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Erstes Buch. Das Mutterhaus IV. Die arbeitenden Personen

Full text: Bethanien / Schulze, Gustav (Public Domain)

und ihr Herz war voll Kob und Dank. Zhre damalige Stimmung faßt fie in 
die Worte: „O möchte mein ganzes CLeben ein Dankopfer werden für folche 
Barmherzigfeit! Gott hat mich zu dem teuren Amte berufen, er wird auch 
Bunade fchenfen. Siche, ich bin des HErrn Magd, mir gefchehe, wie du gefast 
haft!“ Sener Seit entftanımt das fchöne Bild von ihr, das {Ahönfte, welches 
Bethanien befigt. Man wird nicht müde, es anzufehen. Das ein wenig nach 
Shen gewendete Auge, die Leicht zufammengefchlagenen Bände, der Findlich demütige 
Yusdruck in ihren freundlichen Zügen find wie eine Derkörperung jenes Marien- 
wortes, dem fie treulich nachgelebt hat bis an ihr Ende. 
Nach der Einfegnung wartete ihrer verantwortungsvolle Arbeit. Denn 
die fchwerfranfe Oberin bedurfte einer Stellvertreterin, und ihre 2Dahl Rel auf 
Schweiter Anna. Als die ÖOberin entichlafen war, wurde Anna ihre Nach: 
Folgerin. Schon am 11. Hanuar 1855 war die Wahl, am 2. Februar die Ein: 
führung. Es war ihr in mehr als einer Hinficht eine Selbitverleugnung, diefes 
Unıt auf fih zu nehmen. Denn cs bedeutete zunächft einen Derzicht auf die 
eigentliche Pflegearbeit, welche ihr doch weitaus die lKichite war und kebenslang 
blieb. Wenn fih fpäter einmal, wie im dänifchen Kriege, dazu auf Furze Zeit 
ichicliche Gelegenheit bot, fo atmete fie auf. nd hat fie fich nicht fpäter, als 
ihre Seit zu Ende gehen follte, bei der Pflegearbeit unter den oftpreußifchen 
Typhusfranfen den Keim des Todes geholt? Aber mit diefer Lichlingsarbeit 
war es mu vorbei. Yun galt es, zu verwalten, zu regieren, zu erziehen und 
Hunderterlei Einzelheiten in den Kopf zu nehmen, und das war ihr {chwer. 
Schon das Dielerlei ihres Oberinnenamtes machte fie oft unfäslich müde, und 
lie hatte oft lange Seiten, wo ein quälender, dumpfer Kopffchmerz fie nicht 
verließ. Aber noch viel fehwerer fiel ihr das Regieren. Sie geborchte viel lieber. 
als daß fie befahl; fie führte viel Kieber aus, als daß fie anordnete; fie ging viel 
lieber in Fuge, als an feiner Spiße. Aber eben darum war fie gerade die Kochte 
Mir diefes Ant. Bet wem Regieren Leidenfchaft ift, der ift zum Xegieren verdorben 
und man foll ihn um Gottes willen nicht an das Regiment laffen, an aller 
wenigften im Xeiche Gottes. Da gilt die Regel jener alten Kollekte: „Wer 
dich erfennt, der lebt, wer dir dient, der regiert.“ Und diefer Regel gemäß bat 
lic ihr Haus und ihre ftets wachfende Schwefternichar regiert, darum it ihr 
Regiment ein fo reich gefegnetes und ihr Einfluß ein fo tiefgehbender gewefen auf 
oiele. Sie freilich hat ihr Leben dabei verloren, nicht bloß buchitäblich, fandern 
äglidy int geiftlichen Simte. Ale fchmerzlichen Erfahrungen nasten an ibrer 
Seele, fremde Side warf fie zu Boden, und vs Foftete ihr meift viele Thränen 
and fchlaflofe Nächte, ich wieder aufzurichten. Nach einen {bmerzlichen Austritt 
ner Schweiter fehreibt fie einer ihr befonders nabe ftebenden anderen Scuveiter: 
‚Uch, Blutige Chränen möchte ich um nreitnte arme 2. 2. weinen. die das Opfer
	        
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