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Erstes Buch. Das Mutterhaus IV. Die arbeitenden Personen

Full text: Bethanien / Schulze, Gustav (Public Domain)

siner ganz unfaßlichen Ceidenichaft geworden ft, und mn mit offenen Augen in 
den Abgrund rennt. 2Mit offenen Augen, denn fie Mt gewarnt, wie man mur 
einen Menichen warnen Fann. Wir haben fie befcehworen und angefleht. Etwas 
Schmerzlicheres Kann ich mir faft gar nicht denken; ich hatte fie fo {ehr lich, fraute 
ibr fo alles, alles Bute zu — und nun?“ So war es jedesmal, wenn ein 
Austritt in Sünde gefchab, aber von foldhen Kämpfen haben die wentgften etwas 
acabnt, und die anı allerwenigften, die fie ihr verurfachten, fie hätten es fonjt doch 
nicht gethan. Aber der Glaube überwand auch bei ihr die Natur und machte 
fie ftarf im Geift. So Fonnte fie inmwer, was fie follte, auch als die Arbeit 
wuchs, und fie wuchs fehr fchnell. Als fie ihr Amt antrat, beftanden zwei 
Stationen mit pier Schweitern, als fie cs niederlegte, waren es 24 mit 74 Schweitern. 
Aber ibre Kraft hielt aus. Ein tiefinnerliches Derftändnis herrfchte zwifchen ihr 
und Paitor Schul, und man fast wohl nicht zu viel, wenn man behauptet, daß 
ibr Tod auch ihnı cin Stück feines Lebens gefoftet hat, verwunden hat er diefen 
Verhuft wohl nie. Und dennoch war ihr Sterben eine gnädige Flgung Gottes, 
Bald darauf zogen fich ja dunkle Wolken über Bethanien zufanımen, und fie 
follte das fih entladende Wetter nicht mehr erleben, fondern bei der oberen 
Bemeinde fein, wo Fein Leid mehr ft und die Gebete einen kurzen Weg haben 
zum Herzen Gottes. Bethanien war ihr der Kebfte Ort auf Erden, die Heimat, 
die fie bier unten mit Feiner andern hätte vertaufchen mögen. „Illir ft eigentlich 
nirgends wohl als in Bethanien,“ bei diefent Befonntnis ift fie geblieben bis an 
das Ende. Bethaniens Schwefternfchaft war ihre Familie, Bethaniens Weife ihr 
Schönftes, Bethaniens Kirche und wie in ihr gepredist, Liturgie gehalten und das 
Saframent verwaltet wurde, ihre größte Freude, und wenn fie fern fein mußte, 
ihre Schnfucht, „Daneben aber,“ fagt Paftor Schults, der fie fo genau Famnte, 
„sing bei ihr fort und fort cin Schnen nach oben, aus der Arbeit und aus dem 
Streit zur Xube und zum Frieden, aus der Schwachheit zur Herrlichkeit. Sie 
iprach ntcht viel davon, aber man Fomnte cs fpüren.“ Gar früh Famı die Stunde, 
da diefe Schniucht geftillt wurde. Paftor Schulß hat darüber genaue Auf: 
zeichnungen für die Schweitern gemacht, und wir Fönnen denfelben hier einfach 
folgen. Der Notitand in Preußen und die ihn begleitenden Krankheiten brachten 
auch die dortigen Stationen in Bartenftein und Gerdauen in Bedrängnis, 
und man auge Bedacht nehmen, die dortigen Kräfte zu verftärken. Am 
17. Zamnuar 1808 reifte deshalb die Oberin mit zwei Schweitern dahin ab. 
Schon am 19. folgten ihr zwei andere Schweftern, fie ging auf Bitten ihres 
Bruders, des Grafen Eberhard, nit den beiden erften weiter nad) dem Städtchen 
Shein, mo der Notftand am größten war. Am 20., {pät in der Nacht, Fam 
fie dort an. Sie fand das Elend noch viel fchlinmer, als ic os fih gedacht 
hatte. Zar zwei Stuben lagen gegen 40 Kranke, in der einen Männer, in der
	        
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