ausbau Erneuerbarer Energien im Stromsektor und in den Wärmenetzen sowie einem Einstieg in die Wasserstoffnutzung in Gaskraftwerken können die Emissionen bis zum Jahr 2030 von heute 305 auf 98 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gedrittelt werden. Die zentralen Maßnahmen hierfür sind in Abbildung 19 dargestellt. Nach 2030 werden die Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut und die Stromerzeugung aus fossilem Erdgas wird vollständig durch Wasserstoff ersetzt. Zudem werden Batterie­ speicher ausgebaut und andere Flexibilitätsoptionen wie zum Beispiel intelligentes Laden von Elektro­ fahrzeugen genutzt, um Stromnachfrage und -ange­ bot zu jeder Zeit in Einklang zu bringen. Die Erbrin­ gung von Systemdienstleistungen erfolgt langfristig zu größeren Anteilen durch Erneuerbare Energien, Speicher und die Stromverbraucher. Zudem stehen auch langfristig – zunehmend mit Wasserstoff gefeuerte – Gaskraftwerke zur Verfügung und übernehmen einen Teil der Systemdienstleistungen. Die Energiewirtschaft leistet auch einen Beitrag zur Kompensation von nicht vermeidbaren Restemissio­ nen anderer Sektoren. Diese werden in der Energie­ wirtschaft einerseits durch die Abscheidung und Speicherung der Emissionen aus den Abgasen der Biomassefernheizwerke und Heizkraftwerke erreicht. Zum anderen wird CO₂ aus der Luft gefiltert und anschließend dauerhaft gespeichert (vgl. Kapitel 3.8, Direct Air Capture and Storage – DACCS). 3.2.2 Stromnachfrage Zentral für die Entwicklung der Maßnahmen ist die Entwicklung des Stromverbrauchs. Der Bruttostrom­ verbrauch in Deutschland schwankt in den letzten Jahren weitgehend konstant um die Marke von 600­TWh. Mit dem Ziel, Klimaneutralität zu errei­ chen, wird der Stromverbrauch in Zukunft stark steigen (vgl. Abbildung 20). Denn der Einsatz von Strom ist in den Nachfragesektoren eine vergleichs­ 50 weise günstige Option, die Treibhausgase zu senken. Dies gilt insbesondere für die Wärmeversorgung der Gebäude (vgl. Kapitel 3.4 ). Im Jahr 2030 werden in Deutschland in diesem Szenario 6 Millionen Wärmepumpen zur Wärme­ erzeugung eingesetzt. Bis zum Jahr 2050 verdoppelt sich die Anzahl auf 14 Millionen. Gleichzeitig werden Elektrogeräte und die Beleuchtung immer effizienter. Trotz des vor zehn Jahren erlassenen europaweiten Verbots von herkömmlichen Glühbir­ nen sind viele Gebäude – insbesondere im GHD-Sektor – noch mit ineffizienten Leuchtmitteln ausgestattet. Eine konsequente Umstellung auf sparsame LEDs führt zu deutlichen Einsparungen. Zudem sind heute immer noch mehr als eine Million ineffiziente Nachtspeicherheizungen im Einsatz. Wärmepumpen benötigen – je nach Dämmung des Hauses und Vorlauftemperatur – nur ein Drittel der Strommenge für die gleiche Wärmebereitstellung. Die beiden letztgenannten Effekte und die bessere Dämmung von Häusern mit Wärmepumpe führt dazu, dass sich der Strombedarf bei den Haushalten kaum verändert und im GHD-Sektor sogar lang­ fristig sinkt. Auch im Verkehrssektor spielt Strom in Zukunft eine zentrale Rolle. Im Jahr 2030 werden im Basisszenario mehr als 14 Millionen Elektroautos (inkl. Plug-in-­ Hybride) auf den Straßen fahren. Auch der Schwer­ lastverkehr wird elektrifiziert – über Batteriesysteme und Oberleitungen auf den Autobahnen. Im Basissze­ nario macht die direkte Stromnutzung im Jahr 2050 dann rund drei Viertel des Endenergiebedarfs des Verkehrssektors aus (vgl. Kapitel 3.5). Im Industriesektor entstehen bis zum Jahr 2030 neue Strombedarfe durch eine Elektrifizierung der Bereit­ stellung von Prozesswärme und den Einstieg in die strombasierte Dampfbereitstellung. Andererseits können durch eine Effizienzsteigerung bei den Querschnittstechnologien, wie Ventilatoren und Pumpen, Einsparungen erzielt werden. Ab dem Jahr 2030 steigt der Strombedarf in der Industrie um fast STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Bruttostromverbrauch Abbildung 20 1.200 +319 TWh 1.000 H₂/CO₂ 962 824 +49 TWh 738 574 0 2 127 123 124 120 117 168 169 269 290 304 133 129 123 130 137 149 12 31 226 216 214 236 2035 159 145 2030 200 130 133 2025 400 30 44 2050 595 131 80 2045 643 600 60 2040 800 2018 Bruttostromverbrauch [TWh] 882 128 74 0 2030 2050 Produktion 19 TWh H₂ 84 TWh H₂, 19 Mio. t CO₂ DAC 6 Mio. Wärmepumpen, Effizienz Elektrogeräte, effiziente Beleuchtung, Rückgang Direktstromheizungen 14 Mio. Wärmepumpen, Zunahme bei Kühlen und Lüften, Effizienz Wärmepumpen, Rückgang Direktstromheizungen, Effizienz Elektrogeräte Wärmepumpen, effiziente Beleuchtung Wärmepumpen, effiziente Beleuchtung 27 % der Fahrleistung im Straßengüterverkehr mit Batterien und Oberleitungen, 14 Mio. E-Pkw 78 % der Fahrleistung im Straßengüterverkehr mit Batterien und Oberleitungen, 30 Mio. E-Pkw Elektrifizierung Prozesswärme, strombasierte Dampfproduktion, effiziente Querschnittstechnologien Elektrifizierung Prozesswärme, CO₂-Abscheidung, strombasierte Dampfproduktion in Elektrokesseln und Hochtemperaturwärmepumpen Industrie Verkehr GHD PHH Fernwärmeerzeugung sonstige Umwandlung Elektrolyse (H₂) DAC Ladung Speicher Netzverluste KW-Eigenverbrauch Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. DAC = Direct Air Capture. PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Verbrauch von Speichern (brutto) beinhaltet Pumpspeicher und stationäre Batteriespeicher in der öffentlichen Versorgung. Der Stromverbrauch von Heimbatterien in Kombination mit PV-System wird hier nicht ausgewiesen. Bilanzierung nach AGEB. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 100 TWh an. Grund hierfür ist eine weitere Zunahme der strombasierten Dampfproduktion in Elektro­ kesseln sowie der Einsatz von Hochtemperatur­ wärmepumpen. Darüber hinaus steigt die Produktion von Sekundärstahl, was wiederum mit einem stei­ genden Strombedarf einhergeht. Weitere Nachfrage entsteht durch CO₂-Abscheidung und Gasifizierung von Biomasse. Auch im Umwandlungssektor wird in Zukunft mehr Strom eingesetzt. Für die Bereitstellung von 19 TWh erneuerbar erzeugtem Wasserstoff im Jahr 2030 und 84 TWh im Jahr 2050 werden 30 beziehungsweise 130 TWh zusätzlicher Strom benötigt. Zudem wird langfristig ein Drittel der Fernwärme mithilfe von Strom bereitgestellt. Für die Filterung von 19 Millio­ nen Tonnen CO₂ aus der Luft (Direct Air Capture and Storage) werden zusätzlich rund 20 TWh benötigt. Damit steigt der Bruttostromverbrauch bis 2050 auf etwa 960 TWh an. 3.2.3 Stromerzeugung Das Stromsystem im Jahr 2050 basiert zu 100 Pro­ zent auf Erneuerbaren Energien. Die erneuerbare Stromerzeugung aus Windenergie, Photovoltaik, Wasserkraft und Biomasse deckt im Jahr 2050 88 Prozent des Stromverbrauchs direkt ab, 7 Prozent entfallen auf Gaskraftwerke, die aus Erneuerbaren 51 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Energien erzeugten Wasserstoff als Brennstoff nutzen. Die restlichen 5 Prozent werden hälftig durch zwischengespeicherten und importierten erneuerba­ ren Strom gedeckt. Photovoltaik wird mit Blick auf die Leistung die wichtigste erneuerbare Energiequelle sein. Insgesamt 150 GW im Jahr 2030 und 355 GW im Jahr 2050 werden im Basisszenario benötigt. Davon wird knapp die Hälfte als Dachanlagen auf Gebäuden direkt beim Verbraucher stehen. Vier von fünf Dachanlagen werden mit Batteriespeichern ausgestattet und tragen dazu bei, dass der Strom aus den Photovoltaik­ anlagen durch die Zwischenspeicherung möglichst gut genutzt werden kann. Die installierte Leistung der Onshore-Windenergie steigt bis 2050 auf 130 GW. Offshore-Windenergie erreicht 2050 etwa 70 GW Leistung. Im Jahr 2030 steigt die Leistung der Offshore-Windenergieanlagen auf 25 GW – und damit um 5 GW mehr als im Klima­ schutzprogramm vorgesehen. Die zusätzliche ­Leistung wird zum Teil direkt für die Wasserstoff­ erzeugung eingesetzt. Die Leistung von On­shore-­ Wind­energie steigt bis 2030 auf 80 GW. Hierfür muss bis zum Jahr 2030 pro Jahr im Mittel 10 GW Photovoltaik, etwa 4,5 GW Onshore-Wind­ energie und etwa 1,7 GW Offshore-Windenergie zugebaut werden. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden die Zubaumengen niedriger liegen. Für eine Zielerreichung ist daher ein stärkerer Ausbau ab dem Jahr 2023 notwendig. Bei Offshore-Windenergie ist der Ausbau bis zum Jahr 2026 durch den Flächen­ entwicklungsplan bereits weitgehend determiniert. Der zusätzliche Ausbau erfolgt daher hauptsächlich ab dem Jahr 2027. Aus der installierten Leistung und den unterstellten Volllaststunden ergibt sich die Stromerzeugung des Szenarios. Die in den Szenarien verwendeten Voll­ laststunden berücksichtigen technische Entwicklun­ gen bei der Windenergie, insbesondere die Größe und Anlagenhöhe, die Standorte sowie ertragsmindernde 52 Effekte durch Verschattung, Redispatch und aus anderen Gründen temporäre notwendige Abschal­ tungen und Leistungsreduktionen. Im Vergleich zu anderen Studien ergeben sich damit für 2050 ver­ gleichsweise niedrige Volllaststunden von 2.200 bei Onshore-­Windenergie und 3.650 im Offshorebereich. Letztere können auch nur mit einer relativ niedrigen Bebauungsdichte erreicht werden, da auch Off­shoreWindparks sich untereinander durch Effekte wie Windverschattung und Wirbelbildung beeinflussen können (Agora 2020). Aus diesem Grund müsste ein Teil der 70 GW voraussichtlich außerhalb der deut­ schen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) installiert werden. Die resultierende Nettostromerzeugung wird in Abbildung 22 dargestellt. Für das Jahr 2030 wird mit 435 TWh erneuerbarer Stromerzeugung eine Ver­ dopplung gegenüber dem Wert von 2018 erzielt. Bis zum Jahr 2050 wird der Wert auf 848 TWh gesteigert, nahezu das Vierfache der Erzeugung im Jahr 2018. Kombiniert mit Lastmanagement, Speichertechnolo­ gien und intereuropäischem Energiehandel kann der Anteil Erneuerbarer Energien am steigenden Brutto­ stromverbrauch von rund 38 Prozent im Jahr 2018 auf 69 Prozent im Jahr 2030 und 100 Prozent im Jahr 2050 gesteigert werden. Ein Teil der Leistungsspitzen der volatilen Erzeugung Erneuerbarer Energien kann trotz zunehmender Flexibilität des Stromsystems nicht integriert werden. Mit zunehmendem Ausbau steigt die abgeregelte Strommenge auf 49 TWh im Jahr 2050 an, dies entspricht rund 5 Prozent der Gesamterzeugung. Für die Dekarbonisierung des Stromsektors ist ein rasches Auslaufen der Kohleverstromung essenziell. Im Szenario führt der steigende Preis für CO₂-Zertifi­ kate in Kombination mit niedrigen Erdgaspreisen dazu, dass die bis dahin verbliebenen Kohlekraft­ werke Ende der 2020er-Jahre wirtschaftlich unter Druck geraten und vom Netz gehen. Um die Strom­ nachfrage zu bedienen, steigt im Basisszenario bis zum Jahr 2030 die Stromerzeugung aus Erdgas von STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Erneuerbare Energien Abbildung 21 Installierte Leistung in GW Nettostromerzeugung in TWh 562 1 6 512 848 771 2 6 8 21 Wasserkraft 431 675 3 6 355 292 Photovoltaik 546 315 268 28 21 252 38 21 211 306 179 117 7 6 45 6 52 150 51 91 70 61 Wind Offshore 36 25 11 65 80 119 94 130 128 Wind Onshore 216 42 18 46 19 90 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Notwendiger mittlerer jährlicher Ausbau Bruttozubau, bei 25 Jahren Lebensdauer 2018 196 254 223 187 139 44 21 135 86 90 37 151 118 Abgeregelt 2018 233 435 7 6 7 6 331 18 21 352 5 6 4 21 Bioenergie 2025 -4 -15 2030 2035 270 288 -44 -49 2045 2050 239 182 -23 2040 Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch 2021–2030 10 GW Photovoltaik 17 % 38 % 69 % 100 %* 2010 2018 2030 2050 1,7 GW Wind Offshore 4,5 GW Wind Onshore Ausbaustärkste Jahrgänge der Vergangenheit: Photovoltaik: 8 GW (2010, 2012) Wind Offshore: 2 GW (2015) Wind Onshore: 5 GW (2014, 2017) Kumulierter Bruttozubau zwischen 2021 und 2030: Photovoltaik: 98 GW Wind Offshore: 17 GW Wind Onshore: 44 GW * Inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom Prognos (2020) 53 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Nettostromerzeugung und Importsaldo 1.000 Abbildung 22 Zunahme der Erzeugung um 50 Prozent 934 900 863 801 Nettostromerzeugung [TWh] 800 711 700 600 614 611 541 500 216 400 6 79 300 28 848 675 546 435 306 3 75 200 102 135 4 8 25 37 134 72 69 20 2018 2025 100 0 771 11 3 2030 7 12 12 133 24 13 84 7 2035 2040 17 42 32 2 2045 Erneuerbare Wasserstoff Sonstige Braunkohle Speicher Erdgas Steinkohle Kernkraft 24 61 1 2050 Importsaldo 50 0 -50 -49 14 17 18 16 16 26 Hinweis: Sonstige Erzeuger: Kuppelgase, Abfall, Mineralöl, Sonstige. Speicher: Erzeugung aus Batterie- und Pumpspeichern. Prognos (2020) heute rund 80 TWh auf etwa 130 TWh an. Zusätzlich werden auch erste Gaskraftwerke mit Wasserstoff betrieben. Für etwa 2,5 GW Kraftwerksleistung werden rund 20 TWh Wasserstoff eingesetzt, um damit Strom und Fernwärme zu produzieren. Nach 2030 geht die jährliche Erzeugung aus brennstoff­ basierten Kraftwerken weiter zurück. Durch den starken Ausbau von Erneuerbaren Energien, kombi­ niert mit Speichernutzung und flexiblen Endverbrau­ chern sinkt die Erzeugung aus brennstoffbasierten Kraftwerken von heute rund 400 TWh (ohne Bio­ 54 energie) auf 61 TWh im Jahr 2050. Erdgas wird bis dahin vollständig durch Wasserstoff ersetzt. 3.2.4 I nstallierte Leistung und Flexibilität des Stromsystems Für die Stabilität des Stromsystems ist es notwendig, dass zu jeder Zeit Stromnachfrage und Stromangebot im Einklang stehen. Mit zunehmender Einspeisung aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien und dem Rückgang konventioneller Kraftwerksleistung sind neue Flexibilitätsoptionen gefragt. Im Szenario KN2050 wird zum einen das Lastmanagement in der STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Flexibilitäten zur Leistungsabsicherung Abbildung 23 1 | Regelbare Kraftwerksleistung 2 | Speicher und Demand-Side-Management Nettoleistung in GW Nettoleistung in GW* 7 6 24 6 7 6 20 27 5 6 7 6 43 25 55 6 3 6 6 61 67 10 10 2025 2030 16 3 2 1 1 3 7 2035 2040 2045 2050 2018 4 Bioenergie Wasserkraft Gase/Wasserstoff Braunkohle Steinkohle Kernkraft 50 28 73 14 2018 Batteriespeicher Demand-Side-Management Pumpspeicher 4 7 2 4 7 6 4 7 7 7 7 2025 2030 2035 2040 2045 2050 5 7 6 Sonstige Darüber hinaus stehen indirekt eine Vielzahl weiterer Flexibilitätsoptionen zur Verfügung. PV-Dachanlagen mit Batteriespeicher: 2050 sind 80 % der Anlagen mit einem Batteriespeicher kombiniert (in Summe 134 GW mit einer Stunde Kapazität). Langfristig bleiben rund 80 GW regelbare Leistung zur Leistungsabsicherung (davon rund 70 GW aus Gasen/ Wasserstoff) im System. E-Fahrzeuge haben lange Standphasen und können ihr Ladeverhalten auf die Situation im Stromsystem anpassen. Im Jahr 2050 fahren 30 Mio. E-Fahrzeuge auf den Straßen mit einer durchschnittlichen Speichergröße von 80 kWh. 3 | Importkapazitäten Maximale Kapazitäten in GW. Die tatsächliche Verfügbarkeit ist abhängig vom Lastabfall. 1 3 3 3 3 1 4 5 2 3 3 3 3 1 5 5 2 4 4 3 3 1 5 5 2 4 4 3 3 1 5 5 2 4 4 3 3 1 5 5 7 7 7 7 7 2 4 4 3 3 3 1 4 4 5 6 6 8 8 8 8 8 2018 2025 2030 2035 2040 2045 2050 SE NO DK CZ PL BE NL FR CH AT 4 | Erneuerbare Energien Irgendwo weht immer der Wind. Deshalb können erneuerbare Energien auch einen Beitrag zur Leistungsabsicherung liefern. Im Jahr 2050 beträgt die Grundlastlieferung von erneuerbaren Energien rund 5 GW. Grenzüberschreitende Ausgleichseffekte mit elektrischen Nachbarländern bei der Einspeisung von Erneuerbaren Energien und bei der Stromnachfrage. Hinweis: Kohlekapazitäten im Jahr 2030: 3 GW Braunkohlekapazitäten stehen Winter 2029/2030 zur Verfügung und speisen ins Netz ein. Die Steinkohlekapazitäten in Höhe von 3 GW stehen 2030 das ganze Jahr zur Verfügung (Sommerpause). Die Kohlekraftwerkskapazitäten können danach bei Bedarf zur Leistungsabsicherung genutzt werden. * Mittlere Speicherkapazität: Batteriespeicher 1 Stunde, Pumpspeicher 8 Stunden. Demand-Side-Management (DSM = kurzfristiges Lastverschiebungspotenzial in der Industrie) Prognos (2020) Industrie weiter ausgebaut, um den Stromverbrauch zeitlich zu verlagern, um einerseits kurzzeitige Lastspitzen zu mindern und andererseits, um Erzeu­ gungsspitzen Erneuerbarer Energien besser zu nutzen. 55 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Flexibilität des Stromsystems 2050 Abbildung 24 Erzeugung Sommerwoche 250 250 200 200 PV ohne Batterie Import Wasserstoff Wind Offshore PV-Dach mit Batterie PSW/Batteriespeicher 250 200 200 Nachfrage Inflexibel E-Mobilität (inflex) Wärmepumpen BECCS/DACCS E-Mobilität (flex) Abgeregelt Ladung PSW/Batteriespeicher Elektrolyse Export 10.06. 09.06. 08.06. 0 07.06. 0 12.02. 50 11.02. 50 10.02. 100 09.02. 100 06.06. 150 05.06. 150 04.06. [GWh/h] 250 08.02. Biogen Nachfrage Sommerwoche 300 07.02. 10.06. 09.06. 08.06. 11.02. Wind Onshore 300 06.02. Summe Verbrauch Wasserkraft Nachfrage Winterwoche [GWh/h] 07.06. 0 12.02. 0 10.02. 50 09.02. 50 08.02. 100 07.02. 100 06.06. 150 05.06. 150 04.06. [GWh/h] 300 06.02. [GWh/h] Erzeugung Winterwoche 300 Summe Verbrauch Prognos (2020) Zum anderen nimmt bis 2050 die Leistung an Speichern deutlich zu. Dazu gehören zentrale Batterie­speicher, Heimspeicher in Kombination mit PV-Anlagen in Haushalten und Strommarktsignalen folgende Anteile der E-Fahrzeuge und Haushalte, beispielsweise Autos oder Wärmepumpen, die 56 flexibel abhängig vom Strompreis und damit vom Stromangebot sowie abhängig vom Netzzustand ihren Strom- beziehungsweise Wärmespeicher laden oder aufheizen. Diese Speicher tragen mit ihrem Potenzial zum Lastmanagement entscheidend zur STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Integration der erneuerbaren Stromproduktion und auch zur Reduktion der Residuallastspitzen bei. Eine weitere Säule der Absicherung des gesamt­ europäischen Stromsystems bildet der Ausbau der Austauschkapazitäten zwischen den Ländern, wodurch der überregionale Stromaustausch und auch die Nutzung von Pumpspeicherkapazitäten in Nachbarländern zum Lastausgleich beitragen können. Für den längerfristigen Ausgleich sind regelbare Kraftwerkskapazitäten notwendig. In dem Szenario wird angenommen, dass das europä­ ische Ausland aufgrund nationaler oder EU-weiter Ziele ebenfalls Klimaneutralität bis 2050 anstrebt und dementsprechend seine Stromerzeugung klima­ neutral gestaltet. Dadurch kommt es zu keiner Verlagerung von THG-Emissionen durch Stromim­ porte. Der Stromaustausch zwischen den einzelnen europäischen Ländern wurde mit einer stündlichen Auflösung modellendogen simuliert. Durch den Rückgang der Kohleverstromung sinkt bis 2030 die regelbare Kraftwerksleistung von heute rund 97 GW auf rund 66 GW. Um die Deckung der Residuallast und Leistungsabsicherung des Stromsystems zu gewährleisten, muss die Leistung regelbarer Gaskraftwerke mittelfristig deutlich ausgebaut werden, bis 2030 um rund 20 GW und bis 2050 um weitere 30 GW. Die wegfallenden Kapazitä­ ten aus Kernkraft und Kohle können so ersetzt werden. Ab 2030 wird der Sekundärenergieträger Wasserstoff in 2,5 GW der Gaskraftwerke mit steigenden Anteilen eingesetzt, so dass Erdgas zur Verstromung 2050 vollständig durch Wasserstoff abgelöst ist. Dabei kommen entsprechend den Modellergebnissen Gasmotoren-, Gasturbinen- und GuD-Kraftwerke zum Einsatz. Aus Kostengründen werden keine Brennstoffzellenkraftwerke verwendet. Abbildung 24 zeigt den modellierten stündlichen Einsatz der Stromerzeugung und der Stromnachfrage in Deutschland am Beispiel einer Winter- und Sommerwoche des Jahres 2050. Bei der Leistungsabsicherung mit Gaskraftwerken ist zu beachten, dass die Vorhaltung der Leistung als Back-up des Stromsystems vergleichsweise günstig ist. Kostenintensiv ist bei der Nutzung von Wasser­ Kosten von Leistungsvorhaltung und Stromerzeugung aus Wasserstoff Leistung kostet vergleichsweise wenig Kosten Leistungsvorhaltung mit Powerpeakern 1 GW Leistung Kosten pro kW Leistung pro Jahr: 59 EUR* 59 Mio. EUR Kosten pro Jahr Abbildung 25 Arbeit kostet vergleichsweise viel Kosten Stromerzeugung mit Wasserstoff Annahme: Gasturbine läuft 1.000 h im Jahr (12 % des Jahres) 1 TWh Stromerzeugung Kosten pro kWh eingesetzen H2: 15 Cent** 333 Mio. EUR Kosten pro Jahr Hinweis: Hier beispielhafte Darstellung der Vorhaltungskosten für 1 GW Leistung sowie die Kosten für die Stromerzeugung * Berechnung: Investitionskosten 500 EUR/kW, OPEX 20 EUR/kW/Jahr, Zinssatz (WACC) 6 %, Amortisationszeitraum 25 Jahre. ** Annahmen für H2-Kosten von 15 Cent/kWh (Heizwert): 400 EUR/kW(el) Elektrolyse, Zinssatz (WACC) 6 %, 4000 VLH, 5,5 Cent/kWh(el) Stromkosten der Elektrolyse, 75 % Wirkungsgrad Elektrolyse (Brennwert), 2 Cent/kWh Transportkosten, 2 Cent/kWh Leistungsaufschlag. Prognos (2020) 57 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland stoff oder synthetischen Energieträgern hingegen der Einsatz der Kraftwerke. Dieses wird in Abbildung 25 beispielhaft für 1 GW Leistung dargestellt: Die Kosten der Leistungsvorhal­ tung von 1 GW durch Powerpeaker beläuft sich auf rund 60 Millionen Euro jährlich. Bei rund 70 GW Leistungsabsicherung würden damit Kosten von insgesamt 4 Milliarden Euro anfallen. Das entspricht etwa 6 Prozent der Kosten des heutigen Strom­ systems und ist vergleichsweise günstig. Deutlich höhere Kosten fallen jedoch an, wenn Kraftwerke viele Stunden laufen müssen, weil nicht ausreichend Flexibilitäten zur Verfügung stehen oder der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht ausreichend erfolgt. Würden 1 GW Powerpeaker 1.000 Stunden im Jahr laufen, würden sich die daraus resultierende Strom­ erzeugungskosten allein für den Brennstoffeinsatz auf 333 Millionen Euro belaufen – also das Sechs­ fache der Kosten für die Leistungsvorhaltung. 3.2.5 Fernwärmeerzeugung Die Dekarbonisierung betrifft nicht nur die Strom­ erzeugung, sondern auch die Erzeugung von Fern­ wärme. In urbanen Räumen werden Wärmenetze stark ausgebaut. Damit steigt die notwendige Fern­ wärmeerzeugung bis in die Mitte der 2030er-Jahre kontinuierlich. Neuanschlüsse überkompensieren in diesem Zeitraum den sanierungsbedingten Rückgang des Wärmebedarfs der einzelnen versorgten Gebäude. Die Struktur der Fernwärmeerzeugung ändert sich im Zeitverlauf deutlich. Mit dem Ausstieg aus der Fernwärmeerzeugung Abbildung 26 180 160 160 149 139 Fernwärmeerzeugung [TWh] 140 125 2 120 13 5 10 6 3 9 5 14 24 5 100 51 7 73 80 60 10 12 2 9 20 29 161 10 13 16 18 12 13 5 33 6 150 13 18 13 7 39 44 61 30 10 41 13 13 1 4 11 15 2025 2030 23 11 13 10 2 4 0 2018 158 14 66 10 40 16 37 12 6 11 2 11 4 3 11 3 3 2035 2040 2045 2050 industrielle Abwärme Elektrokessel Wasserstoff Bioenergie Abfall – fossil Braunkohle Geothermie Wärmepumpe (inkl. Umweltwärme) Erdgas Abfall – biogen sonstige Energieträger Steinkohle Solarthermie Prognos (2020) 58 7 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Kohleverstromung bis 2030 geht auch die ausgekop­ pelte Fernwärmeerzeugung zurück. Mit der höheren Stromerzeugung der Erdgaskraftwerke steigt mittel­ fristig auch die Fernwärmeerzeugung aus Erd­ gas-KWK-Anlagen. Nach 2035 geht der Einsatz von Erdgas deutlich zurück, auch durch den Einsatz von Wasserstoff. Dieser beginnt ab 2030 durch die Inbetriebnahme der ersten wasserstoffgefeuerten KWK-Anlagen. Im Jahr 2050 decken Heizwerke und Heizkraftwerke mit Wasserstoffeinsatz etwa ein Viertel der Fernwärmeerzeugung. Diese Erzeugung fällt überwiegend in kalten Perioden mit geringer Windstromeinspeisung an. Der Markthochlauf bei neuen Wärmeerzeugern wie der tiefen Geothermie, Solarthermie, Elektrokesseln und Großwärmepumpen kommt nach 2020 ins Rollen. Von heute etwa einem Prozent steigert sich bis 2030 der Erzeugungsanteil dieser Technologien auf 22 Prozent. Langfristig bis 2050 steigt der Anteil auf über 60 Prozent. Die Nutzung von Abwärme steigt ebenfalls. Der Beitrag der Bioenergie bleibt im Zeitverlauf konstant. Die genutzten Biomassen ändern sich aber. Der sinkende Anteil von Biogas wird durch höhere Holzmengen ausgeglichen. 3.2.6 Mineralölraffinerien Im Jahr 2018 stellten Mineralölraffinerien rund 80 Prozent ihrer Produkte zur energetischen Ver­ wendung her. Dies sind vor allem flüssige Kraftstoffe im Verkehrssektor wie Diesel und Benzin, aber auch Brennstoffe zur Wärmebereitstellung wie Heizöl. Außerdem wird ein Teil der Raffinerieprodukte auch stofflich verwendet. Hier ist vor allem Naphtha zu nennen, welches einen wichtigen Rohstoff in der chemischen Industrie darstellt und heute über zehn Prozent der deutschen Nachfrage nach Mineralölpro­ dukten ausmacht. Weitere Mineralölprodukte fallen als Nebenprodukt in der Verarbeitung der Raffinerien an und werden ebenfalls stofflich in vielfältiger Weise genutzt. Diese Produkte spielen aus heutiger Sicht eine eher untergeordnete Rolle in der Nachfrage. Zu nennen sind hier insbesondere Bitumen, welches größtenteils zum Straßenbau genutzt wird und rund 2 Prozent der Mineralölnachfrage ausmacht. Weitere Produkte werden als Schmierstoffe genutzt (1 Prozent der Mineralölnachfrage) oder sie finden wie Petrol­ koks (0,2 Prozent) Verwendung in der Aluminium­ produktion. Bis 2030 geht die Nachfrage nach Mineralölproduk­ ten auf rund 56 Prozent des Wertes von 2018 zurück. Da die Raffinerien auf diesen Nachfragerückgang reagieren, sinkt die Produktion analog. Bis 2050 kommt die Mineralölverarbeitung vollstän­ dig zum Erliegen. Der Grund hierfür ist der vollstän­ dige Rückgang der Nachfrage nach Mineralölproduk­ ten sowohl bei der energetischen Verwendung als auch bei der Nachfrage der chemischen Industrie nach Naphtha. Ab 2045 kommt in der chemischen Industrie nur noch importiertes strombasiertes Naphtha zum Einsatz, welches aus erneuerbarem Strom und Kohlendioxid aus der Luft gewonnen wird. Bei der Produktion dieses „grünen“ Naphthas per Fischer-Tropsch-Synthese fallen jedoch Produkte mit längeren Kohlenstoffketten wie Bitumen oder Petrolkoks nicht an. Da diese Produkte heute nur als Nebenproduktion in der Koppelproduktion der Raffinerien anfallen, ist es unwahrscheinlich, dass hierfür eigene Produktions­ anlagen bestehen bleiben, die ausschließlich diese Produkte bereitstellen. Im Szenario wurden keine expliziten Annahmen hinsichtlich der Bereitstellung dieser Produkte getroffen. Die Bereitstellung von Petrolkoks für die Anoden könnte jedoch auch über biogene Rohstoffe erfolgen. Die Nachfrage nach Schmierstoffen wird aufgrund des Rückgangs an Verbrennungsmotoren bis 2050 einerseits stark abnehmen, andererseits lassen sich Schmierstoffe sowohl biogen als auch per Fischer-Tropsch-­ Synthese herstellen. Die Herstellung von Bitumen ist aus heutiger Sicht nicht über Fischer-Tropsch-Synthese möglich. Es 59 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland kann allerdings davon ausgegangen werden, dass langfristig die Nachfrage nach Bitumen zurückgeht, da durch Recycling, den Bau haltbarerer Straßen und die Möglichkeit zur Beimischung von Zuschlags­ stoffen der Bedarf reduziert wird. Dennoch wird aus heutiger Sicht auch langfristig ein Bedarf an Bitumen bestehen bleiben. Als Möglichkeiten bietet sich hier zum einen der Abbau von Naturbitumen an. Denkbar wäre auch eine Produktion in Spezialraffinerien, die schweres bitumenhaltiges Rohöl einsetzen und zur Produktion dieser Produkte optimiert werden. In diesem Fall dürften die anfallenden Leicht- und Mitteldestillate jedoch nur treibhausgasneutral verwendet werden. Hierfür ist beispielsweise der Einsatz von CCS bei der Verbrennung denkbar. 3.3 Industrie 3.3.1 Zielbild und Ausgangslage Die Industrie trug im Jahr 2018 insgesamt 23 Prozent zu den deutschen Treibhausgasemissionen bei, wobei 70 Prozent der industriellen Treibhausgasemissionen in den Grundstoffindustrien anfiel (Agora Energie­ wende und Wuppertal Institut 2019). Die Grundstoff­ industrien stehen zudem mit Blick auf eine Reduk­ tion von Treibhausgasemissionen aufgrund der für die Umwandlung von Rohstoffen nötigen energie­ intensiven Hochtemperaturprozesse sowie dem Auftreten von prozessbedingten Emissionen in einigen Produktionsprozessen vor besonders großen Herausforderungen. Bei der Erstellung des Szenarios wurden daher die emissionsintensiven Branchen (Stahl, Grundstoffchemie, Zement, Kalk, Nichteisen­ metalle, Glas, Gießereien sowie Zellstoff, Papier und Pappe) sehr detailliert untersucht. Im Szenario ist Deutschland auch zukünftig ein bedeutender Standort für Grundstoffe wie Stahl, Grundstoffchemikalien und Zement und meistert die Transformation der Grundstoffindustrien hin zur Klimaneutralität. Klimaneutralität wird in der Industrie durch Effizienzmaßnahmen, einen weitge­ henden Umstieg auf erneuerbare Energieträger 60 (Strom, Wasserstoff, biogene Energieträger), innova­ tive Produktionsrouten wie die Herstellung von Roheisen in Direktreduktionsanlagen und chemi­ sches Recycling sowie den Einsatz von CO₂-Abschei­ dung und -Speicherung (CCS) erreicht. Langfristig, nach 2045, erreicht die Industrie durch den gezielten Einsatz von biogenen Energieträgern in Kombination mit CCS sogar negative Emissionen. Hierfür sind aufgrund ihrer räumlich hoch konzent­ rierten Energiebedarfe insbesondere die Standorte der chemischen Industrie und der Stahlindustrie geeignet. 3.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen Die deutsche Industrie kann sich im KN2050-Szena­ rio auf eine für die meisten Grundstoffe auch zukünftig leicht steigende Nachfrage innerhalb Europas stützen. Die Nachfrage nach Pkw als einem wichtigen Endprodukt geht in Europa selbst im Szenario zwar zurück, die exportorientierte deutsche Automobilindustrie kann dies aber durch Marktan­ teile an einer wachsenden Nachfrage nach emissi­ onsfreien Pkw in anderen Weltregionen kompensie­ ren. Die Bautätigkeit, als weiterer starker Treiber der Nachfrage nach Grundstoffen, steigt im Szenario zukünftig weiter an. Kunststoffverpackungen werden auch 2050 eine wichtige Rolle spielen, sowohl im Bereich Business-to-Business als auch im Hinblick auf den Handel mit Endkunden. Trotz deutlich höherer Anteile von mechanisch recyceltem Kunst­ stoff am gesamten Kunststoffverbrauch steigt die Nachfrage nach Primärkunststoffen innerhalb Europas weiter an. Die relative Entwicklung einzelner Produktionsmen­ gen in Deutschland zeigt die folgende Abbildung. Wir gehen davon aus, dass sich die Rohstahlproduk­ tion insgesamt auf dem Niveau vor der Coronakrise (2019) stabilisiert. Die bestehenden Anlagen zur Sekundärmetallurgie und zum Walzen von Rohstahl sowie das Know-how für Spezialstähle und die räumliche Nähe zu den Abnehmern sind dabei STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Produktionsmengenentwicklung für treibhausgasintensive Produkte Abbildung 27 Index physische Produktion (2016 = 100) 130 120 110 100 90 80 70 60 50 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 Rohstahl NE-Metalle High-value chemicals (HVC) Polymere (Auswahl) Ammoniak Zement Zementklinker Kalk Papier Zellstoff Glas und Steinwolle 2050 Wuppertal Institut (2020) wichtige Standortvorteile, ebenso die vorhandene Logistik für den Umschlag von Massengütern wie Eisenerz. Die chemische Industrie in Deutschland ist weit stärker in globale Wertschöpfungsketten eingebun­ den als die Stahlindustrie. Gleichzeitig liegen die wichtigen deutschen Standorte alle im Binnenland und stehen bereits heute unter starkem wirtschaftli­ chem Druck. Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen im Bereich der Plattformchemikalien finden deshalb schon heute außerhalb Deutschlands statt. Da dies mit grundlegenden Wettbewerbsfaktoren (wie dem günstigen Zugang zum Weltmarkt der Hafenstand­ orte) zusammenhängt, geht das Szenario KN2050 – gestützt durch Simulationsrechnungen1 – davon aus, dass sich dieser Trend mittelfristig sogar noch etwas verstärken wird, denn die deutschen Standorte werden mit anstehenden Raffinerieschließungen 1 Die Simulationsrechnungen bilden Europa (EU-28 plus Norwegen und Schweiz) ab. Die Ergebnisse zur Investition in neue Anlagen und zur Produktion an den verschiedenen Zeitpunkten wurden durch ein Optimierungsmodell bestimmt (vgl. zum Modellansatz Schneider und Saurat 2020). einen Teil ihrer regionalen Rohstoffbasis verlieren. Die Simulationsrechnungen zeigen, dass die deut­ schen Standorte bei der Grundproduktion von Plattformchemikalien mittelfristig Anteile an die europäischen Küstenstandorte (vor allem Antwerpen und Rotterdam) abgeben werden, denn diese lassen sich leichter auf die mittelfristig attraktiveren Feedstocks Ethan und Propan umstellen.2 Die vorhan­ dene Pipeline-Infrastruktur für Feedstocks in Nordwesteuropa und bereits bestehende grenzüber­ schreitende Lieferketten innerhalb der Unternehmen (BASF, INEOS, Shell, Covestro, LANXESS) erleichtern eine solche Restrukturierung und sichern anderer­ 2 Die ökonomische Attraktivität von Ethan ist vor allem auf seinen günstigen Marktpreis als Kuppelprodukt der Schiefergas-Förderung in den USA zurückzufüh­ ren. Auch im Hinblick auf die Emissionsintensität der Produktion ist Ethan vorteilhaft und gewinnt somit bei steigendem CO₂-Zertifikatspreis zusätzlich an Attraktivität. Langfristig werden bei der Produktion von Fischer-Tropsch-Kraftstoffen Ethan und LPG als Begleitgase anfallen. Aufgrund der im Vergleich zu flüssi­ gem Naphtha höheren Transportkosten geht das Szenario jedoch nicht davon aus, dass diese Kuppelprodukte auch langfristig (2050) den europäischen Markt dominieren werden. 61 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland seits mittelfristig die Feedstock-Basis für die deut­ schen Standorte im Binnenland. Damit können diese „Verbundstandorte“ auch zukünftig ihren Wert erhalten und die Produktion von Polymeren bleibt in Deutschland auf einem stabilen Niveau. Im Zuge der im Szenario angenommenen Veränderun­ gen in der Landwirtschaft geht der Markt für Dünge­ mittel in Europa zurück. Im Szenario sinkt daher auch die Produktion der entsprechenden Grundstoffe (Ammoniak, Salpetersäure). Die Nachfrage wird jedoch nicht komplett durch Importe gedeckt. Zement bleibt im Szenario ein überwiegend regional gehandeltes Produkt und die Annahme einer in Deutschland weiter steigenden Bautätigkeit stützt den Absatz deutscher Zementwerke. Allerdings werden Zement, Zementklinker und Beton zukünftig effizienter eingesetzt. Bauteile können bei gleicher Leistungsfähigkeit mit weniger Beton hergestellt und die Betonzusammensetzung und die Wahl der Zementart besser auf den Einsatzzweck abgestimmt werden. Im Szenario geht die Tonnage daher beim Zementabsatz nach 2030 zurück, trotz steigender Wertschöpfung im Betonbau. Andere emissionsintensive Industrien wie Zellstoff und Papier, Aluminium oder Glas wachsen im Szenario zukünftig noch leicht (sowohl in Bezug auf Bruttowertschöpfung als auch in Bezug auf die Tonnage), während der Absatz in der Kalkindustrie aufgrund der sinkenden Nachfrage aus dem Kraft­ werkssektor und der Stahlindustrie (aufgrund niedrigerer Primärstahlanteile) rückläufig ist. Die weniger treibhausgasintensiven Industrien, die teils stark exportorientiert sind, gewinnen in Bezug auf die Bruttowertschöpfung an Bedeutung und wachsen mit 1,3 Prozent pro Jahr stärker als die Grundstoffin­ dustrien (0,4 Prozent). Somit behält die Industrie in Deutschland ihre wichtige ökonomische Bedeutung und trägt 2050 22 Prozent zur Wertschöpfung bei (gegenüber 24 Prozent im Jahr 2018). 62 3.3.3 E  nergieeinsatz und Treibhausgas­emissionen Die Treibhausgasemissionen der Industrie sinken bis 2030 um 36 Prozent auf 123 Mio. t CO₂-Äq. Das im Klimaschutzgesetz gesetzte Ziel (Reduktion auf 140 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2030) wird somit deutlich übererfüllt. Die absolut größten Minderungsbeiträge erbringen die Stahlindustrie sowie die chemische Industrie. Erstere erbringt mit 47 Prozent auch einen sehr großen relativen Minderungsbeitrag bezogen auf ihre heutige Emissionsmenge. Dagegen bleibt der Minderungsbeitrag der Zementindustrie noch klein (siehe Näheres zu den Gründen im Brancheneinblick unten). Die anderen Mineralstoffindustrien erreichen ein Minderungsvolumen von vier Millionen und die Papierindustrie von knapp zwei Millionen, was jeweils etwa 24 Prozent Minderung gegenüber 2016 entspricht. In den weniger emissionsintensiven „sonstigen Industriebranchen“ werden bis 2030 bedeutende Effizienzfortschritte erreicht. Gemein­ sam mit dem Energieträgerwechsel hin zu Strom erbringt das neun Millionen Tonnen Minderung. In den sonstigen Bereichen, zu denen auch der bauwirt­ schaftliche Verkehr sowie die „Produktverwendung“ zählen, werden bis 2030 neun Millionen Tonnen (48 Prozent) Minderung erreicht. Während der beiden Dekaden zwischen 2030 und 2050 mindert die Stahlindustrie ihre Emissionen noch einmal um 42 Millionen Tonnen CO₂-Äquiva­ lente, während die chemische Industrie um 47 Millio­ nen Tonnen mindert. Sowohl die Stahlindustrie (minus 13 Mio. t CO₂-Äq) als auch die Chemieindust­ rie (minus 26 Mio. t CO₂-Äq) werden damit 2050 in ihrer Treibhausgas-Emissionsbilanz netto-negativ. Die Zementindustrie erreicht eine annähernd ausgeglichene Treibhausgasbilanz, während bei den übrigen mineralischen Industrien (Glas, Kalk) noch Treibhausgasemissionen in Höhe von fünf Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten zu Buche schlagen. Prozessemissionen entstehen auch durch den Einsatz von fluorierten Treibhausgasen (F-Gasen), die für spezielle Anwendungen hergestellt werden. Beispiele STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Industrie (Mio. t CO₂-Äq.) Industrie Abbildung 28 -26 Eisen und Stahl: Erhöhter Anteil Sekundärstahl, DRI-Anlagen/Wasserstoff -15 Chemie*: CO2 armer Wasserstoff, Effizienz -2 Zement: Brennstoffwechsel, Einstieg CCS 191 -4 Andere Minerale: Energieträgerwechsel -2 Zellstoff/Papier: Energieeffizienz Sonstiges** -10 Sonstige Industrie: Energieeffizienz, Energieträgerwechsel sonstige Industrie -11 Sonstiges** 123 Zellstoff/Papier -42 Eisen und Stahl: erhöhter Anteil Sekundärstahl, DRI-Anlagen/Wasserstoff andere Mineralien -47 Chemie*: BECCS, Elektrifizierung, erneuerbare Feedstocks Zement -16 Zement: Materialeffizienz, Neue Zemente, CCS -8 Andere Minerale: Energieträgerwechsel Chemie* -5 Zellstoff/Papier: Energieträgerwechsel -8 Sonstiges** Eisen und Stahl -30 2016 2030 -27 Sonstige Industrie: Energieeffizienz, Energieträgerwechsel 2050 * Chemie enthält hier die Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in „Sonstige Industrie“ enthalten. ** Sonstiges enthält die Bereiche Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie, Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen Wuppertal Institut (2020) sind: Kältemittel, Schutzgas, Isoliergas oder Löschgas. Im Jahr 2016 betrugen die F-Gas-Emissionen knapp 15 Mio. t CO₂-Äq. Durch die F-Gas-Verordnung von 2014 ist eine Minderung auf etwa 4 Mio. t CO₂-Äq bis 2030 zu erwarten. Da für fast alle Anwendungszwe­ cke Alternativen mit keiner oder viel geringerer Treibhausgaswirkung zur Verfügung stehen, wird bis zum Jahr 2050 eine Reduktion bis auf etwa 1 Mio. t CO₂-Äq angenommen. Die Reduktion der Prozesse­ missionen aus dem Einsatz von F-Gasen ist im Bereich „Sonstiges“ miterfasst. Der Sektor des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt wird in Deutschland damit nach 2045 klimaneutral und verbucht im Jahr 2050 Negativ-Emissionen in Höhe von knapp 30 Mio. t CO₂-Äq. Auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität sinkt der Endenergiebedarf infolge von Produktionsmengen­ veränderungen und steigender Effizienz bis 2030 um 13 Prozent (gegenüber 2016) und zwischen 2030 und 2050 noch einmal um 5 Prozent. Zudem gibt es einen zügigen Energieträgerwechsel: Kohle wird bis 2040 63 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland weitgehend 3 und Öl bis 2045 vollständig ersetzt. Der Erdgasbedarf sinkt bis 2030 vergleichsweise moderat um 14 Prozent, wird jedoch bis zum Ende des Betrachtungszeitraums ebenfalls verdrängt. Strom ist 2050 der dominante Energieträger und baut seinen Anteil auf etwa 50 Prozent aus. Letztendlich bleibt die zusätzliche Anwendung von Strom jedoch aufgrund der absoluten Knappheit beschränkt. Seine zusätzli­ chen Anwendungsfelder liegen vor allem dort, wo er deutliche Effizienzvorteile gegenüber anderen 3 Energieträgern hat, also in erster Linie bei Wärme­ pumpen zur Bereitstellung von Wärme unter 100 Grad Celsius. Auch in Industrieöfen wird Strom aufgrund klarer Effizienzvorteile gegenüber Wasser­ stoff vermehrt eingesetzt, allerdings vorwiegend in mittelständischen Unternehmen, in denen Strom bereits heute eine wichtige Rolle einnimmt. Wasser­ stoff, feste Biomasse, Biogas sowie Abfälle sind die weiteren relevanten Energieträger im klimaneutralen Zielsystem 2050. CO₂-Abscheidung und -Speicherung nimmt im Szenario eine wichtige Rolle ein: Bereits 2030 werden 1,2 Millionen Tonnen CO₂ an günstig gelege­ nen Standorten der Zementindustrie abgeschieden, abtransportiert und in geeigneten CO₂-Lagerstätten Kleine Mengen Kohle verbleiben im Jahr 2040 noch für metallurgische Zwecke (1 TWh) sowie in der minera­ lischen Industrie (2 TWh). Diese werden jedoch in der Dekade nach 2040 aus biogenen Stoffen bereitgestellt beziehungsweise durch biogene Energieträger ersetzt. Treibhausgasemissionen und Endenergieverbrauch in der Industrie 191 50 55 28 18 5 13 16 31 21 44 29 0 93 8 21 12 13 14 19 43 15 10 12 -4 4 4 -10 -30 -13 -26 -50 2050 2045 2040 2035 2030 2025 228 400 300 200 100 607 48 596 37 590 33 601 24 238 272 294 310 50 43 7 95 217 500 0 2016 49 216 28 24 41 16 229 45 27 10 224 197 4 36 14 4 33 111 80 154 52 141 186 4 32 49 4 32 95 4 35 52 32 3 33 47 31 3 2050 36 6 14 630 2045 18 600 2040 100 51 123 10 32 675 2035 7 17 49 2030 38 722 700 159 14 2025 150 800 2016*** Treibhausgasemissionen [Mio. t CO2] 21 Endenergieverbrauch [TWh] 200 Abbildung 29 Eisen und Stahl Chemie* Steinkohle Braunkohle Ölprodukte/Abfall Zement Andere Minerale Kraftstoffe Erdgas Sonstige fossile Gase Zellstoff und Papier Sonstige Industrie Wasserstoff Biomasse Strom Sonstiges ** Fernwärme * Chemie inkl. Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in „Sonstige Industrie“ enthalten. ** Sonstiges: enthält Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie, Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen *** Für 2016 gibt es eine Abweichung von den AG-Energiebilanz-Daten aufgrund der Modellierung der energieintensiven Industrien auf Prozessebene sowie des Einbezugs des bauwirtschaftlichen Verkehrs in den Endenergiebedarf. Die Modellierung auf Prozessebene führt auch zu einer Abweichung der THG-Emissionen von der Statistik von 0,1 Prozent. Wuppertal Institut (2020) 64 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland im europäischen Ausland (zum Beispiel: Niederlande, Norwegen) gespeichert. Ab 2035 werden Standorte der Primärstahlerzeugung sowie die großen Chemie­ parks Schritt für Schritt an ein zukünftiges CO₂-Netz angeschlossen. Dort wird CO₂-Abscheidung gezielt mit dem Einsatz biogener Energieträger kombiniert (BECCS), um negative Emissionen zu erzielen, sodass 2040 bereits 20 Millionen Tonnen CO₂ eingespeichert werden. Mit dem sehr konzentrierten Einsatz von BECCS ab 2040 und einer weiter wachsenden Zahl von Netzanschlüssen steigen die jährlich eingelager­ ten CO₂-Mengen aus industriellen Quellen bis 2050 auf 49 Millionen Tonnen an, wovon 34 Millionen Tonnen biogenes CO₂ sind. 3.3.4 E  inblicke in die Transformation der ­Industriebranchen Stahlindustrie Die deutsche Stahlindustrie steht vor der Herausfor­ derung, die emissionsintensive Hochofenroute zu verlassen. Während innerhalb der EU in anderen Ländern auch alternative Wege beschrieben werden, konzentrieren sich die in Deutschland produzieren­ den Standorte inzwischen auf Direktreduktions­an­ lagen als neuen Weg zur Reduktion von Eisenoxid zu Roheisen (hier: Direct Reduced Iron, DRI). Im ersten Schritt können Direktreduktionsanlagen mit Erdgas betrieben werden, was bereits eine CO₂-Minderung von rund 66 Prozent gegenüber der Hochofenroute ermöglicht. Mittelfristig können dann ohne signifi­ kante Umrüstung steigende Anteile an Wasserstoff beigemischt werden – so kann fossiles Erdgas sukzessive ersetzt werden. Die voraussichtlichen Produktionskosten für DRIStahl auf Basis von erneuerbarem Wasserstoff liegen auch 2050 mit knapp 600 Euro pro Tonne deutlich über den heutigen Produktionskosten in der Hoch­ofen­route (knapp 400 Euro/t). Insofern wird der Ein­satz von Schrott zukünftig deutlich attraktiver werden. Durch verbessertes Produktdesign und eine bessere Sortie­ rung (Digitalisierung) wird es möglich, mehr Schrott mit klar definierter Qualität für die Erzeugung von Qualitätsstählen einzusetzen. Da­durch kann der Anteil von Sekundärstahl an der gesamten Stahlerzeugung im Szenario in Deutschland von 28 Prozent im Jahr 2016 auf 50 Prozent im Jahr 2050 steigen. Der heutige Nettoexport von Schrott mit nachfolgendem Downcycling geht entsprechend zurück. In Zukunft sind verschiedene Primärstahlrouten auf der Basis von DRI denkbar: → Elektrolichtbogenöfen (Electric Arc Furnace, EAF), wie sie heute schon im Rahmen des Schrottrecy­ clings eingesetzt werden, ermöglichen das Auf­ schmelzen und die Verarbeitung von Schrott sowie DRI zu Rohstahl in einem Prozessschritt (DRI-EAF). → Die großen deutschen Primärstahlhersteller sind heute auf Stähle im Linz-Donawitz-Verfahren (Konverterverfahren) spezialisiert. Auch hier kann DRI nach vorherigem Einschmelzen eingesetzt werden, beispielsweise in einem Einschmelzer (Submerged Arc Furnace, SAF). Hieraus ergibt sich die DRI-SAF-Konverter-Route. Aus heutiger Sicht ist unklar, welche Rolle die EAFund die SAF-Konverter-Route bis 2050 jeweils spielen können, eine Festlegung erfolgt deshalb in den Szenarien nicht.4 Die Route über SAF benötigt weniger Strom und ermöglicht eine Weiternutzung der sehr langlebigen Konverter, während die EAFRoute weniger komplex in Bezug auf das Manage­ ment von Kohlenstoffströmen und sehr flexibel in Bezug auf den Einsatz von Schrott ist. Im Szenario werden keine Hochöfen mehr neu in Betrieb genommen, sondern stattdessen ab Mitte der 2020er-Jahre alle zur Reinvestition anstehenden Hochöfen durch DRI-Anlagen ersetzt. Bis 2030 kommen in diesem Zuge 11 Millionen Tonnen DRI-EAF-Kapazität mit einem Investitionsvolumen 4 Bei unseren Berechnungen zum Energiebedarf haben wir konservativ Werte zum DRI-Verfahren angenommen, da hierzu spezifische Werte aus der Literatur vorliegen (siehe Schneider et al. 2019 für einen Überblick). 65 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 20 15 10 152 140 18 23 125 21 23 120 100 80 40 Sekundärstahl 24 24 23 36 57 2016 2050 2045 2040 2035 2030 2025 0 2020 20 2015 5 DRI 62 15 60 0 Hochofen 80 45 111 27 92 9 24 29 29 20 29 15 Erdgas Biomasse Koks Strom Kohle Wasserstoff 93 92 25 34 23 34 10 23 36 2050 25 24 2045 30 160 2030 35 179 2025 40 Abbildung 30 2040 180 2035 200 45 Energieträgereinsatz [TWh] 50 2010 Produktionsmengen Rohstahl [Mio. t] Rohstahlproduktion nach Routen und Energieträgereinsatz 5 in der Eisen- und Stahlindustrie Wuppertal Institut (2020) 5 von 8,5 Milliarden Euro in den Anlagenbestand.6 Um mit diesen Anlagen weitgehend „grünen Stahl“ produzieren zu können und um die Investition auch gegenüber institutionellen Investoren klar als nachhaltig zu kennzeichnen, wird von Anfang an weitgehend (zu 80 Prozent, bezogen auf den Energie­ gehalt) Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt. Fossiles Erdgas im Umfang von 20 Prozent spielt dabei die Rolle des Kohlenstofflieferanten im Reduk­ 5 6 66 Der Energieträgereinsatz wurde hier nicht gemäß den Konventionen zur Bilanzierung des Endenergiebedarfs in der deutschen Energiebilanz bilanziert. Abweichend hiervon wurde das Kuppelgasaufkommen nicht mit dem Einsatz von Koks verrechnet. Der Einsatz von Kuppelgasen in den Öfen der Stahlindustrie und in den Hüttengaskraftwerken ist deshalb auch nicht als zusätz­ licher Energiebedarf angegeben. Die Stromerzeugung aus Hüttengasen ist in den Ausweisungen des Umwandlungssektors berücksichtigt. Eine entspre­ chende Strom-Gutschrift wäre hier insofern möglich, erfolgte jedoch nicht. Hier wurde davon ausgegangen, dass in eine wasser­ stoffbasierte DRI-EAF-Route investiert wird. tionsmittel7 beziehungsweise dient als Back-up bei Ausfall der Wasserstoffversorgung.8 Stahlunternehmen sind bereits heute sehr erfahren im effizienten Umgang mit Hüttengasen in wech­ selnder Zusammensetzung. Diese Kompetenz und die Flexibilität von DRI-Anlagen in Bezug auf die Zusammensetzung des Reduktionsmittels ermöglicht es der Stahlindustrie, auch die langfristigen (metal­ lurgischen) Herausforderungen zu bewältigen und bis 2050 sogar zur Kohlenstoffsenke zu werden. Neben Wasserstoff kommt im Szenario langfristig der Biomasse eine besondere Bedeutung zu. Als Hack­ schnitzel angeliefert wird sie in den Werken zu Synthesegas umgesetzt (gasifiziert). Diese Gas­ mischung aus Kohlenmonoxid, Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid kann zum einen als biogener 7 Der Kohlenstoff wird hier nicht zum Zweck der Reduktion selbst benötigt, sondern aus metallurgischen Gründen, zum Beispiel zur Schlackenbildung. 8 Im Szenario sind alle Standorte, an denen DRI produziert wird, 2030 bereits mit einer Wasserstoffpipeline ver­ bunden. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Kohlenstofflieferant für die metallurgischen Prozesse dienen. Zum anderen kann sie auch die benötigte Wärmeenergie zum Vorheizen von DRI und Schrott sowie zum Wiedererwärmen des Rohstahls im Zuge des Warmwalzens liefern. Bei Verbrennung des Synthesegases in einem Oxyfuel-Ofen werden hohe CO₂-Konzentrationen im Abgas erreicht, sodass eine effiziente Abscheidung und Abgabe an ein CO₂-Netz mit anschließender geologischer Speicherung als Biomasse-CCS (BECCS) möglich ist. Das CO₂-Netz verbindet Deutschland über die Seehäfen mit geeig­ neten Offshore-Lagerstätten im europäischen Ausland. Chemische Grundstoffe Ein Großteil der Emissionen in der chemischen Industrie sind auf drei Bereiche zurückzuführen: → die Spaltung von Kohlenwasserstoffen und ­Erzeugung sogenannter Plattformchemikalien im Steamcracker, → die Wasserstofferzeugung, in erster Linie zur Produktion von Ammoniak, sowie → die Bereitstellung von Dampf (und Strom) durch Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) und Dampfkessel. Die Steamcracker bilden neben der Chlor- und Ammoniakproduktion einen zentralen Ausgangs­ punkt für die Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie. Ihre Hauptprodukte (Olefine und Aroma­ ten) werden als High Value Chemicals (HVC) subsu­ miert und finden als sogenannte „Plattformchemika­ lien“ Eingang in verschiedene ein- oder mehrstufige Produktionsrouten hin zu den Polymeren. Die bisher in Europa vorherrschende Produktionsstruktur ist eine Einbettung der Steamcracker in Raffinerie­ komplexe und die Verwendung des von den Raffine­ rien destillierten Rohbenzins (Naphtha) als Feedstock für die Steamcracker. Im Zuge des Rückgangs der Produktionsmenge von Mineralölraffinerien ist absehbar eine Anpassung der Produktionsroute hin zu den Plattformchemikalien vonnöten. Die in den vergangenen Jahren in Europa installierten neuen Produktionskapazitäten (allesamt an den europäischen Küstenstandorten) verwenden als Eingangsstoffe Nebenprodukte der Schiefergasförde­ rung – in erster Linie Ethan und Propan – und produzieren dezidiert nur ein bestimmtes Haupt­ produkt wie Ethylen oder Propylen. Sie können somit sehr gut in spezialisierte Kunststoffproduktions­ standorte mit Polyethylen- oder Polypropylen-­ Produktion (PE beziehungsweise PP) eingebunden werden und sind in diesem Produktspektrum wettbewerbsfähiger als Standorte im Binnenland. Als alternative Route zum Steamcracker steht für die Produktion von Olefinen zudem das Methanol-to-Olefins-Verfahren (MtO-Verfahren) zur Verfügung, das bereits heute im industriellen Maß­ stab verwendet wird, um Ethylen und Propylen zu erzeugen. Methanol-to-Aromatics-Verfahren (MtA) sind dagegen bisher nicht etabliert, ihre Produktaus­ beuten in Bezug auf die Einsatzmenge Methanol sind deutlich ungünstiger und die Anwendung des Verfahrens ist deshalb auch langfristig mit hohen Kosten verbunden (vgl. Agora Energiewende/­ Wuppertal Institut 2019). In Deutschland machen die Cluster an Rhein und Ruhr sowie der Standort Ludwigshafen heute zusam­ men etwa 80 Prozent der Steamcracker-Kapazitäten aus. Dort sind die regionalen Wertschöpfungsketten besonders komplex und in besonderer Weise auf die effiziente Nutzung der gesamten Palette der Naphtha-Cracker-Produkte 9 abgestimmt. Insofern sind diese Standorte in besonderer Weise auch auf Steamcracker-Produkte wie Butadien und Aromaten angewiesen, die mit heute verfügbarer Technologie nur relativ ineffizient in alternativen Routen (siehe oben zu Methanol-to-Aromatics) hergestellt werden können. 9 Die Palette der High Value Chemicals umfasst beim Naphtha-Cracking die Olefine Ethylen, Propylen und Butadien sowie als Aromaten Benzol, Toluol und Xylol. 67 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 12 2 18 16 10 9 8 2 6 1 1 10 8 8 2 2 2 4 3 5 2 4 16 14 14 12 7 3 10 5 4 2 10 8 1 6 4 1 1 8 1 2 3 3 Methanol-to-olefins Cracking von fossilem Ethan 2016 2050 2040 2030 2016 Raffinerie-Co-Produkte Cracking von Pyrolyseprodukten Cracking von Naphtha (o. Naphtha aus Pyrolyse) 2030 0 0 14 4 6 6 1 1 2050 13 2040 14 Abbildung 31 Feedstock Input [Mio. t] HVC Output [Mio. t.] HVC-Produktion nach Routen und Feedstock-Einsatz Naphtha Import (fossil) Ethan Import Naphtha Import ("grün") Naphtha (aus Pyrolyse) Gasöl (aus Pyrolyse) Ethan (aus Pyrolyse) Methanol aus Gasifizierung Abfälle Propylen aus FCC Naphtha aus Raffinerien in DE Wuppertal Institut (2020) An deutschen Standorten gibt es neben der Produk­ tion der Standardpolymere wie Polyethylen, Polypro­ pylen und Polyethylenterephthalat (PET) auch stark spezialisierte Anlagen wie zum Beispiel zur Produk­ tion des Polyurethan-Vorprodukts Toluylen­ diisocyanat (TDI), von denen es weltweit nur wenige gibt. Dies schafft eine starke Ausgangsposition dafür, dass Anlagen der chemischen Industrie, die die Plattformprodukte weiterverarbeiten, langfristig in Deutschland weiterbetrieben werden. Daher bleibt dieser bedeutende Teil der Wertschöpfung im Szena­ rio Klimaneutral 2050 in Deutschland erhalten. Im Zuge des Rückgangs der Produktionsmenge von Mineralölraffinerien und mit Blick auf eine Reduk­ tion von Treibhausgasemissionen stellen sich die deutschen Standorte der Chemieindustrie im Szena­ rio auf neue Feedstocks um. Die Abbildung oben zeigt die Produktion von HVC nach verschiedenen Routen über die Zeit (wozu heute auch die Co-Produkte aus den Raffinerien gehören) sowie den Einsatz von 68 Feedstock in den Crackern und MtO-Anlagen. Im Jahr 2050 werden 41 Prozent der Plattformchemikalien (HVC) durch das Cracking von Pyrolyseprodukten hergestellt, 32 Prozent durch das Cracking von (importiertem grünem) Naphtha und 28 Prozent über die MtO-Route.10 Wie die Abbildung zeigt, kommt der Pyrolyse von (gut sortierten) Kunststoffabfällen im Szenario KN2050 bereits 2030 eine wichtige Rolle zu. Sie ermöglicht den Einsatz von 1,3 Millionen Tonnen Feedstock in den bestehenden (aber umzurüstenden) Steam­ 10 Im Vergleich zu den anderen hier dargestellten Feedstocks hat Methanol einen hohen Sauerstoffanteil, der erheblich zu dessen Gewicht beiträgt. Da der im Methanol gebundene Sauerstoff während der HVCProduktion abgetrennt und nicht in die HVC eingebun­ den wird, deckt Methanol 2050 zwar 42 Prozent des Feedstock-Bedarfs ab, die methanolbasierte HVCProduktion macht aber nur 28 Prozent der gesamten HVC-Produktion in Deutschland aus. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland crackern (siehe auch Agora Energiewende/Wuppertal Institut 2019, Material Economics 2019, VCI 2019, Schneider et al. 2020).11 Daneben wird 2030 über den Rhein fossiles Ethan importiert. Eine Gasifizierung von stark gemischten Abfällen mit anschließender Methanol-Synthese eröffnet langfristig den Weg zur Anwendung des MtO-Verfahrens. Die dem Szenario zugrunde liegenden Rechnungen zeigen, dass MtO in Deutschland eine ergänzende Rolle spielen kann, aber dass die Steamcracker insbesondere an den deut­ schen Standorten auch zukünftig einen zentralen Beitrag zur Versorgung mit Plattformchemikalien leisten werden. Damit sie im europäischen Verbund weiter produzieren können, müssen sie im Rahmen ihres ohnehin anstehenden Reinvestitionszyklus im Hinblick auf den eingesetzten Feedstock flexibilisiert werden. Nur so können sie bereits mittelfristig Pyrolyseprodukte und Import-Ethan, langfristig (2050) auch „grünes“ Naphtha (aus Power-to-­LiquidVerfahren) verwenden. Im Jahr 2050 kommen etwa 3,4 Millionen Tonnen hiervon über die bereits vorhandenen Feedstock-Pipelines ins Land. Analog zu den Annahmen im Hinblick auf die Versorgung mit Kraftstoffen geht das Szenario davon aus, dass ein solcher synthetisch hergestellter Feedstock (grünes Naphtha) im Jahr 2050 auf den Weltmärkten gehan­ delt werden wird und über die Seehäfen und beste­ henden Pipelines zu sehr niedrigen Transportkosten importiert werden kann. Eine Produktion von Plattformchemikalien auf Basis von importiertem grünem Methanol ist langfristig in Europa ebenfalls möglich und könnte unter sehr günstigen Bedingungen zu CO₂-Vermeidungskosten 11 In den Simulationsrechnungen wird Europa insgesamt betrachtet, und die dort ermittelten Abfallmengen zum Einsatz in Pyrolyse sind über Europa insgesamt verfüg­ bar. Die für Deutschland ermittelte Einsatzmenge von 1,3 Millionen Tonnen lässt sich jedoch nicht allein aus in Deutschland abfallenden Mengen erzeugen. Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Pyrolyse-Produkte über die Seehäfen nach Deutschland kommt. Rotterdam und Antwerpen könnten ihre heute schon bestehende HubFunktion für Kunststoffabfälle weiter ausbauen. in Höhe von unter 100 Euro pro Tonne CO₂ erfolgen (vgl. Agora Energiewende/Wuppertal Institut 2019). Gegenüber der Naphtha-Route ist diese Route für Küstenstandorte mit ausschließlichem Ethylen- oder Propylen-Bedarf wirtschaftlich vorteilhaft. In den durchgeführten Simulationsrechnungen werden die entsprechenden Anlagen auch aufgrund einer fehlenden Pipelineinfrastruktur jedoch nicht an Standorten des Binnenlandes errichtet.12 Die HVC-Produktion aus importiertem grünem Methanol spielt daher im Szenario KN2050 für Deutschland keine Rolle. Die Ammoniakproduktion bildet den zweiten emissi­ onsintensiven Ausgangspunkt für Wertschöpfungs­ ketten. Auch Ammoniak geht in einige Polymer-­ Produktionsketten ein, wird jedoch ganz überwiegend in der Düngemittelherstellung verwen­ det. Im Haber-Bosch-Verfahren werden Wasserstoff und Stickstoff zu Ammoniak synthetisiert. Die heutigen Emissionen sind in allererster Linie auf die Wasserstoffbereitstellung zurückzuführen. Eine klimaneutrale Ammoniakproduktion baut also langfristig auf erneuerbar erzeugtem Wasserstoff auf. Im Szenario Klimaneutral 2050 setzt die Industrie mittelfristig auch fossilen Wasserstoff mit Kohlen­ stoffabscheidung in ihren bestehenden Haber-Bosch-Anlagen ein. Der Wasserstoff wird jedoch nicht an den Standorten selbst produziert, sondern über Pipelines bezogen. Gerade bei Ammo­ niak stellt sich langfristig aber auch die Frage, ob er überhaupt noch in Mitteleuropa erzeugt werden wird. Durch seine gute Transportfähigkeit könnte er ähnlich wie grünes Naphtha (und günstiger als Wasserstoff) importiert werden (vgl. IEA 2019). Den größten Block an den heutigen Emissionen der chemischen Industrie stellen die Kraft-Wärme-­ Kopplungs-Anlagen. In der chemischen Industrie 12 Ein Umstand, der sich langfristig ändern könnte, falls zum Beispiel Rohölpipelines umgenutzt werden. Die Hafenstandorte haben in Bezug auf die Nutzung von importiertem Methanol jedoch einen Startvorteil. 69 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland werden diese überwiegend wärmegeführt betrieben. Sie liefern – neben konventionellen mit Erdgas betriebenen Dampfkesseln – den benötigten Prozess­ dampf, der überwiegend in kontinuierlich betriebe­ nen Prozessen benötigt wird. Der Dampf wird in der chemischen Industrie einerseits als Wärmeträger, anderseits auch stofflich als Lösungsmittel bezie­ hungsweise Wasserstofflieferant eingesetzt. Entspre­ chend des Szenarios zur Stromerzeugung läuft die Dampfbereitstellung aus KWK-Anlagen langfristig (bis zum Jahr 2050) aus. Die Dampfversorgung wird in diesem Zuge auf einen Mix aus Erzeugungstech­ nologien umgestellt: Elektrodenkessel und Hochtem­ peraturwärmepumpen können aufgrund der Knapp­ heit von erneuerbarem Strom nur ein Teil der Lösung sein und insbesondere bis 2030 trotz teilweise niedriger CO₂-Vermeidungskosten (vgl. Agora Energiewende/Wuppertal Institut 2019) nur geringe Beiträge zur Vermeidung von Treibhausgasen leisten. Aufgrund der starken räumlichen Konzentration von Dampfsenken in Chemieparks und des damit verbun­ denen hohen Energiebedarfs der Dampfbereitstellung bietet sich bereits mittelfristig Wasserstoff als Energieträger an, da er in großen Mengen kosteneffi­ zient über Pipelines angeliefert werden kann. Langfristig sieht das Szenario insbesondere die Verwendung von Biomasse vor, um über die Kombi­ nation mit CCS Negativ-Emissionen zu erreichen. Auch hier ist die starke Konzentration der Dampfsen­ ken der entscheidende Grund. Die Dampfversorgung muss also innerhalb von etwa 20 Jahren zweimal umgestellt werden. Diese Herausforderung bewältigt die Industrie im Szenario, indem sie im Rahmen von Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen nur noch in Kessel investiert, die mit „Flex-Brennstoff“ betrieben werden können. Diese werden dann zunächst mit Wasserstoff (und gegebenenfalls noch Erdgas) und später mit Synthesegas (bestehend aus Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid) betrieben. Die für den ersten Umstieg benötigte Wasserstoffinfrastruk­ tur wird von den Unternehmen nach der Umstellung auf Biomasse (wenn auch in geringerem Umfang) für die stoffliche Nutzung von Wasserstoff eingesetzt. Darüber hinaus können die mit Wasserstoff versorg­ 70 ten Industrieparks auch Standorte für die Wasser­ stoffrückverstromung werden, insofern sie sich innerhalb von regionalen Schwerpunkten der Stromnachfrage befinden. Aus diesen Entwicklungen ergibt sich im Szenario Klimaneutral 2050 der Energieverbrauch der Grund­ stoffchemie13. Der Endenergieverbrauch bleibt langfristig in etwa auf dem heutigen Niveau. Strom wird durch den zusätzlichen Bedarf für die Dampfbe­ reitstellung zum wichtigsten Energieträger. Feste Biomasse wird zum Dampfbereitstellung Hauptener­ gieträger und nimmt – aufgrund der zentralen Rolle der Dampfbereitstellung für den gesamten Energie­ bedarf der Grundstoffchemie – ab 2040 eine zentrale Rolle ein. Der Wasserstoffbedarf ist durch verschie­ dene Entwicklungen geprägt. Während eine sinkende Ammoniakproduktion die Nachfrage nach stofflich verwendetem Wasserstoff bis 2030 sinken lässt,14 entsteht im Zeitraum 2030 bis 2045 ein Bedarf für eine ener­getische Nutzung von Wasserstoff in der Dampfbereitstellung. Darüber hinaus wird Wasser­ stoff zunehmend auch für die Bereitstellung von 13 Die Gründe für diesen im Vergleich zu Szenarien in anderen Studien (zum Beispiel Szenario „Treibhausgasneutralität“ des VCI 2019 und Szenario „EL95“ der dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende“) im Jahr 2050 niedrigen Endenergieverbrauch sind vielschichtig: 1) im Szenario KN2050 wird eine im Vergleich geringere inländische Nachfrage nach Naphtha unterstellt. Hintergrund ist ein Rückgang der inlän­ dischen HVC-Produktion infolge einer Verlagerung der Produktion an Küstenstandorte im außereuro­ päischen Ausland durch Marktkräfte. 2) Eine wei­ tere Reduktion des Naphtha-Bedarfs entsteht durch einen höheren Anteil an Kunststoffrecycling. 3) Zudem wird (grünes) Naphtha in einem Umfang importiert, für dessen inländische Produktion mittels FischerTropsch-Synthese 117 TWh Strom benötigt würden. 4) Auf elektrische Steamcracker wird aus Gründen der Wirtschaftlichkeit verzichtet. 5) Es wird ein Rückgang der Ammoniakproduktion in Übereinstimmung mit dem Szenario zur Landwirtschaft unterstellt. 14 Nicht in der Abbildung zum Endenergieverbrauch e­ nthalten. Die stofflich genutzte Menge H₂ ist 20 TWh in 2016 und 13 TWh in 2030. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Grundstoffchemie: Endenergieverbrauch und Primärenergieverbrauch im Jahr 2050 160 23 21 40 118 119 21 20 43 10 51 20 43 51 12 5 19 5 53 37 136 [TWh] 49 9 117 39 68 37 64 36 26 68 feste Biomasse (energetische Nutzung) 49 Restchemikalien (energetische Nutzung) 5 20 23 9 5 9 9 9 2035 2030 2025 127 8 16 27 0 2016* 10 60 46 80 60 133 124 2050 100 138 2045 120 1 PEV 2050 gesamt***: 372 TWh davon inländisch: 181 TWh 2040 Endenergieverbrauch [TWh] 140 Abbildung 32 17 Kunststoffabfälle (inländisch, stoffliche Nutzung) Kunststoffabfälle (Import Ausland, stoffl. Nutzung) EE-Strom (sonstiger Bedarf) EE-Strom für H₂-Elektrolyse (inländisch) Heizöl Wasserstoff** Fernwärme Braunkohle Restchemikalien Strom EE-Strom für importiertes grünes Naphtha Steinkohle Erdgas Feste Biomasse EE-Strom für Pyrolyse (im Ausland) EE-Strom für H₂-Elektrolyse (importiertes H₂) * 2016: statistische Werte (Quelle: AG Energiebilanzen), restliche Jahre: Modellergebnisse ** ohne stoffliche Verwendung von Wasserstoff *** Nicht berücksichtigt sind Leitungs- und Speicherverluste im Stromsystem sowie Energieaufwände für den Transport der importierten Energieträger und Stoffe. Kunststoffabfälle, feste Biomasse sowie Restchemikalien werden gemäß ihrem Heizwert eingerechnet. Wuppertal Institut (2020) Hoch­temperatur­wärme als Ersatz von Erdgas energe­ tisch sowie in der MtO-Route stofflich genutzt. Die Menge an „Restchemikalien“, die in den Steam­ crackern anfallen und energetisch verwertet werden, nimmt durch einen erhöhten Anteil an abfallbasierten Feedstocks im Zeitraum ab 2035 zu. Im Jahr 2050 werden 68 TWh erneuerbarer Strom aus heimischer Produktion direkt genutzt, sowie 16 TWh Strom für die Erzeugung von 10 TWh grünem Wasserstoff aufgewendet. Darüber hinaus werden 23 TWh Wasserstoff importiert, für dessen Herstel­ lung mittels Elektrolyse 36 TWh erneuerbaren Stroms aufgewendet werden. Für die Herstellung des impor­ tierten grünen Naphthas (41 TWh) werden weitere 117 TWh erneuerbarer Strom benötigt. Auch die Pyrolyse der importierten Pyrolyseprodukte erfordert erneuerbaren Strom (1 TWh). Insgesamt benötigt die Chemieindustrie somit im Jahr 2050 239 TWh Strom aus erneuerbaren Quellen (im In- und Ausland). Zementindustrie Für eine Transformation zu einer (nahezu) klimaneut­ ralen Zementproduktion sind im Szenario zwei Strate­ gien zentral: der effiziente Einsatz von Zementklinker 15 sowie CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Der effiziente Einsatz von Zementklinker umfasst die gesamte Wertschöpfungskette Betonbau und bein­ haltet: → eine Reduktion des Zementklinkeranteils in Zementen durch den Einsatz innovativer Hauptbe­ 15 Zementklinker ist der zentrale Bestandteil von Zement, der in verschiedenen Zementarten zu unterschiedlichen Anteilen durch weitere Hauptbestandteile (zum Beispiel Hüttensand, gemahlener Kalkstein) ergänzt wird. Die Herstellung von Zementklinker ist ein energieintensiver Hochtemperaturprozess, bei dem durch die Entsäuerung von Kalkstein auch prozessbedingte CO₂-Emissionen entstehen. 71 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland standteile (zum Beispiel Betonbrechsande, kalzi­ nierte Tone), → die Reduktion des Zementanteils in Beton, unter anderem durch optimierte Korngrößenverteilung der Betonaggregate und verbesserte Betonzusatz­ mittel, sowie → den mengenoptimierten Einsatz von Beton in Betonbauteilen zum Beispiel durch ­Carbon­-Beton und eine intelligente Geometrie von Bauteilen.16 16 Im Szenario wird zudem eine moderate Fortsetzung des in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Anstiegs des Holzbauanteils im Wohnungsbau von 16 Prozent im Jahr 2016 auf 24 Prozent im Jahr 2050 sowie ein ebenfalls moderater Anstieg im Nicht­ wohnungsbau von 19 Prozent im Jahr 2016 auf 22 Prozent im Jahr 2050 angenommen.17 Der Einsatz neuer Bindemittel, die konventionelle Zemente in bestimmten Anwendungen substituieren können, steigt im Szenario ab 2030 bis auf einen Marktanteil von fünf Prozent im Jahr 2050. Diese neuen Binde­ mittel erlauben im Mittel eine Reduktion der spezifischen CO₂-Emissionen um 30 Prozent gegenüber dem Durchschnitt konventioneller Zemente im Basisjahr. Durch diese Maßnahmen ergibt sich in Summe bis 2050 – trotz steigender Bautätigkeit – ein leichter Rückgang in der Zement­ Die sich aus dem Szenario zur Stahlindustrie erge­ benden, insbesondere nach 2025 stark rückläufigen Hüttensandmengen wurden berücksichtigt und können im Szenario durch Fortschritte beim Einsatz innova­ tiver Zementhauptbestandteile kompensiert werden. Der Klinkerfaktor bleibt im Szenario bis circa 2040 nahezu konstant (~0,73) und kann bis 2050 auf 0,68 abgesenkt werden. Der sich aus dem Szenario für die Stromproduktion ergebende Wegfall von Flugasche wird durch Fortschritte in der Betontechnik kompen­ siert. Im Zeitraum 2030 bis 2050 kann im Szenario der Zementanteil in Beton darüber hinaus um 10 Prozent gesenkt werden. 17 Prozentangaben bezogen auf die Anzahl genehmigter Gebäude Minderungsbeiträge einzelner Strategien in der Zementindustrie (Mio. t. CO₂-Äq.) Abbildung 33 Holzbau 18 -1 Effizienzsteigerung Öfen 2 CCS -4 -0,3 -0,7 12,5 -0,4 -1,3 Steigende Bautätigkeit Effizienter Einsatz von Zement und Beton Absenkung Klinkerfaktor Brennstoffmix Neue Bindemittel 0,5 2016 Wuppertal Institut (2020) 72 2050 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland produktion sowie ein etwas stärkerer Rückgang bei der Produktion von Zementklinker. Zementklinker bleibt im Szenario jedoch ein bis zum Jahr 2050 unverzichtbarer Werkstoff. Da seine Produktion mit prozessbedingten Emissionen verbunden ist, erscheint der Einsatz von CCS aus heutiger Sicht unumgänglich, um in der Zementin­ dustrie (nahezu) Klimaneutralität zu erreichen. Es wird für das Szenario angenommen, dass die Oxyfuel-Technologie zur CO₂-Abscheidung an Zement­öfen im industriellen Maßstab zwischen 2025 und 2030 verfügbar sein wird und damit eine CO₂-­Abscheiderate von 90 Prozent (ab 2040 sogar 95 Prozent) erreicht werden kann. Reinvestitionen in Zementöfen erfolgen ab circa 2030 nur noch in Öfen mit Oxyfuel-Technologie. Öfen, die vorher rein­vestiert werden, werden als Carbon Capture Ready angenommen. Eine Nachrüstung mit der Oxyfuel-Technologie erfolgt an solchen Anlagen nach 20 Betriebsjahren. An Standorten, die pers­ pektivisch nicht an eine CO₂-Infrastruktur ange­ bunden werden können, werden Öfen am Ende ihrer angenommenen technischen Lebensdauer (60 Jahre) nicht reinvestiert. Ein weiterer wichtiger Baustein zur Reduktion der CO₂-Emissionen der Zementindustrie ist eine (weitere) Umstellung des Brennstoffmix. Wir führen im Szenario den historischen Trend zum verstärkten Einsatz von Alternativbrennstoffen aus Abfällen fort – dieser erreicht im Jahr 2050 circa 90 Prozent. Der biogene Anteil des in den Alternativbrennstoffen enthaltenen Kohlenstoffs verbleibt dabei auf dem heutigen Niveau (34 Prozent).18 In Ergänzung werden 18 Wir bezeichnen als Alternativbrennstoffe sämtliche abfallbasierten Brennstoffe. Biogener Kohlenstoff ist enthalten in Klärschlamm, Tiermehl, Altholz, Zellstoff, Papier, Pappe, in Autoreifen (biogene Kautschukanteile) und weiteren als Brennstoff verwendeten Abfällen wie organischen Destillationsrückständen. Speziell für die energetische Verwendung angebaute Energiepflanzen sowie Biogas und Biomethan subsumieren wir nicht unter Alternativbrennstoffe, sondern weisen diese gesondert aus. zunehmend biogene Brennstoffe aus Energie­ pflanzen­anbau als Ersatz für die verbleibenden 10 Prozent fossiler Brennstoffe eingesetzt: feste Biomasse als Holzhackschnitzel sowie Biomethan beziehungsweise am Standort aufbereitetes Biogas. Der anteilige Einsatz biogener Brennstoffe in Kombi­ nation mit CCS ermöglicht den Entzug von CO₂ aus der Atmosphäre (negative Emissionen). An vielen Standorten können im Jahr 2050 durch den hohen Anteil biogener Brennstoffe (43 Prozent bezogen auf den Energieeintrag) in Kombination mit effektivem CCS (Abscheiderate: 95 Prozent) die verbleibenden, unvollständig abgeschiedenen prozessbedingten und fossilen Emissionen überkompensiert werden, sodass diese Standorte in ihrer Bilanz Netto-Negativ-Emis­ sionen erreichen. Verbleibende Restemissionen der Zementindustrie an Standorten ohne CCS können hierdurch mit Blick auf die gesamte deutsche Zement­industrie im Jahr 2050 nahezu kompensiert werden. Trotz fortgesetzter Effizienzsteigerungen kann die Zementindustrie spürbare absolute CO₂-Minderun­ gen erst im Zeitraum nach 2030 vorweisen. ­Steigende Bautätigkeit sowie der Wegfall von Hüt­ tensand und Flugaschen als wichtige Rohstoffe der Zement- und Betonindustrie müssen zunächst kompensiert werden, während innovative Zemente und neue Bindemittel noch Zeit für Entwicklung und Normierungsverfahren benötigen. Die CCS-Techno­ logien sind neben weiterer Technologieentwicklung vor allem auf den Aufbau einer entsprechenden CO₂-­Infrastruktur angewiesen, welcher ebenfalls vor 2030 schwerlich realisiert werden kann. Abbildung 33 fasst die Auswirkungen der verschie­ denen Minderungshebel in der Zementindustrie zusammen. Weitere Industrien Signifikante CO₂-Emissionen entstehen auch bei der Herstellung von Glas, Kalk, Nichteisenmetallen und Papier. Des Weiteren spielen in vielen Industriebe­ 73 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland reichen genutzte Querschnittstechnologien, insbe­ sondere für die Bereitstellung von Prozesswärme, eine bedeutende Rolle. Die heute verwendeten fossilen Brennstoffe werden soweit technisch möglich durch Elektrifizierung vermieden und die restlichen fossilen Brennstoffe durch klimafreundliche ersetzt. Dies beinhaltet eine Ausweitung des strombasierten Anteils der Wärme­ bereitstellung in der Behälterglasherstellung auf (maximal) 36 Prozent sowie bei Flachglas auf (maxi­ mal) 16 Prozent bezogen auf den Endenergiebedarf und – an geeigneten Standorten – eine Beimischung von Wasserstoff in die in der Glasindustrie verwen­ deten Brenngase von 50 Prozent (bezogen auf das Volumen).19 Verbleibende Erdgasmengen werden durch Biogas beziehungsweise -methan ersetzt. Bezüglich der Herstellung von Nichteisenmetallen unterstellen wir, dass der heute in Kupolöfen einge­ setzte Koks nach 2040 durch biogenen Kohlenstoff sowie Erdgas überwiegend durch Wasserstoff und teilweise durch eine Elektrifizierung der Wärmebe­ reitstellung ersetzt wird. Wärmebereitstellung stärker auf strombasierte (circa 20 Prozent) beziehungsweise mit Biomasse befeuerte (circa 30 Prozent) Heizkessel. Zudem kann ein Teil der Prozesswärme durch Hochtemperatur­ wärmepumpen (circa 30 Prozent) bereitgestellt werden. Fernwärme (circa 20 Prozent) spielt auch im Jahr 2050 eine große Rolle.20 Prozessbedingte CO₂-Emissionen entstehen in der Glasindustrie (Zersetzung der im Gemenge befindli­ chen Karbonate, zum Beispiel Soda), der Kalkindustrie (Entsäuerung von Kalkstein) sowie bei der Herstel­ lung von Aluminium (Abbrand von aus Petrolkoks und Steinkohlenteerpech hergestellten Anoden). Um ein Entlassen dieser prozessbedingten Emissionen in die Atmosphäre möglichst weitgehend zu vermeiden, erfolgt im Szenario an Produktionsstandorten dieser Industrien, die im Einzugsbereich der angenomme­ nen CO₂-Infrastruktur liegen, eine Abscheidung der dort anfallenden prozessbedingten und brennstoffbe­ dingten CO₂-Mengen mit einer Abscheiderate von 90 Prozent unter Einsatz einer Aminwäsche. 3.4 Gebäude In der Kalkindustrie wird der Einsatz von Alterna­ tivbrennstoffen auf (bis zu) 100 Prozent erhöht. Verbleibende Erdgasmengen werden je nach ange­ nommener Verfügbarkeit am Standort durch Wasserstoff, Biomethan oder am Standort aufgerei­ nigtes Biogas ersetzt. In der Papierindustrie spielt die Wärmebereitstel­ lung über Dampf aus KWK-Anlagen oder Heizkes­ seln heute die zentrale Rolle für die CO₂-Emissionen. Da KWK-Anlagen mit ihrer geringen Flexibilität bei der Stromproduktion im modellierten Stromsystem 2050 keine Rolle mehr spielen, verlagert sich die 19 74 Im Jahr 2050 erreicht im Szenario ein Drittel der Glasschmelzwannen den maximalen Elektrifizierungsgrad. Beimischung von H₂ ins Brenngas erfolgt im Szenario an Standorten, die an eine H₂-Infrastruktur angeschlossen sind. 3.4.1 Zielbild und Ausgangslage Die THG-Emissionen des Gebäudesektors ver­ ringerten sich zwischen 1990 und 2016 von 210 Mio. t CO₂-Äq auf rund 125 Mio. t CO₂-Äq (minus 40 Prozent). Wichtige Ursachen für die Reduktion waren die Substitution weg von der Kohle, und ab dem Jahr 2000 auch weg vom Heizöl. Die verbesser­ ten Nutzungsgrade der Wärmeerzeuger (Brennwert­ technologie), die gesteigerte Gebäudeeffizienz durch Sanierungen und das Aufkommen von Erneuerbaren Energien zur Wärmeerzeugung waren weitere wichtige Faktoren zur Emissionsreduktion. Gemäß dem aktuellen Klimaschutzgesetz (KSG) sollen bis zum Jahr 2030 die THG-Emissionen im Gebäu­ 20 Die Prozentangaben sind jeweils bezogen auf die über Dampf bereitgestellte Energiemenge. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland desektor auf maximal 70 Mio. t CO₂-Äq gesenkt werden. Mit den im Herbst 2019 verabschiedeten Maßnahmen des Klimaschutzprogramms werden die Emissionen bis 2030 voraussichtlich auf 78 Mio. t CO₂-Äq (Prognos et al.) bis 87 Mio. t CO₂-Äq (Öko-­Institut et al.) reduziert. Die bisher verabschie­ deten Maßnahmen sind noch nicht ausreichend. Ohne zusätzliche Maßnahmen ist mit einer deutli­ chen Verfehlung der Reduktionsziele zu rechnen. Im Szenario KN2050 wird das Reduktionsziel des KSG für das Jahr 2030 unterschritten, die THG-Emissionen des Gebäudesektors werden auf 65 Mio. t CO₂-Äq reduziert. Nach 2030 werden die THG-Emissionen im Hauptszenario KN2050 weiter vermindert, bis 2050 sollen keine nennenswerten Mengen an Treibhausgasen emittiert werden. Die Reduktion der THG-Emissionen im Gebäudesek­ tor ist anspruchsvoll, aber erreichbar. Eine große Herausforderung ist die lange Lebensdauer der Reduktion der Treibhausgasemissionen bei den Gebäuden (Mio. t CO₂-Äq.) Abbildung 34 Gebäude -39 Raumwärme PHH -13 Raumwärme GHD -5,6 Warmwasser PHH -1,4 Warmwasser GHD 125 -0,5 Übrige Anwendungen PHH -1,5 Übrige Anwendungen GHD -39 Raumwärme PHH -17 Raumwärme GHD 65 -4,7 Warmwasser PHH -0,5 Warmwasser GHD Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung: Wärmenetze und Wärmepumpen -0,5 Übrige Anwendungen PHH Anlageneffizienz, Elektrowärme -2,5 Übrige Anwendungen GHD 1,3 2016 2030 Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung: Wärmenetze und Wärmepumpen Hinweis: PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen 2050 Anlageneffizienz, Elektrowärme Prognos (2020) 75 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Wärmeerzeuger und der Bauteile der Gebäudehüllen. Dadurch wird jedes Jahr nur ein geringer Anteil des Gebäude- und Anlagenbestands ersetzt oder moder­ nisiert. Die damit verbundene Trägheit erschwert die rasche Reduktion der Emissionen. Entsprechend wichtig ist es, die anfallenden Ersatzzyklen zu nutzen und dabei die notwendigen Effizienz- beziehungs­ weise Dekarbonisierungsmaßnahmen umzusetzen. Zentrale Maßnahmen zur Erreichung des Redukti­ onsziels im Szenario KN2050 sind die Umstellung der Wärmeversorgung sowie die Verbesserung der Effizienz bei Gebäudehüllen und Anlagen. Bei der Wärmeversorgung gewinnen die elektrische Wärmepumpe und Wärmenetze stark an Bedeutung. Hingegen werden ab 2025 keine neuen Wärmeerzeu­ ger auf Basis von Heizöl oder Gas installiert. Der Weiterbetrieb bestehender Anlagen bis ans Ende der Lebensdauer (maximal 30 Jahre) bleibt erlaubt. Der Einsatz von Biomasse wird durch die verfügbaren Potenziale begrenzt. Der durch Effizienzsteigerungen bei Elektrogeräten niedrigere Strombedarf führt zu einer Emissionsmin­ derung im Sektor der Energiewirtschaft. 3.4.2 Entwicklung der Gebäudeflächen Dominiert wird der Energieverbrauch des Gebäude­ sektors durch den Verwendungszweck Raumwärme. Die Höhe des Raumwärmeverbrauchs steht in engem Zusammenhang mit der beheizten Gebäudefläche. Die Entwicklung der Gebäudefläche ist an die Bevölke­ rung geknüpft. In der Regel belegt jeder Haushalt eine Wohnung. Die Zahl der Haushalte ist dadurch ein wichtiger Treiber für die Entwicklung der Gesamt­ wohnfläche. Die Bevölkerung wächst bis zum Jahr 2025 und nimmt dann kontinuierlich ab (Kapitel 2.4). Aufgrund der rückläufigen mittleren Haushaltsgröße (Ein- und Zweipersonenhaushalte gewinnen im Zeitverlauf an Bedeutung) steigt jedoch die Zahl der Haushalte bis zum Jahr 2040 weiter an. Danach überwiegt der Einfluss der abnehmenden Bevölkerung und die Zahl der Haushalte wird rückläufig. Aufgrund der abnehmenden mittleren Haushaltsgröße und von Wohlstandseffekten steigt die Pro-Kopf-Wohnfläche Entwicklung der Gebäudefläche nach Gebäudetyp* 7.000 6.000 [Mio. m²] 5.000 Abbildung 35 6.205 6.359 6.319 6.281 6.252 522 6.198 501 6.141 553 480 460 440 420 1.765 1.685 1.613 1.555 1.497 1.450 1.667 1.687 1.713 1.743 1.765 1.785 2.282 2.404 2.446 2.476 2.494 2.495 2.486 2018 2025 2030 2035 2040 2045 2050 1.767 4.000 3.000 1.603 2.000 1.000 0 EZFH MFH NWG beheizt Hinweis: EZFH: Ein- und Zweifamilienhäuser; MFH: Mehrfamilienhäuser; NWG: Nichtwohngebäude *in Mio. m², ohne Flächen des Industriesektors Prognos (2020) 76 NWG unbeheizt STUDIE | Klimaneutrales Deutschland von 45 m² im Jahr 2018 auf 52 m² im Jahr 2050. Die Gesamtwohnfläche steigt von 3.885 Mio. m² im Jahr 2018 über 4.132 Mio. m² im Jahr 2030 auf 4.271 Mio. m² im Jahr 2050 (Abbildung 35). Die Gebäudeflächen der Nichtwohngebäude (NWG) des GHD-Sektors werden in der Modellierung anhand der Zahl der Erwerbstätigen nach Branchen sowie der branchenspezifischen Fläche je Erwerbstä­ tigen hergeleitet. Die Zahl der Erwerbstätigen geht mittel- und längerfristig deutlich zurück. Ursachen sind die rückläufige Bevölkerung und der abneh­ mende Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter (aufgrund der älter werdenden Bevölkerung). Die Gesamtfläche der NWG im GHD-Sektor nimmt ab von 2.319 Mio. m² im Jahr 2018 über 2.187 Mio. m² im Jahr 2030 auf 1.870 Mio. m² im Jahr 2050. Dies entspricht einem Rückgang von annähernd 20 Pro­ zent. Rund 20 bis 25 Prozent der NWG-Fläche wird nicht beheizt, dieser Teil der Fläche hat keinen Einfluss auf den Raumwärmebedarf. 3.4.3 E  ffizienzentwicklung Gebäudehülle: ­energetische Sanierungen Energetische Sanierungen der Gebäudehülle sind eine zentrale Effizienzmaßnahme zur Reduktion des Raumwärmebedarfs und der damit verbundenen THG-Emissionen. Hierbei spielen sowohl die Sanie­ rungsrate, als Maß für die Häufigkeit getätigter Sanierungsmaßnahmen (Wie viele Bauteile werden im Gebäudebestand modernisiert?), als auch die Qualität beziehungsweise Sanierungstiefe der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen eine Rolle (Welche Dämm­ stärke wird gewählt? Wird eine Zwei- oder Dreifach­ verglasung eingesetzt?). Bei energetischen Sanierun­ gen können entweder einzelnen Bauteile modernisiert werden, zum Beispiel die Fenster oder das Dach, oder es wird die gesamte Außenhülle modernisiert. Entsprechend wird unterschieden zwischen Teilsa­ nierungen und Gesamt- beziehungsweise Vollsanie­ rungen. Bei der Modellierung werden Teilsanierungen als Vereinfachung zu Gesamt- beziehungsweise Vollsanierungen zusammengefasst und in Vollsanie­ rungsäquivalenten ausgedrückt. Die im Folgenden genannten Sanierungsraten beziehen sich ebenfalls auf Vollsanierungsäquivalente. Dabei gilt: Je geringer der Energieverbrauch nach einer Vollsanierung ausfällt, desto höher ist die Sanierungstiefe der gewählten Sanierungsmaßnahmen. Gemäß einer aktuellen Erhebung des Institut Wohnen und Umwelt (IWU) zur Sanierungstätigkeit wurden bei Ein- und Zweifamilienhäusern (EZFH) im Zeit­ raum 2010 bis 2016 jährlich rund 1,4 Prozent der Altbauten energetisch saniert, bei Mehrfamilienhäu­ sern (MFH) rund 1,6 Prozent (IWU 2018).21 Umge­ rechnet auf den gesamten Gebäudebestand, also inklusive der Gebäude mit Baujahr jünger als 1978, ergeben sich jährliche Sanierungsraten von rund 1 Prozent bei den EZFH und annähernd 1,4 Prozent bei den MFH. Die einzelnen Bauteile zeigen deutliche Unterschiede bei der Sanierungshäufigkeit. Ver­ gleichsweise hoch sind im Altbau die jährlichen Modernisierungsraten bei den Bauteilen Fenster (circa 2,5 Prozent) und Dach-/Obergeschoss (2,3 Pro­ zent). Bei Fassaden beträgt der Anteil hingegen nur 1,1 Prozent, bei den Böden sogar weniger als 1 Pro­ zent. Aufgrund der geringen jährlichen Modernisie­ rungsraten verbessern die Sanierungsmaßnahmen nur langsam die energetische Qualität des Gebäude­ bestands und der Raumwärmeverbrauch nimmt nur langsam ab. Im Hauptszenario wird die Sanierungsaktivität deutlich angehoben. Die jährlichen Sanierungsraten steigen bei EZFH auf rund 1,5 Prozent, bei MFH und NWG auf 1,7 Prozent, jeweils bezogen auf den Gesamtbestand. Damit einher geht eine Zunahme der jährlich energetisch sanierten Wohnfläche um rund 50 Prozent gegenüber 2018. Bei den NWG fällt die absolute Zunahme der jährlich sanierten Fläche 21 Die Ersatzraten der Bauteile Fenster, Außenwände, Dächer und Böden wurden anhand bauteilspezifischer Gewichtungsfaktoren zu Vollsanierungsraten umge­ rechnet. Der Altbau bezieht sich in der IWU-Studie auf Gebäude mit Baujahr bis 1978. 77 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland geringer aus, was auf die abnehmende Fläche im Sektor GHD zurückzuführen ist. Die Sanierungstiefe lässt sich aus den erzielten Einsparungen ersehen: Aktuell liegt der mittlere flächenspezifische Heizwärmebedarf nach Gesamt­ sanierungen im EZFH-Segment bei schätzungsweise 80 bis 85 kWh/m² Wohnfläche, im Bereich der MFH bei rund 60 bis 65 kWh/m². Im Hauptszenario reduziert sich dieser mittlere spezifische Heizwär­ mebedarf bei Gesamtsanierungen bei EZFH auf etwa 60 kWh/m² (dies entspricht in etwa dem KfW-Effi­ zienzhausstandard 70 oder besser), bei MFH auf 40 bis 45 kWh/m² (dies entspricht in etwa dem KfW-Effizienzhausstandard 55; spezifische Ver­ brauchswerte bezogen auf die Nutzenergie für Raumwärme, ohne Warmwasser). Die gesteigerte Sanierungsrate und die Sanierungs­ tiefe sind teilweise auf die autonome Technik­ entwicklung zurückzuführen, dieser Effekt ist aber nicht ausreichend. Es bedarf einer starken zusätzli­ chen Instrumentierung, die außer der Förderung auch wirtschaftliche Anreize (zum Beispiel über Preis­ signale) und/oder verschärftes Ordnungsrecht ent­ halten kann. Serielle Sanierungen können zudem die Kosten für energetische Sanierungen reduzieren, was die Wirtschaftlichkeit von Sanierungen verbessert. Der Energieverbrauch für Raumwärme ist bei Neu­ bauten in der Regel deutlich geringer als in Bestands­ gebäuden. Bei Neubauten wird der maximale Ener­ gieverbrauch durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) vorgegeben. Bei neuen EZFH liegt der Ver­ brauch für Raumwärme 2018 bei rund 50 kWh/m², bei MFH bei 40 kWh/m². Im Hauptszenario sinkt der Heizwärmebedarf sowohl bei EZFH als auch beim MFH bei Neubauten langfristig auf rund 25 kWh/m², was im Mittel in etwa einem KfW-Effizienzhaus­ standard 40 oder besser entspricht. Im Hauptszenario ist jedoch ab Mitte der 2020er-Jahre auch die Zahl der jährlich neugebauten Wohnungen rückläufig. Ursache ist die demografische Entwicklung. Auch bei den NWG des GHD-Sektors geht die Neubauaktivität zurück, was ebenfalls auf die demografische Ent­ Entwicklung der Gebäudefläche nach Baustandard (energetische Qualität)* 7.000 6.205 6.359 6.319 6.281 Abbildung 36 6.252 6.198 1.644 1.108 6.000 [Mio. m²] 5.000 4.000 3.396 2.816 2.218 6.141 614 4.081 2.872 3.000 1.988 3.290 3.684 2.436 1.565 2.000 1.060 1.000 1.063 0 2018 1.398 1.514 1.627 1.735 1.800 1.843 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Neubau ab 2000 *in Mio. m², ohne Flächen des Industriesektors Prognos (2020) 78 saniert ab 2000 unsaniert STUDIE | Klimaneutrales Deutschland wicklung und den damit verbundenen Rückgang der Erwerbstätigen zurückzuführen ist. Die Entwicklung der Gebäudeflächen nach Baustan­ dard ist in Abbildung 36 beschrieben. Die Neubauten ab 2000 entsprechen näherungsweise einem Baus­ tandard nach EnEV 2002 oder besser. Aufgrund der abnehmenden Neubauaktivität nach 2020 wächst die Fläche des Neubaus nach 2020 nur noch langsam an. Von der Gesamtgebäudefläche entfallen im Jahr 2050 rund 30 Prozent auf die Kategorie Neubau (Baujahr 2000 oder jünger). Aufgrund energetischer Sanie­ rungen verringert sich der unsanierte Anteil der Gebäudefläche, während der sanierte Anteil zunimmt. Bis zum Jahr 2050 steigt der Anteil der seit 2000 sanierten Fläche auf circa 60 Prozent. Die restlichen rund 10 Prozent wurden entweder vor dem Jahr 2000 saniert oder bleiben unsaniert. Auch diese Zahl ist als Vollsanierungsäquivalent zu interpretie­ ren. In der Realität wären demnach nicht 10 Prozent der Gebäudeflächen vollständig unsaniert, sondern es handelt sich dabei um die aggregierten, im Rahmen von Teilsanierungen nicht modernisierten Gebäudebeziehungsweise Bauteilflächen. Ein vollständiger Ersatz aller Bauteile ist für das Erreichen des THG-Reduktionszieles nicht notwendig. 3.4.4 A  bsatz Wärmeerzeuger und Heizungsstruktur Eine weitere zentrale Maßnahme zur Erreichung der THG-Ziele ist im Hauptszenario die tief greifende Umstellung der Wärmeversorgung: Nach 2025 werden keine neuen Wärmeerzeuger auf Basis von Heizöl oder Gas installiert. Zudem werden konventio­ nelle Stromheizungen wie zum Beispiel Nachtstrom­ speicherheizungen ersetzt. Eingebaut werden stattdessen elektrische Wärmepumpen, und die Wärmenetze werden stark ausgebaut. Die Absatz­ struktur der Wärmeerzeuger im Hauptszenario KN2050 ist in Abbildung 37 für das Segment Wohn­ gebäude dargestellt. Gasheizungen, welche bis 2020 die Absatzstruktur mit einem Anteil von über 50 Prozent dominieren, gehen im Zeitraum 2020 bis 2025 stark zurück, nach 2025 werden keine Gashei­ Absatzstruktur Wärmeerzeuger (Raumwärme) 100 90 9 2 80 16 70 9 [%] 12 13 13 13 3 4 4 4 71 73 73 11 10 10 2026–2030 2031–2040 2041–2050 46 60 50 40 52 11 30 20 10 0 Abbildung 37 28 12 0,5 2016–2020 2021–2025 Heizöl Kohle Strom (direkt) Solarthermie Gas Biomasse Wärmepumpe Fernwärme Hinweis: Anteil der Anlagen in Prozent, Segment Wohngebäude Prognos (2020) 79 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland zungen mehr abgesetzt. Der Anteil der Ölheizungen war bereits seit dem Jahr 2000 rückläufig. Nach 2025 werden keine Ölheizungen mehr eingebaut. Dem Rückgang fossiler Wärmeerzeuger steht ein starker Anstieg der elektrischen Wärmepumpen gegenüber. Die Anteile der Wärmepumpen sind insbesondere in kleinen Gebäuden (EZFH) von hoher Bedeutung. Bei großen Wohngebäuden weisen auch die Wärmenetze hohe Anteile auf. Der starke Ausbau der Wärmepum­ pen und die Verbesserung der Effizienz im Hauptsze­ nario KN2050 decken sich gut mit den Ergebnissen einer Studie des ifeu et al. (2018) im Auftrag von Agora Energiewende, welche ein Klimaschutzszena­ rio mit mittlerer Gebäudeeffizienz (mit einer Sanie­ rungsrate von rund 1,7 Prozent) und hohen Wärme­ pumpenanteilen (knapp 6 Millionen Wärmepumpen bis 2030) als das volkswirtschaftlich vorteilhafteste Szenario beschreibt. Jährlich werden rund 3 bis 4 Prozent der Wärmeer­ zeuger ausgetauscht. Dabei diffundieren die neu abgesetzten Wärmeerzeuger zusehends in den Anlagenbestand und verändern die Bestandsstruktur. Durch die hohen Anteile der Wärmepumpen bei den Anlagenabsätzen steigt im Zeitverlauf auch deren Anteil an der Beheizungsstruktur des Gebäudebe­ stands. Bis zum Jahr 2050 erhöht sich der Anteil auf rund 60 Prozent (2030: 24 Prozent; Abbildung 38). Die Zahl der betriebenen Wärmepumpen erhöht sich von 1,2 Millionen Anlagen im Jahr 2018 über 5,8 Mil­ lionen Anlagen im Jahr 2030 auf über 14 Millionen Anlagen im Jahr 2050. Die eingebauten Wärmepum­ pen werden im Zeitverlauf aufgrund von technischen Weiterentwicklungen und Optimierungen zusehends effizienter. Die mittlere Jahresarbeitszahl (JAZ) im Segment Wohngebäude steigt von rund 3 im Jahr 2018 auf 3,9 im Jahr 2050. Bei Neubauten liegen dann die JAZ im Mittel bei annähernd 5,5. Ein zunehmen­ der Anteil der elektrischen Wärmepumpen wird flexibel gesteuert und der Betrieb dem Angebot an fluktuierender Stromerzeugung aus Windenergie und Photovoltaik angepasst. Als Speicher dienen dabei einerseits Warmwasserspeicher wie zum Beispiel Pufferspeicher, andererseits wird auch die Masse der Beheizungsstruktur Wohnfläche Abbildung 38 100 90 80 11 5 13 1 5 13 70 16 2 6 [%] 51 28 20 60 9 18 18 2025 4 45 37 2018 3 8 30 0 25 54 47 24 3 23 35 7 40 10 2 21 24 60 50 18 9 12 8 4 9 1 2030 2035 2040 2045 Heizöl Kohle Strom (direkt) Solarthermie Gas Biomasse Wärmepumpe Fernwärme 10 2 2050 Hinweis: Anteil der beheizten Wohnfläche in Prozent, Segment Wohngebäude. Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan Prognos (2020) 80 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Beheizungsstruktur Gebäudefläche im GHD-Sektor 100 90 4 4 3 10 14 25 13 7 70 [%] 19 9 80 60 Abbildung 39 11 67 18 5 23 28 58 40 40 21 20 10 0 27 22 16 2025 2018 5 30 17 49 30 33 4 14 50 31 13 23 11 7 5 3 8,9 2030 2035 2040 2045 2050 Heizöl Kohle Wärmepumpe Gas Biomasse Solarthermie Fernwärme Hinweis: Anteil der beheizten Nutzfläche in Prozent, Segment NWG, Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan Prognos (2020) Gebäudehüllen als thermischer Speicher genutzt. Diese Speicher dienen nur dem kurzzeitigen Aus­ gleich. Aufgrund der hohen Anzahl an Wärme­ pumpenanlagen ergibt sich dennoch ein erhebliches Lastverschiebungspotenzial. Im Idealfall werden Wärmepumpen in sanierte Gebäude eingebaut. Dies ermöglicht einen Betrieb mit tiefen Vorlauftemperaturen und hohen Wärmenut­ zungsgraden. Aufgrund des geringen Wärmebedarfs können zudem Anlagen mit geringer Wärmeleistung eingebaut und Kosten eingespart werden. Durch den schnellen Markthochlauf werden im Hauptszenario jedoch teilweise auch Wärmepumpen in nur gering sanierte Altbauten eingebaut. In Bezug auf die Höhe des spezifischen Wärmeverbrauchs gibt es keine technischen Restriktionen, in vielen Fällen können die Wärmepumpen auch in nur teilsanierten Gebäu­ den wirtschaftlich betrieben werden.22 Wie oben 22 Eine Studie von Beuth und ifeu (2017) sah bereits im Jahr 2017 die Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen bei einem Nutzwärmebedarf von bis zu 90 kWh/m² als erwähnt werden die Wärmepumpen aufgrund der technischen Weiterentwicklung im Zeitverlauf zusehends effizienter, sodass mittel- und längerfris­ tig auch bei Vorlauftemperaturen von 50 bis 55 Grad Celsius Jahresarbeitszahlen von 3,5 oder sogar höher erzielt werden können, wenn die Anlagen fachgerecht eingebaut werden (NTB 2019).23 Da der Anteil der Erneuerbaren Energien des in Deutschland erzeugten Stroms im Szenario zudem schnell und stark zunimmt, entstehen auch nur wenige indirekte Emis­ sionen. gegeben. In günstigen Fällen lag diese Grenze sogar bei 120 kWh/m². Zudem werden die Vergleichssysteme GasBrennwert aufgrund von CO₂-Abgaben oder notwendi­ gen Beimischungen von Biomethan oder PtG zunehmend teurer, während die Wärmepumpe effizienter und billiger wird. 23 Bereits heute werden im unsanierten Altbau mit SoleWärmepumpen Jahresarbeitszahlen von bis zu 4 erreicht (NTB 2019). Bei den stärker verbreiteten Luft-WasserWärmepumpen liegen die Jahresarbeitszahlen in der Regel aber noch unter 3. 81 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Wärmenetze sind besonders geeignet in dicht bebauten Gebieten und deshalb primär relevant für MFH und NWG. Der mit Wärmenetzen beheizte Anteil der Wohnfläche steigt bis zum Jahr 2050 auf 25 Prozent. Dieser Anteil ist höher, als der Anteil an den Anlagenabsätzen suggeriert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit Wärmenetzen überwiegend großflächige MFH-Gebäude angeschlossen werden (mit vergleichsweise großer Fläche je Anlage/Gebäu­ deanschluss). Auch die Anteile der mit fester Biomasse und solar­ thermisch beheizter Wohnfläche nehmen im Zeit­ verlauf zu.24 Aufgrund des begrenzten Biomasse­ potenzials und der zunehmenden Verlagerung der Bio­­masse­verwendung in den Industriesektor, fällt der Anstieg im Segment der Wohngebäude vergleichs­ weise gering aus. Da nach 2025 keine Gas- und Ölheizungen eingebaut werden, sind die Anteile der 24 Solarthermische Anlagen werden bei der Modellierung als Vereinfachung zu Vollversorgungsäquivalenten zusammengefasst. mit Öl oder Gas beheizten Wohnfläche stark rückläu­ fig. Die im Jahr 2050 verbleibenden Gasheizungen werden mit Biomethan betrieben. Die Entwicklung der Beheizungsstruktur der NWG ist vergleichbar mit derjenigen der großen Wohngebäude (MFH). Langfristig wird je rund ein Drittel der Fläche mit Fernwärme und Wärmepumpen beheizt (Abbil­ dung 39). Die Bedeutung fester Biomasse nimmt etwas stärker zu als bei den Wohngebäuden. Die feste Biomasse kommt insbesondere bei Altbauten zum Einsatz, bei denen keine Anschlussmöglichkeit an ein Wärmenetz vorhanden ist und der Einbau von Wärmepumpen schwierig ist (zum Beispiel aufgrund baulicher Restriktionen). Auch bei den NWG werden die im Jahr 2050 noch vorhandenen Restbestände an Gasheizungen mit Biomethan betrieben. 3.4.5 Endenergieverbrauch und THG-Emissionen Der Endenergieverbrauch des Gebäudesektors verringert sich im Hauptszenario bis zum Jahr 2050 gegenüber 2018 um 34 Prozent auf 625 TWh (Abbil­ Gebäudesektor: Endenergieverbrauch nach Energieträgern 1.000 900 13 945 56 888 9 37 14 73 800 [TWh] 700 600 500 269 67 19 85 260 80 6 0 93 23 96 98 4 105 2 353 284 210 119 2025 2018 117 667 28 135 105 31 112 247 110 1 142 159 713 255 200 100 765 259 400 300 823 Abbildung 40 77 45 2030 2035 240 145 32 111 231 111 81 23 2040 108 31 9 2045 Heizöl Kohle Strom Solarthermie Erdgas Biomasse Fernwärme Umweltwärme Hinweis: Biomasse = feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3) Prognos (2020) 82 625 105 2050 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland dung 40). Ursachen für den Rückgang sind haupt­ sächlich die effizienteren Gebäude, Anlagen und Elektrogeräte. Im Sektor GHD spielen auch zwei andere Einflussfaktoren eine Rolle: Die Zahl an Erwerbstätigen und die Gebäudeflächen nehmen im Szenarienzeitraum ab. Der Raumwärmeverbrauch wird zudem durch die Klimaerwärmung beeinflusst, da das wärmer werdende Klima den Bedarf nach Raumwärme verringert. Bedingt durch die oben beschriebene Veränderung der Beheizungsstruktur nimmt der Anteil der fossilen Energieträger am Endenergieverbrauch stark ab und sinkt von 55 Prozent im Jahr 2018 auf 35 Prozent im Jahr 2030. Bis zum Jahr 2050 fällt der fossile Energie­ verbrauch auf nahezu null. Ebenfalls rückläufig ist der Stromverbrauch. Im Zeitraum 2018 bis 2050 verringert er sich um rund 14 Prozent auf 231 TWh (2030: 259 TWh). Der Stromverbrauch für Wärmepumpen steigt zwar stark an und liegt im Jahr 2050 bei 52 TWh (2030: 30 TWh). Effizienzsteigerungen bei Beleuchtung, IKT-Geräten und Haushaltsgeräten sowie der Rückgang des Stromverbrauchs konventioneller Elektroheizungen überwiegen jedoch den Mehrver­ brauch durch Wärmepumpen und führen zu einer Reduktion des Stromverbrauchs (Abbildung 41). Beispielsweise kann durch die starke Durchdringung mit LED der Verbrauch für die Beleuchtung bis zum Jahr 2050 um fast 40 TWh verringert werden. LED sind nicht nur effizienter als herkömmliche Leucht­ mittel, sie lassen sich auch besser steuern und regeln, wodurch zusätzliche Energieeinsparungen erzielt werden können. Der Stromverbrauch für Haushalts­ geräte und gewerbliche Prozesse (mechanische Energie) verringert sich bis 2050 um 19 TWh, der Verbrauch für IKT-Geräte nimmt um 12 TWh ab. Der Fernwärmeverbrauch steigt hingegen sehr stark an und erhöht sich bis 2030 um annähernd 50 Pro­ zent auf 85 TWh. Im Jahr 2050 liegt der Verbrauch bei 111 TWh, was einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2018 entspricht. Diese Zunahme ist auf die steigende Bedeutung bei der Erzeugung der Raum­ wärme und des Warmwassers zurückzuführen. Im Gebäudesektor: Stromverbrauch nach Verwendungszwecken 300 [TWh] 250 269 18 12 260 259 18 12 18 12 255 17 12 200 77 68 63 61 150 6 39 10 17 30 39 36 13 34 16 60 30 18 52 47 40 45 43 41 38 2018 2025 2030 2035 100 50 0 Abbildung 41 247 17 11 59 47 240 19 12 58 231 19 11 58 51 52 33 17 22 27 10 24 23 36 34 33 2040 2045 2050 23 20 Prozesswärme mechanische Energie RW und WW konv. Beleuchtung Prozesskälte Wärmepumpe Kühlen und Lüften IKT Hinweis:„Wärmepumpe“ beinhaltet den Stromverbrauch für den Betrieb der Wärmepumpe, „RW und WW konventionell“ beinhaltet den Stromverbrauch von konventionellen Stromdirektheizungen. „Mechanische Energie“ umfasst den Stromverbrauch gewerblicher Prozesse, aber auch den Stromverbrauch von Haushaltsgeräten, also Kühlschränken, Waschmaschinen, Geschirrspülern, Staubsaugern etc. Prognos (2020) 83 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Jahr 2030 werden 27 Prozent der Gebäudeflächen mit Wärmenetzen versorgt (2018: circa 8 Prozent). Parallel zum Ausbau der Wärmenetze wird auch die Erzeugungsstruktur umgebaut, sodass die Wärme bis zum Jahr 2050 THG-frei erzeugt wird (Kapitel 3.5). Der Verbrauch und die Bedeutung der Erneuerbaren Energien nehmen im Zeitraum 2018 bis 2050 ebenfalls deutlich zu. Der Anteil der Energieträger Biomasse, Umweltwärme und Solarthermie am Sektorverbrauch erhöht sich von 11 Prozent im Jahr 2018 auf 45 Prozent im Jahr 2050. → Der jährliche Verbrauch an Biomasse steigt bis zum Jahr 2030 an und liegt ab dann bei rund 105 TWh. Begrenzt wird ein weiterer Anstieg durch das verfügbare Potenzial. Prioritär ist der Einsatz in der Industrie, wo weniger kostengünstige Alternativen zur Erzeugung der hohen Prozesstemperaturen zur Verfügung stehen. Bei der im Gebäudesektor eingesetzten Biomasse handelt es sich überwie­ gend um feste Biomasse (Holz). Der Anteil des Biomethans am Biomasseverbrauch liegt bei 10 bis 15 Prozent. → Der Verbrauch an Umeltwärme ist auf den Einsatz der ektrischen Wärmepumpen zurückzuführen. Der Verbrauch steigt bis zum Jahr 2050 gegenüber 2018 um mehr als den Faktor 10 auf 145 TWh. → Der Verbrauch an Solarthermie steigt auf 32 TWh im Jahr 2050 und erreicht einen Anteil von rund 5 Prozent am Sektorverbrauch. Strombasierte Energieträger wie erneuerbar erzeug­ ter Wasserstoff oder synthetisches Gas werden im Hauptszenario KN2050 nicht im Gebäudesektor eingesetzt. Dies ist auf die hohen Kosten für diese Energieträger zurückzuführen. Emissionsfreie Wärme kann kostengünstiger über Wärmepumpen, Wärmenetze oder Biomasse bereitgestellt werden. Der Verbrauch für die Verwendungszwecke Raum­ wärme und Warmwasser ist von zentraler Bedeutung für den Energieverbrauch des Gebäudesektors. Insgesamt verringert sich dieser Verbrauch im Gebäudesektor: Endenergieverbrauch für Wärme nach Energieträgern 800 700 600 [TWh] 500 698 662 13 9 55 46 37 14 71 78 53 96 400 300 339 0 610 67 19 83 564 93 94 28 103 69 104 107 70 108 133 114 2025 2018 483 117 23 200 152 522 63 273 200 100 Abbildung 42 73 43 74 21 2030 2035 2040 134 31 109 68 104 27 2045 Heizöl Kohle Strom Solarthermie Erdgas Biomasse Fernwärme Umweltwärme 447 145 32 108 62 99 2050 Hinweis: Raumwärme und Warmwasser, Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3) Prognos (2020) 84 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nach Verwendungszwecken 140 125 4 12 120 91 100 [Mio. t CO₂-Äq.] Abbildung 43 8 80 65 60 5 108 42 80 40 3 56 20 37 24 2 10 20 0 2016 sonstige 2025 2030 mechanische Energie 2035 2040 Prozesswärme 9 2045 Warmwasser 1 2050 Raumwärme Prognos (2020) Zeitraum 2018 bis 2050 um knapp 36 Prozent (Abbildung 42). Der Rückgang bei der Raumwärme ist mit 37 Prozent höher als beim Warmwasser (-29 Pro­ zent). Dabei verringert sich der spezifische Raum­ wärmeverbrauch von rund 116 kWh/m² Wohnbeziehungsweise Nutzfläche auf unter 70 kWh/m² (minus 40 Prozent). Die Entwicklung der Energie­ trägerstruktur spiegelt die beschriebene Entwicklung der Struktur der Wärmeerzeuger wider. Die mit dem Energieverbrauch direkt verbundenen THG-Emissionen des Gebäudesektors verringern sich von 125 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2016 auf 65 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2030 – die angestrebte Zielvorgabe wird erreicht (Abbildung 43). Die Reduktion auf 65 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2030 entspricht einer mitt­ leren jährlichen Reduktion um 5,4 Prozent. Der Großteil der Emissionen entsteht bei der Erzeugung von Raumwärme, der Anteil der Raumwärme an den Sektoremissionen lag 2016 bei 86 Prozent. Die Erzeugung von Warmwasser verursachte 11 Prozent der Emissionen, knapp 5 Mio. t CO₂-Äq der THG-Emissionen entfielen auf Prozesse und Antriebe. Entsprechend entfällt der Großteil der THG-Reduktion auf den Bereich Raumwärme. 64 Prozent der Einsparung entfällt auf die Raum­ wärme in Wohngebäuden (PHH), weitere 22 Prozent auf die Raumwärme in NWG (GHD; Abbildung 34). Bis zum Jahr 2050 sinken die THG-Emissionen auf nahezu null. Auch im Zeitraum 2030 bis 2050 entfällt ein Großteil der Reduktion auf die Raumwärme. Die verbleibenden Emissionen im Umfang von rund 1 Mio. t CO₂-Äq sind auf die Biomasse zurückzufüh­ ren. Bei deren Verbrennung werden neben CO₂, welches als THG-neutral betrachtet wird, auch geringe Mengen an CH₄ und N₂O emittiert. Die Emissionen dieser Gase werden in der THG-Bilanz und bei den Zielvorgaben berücksichtigt. 3.5 Verkehr 3.5.1 Zielbild und Ausgangslage Ziel ist die Gestaltung einer zukünftigen Verkehrs­ welt, die Mobilität für alle gewährleistet und mit dem Übergang auf vollständige Klimaneutralität bis 2050 kompatibel ist. Dies impliziert gleichzeitig einen deutlichen Rückgang der THG-Emissionen bis zum Jahr 2030. Leistet der Verkehrssektor einen größeren 85 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Minderungsbeitrag als mit 42 Prozent im Klima­ schutzgesetz festgelegt wurde, kann im Zusammen­ spiel mit den Minderungspotenzialen der anderen Sektoren eine sektorenübergreifende Emissionsmin­ derung von 65 Prozent erreicht werden (siehe Kapitel 2.2 und Agora 2020). Vor dem Hintergrund, dass die THG-Emissionen im Verkehr mit 163 Mio. t CO2-Äq im Jahr 2019 nach wie vor etwa auf dem gleichen Niveau liegen wie 1990 und 93 Prozent des Endener­ giebedarfs auf fossilen Energien beruht, ist dies eine besondere Herausforderung. Dafür muss eine am­bitionierte technologische Entwicklung hin zu emissionsfreien Antrieben, eine Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) zum öffentli­ chen Verkehr (ÖV) und zur aktiven Mobilität, eine erhöhte Auslastung der Pkw durch Pooling-Konzepte und eine Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene erfolgen. Langfristig werden insbesondere im Luft- und Seeverkehr strombasierte Kraftstoffe eingesetzt, um bis 2050 null Emissionen im Ver­ kehrssektor zu erreichen. Für das Szenario KN2050 wurden folgende Annah­ men getroffen: → Die Personenverkehrsnachfrage verbleibt insge­ samt etwa auf dem heutigen Niveau von 1.200 Mrd. Personenkilometern (Pkm). Durch die geteilte Nutzung von Fahrzeugen steigt die Auslas­ tung und dadurch werden weniger Fahrzeugkilo­ meter zurückgelegt. → Hinsichtlich des Güterverkehrs wird eine weitere Zunahme von Handelsströmen und Transporten entsprechend der BIP-Entwicklung angenommen. Die Güterverkehrsleistung steigt weiter an und erreicht ausgehend von rund 660 Mrd. Tonnenki­ lometer (tkm) im Jahr 2016 900 Mrd. tkm im Jahr 2050. Gleichzeitig nimmt der Schienenverkehr bis 2030 stärker zu als der Straßengüterverkehr und erreicht 190 Mrd. tkm bis 2030 und 230 Mrd. tkm bis 2050. → Die motorisierten Verkehre, die auch 2050 noch einen großen Teil des Verkehrsaufkommens ausmachen, müssen dann klimaneutral betrieben 86 werden und bereits 2030 einen deutlichen Beitrag zur Zielerreichung leisten. Entsprechend wird eine zügige Umwälzung des Pkw-Bestands dadurch erreicht, dass ab 2035 keine verbrennungsmotori­ schen Antriebe mehr zugelassen werden. Das gilt auch für Plug-in-Hybride. Der Hochlauf der Neuzulassungen von Elektro-Pkw zwischen 2020 und 2035 erfolgt nahezu linear. → Im Straßengüterverkehr ist die technologische Entwicklung derzeit weniger absehbar als bei den Pkw, bei denen der Trend eindeutig Richtung batterieelektrischer Fahrzeuge geht. Für das Lkw-Segment stehen ebenfalls batterieelektrische Fahrzeuge zur Diskussion, aber auch die direkte Elektrifizierung durch Oberleitungen, insbesondere bei den Last- und Sattelzügen. Gleichzeitig wird der Brennstoffzellen-Lkw als Option gesehen, um lange Strecken ohne Unterbrechungen durch notwendige Ladevorgänge zu absolvieren. Entspre­ chend dem derzeitigen Stand der Diskussion und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Anforde­ rungen an die Reichweiten und Flexibilität wird im Szenario daher langfristig ein Technologiemix angenommen, bei dem rund zwei Drittel der Fahrleistung durch elektrische Lkw – mit Oberlei­ tungen beziehungsweise batterieelektrisch – und ein Drittel durch Brennstoffzellenfahrzeuge erbracht werden. Aufgrund der technologischen Entwicklungsreife kommen die batterieelektri­ schen Lkw und Oberleitungs-Lkw früher in den Markt als die Brennstoffzellenfahrzeuge und bereits 2030 sind über die Hälfte der Neuzulassun­ gen bei den Lkw elektrisch. → Zusätzlich sind CO2-freie Kraftstoffe im Verkehrs­ sektor notwendig, um diesen langfristig klimaneu­ tral zu gestalten. Aufgrund der Nutzungskonkur­ renz vor allem zum Sektor Industrie, bei dem die Biomasse über die gesamte Prozesskette hinweg effizienter eingesetzt werden kann, werden Biokraftstoffe im Verkehr bis 2050 nicht mehr eingesetzt. Um Lock-in-Effekte zu vermeiden, wird der Biokraftstoffeinsatz im Verkehr daher auch bis 2030 nicht über das heutige Niveau hinaus erhöht. Strombasierte Flüssigkraftstoffe STUDIE | Klimaneutrales Deutschland werden als Dekarbonisierungsoption für den Luft- und Seeverkehr eingesetzt, bis 2040 zunächst im nationalen Luftverkehr. Da im Jahr 2050 noch geringe Restbestände an Pkw und Lkw mit verbrennungsmotorischen Antrieben (unter anderem Hybride) im Bestand sind, werden auch diese mit strombasierten Flüssigkraftstoffen versorgt. Hinzu kommt der Bedarf an Wasserstoff für die Brennstoffzellen-Lkw. 3.5.2 Verkehrsnachfrage Personenverkehr Bis zum Jahr 2050 ist im Szenario KN2050 eine grundlegende Mobilitätswende erfolgt, ohne jedoch das Gesamtaufkommen des Personenverkehrs zu verringern. Das Verkehrsangebot wird erweitert und multimodales Verkehrsverhalten erleichtert. Die Mobilitätswende führt dabei nicht zu weniger Mobilität, sondern zu einer anderen Qualität von Mobilität. Das bedeutet, dass die Verkehrsnachfrage je Einwohner in etwa konstant bleibt, aber Wege auf umweltverträgliche Verkehrsmittel verlagert und gebündelt werden. So verringern sich die Verkehrs­ aufwände mit dem privaten Pkw und Mobilität wird mit den Erfordernissen des Klimaschutzes in Ein­ klang gebracht. Es wurden keine expliziten Annahmen über struktu­ relle Verschiebungen im motorisierten Individualver­ kehr durch autonome Fahrzeuge getroffen, denn entscheidend für die Entwicklung des autonomen Fahrens werden neben der gesellschaftlichen Akzep­ tanz der Fahrzeuge und den Adaptionsraten vor allem auch die politischen Rahmenbedingungen sein. Voraussetzung für das Szenario KN2050 ist, dass autonome Fahrzeuge den öffentlichen Verkehr und Zuordnung der Raumtypen RegioStar7 Metropolen Tabelle 3 Zuordnung Verkehrsleistung Bevölkerung Beispiel Stadt/ KN2050 in Mrd. Pkm in Mio. Region Stadt 203,7 14,9 Berlin, Dresden, ­Dortmund Regiopolen und Stadt 158,4 11,6 Stadtregion Großstädte Stadt: Mittelstädte, ­Kaiserslautern Halbstadt 299,4 20,8 städtischer Raum Stadt: Kiel, Magdeburg, Nauheim, Schwalbach, Brieselang Land 80,9 5,0 klein­städtischer, Breitenfelde, Trittau, ­Mellingen dörflicher Raum Zentrale Städte Halbstadt 63,4 5,0 Aschaffenburg, Marburg, Ländliche Region Konstanz Mittelstädte, Land 159,6 12,5 ­städtischer Raum kleinstädtischer, dörflicher Raum Butzbach, Biberach an der Riß, Memmelsdorf Land 207,7 13,3 Kusel-Altenglan, ­Leiblfing, Röbel-Müritz MiD (2017) 87 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland das Pooling fördern, anstatt die Bedingungen für den privaten Pkw zu verbessern. Da das Mobilitätsverhalten im Status quo und auch perspektivisch unter anderem aufgrund der verfüg­ baren Optionen zwischen Stadt und Land sehr unterschiedlich ist, wird zwischen verschiedenen Raumkategorien differenziert. Mit der Studie Agora (2019) liegen plausibel abgeleitete Annahmen für eine umweltgerechte Entwicklung des Modal-Splits (Aufteilung der Verkehrsleistung auf Verkehrsmittel) im Personenverkehr vor, die für das Szenario KN2050 zum größten Teil übertragen werden konnten. Da diese noch auf den Daten der MiD (Mobilität in Deutschland) 2008 basieren, wurde in einem ersten Schritt der Modal-Split basierend auf der MiD 2017 für sieben Regionstypen (RegioStaR7) ausgewertet. Diese wurden dann in Anlehnung an die in Abbildung 4, Seite 29 in Agora (2019) verwendeten BBSR-Regionstypen – Stadt, Halbstadt, Land – ent­ sprechend ihrer Verkehrsleistung zusammengefasst. In einem nächsten Schritt wurden in Anlehnung an die Studie Agora (2019) Annahmen für die Modal-Split-Verteilung für die einzelnen Räume für 2030 und 2050 getroffen: → Es werden die Annahmen aus Agora (2019) zur Entwicklung im Bereich Carsharing (gemein­ schaftliche Nutzung von Fahrzeugen), Ridesharing (Teilen einer Autofahrt zum Beispiel über Mitfahr­ gelegenheiten oder Taxifahrten) und Ridepooling (gemeinsame Nutzung eines Fahrzeuges durch mehrere Personen zur selben Zeit) für die einzelnen Räume übernommen. → Der öffentliche Verkehr (ÖV) verdoppelt sich nahezu bis 2035 im Mittel über alle Regionen und nimmt danach weiter zu, wobei eine Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) stattfindet. In der Stadt und auf dem Land ist das Verlagerungspotenzial geringer als in der Halbstadt, bei allgemeiner Orientierung an (Agora 2019). → Der Radverkehr wächst bis zum Jahr 2050 insgesamt um 80 Prozent, wobei das Wachstum in Modal-Split nach Raumtypen 2017 und 2050 Abbildung 44 100 90 80 70 46 5 4 1 3 3 36 [%] 50 10 5 40 10 67 3 3 35 6 4 7 3 86 11 79 48 35 33 20 10 2017 2050 Stadt 2017 2050 2017 Halbstadt 2050 2017 Land MIV Car-Sharing Ride-Sharing und Taxis Ride-Pooling Fuß Fahrrad Datenauswertung der MiD 2017 und eigene Berechnungen Öko-Institut (2020) 88 15 16 5 5 20 0 81 25 4 3 3 2 6 4 7 3 10 60 30 9 2 2 13 24 2050 gesamt ÖV STUDIE | Klimaneutrales Deutschland der Stadt über- und auf dem Land unterdurch­ schnittlich ausfällt. → Der Fußverkehr wächst bis zur Mitte des Jahrhun­ derts um insgesamt 28 Prozent. kehrs, des Rad- und Fußverkehrs sowie des öffentli­ chen Straßenverkehrs ab. Bis 2050 beträgt der Rückgang 30 Prozent gegenüber 2016. Durch die Ver­ lagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger und eine höhere Auslastung unter anderem durch Pooling-Fahrzeuge liegen die Minderungen bezogen auf die Fahrleistung der Fahrzeuge dann bei 13 Pro­ zent und bis 2050 sogar bei fast 40 Prozent Die Abbildung 44 zeigt den Status quo zum Zeit­ punkt der Auswertung basierend auf der MiD (2017) sowie das Szenario KN2050 für das Jahr 2050 nach den unterschiedlichen Räumen sowie den daraus resultierenden Modal-Split für Deutschland insgesamt. Verglichen mit der Entwicklung der letzten Jahre (die Pkw-Fahrleistung ist zwischen 2014 und 2017 um rund ein Prozent pro Jahr gestiegen (KBA 2019) und ist seitdem auf ähnlichem Niveau) ist eine deutliche Trendumkehr notwendig. Voraussetzung dafür ist eine Neuorientierung der politischen Rahmenset­ zung. So müssen die infrastrukturellen Kapazitäten für eine Verdopplung des öffentlichen Verkehrs bis 2035 geschaffen und dessen Attraktivität unter anderem über die Reduktion der Reisezeiten zum Beispiel durch eine höhere Taktdichte weiter geför­ dert werden. Derzeit sind durch Digitalisierung und Vernetzung Veränderungen im Verkehrssystem zu beobachten, die sich zukünftig noch deutlich verstär­ Die Abbildung 45 zeigt noch einmal, dass die insge­ samt zurückgelegten Personenkilometer bis 2050 auf ähnlich hohem Niveau bleiben wie heute. Es kommt allerdings zu einer deutlichen Veränderung beim Anteil der Verkehrsmittel. Carsharing, Ridesharing und Ridepooling sind dabei zusammen mit dem motorisierten Individualverkehr als Verkehrsmittel „Pkw“ dargestellt. Die Verkehrsnachfrage im Pkw-Segment nimmt bis 2030 um 11 Prozent zugunsten des Schienenver­ Personenverkehrsnachfrage und Einordnung zu weiteren Studien 1.400 73 64 111 84 77 155 91 92 191 800 104 115 245 282 600 886 833 737 651 200 1.000 175 800 600 400 256 286 210 115 931 812 764 960 919 833 200 0 238 283 271 111 867 874 588 410 356 484 651 Öffentlicher Straßenverkehr 2016 2030 KN 2050 Pkw dena TM 95 Flugverkehr BDI 95 Schienenverkehr UBA GreenSupreme Fuß/Fahrrad UBA GreenMe 2050 KN 2050 2040 dena TM 95 2030 BDI 95 2025 UBA GreenSupreme 0 2016 UBA GreenMe 400 931 1.200 117 129 heute [Mrd. Pkm] 1.000 1.400 [Mrd. Pkm] 1.200 Abbildung 45 2050 ÖV Pkw Öko-Institut und (UBA 2019a), (DENA 2018), (BDI 2018) 89 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Schiene Binnenschiff Straße 69 480 406 375 90 590 544 503 71 202 627 598 591 357 311 2050 2030 Straße 70 210 165 2016 Öko-Institut und (UBA 2019a), (DENA 2018), (BDI 2018) 63 169 190 75 KN 2050 Luftfracht 2050 171 166 UBA GreenSupreme 2040 70 86 220 239 230 UBA GreenMe 2030 591 54 128 KN 2050 2025 503 547 230 59 dena TM 95 501 210 BDI 95 2016 63 190 98 82 UBA GreenSupreme 480 60 167 1.000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 UBA GreenMe 54 128 69 75 Abbildung 46 heute 1.000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 [Mrd. tkm] [Mrd. tkm] Güterverkehrsnachfrage und Einordnung zu weiteren Studien dena TM 95 Eine entsprechende Verlagerungsstrategie wird beispielsweise in den Szenarien BDI (2018) und DENA (2018) weniger verfolgt. Der Rückgang des Pkw-Verkehrs fällt im Szenario KN2050 dagegen geringer aus als beispielsweise in den Szenarien GreenMe und GreenSupreme des Umweltbundesam­ tes (UBA 2019a), in denen auch die Gesamtverkehrs­ leistung deutlich zurückgeht. Güterverkehr Die Entwicklung der Verkehrsnachfrage im Güter­ verkehr wurde aus der Entwicklung des BIP abgelei­ tet, wobei zunächst von einem Korrelationsfaktor von 225 tkm/Mio. Euro BIP in Anlehnung an Zimmer et al. (2016) ausgegangen wird. Das Güter­ verkehrsaufkommen wächst also mit steigendem BIP proportional weiter. In einem nächsten Schritt wurden die Transportleistungen für die Gütergrup­ pen reduziert, welche in einer klimaneutralen Welt weniger transportiert werden. So reduziert sich das Aufkommen in den Gütergruppen Steinkohle, Braunkohle, Rohöl, Koks um bis zu 100 Prozent im Jahr 2050. Aber auch der Transport in den Güter­ gruppen Düngemittel, Stahl und Eisen sowie Fahr­ zeuge und Fahrzeugteile geht jeweils um rund ein Drittel gegenüber einer Referenzentwicklung ohne deutliche Klimaschutzmaßnahmen zurück. Grund­ lage für die Ableitung der Güterverkehrsleistung nach Gütergruppen bildete das Projekt Renewbility (Zimmer et al. 2016), da in diesem die Transportleis­ tungen je Gütergruppe bis 2050 in einer Referenz­ entwicklung zur Verfügung stehen. BDI 95 ken werden. Digitale Plattformen mit Echtzeitinfor­ mationen und mobilen Buchungs- und Bezahlsyste­ men machen den öffentlichen Verkehr aufgrund größerer Transparenz und Flexibilität wie auch eines einfacheren Zugangs spürbar attraktiver und neue Sharing- und Pooling-Modelle wurden durch die Digitalisierung populärer. Car- und Ridesharing werden als wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmo­ delle in ein nachhaltiges Gesamtsystem für Stadt und Land integriert. Die Wahl energieeffizienterer Verkehrsmittel wird durch eine Kombination aus fordernden und fördernden Instrumenten auf kommunaler, Länder- und Bundesebene unterstützt. Schiene Binnenschiff STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Zusätzlich wird die Fahrzeugauslastung erhöht, bis 2040 um 15 Prozent bei den Lkw und um 7 Prozent bei den leichten Nutzfahrzeugen. Eine Verdopplung des Schienengüterverkehrs sollte angestrebt werden, scheint aber bis 2030 auch hinsichtlich der langen Zeiträume für den Ausbau von Schieneninfrastrukturen nur schwer realisierbar. Im Rahmen der Bewertung der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 (Stand Januar 2020) wird davon ausgegangen, dass bis 2030 182 Mrd. tkm auf der Schiene transportiert werden können (KSPr 2030). Daher wird im Szenario KN2050 eine knappe Verdopplung des Schienengüterverkehrs bis 2050 auf 230 Mrd. tkm angenommen. Bis zum Jahr 2030 werden davon 190 Mrd. tkm realisiert. Notwendig dafür ist eine enge Verzahnung von Deutschlandtakt und dem Ausbau der Infrastrukturkapazitäten. Insgesamt ergibt sich dann das folgende Bild hinsicht­ lich der Verkehrsleistung im Güterverkehr (Abbildung 46): Eine weiter deutlich steigende Güterverkehrs­ nachfrage – um 14 Prozent bis 2030 und um 35 Pro­ zent bis 2050 gegenüber 2016 – bei gleichzeitiger Verschiebung des Modal-Splits zu 66 Prozent Straße, 26 Prozent Schiene und 8,5 Prozent Binnenschifffahrt im Jahr 2050. Im Vergleich mit weiteren Studien zeigt sich: Die Gesamtgüterverkehrsnachfrage wird wie in BDI 2018 und DENA 2018 nicht deutlich gedämpft, es findet jedoch ähnlich wie in anderen Klimaschutzsze­ narien eine signifikante Verlagerung auf den Schie­ nenverkehr statt. Luft- und Seeverkehr Der internationale Luft- und Seeverkehr hat in den letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten verzeichnet und stellt eine besondere Herausforde­ rung für den Klimaschutz dar. Die Verantwortung zur Minderung der Emissionen liegt nicht bei den Natio­nalstaaten, sondern bei internationalen Gremien. Grundsätzlich werden die Emissionen des internationalen Luft- und Seeverkehrs nicht dem nationalen Treibhausgasinventar zugerechnet, sondern nur (basierend auf dem Kerosinabsatz in Deutschland) nachrichtlich mitgeteilt. Für den Personenluftverkehr wird ein weiterer Anstieg von durchschnittlich 1 Prozent pro anno (p. a.) im Zeitraum 2017 bis 2040 hinterlegt. Das ist weniger als die historischen Trends (2010 bis 2018: 3 Prozent p. a.), da angenommen wird, dass die Anzahl der Berufsreisen durch eine zunehmende Anzahl von digitalen Treffen und Konferenzen abnimmt (Rutkowsky 2020). Ab 2040 werden zur Dekarbonisierung im Luftverkehr verstärkt strom­ basierte Kraftstoffe eingesetzt, welche gegenüber fossilem Kerosin fast viermal so teurer sind und daher zu einer Erhöhung der Preise um fast 50 Pro­ zent zwischen 2040 und 2050 führen. Im Zeitraum 2040 bis 2050 geht vor diesem Hintergrund der Personenluftverkehr um 2 Prozent p. a. zurück. Der Luftfrachtverkehr ist in der Vergangenheit im Verhältnis zum BIP stets überproportional angestie­ gen und wird entsprechend dieses Trends für die Zukunft mit rund 3,5 Prozent Wachstum p. a. fortge­ schrieben. Die Effizienzverbesserung im Luftverkehr (Auslastung und Energieverbrauch) wird mit 1,5 Prozent p. a. fortgeschrieben. Für den Seeverkehr wird die Entwicklung bis 2050 über Wachstumsraten-Prognosen der IMO (2014), der BIP-Entwicklung in Deutschland sowie güterklas­ senspezifische Regressionsanalysen aus Zimmer et al. (2016) mit rund 2,6 Prozent Wachstum p. a. abgeleitet. Wie auch im bodengebundenen Güterver­ kehr werden Transporte von Gütern, deren Nachfrage sich in einer am Klimaschutz orientierenden Welt reduziert, durch eine Reduktion der Güterverkehrs­ nachfrage gesenkt. Die Effizienzsteigerung im Seeverkehr liegt bei knapp zwei Prozent p. a. bis 2050, was eher der „konservativen“ Annahme der IMO (2014) entspricht. 91 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 3.5.3 Neuzulassungen und Bestand Pkw Trotz eines deutlichen Rückgangs des Pkw-Verkehrs wird im vorliegenden Szenario auch bis 2050 ein großer Anteil der Verkehrsleistung (55 Prozent der Personenkilometer) mit dem Pkw bewältigt (ein­ schließlich Carsharing, Ridesharing und Ridepooling). Die Pkw sollten entsprechend mit CO2-freien Ener­ gieträgern betrieben werden und wegen der begrenz­ ten Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien möglichst effizient sein. Von den potenziellen Tech­nologien sind batterieelektrische Pkw besonders vorteilhaft, da sie erneuerbaren Strom ohne Um­wandlungsverluste direkt nutzen können. Soll der Verkehr bis 2050 klimaneutral werden, so ist es aufgrund der durchschnittlichen Lebensdauer von Pkw von rund 14 Jahren zielführend, ab dem Jahr 2035 nur noch Pkw neu zuzulassen, die rein elekt­ risch betrieben werden. Daher wird im Szenario KN2050 für neu zugelassene Pkw ein Auslaufen der Verbrennertechnologie inklusive der Plug-in-Hyb­ ride (PHEV) bis 2035 angenommen. Der Anteil der Elektrofahrzeuge an den Neuzulassun­ gen steigt im Szenario KN2050 näherungsweise linear an und erreicht im Jahr 2030 bereits 78 Pro­ zent. Der Anteil der Plug-in-Hybride erreicht um das Jahr 2030 einen Höchstwert von knapp 30 Prozent und nimmt danach stetig ab. Ab dem Jahr 2035 werden keine Plug-in-Hybride mehr verkauft. So kann sichergestellt werden, dass im Jahr 2050 fast ausschließlich direkt elektrifizierte Pkw im Bestand sind und die Mengen an synthetischen Kraftstoffen im Straßenverkehr geringgehalten werden. Denn deren Einsatz ist weniger effizient als die direkte Stromnutzung im Fahrzeug. Ein ähnliches Vorgehen für ein Phase-out für Verbrenner plant die Kommis­ sion im Rahmen ihres 2030 Climate Target Plan. Dort wird die Frage gestellt, wie lange sich Pkw im Fahr­ zeugbestand befinden und wann keine verbren­ nungsmotorischen Pkw mehr zugelassen werden dürfen, damit der Bestand im Jahr 2050 möglichst vollständig elektrifiziert ist. Einhergehend mit steigenden Fahrzeugzahlen von reinen Elektrofahrzeugen (Battery Electric Vehicle, BEV) und Hybridfahrzeugen (Plug-in-Hybrid Neuzulassungen und Bestand Pkw 26 50 60 50 52 29 40 30 6 3 1 17 30 24 26 20 10 14 Diesel 15 14 12 7 30 Benzin BEV PHEV FCEV 29 3 31 0 2016 2025 2020 0 2016 30 30 7 2045 27 8 Öko-Institut (2020) 9 40 2040 28 10 5 15 44 2035 20 92 100 1 4 2035 60 30 Anzahl [Mio.] 70 55 2030 Anteil an NZL [%] 80 2030 90 60 14 1 0 2050 2 9 2025 100 Abbildung 47 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Electric Vehicle, PHEV) im Bestand findet ein Ausbau der öffentlichen und privaten Ladeinfra­ struktur statt. Die konventionellen Antriebe werden bis 2030 ebenfalls effizienter: bis 2025 um rund 14 Prozent und bis 2030 um rund 28 Prozent gegenüber 2021. Diese angenommene Entwicklung ist ambitioniert – insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuell die durchschnittlichen Emissionen der Verbrenner durch höhere Motorisierung/Gewicht/SUV-Trend weiter zunehmen. Das aktuelle Ziel der Flottengrenzwerte der EU sieht vor, dass die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Pkw-Neuzulassungen in der EU im Jahr 2030 um 37,5 Prozent gegenüber 2021 reduziert werden. Im Szenario KN2050 wird dieser Wert für Deutschland durch den hohen Anteil an Elektrofahrzeugen und die weitere Effizienzsteigerung verbrennungsmotori­ scher Pkw mit einer Minderung von rund 75 Prozent deutlich übertroffen. Die Neuzulassungen ab dem Jahr 2035 bestehen nahezu ausschließlich aus rein batterieelektrischen Pkw (BEV). Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV) kommen in diesem Szenario nur zu sehr geringen Anteilen auf den Pkw-Markt, denn sie sind wegen der auch in Zukunft vergleichsweise deutlich höheren Technologiekosten im Pkw-Bereich nicht konkurrenzfähig. Die schnelle Entwicklung der Neuzulassungen hin zu Elektrofahrzeugen ist nicht rein kostengetrieben und wird durch die bisher geltenden Flottenstandards auch nicht ausreichend angereizt. Sie muss durch einen entsprechenden Instrumentenmix ermöglicht werden. Infolge der teils langen Haltedauern von Pkw zeigt der schnelle Markthochlauf von Elektrofahrzeugen in der Bestandsentwicklung erst mit Verzögerung eine substanzielle Wirkung. Im Jahr 2030 werden rund 14 Mio. Elektrofahrzeuge im Bestand gezählt, was einem Anteil von 28 Prozent entspricht und das Ziel aus dem Klimaschutzprogramm 2030 in Höhe von 7 bis 10 Mio. Elektrofahrzeuge deutlich übertrifft. Es verbleibt ein stetig sinkender Anteil an Verbrennern im Bestand, bis der Pkw-Bestand im Jahr 2050 dann nahezu vollständig aus rund 30 Mio. BEV besteht. Der Rückgang des Pkw-Bestands ist zum einen eine Folge der sinkenden Gesamtverkehrsleistung, die mit Pkw erbracht wird. Zum anderen werden gerade in Innenstädten weniger Fahrzeuge angeschafft, da – neben einer stärkeren Nutzung des Umweltver­ bunds – Fahrzeuge immer mehr auf Basis von Sharing- und Pooling-Modellen genutzt werden, was zu einer steigenden Pkw-Auslastung führt. Die durchschnittliche Fahrleistung pro Pkw geht leicht zurück von heute rund 13.500 Kilometer je Pkw auf rund 12.500 Kilometer je Pkw im Jahr 2050. Last- und Sattelzüge Im Klimaschutzprogramm hat sich die Bundesregie­ rung das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2030 ein Drittel der Lkw-Fahrleistung elektrisch erfolgt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass fast 70 Prozent der Fahrleistung im Straßengüterverkehr (ohne leichte Nutzfahrzeuge) von Last- und Sattelzügen erbracht wird. Die verbleibenden Fahrzeugkilometer verteilen sich dann jeweils etwa hälftig auf Lkw kleiner 7,5 t und größer 7,5 t zulässiges Gesamtgewicht. Um das Ziel der Elektrifizierung zu erreichen, erfolgt ab 2025 eine starke Zunahme von alternativen Antrieben, sodass 2030 bereits über 50 Prozent elektrisch betriebene Fahrzeuge sowie rund 15 Prozent Brenn­ stoffzellenfahrzeuge bei den Last- und Sattelzügen zugelassen werden. Ab 2040 kommen dann nahezu keine konventionellen Lkw mehr in den Markt und die Neuzulassungen verteilen sich zu einem Drittel auf Brennstoffzellenfahrzeuge und zwei Drittel auf elektrische Fahrzeuge. Die rein elektrischen Fahrzeuge können batterieelek­ trische Lkw, Oberleitungs-Lkw (O-Lkw), oder eine Kombination aus beiden Technologien (batterie­hy­ brid) sein. Die Zusammensetzung ist abhängig von: 93 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland den politischen Rahmenbedingungen, dem Ausbau eines flächendeckenden Ladesystems in Depots, Umschlagpunkten und von Ladepunkten an Auto­ bahnen sowie dem Ausbau einer Oberleitungsinfra­ struktur entlang der Autobahnen. Werden alle Technologien gleichwertig adressiert, kommt es zu einem parallelen Aufbau von drei unterschiedlichen Energieversorgungsinfrastrukturen: Wasserstoff­ tankstellen, Schnellladeinfrastruktur und Oberlei­ tungssystem. Dieser parallele Aufbau ist einerseits mit höheren Kosten verbunden, andererseits ermög­ licht er Nutzern eine gewisse Flexibilität bei der Fahrzeugwahl. Tatsächlich können auch Synergien entstehen: die O-Lkw können beispielsweise die Ladeinfrastruktur der BEV nutzen, um die Reichweite abseits der elektrifizierten Streckenabschnitte zu erhöhen. Mittelfristig sind auch Kombinationen, wie zum Beispiel von Brennstoffzellen und Oberleitung denkbar. Perspektivisch, das zeigen die Berechnun­ gen von Hacker et al. (2020), können auf einem rund 4.000 Kilometer langen Oberleitungsnetz im Jahr 2050 unter geeigneten Rahmenbedingungen rund 100.000 O-Lkw betrieben und damit eine elektrische Fahrleistung von über 20 Mrd. Fahrzeugkilometer erbracht werden. Dies entspricht rund 40 Prozent der Fahrleistung der Last- und Sattelzüge im Szenario KNDE2050. Grundsätzlich ist der Energieverbrauch von O-Lkw und BEV ähnlich. Vorteil des O-Lkw ist, dass mit heutigen – ohne signifikante Nutzlastverluste – rea­ lisierten Batteriekapazitäten auch ein Einsatz im Fernverkehr möglich wäre; die Batterie wäre dabei je nach Konfiguration des O-Lkw nur rund ein Viertel bis halb so groß wie bei einem reinen BEV (Hall, Lutsey 2019). Neben der größeren Nutzlast gegenüber einem reinem BEV beziehungsweise einem geringe­ ren Fahrzeuggewicht lassen sich damit auch bei der Ressourceninanspruchnahme für die Fahrzeugbatte­ rien Einsparungen erzielen. O-Lkw können während der Fahrt geladen werden, BEV dagegen müssen stationär zum Beispiel in den Fahrerpausen geladen werden. Dadurch führt der Einsatz von O-Lkw zu einer zeitlich und räumlich weniger konzentrierten Stromnachfrage. Während O-Lkw in Bezug auf die Pausenzeiten eine größere Flexibilität aufweisen, sind sie in Hinblick auf die möglichen Einsatzstre­ cken weniger flexibel. Neuzulassungen und Bestand Last- und Sattelzüge 31 65 40 68 30 69 69 elektrisch 66 72 155 164 13 5 103 185 138 204 167 81 2016 2050 2045 2030 2025 2016 53 0 Diesel Öko-Institut (2020) 100 34 36 11 0 150 50 30 10 6 38 FCEV 2025 93 Anzahl [Tsd.] 100 2040 50 54 20 94 3 200 2050 31 70 60 2035 Anteil an NZL [%] 29 2045 24 80 2040 90 250 16 2035 7 2030 100 Abbildung 48 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Neuzulassungen und Bestand Lkw 10 10 0,8 10 0,7 55 60 100 40 90 90 90 90 30 0,5 0,6 0,7 0,4 0,2 0,1 10 0,1 Diesel BEV 2035 2030 2016 2050 2045 0 2040 2030 2025 2016 2035 5 0 0,6 0,6 0,2 45 20 0,4 0,4 0,3 0,06 0,3 0,5 2025 50 90 2040 70 0,04 0,1 0,6 Anzahl [Mio.] Anteil an NZL [%] 80 0,06 2050 5 10 90 2045 100 Abbildung 49 FCEV Öko-Institut (2020) Lkw Wie bei Last- und Sattelzügen erfolgt bei den restli­ chen Lkw eine starke Elektrifizierung ab etwa 2025, sodass im Jahr 2030 bereits über die Hälfte der Neuzulassungen Elektrofahrzeuge sind. Bereits 2035 werden nahezu keine Verbrenner mehr zugelassen. Brennstoffzellenfahrzeuge gelangen erst ab etwa 2035 in den Markt, da bei leichteren Fahrzeugen batterieelektrische Konzepte konkurrenzfähiger sind: Durch die kleinere Batterie ist der Kostenvorteil von BEV gegenüber Brennstoffzellenfahrzeugen bei kleineren Lkw größer als bei Last- und Sattelzügen. Prozent der Neuzulassungen aus. Grund für den früheren Hochlauf ist die technologische Nähe zu Pkw und damit eine durch Skaleneffekte früherer Wirtschaftlichkeit. Ab 2035 werden ebenfalls keine nennenswerten Mengen an Verbrennern mehr neu zugelassen. Im Jahr 2030 befinden sich rund 100.000 BEV-Lkw im Bestand, der Großteil besteht dann noch aus Dieselfahrzeugen. Bis 2050 befinden sich dann rund 600.000 BEV-Lkw im Bestand und dazu rund 60.000 Brennstoffzellen-Lkw. Es gibt einen geringen Restbestand an Diesel-Lkw, welcher dann mit synthetischen Kraftstoffen betrieben wird. 3.5.4 Endenergiebedarf und THG-Emissionen Nationaler Verkehr Durch die oben beschriebenen Veränderungen im Verkehrssektor – sowohl technologisch als auch durch Nachfrageveränderungen – sinkt der Endener­ giebedarf für den nationalen Verkehr stetig von rund 655 TWh im Jahr 2016 bis auf 228 TWh im Jahr 2050. Gleichzeitig reduziert sich der Anteil fossiler Ener­ gieträger. Macht dieser im Jahr 2016 noch fast den gesamten Energiebedarf aus, werden im Jahr 2050 keine fossilen Energieträger mehr im Verkehrssektor eingesetzt. Leichte Nutzfahrzeuge Der Hochlauf der batterieelektrischen leichten Nutzfahrzeuge findet etwas schneller statt als bei Lkw und im Jahr 2030 machen BEV bereits 65 Im Jahr 2030 sind 0,7 Mio. BEV-Fahrzeuge im Bestand. Bis zum Jahr 2050 steigt die Anzahl auf knapp 3 Mio. sowie 300.000 Brennstoffzellenfahr­ zeuge. Der Bestand an Verbrennern beträgt dann noch rund 5 Prozent. 95 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Neuzulassungen und Bestand der leichten Nutzfahrzeuge 5 10 3,5 10 3,0 35 Anzahl [Mio.] 60 90 40 90 90 90 65 30 20 Diesel 2016 2050 2045 0,0 2040 2035 0,8 0,4 5 2030 2,7 2,1 0,5 10 2025 2,3 2,4 2,6 1,4 35 2016 1,5 1,0 0 2,1 Benzin BEV 0,2 2050 100 0,3 1,4 2,0 2045 50 0,2 0,7 2,5 65 2035 70 0,1 2030 80 Anteil an NZL [%] 10 2040 0 90 2025 100 Abbildung 50 FCEV Öko-Institut (2020) Bedingt durch die weitgehende Elektrifizierung des Fahrzeugbestands werden die fossilen Kraftstoffe zum Großteil durch direkte Stromnutzung (170 TWh in 2050) ersetzt. Die Brennstoffzellenfahrzeuge und der Restbestand an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen im nationalen Verkehr werden im Jahr 2050 mit strombasierten Kraftstoffen (rund 40 TWh Wasserstoff und 19 TWh Flüssigkraftstoffe) versorgt. Bis zum Jahr 2030 benötigen die Brennstoffzellen­ fahrzeuge (Last- und Sattelzüge) 4 TWh an Wasser­ stoff. Erste Produktionsanlagen für strombasierte Kohlenwasserstoffe fokussieren von Beginn an auf die Produktion von synthetischem Kerosin. Damit wird frühzeitig ein Anlagendesign sichergestellt, welches ohne weitere Anpassungen auf die langfris­ tigen Bedarfe eines klimagerechten Verkehrssystems ausgerichtet ist. Im Jahr 2030 kommen im nationalen Luftverkehr bereits knapp 1,5 TWh an strombasier­ tem Kerosin zum Einsatz. Der Anteil im nationalen Luftverkehr steigt bis 2035 auf 100 Prozent. Hinzu kommt der Bedarf an strombasiertem Kerosin für den internationalen Luftverkehr ab 2040, der im Jahr 2050 100 Prozent erreicht. Mögliche Koppelprodukte der nachhaltigen Kerosinproduktion (zum Beispiel 96 Benzin und Diesel) werden für die Restbestände an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen benötigt. Aufgrund der Vorgaben der Erneuerbare-Energi­ en-Richtlinie RED II ist davon auszugehen, dass bis 2030 die konventionellen Biokraftstoffe auf etwa heutigem Niveau verbleiben und 1,75 Prozent fort­ schrittliche Biokraftstoffe zusätzlich eingesetzt werden. Das verfügbare Biomassepotenzial wird danach bis 2050 sukzessive in den Sektoren einge­ setzt, in denen es effizienter genutzt werden kann, beziehungsweise in denen keine Alternativen zur Verfügung stehen (insbesondere Industrie). Zudem wird die Biomasse zentral in großen Anlagen benö­ tigt, damit die CO2-Ströme der Biomasse später für Bio-Energy with Carbon Capture and Storage (BECCS) zur Verfügung zu stehen. Der deutliche Rückgang des Einsatzes fossiler Kraft­ stoffe führt zu einem ebenso deutlichen Rückgang der THG-Emissionen auf 89 Mio. t CO2-Äq im Jahr 2030. Damit wird das Ziel des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung in Höhe von 95 Mio. t CO2-Äq im Jahr 2030 übertroffen. Das derzeitige Zwischenziel für das Jahr 2025 wird mit 133 Mio. t CO2-Äq verfehlt. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen national nach Verkehrsträgern 159 160 7 67 fossil bio 2035 2030 2025 2016 0 elektrisch PtL 168 40 19 169 15 60 35 107 40 43 76 49 20 15 18 25 6 10 0 H₂ Pkw Straßengüterverkehr Binnenschiff Schienengüterverkehr ÖV Luft 4 2050 100 17 38 19 89 80 2040 329 31 8 50 100 2035 200 128 120 2030 492 133 2025 613 22 9 51 2016 300 36 140 2050 400 166 160 2045 1 4 74 Treibhausgasemissionen [Mio. t CO₂-Äq.] 31 41 500 2045 Endenergiebedarf [TWh] 600 180 13 30 2040 700 Abbildung 51 Öko-Institut (2020) Nach 2030 setzt sich der Trend fort, sodass im Jahr 2050 der gesamte Verkehrssektor als klimaneutral gilt. Die kumulierten Emissionen zwischen 2021 und 2050 betragen 1.757 Mio. t CO2-Äq. Es treten durch die Elektrifizierung Mehr­emissionen im Stromsektor auf, die hier nicht mit dargestellt sind und im Strom­ sektor bilanziert werden. Die verschiedenen CO2-Vermeidungsstrategien tragen im Szenario KN2050 unterschiedlich stark zur Treibhausgasminderung im Verkehrssektor bei. Die Minderung zwischen 2016 und 2030 beträgt insge­ samt 77 Mio. t CO2-Äq. 22 Prozent davon werden über eine frühzeitige Mobilitätswende im Personenver­ kehr erbracht. Auch die Verlagerung von Gütern auf die Schiene trägt mit rund 7 Prozent zu einer Minde­ rung bei. 55 Prozent der Minderung werden durch die schnelle Elektrifizierung (und Effizienzverbesserung) des Pkw-Bestandes erreicht. Ein Drittel elektrischer Fahrleistung von Lkw bringt dann weitere 16 Prozent. Das Bild setzt sich von 2030 bis zum Jahr 2050 fort. Knapp 40 Prozent der notwendigen Treibhausgas­ minderung hin zur Klimaneutralität des Verkehrs­ sektors im Jahr 2050 trägt in diesem Zeitraum die Elektrifizierung des Pkw-Bestandes bei; für einen geringen Restbestand an verbrennungsmotorisch betriebenen Pkw werden synthetische Kraftstoffe genutzt. Durch eine weitere Verlagerung auf umwelt­ freundlichere Verkehrsträger im Personenverkehr, aber auch durch eine Steigerung der Auslastung von Fahrzeugen – etwa durch Pooling-Angebote – kön­ nen weitere 18 Mio. t (20 Prozent) reduziert werden. Der Beitrag einer weiteren Verlagerung auf den Schienengüterverkehr liegt bei 7 Mio. t CO2-Äq und somit 8 Prozent. Ein Drittel der notwendigen THG-Minderung auf dem Weg zur Klimaneutralität erbringt die vollständige Elektrifizierung des Lkw-Bestandes über Oberleitungen, Batterien oder Brennstoffzellen. Internationaler Verkehr Da sowohl der Luftverkehr als auch der Transport von Gütern per Seeschifffahrt bis 2050 trotz einer leichten Dämpfung aufgrund steigender Energie­ preise insgesamt stark zunimmt, führen Effizienz­ steigerungen bis 2040 lediglich zu einem konstanten 97 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr (Mio. t CO₂-Äq.) Abbildung 52 Verkehr Mobilitätsverhalten Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV, Rad, Fuß. Mobilitätsverhalten Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV, Rad, Fuß und die gleichzeitige Nutzung von Fahrzeugen über Pooling-Angebote. Verlagerung auf Schienengüterverkehr Deutliche Verlagerung auf den Schienengüterverkehr. 166 Technologien Pkw Nahezu vollständige Elektrifizierung des Pkw-Bestandes, Rest an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen wird mit synthetischen Kraftstoffen betrieben. Technologien Lkw 30 % der Fahrleistung von Lkw wird elektrisch erbracht. -17 -42 89 -5 Technologien Lkw Lkw werden über Batterien, Oberleitungen oder Brennstoffzellen vollständig elektrisch betrieben. -12 -18 Technologien Pkw Schnelle Marktdurchdringung E-Pkw, 4/5 der neu zugelassenen Pkw in 2030 sind elektrisch. -35 -7 0 2016 2030 -29 2050 Verlagerung auf Schienengüterverkehr Weitere Verlagerung auf den Schienengüterverkehr und Abnahme von Gütertransporten in einer klimaneutralen Welt. Öko-Institut (2020) Energiebedarf. Erst ab 2040 wird ein Rückgang des Energiebedarfs und damit auch der Treibhausgase­ missionen erreicht. Es werden ab 2040 zunehmend strombasierte Kraftstoffe eingesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass erst ab diesem Zeitpunkt die relevanten Mengen auf dem internationalen Markt vergleichsweise kostengünstig angeboten werden können. 2045 machen strombasierte Kraftstoffe dann bereits die Hälfte der eingesetzten Energiemenge aus und im 98 Jahr 2050 wird der Einsatz fossiler Kraftstoffe dann vollständig vermieden. Die CO2-Emissionen gehen durch den Einsatz strombasierter Kraftstoffe bis zum Jahr 2050 auf null. Es verbleiben jedoch auch bei dem Einsatz CO2-freier Kraftstoffe die Nicht-CO2-Effekte (Abbildung 53). Im Rahmen eines zukünftigen, umfassenderen interna­ tionalen Klimaschutzregimes müsste Deutschland weitere negative Emissionen erreichen, um die Nicht-CO2-Effekte seines internationalen Luftver­ STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Klimawirksamkeit Luftverkehr Beim Luftverkehr gibt es hinsichtlich der Klimaschutzanstrengungen eine Besonderheit: die sogenannten Nicht-CO2-Effekte. Über die Treibhausgasemissionen und ihre Klimawirkung hinaus gibt es noch weitere Effekte, die in großer Flughöhe wirksam werden und das Klima negativ belasten. Dazu zählen die Emissio­ nen von Stickoxiden, Rußpartikeln und Wasserdampf ebenso wie die teilweise damit verbundene ver­ stärkte Zirruswolken- und Kondensstreifenbildung. Die Klimawirkung hängt von vielen Faktoren ab, etwa die Hintergrundkonzentration, die Temperatur in Flughöhe, geografische Länge und Breite. Die Berech­ nung der Klimawirkung des Luftverkehrs beziehungsweise die Festlegung auf pauschale Faktoren stellt damit eine besondere Herausforderung dar. Die wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema ist noch nicht abgeschlossen, und der Strahlungsantriebsindex (Radiative Forcing Index, RFI), mit dem die Klima­ wirksamkeit dargestellt werden kann und der die aus dem Flug-verkehr entstehenden CO2- und NichtCO2-Effekte aus der Verbrennung der Kraftstoffe in großer Höhe gegenüber dem CO2-Effekt am Boden gewichtet, liegt zwischen 1,9 und 4,7 (IPCC 2007). Grewe (2019) geht davon aus, dass die Nicht-CO2-Aus­ wirkungen mindestens 50 Prozent der gesamten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs ausmachen, sodass die gesamten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs mindestens zweimal größer wären als seine CO2-Aus­ wirkungen. Gemäß dem Vorsorgeprinzip sollten diese Emissionen – trotz verbleibender Unsicherheiten – nicht ignoriert werden. Mehrere Organisationen haben daher einen Multiplikator von 3 für die Berück­ sichtigung der Nicht-CO2-Wirkungen des Luftverkehrs festgelegt oder empfohlen (atmosfair 2020; UBA 2019b). 25 Hervorzuheben ist, dass auch wenn CO2-freie Kraftstoffe eingesetzt werden, dieser Klimaeffekt bestehen bleibt. Für vollständige Klimaneutralität müssen diese Nicht-CO2-Effekte entsprechend über Senken ausgeglichen werden. Entwicklung Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen inklusive der Nicht-CO2-Effekte, internationaler Verkehr 450 455 450 442 103 92 92 87 82 450 400 100 460 Energiebedarf [PJ] 350 162 250 150 364 38 72 300 200 400 358 357 363 363 360 38 292 100 162 50 0 Treihausgasemissionen [Mio. t CO2-Äq] 500 90 80 70 60 2025 2030 2035 2040 2045 2050 fossil Luft fossil Seeschiff strombasiert Luft strombasiert Seeschiff 52 52 53 53 53 50 40 47 30 20 10 0 2016 Abbildung 53 26 26 27 27 26 8 7 7 6 6 2016 2025 2030 2035 2040 43 12 3 2045 2050 Nicht CO2 Luftverkehr (nachrichtlich, RFI 3) Luftverkehr Seeschiff Öko-Institut (2020) 99 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland kehrs auszugleichen. Bei einem RFI von 3 wären das 43 Mio. t.25 3.5.5 Sensitivität Markthochlauf Elektro­fahrzeuge Ziel der Sensitivität war es, ein alternatives Szenario aufzuzeigen, in dem sich das Mobilitätsverhalten etwas langsamer anpasst und gleichzeitig der Markt­ hochlauf von Elektrofahrzeugen etwas schneller stattfindet. In der Sensitivität wird die Dynamik beim Hochlauf der Elektrofahrzeuge verstärkt und bereits im Jahr 2030 werden keine rein verbrennungsmoto­ rischen Pkw mehr zugelassen. Der Ausstieg aus den PHEV erfolgt im Jahr 2035, der Anteil der PHEV an den Neuzulassungen sinkt bereits zwischen 2030 und 2035 deutlich. Werden mehr Elektrofahrzeuge zugelassen als im Szenario KN2050, können an anderer Stelle die Veränderungen etwas langsamer von statten gehen bei gleicher sektorübergreifenden Treibhausgasmin­ derung. Da es sich gerade bei der Änderung des Mobilitätsverhaltens mit einem Rückgang der Pkw-Fahrleistung um 13 Prozent innerhalb von 14 Jahren um einen ambitionierten Pfad handelt, wurde für die Sensitivität eine geringere Reduktion der Pkw-Fahrleistung um 11 Prozent bis 2030 gegenüber 2016 angenommen. Die Verkehrsnach­ frage Pkw liegt im Jahr 2030 bei 853 Mrd. Pkm, statt bei 833 Mrd. Pkm. Pkw-Neuzulassungen und Bestand Das 2030er-Ziel der EU-Pkw-Flottengrenzwerte (minus 37,5 Prozent gegenüber 2021) wird bereits im KN2050 mit 75 Prozent deutlich übertroffen. In der Sensitivität wird sogar eine Emissionsminderung um 93 Prozent erreicht, da keine rein verbrennungsmo­ torisch betriebenen Pkw mehr zugelassen werden. Der frühere Ausstieg aus konventionellen Pkw führt entsprechend zu einer schnelleren Zunahme des 25 100 Weder im Übereinkommen von Paris noch im Rahmen der EU-Klimapolitik werden die Nicht-CO₂-Effekte bereits im Rahmen von Regulierungen berücksichtig. Bestands an Elektrofahrzeugen. Im Szenario KN2050 werden im Jahr 2030 rund 14 Millionen Elektrofahr­ zeuge erreicht, in der Sensitivität sind zu diesem Zeitpunkt bereits rund 17 Millionen Elektrofahrzeuge im Bestand. Um einen solchen Bestand im Jahr 2030 zu erreichen, ist ein gleichmäßiger Markthochlauf elektrischer Pkw notwendig. Eine Schwäche der EU-Flottengrenz­­werte – unabhängig von ihrer Höhe – in dieser Hinsicht ist, dass sie nur für die Stützjahre 2025 und 2030 festge­ legt wurden. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die Emissionsziele in den Stützjahren erreicht werden, der Verlauf in den Zwischenjahren jedoch nicht linear ist, sondern die Emissionswerte tendenziell sprunghaft zu den Stützjahren abnehmen. Aufgrund der Pkw-Haltedauern hat der Markthoch­ lauf in den Zwischenjahren einen sehr großen Einfluss auf die Bestandszahlen im Jahr 2030. Durch einen angepassten Instrumentenmix wird in den Szenarien daher ein linearer Hochlauf der Elektro­ fahrzeug-Zulassungen bis 2030 gewährleistet. Dies kann beispielsweise durch flankierende fiskalische Instrumente auf nationaler Ebene oder aber durch verschärfte Pkw-Grenzwerte bzw. eine Quotenrege­ lung bewirkt werden, die jeweils auch Vorgaben für die Zwischenjahre machen. Klimavorteil durch Elektrifizierung im Verkehr versus Mehremissionen im Stromsektor Ziel des Szenarios KN2050 ist, sektorenübergreifend bis 2030 eine Minderung der THG-Emissionen um 65 Prozent zu erreichen. Werden zur THG-Minde­ rung im Verkehrssektor Technologien eingesetzt, die als Energieträger Strom benötigen, so müssen die Wechselwirkung mit dem Stromsektor und mögliche zusätzliche Emissionen durch einen höheren Strom­ bedarf mitgedacht werden. Der „Netto-Klimavorteil“ elektrischer Fahrzeuge hängt also nur zu einem Teil von der Effizienz der Antriebsalternativen ab, denn zusätzlich spielt die Art der Stromerzeugung eine wesentliche Rolle. Je nachdem, ob der zusätzlich benötigte Strom durch STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 8 14 21 20 26 28 30 12 15 22 27 18 30 25 Diesel Anzahl [Mio.] 100 92 80 79 74 58 64 20 15 Benzin BEV 0 2035 2033 PHEV 2034 2032 2031 2030 2029 2028 8 5 15 22 11 10 2027 2026 29 25 2025 2024 31 34 2022 0 2023 10 2020 28 20 31 16 30 86 39 47 24 40 33 42 50 38 60 57 36 70 60 2021 Anteil an NZL [%] 80 Abbildung 54 35 27 6 9 9 90 22 100 9 Entwicklung Antriebstechnologien Neuzulassungen (NZL) und Bestand Pkw in der Sensitivität 2020 FCEV 2025 2030 2035 2040 2045 KN2050 BEV KN2050 PHEV Sensitivität BEV Sensitivität PHEV 2050 Öko-Institut (2020) Erneuerbare Energien, Gaskraftwerke oder durch CO2-intensive Kohlekraftwerke bereitgestellt wird, verändert sich der Emissionsfaktor für den einge­ setzten Strom und damit die tatsächliche Einsparung über alle Sektoren hinweg. In der hier betrachteten Sensitivität wird davon ausgegangen, dass keine zusätzlichen Erneuerbaren Energien ausgebaut werden, weil das Ambitionsniveau bereits hoch ist. Kohlekraftwerke kommen nicht zum Einsatz, weil sie über den EU-ETS-Preis aus dem Markt gedrängt Entwicklung durchschnittliche CO2-Emissionen neu zugelassenen Pkw im Szenario KN2050 und in der Sensitivität Abbildung 55 180 160 [g CO2/km (WLTP)] 140 120 100 80 -15 % -37,5 % 60 40 - 20 -75 % ggü. 2021 -93 % ggü. 2021 0 2018 2020 2022 2024 Sensitivität 2026 KN 2050 2028 2030 2032 2034 EU-Standards Öko-Institut (2020) 101 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland werden. Importe werden hier ebenso nicht betrachtet, weil sie das Problem der zusätzlichen Emissionen lediglich ins Ausland verlagern und damit keinen echten Vergleich der Treibhausgaswirksamkeit beider Antriebstechniken erlauben. Der Strom wird in der Vergleichsanalyse hier deshalb über Erdgas erzeugt. Je nachdem, ob man hier eine effiziente GuD mit einem Wirkungsgrad von mehr als 55 Prozent oder eine Gasturbine von heute 42 Prozent Wir­ kungsgrad ansetzt, variiert der Strom-Emissionsfak­ tor zwischen rund 450 und 367 g CO2 /kWhel. In der hier betrachteten Sensitivität wird davon ausgegan­ gen, dass die Strombereitstellung über GuDs erfolgt. Gasturbinen sind in der Regel nur für wenige Peak-Stunden mit hohem Strombedarf ausgelegt. Aufgrund der vorhandenen Flexibilität beim Laden, werden solche Stunden tendenziell eher vermieden. Vergleicht man den Emissionsfaktor von 367 g/kWhel mit dem Emissionsfaktor für Diesel in Höhe von 266 g CO2 /kWh), so liegt dieser deutlich darüber. Das wird jedoch dadurch überkompensiert, dass Elektro­ motoren wesentlich effizienter sind als Dieselmoto­ ren. Bereits wenn der Energieverbrauch des elektri­ schen Fahrzeugs um ein Drittel niedriger liegt als der Verbrauch des Dieselfahrzeugs, ergibt sich ein Klimavorteil (im Betrieb). Der Stromverbrauch eines elektrischen Last- und Sattelzuges ist etwa halb so hoch wie der Energiever­ brauch eines vergleichbaren Dieselfahrzeugs. Im Szenario sind daher die CO2-Emissionen des Elektro­Lkw bei Berücksichtigung des Stromsektors im Jahr 2030 etwa 20 Prozent niedriger als beim Diesel. Elektro-Pkw verbrauchen hingegen nur ein Drittel der Endenergie ihres Diesel-Pendants. Daher sparen sie sektorenübergreifend 50 Prozent CO2-Emissionen ein. Die zwei Beispiele zeigen, dass das sektorenüber­ greifende Minderungspotenzial von der Effizienz der eingesetzten Technologien in beiden Sektoren abhängt. Durch die Elektrifizierung der Pkw kann eine höhere prozentuale Minderung der CO2-Emissi­ onen je Kilometer erzielt werden als durch die Elektri­ fizierung der Lkw, da Pkw den Strom im Antriebsver­ gleich effizienter einsetzen. Steigt der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion weiter, so nimmt der Klimavorteil im Betrieb sowohl von Elektro-Pkw als auch von Elektro-Lkw zu. Endenergiebedarf und THG-Emissionen Im Verkehrssektor selbst resultieren die zusätzlichen Elektrofahrzeuge trotz leicht erhöhter Fahrleistung, die teilweise auch noch durch Verbrenner erbracht wird, in einer weiteren Minderung der THG-Emissi­ onen um 2 Mio. t. Sie liegen 2030 bei 87 Mio. t statt Vergleich der CO2-Emissionen von elektrischen Fahrzeugen und Dieselfahrzeugen bei Stromerzeugung aus GuD (367 g CO2/kWhel) 160 140 120 100 80 60 40 20 0 636 600 479 500 400 62 53 300 200 17 239 131 100 0 Energieverbrauch [kWh/100 km] Diesel-Pkw Öko-Institut (2020) 102 700 138 Abbildung 56 CO2-Emissionen [g/km] E-Pkw Energieverbrauch [kWh/100 km] Diesel-Lkw CO2-Emissionen [g/km] E-Lkw STUDIE | Klimaneutrales Deutschland wie im KN2050 bei 89 Mio. t. Diese zusätzliche Minderung setzt sich entsprechend der Bestands­ entwicklung Pkw auch in den Jahren 2035 und 2040 fort. Im Jahr 2045 nähern sich die CO2-Emissionen innerhalb der Sektorenabgrenzung Verkehr nahezu an. Die höhere Anzahl an Elektrofahrzeugen führt zwar zu sinkenden THG-Emissionen im Verkehrs­ sektor und zu leicht sinkenden Emissionen in den Mineralölraffinerien, aber ebenfalls zu einem erhöhten Strombedarf und damit zu Mehremissionen im Stromsektor. Insgesamt gleichen sich die Effekte in der Sensitivitätsbetrachtung nahezu aus. In der Detailbetrachtung des Jahres 2030 zeigen sich leichte Minderemissionen von 0,1 Mio. t CO2-Äq (vgl. Abbildung 57). Entwicklung der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors und sektorenübergreifend in der Sensitivität Abbildung 57 1) Sektorübergreifende Treibhausgasemissionen bei identischer und höherer Verkehrsleistung Identische Verkehrsleistung Höhere Verkehrsleistung – Sensitivität Emissionen [Mio. t CO2-Äq] 0 Gesamteinsparung -0,1 Mio. t -0,5 -1,0 Gesamteinsparung -1,2 Mio. t -1,5 -2,0 -2,5 -3,0 -3,5 E-Fahrzeuge -3,0 Mio. t Raffinerien -0,1 Mio. t Gaskraftwerke* +2,0 Mio. t höhere Pkm +1,1 Mio. t Emissionen [Mio. t CO2-Äq] 2) Treibhausgasemissionen Verkehr in der Sensitivität 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 166 51 134 50 107 2016 Pkw 87 35 77 2025 Straßengüterverkehr 40 46 15 21 2030 2035 Binnenschiff 16 5 7 2040 Schienengüterverkehr 4 2045 ÖV Luft * Deckung der zusätzlichen Stromnachfrage in Höhe von 5,6 TWh durch den Einsatz von Gaskraftwerken. Annahme Wirkungsgrad GuD 55 %. Dies entspricht einem Stromemissionsfaktor des Stroms von 367 g CO2/kWhel Öko-Institut, Prognos (2020) 103 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 3.6 Landwirtschaft, Abfall und LULUCF 3.6.1 Landwirtschaft Zielbild und Ausgangslage Im Jahr 2018 lagen die Emissionen aus dem Land­ wirtschaftssektor inklusive der energiebedingten Emissionen bei 69,8 Mio. t CO₂-Äq. Die Hälfte der Emissionen entsteht durch die Verdauung der Wiederkäuer und die Lagerung des anfallenden Wirtschaftsdüngers. Etwas mehr als ein Drittel der Emissionen entsteht durch den Stickstoffeintrag in die Böden für den Anbau von Tierfutter, Markt­ früchten und Energiepflanzen. Die restlichen 15 Prozent der Emissionen lassen sich auf die Ver­ gärung von Energiepflanzen, sonstige Düngeran­ wendung (zum Beispiel Kalkung) und den Energie­ einsatz (Erdgas, Mineralöleinsatz etc.) der Landwirtschaft zurück­f ühren.26 Bis zum Jahr 2030 sollen die Emissionen nach dem aktuellen Klimaschutzgesetzt auf 58 Mio. t CO₂-Äq sinken. Im Landwirtschaftssektor überwiegen die Methan- und Lachgasemissionen, welche durch biologische Prozesse in den Böden und in der Tierhal­ tung entstehen. Technische Optionen zur Reduktion der Treibhausgase sind in diesem Sektor daher begrenzt und eine vollständige Klimaneutralität der Landwirtschaft ist letztlich nicht möglich. Den men­ genmäßig wichtigsten Emissionsminderungs­hebel bildet die Entwicklung der Nutztierbestände. In Verbindung mit einer Reduktion des Konsums tierischer Produkte ist dieser bis zum Jahr 2050 für die Emissionsentwicklung des Sektors entscheidend. Im Rahmen des KN2050-Szenarios werden gesellschaft­ liche Trends im Bereich der Ernährung fortgeschrie­ ben, so unter anderem ein moderater Rückgang des Milchkonsums und eine Verschiebung des Fleisch­ 26 104 Nach dem Sektorenziel des Klimaschutzgesetzes fallen die Emissionen aus dem Wärmeverbrauch in Gewächshäusern, Stallungen, und Trocknungen unter den Landwirtschaftssektor. Ebenso werden die Emissionen aus dem Kraftstoffeinsatz in landwirtschaft­ lichen Nutzmaschinen für Ernte etc. bilanziert. konsums hin zu mehr Geflügel.27 Um bis 2050 dennoch Klimaneutralität für Deutschland zu erreichen, müssen die verbliebenen Restemissionen mit vergleichsweise kostenintensiven Negativ-Emissionen ausgeglichen werden. Daher sind Änderungen in der landwirt­ schaftlichen Produktion und Produktionsweise aus heutiger Sicht sowohl aus Klimaschutz- wie auch aus volkswirtschaftlichen Gründen unvermeidbar. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft lassen sich in drei Minderungsme­ chanismen einteilen: 1. Optimierung: Hierzu gehören technische Vermei­ dungsoptionen wie Effizienzverbesserungen und der Einsatz von technischen Emissionsminde­ rungstechnologien. Die Strukturen in der land­ wirtschaftlichen Produktion bleiben davon zunächst unberührt. 2. Minimierung von Emissionen: Hierzu zählen die Veränderungen durch die Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion sowie struktu­ relle Veränderungen der Produktionsweise. Diese Maßnahmen verändern die landwirtschaftlichen Produktionsstrukturen (Produkte und Erträge) und die entsprechenden Emissionen. 3. Eliminierung von Emissionen: Zu diesem Emissi­ onsminderungshebel zählen alle Maßnahmen, die auf eine Rückführung der Produktion und die damit verbundenen Emissionsvermeidungen abzielen.28 Im Kontext des Klimaneutralitätsziels für die gesamte Volkswirtschaft sind bis zum Jahr 2050 Maßnahmen 27 Durch eine Ernährung, in der weniger tierische Produkten verzehrt werden, können die Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor zusätzlich verringert werden. 28 Eine strikte Trennung zwischen den beiden letztge­ nannten Hebeln der Minimierung und der Eliminierung ist dabei nicht immer möglich beziehungsweise nötig. Hierbei handelt es sich vor allem um solche Maßnahmen, die vorrangig aus Klimaschutzgründen umgesetzt werden. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland aus allen genannten Minderungsoptionen für die Landwirtschaft notwendig. Nur so können die Emissionen des Sektors deutlich beziehungsweise im notwendigen Umfang reduziert werden. Szenarioannahmen Die Treiber im Landwirtschaftssektor bilden die Entwicklung der Tierbestände, die Flächenentwick­ lung von Grünland und Ackerland in Rückkopplung mit der Landnutzung, die angebauten Kulturarten als Rückschluss auf die Nachfrage nach Tierfutter, Bioenergie und Marktfrüchten sowie die Deckung des Stickstoffbedarfs der angebauten Kulturen. Im Bereich der Emissionen aus der Tierhaltung bildet die Nachfrageentwicklung des Konsums den Start­ punkt. Das Szenario schreibt aktuelle Konsumtrends für den Verzehr von Schweinefleisch, Geflügelfleisch sowie Milch, Käse und Butter bis ins Jahr 2050 fort. Aufgrund der eng verzahnten Produktionssysteme von Milchwirtschaft und Rindfleischproduktion wird die Produktion von Rindfleisch an die Entwicklung der Milchproduktion gekoppelt. Auf diese Weise nimmt im Szenario auch die Produktion von Rind­ fleisch ab.29 Die Selbstversorgungsgrade Deutsch­ lands für die entsprechenden Produkte bleiben über den gesamten Szenariozeitraum konstant.30 In Kombination mit der Leistungsentwicklung (zum Beispiel Milchleistung) werden die Tierzahlen berechnet. 29 Die Entwicklung des Rinderbestandes ist damit nicht an die aktuelle Konsumentwicklung für Rindfleisch geknüpft. Die aktuelle Konsumentwicklung für Rindfleisch wird vor allem durch den starken Rückgang während der BSE-Krise im Jahr 2001 beeinflusst und eignet sich nur bedingt zur Fortschreibung. Damit zeigt sich aber auch, dass Verbraucher auch kurzfristig durch eine Verschiebung des Fleischkonsums zwischen den Tierarten reagieren können. 30 Das heißt, sie entwickeln sich wegen der engen Verschränkung der unterschiedlichen Produktbereiche (unterschiedliche Fleisch- und Milchprodukte etc.) im selben Verhältnis wie der Konsum. Nimmt der einheimi­ sche Konsum ab, sinken auch die Exporte entsprechend. Im Bereich der Pflanzenproduktion wird zunächst ausgehend vom Nutztierbestand der Futterbedarf ermittelt. Den zweiten Nachfragestrom bildet die Nachfrage der Sektoren nach Bioenergie: Die danach verbleibende Fläche kann anschließend dem Markt­ fruchtanbau zugeordnet werden oder auch für Extensivierungen zur Schaffung ökologischer Vorrangflächen oder der Ausweitung extensiver Grünlandflächen verwendet werden. Durch die rückläufige Fläche infolge von Infrastrukturmaßnah­ men und die angepasste Nutzung von Moorstandor­ ten (Paludikulturen) nimmt auch die Marktfrucht­ fläche ab. In Kombination mit den Annahmen zur Ertragsentwicklung wird schließlich für alle Anbauf­ lächen der Stickstoffbedarf für die Düngung ermittelt. 105 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Die nachfolgende Tabelle 4 beschreibt die detaillierten Szenarioannahmen und ordnet sie den drei oben genannten Emissionsminderungshebeln zu: 31 Beschreibung der Annahmen für die Landwirtschaft Minderungsmechanismus Optimierung (technische Vermeidungs­optionen) Tabelle 4 Szenarioannahmen → Strengere Umweltanforderungen führen zu verbesserter Lagerung und Ausbringungstechnik von Gülle und Gärresten und die Stickstoffausbringung verringert sich. Insgesamt erhöht sich die Effizienz der Stickstoffnutzung. → Steigerung der Wirtschaftsdüngervergärung von heute circa 20 Prozent auf 50 Prozent im Jahr 2030 und 70 Prozent beziehungsweise 90 Prozent (je nach Tierart) bis 2050 → gasdichte Lagerung der anfallenden Wirtschaftsdünger und Gärreste → Erhöhung der Energieeffizienz in der Landwirtschaft und im Gartenbau Minimierung (Reduktion von Betriebsmitteln) → Ausweitung des Ökolandbaus auf 20 Prozent der Fläche 2030 und 25 ­Prozent der Fläche 2050 → Ausweitung des Anbaus von Kulturarten mit geringerem beziehungsweise keinem Stickstoffbedarf: • Ausweitung des Anbaus stickstoffbindender Pflanzen (Leguminosen) • Verschiebung zu Kurzumtriebsplantagen statt Mais bei Energiepflanzen • Nutzung wiedervernässter Moorflächen für Paludikulturen 31 → stickstoffoptimierte Fütterung in der Rinder-, Schweine und Geflügelhaltung → Umstieg auf Erneuerbare Energien in der Landwirtschaft und im Gartenbau Eliminierung (Reduktion des Produktionsniveaus) → Wiedervernässung der organischen Böden (Moore) unter Acker- und ­Grün-land, Ausweitung der unproduktiven Flächen (Brachen) → Umbau der Tierbestände (auf der Basis fortgeschriebener Konsumtrends) – wobei auf den Ackerfutterflächen weiterhin eine pflanzenbauliche ­Nutzung unterstellt wird. → Zusätzlich wirkt der Ausbau von Flächen für Infrastruktur und Siedlungen. Hierdurch nimmt die landwirtschaftlich genutzte und damit auch die gedüngte Fläche ab. Öko-Institut (2020) 31 106 Paludikultur bezeichnet die land- und forstwirtschaftli­ che Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore, dabei wer­ den neue Produkte wie Röhrichte oder Schilfe ­geerntet, die für die Stoff- oder Energienutzung verwendet wer­ den können. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Weitere Annahmen werden in der folgenden ­Abbildung dargestellt. Wesentliche Treiber in der Landwirtschaft Abbildung 58 Wirtschaftsdüngervergärung Anteil des vergorenen Wirtschaftsdüngers am gesamten Wirtschaftsdüngeraufkommen. 0% 50 % Milchkühe 100 % 21 % heute 50 % 2030 Sonstige Rinder heute 10 % 50 % 2030 70 % 2050 heute Schweine 15 % 50 % 2030 90 % 2050 heute Geflügel Heute entweichen aus Mist und Gülle 9,3 Mio. t Treibhausgase in die Atmosphäre. Über Vergärung und gasdichte Abdeckung der Lager können ein großer Teil der Emissionen vermieden werden. 75 % 2050 13 % 50 % 2030 90 % 2050 Ökolandbau Anteil des Ökolandbaus an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. 7,5 % 2016 9% 2018 20 % 2030 25 % Ökolandbau verzichtet auf Mineraldünger und setzt daher weniger Stickstoff pro Hektar ein. Damit reduzieren sich die Lachgasemissionen aus den Böden und die Emissionen aus der Mineraldüngerherstellung in der Industrie. 2050 Entwicklung der Weizenerträge Entwicklung der Milchleistung Dezitonnen pro Hektar Liter pro Kuh und Jahr 78,5 80,0 86,8 Mittel 2013:2018 2030 2050 8.200 8.727 8.791 2018 2030 2050 BMEL 2020 a, Haehnel et. al. 2020, Öko-Institut (2020) 107 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Die Ausweitung des Ökolandbaus erfolgt durch die Umstellung bestehender konventioneller Betriebe beziehungsweise Flächen. Sie orientiert sich an den politischen Zielstellungen des Klimaschutzplans und des European Green Deals. Die damit einhergehende Reduktion der Produktionsmengen kann durch eine Änderung der Nachfrage nach Marktfrüchten und eine Reduktion der Lebensmittelabfälle ausgegli­ chen werden. Ergebnisse Ein Großteil der Minderungsoptionen führt zu einem wachsenden Flächenbedarf. Dies gilt sowohl für die Erhöhung der Ökolandbaufläche als auch für die Wiedervernässung der Moore. Gleichzeitig sinkt die verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche durch eine Ausweitung der Flächen für Infrastrukturmaßnah­ men, wie den Bau von Straßen und Bahntrassen und die Ausweitung von Siedlungen. Ohne eine geänderte Nachfrage nach Futterflächen, Marktfrüchten und Bioenergie steigt damit der Flächendruck zukünftig stark an. Durch den nur moderaten Rückgang der Tierbestände und die damit freiwerdende Futterflä­ che entsteht in diesem Szenario lediglich ein mini­ maler Spielraum für neue Flächennutzungen. Dieser wird mit der Ausweitung der Infrastrukturmaßnah­ men und der Wiedervernässung der landwirtschaft­ lich genutzten Moore bereits aufgezehrt. Abbildung 59 zeigt die Entwicklung der landwirt­ schaftlichen Nutzfläche bis zum Jahr 2050. Durch Infrastrukturmaßnahmen und eine Wiedervernässung der organischen Böden sinkt bis dahin die reine Acker- und Grünlandfläche um 7 Prozent (circa 1,2 Mio. Hektar) im Vergleich zum Jahr 2016. Ein Teil der wiedervernässten Böden wird aber weiterhin als Paludikultur zum Anbau von Energiepflanzen (Schilf, Erle) genutzt. Ohne Einbezug der Paludikulturen sinkt die Anbaufläche für Energiepflanzen um 0,1 Mio. Hek­ Entwicklung der gesamten Flächen und Entwicklung der Futterflächen* Gesamtflächen Futterflächen 18 10 6 8,8 8,7 3 7,6 0 4 1,2 6,9 1,1 0 2016 2030 2050 Moore und Paludikulturen Vorrangflächen + Leguminosen Grünland Ackerland Markfrucht, Futterbau Energiepflanzen 6,1 5,0 2 0,2 0,6 0,6 2016 0,1 1,3 0,2 0,5 0,5 2030 Rinder Schweine *Die Berechnungen basieren auf ausgewählten Standardfutterplänen, Abweichungen zur Statistik sind möglich. BMEL (2020 a), FNR (2019), Öko-Institut (2020) 108 0,2 0,2 1,7 0,3 0,5 0,4 2050 Geflügel Import 1,4 bio 2,3 konv 1,2 Import 0,8 bio 9 1,3 1,4 6 konv 2,4 12 1,3 1,5 Import 2,4 8 4,2 bio 4,5 konv [Millionen Hektar] 4,8 1,1 0,7 [Millionen Hektar] 0,2 15 Abbildung 59 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland tar gegenüber 2016. Die Fläche der wiedervernässten Moore inklusive der genutzten Paludikulturen steigt bis zum Jahr 2050 auf 0,7 Mio. Hektar an (etwa 4 Prozent der heutigen landwirtschaftlichen Nutz­ fläche). Gleichzeitig findet eine Ausweitung der ökologischen Vorrangflächen und eine Ausweitung des Leguminosenanbaus statt. Im Bereich der Lachgasemissionen aus landwirt­ schaftlichen Böden lassen sich wesentliche Minde­ rungen über eine Reduktion der Stickstoffeinträge aus Wirtschaftsdünger und Mineraldünger erreichen.32 Abbildung 60 zeigt die Entwicklung der Stickstoff­ einträge in den Boden, differenziert in Mineral- und Wirtschaftsdünger. Links ist der Stickstoffeintrag aus Wirtschaftsdüngern und Mineraldüngern in Kilo­ gramm pro Hektar dargestellt, rechts die Summe über die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche. Mineral­ dünger kommt nur in der konventionellen Landwirt­ schaft zum Einsatz, da der ökologische Landbau diese Düngemittel nicht verwenden darf. 32 Weitere Stickstoffeinträge gelangen über Erntereste, Weidegang und den Anbau von Leguminosen in die Böden. Bis zum Jahr 2050 lassen sich gegenüber 2016 etwa 36 Prozent des Stickstoffeintrages aus Mineraldün­ ger und Wirtschaftsdünger reduzieren. Die Minde­ rungen gehen auf den effizienteren Wirtschaftsdün­ gereinsatz und die Ausweitung der Kulturen mit geringerem Stickstoffbedarf zurück. Pro Hektar fällt die Minderung des Stickstoffeintrages auf der konventionellen Fläche mit circa 21 Prozent geringer aus. Dies ist vor allem mit der Ertragsdifferenz zwischen beiden Anbauformen zu erklären. Bis zum Jahr 2050 sinken die Stickstoffüberschüsse von 93 Kilogramm Stickstoff (Mittel der Jahre 2016 bis 2018) auf 48 Kilogramm Stickstoffüberschuss pro Hektar (siehe Abbildung 62). Dies ist das Ergebnis einer verbesserten Stickstoffnutzung (reduzierter Düngemitteleintrag bei gleichzeitig moderater Steigerung der Erträge). Die Entwicklung des Tierbestandes folgt der Trend­ fortschreibung für den Konsum der tierischen Produkte bis ins Jahr 2050 (siehe Abbildung 62). Schon in den Jahren 2017 bis 2019 ergab sich als Folge der Dürre, gestiegener Umweltanforderungen und geringerer Marktpreise ein Rückgang bei den Beständen von Milchkühen, Rindern und Schweinen, Stickstoffeinträge in die Böden in kg N/ha konventioneller Fläche und kt N gesamt Stickstoffeinsatz gesamt Stickstoffeinsatz auf konventionellen Flächen pro Hektar 2.800 160 -13 % 61 120 64 100 -17 % 71 -19 % 70 68 80 60 40 111 85 20 72 69 66 0 2016 2025 2030 Wirtschaftsdüngereinsatz 2040 2.400 -21 % 2050 Mineraldüngereinsatz [kt Stickstoff] [kg Stickstoff pro Hektar] 180 140 Abbildung 60 2.000 986 -20 % 1.600 1.200 800 -30 % -33 % -36 % 972 945 916 924 867 810 2030 2040 2050 970 1711 1181 400 0 2016 2025 Wirtschaftsdüngereinsatz (konventionell und öko) Mineraldüngereinsatz (konventionell) UBA (2020), Öko-Institut (2020) 109 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland während der Geflügelbestand seit Jahren kontinuier­ lich ansteigt. Vor allem die geringere Zahl der Milch­ kühe und Rinder führt zu einer Emissionsreduktion. Dies liegt daran, dass Rinder als Wiederkäuer bei der Pansenverdauung das Treibhausgas Methan in großer Menge ausstoßen. system gekoppelte Produkte sind (eine Kuh gibt nur Milch, wenn ein Kalb geboren wird). Die Anpassung des Rindfleischkonsums an die konsumierte Milchmenge führt zu einer Reduktion der Treibhausgase aus der Tierhaltung, da keine zusätzlichen Fleischrinder in Mutterkuhhaltung gehalten werden müssen. Der Rückgang der Milch­ kuhbestände erfolgt durch den Rückgang des Konsums von Milchprodukten33, in Verbindung mit Aus diesem Grund sind vor allem die produzierten Mengen an Milch und Rindfleisch für die Treibhaus­ gasemissionen in der Landwirtschaft eine maßgebli­ che Größe. Der Austausch von Rindfleisch durch Schweine- oder Geflügelfleisch wäre als Klima­ schutzmaßnahme jedoch zu kurz gegriffen, da Rindfleisch und Milch im heutigen Produktions­ 33 Hier wirkt sich besonders ein geringerer Verzehr von Butter, Käse und Sahne aus, da für die Herstellung eines Kilogramms dieser Produkte besonders viele Liter gemol­ kener Milch notwendig sind. Emissionen aus der Landwirtschaft (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) Abbildung 61 Landwirtschaft landwirtschaftliche Böden Verringerung Stickstoffdüngung durch Ausbau Ökolandbau, effiziente Güllenutzung energiebedingte Emissionen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien landwirtschaftliche Böden Verringerung Stickstoffdüngung durch Ausbau Ökolandbau, effiziente Güllenutzung energiebedingte Emissionen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien 70 Sonstiges -4 -3 -1 -1 58 -1 -5 Wirtschaftsdüngermanagement Rückgang Tierbestände und Güllevergärung Öko-Institut (2020) 110 -3 -2 44 -1 Wirtschaftsdüngermanagement Rückgang Tierbestände und Güllevergärung Verdauung Wiederkäuer Rückgang Tierbestände 2018 Sonstiges -3 Verdauung Wiederkäuer Rückgang Tierbestände 2030 2050 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Wesentliche Effekte des Szenarios auf den Landwirtschaftssektor Abbildung 62 1 | Tierbestände 2 | Flächenspielräume in Großvieheinheiten (GVE*). Fortführung des aktuellen Ernährungstrends: Zunahme des Verzehrs von Geflügelfleisch aus dem Rückgang der Tierbestände und aus dem sinkenden Flächenbedarf für Futteranbau, in 1.000 Hektar Acker -16 % Grünland 4.000 -16 % 3.000 -9 % 268 518 281 in 2030 in 2050 2.000 +28 % 1.000 710 in 2030 in 2050 THG-Reduktion durch Einsatz der Flächen für Wiedervernässung von Mooren und Extensivierung 2016 2018 2030 2050 2016 2018 2030 2050 2016 2018 2030 2050 0 2016 2018 2030 2050 3 | Reduktion der Stickstoffüberschüsse Milchkühe sonstige Rinder Schweine Geflügel Durch einen effizienteren Düngemitteleinsatz sinkt der Stickstoffüberschuss und damit sinken die Lachgasemissionen aus den Böden. Kilogramm Stickstoff pro Hektar 93 Mittel 2016:2018 THG-Reduktion durch sinkende Methanemissionen aus der Verdauung der Wiederkäuer und geringeren Gülleanfall 59 48 2030 2050 THG-Reduktion durch Ausweitung des Ökolandbaus, Anbau von Kulturarten mit geringem Stickstoffbedarf, effizientere Wirtschaftsdüngernutzung * 1 GVE entspricht 1 Milchkuh oder 2 Rindern oder 9 Schweinen oder 250 Geflügel eigene Berechnungen Öko-Institut auf Basis des Modells LiSE (2020) einer Milchleistungssteigerung. In der Folge redu­ zieren sich auch die sonstigen Rinderbestände, da weniger Kälber geboren werden, die zu Kühen aufgezogen beziehungsweise zu Schlachtrindern ausgemästet werden. Bis zum Jahr 2050 sinken in diesem Szenario die Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor inklusive der energiebedingten Emissionen gegenüber 2018 um 25,8 Mio. t CO₂-Äq (siehe Abbildung 61). Die größten Minderungen gegenüber 2018 ergeben sich im Bereich der landwirtschaftlichen Böden durch eine Reduktion der Stickstoffeinträge (rund 8 Mio. t CO₂-Äq). Ein ähnlicher Minderungseffekt lässt sich durch eine Reduktion der energiebedingten Emissio­ nen durch die Steigerung der Energieeffizienz und den Brennstoffwechsel und im Bereich des Wirt­ schaftsdüngermanagements infolge einer verbesser­ ten Lagerung und Ausweitung der Vergärung erzielen (jeweils 6 Mio. t CO₂-Äq). Der Umbau der Tierbe­ stände (Rückgang der Rinder- und Schweine­ bestände, Ausweitung der Geflügelbestände) führt gegenüber 2018 zu einer Minderung von knapp 4 Mio. t CO₂-Äq. 111 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 3.6.2 Abfallsektor Zielbild und Ausgangslage Im Jahr 2018 lagen die Emissionen des Abfallsek­ tors bei 9,7 Mio. t CO₂-Äq. Die Emissionen des Abfallsektors werden von den Methanemissionen aus der Deponierung dominiert (78 Prozent). Auch bei der biologischen Abfallbehandlung und bei der Abwasserbehandlung dominieren die Methane­ missionen, allerdings treten bei diesen Prozessen auch Lach­gasemissionen auf. CO₂-Emissionen bei der Abfallbehandlung stammen hauptsächlich aus dem organischen Abfall und werden daher als biogene CO₂-Emissionen im Inventar nicht berücksichtigt. Nach dem Klimaschutzgesetz sollen die Emissionen des Abfallsektors bis zum Jahr 2030 auf 5 Mio. t CO₂-Äq reduziert werden. Für die Erreichung der Klimaziele des Klimaschutzgesetzes und des Klimaschutzplans 2050 sind auch im Abfallsektor weitere Treibhausgasminderungen notwendig, die bereits im Maßnahmenprogramm 2030 angelegt sind. Vor allem durch die Ausweitung der Deponie­ belüftung kann weiteres Minderungspotenzial in diesem Sektor erschlossen werden. 34 Für die biologische Abfallbehandlung wird neben steigen­ den Abfallmengen pro Person durch die Auswei­ tung der getrennten Erfassung auch technisches Potenzial zur Reduktion der Emissionen berück­ sichtigt. Dazu zählen unter anderem die Reduktion von CH₄-Leckage-Raten, aber auch die aktive Belüftung bei der Kompostierung. Bis zum Jahr 2050 reduzieren sich die getrennt erfassten biologischen Abfälle pro Person infolge einer Reduktion der Lebensmittelabfälle. Im Abwasser­ bereich gibt es noch ein geringes Minderungs­ potenzial durch den Anschluss an die öffentliche 34 112 Die Berechnung der Minderungswirkung der Deponiebelüftung erfolgt nach einer derzeit ermittelten Methodik der Ingenieurgruppe RUK GmbH für das UBA zur Berechnung der aeroben In-Situ-Stabilisierung von Deponien. Kanalisation und eine Optimierung der Kläranla­ gen und der Faulschlammbehandlung. Ergebnisse Bis zum Jahr 2050 sinken die Emissionen aus dem Abfallsektor von 9,7 Mio. t CO₂-Äq im Jahr 2018 auf 2,0 Mio. t CO₂-Äq (siehe Abbildung 63). Der Großteil der Minderungen entfällt auf den Bereich der Deponierung. Durch das Deponierungsverbot für organische Abfälle seit dem Jahr 2005 sinken die Emissionen aus der Deponierung seit Jahren. Zudem führt die Ausweitung der Deponiebelüftung zu einer schnelleren Reduktion der Methanemissionen. Insgesamt sinken die Emissionen aus der Deponie­ rung zwischen 2018 und 2050 um 6,9 Mio. t CO₂-Äq. Im Bereich der biologischen Abfallbehand­ lung führen der Bevölkerungsrückgang, die Reduk­ tion der Lebensmittelabfälle und eine Verbesserung der Biogas- und Kompostierungsanlagen zu einer Reduktion der Emissionen gegenüber 2018 von 0,4 Mio. t CO₂-Äq. Im Bereich der Abwasserbehand­ lung führen der Bevölkerungsrückgang und die Optimierung des Abwassermanagements ebenfalls zu einem Emissionsrückgang. 3.6.3 LULUCF Zielbild und Ausgangslage Im Sektor „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft“ (LULUCF) werden flächenbe­ zogene Emissionen für die Kategorien Wald, Ackerland, Grünland, Feuchtgebiete und Siedlun­ gen bilanziert. Wird auf einer Fläche CO₂ eingela­ gert, so spricht man von einer Senke. Im Jahr 2018 wurden große Mengen an CO₂ in Wäldern gespei­ chert, da der Zuwachs der Bäume höher war als die Holzernte (Abbildung 64). Auch in Holzprodukten wurde mehr CO₂ gespeichert als emittiert. Auf Flächen können aber auch Treibhausgase freige­ setzt werden. Als wichtige Quelle sind landwirt­ schaftlich genutzte Flächen auf Moorböden 35 zu 35 In diesem Bericht werden Moorböden synonym zu organischen Böden (Moore, Moorfolgeböden, Anmoore) verwendet. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Entwicklung der Emissionen des Abfallsektors (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq) Abbildung 63 Abfall Deponierung Ablagerungsverbot organische Abfälle, Deponierbelüftung Biologische Abfallbehandlung Reduktion Lebensmittelabfälle, Verbesserung Biogasanlagen 9,7 Deponierung Ablagerungsverbot organische Abfälle, Deponierbelüftung Abwasserbehandlung Optimierung -4,6 -0,3 Abwasserbehandlung Optimierung Biol. Abfallbehandlung Reduktion Lebensmittelabfälle, Verbesserung Biogasanlagen 4,8 -0,1 -2,3 2018 2030 -0,4 2,0 -0,1 2050 UBA (2020), Öko-Institut (2020) nennen, auf denen Torf im Boden zersetzt wird und so heute etwa zwei Drittel der Emissionen im LULUCF-Sektor entstehen. Auch durch Torfabbau wird CO₂ freigesetzt. Emissionen auf Siedlungsflä­ chen entstehen vor allem durch die Bebauung von Wald und Grünland. Der Saldo aus Quellen und Senken im LULUCF-Sektor betrug in 2018 minus 27 Mio. t CO₂-Äq (Abbildung 64) und entsprach der Größenordnung von 1990 (minus 29 Mio. t CO₂-Äq). Nach dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregie­ rung soll der LULUCF-Sektor auch langfristig eine Senke bleiben. In Deutschland werden gut 1,3 Mio. ha an Moorbö­ den landwirtschaftlich genutzt. Hinzu kommen 18.000 ha Torfabbauflächen. Bis 2030 werden knapp 20 Prozent und bis 2050 knapp 50 Prozent dieser Flächen wiedervernässt. Sie werden einer torfschonenden Nutzung zugeführt oder aus der Nutzung genommen. Die Waldbewirtschaftung wird verstärkt an naturschutzfachlichen Anforde­ rungen ausgerichtet. So wird gegenüber der aktuell üblichen Waldbewirtschaftung weniger stark geerntet und durchforstet, um alte Bäume und Totholz als Lebensraum zu fördern. Zudem wird der Anbau von Laubbäumen stärker gefördert. Die 113 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Flächeninanspruchnahme für Siedlungsflächen wird bis zum Jahr 2030 auf 30 ha/Tag und bis zum Jahr 2050 auf 20 ha/Tag reduziert. 36 36 Organische Böden: Ackerland und Grünland bis 2030 20 Prozent und bis 2050 50 Prozent wiedervernässt, verbliebenes Ackerland bis 2050 als Grünland genutzt; Torfabbau: bis 2030 eingestellt und Flächen wiederver­ nässt; Nutzung vernässter Flächen: 2030 40 Prozent extensive Weide/Mahd, 30 Prozent Paludikultur und 30 Prozent nicht genutzt, 2050 50 Prozent Paludikultur und 50 Prozent nicht genutzt; Erhalt von Dauergrünland fortgeschrieben; Waldbewirtschaftung und Holzprodukte: Ergebnisse aus dem WEHAMNaturschutzpräferenzszenario (Oehmichen et al. 2018); Flächeninanspruchnahme für Siedlungsflächen: Abnahme bis 2030 auf 30 ha/Tag und bis Jahr 2050 auf 20 ha/Tag. Ergebnisse Die Emissionen im LULUCF-Sektor werden stark durch die Senkenleistung der Waldfläche beeinflusst. Die Senkenleistung der Waldfläche nimmt nach WEHAM-Naturschutzpräferenzszenario in den 2020er-Jahren deutlich ab, vor allem aufgrund der Altersstruktur der Wälder. Im Jahr 2050 werden minus 35 Mio. t CO₂-Äq auf der Waldfläche gespei­ chert (Abbildung 64). Deutliche THG-Minderungen werden auf Acker- und Grünlandflächen auf Moor­ böden durch Wiedervernässung hin zu Feuchtgebie­ ten erzielt. Als Saldo aus Quellen und Senken wird der LULUCF-Sektor unter Maßgabe der modellierten Maßnahmen bis 2040 zu einer geringen Quelle und erreicht in 2050 eine Senkenleistung von minus 10 Mio. t CO₂-Äq (Abbildung 64). 3.7 Bioenergie Emissionen im LULUCF-Sektor Abbildung 64 Darstellung des Saldos der Emissionen auf Flächen, die Treibhausgase emittieren (Quellen) oder CO2 speichern (Senken) Hohe Emissionen durch Ackerund Grünland auf Moorböden und durch Torfabbau Wiedervernässung von Moorböden Quelle 2018 2025 2030 2035 2040 4 2 4 2 2045 2050 40 Der Biomasseeinsatz trägt entscheidend zur Treib­ hausgasneutralität im Jahr 2050 bei: Um im Jahr 2050 negative Emissionen zur Kompensation der nicht vermeidbaren Treibhausgase zu generieren, wird auch der Einsatz von Biomasse über BECCS 37 genutzt. Hierfür wird die Biomasse als Brennstoff vor allem in der Industrie in zentralen Anlagen genutzt. Auf diese Weise kann der CO₂-reiche Abgasstrom aufgefangen werden und bildet die Basis für dessen Speicherung. [Mio. t CO2-Äq] 20 0 -7 -20 -40 -10 -27 CO2-Speicherung im Wald wird durch extensivere Bewirtschaftung erhalten -60 Senke Wald Ackerland Grünland Feuchtgebiete Siedlungen Holzprodukte Summe LULUCF (Quelle minus Senke) UBA (2020), Oehmichen et al. (2018, Naturschutzpräferenzszenario), Öko-Institut (2020) 114 Das nachhaltig zur Verfügung stehende Biomasse­ angebot ist ohne zusätzliche Importe sehr deutlich begrenzt. Die Szenarioannahmen in den Sektoren Landwirtschaft, LULUCF und Abfall bilden den Rahmen für die modellgestützte Analyse des nach­ haltigen Biomassepotenzial. Dieses umfasst Abfallund Reststoffe, den Energiepflanzenanbau und die Forstwirtschaft. Für die Modellierung wurde ein mehrstufiger Abgleich mit der Nachfrageseite durchgeführt. Dabei wurde die Nachfrage der 37 für das englische Bio-Energy with Carbon Capture and Storage, abgekürzt BECCS STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Sektoren nach fester, flüssiger und gasförmiger Bioenergie gegenübergestellt, und es wurden Alter­ nativen zur Biomasse geprüft, um am Ende die begrenzte, aber begehrte Ressource möglichst optimal zu verteilen. Für die Nachfrageentwicklung der Biomasse spielten folgende Vorüberlegungen eine Rolle: → Die Bedeutung der dezentralen Biogasanlagen nimmt für die Stromerzeugung zukünftig ab. Stattdessen wird Biogas zukünftig in einzelnen Regionen zentral zur Deckung der Nachfrage der Industrie für Hochtemperaturwärme und ansons­ ten dezentral für die Wärmeversorgung der Landwirtschaft und für kleine Nahwärmenetzte benötigt. Eine Netzeinspeisung findet nicht mehr statt, da die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür zunehmend fehlen werden (rapider Abbau der Erdgasnutzungen). → Für den Einsatz von Biomasse für BECCS muss die verfügbare Biomasse zentral zur Verfügung stehen. Dazu eignet sich überwiegend feste Biomasse, da hier die Transportwürdigkeit höher ist. Bei Bedarf kann für punktuelle, größere Nachfrageströme nach gasförmiger Biomasse auch eine Feststoffver­ gasung erfolgen (ergänzend zur Vergärung aus dem vorherigen Punkt). → Infolge der verstärkten Nachfrage nach fester Biomasse sinkt die Anbaufläche von Bio­ gas-Ko-Substraten (wie zum Beispiel Mais). Diese Flächen werden für die Deckung des Bedarfs an fester Biomasse durch die Umstellung auf Agro­ forstsysteme, Hecken- beziehungsweis Kurzum­ triebsplantagen verwendet. Dadurch entsteht keine zusätzliche Gefährdung der Waldsenke und auch aus Sicht der Landwirtschaft hat die Umstellung von Mais auf holzig Anbaubiomasse aus Klimasicht Vorteile. Hier sind insbesondere die Reduktion des Inländisches Biomasseangebot für die energetische Nutzung in TWh gasförmig Abbildung 65 flüssig fest 284 Bioenergieangebot [TWh] 300 43 250 221 200 166 150 100 50 65 41 84 76 13 5 21 14 41 13 2030 2050 2016 2030 65 13 9 62 46 2050 2016 2030 Abfall-, Klär-, Deponiegas Biokraftstoffe 2. Generation Gülle Biokraftstoffe 1. Generation Nawaro 64 102 20 0 2016 64 50 16 21 13 66 65 42 2050 Sonstiges Industrie, Altholz Wald KUP (Kurzumtriebsplantagen) Moore FNR (2019), Öko-Institut (2020) 115 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Düngemitteleinsatzes, ein zusätzlicher Humusauf­ bau und eine bessere Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel als Vorteile zu nennen. Biokraftstoffimporten bleibt weiterhin bestehen. Im Jahr 2050 kann die Biokraftstoffnachfrage, die zum großen Teil aus den schweren landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen stammt, aus Reststoffen (vor allem Stroh) gedeckt werden. Angebot Die getroffenen Vorüberlegungen spiegeln sich in der Verfügbarkeit des inländischen Biomasseangebotes wider. Während sich das Angebot an gasförmiger Biomasse bis zum Jahr 2050 gegenüber 2016 in etwa halbiert, steigt der Anteil der festen Biomasse kontinuierlich an. Bis zum Jahr 2050 wird Biogas überwiegend aus Reststoffen wie Gülle, vergorene Bioabfälle und nur noch zu einem kleinen Anteil aus Energiepflanzen zur Verfügung gestellt. Im Bereich der festen Biomasse trägt vor allem der Anbau von fester Biomasse in Agroforstsystemen, Heckenbeziehungsweise Kurzumtriebsplantagen zur Ausweitung des inländischen Angebots bei. Bis zum Jahr 2050 wird zusätzlich ein weiterer Anteil an fester Biomasse aus Paludikulturen auf den wieder­ vernässten Mooren gewonnen. Im Bereich der Biokraftstoffe übersteigt die Nachfrage im Jahr 2030 noch das inländische Angebot und ein Anteil an Nachfrage Im Jahr 2016 betrug die energetische Biomassenut­ zung 296 TWh. Bis zum Jahr 2050 steigt die Nach­ frage nach Biomasse an. Gegenüber 2016 werden im Jahr 2030 40 TWh (plus 13 Prozent) mehr Biomasse für die energetische Nutzung nachgefragt, während es im Jahr 2050 47 TWh (plus 16 Prozent) mehr sind. Aufgrund der Nutzungskonkurrenz zwischen den Sektoren und den unterschiedlichen Möglichkeiten von alternativen Nutzungen verschiebt sich die Biomassenachfrage der Sektoren. Während im Jahr 2016 gut die Hälfte der Biomassenachfrage aus dem Energiesektor kam, reduziert sich die Nachfrage des Energiesektors im Jahr 2050 auf 9 Prozent der gesamten Bioenergie. Mit dem Ausbau der Erneuer­ baren Energien stehen dem Energiesektor geeignete Energetischer Biomasseeinsatz in den einzelnen Sektoren in TWh 350 Bioenergienachfrage [TWh] 300 335 343 296 250 200 175 221 100 187 284 139 150 50 32 89 61 39 76 1 9 50 77 134 173 76 58 33 33 20 13 33 70 49 49 14 29 36 29 36 68 79 74 69 63 2016 2030 2050 2016 2030 2050 2016 2030 2050 2016 2030 2050 2 5 5 2016 2030 2050 Gesamt Energie Industrie Verkehr PHH 0 fest flüssig Industrie: inkl. Brennstoffeinsatz für Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 116 Abbildung 66 gasförmig 55 38 28 25 22 9 13 18 13 11 2016 2030 2050 GHD STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Alternativen zur Verfügung. Dagegen steigt vor allem die Nachfrage nach Bioenergie aus dem Industrie­ sektor, in dem für einige Anwendungen keine adäquaten Alternativen zur Verfügung stehen. Von 11 Prozent im Jahr 2016 steigt die Nachfrage auf über 50 Prozent des gesamten Bioenergieangebots. Im Gebäudesektor bleibt die Nachfrage nach Bioenergie gegenüber 2016 konstant, während für die Erfüllung der Sektorenziele im Jahr 2030 etwas mehr Biomasse benötigt wird. Der GHD-Sektor verdoppelt bis ins Jahr 2050 seinen Biomasseeinsatz, vor allem bedingt durch die Ausweitung der Bioenergienachfrage des Landwirtschaftssektors, der bis ins Jahr 2050 auf hofeigene Lösungen setzt und beispielsweise Biogas aus Gülle zur Deckung des eigenen Wärmebedarfs nutzt. Im Verkehrssektor sinkt die Nachfrage nach Bioenergie bis zum Jahr 2050 auf null, da hier geeignete Alternativen zur Verfügung stehen. Bis zum Jahr 2030 kommt es weiterhin zu Importen von Biokraftstoffen, die aber in den Jahren nach 2030 aufgrund der Nachfragerückgänge aus dem Ver­ kehrssektor auf null reduziert werden können. 3.8 Negative Emissionen und CCS Im Jahr 2050 verbleiben im Szenario KN2050 62 Mio. t CO₂-Äq als residuale, nicht anderweitig vermeidbare Emissionen, die mit negativen Emissio­ nen aus dem Einsatz von Methoden zur CO₂-Ent­ nahme aus der Atmosphäre kompensiert werden (vgl. Abbildung 67). Durch Abscheidung und geologische Speicherung von biogenem CO₂ aus der Nutzung biogener Energieträger (BECCS) werden negative Emissionen im Umfang von 37 Mio. t CO₂-Äq erreicht. Hiervon entfallen 34 Mio. t CO₂-Äq auf den Industrie- und 3 Mio. t CO₂-Äq auf den Energiesek­ tor. Durch Abscheidung von CO₂ direkt aus der Umgebungsluft und dessen permanenter geologi­ scher Speicherung (DACCS) werden 19 Mio. t CO₂-Äq aus der Atmosphäre entfernt. Zudem werden durch die Bindung von zuvor aus der Atmosphäre entnom­ menem Kohlenstoff in Kunststoffen („grüne Poly­ mere“) negative Emissionen in Höhe von 8 Mio. t CO₂-Äq erzielt. Residuale Treibhausgasemissionen und deren Kompensation im Jahr 2050 Restemissionen nach 95 % Minderung in Mio. t CO2-Äquivalente Abfall 62 60 2 Abbildung 67 Kompensation durch negative Emissionen in Mio. t CO2-Äquivalente -64 -8 -60 grünes Naphtha -50 50 Landwirtschaft 40 Gebäude 44 -34 20 10 Energiewirtschaft (Abfallverbrennung) 0 Industrie BECCS -30 30 Industrie (Prozessemissionen, Abfall) -40 -3 -20 -19 -10 BECCS 1 13 2 0 Energiewirtschaft DACCS Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 117 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Von den genannten CO₂-Mengen werden 56 Mio. t CO₂-Äq geologisch gespeichert. Zusätzlich werden im Szenario 18 Mio. t CO₂-Äq aus prozessbedingten Emissionen, bei der thermischen Verwertung von Abfällen (ohne biogene Anteile) und Restchemika­ lien sowie an den Steamcrackern der chemischen Industrie abgeschieden und geologisch gespeichert. Insgesamt werden somit im Jahr 2050 73 Mio. t CO₂-Äq abgeschieden und einer geologischen Einspeicherung zugeführt. 3.8.1 CO₂-Abscheidung CO₂-Abscheidung aus Punktquellen Kohlendioxid kann aus energiewirtschaftlichen oder industriellen Punktquellen (zum Beispiel Kraftwerksrauchgas) mithilfe verschiedener Technologien wie Absorption, Adsorption, chemi­ schem Looping, Membran-Gastrennung oder mittels Gashydrat­-Technologien abgeschieden werden. Eine Übersicht über verschiedene CO₂-Abscheideverfah­ ren bietet IEAGHG (2019) oder der Spezialbericht des IPCC (2005). Die bisher erprobten Technologien lassen sich in drei prinzipiell unterschiedliche Prozesswege unterteilen. → Post-Combustion: CO₂-Abtrennung erfolgt aus dem Rauchgas nach der Verbrennung beziehungsweise nach dem Industrieprozess. Deshalb kann diese Technologie prinzipiell an bestehenden Anlagen nachgerüstet werden. → Pre-Combustion: Im Vorfeld der Verbrennung wird aus dem kohlenstoffhaltigen Brennstoff durch Vergasung und Abtrennung von CO₂ ein kohlen­ stoffarmes beziehungsweise -freies Synthesegas erzeugt, welches dann für den Verbrennungs­ prozess eingesetzt wird. Mit dem Verfahren können keine prozessbedingten Emissionen abgeschieden werden, zudem sind Auswirkungen der veränder­ ten Brenngaseigenschaften zu berücksichtigen. → Oxyfuel-Verfahren: Der Verbrennungsprozess erfolgt statt mit Luft mit reinem Sauerstoff (sowie gegebenenfalls in den Prozess zurückgeführtem CO₂), der über eine Luftzerlegungsanlage gewon­ nen wird. Aufgrund des im Vergleich zur Ver­ 118 brennung mit Luft erhöhten CO₂-Gehalts im Rauchgas kann das CO₂ einfacher aus dem Rauch­ gas abgetrennt werden. Die Kosten für die CO₂-Abscheidung können je nach Größe, Art und Standort der damit ausgestatteten Anlage erheblich variieren. Generell gilt jedoch, dass die Kosten am niedrigsten bei Prozessen oder Anla­ gen sind, die Gasströme mit relativ hoher CO₂-Kon­ zentration und hohen CO₂-Emissionsraten aufweisen und die mit hohen Auslastungsfaktoren arbeiten. Von daher liegt im KN2050-Szenario der Fokus bei der CO₂-Abscheidung auf Punktquellen mit möglichst reinen CO₂-Strömen sowie hohen CO₂-Emissions­ mengen pro Jahr. Im Szenario KN2050 wird einerseits das Post-­ Combustion-Verfahren (Aminwäsche) aufgrund seiner breiten Anwendbarkeit angenommen und zum anderen für die Zementindustrie und die Biomasse­ fernheizwerke aus dem Energiesektor auf das energieeffiziente Oxyfuel-Verfahren gesetzt. Beide Verfahren erlauben hohe Abscheideraten von (mindestens) 90 Prozent. CO₂-Abscheidung direkt aus der Umgebungsluft CO₂ kann auch direkt aus der Umgebungsluft abge­ schieden werden. Mithilfe des sogenannten Direct Air Carbon Capture (DAC) wird zunächst mittels großer Ventilatoren die Umgebungsluft eingesaugt. Die darauffolgende CO₂-Bindung erfolgt dann über zwei mögliche Verfahren: CO₂-Bindung mittels absorbie­ rendem oder adsorbierendem Sorptionsmittel: Beim absorptionsbasiertem DAC mit Hochtempera­ turen von 850 bis 1.000 Grad Celsius reagiert ein chemisches Sorptionsmittel mit dem CO₂ der angesaugten Luft. Beim adsorptionsbasiertem DAC mit Temperaturen von rund 100 Grad Celsius, das auf einem wiederholenden Zyklus von Adsorption und Regeneration basiert, wird als Sorptionsmittel in der Regel feststoffgestütztes Aminmaterial verwendet. Im dritten Schritt wird das CO₂ über den Einsatz von Strom und Wärme abgeschieden. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Im Szenario KN2050 wird mittels adsorptionsba­ sierter DAC-Anlagen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt. Dieses Verfahren hat zum Vorteil, dass ein geringeres Temperaturniveau benötigt wird und somit ein geringerer Strom- und Wärmebedarf notwendig ist. Außerdem entsteht Wasser als Nebenprodukt und muss nicht wie beim absorpti­ onsbasierten Verfahren kontinuierlich dem Prozess hinzugefügt werden. 3.8.2 CO₂-Infrastruktur Prinzipiell kann CO₂ per Lkw, Güterzug, Schiff oder Pipeline transportiert werden. Der Transport per Lkw oder Bahn wird für die an den oben genannten Punktquellen anfallenden CO₂-Mengen sowie die bis zu den Speicherorten in der Nordsee (siehe unten) zu überwindenden Entfernungen als zu teuer betrachtet. Für den Transport kleiner Mengen im niedrigen einstelligen Millionen-Tonnen-Bereich bietet sich in der Frühphase der Errichtung einer CO₂-Infrastruk­ tur für Punktquellen in der Nähe von Wasserstraßen der Transport per Binnenschiff an. Langfristig und für die gesamten oben genannten Mengen ist jedoch die Errichtung einer europäischen CO₂-Pipeline-Infra­ struktur unumgänglich. Mit Blick auf die im Szenario anvisierten geologi­ schen Speicherstätten in der Nordsee könnte es eine Ausrichtung der zu errichtenden CO₂-Pipeline-­ Infrastruktur in Richtung Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam sowie Hamburg als zentrale Seehäfen für eine Offshore-CO₂-Infrastruktur geben. Die im Szenario hinterlegte CO₂-Pipeline-Infrastruktur stellt dabei eine effiziente Verbindung von großen CO₂-Punktquellen mit den Speicherstätten bezie­ hungsweise CO₂-offshore-Hubs her. Unter Berück­ sichtigung der mit der Errichtung einer CO₂-Pipeline zu erwartenden Kosten sowie möglicher Akzeptanz­ probleme erstreckt sich die CO₂-Infrastruktur dabei jedoch nicht auf von den Speicherstätten weit entfernte, nur vereinzelt auftretende, große Punkt­ quellen im Süden Deutschlands. Eine Einschränkung der Infrastruktur und CO₂-­ Abscheidung auf eine kleinere Auswahl von CO₂-Punktquellen wäre auch denkbar. Die dann nicht abgeschiedenen CO₂-Mengen aus industriellen und energiewirtschaftlichen CO₂-Quellen müssten jedoch für das Erreichen der Klimaneutralität über einen verstärkten Einsatz von DAC mit anschließender dauerhafter Speicherung des CO₂ kompensiert werden. Hierbei gilt es zwischen den mit einem Pipelinebau verbundenen Kosten und Herausforde­ rungen einerseits sowie dem Energiebedarf und Flächenverbrauch von DAC-Anlagen andererseits abzuwägen. 3.8.3 Dauerhafte CO₂-Speicherung Um eine Emission der abgeschiedenen CO₂-Mengen in die Atmosphäre auch langfristig zu vermeiden, müssen die abgeschiedenen CO₂-Mengen dauerhaft gebunden beziehungsweise gespeichert werden. Hierfür gibt es prinzipiell die Möglichkeit, CO₂ in geeigneten geologischen Formationen zu speichern. Zudem kann CO₂ langfristig auch in langlebigen industriellen Produkten gebunden werden. Geologische Speicherung Eine geologische Speicherung von CO₂ ist prinzipiell in salinen Aquiferen (tiefe, salzwasserführende Grundwasserleiter), entleerten Erdöl- und Erdgas­ lagerstätten, Kohleflözen sowie Basalten möglich. In Deutschland kommen aufgrund der geologischen Gegebenheiten insbesondere entleerte Erdgaslager­ stätten und saline Aquifere als CO₂-Speicher infrage. Aus europäischer Perspektive sind insbe­ sondere große Speicher in Form von salinen Aquife­ ren und entleerten Erdgas- und Erdölfeldern unter­ halb der Nordsee und der norwegischen See mit einer Gesamtspeicherkapazität von circa 200 Gigatonnen CO₂ von Interesse (GCCSI, 2019). Sowohl die N ­ iederlande (Port of Rotterdam) als auch Norwe­ gen (Northern Lights) unterstützen Vorhaben zur Erschließung dieser Speicher für die Verbringung ­von CO₂. 119 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland CO₂-Mineralisierung im Betonbau Bei der CO₂-Mineralisierung (oder auch CO₂-Karbo­ natisierung) reagiert CO₂ mit Mineralien und bildet Karbonate, die CO₂ dauerhaft speichern. Im Betonbau gibt es basierend auf diesem prinzipiellen chemi­ schen Vorgang verschiedene Ansätze zur dauerhaften Speicherung von CO₂ durch dessen Bindung im Beton. Dies umfasst zum einen die CO₂-Bindung in Trans­ portbeton und spezielle Verfahren zur Herstellung von Beton-Fertigbauteilen, die eine Aushärtung der Fertigbauteile unter CO₂-Atmosphäre beinhalten. Zum anderen können die verschiedenen Fraktionen (Grobfraktion, Feinfraktion) von recycliertem Beton in einer CO₂-reichen Atmosphäre rekarbonatisiert und dann in verschiedenen Stufen der Zementbeziehungsweis Betonherstellung als Grundstoff eingesetzt werden. Die Verfahren befinden sich jedoch zu großen Teilen noch in der Entwicklung und das Marktpotenzial aller Verfahren sowie ihre mögliche Einbettung in (regionale) CO₂-Kreisläufe sind noch weitgehend unklar. Aufgrund dieser Unsicherheiten werden im Szenario die möglichen Potenziale der CO₂-Mineralisierung als CO₂-Senke nicht quantifiziert. Mineralisierung von Beton ist zudem ein Vorgang, der natürlicherweise an den Oberflächen bestehender Betonbauten erfolgt. Seine CO₂-Speicherwirkung im Jahr 2050 werden basierend auf Stripple et al. (2018) auf etwa 2 Mio. t CO₂ pro Jahr geschätzt. Diese Speicherung wird von der bestehenden Systematik des Treibhausgasinventars jedoch nicht berücksich­ tigt und fließt daher zur Berechnung für das Errei­ chen der Klimaneutralität nicht mit ein. Stoffliche Nutzung von Holz Durch eine Entnahme von Holz aus dem Wald und dessen Schutz vor Zersetzung während einer stofflichen Nutzung wird der im Holz gespeicherte Kohlenstoff in der Nutzungsphase der Holzprodukte aus der Atmosphäre ferngehalten. Prinzipiell lassen sich so große Mengen von Kohlenstoff speichern (Churkina et al., 2020). Für eine umfassende Bewer­ tung der Klimawirkung und der Nachhaltigkeit 120 einer (erhöhten) stofflichen Nutzung von Holz ist jedoch auch die Auswirkung auf den Wald und dessen Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung zu berücksichtigen. Für den Fall einer stofflichen Nutzung von Holz in langlebigen Produkten, durch die gleichzeitig CO₂-intensive Stoffe wie zum Beispiel Stahl und Zement substituiert werden können, ist der wissenschaftliche Konsens in Bezug auf die Klimafreundlichkeit sehr groß (Oliver et al. 2014). Dies ist insbesondere beim Holzbau der Fall. Der deutsche Wald birgt noch Potenzial für eine Ausweitung des Holzbaus (Wissenschaftlicher Beirat Waldpolitik 2018). Von daher wird im Szenario KN2050 eine moderate Steigerung der Holzbauquote im Wohnungs- und Nichtwohnungsbau angenom­ men. Aufgrund der teilweise komplexen Substitu­ tionseffekte von Baumaterialien bei verschiedenen Gebäudekonstruktionen sowie der oben erwähnten möglichen Rückwirkungen auf die Kohlenstoffspei­ cherung des Waldes wird die in zusätzlich verwende­ tem Bauholz gespeicherte CO-Menge jedoch nicht quantifiziert. Jedoch wurden die Auswirkungen des verstärkten Holzbaus auf die Zementproduktion abgeschätzt (vgl. 3.2 Industrie). Bindung von CO₂ in Produkten der chemischen Industrie Im Szenario KN2050 verwendet die chemische Industrie im Jahr 2050 in Deutschland 14 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffe, die als Feedstock in verschiedene Prozesse zur Weiterverarbeitung eingehen. Abbildung 68 zeigt, dass es sich hierbei zum einen um importiertes „grünes“ Naphtha” und importierte Pyrolyseprodukte handelt. Zum anderen sind es Produkte aus der inländischen Pyrolyse von Kunststoffabfällen (Naphtha, Ethan und Gasöl) sowie Methanol, die der Gasifizierung von Kunststoffab­ fällen entstammen und in den Methanol-to-Olefine (MtO)-Prozess eingehen. Insgesamt gelangen so rund 9 Mio. t Kohlenstoff in die Produktion. Sowohl die Pyrolyseprodukte als auch das Methanol werden aus Kunststoffabfällen gewonnen, die im STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Kohlenstoffkreislauf 38 bei Produktion, Speicherung und Recycling von Polymeren in Mio. t* Abbildung 68 Atmosphäre 2,8 0,5 Mio. t Abfall Ausland Grünes Naphtha 0,7 2,8 Steam Cracker 2,0 Pyrolyse-Produkte 2,2 2,2 5,1 2,1 Polymerisation Pyrolyse 6,9 Mio. t Produktspeicher 1,9 Kunststoff-Abfall 4,8 Mio. t Abfall 0,3 Dampferzeugung 0,7 2,2 Gasifizierung MtO 9,1 Mio. t Abfall Abfallbehandlung 0,9 0,4 Nutzung CCS * Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Mengenangaben auf den Kohlenstoffgehalt in den Produkten in Mio. t Kohlenstoff Wuppertal Institut (2020) ­ zenario im Jahr 2050 zu großen Teilen (4,8 Mio. t S Kunststoffabfälle) ins chemische Recycling gehen. Der verbleibende Teil (4,3 Mio. t) der Kunststoffabfälle wird auch zukünftig mechanisch recycelt bezie­ hungsweise thermisch verwertet. Das „grüne“ Naphtha wird über Power-to-Liquid-Verfahren gewonnen und im Umfang von 3 Mio. t importiert. Während es sich beim chemischen Recycling von Kunststoffabfällen um ein Recycling von Kohlenstoff handelt, gelangt durch die Verwendung von „grünem“ Naphtha auch Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre (in reduzierter Form als Kohlenstoff) in die Produkte der chemischen Industrie. Der in die Produkte übergegangene Kohlenstoff bleibt je nach Produkt­ lebensdauer unterschiedlich lange in den Produkten (zwischen-)gespeichert. Dies wird im Szenario als Brutto-Negativ-Emission verbucht (siehe unten). ergeben, dass eine Elektrifizierung der Cracker zur Erzeugung der benötigten Prozesswärme selbst unter der Nebenbedingung der Treibhausgasneutralität unwirtschaftlich ist, weshalb im Szenario keine Elektrifizierung von Steamcrackern angenommen wird. Daher entstehen im Szenario auch zukünftig CO₂-Emissionen aus der Verbrennung der Nebenpro­ dukte des Crackers im Cracker selbst. Die Cracker bleiben daher als CO₂-Punktquellen erhalten. Bis auf einen Cracker in Bayern werden jedoch alle im Szenario KN2050 im Jahr 2050 verbleibenden Cracker mit Carbon Capture (Aminwäsche) ausgerüs­ tet und an das CO₂-Netz angeschlossen. 38 Dieser Speicherung von Kohlenstoff in Produkten stehen Kohlenstoffverluste im System gegenüber, zum Beispiel an den Steamcrackern. Die dem Szenario zugrunde liegenden Simulationsrechnungen haben 38 Ein Teil der Abfälle wird auch 2050 noch ohne CCS in Müllverbrennungsanlagen verbrannt, ein anderer Teil Der dargestellte Kohlenstoffkreislauf ist insofern unvoll­ ständig, als dass die Abfallverwertung nicht vollständig mit ihren Emissionen beziehungsweise CCS-Mengen dargestellt ist. Diese sind jedoch in der GesamtTreibhausgasbilanz berücksichtigt. 121 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland geht in Müllverbrennungsanlagen mit CCS oder als Alternativbrennstoffe in die Zementindustrie, wo ebenfalls überwiegend CCS angewendet wird. Die Emissionen aus Abfall werden stets wie Emissio­ nen aus fossilen Brennstoffen bewertet (selbst falls der Kunststoff aus einem „grünen“ Feedstock herge­ stellt wurde). Daher findet keine Doppelbilanzierung mit der zuvor angenommenen Anrechnung der Speicherung von Kohlenstoff in Kunststoffprodukten als negative Emission statt. Netto-Negativ-Emissio­ nen ergeben sich gegebenenfalls durch eine Zufuhr von Kunststoffen in den Bestand die aus „grünem“ Feedstock hergestellt wurden (negative Emission) in Kombination mit CCS bei der Verbrennung von Kunststoffabfällen (Null-Emission). 3.8.4 Negative Emissionen Um die für das Erreichen der Klimaneutralität erforderlichen negativen Emissionen zu erzielen, wird auf geeignete Weise die Abscheidung von CO₂ mit dessen dauerhafter Speicherung kombiniert. BECCS: Abscheidung und Speicherung von b ­ iogenem CO₂ Pflanzen entziehen der Atmosphäre bei ihrem Wachstum CO₂. Wird dieses biogene CO₂ bei einer energetischen Nutzung der Pflanzen nicht wieder in die Atmosphäre entlassen, sondern dauerhaft gespei­ chert, können negative Emissionen erzielt werden. Im Szenario werden verschiedene biogene Brennstoffe – Biomethan, Biogas sowie feste Biomasse in Form von Holzhackschnitzeln – je nach ihrer Eignung in den verschiedenen energiewirtschaftlichen und industriellen Anlagen sowie je nach ihrer regionalen Verfügbarkeit an den industriellen Standorten verwendet (siehe Kapitel 3.7 Bioenergie). Teilweise werden die Brennstoffe wie in Kapitel 3.3 beschrie­ ben an den industriellen Standorten noch aufbereitet (Aufreinigung von Biogas, Gasifizierung von fester Biomasse). Die an mit CO₂-Abscheidetechnologie ausgestatteten Standorten abgeschiedenen (biogenen) CO₂-Mengen werden anschließend einer geologi­ schen Speicherung zugeführt. 122 Zentrale Pfeiler für die Erzielung von negativen Emissionen sind der Einsatz fester Biomasse und CO₂-Abscheidung an Heizkesseln für die Bereitstel­ lung von Hochtemperaturwärme in der Stahlindus­ trie (minus 13 Mio. t CO₂ im Jahr 2050) sowie für die Dampfbereitstellung in der chemischen Industrie (minus 19 Mio. t CO₂ im Jahr 2050). Durch Einsatz von biogenen Brennstoffen und Alternativbrennstoffen mit biogenen Kohlenstoffanteilen in mit CO₂-­Ab­ scheidetechnologien ausgestatten Anlagen der Zement-, Kalk- und Glasindustrie werden weitere negative Emissionen (minus 2 Mio. t CO₂ im Jahr 2050) erzielt. Zusätzlich werden in Biomassefern­ heizwerken zur Wärmeproduktion weitere 3 Mio. t negative CO₂-Emissionen erzeugt. DACCS: Abscheidung und Speicherung von CO₂ aus der Umgebungsluft Durch den Einsatz von adsorptionsbasierten DAC-Anlagen werden im Szenario KN2050 im Jahr 2050 19 Mio. t CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und der permanenten geologischen Speicherung zuge­ führt. Für die CO₂-Abscheidung aus der Umgebungs­ luft im Jahr 2050 wird ein Energiebedarf von rund 0,4 TWh elektrischer und 1,6 TWh thermischer Energie pro abgeschiedene Mio. t CO₂ angenommen. Daraus ergibt sich für 2050 ein Gesamtenergiebedarf für DAC von 38 TWh, wobei der Energiebedarf für den CO₂-Transport und für die CO₂-Speicherung noch nicht miteinberechnet wurde. Der thermische Energiebedarf für die CO₂-Abscheidung wird durch den Einsatz von Hochtemperaturwärmepumpen gedeckt, die die benötigten Temperaturen für den Abscheidungsprozess von 100 Grad Celsius errei­ chen. Um den hohen Strombedarf zu decken, bieten sich für die Errichtung von DAC-Anlagen küstennahe Standorte an, an denen einerseits große Mengen an erneuerbarem Strom vorhanden sind und anderer­ seits die Nähe zu den geologischen Speicherstätten in der Nordsee gegeben ist. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Überblick CO2-Entnahme-Methoden zur Erzeugung von negativen Emissionen Tabelle 5 Bioenergienutzung mit CO2-Abscheidung und Direkte CO2-Abscheidung aus der Umgebungsluft Speicherung (BECCS) (DACCS) Pflanzen entziehen der Atmosphäre durch Photosyn- CO2 wird direkt aus der Umgebungsluft mittels these CO2. Das bei energetischer Nutzung enste- ­chemischer Prozesse abgeschieden und dauerhaft hende biogene CO2 wird abgefangen und dauerhaft gespeichert. ­gespeichert. + Erzeugung von Strom und Wärme als Zusatz­nutzen – Hoher Bedarf an Landfläche und Wasser + Variabel in Standortwahl – Potenzial theoretisch nur beschränkt durch Flächenverfügbarkeit und ­Zugang zu CO2-Speichermöglichkeiten – Hohe Kosten und hoher Energiebedarf Aufforstung und Wiederaufforstung Kohlenstoffspeicherung in langlebigen Produkten Bäume entziehen der Atmosphäre durch Photo- CO2 wird der Atmosphäre durch Pflanzenwachstum synthese CO2. Dieses kann in Bäumen, Böden und oder Direktabscheidung aus der Umgebungsluft ent- langlebigen Holzprodukten (siehe rechts) gespeichert zogen und in langlebigen Holzprodukten oder “grü- werden. nen” Polymeren (Naphtha) (zwischen-)gespeichert. + Geringe Kosten und sofort umsetzbar – CO2-Senke beeinflussbar durch Umwelteinflüsse + Substitution von fossilen Rohstoffen (Rohbenzin) (Waldbrände) bzw. CO2-intensiven Materialien (Zement, Stahl) + Holzprodukte: Geringe Kosten und sofort ­umsetzbar – Führt nur dauerhaft zu negativen Emissionen ­insofern Emissionen, die am Ende des Produkt­ lebenszyklus entstehen, abgeschieden und dauerhaft gespeichert werden Pflanzenkohle Bodenmanagement Herstellung von Pflanzenkohle durch sauerstoffarme Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung im Boden durch Verbrennung. Diese wird auf landwirtschaftlichen Flä- Veränderung der Bodenbewirtschaftung (z. B. Organi- chen verteilt oder in den Boden eingebracht und ab- sche Düngung, minimale Bodenbearbeitung). sorbiert zusätzlich CO2. + Erhöhte Widerstandsfähigkeit des Bodens und ver- + Steigerung der Bodenfruchtbarkeit – Hoher Bedarf an Landfläche und Wasser > ­Nutzungskonflikt des nachhaltigen Biomassepoten- besserte Bodenqualität – Möglicher Anstieg der N2O-Emissionen und der N- und P-Verluste im Wasser zials (keine energetische Nutzung der Bioenergie) Beschleunigte Verwitterung Ozeandüngung Zerkleinerte Mineralien wie Basalt werden auf Böden Der Ozean wird mit Eisen, Phosphat oder Stickstoff und Ozeanen verteilt, um CO2 chemisch zu binden. ­„gedüngt“, um die CO2-Aufnahme durch Algenwachs- + Höhere Ernteerträge bei Verteilung auf ­Landflächen + Entgegenwirken der Versauerung der Meere bei ­Verteilung auf Ozeanen – Hoher Energie- und Wasserbedarf für den Abbau, die Zerkleinerung und den Transport von Gesteinen tum zu erhöhen. – Störung von Meeresökosystemen – Rückgang der Biomasseproduktion in nachge­ lagerten Gebieten – Gefahr der Versauerung der Ozeane Fuss et al. (2018); EASAC (2018); IPCC (2018). Verfahren aus den roten Textfeldern wurden im Szenario nicht berücksichtigt 123 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Grüne Polymere: Bindung von CO₂ in Produkten der chemischen Industrie In der chemischen Industrie werden im Jahr 2050 noch etwa 3,4 Mio. t Naphtha über Pipelines impor­ tiert (vgl. 3.2.6). Dieser Feedstock wird im Jahr 2050 synthetisch hergestellt. Der darin enthaltene Kohlen­ stoff (2,8 Mio. t) stammt aus biogenen Quellen oder aus einer CO₂-Abscheidung aus der Umgebungsluft (DAC). Bei Weiterverarbeitung dieses „grünen“ Naphthas zu Kunststoffen in Deutschland wird der darin gebundene Kohlenstoff je nach Verwendungs­ zweck der Kunststoffe über einen Zeitraum von wenigen Wochen (bei Verpackungen) bis zu mehreren Jahrzehnten (im Baubereich) gespeichert (Abbildung 68). Für eine dauerhafte Entnahme des in den Kunststoffen gebundenen Kohlenstoffs aus der Atmosphäre ist sein Verbleib nach der Nutzungs­ phase (inklusive einer möglichen Wiederverwertung durch mechanisches oder chemisches Recycling) entscheidend. Bei einer thermischen Verwertung in mit CO₂-Abscheideanlagen ausgestatteten energie­ wirtschaftlichen oder industriellen Feuerungsan­lagen mit anschließender geologischer Speicherung des bei der Verbrennung dieser Kunststoffe anfallenden CO₂ wird dieses der Atmosphäre dauerhaft entzogen. Durch den Einsatz von „grünem“ Naphtha und dessen Bindung in Kunststoffen werden im Szenario nega­ tive Emissionen in Höhe von 8 Mio. t CO₂ erzielt. Weitere Optionen für negative Emissionen Ein Teil der residualen Emissionen von 62 Mio. t CO₂-Äq könnte auch durch weitere CO₂-­EntnahmeMethoden kompensiert werden, die aber in dieser Studie keine weitere Berücksichtigung finden. Dazu zählen die Verteilung von Pflanzenkohle auf und in Böden, die beschleunigte Verwitterung oder das „Düngen“ des Ozeans. Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Funktionsweise und die Vor- und Nachteile der CO₂-Entnahme-Methoden – neben den im Szenario verwendeten (blauer Hintergrund) auch die im Szenario nicht verwendeten (roter Hintergrund) –, die negative CO₂-Emissionen generieren. 124 3.9 Wasserstoff Wasserstoff aus heute noch überwiegend fossilen Quellen wird bisher vor allem in Raffinerien und zur Herstellung von Ammoniak und Methanol eingesetzt. Zukünftig wird Wasserstoff auch in anderen Berei­ chen vielseitig eingesetzt werden. Gleichzeitig wird die Wasserstofferzeugung zukünftig treibhausgasfrei beziehungsweise treibhausgasarm erfolgen. 3.9.1 Wasserstoffbedarf und -infrastruktur Der Verwendung von treibhausgasfrei (oder mittel­ fristig auch treibhausarm) erzeugtem Wasserstoff kommt im Szenario eine sehr zentrale Rolle zu. Um eine THG-Minderung um 65 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen, wird Wasserstoff bereits 2030 in den drei Endverbrauchssektoren Verkehr, Industrie und Raffinerien eingesetzt. Eine Substitution der endenergetischen Verwendung von Erdgas durch erneuerbar erzeugten Wasserstoff wie auch der Ersatz von fossil erzeugtem durch erneuerbaren Wasserstoff in der stofflichen Nutzung sind vergleichsweise teure Klimaschutzmaßnahmen. 2030 kommt Wasserstoff deshalb in solchen Anwen­ dungen zum Einsatz, wo er einen deutlichen Effizi­ enzvorteil bietet. Im Straßengüterverkehr ist die technologische Entwicklung derzeit weniger absehbar als bei den Pkw, bei denen der Trend eindeutig Richtung batte­ rieelektrischer Fahrzeuge geht. Der Antrieb über Brennstoffzellen steht neben der direkten Nutzung von Strom über Batterien oder Oberleitungen vor allem bei den Last- und Sattelzügen zur Diskussion. Er wird als Option gesehen, lange Strecken ohne Unterbrechungen durch notwendige Ladevorgänge zu absolvieren. Entsprechend dem derzeitigen Stand der Diskussion wird im Szenario daher langfristig ein Technologiemix angenommen, bei dem rund ein Drittel der Fahrleistung durch Brennstoffzellenfahr­ zeuge erbracht wird. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Werden im Straßengüterverkehr alle Technologien gleichwertig adressiert, kommt es zu einem parallelen Aufbau von drei unterschiedlichen Energieversor­ gungsinfrastrukturen: Wasserstofftankstellen, Schnellladeinfrastruktur und Oberleitungssystem. Dieser parallele Aufbau ist einerseits mit höheren Kosten verbunden, andererseits ermöglicht er Nutzern eine gewisse Flexibilität bei der Fahrzeug­ wahl. Tatsächlich können auch Synergien entstehen: Mittelfristig sind beispielsweise auch Kombinationen von Brennstoffzellen und Oberleitung denkbar. Dagegen gehen wir nicht davon aus, dass bis 2030 bereits ein CO₂-Netz aufgebaut wird, das die beste­ henden Steam Reformer im Binnenland erschließt. Entsprechend der derzeit geplanten Aktivitäten an den Hafenstandorten nehmen wir an, dass fossil erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung (wie auch erneuerbar erzeugter Wasserstoff) zwi­ schen 2025 und 2040 an Küstenstandorten (oder an geeigneten Schnittstellen zwischen Strom- und Gasnetz im Binnenland) produziert wird und der Wasserstoff per Pipeline in das Binnenland gelangt. Fossil erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabschei­ dung oder (soweit verfügbar) auch erneuerbar erzeugter Wasserstoff verdrängt aber bereits 2030 auch Erdgas, zum Beispiel im Bereich der Dampfkes­ sel und im Bereich der DRI-Anlagen der Stahlindus­ trie. Daneben wird ein Teil des stofflich benötigten Wasserstoffs in der chemischen Industrie und den Raffinerien durch fossil erzeugten Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung und erneuerbar erzeugtem Wasserstoff bereitgestellt und ersetzt damit den heute verwendeten Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen (ohne Kohlenstoffabscheidung). Der Einsatz von fossil erzeugtem Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung und erneuerbar erzeugtem Wasserstoff in der chemischen Industrie und den Raffinerien ist insoweit techno-ökonomisch im Szenario von zwei Seiten begrenzt: vom Stand des Wasserstoffnetzausbaus und auch von den Lebenszy­ klen der bestehenden Steam Reformer im Binnenland. Die infrastrukturseitige Versorgung dieser industri­ ellen Anlagen ist weniger aufwändig und kann weitgehend als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen realisiert werden. Heute wird Wasserstoff bei den industriellen Großverbrauchern in der Regel vor Ort produziert. Die bestehenden regionalen Wasserstoff­ netze zum Austausch zwischen Industriestandorten haben nur geringe Leitungsquerschnitte und können nicht als Rumpfnetze für ein leistungsfähiges Was­ serstofftransportnetz angesehen werden. Die derzei­ tige Planung der Ferngasnetzbetreiber sieht den Aufbau eines ersten Transportnetzes bis 2030 vor. Dabei sollen heute beziehungsweise perspektivisch redundante Erdgastransportleitungen (zum Beispiel solche, die durch die Umstellung von L-Gas auf H-Gas freiwerden) in Wasserstoffleitungen umge­ widmet werden. Eine flächendeckende Wasserstoff­ versorgung von Großverbrauchern in Deutschland ist hiermit noch nicht möglich. In der Stahlindustrie wird Wasserstoff heute nur in sehr geringen Mengen eingesetzt. Hier gelten für 2030 andere Randbedingungen für einen groß­ skaligen Wasserstoffeinsatz. Taktgeber sind hier die Lebenszyklen der Hochöfen, die zunächst durch DRI-Anlagen ersetzt werden müssen, um einen Erdgas- oder Wasserstoffeinsatz zu ermöglichen (und damit Kohle zu verdrängen). Des Weiteren gehen wir mit heutigem Kenntnisstand für 2030 und gegebenenfalls auch langfristig davon aus, dass bestimmte Kohlenstoffanteile auch aus metallurgi­ schen Gründen benötigt werden (siehe Kapitel 3.2), Wasserstoff also nicht den kompletten Reduktions­ mittelbedarf stellen kann. Bis 2050 dringt das Wasserstoffnetz weiter nach Süden und in die Fläche vor. Dadurch wird dieses Netz auch zur Versorgung des Verkehrs wertvoll, dessen Bedarf für den Straßengüterverkehr bis auf 40 TWh ansteigt. Die Netto-Wasserstoffabnahme der Industrie steigt bis 2040 auf 77 TWh an, und sinkt bis 2050 wieder auf 72 TWh. Um die Wasserstoffcluster der energieintensiven Industrie herum werden im Einzelfall Gasverteilnetze auf Wasserstoff umgestellt, 125 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland sodass auch die mittelständische energieintensive Industrie (wie etwa Gießereien oder Glashütten) auf diesen Energieträger umstellen können. Wir gehen jedoch davon aus, dass dies ein regionales Phänomen bleibt und, dass Wasserstoff nicht bis in die Ebene der Gebäudeversorgung vordringen wird. Während das Wasserstoffnetz also wächst und neue Verbraucher hinzukommen, fallen zwischen 2040 und 2050 einzelne Verbraucher aus der Versorgung wieder heraus: Dies sind in erster Linie die Raffine­ rien. An den Standorten der chemischen Industrie wird die 2030 teilweise auf Wasserstoff umgestellte Dampferzeugung bis 2050 sehr weitgehend auf Biomasse umgestellt. Die entsprechenden Netzan­ schlüsse müssen sich also in relativ kurzer Zeit amor­ tisieren beziehungsweise umgenutzt werden. So wird ein Teil des Wegfalls des Wasserstoffeinsatzes für die Dampfbereitstellung (15 TWh in der Spitze im Jahr 2035) teilweise kompensiert durch einen Anstieg des stofflichen Bedarfs für Wasserstoff im Rahmen des chemischen Recyclings von Kunststoffabfällen. Weitere neue Wasserstoffbedarfe in Höhe von 156 TWh entstehen bis 2050 für die Strom- und Fernwärmeerzeugung. 3.9.2 Wasserstofferzeugung Abbildung 69 stellt die Wasserstoffnachfrage der Erzeugung gegenüber. Im Jahr 2030 liegt die Nach­ frage nach treibhausgasfreiem Wasserstoff in Summe bei 63 TWh Heizwert (1,9 Mio. t). Bis 2050 wird sie auf 268 TWh (8 Mio. t) gesteigert. Es wird angenom­ men, dass 31 Prozent dieser Menge im Inland aus erneuerbarem Strom mittels Wasserelektrolyse erzeugt werden kann. Der Wasserstoff wird zu Stunden mit günstigen Strompreisen produziert und in ein zukünftiges Wasserstoffleitungsnetz eingespeist. Für die Produk­ tion bieten sich voraussichtlich norddeutsche Stand­ orte an, die an Netzknoten beziehungsweise Einspei­ sepunkten ohne ausreichende Weiterleitungskapazität großer Mengen an Offshore-Windstrom zur netzseiti­ gen Entlastung beitragen können. Es ist auch denkbar, 126 dass Windenergieanlagen ausschließlich mit Elekt­ rolysekapazitäten verbunden werden und somit auf eine stromnetzseitige Anbindung verzichten. Stattdes­ sen könnten diese Anlagen ihre Produktion indirekt in Form von Wasserstoff einspeisen. Projekte und Machbarkeitsstudien in Nachbarlän­ dern wie den Niederlanden und Dänemark lassen eine gewisse Menge an Importen aus dem EU-­ Ausland, beispielsweise über umgewidmete L-Gas-Leitungen wie es der Vorschlag eines Wasser­ stoff-Backbone-Netzes der deutschen Gas-Fernlei­ tungsnetzbetreiber vorsieht, erwarten. Ein weiterer Teil der Importe müsste über Pipelines oder die Schifffahrtswege aus Weltregionen mit günstigen Voraussetzungen für die Produktion von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff beziehungsweise fossil erzeugtem Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung eingeführt werden. Als treibhausgasarme Optionen zur Wasserstoff­ erzeugung (vgl. Abbildung 70) kommen aus heutiger Sicht zwei Optionen infrage: Wasserelektrolyse mit erneuerbar erzeugtem Strom und Wasserstoff aus fossilem Erdgas, bei dem die entstehenden Emissio­ nen abgeschieden und dauerhaft endgelagert werden. Aufgrund begrenzter CO₂-Abscheideraten und der Vorkettenemissionen von Erdgas wird der mit Dampfreformierung und CCS erzeugte Wasserstoff im Gegensatz zu erneuerbar erzeugtem Wasserstoff nicht 100 Prozent treibhausgasneutral sein können. Für eine Übergangszeit, bis die entsprechenden Kapazitäten erneuerbarer Stromerzeugung und flexibler Elektrolysekapazitäten vorhanden sind, könnte der fossil erzeugte Wasserstoff mit Kohlen­ stoffabscheidung, etwa aus Norwegen, eine entschei­ dende Rolle spielen. Eine inländische Produktion solchen Wasserstoffs setzt zum einen Standorte mit entsprechender Anbindung an Schifffahrtswege zum CO₂-Abtransport voraus. Zum anderen stellt sich die Frage, welche der bestehenden Dampfreformer mit CCS-Technologie nachgerüstet werden können und ob angesichts der hohen Anlagenalter der Dampfre­ STUDIE | Klimaneutrales Deutschland former in Deutschland eine derartige Investitions­ option gegenüber der Neuerrichtung optimierter Produktionsanlagen für fossilen Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung in günstiger Lage zu CO₂-Endlagern gewinnt. eine Nutzung wiederum zu Treibhausgasemissionen führt. Vielmehr muss der abgeschiedene Kohlenstoff dauerhaft endgelagert werden, beispielsweise in Bergwerken. Der Vorteil liegt darin, dass fester Kohlenstoff viel leichter zu deponieren ist als abgeschiedenes CO₂. Die Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) in seine molekularen Bestandteile Wasserstoff und Kohlen­ stoff ist eine weitere Option zur Wasserstoffgewin­ nung aus fossilem Erdgas, jedoch technisch noch nicht ausgereift und weder großskalig noch für den Einsatz mit Erdgas verfügbar. Es ist aufgrund der Abspaltung von elementarem (festem) Kohlenstoff (Industrieruß, Carbon Black) interessant. Nach bisherigen Überlegungen werden diese Verfahren vor allem dann wirtschaftlich, wenn Carbon Black als wertvoller Werkstoff verkauft werden kann. Für treibhausgasarme Wasserstofferzeugung ist die Nutzung des Kohlenstoffes aber keine Option, wenn 3.9.3 Wasserstoffkosten Die Kosten für erneuerbar erzeugten Wasserstoff sind entscheidend abhängig von den Energiekosten für die Elektrolyse. Möglichst niedrige Kosten des Strombe­ zuges und gleichzeitig hohe Vollbenutzungsstunden der Elektrolyse sind jedoch zwei gegenläufige Parameter. Die Investitionsausgaben für Elektrolyse­ anlagen, Wirkungsgrad und Lebensdauer sind weitere entscheidende Kostenfaktoren. Je nach Erzeugungsregion kommen auch noch relevante Kostenanteile für den Transport hinzu. CO₂-freie Wasserstofferzeugung und -nutzung in Deutschland Abbildung 69 Wasserstoffnachfrage Wasserstofferzeugung 100 63 0 Papier restliche Metalle Grundstoffchemie Roheisen, Stahl Straßengüterverkehr Mineralölverarbeitung 4 134 50 58 174 117 1 0,2 3 90 2 44 19 28 38 Importe 5 51 84 1 0 2050 29 108 7 184 2045 22 156 31 150 8 6 172 2040 2035 50 38 29 200 2035 24 1 63 15 15 4 20 2030 100 40 2050 35 2040 117 36 2030 47 150 34 225 2025 172 2045 200 250 Heizwert [TWh] 42 2025 Heizwert [TWh] 225 268 [Millionen Tonnen] 268 33 250 0 9 300 300 Wasserelektrolyse (Inland) Strom, Fernwärme Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff. 127 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Abbildung 71 stellt Kostenannahmen für die Kosten­ entwicklung von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff dar: Entsprechend der Annahmen liegen die Bereit­ stellungskosten beim Endverbraucher (ohne Steuern/ Marge) im Jahr 2020 bei rund 17,0 Cent/kWh Brenn­ wert (6,6 Euro/kg) und können im Verlauf bis 2050 auf 11,0 Cent/kWh (4,3 Euro/kg). In diesem Beispiel wird eine Kostenreduktion der Elektrolyse ausgehend von 800 Euro/kW (elektrisch) für 2020 um 50 Pro­ zent bis 2050 angenommen. Einzelne Veröffentli­ chungen zu möglichen zukünftigen Kostenentwick­ lungen bei Elektrolyseuren liegen heute bereits darunter. Der Kostenreduktion (erreichbar durch technische Lernraten, Skaleneffekte und automati­ sierte Fertigung) wirken jedoch kostenerhöhende Anforderungen an Elektrolyseure (für den Einsatz mit fluktuierender erneuerbarer Stromerzeugung) entgegen: verbessertes Teil- und Überlastverhalten, höhere Wirkungsgrade, reduzierte Leistungsdegra­ dation über eine höhere Lebensdauer. 3.9.4 Synthetische Energieträger Zusätzlich zum Wasserstoff werden weitere auf erneuerbarem Strom basierende Energieträger in dem Szenario eingesetzt. Im nationalen und internationa­ len Schiffs- und Flugverkehr werden hinsichtlich der Herstellung und Verbrennung CO₂-neutrale flüssige Kraftstoffe (PtL) verwendet. Wie in Kapitel 3.5.4 erläutert ist der Einsatz dieser Brennstoffe im Flug­verkehr durch Nicht-CO₂-Effekte (RFI) trotzdem mit einer Klimawirkung verbunden. Treibhausgasfreie und -arme Verfahren zur Gewinnung von Wasserstoff Abbildung 70 Erneuerbar erzeugter Wasserstoff Fossil erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung (CCS) Fossil erzeugter Wasserstoff mit Kohlenstoffabscheidung (Feststoff) Strom aus Erneuerbaren Energien Erdgas* Erdgas* Wasserelektrolyse Dampfrefomierung Pyrolyse/Plasmalyse** O₂ H₂ Die Wasserelektrolyse ist seit über 100 Jahren in technischer Anwendung. Verschiedene technologische Varianten sind verfügbar bzw. in der Entwicklung. • alkalische Elektrolyse (AEL) • Polymer-Austauschmembran-Elektrolyse (PEMEL) • Anionen-Austauschmembran-Elektrolyse (AEM) • Hochtemperaturelektrolyse (HTEL) CO₂ H₂ CO2-Abscheidung und dauerhafte Speicherung CO₂ Restemission Rund 90 Prozent der Emissionen des Erdgases können abgeschieden werden. Dieses entspricht 9 Tonnen CO2 pro Tonne H2, die dauerhaft endgelagert werden müssen. Es verbleiben Restemissionen von rund 1 Tonne CO2 pro Tonne H2. Durch die CCS-Technologie erhöhen sich die Kosten um 30 bis 70 Prozent gegenüber fossil erzeugtem Wasserstoff. C H₂ Elementarer Kohlenstoff Die Verfahren sind noch im Forschungsstadium (TRL 3 bis 4) und damit noch nicht ausgereift. Herausforderungen sind: Kontinuierlicher Betrieb, Umsetzungsraten erhöhen, Verfahren auch für Erdgas betreiben (bisher reines Methan). BASF plant eine Pilotanlage 2025. * Alle Erdgasbasierten Wasserstoffrouten haben direkte Restemissionen und indirekte Emissionen durch die Vorkettenemissionen des Erdgases. ** Spaltung des CH4-Moleküls thermisch (Pyrolyse) oder elektromagnetisch (Plasmalyse). Hinweis: Der auf diesen drei unterschiedlichen Wegen erzeugte Wasserstoff wird zum Teil auch als – von links nach rechts – „grüner“, „blauer“ und „türkiser“ Wasserstoff bezeichnet. TRL: Technologiereifegrad (engl.: Technology Readiness Level) Prognos (2020) 128 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Kosten von erneuerbar erzeugtem Wasserstoff Abbildung 71 Wasserstoff Bereitstellungskosten beim Endverbraucher (EUR2019 Cent/kWh Brennwert) 17 2 1 2030 2050 Stromkosten (EUR/MWh) 62 55 Investition (EUR/kWel) 500 400 Zinssatz WACC (%) 6 6 Wirkungsgrad Elektrolyse (%) 72 75 Volllaststunden Elektrolyse 3.500 4.000 Lebensdauer in Jahren* 25 25 14 2 1 2 3 11 11 2 1 1 9 2020 2030 7 2050 Transport/Verteilung Investitionsausgaben Betriebskosten Strom Kostenerhöhung durch • Erhöhte Lebensdauer • Reduzierte Degradation • Verbessertes Teillast- und Überlastverhalten • Höhere Verfügbarkeit • Höherer Wirkungsgrad Kostenreduktion durch • Technische Lernraten • Skaleneffekte • Automatisierte Fertigung • Geringeren Materialeinsatz * Stackwechsel nach der Hälfte der Lebensdauer zu 35 % des Elektrolyseur-Invest. Hinweis: el = elektrisch, WACC = mittlere gewichtete Kapitalkosten | Transport = 500 km Pipeline Prognos (2020) Zudem wird in der Industrie für die stoffliche Nut­ zung, die nicht durch die verstärkte Kreislaufwirt­ schaft abgedeckt werden kann, grünes Naphtha eingesetzt. Diese strombasierten Brennstoffe und grünes Naphtha werden nicht in Deutschland herge­ stellt, sondern importiert, in Summe etwa 120 TWh. Insgesamt ergibt sich für 2050 ein Bedarf an Wasser­ stoff und sonstigen erneuerbar erzeugten Brenn­ stoffen in Höhe von 391 TWh, von denen 307 TWh importiert werden. Die folgende Abbildung zeigt im Überblick die Produktionsverfahren für strombasierte Energieträ­ ger sowie deren Merkmale. 129 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Exkurs Power-to-X Abbildung 72 Power-to-X (PtX) steht für verschiedene Produktionsverfahren für strombasierte Brenn-, Kraft- und (chemische) Grundstoffe. Der elektrische Strom sollte aus erneuerbaren Quellen stammen, um nahezu Treibhausgasneutrale Produkte zu erzeugen. Grundsätzlich können drei PtX-Kategorien unterschieden werden wie die Abbildung verdeutlicht: Wasserstoff (mittig), Kohlenwasserstoffe (links) und Ammoniak (rechts). Als Energiequelle sind zusätzliche EE-Parks mit möglichst hohen Volllaststunden erforderlich. Kohlenwasserstoff Erneuerbare Elektrizität Luft nachhaltige Biomasse Luft CO2Abscheidung Biomassevergasung Luftzerlegung Kohlenstoff C/CO/ C02 Stickstoff Wasserelektrolyse 02 H2 + - NH3 Ammoniak Wasserstoff CH3OH Methanol CxHy Kraftstoffe/Chemikalien Synthese H2 CH4 Methan Kompression N2 Wasser H2O Synthese Verflüssigung Hydrierung (LOHC) PtX-Kohlenwasserstoffe benötigen eine treibhausgas-neutrale Kohlenstoffquelle, denn Kohlenstoff ist mit rund 85 Massenprozent Hauptbestandteil. Unter Einsatz von Wasserstoff kann eine große Bandbreite an Kohlenwasserstoffen synthetisiert werden, Methan, Methanol, Kraftstoffe: Benzin, Diesel, Kerosin, Wachse, Naphtha für die Chemieindustrie. Die Wasserelektrolyse ist der zentrale Schritt von Strom zum chemischen Energieträger. Wasserstoff kann direkt als Energieträger oder Chemiebaustein zum Einsatz kommen. Für Transport und Speicherung von Wasserstoff ist allerdings stets ein zusätzlicher Prozess zur Erhöhung der geringen volumenbezogenen Energiedichte notwendig (Verdichtung, Verflüssigung oder Hydrierung von Speicherflüssigkeiten, LOHC). Für Ammoniak wird Stickstoff benötigt, der sehr viel leichter aus der Luft zu extrahieren ist als Kohlenstoff. Dieser wird mit Wasserstoff zu Ammoniak synthetisiert, einem Grundstoff der Düngemittelproduktion. Ammoniak ist bereits bei sehr geringen Drücken flüssig und wird bereits heute als Produkt verschifft. ++ Lager- und Transportfähigkeit + Anschlussfähigkeit heutige Infrastruktur -- Lange Prozesskette -- Nicht ausgereifte Prozesse (Direct-Air-Capture von CO2, Synthesen auf CO2-Basis) -- Kohlenstoffbeschaffung aus Luft aufwendig, biogen begrenzt -- Hohe Verluste -- Teuer ++ Lokal emissionsfreie Nutzung als Energieträger möglich + im Vergleich niedrigere Kosten als bei Kohlenwasserstoffen + Zentraler Stoff zur Dekarbonisierung in Industrie - Infrastruktur nur teilweise vorhanden - Geringe volumetrische Energiedichte -- Erhöhter Aufwand für Transport ++ Lager- und Transportfähigkeit + Bewährte Prozesse (Luftzerlegung, HaberBosch-Verfahren) + Stickstoffbeschaffung weniger aufwendig + günstig im Vergleich zu Kohlenwasserstoffen - Einsatz als Energieträger im Forschungsstadium Prognos (2020) 130 Ammoniak STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 4 Ergebnisse Klimaneutral Minimalvariante (KNmin) 4.1 Übersicht Auch im Szenario KNmin erreicht Deutschland im Jahr 2050 die Klimaneutralität. Bis zum Jahr 2030 erfolgt im Vergleich zu 1990 allerdings nur eine Re­duktion der Treibhausgasemissionen um 61 Pro­ zent, statt von 65 Prozent wie im Szenario KN2050. Außer in der Landwirtschaft und dem Abfallbereich ergeben sich in allen Sektoren geringere THG-Ein­ sparungen als im KN2050-Szenario. Im Jahr 2030 liegen die Emissionen insbesondere in der Energie­ wirtschaft (25 Mio. t CO2-Äq) und im Industriesektor (13 Mio. t CO2-Äq) höher als im Szenario KN2050. Im Verkehr und bei Gebäuden liegen die Emissionen jeweils um 5 Mio. t CO2-Äq höher. Bis 2030 spielt treibhausgasneutraler Wasserstoff im Szenario KNmin eine kleinere Rolle (vgl. Abbil­ dung 96): Die Nachfrage von 18 TWh ist um rund 45 TWh geringer als im Szenario KN2050. Dement­ sprechend läuft auch die inländische Wasserstoff­ produktion deutlich langsamer an und liegt bis 2030 mit 11 TWh bei der halben Menge des KN2050-Szenarios. Um Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu errei­ chen, wird die Transformationsgeschwindigkeit im KNmin-Szenario nach 2030 im Vergleich zum KN2050-Szenario erhöht. Es werden keine anderen Technologien und Strategien als im Szenario KN2050 angewendet, sodass sich die Szenarien im Zielbild 2050 nur marginal unterscheiden. liegt der Primärenergieverbrauch im Szenario KNmin 2030 um etwa 3 Prozent höher als im Szenario KN2050. Durch die höhere Kohleverstromung und den geringeren Einsatz von Wasserstoff (minus knapp 80 Prozent) insbesondere in der Stahlindustrie liegt der Einsatz von Kohle 2030 etwa 80 Prozent höher. Der Einsatz von Erdgas (plus 4 Prozent) und Erneuerbaren Energien (minus 5 Prozent) unter­ scheidet sich nur leicht. Im Zeitraum 2018 bis 2050 halbiert sich der Primär­ energieverbrauch. Er geht von heute ungefähr 13.000 PJ auf etwa 6.650 PJ zurück. Der Endenergie­ verbrauch sinkt im Zeitraum 2018 bis 2030 von etwa 9.000 PJ um 17 Prozent auf etwa 7.500 PJ. Bis 2050 sinkt der Endenergieverbrauch im Vergleich zu 2018 um etwa 36 Prozent auf 5.700 PJ. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primär­ energieverbrauch steigt von 14 Prozent im Jahr 2018 auf 38 Prozent bis 2030 und dann weiter auf 80 Pro­ zent bis 2050. Importe von synthetischen Energie­ trägern stellen 2050 etwa 17 Prozent der Primärener­ gie. Die restlichen 3 Prozent der Primärenergie entfallen 2050 auf sonstige Energieträger wie Abfall und geringe Mengen an importierten Strom. In den folgenden Kapiteln werden die Annahmen und Ergebnisse der einzelnen Sektoren detailliert darge­ stellt. Im Anhang wird das Szenario KNmin anhand ausgewählter Indikatoren in die Bandbreiten bereits existierender Klimaschutzszenarien eingeordnet. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der THG-Emissionen in den einzelnen Sektoren. Langfristig betrachtet entwickeln sich der Endener­ gie- und Primärenergieverbrauch im Szenario KNmin sehr ähnlich wie im Szenario KN2050. Mittelfristig gibt es aber deutliche Unterschiede. ​So 131 Einführung DRI, Kohleausstieg, H2-Einsatz für Dampf Abfall Ökolandbau, weniger Dünger Landwirtschaft 2030 -60 % 486 -124 -69 -182 Abfall 62 -95 % 2050 -100 % Abbildung 73 BECCS, DACCS und grüne Polymere kompensieren Restemissionen Negative Emissionen Ökolandbau, Reduktion Viehbestände, Reduktion Düngemittel Landwirtschaft 90 % der Fläche sind 2050 saniert oder neugebaut, ausschließlich klimaneutrale Wärmeerzeugung Gebäude Elektrifizierung Pkw-Verkehr, CO2-freier Güterverkehr, weiterer Ausbau öffentlicher Verkehr Verkehr 100 % EE-Stromerzeugung*, Ersatz von fossilen Brennstoffen durch H2, CO2-freie Fernwärmeerzeugung Energiewirtschaft H2 und Biomasse für Hochtemperaturwärme, H2 für Stahl, Chemisches Recycling, CCS für Prozessemissionen Industrie * inkl. Stromerzeugung aus erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, zwischengespeichertem und importiertem erneuerbaren Strom. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 2018 -52 Industrie -12 Sanierungsrate 1,6 % pro Jahr, 5 Mio. Wärmepumpen, starker Wärmenetzausbau Gebäude -5 858 -59 11 Mio. E-Pkw, Lkw fahren zu 30 % elektrisch, mehr ÖPNV sowie Rad,- Fuß- und Schienenverkehr -121 Verkehr -94 Kohleausstieg vor 2035, 68 % EE-Stromerzeugung, Dekarbonisierung Fernwärme -68 Energiewirtschaft -14 132 -3 Maßnahmen im Szenario Klimaneutral Minimalvariante 2050 (KNmin) (Treibhausgas-Emissionen in Mio. t CO2-Äq.) Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Überblick Entwicklung THG-Emissionen nach Sektoren im Szenario KNmin Abfall Landwirtschaft Jährliche Emissionen [CO2-Äquivalente] Verkehr Gebäude 1.251 38 90 164 210 Historische Reduktion pro Jahr: 17 Mt CO2-Äq* 1.045 29 75 181 Notwendige zukünftige Reduktion pro Jahr: 909 11 73 165 Industrie 167 284 125 208 Energiewirtschaft 466 1990 Negative Emissionen werden direkt in den Sektoren berücksichtigt. 385 2000 191 344 2016 25 Mio. t CO2-Äq 858 10 70 750* 162 117 134 195 -35 -28 -27 486 5 58 92 94 160 70 136 305 2018 -61 % 650 7 63 194 2020 Nachrichtlich: LULUCF -29 Abbildung 74 -18 333 3 55 49 48 103 194 52 2025 2030 2035 44 43 2040 4 2 4 2 123 74 87 48 2045 -7 -1 44 2050 -10 * Zielwert 2020: THG-Einsparung von 40 % im Vergleich zu 1990. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 133 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Primärenergieverbrauch im Szenario KNmin 14.000 12.000 Abbildung 75 13.129 1.802 Primärenergieverbrauch [PJ] 214 10.000 9.981 3.099 8.804 8.000 6.000 2.356 37 248 2.906 4.452 2.874 3.476 2.725 166 6.889 2.276 1.401 829 2025 2030 1.128 4.813 5.307 147 1.406 1.490 626 6.652 4.242 2.358 2.909 2018 132 2035 978 568 433 2040 2045 2050 PtX Strom Erneuerbare Energien nicht erneuerbare Abfälle fossile Gase Mineralöle Kohlen Kernenergie Prognos, Wuppertal Institut, Öko-Institut (2020). Ohne nicht-energetischen Verbrauch. 134 7.326 487 223 3.051 0 291 901 4.000 2.000 7.960 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Endenergieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren in PJ im Szenario KNmin 10.000 10.000 2.000 3.351 2.506 1.069 102 1.259 2.742 2.052 1.000 446 330 189 114 2025 2030 2035 1.339 2018 0 2.412 99 1.687 3.000 489 2.542 1.321 1.299 6.297 1.231 5.000 1.717 1.129 1.033 4.000 5.920 1.826 2.743 2.493 3.000 2.108 946 1.615 5.701 1.524 869 803 1.474 1.307 1.210 2.199 2.160 2.129 2.164 2050 1.935 513 2.178 991 785 6.000 2045 4.000 91 616 5.701 6.789 1.950 2040 2.189 5.920 7.000 2035 1.938 7.471 2.094 1.732 2.000 115 738 1.545 878 274 346 1.000 1.769 0 2.601 2.434 2.283 2030 660 76 6.297 314 491 2.320 2025 1.840 6.789 231 497 2018 1.848 8.000 875 5.000 8.963 8.253 7.471 49 465 EEV nach Sektoren [PJ] 439 7.000 6.000 9.000 8.253 2050 394 2045 EEV nach Energieträgern [PJ] 8.000 8.963 2040 9.000 Abbildung 76 Kohlen Erneuerbare Energien Industrie GHD Mineralöle Strom Verkehr Private Haushalte fossile Gase Fernwärme nicht erneuerbare Abfälle PtX Industrie: inkl. bauwirtschaftlichem Verkehr, ohne Brennstoffeinsatz für die Stromerzeugung in industriellen KWK-Anlagen, ohne stofflichen Wasserstoff (NEV); Verkehr: inkl. internationalem Flugverkehr, ohne Seeverkehr (national und international); GHD: inkl. Landwirtschaft. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) 4.2 Energiewirtschaft 4.2.1 Zielbild In der Minimalvariante wird das langfristige Ziel einer Dekarbonisierung bis 2050 beibehalten. Im Jahr 2030 ergeben sich größere Unterschiede zum Sze­nario KN2050, zum einen durch die niedrigeren Preise im EU ETS (siehe Rahmendaten) und den angenommenen langsameren Ausbau der Erneuer­ baren Energien zur Stromerzeugung. Insbesondere durch die höhere verbleibende Kohleverstromung im Jahr 2030 ergeben sich höhere THG-Emissionen. 4.2.2 Stromnachfrage Im Szenario KNmin steigt der Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 613 TWh an (vgl. Abbildung 77) und liegt damit 30 TWh unter dem Wert des Hauptsze­ narios. Der Anstieg bis 2030 ist maßgeblich durch die Zu­nahme der Stromnutzung im Verkehrssektor (70 TWh im Jahr 2030) und den Beginn der Wasser­ stoffproduktion durch Elektrolyse (15 TWh im Jahr 2030) begründet, die beide jeweils niedriger ausfal­ len als im Hauptszenario. Die Sektoren Industrie, Private Haushalte und GHD sowie die Fernwärmeerzeugung weisen bis 2030 einen leichten Rückgang des Stromverbrauchs auf, der im Wesentlichen durch effizientere Endver­ brauchergeräte und einen effizienzbedingt gerin­ geren Nutzenergiebedarf (zum Beispiel durch fortschreitende Gebäudesanierung) bedingt ist. Ins­ge­samt fällt die Elektrifizierung gegenüber dem 135 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Bruttostromverbrauch im Szenario KNmin Abbildung 77 1.000 958 876 815 Bruttostromverbrauch [TWh] 800 717 600 613 595 569 44 127 122 149 124 112 109 156 167 168 269 290 304 2040 2045 2050 129 116 124 133 143 130 80 127 129 125 400 200 15 60 122 70 12 3 226 215 210 230 2018 2025 2030 2035 0 Industrie Elektrolyse (H₂) Verkehr DAC GHD Ladung Speicher PHH Netzverluste Fernwärmeerzeugung KW-Eigenverbrauch sonstige Umwandlung Hinweis: H₂ = Wasserstoff. KW = Kraftwerk. Bilanzierung nach AGEB. Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020) KN2050-Szenario im KNmin-Szenario etwas geringer aus, jeder Sektor hat 2030 dadurch etwa 4 TWh weniger Stromverbrauch. Bis 2050 nimmt der Strombedarf insgesamt um 60 Prozent gegenüber 2018 zu und steigt auf 958 TWh an. Treiber für diese Entwicklung sind, wie im KN2050-Szenario, der zunehmende elektri­ sche Endenergieeinsatz in den Sektoren Verkehr und Industrie sowie die Herstellung von stromba­ siertem Wasserstoff. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird auch im KNmin-Szenario deutlich gesteigert, in den Jahren bis 2030 jedoch weniger stark als im KN2050-Sze­ nario. Im Jahr 2030 stehen mit 250 GW installierter Leistung Erneuerbarer Energien 18 GW weniger zur Verfügung als im KN2050-Szenario (vgl. Abbil­ dung 78). Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren 136 Energien beträgt dadurch 408 TWh im Jahr 2030, 27 TWh weniger als im KN2050-Szenario. Da bis 2050 wie im KN2050-Szenario eine Leistung von 562 GW Erneuerbare Energien erreicht wird, muss der Zubau in den Jahren 2030 bis 2035 gegen­ über dem KN2050-Szenario beschleunigt werden. Im Jahr 2050 erzeugen 562 GW Erneuerbare Energien (130 GW Onshore-Windenergie, 70 GW Off­shoreWindenergie, 355 GW Photovoltaik, 6 GW Wasser­ kraft und 1 GW Bioenergie) in Summe 844 TWh elektrische Energie. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Installierte Leistung und Nettostromerzeugung Erneuerbare Energien im Szenario KNmin Installierte Leistung in GW Abbildung 78 Nettostromerzeugung in TWh 562 844 4 Bioenergie 512 769 8 Wasserkraft 674 18 Photovoltaik 431 292 355 342 331 531 28 315 233 252 408 38 250 206 175 117 45 6 52 140 90 11 62 23 75 51 61 70 34 91 119 128 130 Wind Offshore Wind Onshore 216 42 2025 2030 2035 2040 2045 2050 131 85 83 254 129 46 19 37 90 114 2018 223 187 301 44 Abgeregelt 2018 192 2025 141 175 238 -4 -14 -23 2030 2035 2040 270 288 -45 -53 2045 2050 Prognos (2020) 137 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Installierte regelbare Leistung und Nettostromerzeugung im Szenario KNmin 90 1.000 97 6 7 80 70 60 24 6 70 6 69 6 7 7 69 6 5 72 6 3 76 6 2 81 6 1 50 40 20 20 10 0 27 39 30 25 933 900 55 5 14 61 73 67 4 5 10 10 8 2018 2025 2030 3 2 1 1 2035 2040 2045 2050 Nettostromerzeugung gesamt [TWh] Regelbare Kraftwerksleistung Nettoleistung [GW] 100 Abbildung 79 864 800 800 695 700 600 500 400 611 596 536 216 301 300 6 79 28 200 135 3 101 100 75 72 25 68 37 5 119 20 15 30 2018 2025 2030 0 408 531 9 133 13 2035 844 674 769 16 23 81 7 2040 22 41 31 27 60 2045 2050 Wasserkraft Gase/Wasserstoff Braunkohle Erneuerbare Wasserstoff Braunkohle Bioenergie Sonstige Steinkohle Speicher Erdgas Steinkohle Sonstige Kernkraft Kernkraft Importsaldo 50 -50 -49 2018 15 3 13 9 9 22 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Prognos (2020) 4.2.3 Installierte Leistung und Stromerzeugung Die Entwicklung der regelbaren Kraftwerksleistung unterscheidet sich im KNmin-Szenario bis 2030 in einem langsameren Rückgang der Kohlekapazitäten. Mit 14 GW Leistung aus Braun- und Steinkohle werden im Jahr 2030 45 TWh aus Kohle erzeugt (32 TWh mehr als im KN2050-Szenario). Die Erzeu­ gung aus Erdgas fällt um 15 TWh geringer aus, die Stromhandelsbilanz ist ausgeglichen und es kommt noch nicht zum Einsatz von Wasserstoff in der Stromerzeugung. Durch den, verglichen mit dem KN2050-Szenario, späteren Kohleausstieg erfolgt der Zubau neuer Gaskraftwerke etwas verzögert: Im Jahr 2030 sind 4 GW weniger Leistung an Gaskraftwer­ ken nötig, bis 2035 gleicht sich die Leistung jedoch dem KN2050-Szenario an. 138 4.2.4 Fernwärmeerzeugung Die Fernwärmeerzeugung entwickelt sich langfristig ähnlich wie im KN2050-Szenario, jedoch erfolgt der Energieträgerwechsel von Erdgas auf Wasserstoff mit deutlicher Verzögerung und im Jahr 2035 wird im KNmin-Szenario mit dem Einsatz von 5 TWh Wasserstoff erst das 2030er-Niveau vom KN2050-Szenario erreicht. Ebenso erfolgt der Ausbau der Geothermie und Solarthermie zunächst langsamer, erreicht in den 2040er-Jahren aber in etwa die gleiche Erzeugung wie im KN2050-Szena­ rio. Im Jahr 2050 wird auch im Szenario KNmin der Fernwärmebedarf komplett durch Erneuerbare Energieträger gedeckt. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Fernwärmeerzeugung im Szenario KNmin Abbildung 80 180 160 137 140 Fernwärmeerzeugung [TWh] 125 1 120 3 153 144 6 2 8 4 3 11 1 2 3 12 9 5 20 100 51 151 10 158 13 13 16 18 12 13 5 6 18 33 39 72 80 44 10 60 10 12 40 9 20 29 62 29 36 13 11 13 13 22 12 38 12 16 15 10 2 6 6 11 3 11 4 3 10 3 3 2025 2030 2035 2040 2045 2050 0 2018 12 10 4 13 7 5 71 150 industrielle Abwärme Elektrokessel Wasserstoff Bioenergie Abfall – fossil Braunkohle Geothermie Wärmepumpe (inkl. Umweltwärme) Erdgas Abfall – biogen sonstige Energieträger Steinkohle Solarthermie Prognos (2020) 4.2.5 Mineralölraffinerien Bis 2030 geht die Nachfrage nach Mineralölpro­ dukten auf rund 59 Prozent des Wertes von 2018 zurück. Da die Raffinerien auf diesen Nachfrage­ rückgang reagieren, sinkt die Produktion analog. Bis 2050 kommt die Mineralölverarbeitung analog zum KN2050-Szenario vollständig zum Erliegen. Der Grund hierfür ist der vollständige Rückgang der Nachfrage nach Mineralölprodukten sowohl bei der energetischen Verwendung als auch bei der Nach­ frage der chemischen Industrie nach Naphtha. Ab 2045 kommt in der chemischen Industrie nur noch importiertes strombasiertes Naphtha zum Einsatz, welches aus erneuerbarem Strom und Kohlendioxid aus der Luft gewonnen wird. Bei der Produktion dieses „grünen“ Naphthas über Fischer-Tropsch- Synthese fallen jedoch längere Produkte wie Bitumen oder Petrolkoks nicht an. 4.3 Industrie 4.3.1 Zielbild Das Zielbild der Minimalvariante entspricht für den Industriesektor demjenigen des Hauptszenarios Klimaneutral 2050. Klimaneutralität wird durch Effizienzmaßnahmen, einen weitgehenden Umstieg auf erneuerbare Energieträger, innovative Produk­ tionsrouten sowie den Einsatz von CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) erreicht. Langfristig, nach 2045, erreicht die Industrie durch den gezielten Einsatz von biogenen Energieträgern in Kombination mit CCS sogar negative Emissionen. 139 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Ein Unterschied zum Hauptszenario Klimaneutral 2050 besteht in einem etwas langsameren Hochlauf des Wasserstoffeinsatzes sowie dem Einsatz von Power-to-Heat. 4.3.2 Entwicklung der Produktionsmengen Auch in der Minimalvariante bleibt Deutschland ein bedeutender Standort für Grundstoffe wie Stahl, Grundstoffchemikalien und Zement. Die Entwick­ lung der Produktionsmengen sowie die zugrunde liegenden Treiber haben wir im Industriekapitel des Hauptszenarios Klimaneutral 2050 beschrieben und übernehmen diese für die Minimalvariante. Die Annahmen beinhalten eine auf dem Niveau von 2019 (vor der Corona-Krise) stabilisierte Rohstahlproduk­ tion sowie eine langfristig stabile Produktionsmenge von Polymeren. Bezüglich der Plattformchemikalien (Olefine und Aromaten) verlieren die deutschen Chemie-Standorte jedoch bis 2030 Marktanteile an die europäischen Küstenstandorte, sodass die Produktion in Deutschland um 39 Prozent im Vergleich zum Basisjahr (2016) sinkt. Auch die Produktion von Ammoniak geht im Zuge der im Szenario angenommenen Veränderungen in der Landwirtschaft deutlich zurück und erreicht im Jahr 2050 noch circa 55 Prozent des Basisjahrs. Die Produk­tionsmenge von Zementklinker verringert sich im Szenario nach 2030 aufgrund von Effizienz­ gewinnen beim Materialeinsatz im Betonbau bis zum Jahr 2050 auf circa 78 Prozent des Werts im Basis­ jahr. Die Produktion von Zellstoff und Papier, Aluminium und Glas steigen im Szenario zukünftig an, während der Absatz in der Kalkindustrie auf­ grund der sinkenden Nachfrage aus dem Kraft­ werks- und dem Stahlsektor rückläufig ist. 4.3.3 Treibhausgasemissionen Die Treibhausgasemissionen der Industrie sinken in der Minimalvariante bis 2030 um 29 Prozent gegen­ über dem Basisjahr 2016 auf 136 Mio. t CO2-Äq (siehe Abbildung 80). Das Sektorziel des Klimaschutzgeset­ zes (140 Mio. t CO2-Äq) wird also auch in der Mini­ malvariante übererfüllt. Zentral hierfür sind der Einstieg in den Prozessroutenwechsel in der Stahlin­ 140 dustrie sowie Effizienzsteigerungen, strombasierte Bereitstellung von Prozesswärme und der Einsatz von Biomasse in den weniger energieintensiven („sonsti­ gen“) Industrien. Zudem vermindert der Produktions­ rückgang in den Steamcrackern der chemischen Industrie die CO2-Emissionen. Der Minderungsbei­ trag der emissionsintensiven Zement­industrie ist bis 2030 hingegen noch gering. Im Zeitraum von 2030 bis 2050 können die CO2-Emissionen aus dem Einsatz von fossilen Energieträgern nahezu vollständig vermieden werden, sodass in allen Sektoren deutliche Minde­ rungen zu verzeichnen sind. Es verbleiben noch Restmengen aus dem Einsatz von Alternativbrenn­ stoffen (Abfällen) (4 Mio. t CO2), insbesondere in der Zement- und Kalkindustrie sowie aus der Verwer­ tung von Restchemikalien und Kunststoffabfällen in der chemischen Industrie (7 Mio. t CO2). Durch den Abschluss des Prozessroutenwechsels in der Stahlin­ dustrie erfolgt die Stahlproduktion im Jahr 2050 (nahezu) ohne CO2-Emissionen. Die mineralische Industrie (Zement, Kalk, Glas) sowie die chemische Industrie setzen CCS ein, um die prozessbedingten Emissionen dieser Industrien um 10 Mio. t CO2 zu mindern. In diesem Zuge wird auch ein Teil (7 Mio. t CO2) der oben genannten verbleibenden fossilen Emissionen abgeschieden und gespeichert. Es verbleiben jedoch noch prozessbedingte CO2-Emissionen im Umfang von 6 Mio. t, die nicht abgeschieden werden. Durch den Einsatz von BECCS in den Heizkesseln der chemischen Industrie (minus 20 Mio. t CO2) sowie der Stahlindustrie (minus 13 Mio. t CO2) und dem Einsatz von „grünem“ Naphtha in der Polymerproduktion (minus 8 Mio. t CO2) können die verbleibenden Treibhausgasemissionen der Industrie im Jahr 2050 jedoch deutlich überkom­ pensiert werden, sodass der gesamte Sektor negative Emissionen im Umfang von 30 Mio. t CO2 aufweist. 4.3.4 Energieeinsatz Auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität sinkt der Endenergiebedarf der Industrie (inklusive bauwirt­ schaftlicher Verkehr) infolge von Produk­tions­men­ STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasminderungen in der Industrie nach Branchen im Szenario KNmin zwischen 2016 und 2030 sowie zwischen 2030 und 2050 (Mio. t CO₂-Äq.) Industrie Abbildung 81 -17,1 Eisen und Stahl: Erhöhter Anteil Sekundärstahl, DRI-Anlagen/Wasserstoff -12,1 Chemie*: CO₂-freie Dampfbereitstellung, Effizienz -0,7 Zement: Brennstoffwechsel 191 -3,9 Andere Minerale: Energieträgerwechsel -1,4 Zellstoff/Papier: Energieeffizienz Sonstiges** -9,3 Sonstige Industrie: Energieeffizienz, -trägerwechsel -10,7 Sonstiges** -50 Eisen und Stahl: DRI, BECCS 136 sonstige Industrie Zellstoff/Papier andere Mineralien -49,3 Chemie*: BECCS, Elektrifizierung, erneuerb. Feedstocks -17,3 Zement: Materialeffizienz, Neue Zemente, CCS Zement -8,1 Andere Minerale: Energieträgerwechsel Chemie* -5,6 Zellstoff/Papier: Energieträgerwechsel -7,8 Sonstiges** Eisen und Stahl -30 2016 2030 -27,5 Sonstige Industrie: Energieeffizienz, -trägerwechsel 2050 * Chemie enthält hier die Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in „Sonstige Industrie“ enthalten. ** Sonstiges enthält die Bereiche Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie, Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen Wuppertal Institut (2020) genveränderungen und Effizienzgewinnen bis 2030 um 12 Prozent. Anschließend sinkt er nur noch leicht um 5 Prozent. Der Mix der Energieträger verändert sich jedoch im Zeitverlauf deutlich. Bis zum Jahr 2030 erfolgt der Ausstieg aus der Nutzung der Braunkohle und der Einsatz von Steinkohle reduziert sich um etwa 60 Prozent (im Vergleich zum Basisjahr 2016). Die eingesetzte Menge Erdgas bleibt ebenso wie der Stromeinsatz bis zum Jahr 2030 auf gleichem Niveau, sodass sich der jeweilige Anteil dieser Energieträger im Energieträgermix aufgrund des sinkenden Gesamtenergiebedarfs (zunächst) etwas erhöht. Nach dem Jahr 2030 verändert sich der Energieträgermix schneller und tiefgreifender. Der Ausstieg aus der Steinkohle wird vollzogen und der Erdgaseinsatz in den DRI-Anlagen der Stahlindustrie geht zugunsten von Wasserstoff rasch zurück. Zudem wird Erdgas als Lieferant von Wärme bis 100 Grad Celsius sowie als Energieträger für die Dampferzeu­ gung insbesondere durch strombasierte Verfahren und den Einsatz von fester Biomasse ersetzt. Biome­ than und Biogas ersetzen Erdgas für die Bereitstel­ 141 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasemissionen und Endenergiebedarf der Industrie im Szenario KNmin 36 50 55 19 31 45 51 136 11 28 6 13 18 24 103 8 22 12 15 16 38 26 0 44 15 10 13 -4 5 4 -30 -10 -13 -26 -50 600 2050 2045 2040 2035 2030 2025 216 400 28 24 300 229 200 100 634 611 49 48 228 500 0 2016 676 41 16 226 4 36 14 4 33 111 80 212 232 45 8 10 600 37 591 33 601 24 273 294 310 50 31 7 98 175 46 4 32 49 4 32 101 4 35 51 3 33 47 3 31 2050 18 6 14 49 2045 100 32 722 2040 7 17 14 700 2035 38 160 2025 150 800 2016*** Treibhausgasemissionen [Mio. t CO2] 21 2030 191 Endenergieverbrauch [TWh] 200 Abbildung 82 227 142 186 Eisen und Stahl Chemie* Steinkohle Braunkohle Ölprodukte/Abfall Zement Andere Minerale Kraftstoffe Erdgas Sonstige fossile Gase Zellstoff und Papier Sonstige Industrie Wasserstoff Biomasse Strom Sonstiges** Fernwärme * Chemie umfasst Herstellung chemischer Grundstoffe. Weitere, weniger energieintensive Zweige der chemischen Industrie sind in „Sonstige Industrie“ enthalten. ** Sonstiges: enthält Verwendung von nichtenergetischen Produkten aus Brennstoffen und von Lösemitteln, Elektronik-Industrie, Anwendungen als ODS-Ersatzstoff, Sonstige Produktherstellung und -verwendung sowie andere Produktionen *** Für 2016 gibt es eine geringfügige Abweichung von den AG-Energiebilanz-Daten aufgrund der Modellierung der energieintensiven Industrien auf Prozessebene sowie des Einbezugs des bauwirtschaftlichen Verkehrs. Wuppertal Institut (2020) lung von Prozesswärme bis zum Jahr 2050 dort, wo sie regional verfügbar sind. Die größten Mengen Biogas (10 TWh) werden im Jahr 2050 in der Glasin­ dustrie eingesetzt, weil aus heutiger Sicht dort gasförmige kohlenstoffhaltige Energieträger weiter­ hin (anteilig) benötigt werden. Im Jahr 2050 sind Strom, feste Biomasse und Wasser­ stoff die zentralen Energieträger in der Industrie. Abfälle werden auch zukünftig und in verstärktem Maß in der Zement- und Kalkindustrie eingesetzt. Für spezielle Anwendungen und an Standorten mit regionaler Verfügbarkeit spielen Biogas und Biomethan eine Rolle. Der Einsatz von Fernwärme erfolgt auch langfristig in der Papierindustrie sowie in den „sonsti­ gen Industrien“. Diese Fernwärme wird jedoch anders 142 als heute nicht mehr durch Kraft-Wärme-Kopplung, sondern durch Heizwerke bereitgestellt. 4.3.5 Z  ugrunde liegende Entwicklungen in den Industriebranchen Die beschriebenen Veränderungen beim Energieein­ satz und bei den Treibhausgasemissionen basieren auf Simulationsrechnungen, welche die oben be­ schriebene Produktionsmengenentwicklung, eine im Szenario unterstellte Entwicklung des industriellen Anlagenparks sowie die technischen Möglichkeiten für Energieträgerwechsel einbeziehen. Bei der Wei­ter­entwicklung des Anlagenparks wurden Reinvestitionszyklen, technologische Entwicklungen sowie angenommene (zukünftige) Anschlüsse der Standorte an Wasserstoff- und CO2-Infrastrukturen STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Die Zementindustrie nimmt in diesem Szenario vor 2030 noch keine Investitionen in Carbon Capture vor. Entsprechend spielt CCS vor 2030 noch keine Rolle. Anstehende Reinvestitionen in Drehrohröfen werden stattdessen als Carbon Capture Ready ausgeführt. Eine Nachrüstung der CO2-Abscheidung erfolgt an diesen Öfen dann erst nach 20 Betriebsjahren. Investitionen in Carbon Capture erfolgen in der Minimalvariante erst im Zuge eines Anschlusses der Standorte an ein CO2-Pipeline-Netz. Ein Einsatz von Binnenschiffen für den Abtransport des CO2 ist somit im frühen Stadium des CO2-Infrastrukturaufbaus nicht vorgesehen. Aufgrund der identischen Annahmen zu Produk­ tionsmengenentwicklungen und den geringfügigen Abweichungen der Szenarien beim industriellen Anlagenpark ist der Energieträgereinsatz in der 20 15 10 24 140 18 120 100 40 2050 2045 2040 2035 2030 2025 2020 0 2015 0 Sekundärstahl 129 23 4 62 40 60 20 DRI 23 23 80 80 5 Hochofen 153 36 57 45 27 2030 25 160 2025 35 30 179 2016 40 Abbildung 83 115 24 15 42 20 15 96 12 24 24 35 94 92 26 34 23 32 12 2040 180 2035 200 45 Energieträgereinsatz [TWh] 50 2010 Produktionsmengen Rohstahl [Mio. t] Rohstahlproduktion nach Routen und Energieträgereinsatz in der Eisen- und Stahlindustrie im Szenario KNmin 23 36 2050 Die Entwicklung des Anlagenparks im Szenario ist im Industriekapitel zum Hauptszenario Klimaneutral 2050 ausführlich dargestellt und begründet. Zentrale Eckpfeiler für die dort beschriebene Entwicklung des industriellen Anlagenparks sind die Reinvestitions­ zyklen der industriellen Prozessanlagen sowie die Ausrichtung auf das langfristige Ziel der Klimaneu­ tra­lität. Da diese Faktoren unverändert auch für die hier beschriebene Minimalvariante ihre Gültigkeit behalten, übernehmen wir die Entwicklung des industriellen Anlagenparks grundsätzlich aus dem Hauptszenario Klimaneutral 2050. Entsprechend setzen wir auch in der Minimalvariante in der Stahlindustrie auf einen konsequenten Ausstieg aus der Hochofenroute ohne Neuzustellungen von Hochöfen. Wir unterstellen jedoch im Unterschied zum Hauptszenario Klimaneutral 2050, dass die Industrie die Hochöfen am Ende ihrer Lebensdauer „auf Verschleiß“ nutzt und damit noch einmal eine Lebenszeitverlängerung der heute bestehenden Hochöfen um 25 Prozent realisieren kann. Hierdurch kann sie die Geschwindigkeit des Prozessrouten­ wechsels etwas reduzieren. 2045 berücksichtigt. Bei der Wahl der eingesetzten Ener­ gieträger spielt zudem auch die lokale Verfügbarkeit von biogenen Energieträgern eine Rolle. Kohle Koks Erdgas Wasserstoff Strom Biomasse Wuppertal Institut (2020). Die Berechnung des Energieträgereinsatzes erfolgt analog zu Abbildung 30 in Kapitel 3.3.4. 143 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Industrie in beiden Szenarien ähnlich, sodass auch hier für die Beschreibung und Begründung im Wesentlichen auf das Kapitel zum Hauptszenario Klimaneutral 2050 verwiesen sei. In der Minimalva­ riante findet jedoch ein langsamerer Hochlauf des Wasserstoffeinsatzes (2030: 4 TWh) in den Anlagen zur DRI-Produktion in der Stahlindustrie statt. Zudem verringert sich in der chemischen Industrie der Einsatz von Wasserstoff in den Kesseln zur Dampfproduktion und umfasst im Zeitraum von circa 2035 bis 2045 je 7 TWh pro Jahr. Dadurch dass in der Minimalvariante bis zum Jahr 2030 in den Dampf­ kesseln kein Wasserstoff eingesetzt wird, verkürzt sich der Nutzungszeitraum für Wasserstoff in Dampfkesseln auf nur noch zehn Jahre. Insgesamt ist der Wasserstoffeinsatz in der Industrie im Szenario KNmin mit 8 TWh im Jahr 2030 deutlich niedriger als im Szenario KN2050 mit 27 TWh im Jahr 2030. Auch der Hochlauf der Dampfbereitstellung durch Elektro­ kessel in der Chemie- und Papierindustrie ab 2030 erfolgt in der Minimalvariante langsamer. Der so veränderte Einstieg in die Nutzung von Wasserstoff und Power-to-Heat impliziert eine im Vergleich zum Hauptszenario Klimaneutral 2050 verzögerte Reduktion des Erdgasbedarfs der Industrie. Um das Jahr 2030 steigt der Bedarf nach Erdgas aufgrund seines Einsatzes in den DRI-Anlagen der Stahlindus­ trie zeitweise sogar etwas an. 4.4 Gebäude 4.4.1 Zielbild Die langfristige THG-Reduktionsvorgabe für den Gebäudesektor ist in beiden Szenarien identisch: Die THG-Emissionen sollen bis zum Jahr 2050 auf nahe­zu null verringert werden. Die Entwicklung bis zum Jahr 2030 verläuft in der Minimalvariante jedoch etwas weniger ambitioniert, bis dahin werden die THG-Emissionen auf maximal 70 Mio. t CO2-Äq gesenkt (Szenario KN2050: 65 Mio. t CO2-Äq). Die zentralen Maßnahmen sind wie im Hauptszenario die Umstellung der Wärmeversorgung sowie die Verbes­ serung der Effizienz bei Gebäudehüllen und Anlagen. 144 Der durch Effizienzsteigerungen bei Elektrogeräten niedrigere Strombedarf führt zu einer Emissionsmin­ derung im Sektor der Energiewirtschaft. Die beiden Szenarien basieren auf identischen Rahmenvorgaben bezüglich Bevölkerung, Zahl der Erwerbstätigen, Gebäudefläche und unterstellter Klimaerwärmung. Die Effizienzentwicklung von Anlagen, Geräten und Gebäuden verläuft ebenfalls in beiden Szenarien identisch. Entsprechend wird auch in der Minimalvariante die Effizienz stark forciert und erhöht. Dass in der Minimalvariante die THG-Emissionen im Jahr 2030 um 5 Mio. t CO2-Äq höher ausfallen als im Szenario KN2050, ist auf die langsamere Veränderung der Beheizungsstruktur zurückzuführen. Im Szenario KNmin nimmt der Einbau fossiler Wärmeerzeuger ab 2021 kontinuier­ lich ab, nach 2030 werden keine fossilen Heizungen mehr eingebaut. Im Szenario KN2050 verläuft der Wandel schneller, hier werden im Jahr 2025 die letzten fossilen Wärmeerzeuger eingebaut. Beste­ hende Anlagen dürfen in beiden Szenarien weiter betrieben werden. 4.4.2 E  ffizienzentwicklung und Beheizungsstruktur Die Effizienzentwicklung ist grundsätzlich in beiden Szenarien identisch. Auch in der Minimalvariante wird die Sanierungsrate deutlich angehoben. Die jährlichen Sanierungsraten steigen bei Ein- und Zweifamilienhäusern (EZFH) auf rund 1,5 Prozent, bei Mehrfamilienhäusern (MFH) und Nichtwohngebäu­ den (NWG) auf 1,7 Prozent, jeweils bezogen auf den Gesamtbestand. Damit einher geht eine Zunahme der jährlich energetisch sanierten Wohnfläche um rund 50 Prozent gegenüber 2018. Der mittlere spezifische Heizwärmebedarf sinkt bei Gesamtsanierungen bei EZFH auf etwa 60 kWh/m2 (dies entspricht in etwa dem KfW-Effizienzhaus­ standard 70 oder besser), bei MFH auf 40 bis 45 kWh/ m2 (dies entspricht in etwa dem KfW-Effizi­ enzhausstandard 55). Bei Neubauten verringert sich der Heizwärmebedarf sowohl bei EZFH als auch beim STUDIE | Klimaneutrales Deutschland MFH langfristig auf rund 25 kWh/m2 (was im Mittel in etwa einem KfW-Effizienzhausstandard 40 oder besser entspricht). im Szenario KN2050 (Abbildung 85). Der Anteil der Wärmepumpen ist hingegen um rund 4 Prozent­ punkte kleiner. Bei den NWG ist im Jahr 2030 der Anteil der fossilen Systeme an der Beheizungsstruk­ tur ebenfalls rund 4 Prozentpunkte höher als im Szenario KN2050. Demgegenüber stehen geringere Anteile bei Wärmepumpen, Biomasse und Fern­ wärme (Abbildung 86). Bis zum Jahr 2050 gleichen sich die Beheizungsstrukturen der beiden Szenarien an und es zeigen sich nur noch kleine Unterschiede. So sind die noch verbleibenden (fossilen) Restbe­ Da die Absätze fossiler Wärmeerzeuger weniger schnell rückläufig sind als im Szenario KN2050, verändert sich auch die Beheizungsstruktur im Gebäudebestand langsamer. Bei den Wohngebäuden ist im Jahr 2030 der Anteil der Gasheizungen an der beheizten Wohnfläche rund 4 Prozentpunkte und derjenigen der Ölheizungen 1 Prozentpunkt höher als Reduktion der Treibhausgasemissionen bei den Gebäuden (Mio. t CO₂-Äq.) im Szenario KNmin Abbildung 84 Gebäude -35 Raumwärme PHH -12 Raumwärme GHD -5,2 Warmwasser PHH 125 -1,4 Warmwasser GHD -0,5 Übrige Anwendungen PHH -1,7 Übrige Anwendungen GHD -42 Raumwärme PHH -18 Raumwärme GHD 70 -5,1 Warmwasser PHH -0,5 Warmwasser GHD Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung: Wärmenetze und Wärmepumpen -0,5 Übrige Anwendungen PHH Anlageneffizienz, Elektrowärme -2,3 Übrige Anwendungen GHD 1,5 2016 2030 Energetische Sanierungen, Umbau der Wärmeversorgung: Wärmenetze und Wärmepumpen 2050 Anlageneffizienz, Elektrowärme Hinweis: PHH = Private Haushalte, GHD = Gewerbe, Handel, Dienstleistungen Prognos (2020) 145 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Beheizungsstruktur Wohnfläche im Szenario KNmin Abbildung 85 100 90 80 11 5 13 1 5 12 70 15 2 [%] 2 7 28 18 2025 2018 4 60 20 0 3 50 41 24 25 41 8 48 30 10 22 35 51 40 20 3 20 6 60 50 17 8 22 9 10 1,7 2050 13 8 6 12 3 2030 2035 2040 2045 Heizöl Kohle Strom (direkt) Solarthermie Gas Biomasse Wärmepumpe Fernwärme Hinweis: Anteil der beheizten Wohnfläche in Prozent, Segment Wohngebäude. Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan Prognos (2020) Beheizungsstruktur Gebäudefläche im GHD-Sektor im Szenario KNmin 100 90 4 4 3 80 9 12 8 2 6 12 70 [%] 60 50 9 16 16 59 21 4 5 27 30 20 44 32 20 22 2018 23 16 16 12 8 6 4 9 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Heizöl Kohle Wärmepumpe Gas Biomasse Solarthermie Fernwärme Hinweis: Anteil der beheizten Nutzfläche in Prozent, Segment NWG, Gas: Erdgas inkl. Biomethan, 2050 ausschließlich Biomethan Prognos (2020) 146 33 53 30 0 29 3 16 40 10 22 2 12 67 Abbildung 86 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Gebäudesektor: Endenergieverbrauch nach Energieträgern im Szenario KNmin 1.000 900 13 945 56 885 9 35 14 71 800 [TWh] 700 600 500 58 18 80 269 257 80 6 0 83 22 89 101 2 353 288 228 2018 107 661 619 129 27 99 146 31 32 109 112 236 106 1 161 159 708 244 200 100 760 250 96 4 400 300 819 Abbildung 87 120 82 53 2025 2030 2035 230 223 107 99 31 2040 106 41 1 2045 Heizöl Kohle Strom Solarthermie Erdgas Biomasse Fernwärme Unweltwärme 105 2050 Hinweis: Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3) Prognos (2020) stände an Öl- und Gasheizungen in der Minimalva­ riante geringfügig höher. Die Zahl der betriebenen elektrischen Wärmepum­ pen steigt in der Minimalvariante bis zum Jahr 2030 auf annähernd 5 Millionen Anlagen (Szenario KN2050: 5,8 Millionen). Im Jahr 2050 sind in beiden Szenarien rund 14 Millionen Wärmepumpen in Betrieb. 4.4.3 E  ndenergieverbrauch und THG-Emissionen Aufgrund der weitgehend identischen Annahmen zur Effizienz unterscheidet sich die Entwicklung des Endenergieverbrauchs zwischen den beiden Szena­ rien nicht wesentlich. In der Minimalvariante verrin­ gert sich der Endenergieverbrauch des Gebäudesek­ tors bis zum Jahr 2050 um 34 Prozent auf 619 TWh (Abbildung 87). Treiber für den Rückgang sind auch in der Minimalvariante die effizienteren Gebäude, Anlagen und Elektrogeräte sowie im Sektor GHD der Rückgang an Erwerbstätigen. Getrieben durch die Veränderung der Beheizungs­ struktur nimmt der Anteil der fossilen Energieträger am Endenergieverbrauch von 55 Prozent im Jahr 2018 auf 38 Prozent im Jahr 2030 ab (Szenario KN2050: 35 Prozent). Wie im Szenario KN2050 sinkt der fossile Energieverbrauch bis zum Jahr 2050 auf nahezu null. Der Stromverbrauch verringert sich im Zeitraum 2018 bis 2030 um annähernd 20 TWh (minus 7 Prozent). Berücksichtigt ist dabei der Anstieg des Stromverbrauchs für Wärmepumpen. Dieser steigt von 6 TWh im Jahr 2018 über 25 TWh im Jahr 2030 (Hauptvariante: 30 TWh) auf 53 TWh im Jahr 2050 (Abbildung 88). Wie im Szenario KN2050 überwiegen jedoch die Effizienzsteigerungen bei Beleuchtung, IKT-Geräten und Haushaltsgeräten sowie der Rückgang des Stromverbrauchs konventioneller Elektroheizungen den Mehrverbrauch durch die Wärmepumpen. Insgesamt verringert sich der Stromverbrauch bis zum Jahr 2050 um rund 15 Pro­ zent gegenüber 2018. 147 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Gebäudesektor: Stromverbrauch nach Verwendungszwecken im Szenario KNmin 300 269 [TWh] 257 18 12 250 18 12 250 17 11 244 200 77 68 62 59 150 6 39 10 16 25 37 13 34 34 15 51 45 45 43 41 2018 2025 100 60 50 0 2030 236 17 11 17 10 57 42 30 17 23 19 38 31 Abbildung 88 230 223 18 10 18 10 56 55 48 53 17 21 25 10 23 21 38 36 34 33 2035 2040 2045 2050 Prozesswärme mechanische Energie RW und WW konv. Beleuchtung Prozesskälte Wärmepumpe Kühlen und Lüften IKT Hinweis:„Wärmepumpe“ beinhaltet den Stromverbrauch für den Betrieb der Wärmepumpe, „RW und WW konventionell“ beinhaltet den Stromverbrauch von konventionellen Stromdirektheizungen. „Mechanische Energie“ umfasst den Stromverbrauch gewerblicher Prozesse, aber auch den Stromverbrauch von Haushaltsgeräten, also Kühlschränken, Waschmaschinen, Geschirrspülern, Staubsaugern etc. Prognos (2020) Gebäudesektor: Endenergieverbrauch für Wärme nach Energieträgern im Szenario KNmin Abbildung 89 800 700 600 [TWh] 500 698 13 55 46 662 9 35 14 70 78 400 300 611 58 18 78 566 52 94 59 88 27 128 100 64 98 31 104 66 106 105 65 339 277 200 100 0 83 22 218 525 107 153 152 115 2025 2018 92 485 103 78 50 30 37 2030 2035 2040 2045 Heizöl Kohle Strom Solarthermie Erdgas Biomasse Fernwärme Umweltwärme 450 145 32 109 62 100 2050 Hinweis: Raumwärme und Warmwasser, Biomasse: feste und gasförmige. EEV Gebäude ohne bauwirtschaftlichen Verkehr und Landwirtschaft (vgl. Kapitel 2.3) Prognos (2020) 148 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nach Verwendungszwecken im Szenario KNmin 140 125 4 12 120 92 100 [Mio. t CO₂-Äq.] Abbildung 90 8 80 70 6 60 48 108 81 40 3 61 20 30 42 2 14 26 0 2016 sonstige 2025 2030 mechanische Energie 2035 Prozesswärme 2040 12 2 2045 2050 Warmwasser Raumwärme Prognos (2020) Der Endenergieverbrauch an Fernwärme, Biomasse, Solarthermie und Umweltwärme nimmt im Szenari­ enzeitraum 2018 bis 2050 zu. Die Zunahmen verlau­ fen bis zum Jahr 2030 etwas langsamer als im Szenario KN2050. Nach 2030 konvergieren die Verbrauchsentwicklungen, sodass sich im Jahr 2050 nur noch geringe Unterschiede bei der Höhe des Verbrauchs zeigen. Dies ist auf die dann annähernd identischen Beheizungsstrukturen zurückzuführen. Bei der Solarthermie zeigt sich eine sehr starke pro­zentuale Zunahme des Verbrauchs, in absoluten Werten bleibt der Verbrauch jedoch begrenzt. Die Solarthermie wird in Kombianlagen zur Erzeugung von Warmwasser genutzt; größere Anlagen dienen zudem der Heizungsunterstützung. Auch zur Regene­ ration von Erdwärmesonden können Solarthermiean­ lagen eingesetzt werden. Der Verbrauch an Umwelt­ wärme ist auf den Einsatz der elektrischen Wärme­pumpen zurückzuführen. Bei der im Gebäu­ desektor eingesetzten Biomasse handelt es sich überwiegend um feste Biomasse (Holz). Der Anteil des Biomethans am Biomasseverbrauch liegt bei 13 Pro­ zent bis 15 Prozent. Das Biomethan wird in den noch verbleibenden Gasheizungen eingesetzt. Längerfristig, mit dem fortschreitenden Ersatz der Restbestände, nimmt auch die Nachfrage nach Biomethan ab. Der Fernwärmeverbrauch steigt wie im Szenario KN2050 deutlich an, von über 80 TWh im Jahr 2030 auf 112 TWh im Jahr 2050. Strombasierte Energieträ­ ger werden in der Minimalvariante nicht im Gebäu­ desektor eingesetzt. Aufgrund der grundsätzlich identischen Annahmen zur Entwicklung der Gebäudeeffizienz unterscheidet sich der Rückgang des Energieverbrauchs für Raum­ wärme und Warmwasser in der Minimalvariante nicht wesentlich vom Hauptszenario. Insgesamt verringert sich der Wärmeverbrauch im Zeitraum 2018 bis 2050 um 36 Prozent (Abbildung 89). Der Rückgang bei der Raumwärme ist mit 37 Prozent höher als beim Warmwasser (minus 30 Prozent). Die Entwicklung der Energieträgerstruktur spiegelt die beschriebene Entwicklung der Struktur der Wär­ meerzeuger wider. Mittelfristig (2030) ist der Ver­ brauch an Erdgas und Heizöl in der Minimalvariante etwas höher als im Szenario KN2050, der Verbrauch an Umwelt- und Fernwärme, Strom sowie Biomasse hingegen geringer. Bis zum Jahr 2050 gleichen sich 149 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland die Verbrauchsstrukturen an, es zeigen sich nur noch geringe Unterschiede. In der Minimalvariante wird die Zielvorgabe erreicht, die THG-Emissionen des Gebäudesektors verringern sich bis zum Jahr 2030 auf 70 Mio. t CO2-Äq (Abbildung 90). Dies entspricht einer mittleren jährlichen Reduktion um 4,8 Prozent (Szenario KN2050: minus 5,4 Prozent). Im Jahr 2016 entfielen rund 70 Prozent der Emissionen des Gebäudesektors auf den Sektor Private Haushalte (Wohngebäude), der Rest auf den GHD-Sektor. Von den bis 2030 erzielten Reduktionen entfallen etwas über 70 Prozent auf die Privaten Haushalte, der Großteil davon im Bereich Raumwärme. Bis zum Jahr 2050 werden die THG-Emissionen auf nahezu null reduziert. Auch in der Minimalvariante sind die Restemissionen hauptsächlich auf den Einsatz der Biomasse und den damit verbundenen Emissionen an CH4 und N2O zurückzuführen. Die über den gesamten Zeitraum 2020 bis 2050 kumulierten THG-Emissionen sind im Hauptszena­ rio aufgrund des steileren Absenkpfads rund 7 Pro­ zent geringer als im Szenario KNmin. 4.5 Verkehr 4.5.1 Zielbild In der Minimalvariante wird das langfristige Ziel einer Dekarbonisierung bis 2050 beibehalten. Im Jahr 2030 stützt sie sich im Verkehrssektor auf das Ziel des Klimaschutzgesetzes mit Emissionen in Höhe von 95 Mio. t CO2-Äq. Die Veränderungen in der Szena­ rioausgestaltung gegenüber dem Szenario KN2050 liegen beim motorisierten Individualverkehr, der in diesem Szenario etwas weniger zurückgeht und etwas langsamer elektrifiziert wird. Die Neuzulassungen von Pkw werden über die Fortschreibung der EU-Flottengrenzwerte bezie­ hungsweise über flankierende nationale Instru­ 150 mente so gesteuert, dass auch im Jahr 2030 und im Jahr 2035 - bei durchschnittlichen CO2-Emissionen von 65 und 10 g/km (WLTP) - noch ein geringer Anteil an verbrennungsmotorischen Antrieben zugelassen wird. Dies führt zu einem etwas ver­ langsamten Hochlauf bei den Elektrofahrzeugen. Um das im Klimaschutzprogramm verankerte Ziel von einem Drittel elektrischer Fahrleistung der Lkw zu erreichen, unterscheiden sich die Zielbilder der Szenarien KN2050 und KNmin im Güterverkehr nicht voneinander. 4.5.2 Verkehrsnachfrage Die Abbildung 91 zeigt, dass sich insgesamt die Personenverkehrsnachfrage kaum verändert. Die Pkw-Fahrleistung nimmt jedoch durch eine Ver­ lagerung auf den Schienenverkehr, den öffentlichen Straßenverkehr und den Rad- und Fußverkehr sowie eine deutlich höhere Auslastung der Fahr­ zeuge unter anderem durch Pooling-Angebote bis 2030 um 11 Prozent und bis 2050 um 37 Prozent ab. Auch im Szenario KNmin ist damit eine deutliche Trendumkehr notwendig. Die Pkw-Fahrleistung liegt in 2030 rund zwei Prozent höher als im Szenario KN2050. Die Güterverkehrsnachfrage ist in allen Szenarien identisch. Wie im Szenario KN2050 steigt diese bis 2050 auf 896 Mio. t. Bis zum Jahr 2030 werden 190 Mrd. tkm auf der Schiene transportiert, im Jahr 2050 beträgt die Schienentransportleistung 230 Mrd. tkm. 4.5.3 Neuzulassungen und Bestand Die Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen steigen etwas langsamer als im Szenario KN2050. Im Jahr 2030 besteht dennoch über die Hälfte der Neuzulas­ sungen bereits aus elektrischen Pkw und auch in die­ sem Szenario werden die Ziele der derzeitig gültigen EU-Flottengrenzwerte im Jahr 2025 mit 34 Prozent und 2030 mit 52 Prozent spezifischer Emissionsmin­ derung übertroffen. Im Bestand werden so im Jahr 2030 rund 11 Millionen Elektrofahrzeuge erreicht. Im STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Personen- und Güterverkehrsnachfrage im Szenario KNmin 1.400 [Mrd. Pkm] 73 64 111 84 77 155 91 92 191 800 104 115 117 129 245 282 600 400 931 897 853 2025 2030 764 675 2040 2050 200 0 2016 [Mrd. tkm] 1.200 1.000 Abbildung 91 1.000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 69 75 54 128 60 63 167 190 480 501 503 547 591 2016 2025 2030 2040 2050 210 Fuß/Fahrrad Schienenverkehr Luftfracht Schiene Flugverkehr Pkw Binnenschiff Straße 230 Öffentlicher Straßenverkehr Öko-Institut (2020) Umkehrschluss bedeutet das, dass zusätzlich zu den derzeit gültigen EU-Flottengrenzwerten auch im Szenario KNmin weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das derzeitige Sektorziel Verkehr zu erreichen. Nach 2035 werden nur noch minimale Mengen an Verbrennern in Nischenanwendungen zugelassen. Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge (PHEV) verbleiben zunächst auf einem niedrigen Niveau in den Neuzu­ lassungen. Im Jahr 2050 befinden sich noch rund 2 Millionen konventionelle Pkw und rund 4 Millionen PHEV im Bestand. Eine Herausforderung bei Plug-in-Hybriden ist, dass deren elektrischer Fahranteil und damit auch das CO2-Einsparpotenzial sehr stark abhängt von der Reichweite der Batterie, dem Ladeverhalten und dem Fahrprofil des Nutzers. Bei der Bestimmung der offiziellen CO2-Werte nach WLTP werden hohe elektrische Fahranteile von rund 60 Prozent (bei 30 km Reichweite) bis 85 Prozent (bei 80 km Reich­ weite) angenommen, um die mittleren CO2-Emissio­ nen der Fahrzeuge zu berechnen. Datenauswertungen auf Basis unter anderem von Spritmonitor-Daten zeigen jedoch, dass der tatsächliche elektrische Fahranteil derzeit bei 45 bis 50 Prozent für private Pkw und 7 bis 17 Prozent für Dienstwagen liegt (Plötz et al. 2020). Bei täglicher Ladung des Fahrzeugs ergeben sich auf Basis der Fahrprofile aus dem Mobilitätspanel bei heutigen Batteriekapazitäten elektrische Fahranteile von gut 70 Prozent für private Pkw und 50 Prozent für Dienstwagen. Im Szenario wird davon ausgegangen, dass Maßnahmen umge­ setzt werden, die – bei steigender Batteriekapazität und dem Aufbau einer Schnellladeinfrastruktur – zukünftig einen elektrischen Fahranteil von 75 Pro­ zent gewährleisten. Kann dieser elektrische Fahran­ teil nicht erreicht werden, muss der Anteil rein elektrischer Pkw ansteigen, damit die Gesamtemissi­ onen im Verkehr nicht ansteigen. 4.5.4 THG-Emissionen und Endenergie Durch die Veränderung der Verkehrsnachfrage und den Einsatz alternativer Antriebstechnologien sinkt der nationale Endenergiebedarf von rund 655 TWh im Jahr 2016 auf rund 235 TWh im Jahr 2050, er liegt damit aber um 7 TWh höher als im Szenario KN2050. Das hängt damit zusammen, dass zum einen die Pkw-Verkehrsnachfrage leicht höher liegt und zum anderen der Restbestand an Verbrenner-Pkw im Jahr 2050 aufgrund des verzögerten Umstiegs auf voll­ elektrische Pkw höher ist. Dadurch werden im Jahr 2050 für den nationalen Verkehr 8 TWh mehr 151 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Neuzulassungen und Bestand Pkw im Szenario KNmin 60 45 50 85 34 90 Anzahl [Mio.] 32 100 74 40 31 30 44 30 30 Diesel 0 Benzin 46 42 7 7 7 12 30 4 24 19 15 14 12 8 2016 52 4 0 PHEV 32 20 20 BEV 37 8 26 2050 0 2045 2030 2025 2016 0 3 2 2040 15 4 40 10 29 10 49 1 3 2040 55 49 25 2 1 2050 50 2045 0 25 60 20 21 2035 Anteil an NZL [%] 70 22 10 2035 90 80 14 2030 13 2025 100 Abbildung 92 FCEV Öko-Institut (2020) Endenergiebedarf und Treibhausgasemissionen national nach Verkehrsträgern im Szenario KNmin 182 100 fossil bio Öko-Institut (2020) 152 2035 2030 2025 2016 0 elektrisch 156 8 62 PtL 167 168 20 94 80 60 35 49 107 40 76 20 15 53 6 14 5 0 H₂ 22 31 2045 19 40 27 50 100 2040 346 38 26 120 2035 200 31 10 133 2030 122 492 51 2025 613 140 2016 300 22 11 166 160 2050 1 4 74 38 400 Treibhausgasemissionen [Mio. t CO₂-Äq.] 31 41 500 2045 Endenergiebedarf [TWh] 600 180 13 30 2040 700 Abbildung 93 Pkw Straßengüterverkehr Binnenschiff Schienengüterverkehr ÖV Luft STUDIE | Klimaneutrales Deutschland strombasierte Kraftstoffe benötigt, um diesen klimaneutral zu gestalten. Im Gegenzug liegen die Strommengen, die für die direkte Elektrifizierung des Straßenpersonenverkehrs benötigt werden, in 2030 um 4 TWh und in 2050 um 1 TWh niedriger. 95 Mio. t im Jahr 2030 wird mit 94 Mio. t CO2-Äq knapp übererfüllt. Wie im Szenario KN2050 ist der Verkehr bis 2050 klimaneutral. Die verschiedenen CO2-Vermeidungsstrategien tragen im Szenario KNmin unterschiedlich stark zur Treibhausgasminderung im Verkehrssektor bei. So liegt der Anteil der Mobilitätswende an den 72 Mio. t Minderung zwischen 2016 und 2030 bei 23 Prozent, der Beitrag durch eine Verlagerung auf den Schie­ Der deutliche Rückgang des Einsatzes fossiler Kraftstoffe führt zu einem ebenso deutlichen Rück­ gang der THG-Emissionen bis 2030. Das Sektorenziel des Klimaschutzgesetzes für den Verkehr von Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr im Szeanrio KNmin (Mio. t. CO₂-Äq.) Abbildung 94 Verkehr Mobilitätsverhalten Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV, Rad, Fuß. Mobilitätsverhalten Änderung im Mobilitätsverhalten, mehr ÖV, Rad, Fuß und die gleichzeitige Nutzung von Fahrzeugen über Pooling-Angebote. Verlagerung auf Schienengüterverkehr Deutliche Verlagerung auf den Schienengüterverkehr. 166 Technologien Pkw Nahezu vollständige Elektrifizierung des Pkw-Bestandes, Rest an verbrennungsmotorischen Fahrzeugen wird mit synthetischen Kraftstoffen betrieben. Technologien Lkw 30 % der Fahrleistung von Lkw wird elektrisch erbracht. -16 -39 94 -5 -12 Technologien Lkw Lkw werden über Batterien, Oberleitungen oder Brennstoffzellen vollständig elektrisch betrieben. -19 Technologien Pkw Schnelle Marktdurchdringung E-Pkw, gut die Hälfte der neu zugelassenen Pkw in 2030 sind elektrisch. -38 -7 0 2016 2030 -29 2050 Verlagerung auf Schienengüterverkehr Weitere Verlagerung auf den Schienengüterverkehr und Abnahme von Gütertransporten in einer klimaneutralen Welt. Öko-Institut (2020) 153 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland nengüterverkehr bei 7 Prozent. Den größten Anteil hat die Elektrifizierung von Pkw mit 54 Prozent, gefolgt von der Elektrifizierung des Straßengüterver­ kehrs mit rund 17 Prozent. Das Bild setzt sich zwi­ schen 2030 und 2050 fort. Rund 40 Prozent (38 Mio. t CO2-Äq) der Treibhausgasminderung hin zur Klimaneutralität des Verkehrssektors trägt die Elektrifizierung des Pkw-Bestandes bei, kombiniert mit sehr geringen Mengen synthetischer Kraftstoffe für den Restbestand an Pkw mit Verbrennungsmoto­ ren. Durch eine weitere Verlagerung auf umwelt­ freundlichere Verkehrsträger im Personenverkehr, aber auch durch eine Steigerung der Auslastung von Fahrzeugen unter anderem durch Pooling-Angebote können weitere 19 Mio. t CO2-Äq reduziert werden. Der Beitrag des Güterverkehrs setzt sich zusammen aus 7 Mio. t CO2-Äq durch eine weitere Verlagerung auf die Schiene und 29 Mio. t CO2-Äq durch die vollständige Elektrifizierung von Lkw über Oberlei­ tungen, Batterien oder Brennstoffzellen. 4.6 Landwirtschaft, LULUCF, Abfall 4.6.1 Landwirtschaft Zielbild und Annahmen Bis zum Jahr 2030 muss der Landwirtschaftssektor die Ziele des Klimaschutzgesetztes erfüllen. Das entspricht einer Minderung gegenüber 2018 von 12 Mio. t CO2-Äq. Im Landwirtschaftssektor sind die technischen Minderungspotenziale begrenzt, weitreichende Minderungen sind nur infolge von strukturellen Änderungen der landwirtschaftli­ chen Produktion zu erreichen (Ausweitung Öko­ landbau, Umstellung auf Kulturarten mit geringe­ rem Stickstoffbedarf, Reduktion der Tierbestände). Daher entspricht die Minimalvariante dem KN2050-Szenario und es wurde kein weiteres Szenario gerechnet. Treibhausgasemissionen Bis zum Jahr 2030 sinken in diesem Szenario die Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor inklusive der energiebedingten Emissionen gegenüber 2018 um 11,7 Mio. t CO2-Äq (siehe Abbildung 95). Die größten Minderungen gegenüber 2018 ergeben sich Emissionen aus der Landwirtschaft im Szenario KNmin 80 72,9 70 6,4 4,4 [Mio. t CO₂-Äq.] 60 50 27 69,7 6,2 4,5 62,9 5,5 4,0 25 22 40 20 9,6 Abbildung 95 9,3 58,0 4,8 3,6 54,8 3,8 3,3 0 48,1 44,0 1,5 2,8 0,1 2,2 18 17 19 18 7,2 5,9 5,3 4,8 4,2 3,3 26 25 24 24 23 23 22 22 2016 2018 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Verdauung Wiederkäuer Landwirtschaftliche Böden Wirtschaftsdüngermanagement Sonstige UBA, Öko-Institut (2020) 154 2,9 3,0 20 20 20 51,7 Energiebedingte Emissionen STUDIE | Klimaneutrales Deutschland im Bereich der landwirtschaftlichen Böden durch eine Reduktion der Stickstoffeinträge (rund 4,4 Mio. t CO2-Äq). Weitere Minderungseffekte lassen sich im Bereich des Wirtschaftsdüngermanagements infolge einer verbesserten Lagerung und Ausweitung der Vergärung erzielen (jeweils 3,4 Mio. t CO2-Äq). Der Umbau der Tierbestände (Rückgang der Rinderund Schweinebestände, Ausweitung der Geflügelbe­ stän­de) führt gegenüber 2018 zu einer Minderung von 1,5 Mio. t CO2-Äq. 4.6.2 Abfallsektor Zielbild und Annahmen Im Abfallsektor entspricht die Minimalvariante dem KN2050-Szenario. Damit werden die Ziele des Klimaschutzgesetztes bis zum Jahr 2030 erfüllt. Ein weiteres Szenario wurde im Abfallsektor nicht berücksichtigt. Ergebnisse Bis zum Jahr 2030 sinken die Emissionen aus dem Abfallsektor von 9,7 Mio. t im Jahr 2018 auf 4,8 Mio. t CO2-Äq. Die wesentlichsten Minderungen entfallen auf den Bereich der Deponierung. Durch das Deponierungsverbot für organische Abfälle seit dem Jahr 2005 sinken die Emissionen aus der Deponie­ rung seit Jahren. Zudem führt die Ausweitung der Deponiebelüftung zu einer schnelleren Reduktion der Methanemissionen. Insgesamt sinken die Emissionen aus der Deponierung zwischen 2018 und 2030 um 4,6 Mio. t CO2-Äq. Im Bereich der biologischen Abfallbehandlung führen der Bevölkerungsrückgang, die Reduktion der Lebensmittelabfälle und eine Verbesserung der Biogas- und Kompostierungsanla­ gen zu einer Reduktion der Emissionen gegenüber 2018 von minus 0,3 Mio. t CO2-Äq. Im Bereich der Abwasserbehandlung führen der Bevölkerungsrück­ gang und die Optimierung des Abwassermanage­ ments ebenfalls zu einem Emissionsrückgang. 4.6.3 LULUCF Zielbild und Annahmen Im LULUCF-Sektor lassen sich Änderungen in der Waldsenke und die Wiedervernässung der organi­ schen Böden nur langfristig erreichen. Daher wurde für den LULUCF-Sektor kein KNmin-Szenario gerechnet, sondern die Ergebnisse des Szenarios KN2050 wurden übernommen. Ergebnisse Wie in Kapitel 3.6.3 dargestellt wird der LULUCF-Sektor unter Maßgabe der modellierten Emissionen aus dem Abfallsektor im Szenario KNmin [Mio. t CO₂-Äq.] 12 10 10,7 1 1,0 8 9,7 1 1,0 6 4 9 6,6 1 0,9 4,8 1 0,8 8 5 2 0 3 2016 Abbildung 96 2018 Abfalldeponierung 2025 2030 Biologische Abfallbehandlung 3,5 0,9 0,8 1,8 2035 2,9 0,8 0,7 2,3 1,3 0,7 0,7 0,9 2040 2045 Abwasserbehandlung 2,0 0,6 0,7 0,6 2050 Sonstige UBA, Öko-Institut (2020) 155 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Maßnahmen bis 2040 eine leichte Quelle. Danach überwiegt die CO2-Fixierung in Wäldern gegenüber Emissionen auf Acker- und Grünland, Feuchtgebie­ ten und Siedlungen, sodass im LULUCF-Sektor eine Senkenleistung von minus 10 Mio. CO2-Äq in 2050 erreicht wird (Abbildung 64). 4.7 Negative Emissionen und CCS Im Jahr 2050 entstehen im Szenario KNmin (ebenso wie im KN2050-Szenario) Restemissionen in Höhe von 62 Mio. t CO2-Äq, die zur Erreichung des NettoNull-Ziels durch negative Emissionen kompensiert werden müssen (vgl. Abbildung 67). Die prinzipiellen Möglichkeiten für CO2-Abschei­ dung und -Speicherung sowie für negative Emissio­ nen wurden im Kapitel 3.8 Negative Emissionen und CCS für das KN2050-Szenario beschrieben. Im KNmin-Szenario werden dieselben Strategien für negative Emissionen wie im KN2050-Szenario angewendet und erreichen dadurch im Jahr 2050 folgende Mengen: → BECCS: Durch Abscheidung und geologische Speicherung von biogenem CO2 werden negative Emissionen im Umfang von 34 Mio. t CO2 erzeugt. Hiervon entfallen 20 Mio. t CO2 auf die Dampfbe­ reitstellung in der chemischen Industrie, 13 Mio. t CO2 auf die Bereitstellung von Hochtem­ peraturwärme in der Stahlindustrie und 2 Mio. t CO2 auf Anlagen der Zement-, Kalk- und Glasindustrie. → DACCS: Durch Abscheidung und Speicherung von CO2 direkt aus der Umgebungsluft werden 19 Mio. t CO2 aus der Atmosphäre entfernt und der permanenten geologischen Speicherung zugeführt. → Grüne Polymere: Durch die Bindung von zuvor aus der Atmosphäre entnommenen Kohlenstoffs in Kunststoffen werden negative Emissionen in Höhe von 8 Mio. t CO2 erzielt. 156 Von den genannten CO2-Mengen werden 56 Mio. t CO2 geologisch gespeichert. Zusätzlich werden 18 Mio. t CO2 aus prozessbedingten Emissionen, aus der ther­m ischen Verwertung von Abfällen (ohne biogene Anteile) und Restchemikalien sowie an den Steam­crackern der chemischen Industrie abge­ schieden und geologisch gespeichert. Insgesamt werden somit im Jahr 2050 73 Mio. t CO2 geologisch gespeichert. Im Zielbild sind beide Szenarien identisch. Auf dem Pfad zur Klimaneutralität wurden jedoch zwischen den Szenarien leichte Unterschiede beim Zeitpunkt der Markteinführung von CO2-Abscheidung in der Zementindustrie angenommen. Die Zementindus­ trie nimmt im KNmin-Szenario vor 2030 noch keine Investitionen in CO2-Abscheidung vor, entsprechend spielt CCS vor 2030 in diesem Szena­ rio auch insgesamt noch keine Rolle. Die Nachrüs­ tung von CO2-Abscheidetechnologien erfolgt an einigen Zementklinkeröfen unter Berücksichtigung der Rein­vesti­tions­zyklen im KNmin-Szenario erst 20 Jahre später als im KN2050-Szenario (vgl. Kapitel 4.3 Industrie), sodass für den Zeitraum 2030 bis 2045 um circa 1 Mio. t CO2 pro Jahr verringerte CCS-Mengen resultieren. In dem KNmin-Szenario erfolgen Investitionen in CO2-Abscheidung an allen Industriestandorten erst im Zuge eines Anschlusses der Standorte an ein CO2-Pipeline-Netz. Ein Einsatz von Binnenschiffen für den Abtransport des CO2 im frühen Stadium des CO2-Infrastrukturaufbaus ist somit nicht vorgesehen. 4.8 Wasserstoff Bis 2030 spielt treibhausgasneutraler Wasserstoff im Szenario KNmin zunächst eine kleinere Rolle (vgl. Abbildung 97): Die Nachfrage von 18 TWh ist um rund 45 TWh geringer als im Szenario KN2050. Es werden 20 TWh weniger in Kraft- und Heizwerken, 13 TWh weniger bei Stahl, 7 TWh weniger zur STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasfreie Wasserstofferzeugung und Nutzung in Deutschland im Szenario KNmin Wasserstoffnachfrage 150 104 98 100 Strom, Fernwärme Mineralölverarbeitung Straßengüterverkehr Roheisen, Stahl Grundstoffchemie Papier 18 9 9 28 2035 0 1 Importe 5 4 126 3 2 70 50 53 183 168 154 2050 23 1 2025 31 38 2045 18 32 15 22 2035 50 24 2040 100 98 6 164 2030 47 7 [Millionen Tonnen] 32 150 200 8 38 51 83 1 0 2050 40 2045 42 219 36 2025 164 250 Heizwert [TWh] 200 2030 Heizwert [TWh] 266 33 219 9 300 266 250 0 Wasserstofferzeugung 2040 300 Abbildung 97 Wasserelektrolyse (Inland) restliche Metalle Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020). Ohne fossil erzeugten Wasserstoff. Dampferzeugung und 5 TWh weniger in sonstigen Prozessen eingesetzt. Dementsprechend läuft auch die inländische Wasser­ stoffproduktion deutlich langsamer an und liegt bis 2030 mit 9 TWh Heizwert bei etwa der halben Menge des KN2050-Szenarios. Auch der Importbedarf nach treibhausgasneutralem Wasserstoff fällt mit 9 TWh deutlich geringer aus (44 TWh im Szenario KN2050). Zusammen mit dem importierten Naphtha ergibt sich für 2050 insgesamt ein Bedarf an Wasserstoff und sonstigen erneuerbar erzeugten Brennstoffen und Feedstocks in Höhe von 438 TWh, von denen 355 TWh importiert werden. Der Zuwachs in den Jahren nach 2030 fällt im KNmin-Szenario umso steiler aus, weil die Umstel­ lung der Prozesse ebenso wie im KN2050-Szenario umgesetzt wird, nur einige Jahre später. Im Zieljahr 2050 liegt der Wasserstoffbedarf mit 266 TWh fast gleichauf mit dem Bedarf im KN2050-Szenario mit 83 TWh (31 Prozent) inländischer Deckung und 183 TWh (69 Prozent) Importbedarf. 157 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 158 STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 5 Schlussfolgerung Die untersuchten Szenarien zeigen, dass Deutschland bis 2050 durch die konsequente Anwendung von zum größten Teil heute schon verfügbaren oder weit entwickelten Technologien klimaneutral werden kann. Im zusammenfassenden Überblick ergibt sich aus den Analysen für das Szenario Klimaneutralität 2050 (KN2050) sowie die Minimalvariante KNmin mit Blick auf die Entwicklung der Treibhausgasemissio­ nen im Zeitverlauf eine Reihe hervorhebenswerter struktureller Aspekte. Die Entwicklung kann in folgende drei Schritte eingeteilt werden: → Die Periode 2018 bis 2030 ist vor allem durch sehr große relative und absolute Minderungsbeiträge im Bereich der Energiewirtschaft geprägt. Deutliche Rückgänge gibt es auch bei der Industrie, im Verkehr und im Gebäudesektor, während in der Landwirtschaft nur relativ geringe Einsparungen zu verzeichnen sind. In Summe sinken die Treib­ hausgasemissionen in den betrachteten Szenarien im Vergleich zu 1990 um 61 beziehungsweise 65 Prozent. → In der Periode 2031 bis 2050 werden die energiebe­ dingten Treibhausgasemissionen in allen Sektoren nahezu völlig vermieden werden. Es verbleiben Restemissionen in der Größenordnung von 5 Pro­ zent bezogen auf den Ausgangswert von 1990. Diese kommen vor allem im Landwirtschaftssektor durch biologische Prozesse in Böden (Düngemittel), bei der Tierhaltung sowie auch bei industriellen Prozessen und in der Abfallwirtschaft zustande. → Die restlichen Emissionen werden vorwiegend durch den Einsatz von Biomasse-CCS, Direct Air Carbon Capture and Storage und der stofflichen Bindung von CO₂ in grünen Polymeren kompen­ siert, sodass Deutschland im Saldo der Emissionen 2050 klimaneutral ist. Im Vergleich zwischen dem Szenario KN2050 und der Minimalvariante KNmin wird deutlich, dass die einzelnen Sektoren in der Minimalvariante zwar in der kommenden Dekade etwas geringere Emissions­ minderungen erbringen müssen, die Reduktionsan­ forderungen nach 2030 dann aber deutlich schärfer ausfallen. Insbesondere die Industrie und die Ener­ giewirtschaft müssen in der Minimalvariante nach 2030 deutlich stärkere Emissionsminderungen als im KN2050-Szenario erbringen. Das KN2050-Szenario mit seinem größeren Reduktionsschritt bis 2030 bildet so die langfristig robustere Variante. In Hinblick auf die Energienachfrage und -bereit­ stellung lassen sich drei zentrale Handlungsfelder identifizieren: → Eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz in allen Anwendungsbereichen und für alle Energie­ träger bildet die erste Säule der Transformation. Bis zum Jahr 2050 sinkt durch die gewählten Maßnahmen der Endenergieverbrauch um 35 Prozent und es ergibt sich eine Halbierung des Primärenergieverbrauchs. → Die Umstellung der Stromerzeugung auf regenera­ tive Energien, insbesondere auf Basis von Wind­ kraft und Photovoltaik, bei einer gleichzeitig deutlich ausgeweiteten Elektrifizierung des Energiesystems bildet die zweite Säule der Klima­ neutralität. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien an sich, ist die Flexibilisierung des Stromsystems und der Ausbau der Leitungsinfra­ struktur notwendig und muss maßgeblich in der kommenden Dekade initiiert werden. → Die dritte Säule bildet schließlich die Einführung von Wasserstoff und wasserstoffbasierten synthe­ tischen Kraftstoffen. Hier können erste signifi­ kante Marktsegmente bereits bis zum Jahr 2030 entwickelt werden, die wesentliche Wachstums­ dynamik wird sich hier jedoch erst in der Periode nach 2030 entfalten. Neben den notwendigen Infrastrukturvorleistungen sowie der Ausgestal­ tung eines entsprechenden Marktes entsteht hier zusätzlicher strategischer Handlungsbedarf mit 159 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Blick auf das Durchlaufen der Lernkurve zur Erzielung von Kostensenkungen sowie die ­Schaffung technischer und regulativer Strukturen für den Import von klimaneutral und nachhaltig bereitgestelltem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch darauf, dass die Markt- beziehungsweise Wertschöpfungsanteile der deutschen Industrie an transformativen Technologiebeziehungsweise Emissionsminderungsoptionen maßgeblich davon abhängen, ob der Hochlauf dieser Optionen insbesondere in der Industrie sehr ambitio­ niert (KN2050) oder deutlich verzögert (KNmin) geschieht, beziehungsweise wie schnell die dafür notwendigen Voraussetzungen (Niveau der regenera­ tiven Stromerzeugung, Lernkurven, Infrastrukturen etc.) geschaffen werden. Neben diesen drei zentralen Säulen der Systemtrans­ formation bilden vor allem drei querliegende Themen Handlungsfelder von herausragender Bedeutung: → Das Aufkommen, die Umwandlung und die Ver­ wendung von Biomasse betrifft erstens die Landund Forstwirtschaft und die dort erzielbaren Klimaentlastungen und Nachhaltigkeitsfragen. Zweitens müssen die Nutzungsstrukturen für die Biomasse mit Blick auf zukünftige Strom- und Wasserstoffanwendungen, aber auch mit Blick auf die Schaffung von technischen Senken über die Nutzung von Biomasse in zentralen Erzeugungs­ anlagen mit angeschlossener CCS-Stufe aus einer strategischen Perspektive adressiert werden. Drittens bildet die Nutzung von Biomasse als Rohstoff für die Industrie ein wesentliches Feld für die Defossilisierung der Volkswirtschaft. Eine Zusammenführung dieser Anforderungen und Möglichkeiten in einer konsistenten Biomasse­ strategie ist unerlässlich → Kreislaufprozesse sind sowohl für Kohlenstoff als auch für eine Vielzahl von anderen Stoffen mit Blick auf die vollständige Vermeidung von Treibhausgas­ emissionen beziehungsweise zur Erzielung einer 160 Netto-Null-Emissionsbilanz für die deutsche Volkswirtschaft von herausragender Bedeutung. Dies betrifft vor allem eine Vielzahl von Industrie­ prozessen, aber auch die Energieversorgung. Die Schaffung solcher branchenübergreifender Kreis­ laufprozesse und von entsprechenden regulativen Marktarrangements bedarf ebenfalls einer über­ greifenden strategischen Steuerung. → CCS wird zur Erreichung von Klimaneutralität im Sinne von Netto-Null-Emissionen für Treibhaus­ gase eine begrenzte, aber gleichwohl kaum ver­ zichtbare Rolle spielen müssen. Hier sind Infra­ strukturen, aber auch räumliche Fragen von erheblicher Bedeutung. Die Verfügbarkeit von CO₂-Infrastrukturen und entsprechender Ablage­ rungsstätten bildet zukünftig eine zentrale Stand­ ortbedingung für eine Reihe von Industriebran­ chen wie auch die Bereitstellung von Biomasse. In diesem Kontext bildet auch die Erzielung massiver Lernkurveneffekte für die Technologie der CO₂-Abscheidung aus der Atmosphäre eine wichtige Erfolgs­bedingung für die Erzielung von Klimaneutralität. Nicht zuletzt ist auf die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft und des LULUCF-Bereichs hinzu­ weisen, denen vor allem gegen Ende des Szenario­ zeitraums eine strategische Bedeutung zukommt. Dies gilt einerseits mit Blick auf die verbleibenden Treibhausgasemissionen, andererseits aber auch mit Blick auf die Rolle dieser Sektoren im Bereich der strategischen Ressource Biomasse sowie auf die signifikante Rolle von Emissionssenken in einer klimaneutralen Volkswirtschaft. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 6 Literatur Acatech et al. (2017): »Sektorkopplung« – Untersuchungen und Überlegungen zur Entwicklung eines integrierten Energiesystems. Analyse. Energie­systeme der Zukunft https://www.acatech.de/publikation/sektorkopp­ lung-untersuchungen-und-ueberlegungen-zur-ent­ wicklung-eines-integrierten-energiesystems/ Agora (2019): Agora Energiewende, Agora Verkehrs­ wende: Verteilnetzausbau für die Energiewende Elektromobilität im Fokus. 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Pump­ speicher, Speicherwasserkraftwerke und Batterie­ speicher nutzen Spreads in den Strompreisen, um ihren Ertrag zu maximieren. Der Stromaustausch zwischen den einzelnen Ländern wird auf Basis der modellierten stündlichen Groß­ handelspreise und der vorhandenen Übertragungs­ kapazitäten in einem iterativen Verfahren abgebildet. Wie am realen Strommarkt glätten Im- und Exporte im Modell die Preise in den einzelnen Ländern, einseitige Preisausschläge werden im Rahmen der Strommarktkopplung reduziert. Die Stilllegung von thermischen beziehungsweise regelbaren Kraftwerken erfolgt in der Regel am Ende der technischen Lebensdauer. Anhand von techni­ schen und wirtschaftlichen Kriterien wird be­ stimmt, ob lebensverlängernde Retrofitmaßnahmen oder auch vorzeitige Stilllegungen aus wirtschaftli­ chen Gründen vorgenommen werden. Der Zubau für Kraftwerke erfolgt entweder anhand technischer Notwendigkeiten (zum Beispiel Deckung der Nach­ frage) oder an­hand von Wirtschaftlichkeitskrite­ rien. Für neu in den Kraftwerkspark kommende Kapazitäten wird dabei zunächst ihre Position in der Merit Order ermittelt. Davon ausgehend wird die Erlös- und Kostensituation berechnet. Erneuerbare Energien können entweder nach exogenen Vorgaben unter Berücksichtigung der bestehenden Potenziale oder anhand der sich er­gebenden Wirtschaftlichkeit zugebaut werden. Für alle Technologien werden Kosten, Lebensdauer, zu er­wartender Ertrag und weitere Parameter geprüft. Die Stromproduktion wird anhand von meteorologi­ schen Reanalyse-Wetterdaten stündlich simuliert und für vergangene Jahre mit empirischen Einspei­ sezeitreihen verifiziert. Die Simulation erfolgt für unterschiedliche Wetterjahre. Weiterhin ist die technologische Entwicklung der Anlagen, wie beispielsweise die Veränderung der Leistungskenn­ linien und der Modulwirkungsgrade, in den simu­ lierten Einspeisezeitreihen mit einbezogen. Ein besonderer Fokus liegt auch auf der Modellierung der Stromnachfrage. Der jährliche Strombedarf wird in Nachfragesektoren nach Anwendungen und Branchen modelliert. Die jährliche Stromnachfrage wird dann in stündliche Lastprofile überführt. Hierbei ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden: Inflexible Verbraucher können nicht auf Strom­ marktsignale reagieren, deren Verbrauchsprofil ist somit vorgegeben. Flexible Verbraucher können hingegen auf Strommarktsignale reagieren (unter Berücksichtigung der wesentlichen Anlagenparame­ ter), den Verbrauch verschieben und somit Flexibilität für das Stromsystem zur Verfügung stellen. Die Modellierung der flexiblen Verbraucher erfolgt unter Annahme des möglichen Lastverschiebungspoten­ zials, insbesondere von Wärmepumpenheizungen, Elektrofahrzeugen und Elektrolyseuren. Als Ergebnis der stündlichen Modellierung liefert das Strommarktmodell Stromerzeugung, THG-Emissio­ 167 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland nen, Brennstoffeinsatz, Großhandelsstrompreise sowie die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der einzelnen Kraftwerksblöcke. 7.1.2 Private-Haushalte-Modell Im Modell Private Haushalte der Prognos wird die Energienachfrage im Sektor Private Haushalte differenziert nach Energieträgern und Verwendungs­ zwecken analysiert und in die Zukunft fortgeschrie­ ben. Das Modell wird sowohl für Ex-post-Analysen des Energieverbrauchs als auch für in die Zukunft reichende Prognosen und Szenarien eingesetzt und stetig weiterentwickelt. Als übergeordnete Verwendungszwecke werden Raumwärme, Warmwasser, Kochen sowie der Strombedarf für Haushaltsgeräte, Haustechnik und Beleuchtung unterschieden. Rund 80 Prozent des Energieverbrauchs im Sektor Private Haushalte wird für Raumwärme und Warmwasser aufgewendet. Entsprechend erhält dieser gebäudebezogene Ener­ gieverbrauch auch bei der Modellierung eine hohe Bedeutung. Beim Wohngebäudemodell handelt es sich um ein Bottom-up-basiertes Kohortenmodell mit einer historischen Fortschreibung von Wohnungen und Wohnflächen. Dabei werden die Wohnflächen differenziert berechnet nach: → Gebäudetypen (Ein- und Zweifamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Nichtwohngebäude mit Wohnungen), → Gebäudealtersklassen (Baualter) und → Beheizungsstrukturen nach Energieträgern. Bei den Heizsystemen werden Einzelheizsysteme mit den Energieträgern Elektrizität, Heizöl, Erdgas, Holz und Kohle, Zentralheizungen mit den Energieträgern Elektrizität, Heizöl, Erdgas, Holz, Kohle sowie elektri­ sche Wärmepumpen und Nah- und Fernwärme betrachtet. Zusätzlich wird berücksichtigt, dass gleichzeitig mehrere Energieträger genutzt werden können. Für die Modellierung werden diese ­bivalenten Anlagen als Vereinfachung als Vollver­ sorgungsäquivalente abgebildet. 168 Für die rekursive Bestandsfortschreibung gehen in das Modell spezifische Annahmen über Wohnungsund Wohnflächenzugänge und ihre Beheizungs­ strukturen sowie über Wohnflächenabgänge (Vertei­ lung nach Gebäudetypen und -altersklassen) ein. Zentrale Leitvariable für die Fortschreibung der Wohnungen und Wohnflächen ist die Bevölkerung, insbesondere die Zahl der Haushalte. Die energeti­ sche Qualität der Wohnflächen wird durch gebäudeund baualtersklassenspezifische Heizwärmebedarfe abgebildet. Diese verändern sich im Zeitablauf aufgrund von Wohnungsabgängen und -zugängen sowie durch energetische Sanierungen. In einer Substitutionsmatrix werden zusätzliche Annahmen zum Ersatz eines Heizsystems durch ein anderes gemacht. Der Energieverbrauch für Warmwasser wird pro Kopf und Wassersystem berechnet. Bei zentralen Heizungssystemen wird angenommen, dass das Heizsystem in einem Teil der Fälle auch für die Warmwasseraufbereitung verwendet wird. Als Ergebnis liefert das Wohngebäudemodell den Nutz- und Endenergieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser nach Energieträgern und Ge­bäude­typen sowie den Hilfsenergieverbrauch für den Betrieb der Wärmeerzeuger und Lüftungsanla­ gen. Die Ergebnisse werden jährlich mit verfügbaren Statistiken und Erhebungen abgeglichen. Damit bietet das Modell eine verlässliche Grundlage bezüglich der absoluten Höhe des spezifischen Energieverbrauchs pro Wohnfläche in den einzelnen Gebäudeklassen wie auch bezüglich der Geschwin­ digkeit ihrer Veränderung. Elektrogeräte und Beleuchtung: Bei den Elektrogerä­ ten wird nach Haushaltsgroßgeräten (Weiße Ware), Geräten der Unterhaltungselektronik, Geräten der Informations- und Kommunikationstechnologie, Haustechnikanlagen, Kochherden, Beleuchtung sowie sonstige elektrische Verbraucher differenziert. Die verbrauchsrelevantesten Geräte werden in Kohorten­ modellen einzeln abgebildet, teilweise kommen zusätzlich Annahmen über die Nutzungsdauer zum Tragen. Im Ergebnis resultieren als Effizienzgrößen mittlere Jahresverbräuche je Gerät oder Haushalt. Die STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Verbräuche der Vielzahl der kleinen (oder wenig genutzten) Elektrogeräte werden in Form eines Aggregats erfasst. Es wird unterstellt, dass dieses Verbrauchssegment überdurchschnittlich wächst, weil auch zukünftig neue stromverbrauchende Geräte und Anlagen auf den Markt kommen werden. 7.1.3 GHD-Modell Bei dem GHD-Modell handelt es sich um ein Simulationsmodell für die Entwicklung des Endenergie­verbrauchs in den Sektoren Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Wie auch die übrigen Nachfragemodelle des Energieverbrauchs orientiert sich die Abgrenzung des Models stark an jener der Energie­bilanz. Es handelt sich um ein Bottom-up-Modell, in dem die Entwicklung der anwendungsspezifischen Energie­ trägerverbräuche der jeweiligen Branchen der modellierten Sektoren auf Basis verschiedener Einflussgrößen fortgeschrieben wird. Die Verteilung der Energieträgerverbräuche auf die Sektorenbranchen ist aufgrund der begrenzten Daten­ lage mit großen Unsicherheiten behaftet. Für ver­ schiedene Jahre wurden die Verbräuche ex post anhand von Befragungen und Stichprobenmessungen im Rahmen verschiedener Studien hochgerechnet und fortgeschrieben (Fh-ISI et al. 2009, 2013, 2015; Prognos et al. 2016). Im GHD-Modell wurde der Sektor in Anlehnung an diese Erhebungen in 16 Branchen aufgeteilt. Diese wurden jeweils Wirtschaftszweigen zugeordnet, anhand derer die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fortgeschrieben wurden. Das Modell bestimmt die Veränderungen des Ener­ gieverbrauchs gegenüber dem Vorjahr unter Berück­ sichtigung der Veränderung der klimatischen Bedingungen sowie der technologischen und wirt­ schaftlichen Entwicklungen. Die Klimaerwärmung wird durch die Entwicklung der Heiz- und Kühl­ gradtage quantifiziert, welche im Modell zur Bestim­ mung des Gebäudeenergiebedarfs herangezogen werden. Der technologische Fortschritt wirkt sich auf Anlagenwirkungsgrade sowie Gebäudever­ brauchskennzahlen aus. Durch die Wirkung der politischen Maßnahmen wird dieser verstärkt beziehungsweise der flächendeckende Einsatz von Effizienztechnologien forciert. Die wirtschaftliche Entwicklung der Sektorenbranchen wird anhand der Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen und der Bruttowertschöpfung quantifiziert. Erstere ist maßgeblich für die Entwicklung der beheizten Flächen. Aufgrund der großen Bedeutung der Gebäudeenergieversorgung am Gesamtenergiever­ brauch des Sektors ist die Entwicklung der Erwerbs­ tätigenzahlen eine bedeutende Einflussgröße. Die Entwicklung der beheizten Flächen wird anhand eines Kohortenmodells für den Gebäudebestand fortgeschrieben. Hierbei werden die Gebäude nach Altersklasse und Sanierungsstand aggregiert, wobei Sanierungsraten und -tiefen in den Szenarien abhängig von der Wirkung der unterstellten Maß­ nahmensets variieren. Auf Grundlage der modellierten Energieverbräuche werden die verbrennungsbedingten Emissionen berechnet. 7.1.4 Verkehrsmodell TEMPS Das am Öko-Institut entwickelte Modell TEMPS 1 ermöglicht es, den Endenergiebedarf und die Treib­ hausgasemissionen des Verkehrs für unterschiedliche Szenarien zu quantifizieren und dabei Veränderungen der Verkehrsnachfrage, im Fahrzeugbestand und beim Kraftstoffeinsatz abzubilden. Das Modell besteht aus den drei Komponenten Verkehrsnachfrage, Fahrzeug­ bestand, Energie- und Treibhausgasbilanz. Im Modul Verkehrsnachfrage wird nach den Berei­ chen Güterverkehr, Personenverkehr, Luftverkehr und Seeverkehr unterschieden. Szenarien zur Verkehrs­ nachfrage im Personen- und Güterverkehr werden in TEMPS parametergestützt auf Basis der Entwicklung zentraler Mobilitätskenngrößen ermittelt. 1 Transport Emissions and Policy Scenarios. 169 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland Übersicht über das Modell TEMPS Verkehrsnachfrage Abbildung 98 Fahrzeugbestand Güterverkehr Straßenverkehr übrige Verkehrsträger Personenverkehr Bestandsmodul Strukturmodul Luftverkehr Neuzulassungsmodul Seeschiffverkehr Energie- & THG-Bilanz Kraftstoffmodul Emissionsmodul Technologiedatenbasis Öko-Institut (2020) Die Technologiedatenbasis bildet die Grundlage für die Simulation der zukünftigen Entwicklung an Fahrzeugtechnologien. Sie dokumentiert mögliche technische Entwicklungen des jeweiligen Verkehrs­ trägers bis zum Jahr 2050 differenziert nach Größen­ klasse und Antriebsart und ist im Straßenverkehr mit Kostenannahmen versehen. Die künftige Effizienz­ entwicklung im Straßenverkehr wird über das Neuzulassungsmodell und Bestandsmodell berechnet. Im Neuzulassungsmodul wird in Abhängigkeit von Inputgrößen wie zum Beispiel ökonomische Rahmen­ bedingungen, politische Rahmenbedingungen und Nutzeranforderungen an die Fahrzeuge (Jahresfahr­ leistungen, Reichweiten) die Zusammensetzung der Neuzulassungen ermittelt. Das Bestands­modul berechnet mittels spezifischer Überlebensraten der Fahrzeuge und durchschnittlichen Fahr­leistungen den Bestand – differenziert nach Größenklasse, Antriebs­ art und Haltergruppe. Im Gegensatz zum Straßenver­ kehr setzen zum Beispiel beim Schienenverkehr 170 Effizienzmaßnahmen nicht nur beim einzelnen Fahrzeug, sondern auch auf Systemebene an. Daher wird für die übrigen Verkehrsträger kein Bestand berechnet, sondern die Entwicklung der Technologien und Verbräuche auf Systemebene ermittelt. Die Entwicklung des Endenergiebedarfs des Verkehrs steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Modellierung von Verkehrsnachfrage und Fahrzeug­ bestand und wird in dem Modul Bottom-up ermittelt. Dazu werden die Daten zu Verkehrsnachfrage und Fahrzeugbestand mit den Annahmen zum Energie­ mix (Anteil von Biokraftstoffen, strombasierten Kraftstoffen und fossilen Kraftstoffen) und den spezi­ fischen Emissionsfaktoren der Kraftstoffe verknüpft. 7.1.5 Landwirtschaftsmodell LiSE Das Landwirtschaftsmodell LiSE (LiSE steht für Lifestock, Soil and Energy Emissions) ist ein Excel-basiertes Modell des Öko-Instituts, das die STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung und der Nutzung landwirtschaftlicher Böden in Deutschland sowie die energiebedingten Emissionen aus Landund Gartenbau kalkuliert. Das Modell LiSE beinhaltet alle relevanten Quellkategorien, Unterquellgruppen und Gase, die nach den IPCC Guidelines zur Berech­ nung der landwirtschaftlichen Emissionen erforder­ lich sind. Das Modell setzt auf den Bestands- und Strukturdaten der nationalen Treibhausgasinventare auf und produziert Bottom-up-Emissionen für die entsprechenden Quellgruppen. Als Eingangsdaten für das Modell stehen externe Annahmen zu Produktions­umfängen, dazu gehören insbesondere Nutztierbestände, verschiedene Landbau- und Tierhaltungsformen und deren Ertragsentwicklun­ gen, Düngemittelanwendungen sowie Bioenergie­ nutzungen und ökologische Vorrangflächen. Diese Größen werden in Abgleich mit der Statistik, Fach­ literatur und politischen Vorgaben extern vorgegeben oder aus anderen Modellen des Öko-Institut-inter­ nen Modellverbundes zur Landnutzung ermittelt. Für die Berechnung der Emissionen aus dem Land­ wirtschaftssektor sind vor allem die Annahmen aus dem LULUCF-Modell FABio-Land in Bezug auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutzfläche (zum Beispiel Verluste wegen Versiegelung oder Moorwiedervernässung) und die unterschiedlichen Nutzungsformen entscheidend. Aber auch innerhalb des LiSE-Modells werden Informationen zur Flä­ chenbelegung durch die Landwirtschaft generiert. Dazu gehört zum Beispiel die Ausweisung des Futterflächenbedarfs aus der Tierhaltung. Ferner können Vorgaben zum Flächenanteil des ökologi­ schen Landbaus gemacht werden sowie zum Anteil ungedüngter Flächen (ökologischer Vorrangflächen, Strukturelemente etc.). Über die Flächennutzung wird der Stickstoffdüngereinsatz ermittelt. Dazu wird der Düngebedarf der einzelnen Kulturen hinterlegt. Je nach Stickstoffbedarf und verfügbaren organischen Düngemitteln (Wirtschafsdünger, Gärreste etc.) und verwendeten Anrechnungsregeln für organische Stickstoffdünger wird der verblei­ bende Bedarf mit mineralischem Stickstoff gedeckt. Auf Ebene der Stickstoffflüsse kann die Gesamtbi­ lanz als zentraler Umweltindikator in der Landwirt­ schaft ausgewiesen werden. Das Modul zur Nutztierhaltung umfasst alle relevan­ ten Nutztierklassen und deren Methan-, sowie direkte und indirekte Lachgasemissionen. Wichtigste Aktivitätsgröße sind zunächst die Tierbestände selbst. Hier gibt es eine Schnittstelle zu einem einfachen Konsummodell, mit dem Verhaltensände­ rungen und Selbstversorgungsgrade im Bereich des Milch- und Fleischverzehrs quantifiziert und in das Tiermodell zur Bestandsanpassung einfließen können. Weitere wichtige Kenngrößen charakterisie­ ren die Stallungen (stroh- beziehungsweise gülle­ basiert, Anbindehaltung oder Freilaufsysteme) und die Wirtschaftsdüngerlagerung. Bei letzterer wird spezifiziert, welcher Anteil anaerob vergoren wird und in welchem Umfang die Gärrestelagerung gasdicht erfolgt. Über den gesamten Szenariozeit­ raum können außerdem Leistungsparameter (Milchleistung) und eine stickstoffoptimierte Fütte­ rung berücksichtigt werden. Das Modul für die energiebezogenen Emissionen umfasst die mobile (Binnen- und Außenwirtschaft) und die stationäre Energienutzung. Hier werden für die Szenarien Annahmen zur Effizienz- und Energie­ einsparung und der Wechsel auf regenerative Energieträger für die Landwirtschaft kombiniert. Mithilfe der im Inventar verwendeten Emissionsfak­ toren werden aus dem resultierenden neuen Energie­ mix die Treibhausgasemissionen ermittelt. In einem zusätzlichen Modellmodul wird außerdem das Bioenergiepotenzial der Landwirtschaft gemäß den getroffenen Szenarioannahmen hochgerechnet. Dabei werden Reststoffpotenziale (Gülle, Erntereste/ Stroh) ebenso wie mögliche Flächennutzungen betrachtet (KUP, annuelle Kulturen als Kosubstrate auf Ackerland, Paludikulturen auf Moorstandorten). Zusätzlich werden in diesem Teilmodul auch die Bioenergiepotenziale der Forstwirtschaft und der Abfallwirtschaft (aus Waste_Mod, siehe Kapitel 7.1.7) 171 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland zusammengefasst, sodass das gesamte Bioenergie­ potenzial aus Reststoffen, Forst- und Anbaubiomasse eines Szenarios zentral für feste und flüssige Bio­ energie sowie Biogas ausgewiesen werden kann. 7.1.6 LULUCF-Modell FABio Die Flächenentwicklungen im LULUCF-Sektor sowie Emissionsquellen und -senken werden mit dem LULUCF-Modell FABio-Land2 des Öko-Instituts modelliert. In FABio-Land sind alle Landnutzungs­ kategorien abgebildet, die in der deutschen Bericht­ erstattung berücksichtigt sind: Wald, Ackerland, Grünland, Gehölze (Hecken etc.), terrestrische Feuchtgebiete, Gewässer, Torfabbau, Siedlung und sonstige Flächen. Die Flächen werden nach minera­ lischen und organischen Böden3, sowie neuen Flächen (Übergangszeit 20 Jahre) und bestehenden Flächen (älter als 20 Jahre) differenziert. Zudem ist in FABio-Land die Flächenkategorie „wiederver­ nässte Moorstandorte“ aufgenommen. Hier können für Acker- und Grünland auf organischen Böden und für Torfabbauflächen unterschiedliche Vernäs­ sungsintensitäten über Wasserstufen (mäßig feuchtes Moorgrünland/Wasserstufe 2+ bis nasses Moorgrünland/Wasserstufe 5+) sowie eine Nut­ zungsform (zum Beispiel Paludikultur) eingestellt werden. Als weitere Kategorie werden langlebige Holzprodukte ausgewiesen. Als Ausgangspunkt wird die historische Entwicklung der Flächennutzung (Flächenänderungskoeffizienten) und der zugehörigen Emissionen je Flächenkategorie (Emissionsfaktoren) in Deutschland fortgeschrieben (Mittelwert der letzten fünf Jahre). Berechnungen im Modell FABio-Land erfolgen mit einer zeitlichen Auf­ lösung von einem Jahr und reichen bis zum Jahr 2050. Um die Auswirkung von Maßnahmen in Szenarien zu modellieren, können auf dieser Basis durch ein Steuerungsmodul die Flächenänderungen einzelner 2 FABio = Forestry and Agriculture Biomass Model 3 Im LULUCF-Sektor wird unterschieden zwischen orga­ nischen Böden (Moore, Moorfolgeböden, Anmoore) und mineralischen Böden. 172 Flächenkategorien angesteuert werden (zum Beispiel Umbruchverbot für Grünland, anteilige Wiederver­ nässung von Ackerland auf organischen Böden). Zudem besteht die Möglichkeit, Emissionsfaktoren über die Zeitachse zu verändern. Emissionsfaktoren für die Waldfläche und für langlebige Produkte werden nicht direkt in FABio-Land modelliert, sondern können über eine Schnittstelle als Ergebnisse aus externen Modellen eingelesen werden. Aktuell werden so Ergebnisse aus den WEHAM-Szenarien des Thünen-Instituts und aus dem Modell FABio-­ Forest in die LULUCF-Modellierung integriert und können für Szenarien ausgewählt werden. Eine zweite Schnittstelle übergibt Daten zur Flächenent­ wicklung von Ackerland, Grünland und vernässten Flächen an das Agrarmodell LiSE (siehe Kapitel 7.1.5), um so eine Konsistenz zwischen den beiden Modellen zu gewährleisten. Als wichtigste Ausgabeparameter des Modells FABio-­ Land sind zu nennen: Flächenkulisse und Flächenän­ derungen (ha je Flächenkategorie), THG-Emissionen (Mio. t CO₂-Äq je Flächenkategorie) und die Abschät­ zung der Kosten für Maßnahmen zur Wiedervernäs­ sung von Mooren, Extensivierung der Waldbewirt­ schaftung und der Reduktion des Torf­abbaus. 7.1.7 Abfallmodell Wast_Mod „Waste_Mod“ ist ein modulares Abfallmodell, welches auf Basis von drei Modulen die Emissionen aus der CRF-Kategorie 5 (nicht energiebedingte Emissionen des Abfallsektors) abbildet. Die drei Module des Modells bilden die relevanten Quellkategorien der Abfall- und der Abwasserbehandlung ab. → Das erste Modul berechnet die Emissionen aus der Deponierung basierend auf dem vom IPCC entwi­ ckelten und vom Öko-Institut erweiterten Mul­ ti-Phasen-Abfallmodell (Emissionen der Deponie­ rung, Quellgruppe 5.A). Es werden die statistischen Daten der aktuellen Emissionsberichterstattung als Rahmendaten eingesetzt und die Treibhausgas­ emis­sionen aus den Deponien berechnet. Darin wird die aktuelle Situation der Altdeponien auf der STUDIE | Klimaneutrales Deutschland Basis der in der Vergangenheit erfolgten Ablage­ rungen von Abfällen, deren Zusammensetzung und Potenzial zur Bildung von Treibhausgasemissionen ebenso berücksichtigt wie der Stand der Umset­ zung der Abfälle und die bisher bereits erfolgten Emissionen. Neben den Altdeponien werden die Emissionen aus der Deponierung von Rückständen aus mechanisch-biologischen Abfallbehandlungs­ anlagen (MBA) im oben genannten Modell einbezo­ gen. Zusätzlich können die Minderungswirkungen der Maßnahmen zur Deponiebelüftung berück­ sichtigt werden. → Im zweiten Modul werden die Emissionen aus der biologischen Abfallbehandlung berechnet. Die Daten zu Emissionen aus Bioabfallbehandlungsan­ lagen und mechanisch biologischen Abfallbehand­ lungsanlagen werden in Bezug zum Anlagen­ durchsatz berechnet. Hierzu sind die während der Bearbeitung vorliegenden aktuellen Daten zur Abfallstatistik von Destatis und aktuelle Studien zur Anlagentechnik auszuwerten. Die Entwick­ lung des Anlagendurchsatzes erfolgt in Abhängig­ keit von umgesetzten oder geplanten Maßnahmen zur getrennten Erfassung und Verwertung von Abfällen im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsge­ setzes, wird aber auch beeinflusst von Maßnah­ men des Klimaschutzplans zur Reduktion von Lebensmittel­abfällen. → Im dritten Modul werden für die Unterquellgrup­ pen kommunale und industrielle Abwasserbe­ handlung (5.D) und andere (5.E) die einwohnerspe­ zifischen Rahmendaten eingesetzt und die Emissionsfaktoren aus dem aktuellen Inventarbe­ richt entsprechend der Annahmen zur Entwick­ lung der Stickstoffgehalte im Abwasser und dem Anschlussgrad an die öffentliche Kanalisation fortgeschrieben. 7.1.8 Industriemodell WISEE-EDM Das im Szenario für die Industrie verwendete Industriemodul des WISEE-EDM 4 des Wuppertal 4 Wuppertal Institute System Model Architecture for Energy and Emission Scenarios – Energy Demand Model Instituts simuliert die Entwicklung des industriellen Anlagenparks sowie die industriellen Energiebedarfe und CO₂-Emissionen im zeitlichen Verlauf unter Berücksichtigung von Produktionsmengen, ­Reinvestitionszyklen, technologischer Entwicklung sowie (standortspezifischer) Verfügbarkeit von Energieträgern. Die Datenbasis des Modells umfasst derzeit (Stand 2020) die folgenden Branchen: 5 → für EU 27 + 3: Eisen und Stahl, Grundstoffchemie, Raffinerien6 → für Deutschland zusätzlich: Zellstoff und Papier, Nichteisenmetalle, Zement, Kalk, Glas und Gießereien Energiebedarf und CO₂-Emissionen der industriellen Produktion werden für die oben genannten Sektoren auf der Grundlage der (angenommenen) physischen Produktion von Gütern berechnet. Aggregierte Werte – wie zum Beispiel die CO₂-Emissionen der deut­ schen Stahlindustrie – werden im Modell dabei aus den Eigenschaften und dem Betrieb der einzelnen, im Modell erfassten, industriellen Anlagen errech­ net. Die den Berechnungen zugrunde liegende Datenbank umfasst: → circa 800 Produktionsstandorte in Europa. Die Datenbank enthält auch die Verbindung zwischen Standorten der chemischen Industrie und Raffine­ rien durch Pipelines. Darüber hinaus können die (zukünftigen) Anbindungen von Standorten an eine CO₂- oder Wasserstoffinfrastruktur standortscharf in Szenarien festgelegt werden. → circa 200 Technologien (zum Beispiel Hochofen, Steamcracker, Drehrohrofen) mit ihrem jeweiligen spezifischen Energiebedarf (differenziert nach 5 Die Entwicklung der Energienachfrage und der CO₂Emissionen in anderen Sektoren wird mittels ökono­ metrischer Methoden berechnet. 6 Raffinerien wurden nicht mit dem WISEE-EDM sondern als Teil des Umwandlungssektors berechnet. 173 Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität | Klimaneutrales Deutschland 25 Energieträgern), prozessbedingten Emissionen, ausgewählten Stoffeinträgen und typischen technischen Laufzeiten. Einbezogen sind Techno­ logien auf dem europäischen Durchschnitts­ standard der Jahre 2000 bis 2005 sowie die derzeit beste verfügbare Technik (BVT) und angenommene zukünftige Verfahren (zum Beispiel Reduktion von Eisenerz mittels Wasserstoff). → mehr als 2.600 industrielle Produktionsanlagen. Die Produktionsanlagen werden hinsichtlich der verwendeten Technologie (siehe oben) und ihrer Produktionskapazität spezifiziert. Bei besonders energieintensiven Anlagen ist auch das Baujahr hinterlegt, wodurch sich Reinvesitionszyklen abschätzen lassen. Alle Produktionsanlagen sind den jeweiligen Standorten zugeordnet. Weitere Besonderheiten des Modells sind die Berück­ sichtigung von Nebenprodukten der industriellen Produktion (Dampf, Hüttengase und Wasserstoff) und deren Einberechnung in den (verbleibenden) indus­ triellen Energiebedarf an den durch entsprechende Netzwerke verbundenen Standorten. Für die Produk­ tion von Stahl und Grundchemikalien werden zudem Bilanzen für ausgewählte Stoffmengen (Edukte und 174 Produkte) erstellt. Beim für die Chemieindustrie verwendeten Investitionsmodul werden komplexe Produktionsketten in Verbindung mit Transportmög­ lichkeiten und Kosten von Zwischenprodukten in die Berechnung einbezogen. Die zukünftige Entwicklung der Produktionsmengen zentraler energieintensiver Produkte wird abge­ schätzt über heutige Verwendungszwecke, histori­ sche Trends sowie angenommene Entwicklungen in übergeordneten Treibern wie der soziodemografi­ schen Entwicklung, dem Wachstum des Brutto­ inlandsprodukts und der Veränderung von Konsum­ mustern. Dabei wurden die in den anderen Sektoren getroffenen Annahmen und die Einbettung der industriellen Branchen in die europäischen und globalen Märkte berücksichtigt. Bezüglich der zukünftigen Entwicklung des industri­ ellen Anlagenparks wurden nur Anlagentechnologien, deren Funktionalität bereits heute in Pilot- und Demonstrationsanlagen unter Beweis gestellt wurde und die von Branchenexperten und Industrieanla­ genherstellern als vielversprechend eingestuft werden, berücksichtigt. STUDIE | Klimaneutrales Deutschland 7.2 Szenarienvergleich Einordnung der KN2050- und KNmin-Ergebnisse in die Bandbreiten existierender Szenarien (95 Prozent THG-Emissionsminderung bis 2050 gegenüber 1990) 2015 2030 2050 Szenarien- Szenarien- bandbreite bandbreite (-95 % 2050) Primärenergie- Tabelle 6 Min Max KN2050 KNmin (-95 % 2050) Min Max KN2050 KNmin EJ 14 8 10 8,6 8,8 6 9 6,6 6,7 Strombedarf TWh 590 483 849 643* 613* 715 1.447 962* 958* Anzahl Mio. 0,5 2 7 6 5 5 17 14 14 Mio. 0 6 15 14 11 12 42 30 29 TWh 0 – – 63 18 300 904 432 438 Mio. t 0 – – 1 0 16 93 73 73 verbrauch Wärmepumpen Anzahl Batterie-elek. PKW PtG/PtL-Einsatz CCS CO2 * Bruttostromverbrauch Hinweis: Dieser Vergleich beinhaltet auch einige Szenarien mit einer geringeren THG-Emissionsminderung als um 95 Prozent gegenüber 1990, z. B. um 85 Prozent (Acatech et al. (2017) oder um 87,5 Prozent (ifeu et al. (2018)). Acatech et al. (2017), BDI (2018), DENA (2018), ifeu et al. (2018), FZJ (2019), UBA (2019a), Fh-ISE (2020) 175 Publikationen von Agora Energiewende AUF DEUTSCH Klimaneutrales Deutschland (Zusammenfassung) In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050 über ein Zwischenziel von -65% im Jahr 2030 als Teil des EU-Green-Deals Wie passen Mieterschutz und Klimaschutz unter einen Hut? Wie weiter nach der EEG-Förderung? Solaranlagen zwischen Eigenverbrauch und Volleinspeisung Akzeptanz und lokale Teilhabe in der Energiewende Handlungsempfehlungen für eine umfassende Akzeptanzpolitik Zwischen Rekordhoch und Abschaffung: Die EEG-Umlage 2021 in Zeiten der Corona-Krise Der Doppelte Booster Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Wachstums- und Investitionsprogramm Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands Eine Abschätzung der Emissionen 2020 Die Ökostromlücke, ihre Strommarkteffekte und wie die Lücke gestopft werden kann Effekte der Windkraftkrise auf Strompreise und CO2-Emissionen sowie Optionen, um das 65-Prozent-Erneu­ erbare-Ziel 2030 noch zu erreichen Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2019 Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2020 Klimaneutrale Industrie Schlüsseltechnologien und Politikoptionen für Stahl, Chemie und Zement Charta für eine Energiewende- Industriepolitik Ein Diskussionsvorschlag von Agora Energiewende und Roland Berger Dialog „Energiewende und Industriepolitik“ Abschlussbericht Flex-Efficiency Ein Konzept zur Integration von Effizienz und Flexibilität bei industriellen Verbrauchern Aktionsplan Lastmanagement Endbericht einer Studie von Connect Energy Economics Publikationen von Agora Energiewende AUF ENGLISH #1 COVID-19 China Energy Impact Tracker How is the pandemic reshaping China’s energy sector? How to Raise Europe’s Climate Ambitions for 2030 Implementing a -55% Target in EU Policy Architecture Recovering Better! Climate Safeguards for the proposed EU’s Proposed 1.85 trillion Euro 85-Trillion-Euro Budget EU-China Dialogue on Green Stimulus Packages Summary of a High-Level Discussion on 23 June 2020 Dual-Benefit Stimulus for Germany A Proposal for a Targeted 100 Billion Euro Growth and Investment Initiative Making the Most of Offshore Wind Re-Evaluating the Potential of Offshore Wind in the German North Sea Supporting the Energy Transition in the Western Balkans The German Power Market: State of Affairs in 2019 State of Affairs in 2019 The Liberalisation of Electricity Markets in Germany History, Development and Current Status A Word on Low Cost Renewables The ­Renewables Breakthrough: How to Secure Low Cost Renewables Building sector Efficiency: A crucial Component of the Energy Transition Final report on a study conducted by Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu), Fraunhofer IEE and Consentec Climate-neutral industry (Executive Summary) Key technologies and policy options for steel, chemicals and cement Distribution grid planning for a successful energy transition – focus on electromobility Conclusions of a study commissioned by Agora Verkehrswende, Agora Energiewende and Regulatory Assistance Project (RAP) Alle Publikationen finden Sie auf unserer Internetseite: www.agora-energiewende.de Publikationen von Agora Verkehrswende AUF DEUTSCH Ein anderer Stadtverkehr ist möglich Neue Chancen für eine krisenfeste und klimagerechte Mobilität Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität Weiter denken, schneller laden Welche Ladeinfrastruktur es für den Erfolg der Elektromobilität in Städten braucht Liefern ohne Lasten Wie Kommunen und Logistikwirtschaft den städtischen Güterverkehr zukunftsfähig gestalten können Städte in Bewegung Zahlen, Daten, Fakten zur Mobilität in 35 deutschen Städten Der Doppelte Booster Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Wachstums- und Investitionsprogramm Abgefahren! Die Infografische Novelle zur Verkehrswende Technologieneutralität im Kontext der Verkehrswende Kritische Beleuchtung eines Postulats Klimabilanz von ­strombasierten Antrieben und K ­ raft­stoffen Ausgeliefert – wie die Waren zu den Menschen kommen Zahlen und Fakten zum städtischen Güterverkehr E-Tretroller im Stadtverkehr Handlungsempfehlungen für deutsche Städte und Gemeinden zum Umgang mit stationslosen Verleihsystemen Studie: Verteilnetzausbau für die Energiewende Elektromobilität im Fokus 15 Eckpunkte für das Klimaschutzgesetz Klimabilanz von Elektroautos Einflussfaktoren und Verbesserungspotenzial Neue Wege in die Verkehrswende Impulse für Kommunikationskampagnen zum Behaviour Change Publikationen von Agora Verkehrswende AUF ENGLISCH Technology Neutrality for Sustainable Transport Critical Assessment of a Postulate – Summary Bike Sharing in a State of Transition Action recommendations for German cities and municipalities in dealing with dockless systems En route to Paris? Implications of the Paris Agreement for the German transport sector Distribution grid planning for a successful energy transition – focus on electromobility Conclusions of a study commissioned by Agora Verkehrswende, Agora Energiewende and Regulatory Assistance Project (RAP) Shared E-Scooters: Paving the Road Ahead Policy Recommendations for Local Government Entering the home stretch The German car makers facing the European CO2 limits for 2021 New Roads to Sustainable Travel Communication Strategies for Behaviour Change Supporting a U-Turn in Parking Policy Facts and Figures Towards Decarbonising Transport | 2018 A 2018 Stocktake on Sectoral Ambition in the G20 The new EU regulation on CO2 emissions from cars and how it impacts carbon ­targets in Germany’s transport sector The Future Cost of Electricity-Based Synthetic Fuels Ensuring a Sustainable Supply of Raw Materials for Electric Vehicles A Synthesis Paper on Raw Material Needs for Batteries and Fuel Cells Transforming Transport to Ensure Tomorrow’s Mobility 12 Insights into the Verkehrswende Alle Publikationen finden Sie auf unserer Internetseite: www.agora-verkehrswende.de 195/03-S-2020/DE 48-2020-DE Wie gelingt uns die Energiewende? Welche konkreten Gesetze, Vorgaben und Maßnahmen sind notwendig, um die Energiewende zum Erfolg zu führen? Agora Energiewende und Agora Verkehrswende wollen den Boden bereiten, damit Deutschland in den kommenden Jahren die Weichen richtig stellt. Wir verstehen uns als Denk- und Politiklabore, in deren Mittelpunkt der Dialog mit den relevanten energiepolitischen Akteuren steht. Die Stiftung Klimaneutralität wurde gegründet, um in enger Kooperation mit anderen Denkfabriken sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland zu entwickeln. Auf der Basis von guter Forschung will die Stiftung informieren und beraten – jenseits von Einzelinteressen. Unter diesem QR-Code steht diese Publikation als PDF zum Download zur Verfügung. Agora Energiewende Anna-Louisa-Karsch-Strasse 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-energiewende.de info@agora-energiewende.de Agora Verkehrswende Anna-Louisa-Karsch-Strasse 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 | F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-verkehrswende.de info@agora-verkehrswende.de Stiftung Klimaneutralität Friedrichstr. 140 | 10117 Berlin T +49 (0)30 62939 4639 www.stiftung-klima.de info@stiftung-klima.de Agora Energiewende und Agora Verkehrswende sind gemeinsame Initiativen der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.
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