Selbst angenommen — was durchaus nicht zutrifft — dass die Kunst- und
Litteraturvorlesungen einer weniger strengen Wissensrichtung angehören,
als die naturwissenschaftlichen und philosophisch-historischen, wird man
die folgende summarische Proportion und Bewegung der beiden „Rich-
tungen‘ an einer freien Akademie nieht »-7 7" "an:
„Strenge‘‘ Wissenschaften 1882/£”
1888/“
1895,
18°07
1888/
1897
Die ersteren repräsentiren im letzten Berichtsjahr (immer ohne das
IX. Quartal 1896° zusammen ©4 Cyklen mit 1942 Hörern, die letzteren
nur 37 Cyklen mit 1535 Hörern, das ist walhırlich noch lange kein Ver-
fallen in Oberflächlichkeit und Unterhaltungssucht! Und steht denn in Wahr-
heit die wissenschaftlich eindringende und vertiefende Beschäftigung mit
dem Schönen, worunter doch die Schöpfungen eines Phidias, Aeschylos,
Dante, Michel Angelo, Dürer, Shakespeare, Goethe und Schiller, Mozart und
Beethoven u. v. a. recht erheblich mitzählten, irgendwie an Würde und
Bildungswerth hinter anderen Diseciplinen zurück? Nicht sowohl auf den
Lehrstoff kommt es an, als auf den Geist der Behandlung, und da wird
jeder Sachkundige bezeugen, dass dieser an der Humboldt- Akademie
auch für Kunst- und Litteraturgeschichte der Geist ernster Wissenschaft-
lichkeit ist — was bekanntlich keineswegs mit langweiliger Trockenheit
zusammenfällt. So ist es denn zumal in einer Zeit, wo neue mächtige
Strömungen in Kunst und Litteratur die Geister fortreissen, durchaus
verständlich und berechtigt, dass auch an unserer Akademie die Beschäfti-
gung mit den schönen Wissenschaften vorzugsweise wächst, zumal anch
der Hauptzuwachs der Hörerschafi, wie alsbald nachgewiesen werden
wird, dem schönen Geschlechte angehört.
Zu beklagen ist nicht, dass die schönwissenschaftlichen Vorlesungen
immer grössere Hörerschaaren anziehen, zu beklagen ist nur, dass andere
Lehrfächer unverhältnissmässig zurückbleiben. Zu diesen gehört aber,
was festzustellen von Interesse ist, die Philosophie keineswegs. Die
Frequenzreibe der philosophischen Gruppe zeigt vielmehr ein besonders
stetiges und im Ganzen sehr bedeutendes Fortschreiten — von 2 Cyklen
mit 80 Hörern in 1882/83, zu 12 Cyklen mit 199 Hörern in 1888/89
und 17 Cyklen mit 646 Hörern in 1895/96, wobei es gewiss als sehr
erfreulich gelten muss, dass die Vorlesungen über theoretische
und praktische Ethik an Zahl und Besuch obenan stehen.
Auch die Naturwissenschaften nebst Hygiene weisen im Ganzen
eine ansehnliche Zunahme auf, von 6 Cyklen mit 109 Hörern in 1882,83
zu 15 Cyklen mit 314 Hörern in 1888/89 und 27 Cyklen mit 554 Hörern
in 1895/96, was um so bemerkenswerther ist, als der Humboldt-Akademie
erade auf naturwissenschaftlichem Gebiete durch die so reich ausgestattete
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